Schleswig-Holsteinischer Landtag Plenarprotokoll 16/22 16. Wahlperiode 06-02-22

Plenarprotokoll

22. Sitzung

Mittwoch, 22. Februar 2006

Rede anlässlich des 60. Jahrestages Aktuelle Stunde...... 1476, des Ersten Ernannten Landtages in Schleswig-Holstein...... 1460, Entscheidungen zur Föderalismus- reform - Position der Landesregie- Regierungserklärung zum Thema rung in der Sondersitzung der Mi- „Vogelgrippe“...... 1463, nisterpräsidentenkonferenz am 10. März 2006 - Die Auswirkungen Dr. Christian von Boetticher, Mi- der seit dem 16. Februar 2006 ge- nister für Landwirtschaft, Um- planten Grundgesetzänderungen welt und ländliche Räume...... 1463, 1475, auf das Land Schleswig-Holstein..... 1476, Axel Bernstein [CDU]...... 1465, Dr. Henning Höppner [SPD]...... 1467, Antrag der Fraktion BÜNDNIS Dr. Heiner Garg [FDP]...... 1469, 90/DIE GRÜNEN Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]...... 1471, Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE Lars Harms [SSW]...... 1473, GRÜNEN]...... 1476, 1487, 1458 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

Dr. Johann Wadephul [CDU]...... 1477, Monika Heinold [BÜNDNIS Lothar Hay [SPD]...... 1479, 90/DIE GRÜNEN]...... 1506, 1517, Dr. Ekkehard Klug [FDP]...... 1481, Dr. Johann Wadephul [CDU]...... 1508, Anke Spoorendonk [SSW]...... 1483, Ulrike Rodust [SPD]...... 1510, Dr. Ralf Stegner, Innenminister..... 1484, Dr. Heiner Garg [FDP]...... 1512, Lars Harms [SSW]...... 1515, Gemeinsame Beratung Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, Gesundheit, Fa- a) Offshore-Hafen Husum zügig milie, Jugend und Senioren...... 1518, ausbauen...... 1487, Beschluss: Ablehnung...... 1521, Antrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Landwirtschaftliche Sozialversi- FDP und der Abgeordneten des cherung...... 1521, SSW Drucksache 16/569 Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/585 Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Günther Hildebrand [FDP]...... 1521, Drucksache 16/614 Klaus Klinckhamer [CDU]...... 1522, Dr. Henning Höppner [SPD]...... 1523, b) Bericht zum Sachstand Husu- Karl-Martin Hentschel [BÜND- mer Hafen...... 1487, NIS 90/DIE GRÜNEN]...... 1524, Bericht der Landesregierung Lars Harms [SSW]...... 1525, Drucksache 16/580 Dr. Christian von Boetticher, Mi- nister für Landwirtschaft, Um- Dietrich Austermann, Minister für welt und ländliche Räume...... 1526, Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr...... 1487, 1501, Beschluss: Überweisung an den Um- Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE welt- und Agrarausschuss und den GRÜNEN]...... 1490, Sozialausschuss...... 1527, Ursula Sassen [CDU]...... 1492, Detlef Buder [SPD]...... 1493, 1505, Landesbericht zur Armutsbekämp- Dr. Heiner Garg [FDP]...... 1495, fung in Schleswig-Holstein...... 1527, Lars Harms [SSW]...... 1498, Antrag der Fraktion BÜNDNIS Hans-Jörn Arp [CDU]...... 1500, 90/DIE GRÜNEN Anke Spoorendonk [SSW]...... 1503, Drucksache 16/595 (neu) Jürgen Feddersen [CDU]...... 1503, Karl-Martin Hentschel [BÜND- Änderungsantrag der Abgeordneten NIS 90/DIE GRÜNEN]...... 1504, des SSW Drucksache 16/611 Beschluss: 1. Ablehnung des Antra- ges Drucksache 16/569 Antrag der Fraktionen von CDU und 2. Annahme des Antrages SPD Drucksache 16/614 Drucksache 16/615 3. Überweisung der Drucksache 16/580 an den Wirt- Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin schaftsausschuss zur abschließen- für Soziales, Gesundheit, Fa- den Beratung...... 1506, milie, Jugend und Senioren...... 1527, 1538, Monika Heinold [BÜNDNIS Vorfahrt für Kinder - Familienför- 90/DIE GRÜNEN]...... 1528, derung weiterentwickeln...... 1506, Torsten Geerdts [CDU]...... 1530, Siegrid Tenor-Alschausky Antrag der Fraktion BÜNDNIS [SPD]...... 1533, 90/DIE GRÜNEN Dr. Heiner Garg [FDP]...... 1535, Drucksache 16/558 Lars Harms [SSW]...... 1537, Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1459

Beschluss: 1. Drucksache 16/595 (neu) Abs. 3 durch die mündliche Berichterstattung der Landesregie- rung erledigt 2. Drucksache 16/595 (neu) Abs. 2 mit Zustimmung der **** antragstellenden Fraktion für erle- , Ministerpräsident digt erklärt 3. Ablehnung der Druck- Ute Erdsiek-Rave, Stellvertreterin des Minis- sache 16/595 (neu) Abs. 1 terpräsidenten und Ministerin für Bildung und 4. Ablehnung des Antra- Frauen ges Drucksache 16/611 5. Annahme des Antrages Uwe Döring, Minister für Justiz, Arbeit und Eu- Drucksache 16/615...... 1539, ropa

Anke Spoorendonk [SSW], Per- Dr. Ralf Stegner, Innenminister sönliche Erklärung...... 1539, Dr. Christian von Boetticher, Minister für Ablehnung des integrierten Bör- Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume sengangs der Bahn...... 1539, Antrag der Fraktion BÜNDNIS Rainer Wiegard, Finanzminister 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/560 Dietrich Austermann, Minister für Wissen- schaft, Wirtschaft und Verkehr Dietrich Austermann, Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr...... 1539, Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren GRÜNEN]...... 1540, Hans-Jörn Arp [CDU]...... 1542, **** Olaf Schulze [SPD]...... 1543, Dr. Heiner Garg [FDP]...... 1544, Lars Harms [SSW]...... 1544, Beschluss: 1. Überweisung der Drucksache 16/560 Nr. 2 an den Wirtschaftsausschuss 2. Überweisung des mündlichen Berichts der Landes- regierung an den Wirtschaftsaus- schuss zur abschließenden Bera- tung...... 1546, 1460 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

Beginn: 10:01 Uhr Viel zu oft müssen wir Nein sagen, wo ein Ja erwartet wird. Präsident Martin Kayenburg: Selbstverständlich wird alles getan, um den Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 10. Ta- großen Finanzbedarf des neuen Landeshaus- gung des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Das haltes zu decken.“ Haus ist ordnungsgemäß einberufen und be- Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese von mir zi- schlussfähig. Erkrankt sind Frau Abgeordnete Su- tierten Sätze klingen uns in diesen Tagen sehr ver- sanne Herold und Frau Abgeordnete Sandra Red- traut und aktuell. Doch stammen diese Worte weder mann. Ich wünsche den Kolleginnen von dieser aus der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD Stelle aus gute Besserung. noch vom Innenminister Dr. Stegner und auch nicht (Beifall) vom Finanzminister Wiegard. Gleichwohl sind die- se Sätze in diesem Hause schon einmal gefallen - Beurlaubt sind Herr Abgeordneter Claus Ehlers und nämlich vor fast genau 60 Jahren. Herr Abgeordneter . Am 26. Februar 1946 trat der Erste Ernannte Land- Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesen tag Schleswig-Holsteins unweit von hier im Kieler Tagen kann der Schleswig-Holsteinische Landtag Stadttheater, dem heutigen Schauspielhaus in der auf 60 Jahre Parlamentsgeschichte zurückblicken. Holtenauer Straße, erstmals zusammen. Das Thea- „In ruhigen Zeiten des Wohlstandes mag die ter, umgeben von einer Ruinen- und Trümmerland- Organisation von vielen nicht als entschei- schaft, war seinerzeit das einzige Gebäude, das den dend empfunden werden. Bombenkrieg in diesem Teil Kiels unbeschadet überstanden hatte. Auch eine schwerfällige und unübersichtli- che Behördenorganisation wird da vielleicht Es war Theodor Steltzer, damals noch Oberpräsi- ohne größeres Murren von der Bevölkerung dent der zu Preußen gehörenden Provinz Schles- ertragen werden. wig-Holstein, der in seiner Antrittsrede als Vorsit- zender des Ersten Ernannten Landtages die Politi- In schwierigen Zeiten muss aber jede Fehlor- ker auf die Schwere der bevorstehenden Aufgaben ganisation sich aufs Übelste auswirken. In ih- und auf ihre Arbeit einschwor. Erst im August 1946 nen muss sich jede Überorganisation des Be- wurde aus dem Oberpräsidenten nominell der Mini- hördenwesens lähmend der Bewältigung der sterpräsident Steltzer und aus der preußischen Pro- anfallenden Aufgaben entgegenstellen. vinz das Land Schleswig-Holstein. So kommt es heute darauf an, dass sich die Diese Auftaktsitzung des Ersten Ernannten Landta- provinzielle Landesverwaltung durch Über- ges war jedoch die erste landesweite Zusammen- tragung aller geeigneten Aufgaben an die kunft von Parlamentariern in Schleswig-Holstein Selbstverwaltung wirksam entlastet und sich nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes und davor hütet, in Fragen entscheiden zu wollen dem Ende des Krieges überhaupt. Es war also die und Dinge an sich zu ziehen, die sachgemä- politische Geburtsstunde unseres Landtages und der ßer und schneller bei den örtlichen Stellen Beginn einer allmählich immer eigenständiger han- entschieden werden. … delnden Landespolitik, vorerst allerdings unter bri- Im Vordergrund der Sorgen stehen natürlich tischer Kontrolle. die Finanzsorgen. … Es ist vorbei mit den Denn eröffnet wurde diese erste Landtagssitzung großspurigen Worten: ‚Geld spielt keine Rol- nicht von Theodor Steltzer, sondern von einem bri- le’. tischen Offizier. Generalleutnant Sir Evelyn Barker Für jede Ausgabe muss eine echte Deckung war Commander des 8. Britischen Corps, das im sein. Jede Ausgabe muss letzten Endes durch Mai 1945 nach Kriegsende in Schleswig-Holstein Werte, durch soziale Arbeit gedeckt sein. Je- eingerückt war. Er wies die schleswig-holsteini- der einzelne Beamte unserer Verwaltung, schen Abgeordneten sowie die anwesenden Offizie- auch wenn er mit Finanzen nichts zu tun hat, re und zivilen Mitarbeiter der britischen Militärre- muss dafür sorgen, dass wir in dieser Hin- gierung in seiner Rede auf die historische Bedeu- sicht durchkommen. tung dieser Tagung hin. Jeder einzelne muss auf Sparsamste wirt- Am Bühnenvorhang im Theatersaal hing nicht nur schaften. Jeder einzelne mit geringen Mitteln symbolisch der britische Union Jack über dem Lan- den größten Erfolg erzielen. deswappen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1461

(Präsident Martin Kayenburg)

Seit September 1945 hatte die britische Besatzungs- 40.000 Paar als Zuteilung erhalten werde. Dass es macht deutsche Parteigründungen zugelassen. im Land an Ziegeleien, an Zement, Bauholz und Schritt für Schritt wurden wir Deutsche wieder an Dachpappe fehlte, war in diesem Ausschuss ein der politischen Selbstverwaltung beteiligt. Doch an ständig wiederkehrendes Thema. landesweite Wahlen war im Nachkriegschaos schon Meine Damen und Herren, in unserem Schleswig- aus organisatorischen Gründen noch nicht zu den- Holstein herrschten damals chaotische Verhältnisse. ken. Diese fanden erst im April 1947 statt. Mehr als 1,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene Im ersten Nachkriegsparlament Schleswig-Hol- aus den deutschen Ostgebieten mussten unterge- steins versammelten sich daher handverlesene Bür- bracht und zusammen mit der einheimischen Be- gerinnen und Bürger, die von den Briten zuvor auf völkerung versorgt werden. Barackenlager prägten ihre Vergangenheit hin durchleuchtet worden wa- das Land. Der öffentliche Personenverkehr existier- ren. Die derart bestimmten 61 Abgeordneten sollten te kaum, Kohle zum Heizen war knapp, die Lebens- die heterogene Nachkriegsgesellschaft unseres Lan- mittel waren rationiert und viele Menschen hunger- des widerspiegeln. Sie sollten zugleich aber auch ten. alle relevanten Berufsgruppen, Parteien, Verbände, Nebenbei bemerkt: Angesichts der enormen Bürden die Kirchen sowie die Landkreise repräsentieren. und der Schwäche Schleswig-Holsteins, das als Ar- So finden wir in der Abgeordnetenliste unter ande- menhaus der Westzonen galt, regten die Mitglieder rem Arbeiter, mehrere Pastoren, Kaufleute und des Ersten Ernannten Landtages schon im August Landwirte, aber auch Berufsbezeichnungen wie 1946 die Gründung eines Nordstaates „Nieder- „Tischlermeister/Flüchtling“ oder „Ehefrau“. Als deutschland“ mit Hamburg und Niedersachsen an. Wohnorte der Parlamentarier angegeben waren Doch die britische Zonenmilitärregierung ging die- Adressen unter anderem wie „das Behelfsheim 13, sen Weg nicht mit. Ebenso lehnte sie interne Vor- Karlshöhe 13 in Eckernförde“ oder „Zimmer 11, schläge ab, Hamburg um die Landkreise Pinneberg Baracke Flensburg, im Lager Karkamp bei Rais- und Steinburg zu vergrößern - Metropolregion -, dorf“. Etliche Male stand hinter den Namen der Ab- um dem Stadtstaat das wirtschaftliche Hinterland geordneten auf der Liste sehr deutlich „keine Par- bis zur Elbmündung zu sichern. teizugehörigkeit“ oder „Demokrat ohne politische Partei“. Ein Jahr später griff Hermann Lüdemann, der erste gewählte Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, „To teach the Germans democracy“, die Deutschen diese Idee nochmals auf, als er die Gründung des die Demokratie lehren, war eines der erklärten Zie- Nordstaates „Unterelbe“ forderte. Dieser sollte aus le der westlichen Siegermächte für ihre Politikge- Hamburg und Schleswig-Holstein gebildet werden. staltung in vom Nationalsozialismus befreiten Dieser Zusammenschluss war für Hermann Lüde- Deutschland. mann damals schon eine Option zur Bildung starker Es war eine große Koalition aus CDU, SPD, FDP, Länder in einem föderalen Deutschland. KPD und parteipolitisch nicht gebundenen Schles- Ich möchte an dieser Stelle gern einfügen, dass der wig-Holsteinern, die unter der britischen Kontrolle Kollege Fischer in den nächsten Tagen eine sehr fa- im Landtag erste Schritte in parlamentarischer De- cettenreiche Biografie zu Hermann Lüdemann ver- mokratie und politischer Selbstverwaltung übten öffentlichen wird. Da - so denke ich - können wir oder sie wieder erlernten. Alle Beschlüsse und Ge- Geschichte an Personen lebhaft nachempfinden. setze mussten jedoch der britischen Kontrollmacht vorgelegt und mit ihr abgestimmt werden. Meine Damen und Herren, die politischen Aufga- ben 1946 waren so groß, dass sie von einer Partei Die gewählten Ausschüsse befassten sich 1946 mit allein nicht gelöst werden konnten. Da aber nur ein heute kaum vorstellbaren Themen. Einige Beispie- geringer Teil der Abgeordneten des Landtages den le: So strebten die Mitglieder des Bildungsaus- neuen Parteien angehörte, dauerte es einige Mona- schusses als Fernziel an, die Zahl der Schülerinnen te, ehe sich im Plenum Fraktionsbildungen erken- und Schüler in den Klassen von 82 auf 60 zu sen- nen ließen. Die Abgeordneten dieser - so möchte ken. Der Volkswohlfahrtsausschuss bedauerte, dass ich sei einmal nennen - ersten Legislaturperiode es noch nicht gelungen sei, die dringend benötigten fühlten sich weniger als Parteipolitiker, sondern in 11.000 Prothesen für Kriegsversehrte bereitzustel- erster Linie als Vertreter eines Volkes, dessen Not len. Der Wirtschaftsausschuss befasste sich Sep- sie schnellstmöglich zu lindern suchten. Es war ein tember 1946 mit der Sorge, dass Schleswig-Hol- Bewusstsein gemeinsam zu tragender Verantwor- stein mangels Produktionskapazitäten in der briti- tung, das die Abgeordneten verband und prägte. schen Besatzungszone anstelle der dringend benö- tigten mindestens 120.000 Paar Schuhe wohl nur 1462 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Präsident Martin Kayenburg)

Gelebte Demokratie, meine Damen und Herren, „Es sind nicht neue Formen allein, die zum braucht aber notwendigerweise Transparenz. Denn Ziele führen. Formen schaffen nur Möglich- die Political Reeducation - die politische Umerzie- keiten. Entscheidend ist das auch ein neuer hung - sollte, ja musste die gesamte Bevölkerung Geist die Formen belebt.“ erreichen, wollte man den Deutschen den Wert der Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen notwendi- Demokratie nahe bringen. gen neuen Geist müssen wir uns ungeachtet aller So regte schon in der vierten Sitzung des Landtages parteipolitischen Unterschiede für unser demokrati- im Mai 1946 der frisch gewählte Landtagspräsident sches lebendiges Gemeinwesen immer erhalten. Pastor Dr. Paul Husfeldt an, man solle Zuschauer (Beifall) zu den Parlamentssitzungen zulassen und in der Presse darauf hinweisen. Es erscheine außerordent- Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine lich wünschenswert, dass von dieser demokrati- Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Rede- schen Schulung weitgehend Gebrauch gemacht zeiten übermittelt. werde. Besonders fruchtbar sei ein solcher Besuch Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, die Ta- für die Jugend. Diese werde dadurch im Rahmen gesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit ihrer staatsbürgerlichen Erziehung mit den demo- folgenden Maßgaben zu behandeln: Zu den Tages- kratischen Einrichtungen bekannt gemacht und er- ordnungspunkten 2, 4, 6, 8, 12, 15, 16, 18, 20 bis halte so eine praktische gegenwartsnahe politische 23, 25, 28, 29 sowie 31 und 33 ist eine Aussprache Erziehung. - Übrigens, im Mai 1946 gab es 200 Be- nicht geplant. Zur gemeinsamen Beratung sind die sucherplätze. Tagesordnungspunkte 11 und 36 - Bericht zum Dass Sie, liebe Gäste von der Volkshochschule Sachstand Husumer Hafen und Antrag Offshore- Leck, auf der Tribüne hier und heute der Sitzung Hafen Husum zügig ausbauen - sowie die Punkte des Landtages beiwohnen können, ist auch eine 19 und 32 - Bericht zur Palliativmedizin und Hos- Folge der damaligen Empfehlung, die Landespoli- pizversorgung und Antrag zur Weiterentwicklung tik verständlicher und offener zu gestalten, die Bür- der palliativmedizinischen Versorgung, Ausbildung ger und ihre Volksvertreter näher zueinander zu und Forschung - vorgesehen. bringen. Die Landesregierung hat eine Regierungserklärung Die unmittelbaren Nachkriegsjahre waren eine zum Thema Vogelgrippe angemeldet. Aufgrund der schwere Zeit. Es war aber auch - und daran möchte besonderen Aktualität dieses Themas schlage ich ich besonders erinnern - eine Zeit der großen Per- Ihnen vor, die heutige Sitzung mit diesem Punkt zu sönlichkeiten unseres Landes wie Theodor Steltzer, beginnen und im Anschluss daran die Aktuelle Andreas Gayk, Hermann Lüdemann oder Friedrich Stunde mit dem Thema Entscheidungen zur Föde- Wilhelm Lübke, die den Übergang Schleswig-Hol- ralismusreform aufzurufen. steins von der preußischen Provinz bis zur Grün- Wann die weiteren Tagesordnungspunkte voraus- dung des Bundeslands Schleswig-Holstein und dar- sichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ih- über hinaus geprägt haben. Sie und andere haben nen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge sich um den politischen Wiederaufbau unseres Lan- der Beratungen in der 10. Tagung. des verdient gemacht. Wir werden heute und morgen unter Einschluss ei- Es war ein schwieriger Aufbau, der unter anfäng- ner zweistündigen Mittagspause jeweils längstens lich britischer Aufsicht und trotz manch späterer bis 18 Uhr tagen. Am Freitag ist ein Ende der Sit- Krisen zu einem - wie ich finde - gut funktionieren- zung gegen 14 Uhr zu erwarten. Eine Mittagspause den Landesparlament, zu einer zuverlässig arbeiten- ist daher am Freitag nicht vorgesehen. den Landesregierung und zu zuverlässig arbeiten- den Vorgängerregierungen und zu einer stabilen Ich höre keinen Widerspruch. Dann werden wir so Demokratie führte. Ich denke, daran sollten wir uns verfahren. gerade in heutiger Zeit mit etwas Demut erinnern, Ganz herzlich möchte ich an dieser Stelle noch wenn uns die heute gestellten Aufgaben manchmal ganz offiziell die Besucher der Abend-Volkshoch- so ungeheuer groß und die politisch gesteckten Zie- schule aus Leck begrüßen. - Seien Sie uns herzlich le manchmal so fern und mühsam erreichbar er- willkommen, meine Damen und Herren! scheinen. (Beifall) Theodor Steltzer schloss damals seine Antrittsrede mit dem Gedanken: Ich rufe auf: Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1463

(Präsident Martin Kayenburg)

Regierungserklärung zum Thema „Vogelgrip- zeitig bekannt sein, ob, wo und wann sich Vögel pe“ mit dem Virus infizieren. Nur wenn wir daraufhin zeitnah und angepasst handeln, können wir die Ich erteile dem Minister für Landwirtschaft, Um- Ausbreitung dieses Erregers wirkungsvoll eindäm- welt und ländliche Räume, Herrn Dr. Christian von men. Wir haben unser Handeln risikoorientiert aus- Boetticher, das Wort. gerichtet. Das betrifft gleichermaßen Auffälligkei- ten bei Wild- und bei Hausvögeln. Dr. Christian von Boetticher, Minister für Land- wirtschaft, Umwelt und ländliche Räume: Schleswig-Holstein unterstützt seit dem Jahr 2003 aktiv die Untersuchung von Wildvögeln auf das Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Vorliegen des Erregers der klassischen Geflügel- Thema Vogelgrippe beherrscht zurzeit alle Schlag- pest. Im vergangenen Herbst hat die Landesregie- zeilen. Ich möchte am Anfang, um Verunsicherung rung darüber hinaus neben dem Wildvogelmonito- vorzubeugen, ausdrücklich betonen, dass es sich bei ring des Friedrich-Loeffler-Instituts ein ergänzen- der Vogelgrippe in Deutschland bislang um ein ve- des umfangreiches Beprobungsprogramm einge- terinärmedizinisches Problem, also um ein Problem richtet. Unsere Untersuchungskapazitäten im der Tiermedizin handelt und es geht jetzt konkret Landeslabor in Neumünster sind hierzu der Aufga- darum, unsere Hausgeflügelbestände vor dieser be entsprechend ausgebaut worden. Ich möchte aus- Krankheit zu schützen. Das ist der Grund, warum drücklich betonen, dass wir das Monitoring im kü- folgerichtig heute vor Ihnen der Landwirtschaftsmi- stennahen Bereich ab sofort noch einmal verstär- nister und nicht die Gesundheitsministerin steht. ken. Seit Jahresbeginn hat sich die Situation im Hinblick Wir wissen auch, dass Schwäne und andere Was- auf die Vogelgrippe grundlegend verändert. Das servögel sowie Greifvögel besonders früh Sympto- Virus hat zunächst über Griechenland, Sizilien, me der Krankheit zeigen. Ihnen gilt daher auch das Mittelitalien, Slowenien und Österreich seinen Weg Hauptaugenmerk. Hierdurch erhöhen wir die Tref- in Richtung Mitteleuropa genommen und spätestens ferwahrscheinlichkeit deutlich und können das Auf- seit der Feststellung auf Rügen ist klar, dass die treten des Virus in Wildvogelpopulationen mög- Vogelgrippe über die Wildvogelpopulation auch in lichst frühzeitig erkennen. unseren Breiten angekommen ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal Das Deutsche Nationale Veterinärmedizinische Re- daran erinnern, dass wir eine Melde- und Auf- ferenzlabor hatte trotz einer veränderten Risikoein- zeichnungspflicht für Geflügelhalter haben. Ohne schätzung zwar erst Anfang März mit einer Betrof- diese aktive Mitwirkung der Geflügelhalter würde fenheit bei Wildvögeln gerechnet, aber - wie Sie al- uns ein zentrales und auch ein wichtiges Instrument le wissen - die Situation kommt nicht gänzlich un- zur Tierseuchenbekämpfung fehlen. Wir müssen erwartet. Das heißt, wir waren vorbereitet. darum zentral und als wichtigste Aufgabe mit allen Ich möchte in diesem Zusammenhang in Erinne- uns zu Gebote stehenden Mitteln verhindern, dass rung rufen, dass die Landesregierung schon im ver- die Infektion ihren Weg in unsere Geflügelhaltung gangenen Jahr erhebliche Anstrengungen unter- findet. Deshalb gilt seit dem 17. Februar 2006 ein nommen hat, um einen Eintrag des Virus in Haus- Aufstallungsgebot, das sich an alle Halterinnen und geflügelbestände zu vermeiden. Hierzu zählen vor Halter von Hühnern, Truthühnern, Perlhühnern, allem die Überwachungsmaßnahmen gegenüber ri- Rebhühnern, Fasanen, Laufvögeln, Wachteln, En- sikobehafteten Kontakten im Personen- und Reise- ten und Gänsen richtet. verkehr aus vogelgrippebetroffenen Drittländern. Trotz zweimaliger Vordatierung durch das Bundes- Darüber hinaus hat es natürlich auch eine konse- ministerium konnten wir den Vollzug der Maßnah- quente Umsetzung der Aufstallungspflicht im zu- men kurzfristig mit den Veterinärbehörden der rückliegenden Herbst gegeben. Zeitgleich erfolgte Kreise und der kreisfreien Städte vereinbaren. Auf- und erfolgt heute noch eine intensive, aktive Öf- bauend auf den Erfahrungen des zurückliegenden fentlichkeitsarbeit über die Presse, das Internet und Herbstes wird das Hausgeflügel aus der Fläche ge- über ein von der Landesregierung eingerichtetes nommen und vor Kontakten mit möglicherweise er- Bürgertelefon. regerbehafteten Wildvögeln geschützt. Ich weiß, dass dies für einige spezialisierte landwirtschaftli- Worum geht es jetzt im Augenblick? - Es geht zu- che Betriebe eine besondere Härte bedeutet. Die nächst um das schnelle Erkennen von infizierten Anzahl der Ausnahmegenehmigungen für Frei- Wildvögeln. Um schnell und mit geeigneten Maß- landhaltung muss jedoch auf ein notwendiges Mini- nahmen reagieren zu können, muss möglichst früh- mum beschränkt werden. Wir wollen keine Risiken 1464 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Minister Dr. Christian von Boetticher) eingehen, die am Ende vielleicht die ganze Branche November 2005 eine landesweite „Tierseuchenalar- treffen. mübung aviäre Influenza“ durchgeführt. Zusätzlich wurden aus geflügeldichten Regionen des Landes Ziel der Landesregierung ist es, die getroffenen Vertreterinnen und Vertreter in entsprechende Maßnahmen und deren fachlichen Hintergrund Übungen des Bundes entsandt. Die anschließende auch den Bürgerinnen und Bürgern im Lande über- Manöverkritik durch einen Arbeitsstab von Veteri- zeugend zu vermitteln. Mit nicht geringer Sorge be- nären meines Hauses und der Kreise und kreisfreien obachte ich die Medienberichterstattung, die zum Städte hat zu einer ganz wesentlichen Weiterent- Teil auch zu einer Verunsicherung innerhalb der wicklung des Tierseuchenbekämpfungshandbuches Bevölkerung führt. Deshalb ist es immer wieder in Schleswig-Holstein geführt. Regelmäßig - zuletzt wichtig, auf den Umstand hinzuweisen, dass die Si- zu Beginn dieser Woche - werden den Kreis- tuation in Deutschland und insbesondere in Schles- tierärzten Datenträger mit der jeweils aktuellen wig-Holstein eben nicht mit den Verhältnissen in Fassung übermittelt. Soweit uns nicht ein Ernstfall Zentral- und Ostasien gleichgesetzt werden kann. zuvorkommt, werden die Veterinäre in diesem Schlagworte wie Katastrophenschutzgebiet oder Frühjahr eine neue Übung durchführen. Bundeswehrsperrzone vermitteln ein falsches Bild der aktuellen Lage. In einer weiteren Übung haben die Veterinäre am 24. November 2005 praktisch geprobt, welche Es ist offensichtlich, dass viele Bürgerinnen und Möglichkeiten in Zusammenwirkung mit den Ein- Bürger in dieser Situation zusätzliche Informatio- richtungen der Feuerwehr und des Technischen nen wünschen und brauchen. Sie suchen Ansprech- Hilfswerkes bestehen, kurzfristig wirkungsvolle partnerinnen und -partner, die ihnen auch persönli- Einrichtungen zur Reinigung und Desinfektion zu che Fragen beantworten können. Deshalb haben wir errichten. Als Ergebnis dieser Erfahrung wurde ein als Landesregierung veranlasst, in Zusammenarbeit Prototyp einer Desinfektionskontrollstelle ent- mit der Landespolizei seit der letzten Woche wieder wickelt, für die das erforderliche Material sehr ein Bürgertelefon einzurichten. Darüber hinaus kurzfristig beschafft werden kann. Für den Sofort- werden die Medieninformationen und der Internet- bedarf sind die Materialsätze für zwei solcher Ein- auftritt meines Hauses fortlaufend aktualisiert. An richtungen im Lande eingelagert. Über eine Rufbe- dieser Stelle sage ich noch einmal ganz deutlich: Es reitschaft ist gewährleistet, dass das Material kurz- besteht per se keine Gefährdung für den Menschen. fristig am Ort des Bedarfs zur Verfügung steht. Die Auch der Verzehr von Geflügelfleisch ist nach wie Feuerwehr und das THW verfügen über Informati- vor bedenkenlos möglich. onsmaterial zur fachgerechten Reinigung und Des- Wir sind immer noch in der glücklichen Lage, dass infektion. Die Desinfektionsmittel sind ebenfalls die Hausgeflügelbestände in Deutschland - das gilt schnell verfügbar. In Abstimmung mit der zuständi- nach wie vor auch für Mecklenburg-Vorpommern - gen Abteilung meines Hauses wurde auch sicherge- nicht von der Vogelgrippe betroffen sind. Unser stellt, dass die Entsorgung der verwendeten Desin- Augenmerk gilt den notwendigen Strukturen, um fektionsmittel praxisgerecht erfolgen kann. Auch dies zu verhindern. Wichtig sind dabei vor allem diese Inhalte stehen den Beteiligten elektronisch wechselseitige Informationen. Die zuständige Fach- zur Verfügung. Bei Feuerwehr und THW sowie bei abteilung meines Hauses unterhält deshalb ständige den Veterinärbehörden liegen Listen mit Namen Kontakte zum Bund, zum nationalen Referenzlabor, und Erreichbarkeit von Multiplikatoren für diese zu den anderen Ländern, zur Wirtschaft, zu den Aufgabe vor. Verbänden und selbstverständlich zu den Veterinär- Wie Ihnen bekannt ist, werden nach Feststellung behörden der Kreise und kreisfreien Städte. Hierzu der aviären Influenza Schutzgebiete mit einem erfolgen kurzfristig anberaumte Telefonschaltkon- Mindestradius von 3 km und Überwachungszonen ferenzen auf Bund-Länder-Ebene, in kurzen Ab- mit einem Mindestradius von 10 km eingerichtet. ständen Dienstversammlungen mit den Kreisen und Neben zahlreichen Ge- und Verboten sind hier zeit- kreisfreien Städten, Informationsveranstaltungen nah binnen maximal zwei Tagen tierärztliche Un- und bilaterale Telefon- und E-Mail-Kontakte mit tersuchungen durchzuführen, damit der Gesund- allen Ebenen einschließlich der Labore und Ver- heitsstatus des Geflügels in diesem besonders ge- bände. Darüber hinaus sind die Veterinärbehörden fährdeten Bereich bekannt ist. Die besonderen Per- durch das elektronische Meldesystem Tierseuchen- sonalanforderungen überfordern jedes Veteri- nachrichtensystem - TNS - miteinander verbun- näramt, denn in keinem Kreis und in keiner kreis- den. freien Stadt sind auch nur annähernd so viele Amt- Damit jeder auch seinen Platz im Handlungsablauf stierärzte wie hierfür erforderlich. Deshalb habe ich kennt, haben wir in Schleswig-Holstein bereits im bereits im Dezember 2005 in meinem Hause ein Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1465

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

Koordinierungsgespräch geführt. Darin haben sich hinderung einer Infektionsübertragung auf heimi- Vertreterinnen und Vertreter der zuständigen örtli- sches Geflügel. chen Veterinärbehörden und der praktizierenden Wer heute über Krankenhausbetten redet oder wer Tierärzte auf Fachebene weitgehend über Verfah- heute über die flächendeckende Verbreitung von rensregelungen und eine einheitliche Vergütung Tamiflu redet, der ist offensichtlich nicht im richti- verständigt. Ich verfolge damit das Ziel, die Ver- gen Film. Wir haben weltweit 250.000 Grippetote. fügbarkeit von Tierärzten für diese sehr wichtige Jedes Jahr sterben in Deutschland 10.000 Menschen Aufgabe zu gewährleisten und langwierige Ver- an normaler Grippe. Weltweit starben an der Vo- tragsverhaltungen vor und nicht während einer Kri- gelgrippe, die in Asien schon über viele Jahre vor- se zu führen. Ich möchte allerdings betonen, dass handen ist, 94 Menschen; davon hat sich kein einzi- im Anforderungsfall die Vereinbarungen zwischen ger an Wildvogelarten angesteckt. den Kreisen und den von Ihnen beauftragten Tierärzten zu führen sind. Mein Appell geht darum Darum sage ich an dieser Stelle ganz deutlich: Wer an dieser Stelle noch einmal an diese möglichen hier der Hysterie das Wort redet, ist im falschen Vertragspartnerinnen und Vertragspartner, sich jetzt Film. Wir müssen konsequent arbeiten, wir müssen möglichst schnell auf einheitliche Verträge zu ver- uns auf die wirklich wichtigen Maßnahmen kon- ständigen. zentrieren. Da gilt es mit großer Seriosität heranzu- gehen und sich nicht von aktuellen Informationen Mit der ersten Verdachtsmeldung in Deutschland in oder einer aktuellen Stimmung treiben zu lassen. der vergangenen Woche ist unter der Federführung meines Hauses ein interministerieller Arbeitsstab Niemand kann vorhersehen, ob und in welchem zusammengetreten, der sich aus Vertreterinnen und Umfang Schleswig-Holstein in den nächsten Tagen Vertretern des Veterinärwesens, der Jagd, des Ge- und Wochen von der Vogelgrippe betroffen sein sundheitswesens und der Polizei zusammensetzt. In wird. Die Landesregierung hat alle notwendigen täglichen Lagebesprechungen werden die Situatio- Vorkehrungen für die möglichen Szenarien getrof- nen dargestellt und es erfolgen Abstimmungen zum fen und ist nicht erst seit gestern auf solch eine Si- einheitlichen Umgang mit Sachverhalten bezie- tuation gut vorbereitet. hungsweise Maßnahmen. Dieses Vorgehen bewährt (Beifall bei CDU, SPD und SSW) sich und hat sich bewährt. Vorerst werden diese Zu- sammenkünfte daher in einem täglichem Rhythmus fortgesetzt. Präsident Martin Kayenburg: Sollte das Virus bei Wildvögeln in Schleswig-Hol- Bevor ich die Aussprache eröffne, will ich auf der stein festgestellt werden - und ich sage ganz deut- Tribüne noch unsere früheren Kollegen, Herrn Pro- lich, es wäre ein Wunder, wenn das in den nächsten fessor Wiebe, und den früheren Vorsitzenden des Tagen und Wochen nicht der Fall wäre -, dann wird Petitionsausschusses, Herrn Poppendiecker, begrü- auch hierzulande eine Gebietskulisse mit Zonen ßen. - Herzlich willkommen! auszuweisen sein, in denen bestimmte Ge- und Ver- (Beifall) bote greifen. Dies wäre dann der Fall, wenn das Ich eröffne die Aussprache und erteile nunmehr für Friedrich-Loeffler-Institut bei einem der täglich die Fraktion der CDU Herrn Abgeordneten Axel zwischen 40 und 60 in Schleswig-Holstein zur Un- Bernstein das Wort. tersuchung gebrachten toten Wildvögel der entspre- chende Subtyp nachgewiesen wird. Dann wird das Land in Zusammenarbeit mit den betroffenen Ge- Axel Bernstein [CDU]: bietskörperschaften durch eine Allgemeinverfü- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach- gung das Nähere regeln. Mit den Vertreterinnen dem der Landtag bereits in seiner Sitzung im No- und Vertretern der Kreise und kreisfreien Städte vember 2005 eine Debatte über die Vogelgrippe ge- wurde ein solches Szenarium am 16. Februar einge- führt hatte, hat sich die Lage wesentlich verändert. hend erörtert. Für eine Entsorgung der Tiere sind Vor knapp vier Monaten hatten wir noch die Hoff- die Kreise und kreisfreien Städte zuständig. Wir nung, ein Eindringen des Virus in die EU verhin- werden sie den Möglichkeiten entsprechend unter- dern zu können. Mit Importverboten für Vögel, stützen. Geflügel und Geflügelprodukte und verstärkten Ich sage Ihnen noch einmal: Es geht dabei nicht um Grenzkontrollen wurde das Machbare getan. Offen- von der Bundeswehr für die Menschen hermetisch sichtlich haben diese Maßnahmen ja auch gegriffen abgeriegelte Gebiete, sondern dezidiert um die Ver- und dies war kein Weg, über den das Virus jetzt in die Europäische Union gelangt ist. 1466 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Axel Bernstein)

Im Jahr 2003 trat das Vogelgrippevirus in Asien Axel Bernstein [CDU]: erstmals auf und heute hat es offenbar mit dem Vo- Ich möchte mich für das in meinen Augen ausge- gelzug Europa erreicht. Die zahlreichen Fälle in sprochen umsichtige Handeln des Ministeriums in Mecklenburg-Vorpommern erschrecken uns alle. den vergangenen Wochen bedanken. Bemerkenswert dabei ist die Geschwindigkeit und die Unberechenbarkeit, mit der sich dieses Virus (Beifall bei der CDU) über den Globus ausbreitet. Aufgrund der starken Mit zahlreichen Übungen, internen Plänen, regel- Mobilität der Vögel können so Hunderte Kilometer mäßigen Tagungen und optimierten Informations- übersprungen werden und das Virus taucht uner- wegen wurde die Zusammenarbeit mit den Kreisen wartet in einer weit entfernten Region auf. und kreisfreien Städten für den Krisenfall vorberei- Unsere Hoffnung aus dem vergangenen Herbst hat tet. Da hilft es auch wenig - auch das war Thema in sich nicht erfüllt. Wir haben aber auch in der dama- den Nachrichten heute Morgen -, wenn jetzt über ligen Debatte die Augen nicht vor den potenziellen Kompetenzen diskutiert wird. In einem solchen Fall Gefahren verschlossen, sondern bereits damals dar- müssen die bestehenden Strukturen getestet, erprobt auf gedrungen, dass wir uns auf den Fall eines Fal- und angewandt werden. Ich bin sicher, dass die les vorbereiten müssen. Die Landesregierung hat Strukturen in Schleswig-Holstein in der Lage sind, die Zwischenzeit ja auch genutzt. Das Umweltmini- die bevorstehenden Aufgaben zu meistern. sterium hat ein ganzes Bündel von Maßnahmen be- Parallel dazu wurde die Öffentlichkeit umfassend schlossen. Ich möchte mich für die Ausführungen und frühzeitig informiert, ohne dass eine überzoge- des Ministers und dessen Initiative zur heutigen Re- ne Beunruhigung oder gar Panikmache Platz griff. gierungserklärung an dieser Stelle ausdrücklich be- Der Umgang der Öffentlichkeit und der veröffent- danken. Das ermöglicht es mir, mich auf einige lichten Meinung mit einer solchen Krisensituation Kernpunkte zu beschränken. erscheint ohnehin ambivalent: Auf der einen Seite Ein dringendes Erfordernis ist es, Wild- und Haus- erwarten wir vollständige Informationen und pro- geflügel voneinander zu trennen. Der Schutz des fessionelle Vorbereitung der zuständigen Stellen - Hausgeflügels durch Aufstallungsmaßnahmen entsprechend groß und zum Teil sicher auch ge- wird oberstes Gebot. Die Aufklärung der Bevölke- rechtfertigt war die Empörung über den holprigen rung und Hinweise darauf, dass tote Tiere nicht an- Beginn der Maßnahmen auf Rügen -, auf der ande- zufassen und stattdessen die zuständigen Veterinär- ren Seite aber neigen wir dazu, aus den Fernsehbil- behörden zu benachrichtigen sind, haben Vorrang. dern von Behördenmitarbeitern, Feuerwehrleuten und Bundeswehrsoldaten in Schutzanzügen mit Wir sollten auch darauf hinweisen, dass wir den Atemschutzmasken eine Dramatik abzuleiten, die Weg unterstützen, zum jetzigen Zeitpunkt von all- in keinem Verhältnis zu der aktuellen Gefährdung gemeinen Impfungen abzusehen. Wer die Nach- von Menschen steht. Die Realität wird schnell mit richten heute Morgen verfolgt hat, hat mitbekom- anders gelagerten Szenarien vermischt und in men, dass die Debatte wieder losgetreten ist. Bei ei- manch einem Kopf mag es sogar mit Spielfilmen ner Impfung werden die zu impfenden Tiere mit wie ,,Outbreak" durcheinander gehen. Umso wich- dem Virus infiziert, was eine körpereigene Immuni- tiger ist es, die sachliche und umfassende Informa- sierung auslöst. Da sich diese gewollte Infizierung tion der Bevölkerung fortzusetzen. im Zuge der Impfung aber nur schwer oder gar nicht von einem echten Krankheitsverlauf unter- Meine Damen und Herren, die Wahrscheinlichkeit, scheiden lässt, wird es so schwer, einen Überblick dass das Virus H5N1 auch Schleswig-Holstein er- zu gewinnen, wo die Krankheit angekommen ist reicht, ist hoch. Deshalb müssen zwei Ziele mit al- und wo nicht. ler Konsequenz verfolgt werden. Erstens: Der Schutz der Bevölkerung muss oberste Priorität ha- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Da muss man eben ben. Zwar wird die aviäre Influenza durch einen Marker einsetzen! - Zuruf von Ministerpräsi- Influenza-Virus vom Subtyp H5N1 ausgelöst, der dent Peter Harry Carstensen - Weitere Zuru- mit der beim Menschen zirkulierenden Grippe we- fe) nig gemeinsam hat. Daher ist auch die Bezeichnung „Vogelgrippe“ eher unglücklich. Die wichtige Er- Präsident Martin Kayenburg: kenntnis ist, dass das Virus bisher nicht in der Herr Kollege Bernstein hat das Wort. menschlichen Bevölkerung zirkuliert, wenngleich in seltenen Fällen, bei intensivem Kontakt mit Vö- geln und Vogelkot, eine Übertragung möglich ist. Laut „FAZ“ vom gestrigen Tag - die Zahlen haben Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1467

(Axel Bernstein) wir gehört - hat es bisher offiziell weltweit 171 Er- zei und der Bundeswehr. Das betrifft derzeit Gott krankungen und 93 Todesfälle gegeben. sei Dank noch nicht Schleswig-Holstein. Aber wer hätte gedacht, dass ein Einsatz der Bundeswehr im Festzuhalten bleibt deshalb, dass das Virus Säuge- Inneren einmal auf eine derart breite Akzeptanz sto- tiere und Menschen nur schwer anstecken kann und ßen würde! dies auch nur unter ganz besonderen Umständen möglich ist. In diesen seltenen Fällen einer Infekti- Das Vogelgrippevirus wird uns wahrscheinlich on beim Menschen war immer die Aufnahme einer noch lange begleiten. Wissenschaftler sehen es eher hohen Virendosis, also die massive Berührung bei- als eine Frage des Wann als des Ob an, dass das Vi- spielsweise mit Vogelkot oder sogar dessen Ver- rus mutiert und damit eine Übertragung auf Säuge- schlucken, die Voraussetzung für den Ausbruch der tiere und Menschen möglich ist. Für diesen Fall gilt Krankheit. es gewappnet zu sein. Nach dem Bericht des Um- weltministers glaube ich, dass Schleswig-Holstein Generell gilt, dass der Teil des Virus, der sich an nach menschlichem Ermessen gut gewappnet ist. menschliche Zellen anheften muss, dafür wenig ge- Wir sind aufmerksam und vorbereitet. Zur Panik- eignet ist. Wir müssen aber auch die Gefahr im Au- mache gibt es keinen Anlass. ge behalten, dass die Viren aufgrund ihrer hohen Fähigkeit, sich genetisch zu verändern, genau diese (Beifall bei CDU, SPD und SSW) Fähigkeit entwickeln können. Deshalb wird es auch wichtig sein, Vorkehrungen zu treffen für den Fall, Präsident Martin Kayenburg: dass das Virus in eine für den Menschen gefährli- che Form mutieren sollte. Die Kapazitäten für eine Für die Fraktion der SPD erteile ich dem Herrn zügige Produktion eines Impfstoffes gegen einen Kollegen Dr. Henning Höppner das Wort. Virus, den wir heute noch gar nicht kennen, müssen geprüft und gegebenenfalls erweitert werden. Dr. Henning Höppner [SPD]: Das zweite wesentliche Ziel - auch das klang schon Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und an - muss der Schutz unserer heimischen Nutzge- Herren! Zunächst danke ich im Namen meiner flügelbestände sein. Über 2.700 Betriebe in Schles- Fraktion dem Herrn Minister für seine Erklärung wig-Holstein halten einen Bestand von über und die ausführliche Darstellung der getroffenen 2,5 Millionen Tieren. Zwar ist der Marktwert des Maßnahmen und Vorbereitungen zur Abwehr von Geflügels über den Tierseuchenfonds pflichtversi- Infektionsübertragungen der Vogelgrippe. Die Vo- chert, der Schaden der entstünde, wenn heimisches gelgrippe als hoch pathogene Variante der Geflü- Geflügel in Verruf gerät, wäre jedoch immens. Im gelpest grassiert seit Ende 2003 in Südostasien, sie Sinne des Verbraucherschutzes und im Sinne des hat Ende 2005 die Türkei erreicht, seit einer Woche Schutzes der heimischen Betriebe ist deshalb jede das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Welt- Gefährdung von Geflügelbeständen konsequent zu weit erkrankten 220 Menschen an dieser hoch an- vermeiden. Dazu gehört im Notfall auch die Keu- steckenden Viruskrankheit, 92 Menschen starben lung von verdächtigen Beständen. Auch für diesen bislang. Die meisten von ihnen hatten beruflich mit Fall wurde Vorkehrung getroffen. Geflügel zu tun. Zwei türkische Kinder, die verstar- ben, hatten sich vermutlich beim Spielen mit Ein möglicher Imageschaden - wie gerechtfertigt er Schlachtabfällen während einer Hausschlachtung auch immer sei; ich erinnere an die Fragwürdigkeit infiziert. 92 Tote in zwei Jahren in einer Region un- mancher Reaktionen - würde vermutlich über die seres Erdballes, die vielleicht von 2 bis 3 Milliarden Geflügelzucht hinaus das Land insgesamt auch als Menschen bewohnt wird, das, meine Damen und Tourismus- und Wellnessregion treffen. Herren, ist keine wirkliche Bedrohung für die Meine Damen und Herren, ich möchte meinen Bei- Menschheit. Verglichen mit der Ausbreitung von trag nicht beenden, ohne allen Helfern im Namen AIDS und anderen Seuchen, Lepra, Malaria, in der der CDU-Fraktion zu danken, die bereits heute und Dritten Welt, ist das hier eher eine zu vernachlässi- oft ehrenamtlich dazu beitragen, unser Land vorzu- genden Größenordnung. bereiten und zu helfen, ein jeweils aktuelles Lage- Wir wissen auch bei uns, dass die Influenza eine bild zu erstellen. 10.000-fach höhere Todesursache in den vergange- (Beifall) nen Jahren gewesen sein mag. Der Leiter des Ro- bert-Koch-Instituts, Professor Kurth, geht davon Unser Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und aus, dass in der Bundesrepublik Deutschland in je- Mitarbeitern in den Veterinärämtern, den übrigen dem Winter circa 8.000 bis 10.000 Menschen an zuständigen Behörden, den Feuerwehren, der Poli- der normalen Grippe sterben. Wahrscheinlich wer- 1468 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Dr. Henning Höppner) den Salmonellenvergiftungen durch Geflügel- mein Biologielehrer gesagt. Wenn sie dann ins fleischkonsum eine ebenso tausendfach höhere To- Wasser fallen oder an den Strand geschwemmt wer- desursache gewesen sein, sind Salmonellen doch den, dann sind sie eben als tote Vögel dort zu fin- fast ein normaler Bestandteil von aufgetauter Ge- den. flügeltiefkühlkost. Wir geraten in die Gefahr, das Augenmaß im Um- Meine Damen und Herren, wir müssen dabei trotz- gang mit der Vogelgrippe zu verlieren. Ein Kom- dem die Ausbreitung der Vogelgrippe sehr, sehr mentar in der „FAZ“ vom 20. Februar beschreibt es ernst nehmen. Ich denke aber, wir haben genauso - sehr eindringlich: „… eine Boulevardzeitung be- das ist von den Kollegen schon betont worden - die schreibt die Insel Rügen schon als Todesinsel. Es Pflicht, Hysterien vorzubeugen. Der Bürger verin- ist kaum noch zu vermitteln, dass es diese Katastro- nerlicht Bilder von Katastrophen und verknüpft die- phe nicht gibt, schon gar keine Todesinsel. Die Ka- se mit seinen natürlichen Ängsten. Ich kann mich tastrophe wird in einer langen Reihe der Fernseh- noch sehr genau daran erinnern, wie in den Medien, übertragungswagen an der Wittower Fähre im auch den öffentlich-rechtlichen, mit den ersten Nordwesten der Insel erst produziert.“ BSE-Fällen in Schleswig-Holstein umgegangen Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird eine wurde. Kurze Filmberichte im Fernsehen wurden solche Berichterstattung mit Sicherheit hervorbrin- immer nach einem einheitlichen Trickmuster er- gen: einen regelrechten Wettbewerb um die nächste stellt: Da wurde zuerst immer nur die in Großbri- Katastrophenmeldung. Die wird sicher kommen. tannien gedrehte Filmsequenz eines BSE-kranken Und eines erreicht eine solche Berichterstattung Rindes gezeigt mit den typischen pathogenen Sym- auch: ein geändertes oder zumindest zeitweise ge- ptomen. Es gab nur diesen einen kurzen Archiv- ändertes Verbraucherverhalten. Wir kennen es film, weil BSE-Rinder in Schleswig-Holstein eben noch aus der BSE-Krise. Ängste kommen auf, man aussahen wie normale Rinder, der zur Darstellung diskutiert in der Familie, ob man noch Geflügel- der Rinderseuche herhalten musste. Es folgte dann fleisch essen soll, schon wegen der Gammelfleisch- in so einem Film ein Schnitt, man zeigte einen Skandale, jetzt erst recht wegen der Vogelgrippe. Creutzfeldt-Jakob-Kranken und nach einem erneu- Zwar sagen nach einer heute veröffentlichten Um- ten Schnitt die Landwirtschaftsministerin, die vor frage noch 80 % der Befragten, dass sie Geflügel- Demonstranten steht. fleisch nach wie vor essen wollen, aber mit zuneh- In diesen Tagen sind es wieder dieselben Schemen mender Berichterstattung wird sich das sicher noch in der Filmberichterstattung: Der tote Vogel in der ändern. Nahaufnahme, tote Vögel werden dann von Män- Es gibt in Schleswig-Holstein 2.700 Betriebe, die nern in Schutzkleidung und ABC-Schutzmasken in Geflügel produzieren und vermarkten, und einen Säcke gesteckt, die Bundeswehr in Schutzanzügen Bestand von etwa drei Millionen Tieren. In der am Rügendamm, Fahrzeuge werden desinfiziert Bundesrepublik werden insgesamt mehr als 110 und zuletzt der Minister ratlos stehend und diskutie- Millionen Geflügeltiere gehalten. Im nächsten Mo- rend mit Kollegen oder Landräten. nat schon setzt der Vogelflug wieder ein. Mehrere Andere Meldungen schießen auch ins Kraut. „ZDF- Hunderttausend, Millionen Zugvögel werden über online“ meldet am Montag, dass es 51 € pro getöte- unser Land nach Norden fliegen, ihre Rastplätze tem Tier im Falle einer Keulung gebe. Mein Nach- entlang der Nordseeküste aufsuchen, auf Eiderstedt, bar regt sich schon wieder darüber auf, dass sich in den Kögen und in der ETS-Region oder auf Feh- die Geflügelhalter im Rahmen einer Keulung marn, der so genannten Vogelfluglinie entspre- wahrscheinlich unangemessen bereichern würden. chend folgen. Erst in diesem Zeitraum werden sich „Spiegel-online“ meldet am Dienstag unter Beru- alle Vorsorgemaßnahmen, die der Minister darge- fung auf die Vorsitzende des Agrarausschusses des stellt hat, bewähren müssen, um zu verhindern, dass Bundestages, Bärbel Höhn, dass die Vogelgrippe Zugvögel den gefährlichen Virus auf unsere Haus- die Fußballweltmeisterschaft gefährden würde. Die geflügelbestände übertragen können. Noch haben Angst vor der Seuche geht um. Bürger melden täg- wir, anders als in Asien, kein Hausgeflügel, das von lich tote Vögel bei der Polizei oder im Kreisveteri- der Vogelgrippe betroffen ist. Ich bin der Überzeu- näramt. gung, dass unsere Geflügelbestände unter strikter Einhaltung des Aufstallungsgebotes auch vor Infek- Meine Damen und Herren, ich selbst bin auf einer tionen geschützt werden können. So etwas hat sich Nordseeinsel groß geworden. Tote Möwen oder auch im Rahmen von Vorsorgemaßnahmen bei der auch andere tote Vögel waren in der Winterzeit zu- Maul- und Klauenseuche gezeigt. Wir können das hauf am Strand zu finden oder in den Dünen oder in schaffen. Hierzu gehört dann eine konsequente den Gärten. Auch Vögel sterben, hat mir einmal Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1469

(Dr. Henning Höppner)

Überwachung, ich sage aber auch, eine ganz hohe die Landwirtschaft auseinander setzen, sondern im Eigenverantwortung der Geflügelhalter. Zweifel auch die Probleme diskutieren, die daraus resultieren. Meine Damen und Herren, auf eines werden wir wahrscheinlich in den nächsten Monaten verzichten Viren insgesamt sind deswegen so gefährlich, weil müssen, auf das Frühstücksei aus Freilandhaltung. sie sich auf zwei Arten verändern können. Einmal Freilandhaltung - davon bin ich überzeugt - wird kann sich das Virus durch ständige Übertragung auf absehbare Zeit kein unbedingtes Qualitätskrite- von Vogel zu Vogel verändern mit ganz neuen Ei- rium mehr sein, sondern der Bürger wird wahr- genschaften „aufwarten“. Manche berichten heute scheinlich versuchen, dies beim Kauf eines Produk- schon davon, dass das Virus als H5N1-Typ aggres- tes zu vermeiden. siver geworden ist, beispielsweise bei Hühnervö- geln, es kann aber selbstverständlich auch zu Vi- (Beifall bei SPD und CDU) renmutationen kommen. Das ist der Fall, wenn sich ein menschlicher Virus mit dem Virus H5N1 Präsident Martin Kayenburg: zu einem mutierten Virus zusammenfindet. Dann Für die Fraktion der FDP erteile ich dem Herrn Ab- stehen wir wirklich vor dem Problem, von dem wir geordneten Dr. Heiner Garg das Wort. die Augen nicht verschließen dürfen. Ich will die Augen auch nicht verschließen und ich will dieses Dr. Heiner Garg [FDP]: Problem auch nicht wegdiskutieren. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der aggressive Vogelgrippevirus H5N1 wurde Selbstverständlich gibt es zur Panikmache keinen 1997 in Hongkong entdeckt und trat seinen Zug um Anlass, aber ich will auch ganz deutlich sagen, es die Welt Ende 2003 an. gibt auch keinen Anlass, irgendetwas zu verharmlo- Mittlerweile gibt es in mindestens 26 Ländern die- sen. ser Erde Vögel, die mit diesem Virus infiziert ge- (Beifall bei der FDP und BÜNDNIS 90/DIE funden wurden. Bei den am 15. Februar 2006 auf GRÜNEN) der Insel Rügen gefundenen Schwänen hat das Friedrich-Loeffler-Institut auf Riems eindeutig das Man kann ja viel hoffen und es gibt diesen berühm- hochgefährliche Influenzavirus vom Typ H5N1 ten Spruch: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich habe Asia nachgewiesen. Das Erschreckende daran ist si- nie gehofft, dass wir in der EU verschont bleiben, cher, dass es viel schneller und viel heftiger aufge- weil ich das für reichlich naiv halte bei einem Vi- treten ist, als wir es möglicherweise erwartet haben. rus, der mittlerweile 26 Länder erreicht hat, bei Tie- ren, die diesen Virus verbreiten, die, wie der Minis- Zur Notfallplanung in Schleswig-Holstein, Herr ter so schön gesagt hat, fliegen können, darauf zu Minister, haben Sie einiges gesagt, was mich ge- hoffen, das Virus würde uns nicht erreichen. Dass wundert hat. Seit drei Monaten, also etwa seit der wir davon nicht betroffen sein können, dazu würde Zeit, als die FDP im Landtag ihren Berichtsantrag schon eine gehörige Portion Gutgläubigkeit gehö- gestellt hat, haben Sie immer wieder klargemacht, ren. Schleswig-Holstein sei gut gerüstet. Mich hat etwas Ihre Aussage gewundert, Sie seien gestern froh ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass wesen, nicht an Mecklenburg-Vorpommerns Stelle es eine Regierungserklärung gegeben hat. Herr Mi- gewesen zu sein; aus den Fehlern könne man ler- nister, Sie wissen, dass ich eine Aktuelle Stunde zu nen. Aber wenn man gut aufgestellt ist, muss man diesem Thema beantragt habe. Ich habe den Antrag nicht froh sein, dass man nicht der Erste gewesen zurückgezogen, weil uns eine Regierungserklärung ist. Ich gebe Ihnen aber absolut Recht: Die Vorstel- sehr viel mehr Raum bietet. Ich bin Ihnen auch lung, wir würden hiervor verschont bleiben, halte dankbar für die Art und Weise, was Sie hier vorge- auch ich für absolut naiv. tragen haben. Allerdings werde ich im Einzelnen noch darauf eingehen. Die Frage, wie gut wir für den Notfall gerüstet sind, werden wir vermutlich erst dann beantworten kön- Wir haben es in der Tag mit einer Tierseuche zu nen, wenn der Notfall tatsächlich eingetreten ist. tun, die aber gleichzeitig eine Zoonose ist. Das Ich habe mir in den vergangenen Tagen etliche Ge- macht sie so problematisch. Das heißt, es ist eine danken darüber gemacht, ob föderale Strukturen ge- Krankheit, die auch Menschen bekommen können, rade im Hinblick auf das Auftreten einer solchen ohne dass sich das Virus zunächst einmal verändert. Seuche wirklich geeignet sind, auf die Herausforde- Das ist dann eine Zoonose und deswegen müssen rung richtig zu reagieren. wir uns hier natürlich nicht nur mit den landwirt- schaftlichen und ökonomischen Gegebenheiten für 1470 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Dr. Heiner Garg)

Wir müssen einmal von Rügen absehen. Dort ist - (Beifall bei der FDP) das kann man auch ohne parteipolitische Brille Die Problematik, die wir haben, könnte vielleicht wirklich sagen - alles schief gelaufen, was schief dazu beitragen, ethische Grundsätze sachlich zu laufen konnte. Ich bin davon überzeugt: Eine Not- diskutieren. Wir müssen uns fragen: Wie gehen wir fallplanung kann auf der Ebene der Länderkompe- mit Nutztieren um? Damit wäre uns allen geholfen. tenz funktionieren. Dann muss aber wirklich jedes Glied dieser Kette funktionieren. Wir wollten mit Herr Minister, ich frage Sie, ob es sinnvoll wäre - unserem Berichtsantrag vom November erreichen, aus meiner Sicht ist es sinnvoll -, zumindest die dass wir erfahren, wie die Kommunikation zwi- Tierbestände in Tierparks und Zoos mit dem vor- schen den Kreisen und mit dem Land sowie mit handenen Impfstoff zu impfen. Denn ich glaube dem Bund funktioniert. nicht, dass irgendjemand auf die Idee kommt, Großsittiche, Papageien oder Glanzstare zu verspei- Ein positives Beispiel ist, wie ich finde, die Task sen. Einen solchen Schutz dieser Tiere - zum Teil Force auf Fehmarn, wo Bürger bereits tatsächlich sind es sehr seltene Exemplare - halte ich unter den die Strände ablaufen, tote Vögel aufsammeln und gegebenen Voraussetzungen für notwendig. Ich zur Beprobung bringen. Es ist vorbildlich, dass die halte ihn aber auch für möglich. Bürger selber dafür sorgen. Was mich aber er- schreckt hat, war die Reaktion aus zwei Kreisen der Herr Minister, es wird von Schnelltests in Schles- Westküste. Wenn dort tote Vögel gefunden werden, wig-Holstein gesprochen. Ich möchte wissen, ob rufen besorgte Bürger den Bürgermeister an und die Laborkapazitäten tatsächlich ausreichen und ob fragen, was sie mit den Vögeln machen sollen. Die Sie meine Auffassung teilen, dass Schnelltests, von bekommen dann die Antwort, tote Vögel habe es denen gesprochen wird und die derzeit vier bis schon immer gegeben; die gefundenen toten Vögel sechs Tage dauern sollen, wirklich Schnelltests interessierten nicht. Das ist in der aktuellen Situati- sind. Wie ich gehört habe, gibt es Testverfahren, on aber die falsche Reaktion auf das Problem. die einen sehr viel schnelleren Befund ermöglichen. (Beifall bei der FDP) Sie haben das so genannte Wildvogelmonitoring angesprochen. Es ist offensichtlich so, dass derzeit, Herr Minister, im Moment wird sehr salopp davon wenn ich Ihre Pressemeldung richtig verstanden ha- gesprochen, dass die generelle Vorgehensweise be, 200 Vögel auf H5N1 beprobt wurden. Die Fra- „töten statt impfen“ die einzig Richtige sei. Nach- ge ist: Ab welcher Zahl zeigt eine Beprobung ein dem auf Rügen so viel schief gelaufen ist, will ich aussagekräftiges Bild? Ich glaube, Sie stimmen mit gar nicht in Abrede stellen, dass dort Bestände auch mir darin überein, dass 200 beprobte Vögel noch in unmittelbarer Nähe schon gekeult worden sind. kein aussagekräftiges Bild liefern können. Ich will hier auch überhaupt nicht den Eindruck er- wecken, dass ich ein großer Vogelschützer sei. Jetzt zu den Pressemeldungen über den Tamiflu- Aber ich finde, wir sollten uns zu diesem Problem Vorrat. Der hier vom Kollegen Höppner vorgetra- auch einmal grundsätzliche ethische Gedanken ma- genen Medienkritik schließe ich mich nur zum Teil chen. Der Spruch “töten statt impfen“ kommt ei- an. Ich finde, dass die Pressemitteilungen, wenn nem flott über die Zunge. In den Niederlanden sind man einmal von Boulevardblätter absieht, ein Aus- vor drei Jahren ein paar Millionen Hühner gekeult fluss der politischen Kommunikation nach außen worden, weil dort die EU-Anweisung „töten statt sind. Ich halte die Kommunikation darüber, wie impfen“ galt. Ich rege an, dass wir in diesem Zu- viel Therapieeinheiten Tamiflu zur Verfügung ste- sammenhang eine Diskussion darüber führen, ob hen und wie viel nicht, für Panikmache. Was sagen Impfen vielleicht nicht doch die bessere Strategie denn die 94 % der schleswig-holsteinischen Bevöl- ist. Dabei weiß ich auch, dass das mit den zurzeit kerung, die gestern lesen mussten, dass es für sie zur Verfügung stehenden Impfstoffen nicht möglich offensichtlich kein virushemmendes Medikament sein wird. Man muss dann aber in die Entwicklung gibt? Ich finde, das ist eher Panikmache als eine eines entsprechenden Markerimpfstoffs investieren. ernsthafte Auseinandersetzung darüber, was virus- hemmende Wirkstoffe beziehungsweise Medika- In diesem Zusammenhang sage ich auch ganz deut- mente wie Relenza oder Tamiflu tatsächlich leisten lich: Die Geflügelfleischwirtschaft täte gut daran, können. Ich bin mir nicht sicher, dass die Hoffnun- sich finanziell entsprechend zu beteiligen, weil der gen, die wir daran knüpfen, alle erfüllt werden. Schaden, der im Fall X eintritt, für die Geflügel- fleischwirtschaft deutlich höher sein dürfte als ein Das Robert-Koch-Institut hat empfohlen, 20 % finanzieller Beitrag zur Entwicklung eines entspre- der Bevölkerung mit entsprechenden Mitteln zu chenden Markerimpfstoffs. versorgen. Ich glaube aber nicht, dass eine Diskus- sion über solche Prozentzahlen die Bevölkerung be- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1471

(Dr. Heiner Garg) ruhigen wird. Vielmehr glaube ich: Wenn wir alles, darauf ist Herr Garg eingegangen -: Wir hatten das was wir darüber wissen, auf den Tisch legen und Glück, nicht die Ersten zu sein, um aus den Fehlern ruhig und sachlich diskutieren, kommen wir weiter. in Mecklenburg-Vorpommern zu lernen, und wir Wenn man zum Beispiel sagt, dass man sich nach sind jetzt gut vorbereitet. Herr Minister, ich hätte einem Strandspaziergang mit einfacher Seifenlauge mir gewünscht, dass Schleswig-Holstein auch dann die Schuhe abwischen kann, um Vogelgrippe nicht gut vorbereitet gewesen wäre, wenn wir die Ersten ins Wohnzimmer zu tragen, dann werden wir viel gewesen wären. Dies muss ein Land leisten. eher dazu beitragen, Panik zu vermeiden, als wenn In Mecklenburg-Vorpommern ist viel schief ge- über die Presse gesagt wird, wie viel Prozent der laufen, das ist erwähnt worden. Über 100 verseuch- schleswig-holsteinischen Bevölkerung mit Tamiflu te Schwäne und andere Wildvögel wurden inzwi- versorgt werden können und wie viel nicht. schen gefunden. Das Krisenmanagement war denk- Frau Ministerin, ich hätte es mir an Ihrer Stelle er- bar schlecht. Die verspäteten und ungenügenden spart, darauf hinzuweisen, wir hätten nur für 6,2 % Reaktionen der zuständigen Behörden vor Ort ha- Therapiedosen, weil Schleswig-Holstein ein armes ben klar aufgezeigt, dass unser Nachbarland offen- Land ist. Ich hätte mir von Ihnen gewünscht, dass sichtlich mangelhaft auf den Ausbruch der Vogel- Sie die Wirkungsweise dieser Medikamente kritisch grippe vorbereitet war. Es fehlte an der notwendi- beleuchtet hätten. Denn was sollen Schleswig-Hol- gen Sensibilisierung der Behörden und es wurde steinerinnen und Schleswig-Holsteiner denken, deutlich, dass Mecklenburg-Vorpommern den na- wenn man ihnen sagt, wir seien ein armes Land und tionalen Pandemieplan offenbar nur unzureichend deswegen könnten wir uns nicht genug Dosen lei- umsetzt. Eine ähnliche Nachlässigkeit in Schles- sten! Diese Äußerung fand ich nicht in Ordnung. wig-Holstein wäre fahrlässig und gefährlich. Des- halb ist es richtig, dass die Landesregierung heute (Beifall bei der FDP) deutlich gemacht hat, wie sie vorbereitet ist und dass sie vorbereitet ist. Präsident Martin Kayenburg: Wir müssen uns realistischerweise darauf einrich- Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN er- ten, dass die Vogelgrippe auch nach Schleswig- teile ich der Frau Abgeordneten Frau Monika Hei- Holstein kommt, auch wenn es bis heute Morgen nold das Wort. noch keinen bestätigten Fall gibt. Inzwischen sind die Bürgerinnen und Bürger verunsichert. Mir er- Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zählte neulich ein Bürgermeister, er habe am Wo- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die chenende einen abgegebenen toten Vogel bewacht, Schlagzeilen in den Zeitungen sind - wie erwähnt weil die Veterinäre erst ab Montag wieder arbeite- worden ist - sehr unterschiedlich. Sie reichen von ten. der Meldung, das Risiko für Menschen sei eher ge- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Und heute streiken ring, bis zu der Meldung, die Lage der Vogelgrippe sie!) sei sehr ernst. Deshalb ist es für die Bevölkerung wichtig, dass die Landesregierung ehrlich und ohne Da fragt man sich natürlich, ob diese Strukturen Panik deutlich macht, wie die Gefährdung in ausreichen. Deutschland und Schleswig-Holstein ist, ob wir gut (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vorbereitet sind und was die Bürgerinnen und Bür- ger selbst tun können, um sich vor der Vogelgrippe Ist Deutschland mit seiner föderalen Struktur des zu schützen und sie nicht weiterzutragen. Herr Garg Katastrophenschutzes tatsächlich auf eine bundes- hat eben Beispiele gebracht. weite Seuche gut vorbereitet? Zumindest Mecklen- burg-Vorpommern war es nicht. Dort brauchte das Genauso falsch wie eine Panikmache ist es aber Land allein sechs Tage, um die Schwäne zu unter- auch, Herr Bernstein, die Lage zu bagatellisieren. suchen. Herr Minister, es ist wichtig, dass Sie noch Sie haben zwar gesagt, wir müssten jetzt erst ein- einmal deutlich machen, ob sie in Schleswig-Hol- mal austesten, ob die bestehenden Strukturen aus- stein schneller untersucht werden könnten. reichten, aber für ein Austesten ist die Situation zu ernst. Wir müssen uns schon sicher sein, dass unse- Inzwischen hat die zuständige Landrätin vor Ort re Strukturen im Ernstfall greifen. Mängel eingestanden und - Herr Bernstein! - darauf hingewiesen, dass es zu wenige Schutzanzüge und (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu wenige qualifizierte Helferinnen und Helfer gab. Herr Landwirtschaftsminister, ich war mehr als er- Mich wundert Ihre kombinierte Aussage von heute staunt, als Sie vor wenigen Tagen sagten - auch etwas, in der Sie auf der einen Seite sagen: „Glück- 1472 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Monika Heinold) wunsch dem Ehrenamt, davon brauchen wir mehr!“ Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: und auf der anderen Seite abstreiten, dass die Men- Jeder verdächtige Fund sollte gemeldet werden. schen vor Ort Schutzanzüge anziehen sollen - wenn Mangelnde Hygiene ist der Hauptgrund für eine ich Sie richtig verstanden habe. Herr Bernstein, so Ansteckung. Herr Garg hat darauf hingewiesen: geht es nicht. Wir müssen diejenigen, die vor Ort Wer Kontakt zu Geflügel hat, sollte öfter seine helfen, auch ordentlich ausstatten, damit sie selbst Hände waschen. So einfach ist das. Es muss auch geschützt sind. gesagt werden, dass Grippemedikamente, die für (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Menschen entwickelt wurden, nicht vor dem Vogel- grippevirus schützen. Wir wissen, dass in Asien ein Bundesverbraucherschutzminister Seehofer hat am Mädchen gestorben ist, obwohl sie Tamiflu einge- Wochenende zu Recht vor Ort eingefordert, dass nommen hat. jetzt besser gehandelt werden muss. Die Schutzzo- nen sind eingerichtet und inzwischen ist die gesam- Auch die Bundesregierung hat sich gestern noch te Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns zur einmal eingehend mit den Vorsorgemaßnahmen zur Überwachungszone erklärt worden. Vogelgrippe beschäftigt und für Donnerstag ist eine Sondersitzung der Gesundheitsministerinnen und Wir brauchen in Schleswig-Holstein eine praktika- Gesundheitsminister einberufen. Frau Trauernicht, ble Notfallplanung. Außer der erneuten Stallpflicht es würde mich freuen, wenn Sie als Gesundheitsmi- muss der nationale Pandemieplan sinnvoll umge- nisterin heute sagten, wie Sie unser Land dort ver- setzt werden. Informationen hierüber gibt das Land- treten wollen. Der Landwirtschaftsminister hat den wirtschaftsministerium auf seiner Internetseite eher Gesundheitsbereich heute Morgen noch nicht so sparsam. Erfreulich ist, dass dagegen der Bereich fürchterlich intensiv beleuchtet. des Verbraucherschutzes und Informationen zur Stallpflicht sehr ausführlich auf der Internetseite für (Zuruf: Das ist auch nicht seine Aufgabe!) die Bürgerinnen und Bürger nachzulesen sind. Da- Es wäre mir lieb zu wissen, was die Landesregie- mit kommt die Landesregierung ihrer Verpflichtung rung am Donnerstag in vertritt. nach, alle Informationen zur Vogelgrippe, die heute als relativ sicher eingeschätzt werden, an die Bevöl- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, kerung weiterzugeben, auch als Gegenpol zu dem, FDP und SSW) was in den Medien auftaucht. Ich erwarte, dass dort eine enge Kooperation der Aufklärung ist die beste Vorbedingung für zielge- Bundesländer beschlossen wird und dass die avi- richtetes Handeln. Inzwischen gelten folgende Fak- sierte Pool-Lösung zur Sicherstellung der bedarfs- ten als sicher. Die Vogelgrippe macht keinen Un- orientierten Versorgung der Bevölkerung mit anti- terschied zwischen Nutz- und Wildvögeln. Men- viralen Medikamenten umgesetzt wird. Ich halte schen können sich bei engstem, direkten Kontakt diese Pool-Lösung für eine gute Möglichkeit, denn mit infizierten Tieren über eine Tröpfcheninfektion alle Bundesländer müssen davon ausgehen, dass die infizieren. Haustiere wie beispielsweise Katzen Vogelgrippe auch zu ihnen kommt. oder auch Schweine können Überträger der Vogel- Wir müssen uns auch intensiv mit der Frage be- grippe sein. Geflügel und Eier sollten vor dem Ver- schäftigen, was getan werden kann und muss, wenn zehr gekocht oder gebraten werden. Das müssen bei einer möglichen Mutation des Virus auch eine wir sehr deutlich sagen und dürfen nicht immer sa- Ansteckungsgefahr von Mensch zu Mensch gege- gen, Hühner und Eier seien sicher. Die Bevölke- ben ist. Anscheinend gehen noch alle bekannten Er- rung muss wissen, dass es erst sicher ist, wenn man krankungsfälle auf den direkten Kontakt mit einem es über 70° C erhitzt. Tote und kranke Tiere sollten erkrankten Tier zurück. Ansteckungsfälle von nicht angefasst werden. Aktuell sollten keine Fe- Mensch zu Mensch sind nicht bekannt. Deshalb be- dern gesammelt werden. steht für die Menschen zurzeit keine akute Gefahr (Unruhe) einer Vogelgrippe. Allerdings stellt das Robert- Koch-Institut fest, dass jeder neue Fund des Erre- Präsident Martin Kayenburg: gers das Risiko einer Mutation erhöht und dass da- mit eine weltweite Grippewelle nicht ausgeschlos- Ein wenig mehr Aufmerksamkeit täte dem Plenum sen ist. Ebenfalls bedenklich ist die Aussage seitens gut. der Amtsveterinäre, dass die von einigen Landwir- ten geforderte vorsorgliche Impfung von Nutzge- flügel das Risiko für eine Mutation des aktuellen Virusstammes deutlich erhöht. Ich fand es sehr gut, Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1473

(Monika Heinold) dass Herr Garg gesagt hat, dass wir, wenn wir von men absehbar. Aufgrund der stetigen Verbreitung Impfung sprechen, auch darüber nachdenken müs- des Virus im Süden Europas war nicht davon aus- sen, womit wir die Tiere impfen, damit wir die rich- zugehen, dass Deutschland hiervon unberührt blei- tige Lösung finden. ben würde. Es war aber davon auszugehen, dass das größte Verbreitungsrisiko an die Rückkehr der Zug- Zur Panikmache besteht kein Anlass, aber wir soll- vögel aus dem Süden in den kommenden Monaten ten diejenigen Stimmen ernst nehmen, die lautstark gekoppelt sein würde. anmahnen, dass eine gute bundesweite Koordinati- on notwendig ist. Auch wenn Gesundheitsfragen Daher war es überraschend, dass gerade im Norden Ländersache sind, darf der Föderalismus - sollte es Deutschlands die ersten Fälle von Vogelgrippe be- zu einer Pandemie kommen - nicht dazu führen, stätigt wurden. Das zeigt, dass wir immer noch dass Kleinstaaterei ausbricht und dass damit eine nicht wissen, wie es dazu kommen konnte. effektive Seuchenbekämpfung verhindert wird. Die Entwicklung macht deutlich, dass die Verbrei- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tung des Erregers nicht vorhersehbar ist. Es ist da- von auszugehen, dass die geographische Verbrei- „Die ZEIT“ schrieb neulich: „Die Seuche erweist tung weiter zunehmen wird. Daher gilt es jetzt, sich nicht als föderalismuskompatibel“. kühlen Kopf zu bewahren und dafür zu sorgen, dass Sie wies uns darauf hin, dass die nationale Pande- die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen und miekommission, die als Mediator für Verteilungs- Notfallpläne greifen, um ein Übergreifen der Vo- fragen von der Bund-Länder-Kommission im ver- gelgrippe auf Hausgeflügel zu verhindern. Wie wir gangenen Jahr angedacht worden war, schlicht in wissen, wurden die ersten Vorkehrungen bereits ge- der Planung abhanden gekommen ist. Das halte ich troffen. So gibt es seit dem 17. Februar die bundes- für schwierig und ich würde mir wünschen, dass weite Stallpflicht für Freilandgeflügel, das Verbot sich die Landesregierung hier noch einmal positio- von Geflügelmärkten und verstärkte Warenkontrol- niert. len im Reiseverkehr. Hier möchte ich deutlich sa- Ich erwarte, dass die Landesregierung gemeinsam gen, dass es sich um Präventivmaßnahmen handelt, mit der Bundesregierung sicherstellt, dass wir auf um unser Hausgeflügel zu schützen, die aber eine den Ernstfall vorbereitet sind, dass wir uns abstim- weitere Ausbreitung der Vogelgrippe bei Wildvö- men und dass die Länder kooperieren. Wir dürfen geln nicht verhindern werden. Dies muss bei allen es nicht dem Zufall überlassen, ob wir richtig auf Maßnahmen, die durchgeführt werden und durch- die Seuche, die noch eine Tierseuche ist, reagieren geführt werden können, klar sein. Daher ist es not- oder nicht. wendig, das Monitoring bei Wildvögeln auszubau- en, um die Verbreitung der Vogelgrippe zeitnah (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und umfangreich beobachten zu können. FDP und SSW) (Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP]) Präsident Martin Kayenburg: Nur dann ist die Einrichtung von Schutzzonen und Für die Abgeordneten des SSW erteile ich dem Beobachtungszonen auch sinnvoll, um das Heraus- Herrn Kollegen Lars Harms das Wort. bringen von Geflügel aus den betroffenen Zonen verhindern zu können. Lars Harms [SSW]: Nach dem ersten Bekanntwerden des Vogelgrippe- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und virus auf Rügen hat sich der nationale Krisenstab Herren! Als wir vor etwa drei Monaten im Landtag auf die eben genannten Maßnahmen und Schutz- über die Vorsorgemaßnahmen und gesundheitspoli- vorkehrungen verständigt, um das Risiko so weit tischen Aktivitäten der Landesregierung gegen die wie möglich zu minimieren und um gleichzeitig Pa- Vogelgrippe debattierten, galt das Gebiet der Euro- nikmache zu vermeiden. Angesichts der Bilder von päischen Union noch als H5N1-virusfrei. Mittler- Rügen, die in den letzten Tagen durch die Medien weile müssen wir erkennen, dass sich das Virus in- gingen, müssen wir wohl erkennen, dass der Um- nerhalb der letzten Monate schneller ausgebreitet gang mit der Vogelgrippe bisher nicht dazu beige- hat, als vielleicht anzunehmen war. Neben Deutsch- tragen hat, das Vertrauen der Bevölkerung in die land gibt es nun auch in mehreren anderen EU-Mit- Schutzmaßnahmen zu erhöhen. Es wurden Vogel- gliedstaaten Verdachtsfälle beziehungsweise bestä- kadaver nicht eingesammelt oder es fehlte an Ab- tigte Fälle von Vogelgrippe bei Wildvögeln. Natür- sperrungen. Gekrönt wurde das Unvermögen durch lich ist diese Entwicklung entsetzlich, aber sie war gegenseitige Schuldzuweisungen und Kritik am je- trotz aller getroffenen Vorkehrungen und Maßnah- 1474 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Lars Harms) weils anderen. Die Ereignisse auf Rügen haben ternational vorangebracht werden, um mehr Infor- deutlich gemacht, dass es im Umgang mit der Vo- mationen über den Erreger, aber auch über seine gelgrippe an klaren Kompetenzregelungen geman- Verbreitung zu gewinnen. gelt hat. Derartige Unklarheiten dürfen einfach Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut ma- nicht vorkommen. Die Zuständigkeiten müssen im chen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann der Vorfeld geklärt sein. Hier müssen die verschiede- erste positive Befund in Schleswig-Holstein gemel- nen Ebenen deutlich wissen, wie weit ihre Befug- det wird. Dass wir uns darauf einstellen müssen, nisse reichen. dürfte jedem klar geworden sein. Daher ist es wich- Ich gebe dem Minister Recht, gerade wir in Schles- tig, dass die Zuständigkeiten bei uns im Land klar wig-Holstein müssen aus den Erfahrungen in geregelt sind und dass ressortübergreifend zusam- Mecklenburg-Vorpommern lernen, und ich glaube, mengearbeitet wird. Besonderes Augenmerk und wir werden daraus auch lernen. Daher nutzt es auch eine besondere Verantwortung liegt momentan bei wenig, dass Bundeslandwirtschaftsminister Seeho- den Kreisen und den zuständigen Kreisveterinär- fer jetzt fordert, über Kompetenzen neu nachzuden- behörden. Dort gilt es jetzt die Krisen- und Not- ken und dem Bund größere Zuständigkeiten im fallpläne entsprechend zu koordinieren, damit diese Seuchenschutz zu übertragen. Eine solche Forde- entsprechend greifen. Darüber hinaus werden dort rung lehnt der SSW ab. Wir brauchen keine Verla- immer wieder neue Fundtiere von besorgten Bür- gerung der Verantwortung auf den Bund. Was wir gern gemeldet werden. Auch hier muss es also brauchen, ist eine funktionierende behördenüber- möglich sein, auf Kreisebene im Falle einer Krise greifende Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Dies die Kapazitäten kurzfristig zu erweitern. ist nicht die Zeit, um Kapital aus den Fehlern ande- Sollte es aber trotz aller Schutzvorkehrungen dazu rer zu schlagen. kommen, dass der Erreger auf Hausgeflügelbe- Daher muss Schleswig-Holstein aus den aktuellen stände übergreift, halten wir die Tötung der infekti- Erfahrungen von Rügen schnell seine Lehren zie- onsverdächtigen Tiere für unerlässlich. Derartig hen, damit Vergleichbares bei uns nicht vorkommt. drastische Maßnahmen sind derzeit leider notwen- Dort, wo es Unstimmigkeiten gibt, muss entspre- dig, um den Erreger wirksam zu bekämpfen. chend nachjustiert werden, damit die Schutzmaß- ,,Impfen statt töten" ist aus Sicht des SSW gegen- nahmen und Notfallpläne greifen. Das geschieht ja wärtig kein gangbarer Weg, um das Problem zu lö- auch. Wichtig ist, dass die Kontrolle und die Ar- sen. Mit Impfungen werden die Tiere zwar ge- beit vor Ort geleistet werden und nicht im fernen schützt, aber der Erreger wird dadurch nicht aus- Berlin. Das wäre der größte Fehler, den wir machen gemerzt. Die Tiere tragen den Erreger in sich und können. er kann weiter übertragen werden. Die Seuche ist Ein wichtiges Instrument ist hierbei natürlich die somit kaschiert, bleibt aber weiter bestehen. Wir frühzeitige Erkennung infizierter Vögel. Durch das sollten nur dann Impfungen in Betracht ziehen, erweiterte Wildvogelmonitoring kommt künftig wenn es geeignete Markerimpfstoffe gibt, also auch ein größeres Aufgabenfeld auf die untersu- Impfstoffe, mit denen geimpfte und infizierte Tiere chenden Labore und Institute zu. Die Zusammenar- unterschieden werden können. Aber diese Erwar- beit zwischen dem Friedrich-Loeffler-Institut und tungen hat der Institutsleiter des Friedrich-Loeffler- dem Landeslabor in Neumünster hat sich bisher be- Instituts gerade erst gedämpft. Solch ein Marke- währt. Doch es ist bereits jetzt zu vermerken, dass rimpfstoff für Geflügel gegen die Vogelgrippe sei die Untersuchung toter Vögel erheblich zugenom- in den nächsten Jahren noch nicht verfügbar, sagt men hat. Daher muss die Landesregierung die Mög- er. Deshalb bleibt nichts anderes übrig, als die Tier- lichkeit schaffen, dass die Kapazitäten des Landes- bestände im Fall der Fälle zu töten. labors in diesem Bereich kurzfristig erweitert wer- Also sollte eine Schutzimpfung oder Ringimpfung den können, damit das Monitoringverfahren ent- nur dann zulässig sein, um konkrete Gefahrensitua- sprechend durchgeführt werden kann. tionen einzudämmen. Letztlich bleibt dies aber nur Dass bisher nicht genau geklärt ist, wie die Vogel- eine flankierende Maßnahme. Oberste Maßnahme grippe in den Norden Deutschlands gekommen ist, bleibt derzeit die Tötung der Tiere. macht deutlich, wie unberechenbar die Verbreitung Im Falle, dass ein Bestand gekeult werden muss, der Vogelgrippe ist. Hier brauchen wir mehr Er- muss es entsprechende Ausgleichszahlungen geben. kenntnisse, um rechtzeitig reagieren und entspre- In diesem Zusammenhang muss über den Tierseu- chende Gegenmaßnahmen durchführen zu können. chenfonds gewährleistet sein, dass die betroffenen Parallel zu allen jetzt laufenden Schutzvorkehrun- Betriebe hier nicht hängen gelassen werden. Aller- gen und Maßnahmen muss daher die Forschung in- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1475

(Lars Harms) dings wird auch der Tierseuchenfonds nur den Zeit- Präsident Martin Kayenburg: wert der Tiere ersetzen. Folgeschäden werden den Für die Landesregierung erteile ich das Wort dem Züchtern nicht ersetzt werden können. Solange es Minister für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche sich bei den betroffenen Betrieben um Einzelfälle Räume, Herrn Dr. Christian von Boetticher. handelt, kann man sicherlich dazu auffordern, hier mit finanziellen Unterstützungsleistungen beizu- springen. Sollte es sich aber um eine größere An- Dr. Christian von Boetticher, Minister für Land- zahl von Betrieben handeln, werden die Finanzie- wirtschaft, Umwelt und ländliche Räume: rungsmöglichkeiten zumindest für das Land immer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu- dünner werden. nächst noch einmal zur Klarstellung: Das, was ich Ein weiterer wichtiger Punkt im Zusammenhang vorhin über Krankenhausbetten und Tamiflu gesagt mit den Notfallplänen ist auch die Aufklärung der habe, bezog sich auf die Berichterstattung, die sug- Menschen. Die Reaktionen aus der Bevölkerung geriert, dass eine Pandemie kurz bevorsteht, und machen deutlich, dass das Thema immer noch ver- nicht auf die seriöse und geflissentliche Arbeit und ängstigt. Daher benötigen wir klare Botschaften Umsetzung des nationalen Pandemieplanes durch und Anweisungen, wie mit der Vogelgrippe umzu- die Gesundheitsministerin. Nur damit das völlig gehen ist. Die Medien haben hier nicht immer zur klar ist. Aufklärung beigetragen. Daher bleibt es eine öf- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fentliche Aufgabe, entsprechende Informations- stellen vorzuhalten, um die Bevölkerung über die Niemand ist fehlerfrei. Wer glaubt, er könne nicht Vogelgrippe sachlich zu informieren und auch über auch etwas aus Fehlern anderer lernen, der über- die Tatsache zu informieren, dass es sich um eine höht sich selber. Wir sind gut vorbereitet. Aber na- Tierseuche handelt und die Gefahr für die Men- türlich kann man immer noch einmal überprüfen: schen auch im Hinblick auf andere Grippearten ab- Haben wir den Kontakt, der dort nicht funktioniert gewogen werden müssen. Der Minister hat das hat? Laufen die Informationsstränge? Wenn man eben schon deutlich gemacht. dann irgendeinen Fehler feststellt - niemand ist feh- lerfrei -, dann haben wir den auch zu beseitigen. - Vor dem Hintergrund des Ernstes der Lage und der Das dazu. durchaus realistischen Gefahr, dass wir in Kürze von der Vogelgrippe heimgesucht werden, ist es (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mir aber noch einmal wichtig, ganz klar dazu auf- „Impfen statt töten“! Wir sind uns doch wohl alle zufordern, dass man im Fall der Fälle nicht damit einig, dass das Töten von gesunden Beständen nur beginnt, sich gegenseitig bei der Arbeit zu blockie- die absolute Ultima Ratio sein kann, die im Zwei- ren oder versucht, sich auf Kosten anderer zu profi- felsfall auch gegen andere, mildere Maßnahmen ab- lieren. Damit hat man nun wahrlich in Mecklen- gewogen werden muss. Das ist doch völlig klar. burg-Vorpommern schlechte Erfahrungen gemacht. Was den Impfstoff angeht, muss ich mich auf die Deshalb sollten wir hier weiterhin gewohnt sachlich Experten des Friedrich-Loeffler-Instituts verlassen, mit dem Problem umgehen, wie wir es auch in an- die mir im Augenblick sagen: a) Wir haben ihn deren Fällen - MKS, BSE - gemacht haben. Ich nicht. b) Wenn wir ihn ohne Marker einsetzen, so glaube, das liegt mehr im Interesse der Bürgerinnen ergeben sich erhebliche Probleme, und der Marke- und Bürger unseres Landes. rimpfstoff ist noch nicht so weit. - Das sind die Für den SSW muss ich sagen, wir begrüßen die Dinge, die im Augenblick auf dem Tisch liegen. kurzfristigen Maßnahmen der Landesregierung und Nun zur Laborkapazität! Ursprünglich haben wir wir unterstützen sie ausdrücklich. Wir wollen, dass es innerhalb von sieben bis acht Stunden geschafft; wir gemeinsam in diesem Bereich arbeiten, gemein- heute dauert es maximal 24 Stunden im Landesla- sam unsere Bürgerinnen und Bürger, unsere Betrie- bor, und dann haben wir einen H-Befund. 95 % der be und unsere Tiere schützen. Es dient - glaube ich Tiere scheiden damit schon einmal aus, weil sie - nicht der Sache, wenn wir anfangen, uns zu strei- keinen H-Befund haben. Die anderen gehen in das ten, sondern ich glaube, hier ist große Einigkeit an- nationale Referenzlabor. Am Anfang hat dies zwei gesagt. Tage gedauert, aber durch die Masse der Tiere, die (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE jetzt zur Beprobung ansteht, braucht das Labor län- GRÜNEN) ger. Wir haben die Kapazitäten, weitere Befunde zu erheben, hier im Landeslabor nicht. Aber ein Schnelltest - auch das sagen mir die Experten - birgt im Augenblick noch erhebliche Unsicherhei- 1476 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Minister Dr. Christian von Boetticher) ten und ist damit für den Einsatz nicht verfügbar. Insofern fragen wir uns etwas ratlos: Wie ist nun Auch das ist uns vom Friedrich-Loeffler-Institut die klare Situation? Ich persönlich habe nirgends noch einmal deutlich gemacht worden. gelesen, ob Sie, Herr Ministerpräsident, an dieser abschließenden Runde am 16. Februar in Berlin be- Letzter Punkt! Wir machen eine Beprobung nach teiligt waren und welche Position Schleswig-Hol- Risikoanalyse. Das bedeutet: Nicht alle toten Tiere, stein dort möglicherweise vertreten hat. die irgendwo gefunden werden, kommen in das Landeslabor. Vielmehr haben wir Indikatorenvögel, Sie haben uns dankenswerterweise am 25. Januar insbesondere Schwäne und Greifvögel, aber auch hier im Plenum gesagt - ich darf zitieren, Herr Prä- andere Arten, und die Veterinäre vor Ort entschei- sident - den, welche Tiere ins Landeslabor gehen und wel- „Die Landesregierung unterstützt im Grund- che nicht. Damit können wir diese 24 Stunden auch satz die angestrebte Modernisierung der bun- weiterhin gewährleisten. desstaatlichen Ordnung. Unser Land wird Darum noch einmal: Ich denke, dass wir auch diese durch die Verlagerung der Gesetzgebung ge- Probleme ganz gut in den Griff bekommen haben. stärkt.“ (Beifall) Als Beispiele nannten Sie das Gaststättenrecht und das Ladenschlussrecht. Es stimmt - das ist unstrit- Präsident Martin Kayenburg: tig -, dass insoweit eine Verlagerung auf die Länder durchaus Sinn macht, aber es ist auch unstrittig, Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit dass dies nicht die Kernfrage der Föderalismusde- schließe ich diesen Tagesordnungspunkt. batte ist. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aktuelle Stunde Daran - Herr Ministerpräsident, insoweit sind wir Entscheidungen zur Föderalismusreform - Posi- uns sicherlich einig - wird der Föderalismus weder tion der Landesregierung in der Sondersitzung genesen noch wird er hierdurch verschlimmert. der Ministerpräsidentenkonferenz am 10. März Aber Sie haben ebenso im letzten Plenum dankens- 2006 - Die Auswirkungen der seit dem 16. Fe- werterweise gesagt, dass die Vorschläge, die im bruar 2006 geplanten Grundgesetzänderungen Koalitionsvertrag der großen Koalition im Bund auf das Land Schleswig-Holstein niedergeschrieben worden sind, erhebliche Nachtei- Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN le für Schleswig-Holstein bringen könnten, insbe- sondere - darin war sich dieses hohe Haus einig - Ich erteile der Fraktionsvorsitzenden von BÜND- die zur Verlagerung der Gesetzgebungskompeten- NIS 90/DIE GRÜNEN, der Frau Abgeordneten An- zen zur Laufbahnbesoldung und zum Versorgungs- ne Lütkes, das Wort. recht der Beamten auf die Länder. Richtig haben Sie auch gesagt, dass das kritisch zu sehen sei. Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hohe Haus war sich, wenn ich Sie alle richtig Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ha- verstanden habe, auch einig, dass hier Tendenzen ben diese Aktuelle Stunde zur Entscheidungssituati- zu einem gefährlichen Wettbewerbsföderalismus zu on in der Föderalismusdebatte beantragt, weil wir erkennen waren und sind, der möglicherweise die hier am 25. Januar eine sehr ausführliche Debatte gleichwertigen Lebensverhältnisse für die Bundes- untereinander hatten. Wir haben nach dieser Debat- republik opfern würde. te gelesen, der große Durchbruch sei nun geschafft. Insofern haben wir es zwar nicht mit Beruhigung, Am 16. Februar abends sei die größte Verfassungs- aber doch ohne Sorge betrachten können, dass Sie, reform in der Geschichte der Bundesrepublik seit Herr Ministerpräsident, sagten, die Landesregie- 1949 verabredet, beratbar und auch entscheidbar rung habe ihre Position in Arbeitsgruppen sehr geworden. - So die seriöse „Zeit“. Gleichzeitig ha- deutlich vertreten und sei entsprechend auf dem ben wir in ebenso seriösen Kieler und schleswig- Weg zu einer Änderung. holsteinischen Blättern lesen können, dass von Kiel aus doch noch erheblicher Beratungsbedarf ange- Nun - wie gesagt - lesen wir, beispielsweise in der meldet würde. Auch die „Welt“ sah im Titel einen „Sächsischen Zeitung“, dass insbesondere der Chef Klärungsbedarf aus Kiel. des Kanzleramtes, CDU-Mitglied, sehr deutlich sagt: Das Paket ist zu, wir sind uns alle einig - wir Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1477

(Anne Lütkes) sind uns alle einig!-, dass es auch so bleibt, die sungspolitischen Pakets verschachert werden. 16 große Reform ist auf dem Weg. unterschiedliche Standards, etwa im Heimrecht, sind letztlich auch für die Menschen in Schleswig- Deshalb bitten wir im Rahmen einer Aktuellen Holstein von uns nicht zu wünschen. Sie können ei- Stunde um etwas Aufklärung seitens der Landesre- ne Gefahr sein. gierung. Was ist denn nun Ihre Position? Einmal ist es natürlich sehr interessant zu hören, was die Frak- So fragen wir: Was ist Ihre Position dazu und ins- tionen dazu sagen, aber Schleswig-Holstein wird besondere zu der vom Innenminister so formulier- durch die Landesregierung im Bundesrat vertreten. ten solidarischen Finanzierung der bundesstaatli- chen Aufgaben innerhalb des föderalen Systems? (Dr. Johann Wadephul [CDU]: Große Er- Wie sieht also der konstruktiv-kritische Kurs der kenntnis, Frau Kollegin!) Landesregierung aus, den Sie hier noch am 25. Ja- - Ja, ich weiß, wunderbar ist das; es bietet hervorra- nuar verdeutlicht und gefordert haben? gende Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, Herr Ich sagte es schon: Der Chef des Kanzleramts hat Kollege Vorsitzender. sehr deutlich gesagt, es gebe keine Debatte mehr. Insofern frage ich: Was tun Sie im Bundesrat, ins- Die SPD im Bund erklärt, es gebe Details zu klären. besondere zum Vorschlag zum Beamtenrecht? Das Die SPD in Niedersachsen sagt, das Ganze sei ein ist - so haben wir hier gemeinsam gesagt - eine Ge- Geldverteilungsverfahren zulasten der finanzschwa- fahr für unser Land. Was tun Sie im Hinblick auf chen Länder. Was sagt die SPD in Schleswig-Hol- die Bildungsgesetzgebung, auf das Hochschul- stein? Wie verhält sich die Landesregierung im recht? Kommt die Kleinstaaterei auf uns zu? Der Bundesrat? Bundeselternrat spricht von faulen Kompromissen Deshalb also unsere Aktuelle Stunde. Wir wären zulasten der Bildung. froh, wenn wir am Ende der Aktuellen Stunde wüs- Was tun Sie bei dem Vorschlag, die Strafvollzugs- sten, welche Anträge Sie stellen, welche Meinung gesetzgebungskompetenzen auf die Länder zu über- Sie vertreten und wenn nicht wie beim letzten Mal tragen? Zwölf ehemalige Justizministerinnen und - der Hinweis auf intensive Diskussionen das Ergeb- minister, quer durch alle Parteien, haben sich dage- nis der Debatte wäre. Ich bin gespannt. gen ausgesprochen. Wenn Sie sehen, was in Ham- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) burg im Moment im Strafvollzug läuft, so ist dies ein lebendiges Beispiel dafür, dass Landeskompe- tenz auch gefährlich ist für gleichwertige Lebens- Präsident Martin Kayenburg: verhältnisse im Strafvollzug. Bevor ich dem Fraktionsvorsitzenden der CDU das (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wort erteile, darf ich auf der Tribüne Schülerinnen und FDP) und Schüler der Husum Danske Skole, CDU-Mit- glieder des Ortsverbandes Neuendeich, Bürger und Was tun Sie im Umweltrecht? Es geht um ein ef- Ehrenamtsträger aus Husum und Umgebung, unse- fektives, europataugliches und wirtschaftsfreundli- re frühere Kollegin Jutta Scheicht und die Vorsit- ches Umweltrecht. Wie ist die Position der Landes- zende des Landesbeamtenbundes, Frau Anke regierung? Treten Sie für ein aus meiner Sicht ver- Schwitzer, begrüßen. - Seien Sie uns alle herzlich wirrendes - um nicht zu sagen, „chaotisches“ Ab- willkommen! weichungsrecht ein, klare Regelungen als Grundla- ge und dann möglicherweise ein Abweichungs- (Beifall) recht beim Naturschutz, bei der Landschaftspflege Herr Abgeordneter Dr. Wadephul, Sie haben das oder beim Wasserhaushalt und beim Jagdwesen? Wort. Aber das muss klar sein und wir wollen wissen, welche Position Sie dort vertreten. Dr. Johann Wadephul [CDU]: Gleiches gilt für den Vorschlag, die Gesetzge- Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Da- bungskompetenz beim Heimrecht auf die Länder men und Herren! Ich darf zunächst einmal die Grü- zu übertragen. Das ist ja ein ganz aktuelles und sehr nen sehr herzlich in der aktuellen Debatte begrü- ernstes Thema. Das Problem der Pflege im Alter ßen. Über das Thema Föderalismusreform diskutie- kann jeden treffen, in der ganzen Bundesrepublik, ren wir schon lange. Ich weiß nicht, ob Sie es ver- gleich in welchem Bundesland er oder sie lebt. Das folgt haben. Wir haben hier vor einem Monat auf heißt, die grundgesetzliche Garantie für gleichwer- den Antrag des Kollegen Hay und meinen Antrag tige Standards bei der Heimpflege ist von großer hin eine Landtagsdebatte geführt. Bedeutung und kann nicht im Rahmen eines verfas- 1478 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Dr. Johann Wadephul)

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn es um Verhandlungen geht, frage ich einmal NEN]: Da haben Sie nur gesagt, Sie hätten das ehemalige Regierungsmitglied, die ehemalige keine Position!) stellvertretende Ministerpräsidentin Anne Lütkes: Meinen Sie eigentlich, wir erreichen als Schleswig- Da haben wir umfänglich über das Thema mitein- Holstein irgendetwas, wenn die Landesregierung ander geredet. Da haben wir unsere Bedenken ge- heute sagen würde: „Wir machen es in jedem Fall äußert. Da haben wir Dinge begrüßt. mit, haben aber noch Änderungswünsche“, oder (Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold wenn sie sagte: „Wir stimmen in keinem Fall zu, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) haben aber trotzdem noch Änderungswünsche“? So Da haben wir unsere Meinung deutlich kundgetan erreicht man doch in Berlin gar nichts. Sie müssen und dann meinen die Grünen, dass wir zu diesem einmal die Grundtechniken des politischen Verhan- Thema eine Aktuelle Stunde brauchen. delns erlernen. Wenn Sie die anwendeten, kämen Sie zu der klugen Einsicht, dass man zum jetzigen (Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold Zeitpunkt Wünsche äußern kann, verhandeln will, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sich aber nicht definitiv festlegt. So macht man das. Ich muss schon sagen: Guten Morgen, liebe Grü- (Beifall bei CDU und SPD) nen! Ich habe die Hoffnung, dass die Opposition ir- gendwann in Form kommt und Gelegenheit hat, die Präsident Martin Kayenburg: aktuellen Themen aufzuspüren, die uns unter den Nägeln brennen. Herr Abgeordneter Dr. Wadephul, gestatten Sie ei- ne Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Lütkes? (Zuruf des Abgeordneten Lothar Hay [SPD]) Frau Kollegin, wir teilen im Wesentlichen Ihre Be- Dr. Johann Wadephul [CDU]: denken, die Sie eben noch einmal zum Ausdruck Ja, natürlich. gebracht haben. Es ist hinlänglich bekannt, dass es die Meinung der Koalitionsfraktionen ist, dass es Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch die Meinung der Landesregierung ist - so je- NEN]: Herr Kollege Wadephul, ist es richtig, denfalls ist es hier in der letzten Debatte sowohl dass am 10. März eine Bundesratssitzung vom Herrn Ministerpräsidenten als auch vom Herrn stattfinden wird? Ist es richtig, dass die Innenminister gesagt worden -, dass wir bei der schleswig-holsteinische Landesregierung Kompetenzübertragung im Bereich der Beamten- dort ein Rederecht hat? Ist es richtig zu er- besoldung und Beamtenversorgung Bedenken ha- warten, dass die Landesregierung dort eine ben. Auch beim Heimrecht haben wir Bedenken. Position zu den von Ihnen hier aufgelisteten Wir haben sogar einen Landtagsbeschluss gefasst. Einzelfragen abgeben wird? Oder ist es Einstimmig waren wir der Auffassung, dass die falsch zu erwarten, dass sich die schleswig- Übertragung der Kompetenz im Bereich des Straf- holsteinische Landesregierung im Bundesrat vollzuges schlecht wäre, unangemessen ist, zu einer positionieren wird? Kennen Sie die Position Zersplitterung führt. der Landesregierung? Frau Kollegin Lütkes, Sie haben heute Morgen im - Ich schlage vor, dass Sie versuchen, in aller Ruhe Grunde nichts Neues gesagt. Sie sind Olympiasie- zuzuhören. Sie haben ein paar Vorschriften des gerin beim Einrennen von offenen politischen Tü- Grundgesetzes wiedergegeben, die ich auch kenne. ren in Schleswig-Holstein. Etwas anderes haben Sie (Zuruf der Abgeordneten Anne Lütkes hier heute Morgen nicht zuwege gebracht. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei CDU und SPD - Zuruf der Abge- - Doch. Sie haben gesagt, dass die Landesregierung ordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/ im Bundesrat vertreten ist und dort Rederecht hat. DIE GRÜNEN] - Anne Lütkes [BÜNDNIS Das alles ist gesetzlich normiert. Es steht in der 90/DIE GRÜNEN]: Gestatten Sie eine Zwi- Verfassung und in den entsprechenden Gesetzen. schenfrage?) Wir stehen in Verhandlungen. Die Landesregierung - Nein. Ich bitte Sie, parlamentarische Gepflogen- steht tagtäglich in Verhandlungen über dieses Ge- heiten insoweit einzubehalten, als dass Sie sich zum setzgebungspaket. Mikrofon begeben und den Herrn Präsidenten ent- sprechend um Worterteilung ersuchen. (Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP]) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1479

(Dr. Johann Wadephul)

Sie steht tagtäglich auch in Kontakt mit anderen Das heißt, wir müssen zu einer Entflechtung kom- Bundesländern und selbstverständlich auch den men. Wir müssen zu einer Reform des Föderalis- Parteien und den Fraktionen im Deutschen Bundes- mus kommen. Jeder, der die Reform an sich tag. Wir übrigens auch. Wir versuchen, Einfluss zu blockiert und nur die Probleme aufzeigt - Frau Kol- nehmen. Es gibt eine Sonderministerpräsidenten- legin Lütkes, Sie haben nichts über die Chancen konferenz, auf der auch noch einmal verhandelt und die Möglichkeiten und die Notwendigkeit einer wird. Reform gesprochen - - Wenn man das Ergebnis kennt - das jedenfalls ist (Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- meine Meinung; die Landesregierung wird sich da- NEN]: Sie haben nicht zugehört! Ich habe zu selber erklären -, wird entschieden, ob zuge- fünf Minuten darüber gesprochen!) stimmt wird. Vorher kann man es nicht sagen. Wir - Doch, ich habe zugehört. Aber da ist leider an befinden uns in Verhandlungen. Die sollte man aus- Substanz nichts gekommen. werten. Dann kann man sagen, ob man zustimmt. Wer das alles nicht erkennt, wer diese föderale Ord- Im Rahmen dieser Debatte rate ich dazu, dass wir nung nicht reformiert, wird zum Totengräber des bei all dem, was geplant ist, nicht ganz aus dem Föderalismus werden. Ich und wir wollen keinen Auge verlieren, dass wir vor einem der größten Zentralstaat wie in Frankreich. Wir wollen, dass es Vorhaben stehen, die in Deutschland in diesem Be- in Deutschland eine bundesstaatliche Ordnung gibt, reich geplant sind. Es ist auch nicht ganz unwichtig. die gleichermaßen die Interessen der Länder deut- Deswegen haben zahlreiche Politikerinnen und Po- lich werden lässt, aber auch dafür sorgt, dass insge- litiker auch auf Bundesebene gesagt, dass wir zu ei- samt gehandelt werden kann, dass wir zu politi- ner Föderalismusreform kommen müssen. Klaus schen Ergebnissen kommen und dass man dann, Wowereit: „Ein Scheitern wäre fatal.“ Peter Struck wenn auf Bundesebene etwas geregelt wird, das im sieht einen guten Start für eine Reform des Födera- Deutschen und als Bundesregierung im lismus. Das alles ist nicht ohne Grund so gesagt Deutschen Bundestag durchsetzen kann. So, wie es worden. ist, kann es nicht weitergehen. Wir arbeiten daran, In den letzten Jahren und Jahrzehnten haben wir ka- zu einer neuen Systematik zu kommen. Daran sollte tastrophale Erfahrungen gemacht. Wenn eine große die Landesregierung aktiv mitwirken, die Interessen Koalition aus diesen Erfahrungen lernt und etwas Schleswig-Holsteins in dem mehrfach in diesem daraus machen will, finde ich das gut und richtig. hohen Haus diskutierten Sinn verteidigen, am Über Einzelheiten müssen wir miteinander reden. Schluss aber nicht blockieren, sondern positiv, kon- Entsinnen Sie sich doch einfach nur einmal an die struktiv, kritisch mitwirken. Abläufe der 90er-Jahre, als unter der CDU/CSU- (Beifall bei CDU und SPD) FDP-Regierung eine Steuerreform geplant wurde und sie im Bundesrat an der Mehrheit der Sozialde- mokraten - damals unter Führung von Oskar Lafon- Präsident Martin Kayenburg: taine - gescheitert ist! Für die Fraktion der SPD erteile ich deren Frakti- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Wer ist das denn?) onsvorsitzendem, dem Herrn Abgeordneten Lothar Hay, das Wort. Warum haben wir im vergangenen Jahr Neuwahlen gehabt? - Weil in der SPD-Spitze und bei Bundes- Lothar Hay [SPD]: kanzler Schröder die Vorstellung war: Wir bekom- men nichts mehr durch, weil die Union auch aus Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und parteipolitischen Gründen - das kann man offen sa- Herren! Erste Vorbemerkung. Ich kann das Interes- gen - im Bundesrat alles blockiert hätte und vieles se von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verstehen, das blockiert hat. Fand es eigentlich irgendjemand in Thema Föderalismusreform, nachdem es in Berlin diesem hohen Haus ein interessantes politisches eine Koalitionsrunde zu diesem Thema gegeben Spektakel, dass gewisse Vorhaben nur durch den hat, noch einmal hier in einer Aktuellen Stunde auf- Bundesrat durchgekommen sind, indem man sich zugreifen. Ich habe hier die Position der SPD vor etwa die Stimme der Bundeshauptstadt Berlin mit einem Monat dargelegt. Unsere Position ist unver- finanziellen Zugeständnissen erkauft hat? Halten ändert. Insofern ist es hilfreich, wenn Sie meine Re- Sie das für einen parlamentarisch würdigen und de von damals nachlesen. Ich bin gern bereit, die vorbildlichen Vorgang? Nein, das findet doch ei- wesentlichen Punkte heute noch einmal vorzutra- gentlich keiner. gen. 1480 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Lothar Hay)

Zweite Vorbemerkung. Frau Kollegin Lütkes, wir Ein weiterer Punkt - dieser wurde hier schon mehr- beide waren in der Vergangenheit Mitglieder einer fach diskutiert und darüber herrscht meiner Mei- kleineren Koalition. Wir beide wissen sehr genau - nung nach Einvernehmen im hohen Haus - ist der insofern kann ich an das anschließen, was der Kol- Strafvollzug. Die sinnvolle Entscheidung zur Ver- lege Wadephul gesagt hat -, wie wir im kleinen einheitlichung des Strafvollzuges aus dem Jahre Kreis hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens der 1977 sollte auch vor dem Hintergrund der Bemü- rot-grünen Regierungskoalition in Berlin im Bun- hungen der Europäischen Kommission, eine euro- desrat diskutiert haben. Darüber haben wir nie im päische Vereinheitlichung zu erreichen, erhalten Landtag diskutiert. bleiben. Alles andere ist ein Rückfall in die Klein- staaterei. Das hat Napoleon abgeschafft. So weit (Dr. Heiner Garg [FDP]: Schade!) sollten wir nicht zurückfallen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ziel der (Beifall bei SPD und CDU) Föderalismusreform ist es, die Kompetenzen der Landtage und der Länder zu stärken - das ist rich- Ein weiterer Punkt - da freue ich mich, dass unser tig -, was uns nicht daran hindert, jedes Politikfeld Wissenschaftsminister diese Position mit viel Tat- kritisch zu betrachten. Das bleibt Richtschnur unse- kraft unterstützt - ist der Hochschulbau. Auf den res Handelns. Wegfall der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau muss in der bisher geplanten Form verzichtet wer- Wenn man schon über neue Politikfelder diskutiert, den. Auf mittlere Sicht sind die ausfallenden Mittel die in Zukunft in alleiniger Verantwortung der für die finanzschwachen Länder nicht zu kompen- Landtage, der Länder stehen, gibt es bei der Föde- sieren. ralismusreform einen Punkt, der bisher überhaupt keine Rolle gespielt hat. Er ist jetzt Gegenstand der Eine Neuregelung, die zur Grundlage die Jahre Beratung. Das ist die Reform der Finanzbeziehun- 2000 bis 2003 hat, ist unakzeptabel, weil sie näm- gen. Man kann den Ländern doch nicht neue Auf- lich eindeutig die süddeutschen Länder bevorzugt. gaben geben, ohne gleichzeitig zu gucken, wie die- Denn diese hatten damals die Möglichkeit, das, was se ausreichend finanziert werden, um die Aufgaben die anderen Länder nicht binden konnten, zusätz- auch auszufüllen. Das ist ein wesentlicher Punkt. lich zu binden und damit würde etwas zementiert Man muss auch in Zukunft darauf drängen, dass das werden, was etwas mit Wettbewerbsföderalismus, nicht im Nachhinein, sondern parallel geschieht. aber nicht mit dem Schaffen von gleichwertigen Lebenschancen zu tun hat. Außerdem gibt der Bund (Beifall bei SPD und CDU) nur 70 % der bisher zur Verfügung gestellten Mit- Nun lassen Sie mich einige wesentliche Punkte be- tel. Das heißt, 30 % spart er ein. Von daher ist es nennen. Insofern ist es ein pädagogisches Prinzip dringend erforderlich, hier wieder das Thema Re- und die Reihenfolge der Punkte, die ich nenne, ist form der Finanzbeziehungen aufzugreifen. So darf keine Reihenfolge der Wichtigkeit. das nicht kommen. An erster Stelle steht für die Sozialdemokraten, (Beifall) dass es auch in Zukunft darauf ankommen wird, Ein weiterer Punkt betrifft das Thema Heimrecht. gleichwertige Lebensverhältnisse in der Bundesre- Es stört mich - das betone ich -, dass dieses Thema publik Deutschland zu schaffen. in der öffentlichen Diskussion so gut wie gar nicht Nun kommen die einzelnen Unterpunkte. Das ist zum Tragen kommt. Wir haben es nach jahrelangen zum Beispiel das Beamtenrecht. Die Organisati- Bemühungen 2002 erreicht, eine bundeseinheitliche ons- und Personalhoheit sollte weiterhin beim Bund Regelung mit verbesserter Rechtsstellung der verbleiben, damit eine unterschiedliche Besoldung Heimbewohner, Eingriffsmöglichkeiten der Heim- mit der Folge der Abwerbung durch finanzkräftige- aufsicht und weiteren grundsätzlichen Regelungen re Länder verhindert wird. Für uns ist auch ent- zu schaffen. Dieses muss erhalten bleiben. Was wir scheidend, dass das gemeinsame Interesse auf der nicht wollen, ist Sozialdumping. Aufrechterhaltung der Tarifgemeinschaft der (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE Länder bestehen bleiben sollte. Denn das ist ein GRÜNEN) wichtiger Punkt, damit wir in Zukunft mit geordne- ten Verhältnissen gerade hinsichtlich des Beamten- Was das Thema Umweltrecht angeht, so fühle ich rechtes in den einzelnen Ländern leben können. mich in guter Gesellschaft mit dem Wirtschaftsmi- nister Glos und dem Umweltminister Gabriel. Die (Beifall bei der SPD) Abweichungsmöglichkeiten nach Einführung des einheitlichen Umweltgesetzbuches müssen so weit Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1481

(Lothar Hay) wie möglich eingeschränkt werden, um eine Zer- samtpaket zu haben, also ganz oder gar nicht. Wenn splitterung beim Natur- und Gewässerschutz zu es nicht angesichts der vorausgegangenen Debatte vermeiden. Auf eine Aufhebung der Rahmenge- makaber wäre, könnte man sagen: Vogel, friss oder setzgebung des Bundes sollte verzichtet werden. stirb. Ich sehe die warnenden Stimmen des Wirtschafts- Damit stehen wir vor der Alternative, entweder ministers Glos; diese sollten wir sehr ernst nehmen. Nein zu sagen und damit gar keine Föderalismusre- Das ist ein Punkt, den wir ebenfalls noch ausführ- form zu bekommen oder Ja zu sagen und sich eine lich diskutieren müssten. Reform mit vielen Macken und Hakenfüßen einzu- (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE handeln. Das wäre in der Tat so, als ob die große GRÜNEN) Koalition in Berlin, die das Ganze angedacht hat, und die in Kiel, die das im Bundesrat womöglich Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer den passieren lässt, eine Lotterie spielen würden, bei Wettbewerbsföderalismus will, sollte sich nicht der jedes Los eine Niete wäre. Das kann es nicht nur deutlich dazu bekennen, sondern er sollte sich sein. auch selbst daran erinnern - ich denke hier an Bay- ern und Baden-Württemberg -, wie lange er Zah- Ich finde es schon bemerkenswert, Kollege Wade- lungen durch den Länderfinanzausgleich bekom- phul, dass Sie sich darüber ereifern, dass hier über men hat; diese sind in Bayern sicherlich gut ange- ein Thema diskutiert wird, zu dem in relativ kurzer legt. Wir lehnen den Wettbewerbsföderalismus ab, Zeit Entscheidungen der Landesregierung im Bun- weil er zu einem ganz anderen föderalen System desrat anstehen. Das Thema liegt ja nicht erst seit führt. Wir halten Änderungen bei dem Thema Fö- gestern auf dem Tisch. Wir diskutieren seit langem deralismusreform für dringend erforderlich und ich über das Thema. Wir haben Anfang November letz- gehe davon aus, dass auch hier das bereits vielfach ten Jahres das Papier der Koalitionsrunde in Berlin zitierte strucksche Gesetz gilt: Es kommt nichts so auf den Tisch bekommen. heraus, wie es ins Gesetzgebungsverfahren hinein- Gerade in den letzten Monaten ist ein Entschei- gekommen ist. dungsprozess eingeleitet worden. Herr Wadephul Was das Verhalten der Landesregierung betrifft, hat uns heute mitgeteilt, dass die Landesregierung Frau Lütkes, so wird sich diese rot-schwarze Lan- tagtäglich Verhandlungen geführt habe. Von daher desregierung wie jede andere rot-grüne Landesre- frage ich, was denn im Rahmen dieser tagtäglich gierung verhalten. Erst am Ende der Debatte sollte geführten Verhandlungen von November bis zum die Landesregierung unter Abwägung aller Ge- Donnerstag letzter Woche, also bis zu dieser besag- sichtspunkte über ihr Abstimmungsverhalten im ten Spitzenrunde in Berlin - diesen Begriff hat Kol- Bundesrat entscheiden. Alles andere wäre für die lege Stegner geprägt -, von der Landesregierung Interessen des Landes nicht gut. konkret bewirkt worden ist. (Beifall bei SPD, CDU und SSW) (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Martin Kayenburg: Zumindest diese Frage, Herr Kollege Wadephul, Für die Fraktion der FDP erteile ich Herrn Abge- wird man im Schleswig-Holsteinischen Landtag ordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort. stellen dürfen. Was das Papier vom 7. November und das vom letzten Donnerstag - zumindest das, Dr. Ekkehard Klug [FDP]: was in der Berichterstattung geäußert wurde - an- geht, habe ich den Eindruck, dass sich gar nichts im Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fö- Sinne der Punkte, die auch hier vonseiten der Lan- deralismusreform ist einmal als die Mutter aller Re- desregierung und aus diesem Hause angemahnt formen bezeichnet worden. Zumindest in der Fas- worden sind, geändert hat. sung, die seit dem letzten Donnerstag auf dem Tisch liegt, muss man eigentlich sagen, dass sie (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE eher zu einem politischen Kuckucksei zu geraten GRÜNEN) droht. Das Problem dabei ist natürlich, dass maß- Die Landesregierung sollte da schon etwas mehr als gebliche Akteure, die an dem Zustandekommen lediglich Fußnoten zum Protokoll von Ministerprä- dieses Papiers beteiligt gewesen sind - wie der sidentenkonferenzen zustande bringen. Kanzleramtsminister de Maizière und auch der Re- gierende Bürgermeister von Berlin, Herr Wowe- Damit kommen wir zu den inhaltlichen Kritikpunk- reit -, erklärt haben, das ganze Ding sei nur als Ge- ten; sie sind hier zum Teil schon angesprochen worden. 1482 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Dr. Ekkehard Klug)

Das ist als erster Punkt der Komplex der Abwei- Die Frage des bundeseinheitlichen Strafvollzugs- chungsgesetzgebung. In einer Reihe von Berei- rechts ist angesprochen worden; das ist auch aus chen darf der Bund regeln, aber die Länder können unserer Sicht ein ganz wichtiger Kritikpunkt. durch eigene Landesgesetze abweichen. Dadurch, Dann kommen die Dinge aus dem meine Damen und Herren, wird das föderale Wirr- Bildungsbereich. Wenn die Presseberichte stim- warr eher verstärkt, als dass man zu einer klaren men, dass der Bund in Zukunft nicht einmal mehr Trennung der Zuständigkeiten und Aufgaben für Förderprogramme auflegen dürfe, dann bekommen die eine oder andere Seite kommt. Das halte ich für wir in der Tat ein großes Problem. Ich bin sehr ein Kernproblem bei der ganzen Geschichte. wohl der Meinung, dass der Kernbereich des Bil- (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE dungswesens in die Länderzuständigkeit gehört. GRÜNEN) Wir wissen, dass es immer wieder Fragen gibt, die Der zweite Punkt - Kollege Hay hat es bereits ange- gemeinsame Anstrengungen erfordern. Das Ganz- sprochen - ist die fehlende Reform der Bund-Län- tagsschulprogramm der letzten Jahre ist hier zu der-Finanzbeziehungen. Das ist ein echter Mangel nennen, ebenso der Themenkomplex Hochschulen. in dem, was bisher auf dem Tisch liegt. Und dass Wir wissen, wir werden im Laufe der nächsten zehn nicht einmal - das wäre ein Minimum - ein Konne- Jahre einen enormen Studentenberg an den Hoch- xitätsprinzip eingeführt werden soll, das dann si- schulen zu bewältigen haben. Dies gilt zwar nur für chert, dass der Bund den Ländern keine Kosten aufs eine gewisse Zeit, aber dies wird die Hochschulen Auge drücken kann, halte ich auch für einen Pro- vor enorme Herausforderungen stellen. blempunkt. Eine solche Situation kann man nach meiner Über- (Dr. Johann Wadephul [CDU]: Was sagt zeugung nur durch ein gemeinsames Bund-Länder- Herr Pinkwart dazu?) Programm abfedern, das auf eine - auf eine be- stimmte Zeit befristete - Überlastsituation ausge- Die Zerfaserung des Beamtenrechts ist angespro- richtet werden muss. Die Absenkung der Mittel für chen worden. Das ist auch aus unserer Sicht ein den Hochschulbau wurde von Herrn Hay schon er- Kritikpunkt. Die Landesregierung denkt selber an wähnt. Deutschland sagt, man wolle den Anteil von eine Absenkung der Eingangsbezüge beispielsweise Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandspro- bei den Lehrern. Kollege Hay warnte davor, Besol- dukt von jetzt 2,5 % bis 2010 auf 3 % steigern. Das dungsfragen im Beamtenrecht auf die Länder her- ist eine riesige Kraftanstrengung, die allein 11 Mil- unterzubrechen. Denn dann komme es aus seiner liarden € pro Jahr mehr kostet. Was macht man? Sicht zu einer Abwerbung. Die finanzstarken Län- Man gibt auf der einen Seite zwar mehr Geld für der würden Personal aus den finanzschwächeren die Exzellenzinitiative aus - also für die Spitzenfor- Ländern abwerben. Diese Situation wäre doch bei schung -, aber auf der anderen Seite streicht man der Absenkung der Eingangsbesoldung der Lehrer - das Geld im Hochschulbau wieder ein. Das ist in denken Sie an die Lehrer in Mangelfächern - genau sich keine konsequente Politik. Ich denke, das muss dieselbe. Also, besonders konsistent ist die Haltung man in diesem Kontext anmerken. der Landesregierung in dieser Frage nicht. Es gibt also eine Reihe von offenen Fragen. Dass Präsident Martin Kayenburg: die Landesregierung jetzt noch nicht sagt, wie sie abstimmen wird, ist eigentlich selbstverständlich, Herr Abgeordneter Dr. Klug, gestatten Sie eine Kollege Wadephul. Hier darf man sich nicht in die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Thomas Karten blicken lassen. Ich möchte aber wissen, was Stritzl? von der Landesregierung seit November, als das Papier der Berliner Koalition im Prinzip auf den Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Tisch gelegt worden ist, im Sinne der Veränderung Bedauerlicherweise habe ich jetzt nur wenig Zeit. von Punkten, die hier von allen Fraktionen ange- Ich kann eine Zwischenfrage jetzt nicht zulassen. mahnt worden sind, in den besagten tagtäglichen Kollege Stritzl kann sich nachher in der Aktuellen Verhandlungen tatsächlich erreicht worden ist. Es Stunde melden. wäre spannend, das zu hören. (Dr. Heiner Garg [FDP]: Er will eh nur fra- (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE gen, wie Pinkwart dazu steht! Das interes- GRÜNEN) siert keine Sau!) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1483

Präsident Martin Kayenburg: dass die Landesregierung in dieser Angelegenheit praktisch in einer Art luftleerem politischen Raum Für die Abgeordneten des SSW erteile ich deren agiert. Vorsitzender, Frau Anke Spoorendonk, das Wort. (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE Anke Spoorendonk [SSW]: GRÜNEN - Lothar Hay [SPD]: Das macht sie doch nicht!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich eine Bemerkung ohne jede in- - Lieber Kollege, aus taktischen Gründen kann ich haltliche Bewertung machen: Wie anders sind doch gut verstehen, was die Landesregierung sagt. Da die Vereinbarungen der letzten Woche im Ver- gibt es keine zwei Meinungen. Sie handelt aber gleich zu denen, die wir mit der Föderalismus- nicht nur für sich, sondern sie handelt für das Land kommission im Jahr 2004 erlebt haben, gelaufen. Schleswig-Holstein. Alles ist ohne Öffentlichkeit und ohne Kommissi- Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass wir onsarbeit gelaufen. Alles ist in einer Spitzenrunde, im Rahmen der Kommissionsarbeit im Jahr 2004 bestehend aus Ministerpräsidenten, Bundesminis- einvernehmlich mit der Landesregierung und mit tern und Fraktionsführern der großen Koalition, ge- Vertretern des Landtages zusammen gesessen und laufen. Hier hat man sich also auf letzte Details der eine Linie festgelegt haben. Keiner will den Hand- Reform geeinigt. Ich sage es noch einmal: Das ge- lungsspielraum der Landesregierung einengen, aber schah hinter geschlossenen Türen und ganz ohne so zu tun, als hätten wir nichts beizutragen, ist - so Beteiligung der Landesparlamente. denke ich - nicht der richtige Weg. Letztes Mal waren die Landesparlamente auch (Beifall beim SSW) nur am Katzentisch dabei. Das wissen wir und das haben wir in diesem Haus auch mehrfach kritisiert. Wir wissen, dass das Grundgesetz in 44 Punkten Sie waren aber mit dabei. Vorgesehen ist nunmehr, geändert werden soll und dass überhaupt nichts dass man sich im Rahmen der kommenden Minis- über die finanziellen Regelungen gesagt worden ist. terpräsidentenkonferenz noch einmal mit diesem Das kommt noch auf uns zu. Einige Experten be- Reformpaket befasst. Der Kanzleramtsminister de fürchten, dass diese zweite Runde nicht stattfinden Maizière hat aber vorsorglich schon einmal eine Art wird. In einem Pressebericht war zu lesen: Drohkulisse aufgebaut. Er sagt, das Paket müsse „Bedenken wurden nicht mit sachlichen Än- zusammenbleiben, weil aus der Reform sonst nichts derungen ausgeräumt, sondern mit Über- werde. Im Klartext heißt das, dass im weiteren par- gangsfristen aus der politischen Aktualität lamentarischen Verfahren keine Änderungen mehr genommen.“ beschlossen werden dürfen oder können. Daher hat es fast Symbolcharakter, dass wir uns heute nur im Das sagt auch etwas über die Hektik aus. Das Bild Rahmen einer Aktuellen Stunde mit der Mutter al- von der heißen Nadel will ich hier nicht bemühen. ler Reformvorhaben auseinander setzen. Konkrete Fehler sind vorprogrammiert. Schwerer wiegt aber unserer Meinung nach, dass es auch zu Ich will redlicherweise aber in Erinnerung rufen, falschen Weichenstellungen gekommen ist, denn dass wir in diesem Haus ein Verfahren laufen ha- die große Koalition in Berlin hat den Verzicht der ben. Am 1. Februar hat nämlich der Innen- und Länder auf die Mitbestimmung bei der Verabschie- Rechtsausschuss beschlossen, dass über den Bericht dung von Bundesgesetzen teuer erkauft. Zum einen der Landesregierung zur Föderalismusreform in ei- kommt der Verdacht auf, dass die große Koalition, ner gemeinsamen Sitzung mit dem Europaaus- auch weil es kein Konnexitätsprinzip auf Bundes- schuss debattiert werden soll. Jetzt kommt die span- ebene gibt, im Auge hat, dass man sich finanziell nende Frage: Schaffen wir es, noch Einfluss auf das vielleicht ein wenig zulasten der Länder sanieren Geschehen zu nehmen? Ich wage, das zu bezwei- könnte, zum anderen sind da die inhaltlichen Berei- feln. Nächste Woche ist aber eine Innen- und che, die schon angesprochen worden sind. Rechtsausschusssitzung angesetzt. Der Umweltbereich hat künftig eine Rahmenge- (Dr. Johann Wadephul [CDU]: Schön, dass setzgebung des Bundes mit großen Abweichmög- darauf hingewiesen wurde!) lichkeiten der Länder. Wie das funktionieren soll, Ich denke, die Reform muss auf jeden Fall zur sehe ich im Moment noch nicht. Ich denke, das ist Sprache gebracht werden. Das sage ich noch einmal schwer zu verkraften. zu unseren eigenen Hausaufgaben. Ich will auch Es gibt nicht nur die Beamtenbesoldung und das nicht verhehlen, dass ich das Verfahren insgesamt Beamtenrecht, sondern es gibt auch die zentralen völlig inakzeptabel finde. Es kann nicht angehen, 1484 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Anke Spoorendonk)

Politikfelder Bildung und Wissenschaft. Es ist für Heimlichtuerei, die späten Nachtsitzungen - wie mich nicht einzusehen, dass der Bund in diesem auch immer man die letzte Runde gestaltet hat - Zukunftsfeld der Bildungs- und Wissenschaftspoli- sind nicht hinnehmbar. Das Augen-zu-und-durch- tik künftig keine Finanzhilfen mehr für Schulen und Verfahren der Koalition mag machttechnisch smart Hochschulen an die Länder geben darf. Ich habe gewesen sein. Aber bei einer zu taktischen Heran- das für den SSW bereits in der letzten Runde ange- gehensweise wird letztlich zu kurz gesprungen. sprochen. Ich denke immer noch, dass das für uns Schleswig-Holstein muss sich engagieren, engagiert ein Knackpunkt ist. Länder wie Baden-Württem- sich auch - wird der Ministerpräsident sagen -, aber berg, Hessen und Bayern mögen ihre Ganztags- man muss es auch mit Nüchternheit und der nötigen schulprogramme ohne Bundesmittel finanzieren Transparenz tun. Für den Landtag sollte Maßstab und umsetzen können; die finanzschwachen Länder aller Entscheidungen das sein, was wir einvernehm- können dies definitiv nicht. Eine solche Föderalis- lich als „Lübecker Erklärung“ verabschiedet haben. musreform ginge also einseitig zulasten der Zu- Das dürfen wir nicht vergessen, liebe Kolleginnen kunftschancen der Kinder und Jugendlichen in den und Kollegen. strukturschwachen Regionen Deutschlands. So deutlich muss man das sagen. (Beifall beim SSW) Soziale Benachteiligung und regionale Ungleich- heit würden sich beim wichtigsten Rohstoff unsere Präsident Martin Kayenburg: Landes, nämlich dem Bildungs- und Wissenskapi- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich der tal, weiter verschärfen. Was also für einige süddeut- Landesregierung das Wort erteile, gestatten Sie mir sche Länder gut ist, ist nicht gut für die Gesamtge- einen kleinen Hinweis. § 32 Abs. 8 unserer Ge- sellschaft und ihre Entwicklung. Ich sagte es be- schäftsordnung macht deutlich, dass eine Aktuelle reits. Ich fürchte, dass der Bund schnelle Ergebnis- Stunde von jedem Redner mit jeweils fünf Minuten se vor gute Ergebnisse setzt und die strukturschwa- zu bestücken ist. Die Anmeldelage der Redezeiten chen Länder die Gunst der Stunde nutzen, um Re- ließ aber erkennen, dass die Fraktionen gewillt wa- gelungen zulasten des Bundesprinzips und der ren, die jeweils fünf Minuten zusammenzufassen. schwachen Länder in der Verfassung festzuschrei- Außerdem steht in § 32 Abs. 8, dass Erklärungen ben. Ich glaube, der Innenminister sagte es schon und Reden nicht abzulesen sind. im Rahmen der letzten Debatte. Wir haben hier ein echtes Nord-Süd-Gefälle oder - wenn man das in (Vereinzelter Beifall) Anführungsstrichen hinzufügen möchte - einen Nachdem die Fraktionen ihre Redezeiten zusam- „Nord-Süd-Konflikt“. mengefasst haben, steht nun selbstverständlich auch Die ganze Reform, die zu Recht Verfassungsrang der Regierung eine Redezeit von zehn Minuten zu. hat, muss einen fairen Ausgleich anstreben, der Ich erteile für die Landesregierung dem Innenmini- über den Tag hinaus Bestand hat und die Stärken ster, Herrn Dr. Ralf Stegner, das Wort. eines föderalen Systems als Ganzes zum Tragen (Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Der kann sein bringt. Das muss die Zielrichtung sein. Das heißt, Manuskript gleich liegen lassen!) es muss für zentrale Aufgaben und für den notwen- - Herr Kollege Klug, auch hier gilt gleiches Recht digen Ausgleich von Strukturschwächen in Rich- für alle. tung eines handlungs- und strategiefähigen Bundes mit vitalen und bürgernah agierenden Ländern in den lebensnahen Politikbereichen gehen. Dr. Ralf Stegner, Innenminister: (Beifall beim SSW) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde das hier gern unter Darum sage ich nicht trotz, sondern wegen der gelegentlichem Blick in die Stichworte vortragen, komplexen Materie, die die Föderalismusreform aber in möglichst freier Rede. darstellt, muss diese im breiten Diskurs, im Bun- destag, im Bundesrat und in der breiten Öffentlich- (Beifall bei der FDP) keit erörtert, erklärt, abgewogen und transparent Sie wissen, dass ich das weniger fürchte als andere. entschieden werden. (Dr. Heiner Garg [FDP]: Das stimmt!) Es muss doch auch erklärbar sein. Die großen Frak- tionen auf Bundesebene haben doch alle Rollen Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Pro- schon durchexerziert. Man muss das doch losgelöst zess der Föderalismusreform, die insgesamt not- von der aktuellen Situation betrachten können. Die wendig und vernünftig ist, schreitet weiter voran. Am 16. Februar 2006 hat in der Tat eine Arbeits- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1485

(Minister Dr. Ralf Stegner) gruppe getagt - das finde ich im Übrigen nicht Anhänger der These, dass man seinen Einfluss ma- spektakulär -, der Vertreter der Bundestagsfraktio- ximiert und nicht minimiert, Frau Kollegin Lütkes. nen, Vertreter der Bundesregierung und auch ein- Bei Ihnen finde ich die Bemerkung schwieriger, bei zelne Vertreter der Länder angehört haben. Sie ha- Herrn Klug verstehe ich das. Der muss ja als Histo- ben dort ein paar Punkte vereinbart, die veröffent- riker weit zurückgucken, wann die FDP das letzte licht worden sind und sich zum Beispiel auf Abwei- Mal exekutive Erfahrung hatte, um das selber aus- chungsbefugnisse der Landesparlamente im Um- zuprobieren. Aber bei Ihnen ist das ja erst kurze weltrecht bezogen. Das ist kritisiert worden, weil Zeit her. Natürlich maximiert man seinen Einfluss. es ja ein Umweltgesetzbuch des Bundes konterka- Das versuchen wir in der Weise zu tun, dass wir rieren könnte. Es ist verabredet worden, dass das nicht vorher sagen, wie wir konkret abstimmen, ob bis 2009 nicht der Fall sein darf. wir uns mit einbringen oder nicht, sondern dass wir sagen, welche Änderungen wir wollen. Dann schaut Des Weiteren ging es um die Frage, wie es mit ab- man, was man hinbekommen kann. Wir werden uns weichenden Regelungen zum bestehenden Verwal- für diese Veränderungen einsetzen und für diese tungsverfahrensrecht steht. Dazu ist gesagt wor- Veränderungen werben. den, dass die Länder bis 2009 nur dann abweichen- des Verfahrensrecht schaffen dürften, wenn der Der Kollege Hay hat auf das strucksche Gesetz hin- Bund seine bereits bestehenden Verfahrensvor- gewiesen. Das Gesetz finde ich sehr einleuchtend. schriften aufgreife und überarbeite. Es ist auch ein Hinweis auf selbstbewussten Parla- mentarismus, dass man nicht davon ausgeht, dass Schließlich hat man sich in der Runde bei dem sen- die Dinge so herauskommen, wie sie hineingegan- siblen Thema Hochschulbaumittel darauf verstän- gen sind. Insofern sind Ansinnen wie die von Herrn digt, dass es dort Veränderungen geben soll, die de Maizière zurückzuweisen. Basta-Politik aus dem auch Lockerungen bedeuten, was die Themen Gerä- Kanzleramt fand ich früher nicht gut, finde ich heu- te, Richtwerte und so etwas angeht, damit nicht nur te immer noch nicht gut und wird es auch nicht ge- Megaprojekte gefördert werden können; denn nicht ben. jede Universität braucht ein Olympiastadion. (Beifall bei SPD und SSW) Das alles ist in dieser Arbeitsgruppe beschlossen worden. Die daraus folgenden konkreten Gesetzes- Denn das werden sich weder die Landesparlamente änderungen, die jetzt mit Begleitgesetzen in Bun- noch der Deutsche Bundestag gefallen lassen und destag und Bundesrat eingebracht werden sollen, auch nicht gefallen lassen dürfen. kennen wir im Detail noch nicht. Deswegen hat Insofern sollten wir auf Veränderungen bei folgen- mich die Medienberichterstattung ein wenig über- den Themen drängen: Erstens. Die Landeszustän- rascht. Es wurde behauptet, es sei alles in trockenen digkeit für die Beamtenbesoldung und -versorgung Tüchern. Frau Kollegin Lütkes, Sie haben ja der birgt das Problem, dass wir Kleinstaaterei bekom- letzten Föderalismuskommission angehört. Insofern men, dass wir mehr Bürokratie bekommen, dass wir fand ich Ihren Beitrag in Teilen ein wenig eigenar- nicht einen Wettbewerb, sondern einen aggressiven tig, denn Sie kennen ja die Mechanismen. Wettbewerbsföderalismus bekommen und dass die Klar ist aber eines: Diese Arbeitsgruppen ersetzen Tarifautonomie und der Flächentarifvertrag im öf- nicht das parlamentarische Verfahren in Bundestag fentlichen Dienst gefährdet werden. Als stellvertre- und Bundesrat. Das steht nämlich im Grundgesetz, tender Vorsitzender der Tarifgemeinschaft deut- das nicht geändert worden ist. scher Länder, der momentan Verhandlungen zu führen hat, kann ich zu diesem Thema nur sagen: (Vereinzelter Beifall bei der SPD) Da gilt die Position, die die Landesregierung auch In dem Sinne - transparenter geht es kaum - hat sich im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat. die Landesregierung - ich durfte das persönlich tun Zweitens. Im Rahmen der Föderalismusreform - am 16. Februar 2006 öffentlich dazu geäußert. wurde versprochen, man wolle die Finanzbezie- Das können Sie im entsprechenden dpa-Text nach- hungen zwischen Bund und Ländern ändern. Das lesen, der verbreitet worden ist. Insofern ist die Fra- sei damit verbunden, das habe man auch der FDP ge, was wir tun, wenn die Gesetzentwürfe kommen, versprochen. Herr Kollege Klug, die Änderungen eine Frage, bei der wir abzuwägen haben, ob das der FDP - fürchte ich - würden wirklich zu der Nie- mit den Interessen Schleswig-Holsteins vereinbar te führen, die wir nicht haben wollen. Richtig ist ist oder nicht. aber, dass wir nicht eine Reform haben wollen nach Da bin ich relativ nahe bei dem, was der Kollege dem Motto: Wo der größte Haufen ist - ich möchte Wadephul hier vorgetragen hat. Ich bin ein großer mich parlamentarisch ausdrücken, Frau Präsiden- 1486 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Minister Dr. Ralf Stegner) tin -, da kommt noch mehr drauf. Wir wollen viel- Die Mutter aller Reformen ist das nicht, was Herr mehr die Chance haben, uns aus eigener Kraft nach Stoiber und Herr Müntefering vorgestellt haben, oben zu bewegen und nicht in die Haushaltsnotlage aber es ist natürlich ein wichtiger Teil des Reform- geraten, in der das Saarland und Bremen schon sind prozesses in unserem Land. Die politische Klasse und wohin Berlin gern möchte - mit einer Klage. wird auch daran gemessen, dass wir ernsthaft ver- Das wollen wir nicht. Wir wollen vielmehr in der suchen, eine Entflechtung vorzunehmen. Das darf Lage sein, beim Hochschulbau oder anderswo mit- aber weder nach dem Motto passieren, dass sich halten zu können. Dafür werden wir uns einsetzen. Schleswig-Holstein als Don Quichotte noch dass Dieses Thema betrachten wir anders als Herr Stoi- sich Schleswig-Holstein als Jubelrufer beteiligt. ber. Der Föderalismus muss insgesamt gestärkt und Beides werden wir nicht tun, sondern wir werden nicht der Vorsprung bestimmter Länder weiter aus- versuchen, uns klug in den Prozess einzubringen, gebaut werden. die Veränderungen zu bewirken, übrigens auch auf anderen Ebenen, auch über die Parteien. Als Mit- Drittens. Es gibt fachliche und politische Probleme glied des Bundesvorstandes meiner Partei versuche bei den Kompetenzverteilungen zum Beispiel im ich, für unsere Position zu werben. Das tun andere Bereich der Umweltpolitik, zum Beispiel beim an anderer Stelle auch, um zu Veränderungen zu Heimrecht, zum Beispiel beim Strafvollzug. Ich bin kommen. Optimist, sonst hätte ich einen anderen Beruf er- griffen. Mir ist noch nie klar gewesen, warum man Herr Kollege Klug, ich bin außerordentlich neugie- sich mit einer Einstellung zurechtfinden soll, die rig. Ich habe in Köln bei der Tagung des Deutschen lautet: Ihr habt ja alle Recht, aber man kann leider Beamtenbundes mit Herrn Westerwelle gesprochen. nichts machen. Das ist für selbstbewusste Parla- Er hat da sehr selbstbewusst in der Art, wie er das mente und Regierungen eine unbefriedigende Aus- immer macht, geredet. Ich habe ihn gefragt: „Wie gangsposition. Man darf in der Wahl der Mittel ge- ist das eigentlich, Herr Parteivorsitzender und Op- schickt sein, aber man darf sich nicht auf die Positi- positionsführer im Deutschen Bundestag, was ma- on reduzieren lassen: alles oder nichts. Dieses alles chen die Regierungen, an denen die FDP beteiligt oder nichts gibt es im Leben fast nirgends. Deswe- ist? Wie stimmen die eigentlich ab?“ Wenn die gen ist es richtig, dass wir im Bildungsbereich auch Länder mit FDP-Regierungsbeteiligung im Bereich Festlegungen kritisch hinterfragen, die de facto aus- des Beamtenrechts, was er da kritisiert hat, gemein- schließen, dass es zukünftig Programme wie die sam mit Schleswig-Holstein für eine Veränderung Ganztagsschulbetreuung geben darf. Das ist nicht sind, dann gibt es keine Zweidrittelmehrheit. - Da sonderlich sinnvoll. Darüber muss man meiner sagte er: „Na ja, Sie dürfen den Einfluss des Partei- Meinung nach reden dürfen. vorsitzenden natürlich auch nicht überschätzen.“ Ich habe gesagt, die Gefahr sähe ich bei ihm nicht. (Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP]) Aber ich frage: Wie ist das eigentlich mit dem selbstbewussten Auftreten? Überlassen Sie es des- Wir haben auf die Reformbedarfe an verschiedenen wegen ruhig der Landesregierung in der gewohnten Stellen hingewiesen. Wir haben darüber gespro- Professionalität zu versuchen, was sie kann, und chen, öffentlich, hochgradig transparent. Der Mini- kümmern Sie sich um die Truppen, auf die Sie Ein- sterpräsident hat in der Ministerpräsidentenkonfe- fluss haben - anders als in Kiel, lieber Herr Klug. renz eine Protokollnotiz abgegeben, die die Position Dann sehen wir, was am Ende dabei herauskommt. der Landesregierung genau beschrieben hat. Frau Spoorendonk, ich möchte ausdrücklich zusa- Bei aller Akzeptanz dessen, was Herr Wadephul gen: Wir werden die Position, die die Landesregie- hier gesagt hat, sage ich, dass das eine wichtige Re- rung einnimmt - und zwar vor der ersten Lesung form ist - wir werden aber auf die Details zu achten und auch vor der zweiten Lesung: ob wir einbrin- haben. gen, ob wir Veränderungen wollen - öffentlich dar- Frau Spoorendonk und Herr Klug haben von der stellen, auch im Plenum, wie sich das gehört. Wir Mutter aller Reformen gesprochen. Na ja, sie werden es nicht verschweigen, es wird transparent wurde ja nun von zwei Vätern vorgestellt. Aus dem sein, auch Ihnen gegenüber. Was aber am Ende ge- Biologieunterricht und eigener, persönlicher An- schieht, werden wir dann entscheiden, wenn es so- schauung muss ich sagen: Kinder werden gesünder weit ist und in der Art und Weise, die wir im Koali- und sehen noch schöner aus, wenn auch Mütter be- tionsvertrag verabredet haben, nämlich gemein- teiligt sind. schaftlich im Kabinett dieser Landesregierung. Ich (Heiterkeit) bin da ganz selbstbewusst, dass das auch öffentlich nachvollzogen wird und dass wir die Interessen der Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1487

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gut vertre- kutieren. Ich freue mich insofern auf die Sitzungen ten werden. des Innen- und Rechtsausschusses. (Beifall bei SPD und CDU) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Vielen Dank, Herr Minister. - Das Wort zu einem Ich danke der Frau Abgeordneten Lütkes. Gibt es weiteren Beitrag hat Frau Abgeordnete Anne Lüt- weitere Wortmeldungen? - Das ist nicht der Fall. kes. Wir sind noch innerhalb der Stunde, weil in Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. diesem Fall die Redezeit der Regierung nicht zählt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 und 36 auf: Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gemeinsame Beratung Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, ich glaube, dass es nicht auf den a) Offshore-Hafen Husum zügig ausbauen Glauben, sondern irgendwann auch auf positives Antrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE Wissen der Bürgerinnen und Bürger ankommen GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW sollte. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Drucksache 16/569 Ich möchte zum Abschluss der Aktuellen Stunde zwei Bemerkungen machen. Erstens danke ich Ih- Antrag der Fraktionen von CDU und SPD nen, Herr Kollege Wadephul, für Ihre pädagogi- Drucksache 16/614 schen Hinweise. Wir lernen ja alle gemeinsam, aber b) Bericht zum Sachstand Husumer Hafen aktuell kommt es auf das Handeln der großen Ko- alition an und weniger auf Erfahrungen anderer Re- Bericht der Landesregierung gierungen. Ich bin aber gern bereit, mit Ihnen ein Drucksache 16/580 anderes Mal zu erörtern, was Sie vielleicht auch aus unserem Handeln lernen könnten. Ich erteile zunächst dem Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr, Herrn Dietrich Auster- Wichtig erscheint mir, dass in der Aktuellen Stunde mann, das Wort. festzuhalten ist, dass nach Aussage des Innenminis- ters die gesamte Presseberichterstattung über das Dietrich Austermann, Minister für Wissenschaft, Geschehnis am 16. Februar diesen Jahres hoch Wirtschaft und Verkehr: übertrieben war. Alle, die sich dazu geäußert haben, haben den Mund zu voll genommen. Die Über- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich schrift „Föderalismusreform: Erfolg der Koalition“ freue mich, dass wir heute wieder einmal ausführ- scheint eine Ankündigung, aber keine Mitteilung zu lich über den Husumer Hafen diskutieren können. sein. Sie waren ja dabei, Herr Minister. Wir wissen Das gibt uns die Gelegenheit, stichhaltige Argu- jetzt auch, dass der Ministerpräsident nicht dabei mente auszutauschen. Leider wird in der Öffent- war. Insofern kann, wie Sie vortragen, da auch noch lichkeit immer wieder der Eindruck vermittelt, wer weiter verhandelt werden. am Lautesten etwas für Husum fordert, meint es mit der Westküste gut, wer der armen Westküste Unter- Ich nehme für meine Fraktion mit, dass der Kanz- stützung nicht gewährt oder scheinbar nicht gewäh- leramtschef, der von mehreren heute hier in der Ak- ren will, ist der Buhmann. Ich glaube, das Thema tuellen Stunde zitiert worden ist, auf die Frage, ob passt manchem gut ins Konzept, um an der Westkü- das Paket noch einmal aufgeschnürt werden dürfe, ste wieder verlorenen Boden gutzumachen. Das ist sagte: nein. Ein Nein ist recht eindeutig, da gibt es verständlich, aber, wie ich glaube, nicht gerechtfer- nichts zu interpretieren. Das Paket mit den jetzt ge- tigt, wenn man tiefer in die Sache einsteigt. troffenen Vereinbarungen zur Föderalismusreform sei zu. Es gebe wie immer viele Einzelinteressen, es Die Vorgeschichte ist schnell erzählt. Die Stadt gebe auch welche, die unzufrieden seien, aber das Husum hat beschlossen, den Hafen auszubauen. Es Gesamtpaket müsse jetzt zusammen bleiben, sonst gab eine Abstimmung zwischen den Städten Hu- werde das nichts. Es seien auch alle dazu entschlos- sum und Brunsbüttel über die Frage, wer welche sen. - Ich stelle fest, diese Aussage ist falsch. In der Aufgaben künftig übernehmen soll. Es wurde ein Arbeitsgruppe ist offensichtlich etwas anderes be- Planfeststellungsverfahren beantragt und beschlos- sprochen worden. Es ist eine Absichtserklärung, sen und es gab einen Planfeststellungsbeschluss. keine Entscheidung. Damit können wir weiter dis- Dieser Planfeststellungsbeschluss endete in einem Klageverfahren und ist insofern noch nicht umge- 1488 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Minister Dietrich Austermann) setzt, weil sich nach wie vor drei oder vier Kläger Gutachten kritisch lesen, müssten Sie eigentlich zu gegen den Ausbau wenden. Die Landesregierung dem Ergebnis kommen, dass es nicht schlüssig ist. hat der Stadt Husum im vergangenen Jahr mitge- Man hat am Anfang lange Ausführungen darüber teilt, dass sie die Ausbauplanung, also die große gemacht, wie Komponenten aussehen, wie Offsho- Lösung, für nicht vertretbar hält. Das ist am 22. Ju- re-Parks aussehen, an welcher Stelle was gemacht ni 2005 im Wirtschaftsausschuss erörtert worden. werden soll, aber dann fehlt eigentlich der Schluss, Wir haben schnellstmögliche Gespräche angeboten dass man sagt, dass man dies über Husum auch tat- und der Stadt gesagt, dass wir bis Ende August sächlich realisieren kann. Es enthält keine belastba- 2005 ein Gutachten in Auftrag geben wollen, das re Dokumentation über Gespräche mit Branchen- eine aktualisierte Angebots- und Bedarfsanalyse für vertretern. Wenn ich will, bekomme ich heute - und den Husumer Hafen erstellen soll. ich denke, die Sprecher der Fraktionen genauso - jederzeit Kontakt zu den Vertretungen von RE- Es gab dazu eine Projektgruppe, die das Thema be- power, von Vestas, von anderen, die zuständig sind. gleiten sollte. Leider hat sich herausgestellt, dass Aber der Gutachter hat es in mehreren Monaten unter der damaligen Führung der Stadt das Thema nicht verstanden, jemanden zu finden, der zu ihm anders gestaltet werden sollte, als wir das wollten. sagt, ich brauche das so, wie du das vorschlägst. Man ging von vornherein davon aus, man möchte Das Gutachten trägt seine eigene Empfehlung nicht. einen großen Offshore-Hafen haben und nicht le- diglich einen Hafen, der für Service ausgelegt sein Im Interesse des Windstandortes Schleswig-Hol- soll. So hat noch am 3. Februar 2006 der neue Bür- stein und ganz besonders im Interesse der Stadt Hu- germeister das Gutachten vorgestellt, das im Ergeb- sum haben wir deshalb dem Husumer Bürgermei- nis eine große Lösung nahe legt, also davon aus- ster gesagt, wir wollen Veränderungen haben, wir geht, dass wir so tun, als wäre Husum neben Bruns- wollen alle Ausbaumaßnahmen vor dem Deich mit büttel der eigentliche Hafen für die Lieferung und 70 % Förderung der Kosten unterstützen. Ich freue den Transport von Komponenten, obwohl das Gut- mich, dass sich die Stadt Husum der Lösung der achten selbst aufzeigt, dass die Voraussetzungen für Vernunft inzwischen anschließt. Das bedeutet den eine große Lösung nur in Teilen gegeben sind. Verzicht auf die Deichverlegung und den überzoge- nen Flächenausbau einschließlich zweier Schwer- Wer das über 60-seitige Gutachten von Anfang bis lastplatten. Wenn man davon ausgeht, die Deich- Ende liest, wird schnell feststellen, dass die Re- struktur bleibt so, wie sie jetzt ist, und baut vor dem striktionen des Hafens zwar erkannt worden sind, Deich aus, werden wir das mit unterstützen. aber nicht hinreichend gewürdigt werden. Die kilo- meterlange Zufahrt zum Hafen, Herr Garg, ist tide- Das bedeutet zugleich, dass dem Ausbau des Ha- abhängig, sie ist vereisungsgefährdet und bei länge- fens als Servicehafen für Offshore-Wirtschaft rer Ostwindlage auch nicht wasserstandsfähig, ist nichts im Weg steht, auch wenn die Opposition das also wasserstandsunsicher. Damit muss man sich nicht wahrhaben will. Der Verzicht auf die Ausbau- auseinander setzen. Man kann den Bürgern nicht option für Großkomponenten wird die Weiterent- dauernd vorgaukeln, es sei alles ideal, man brauche wicklung des Standorts nicht behindern. Durch den nur eine feste Kaianlage. Hier fehlt es vielmehr jetzt geplanten Ausbau des Husumer Hafens wer- schon an den Voraussetzungen. Dazu gehört auch, den nicht nur Hunderte von Arbeitsplätzen der Re- dass eine Schleuse mit einer Breite von 21,5 m zu gion erhalten oder gesichert, es entstehen auch Po- schmal ist, um einen Großteil der infrage kommen- tenziale für neue Arbeitsplätze an der Westküste. den Spezialschiffe aufnehmen zu können. Husum braucht eine Lösung der Vernunft. Das heißt, dass wir den Windstandort Husum weiter Ich sage es also noch einmal, die Voraussetzungen massiv fördern. Niemand kann den Eindruck zu er- sind nicht geeignet, tatsächlich das durchzusetzen, wecken versuchen, dass wir in dem Bereich zu we- was gemacht werden soll. Bei allen Hafenerweite- nig täten. An dem Einsatz hat sich in letzter Zeit rungen gilt in der Regel, dass der Hafen dem Schiff überhaupt nichts geändert. folgt, nicht andersherum. Weil Schiffe immer grö- ßer werden, werden Hafenanlagen in Kiel, Lübeck (Beifall bei CDU und SPD) und anderen geeigneten Häfen kontinuierlich aus- Wir gehen auch verantwortungsbewusst mit den gebaut. In Husum gibt es aber dafür ein natürliches Mitteln um. „Große“ Koalition heißt nicht: mit Limit. Wir können nicht erwarten, dass die Schiffe großem Füllhorn großen Unfug machen. Vielmehr dem Hafen folgen. Deswegen ist es für mich völlig heißt das, sich ganz genau und ganz bewusst anse- unverständlich, warum im Gutachten von den Gut- hen, an welcher Stelle das wenige Geld, das wir ha- achtern der Ausbau des Hafens für Großkomponen- ben, richtig einzusetzen ist. tenschiffe empfohlen worden ist. Wenn Sie das Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1489

(Minister Dietrich Austermann)

Jetzt ist es an der Stadt, umgehend die technischen sind. Die Bürger sind es leid, dass man ihnen etwas und planungsrechtlichen Voraussetzungen für den vorgaukelt und wir den Leuten hinterher sagen Ausbau des Hafens zu schaffen. Ich habe mir in den müssen, was man mit einem leerstehenden Hafen letzten Tagen von der Stadt bestätigen lassen, dass anfangen kann. Wir hätten dann riesige Lagerflä- man einen Ingenieur beauftragt hat, die Kosten für chen, aber keine einzige Komponente für etwas an- die Maßnahmen zu errechnen, die jetzt konkret er- deres. Uns wird gesagt: Ihr von der Landesregie- griffen werden sollen. rung müsst für Umsatz sorgen; der Wirtschaftsmi- nister muss etwas für die Ankurbelung der Wirt- (Ministerpräsident Peter Harry Carstensen schaft tun. Aber wir können doch nicht Schiffe hin- überreicht dem Redner einen Zettel) und herfahren lassen, ohne dass das Sinn macht. So - Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. - Die Be- haben wir uns die Arbeitsteilung nicht vorgestellt. rechnung der Kosten liegt aber noch nicht vor. Wir Ich denke, jetzt muss man mit den Klägern reden gehen davon aus, dass sie in der Größenordnung und zu einem Ergebnis kommen. Ich habe dem von 2 bis 3 Millionen € liegen können. Bürgermeister zugesichert, dass wir weiter Mittel in In einem weiteren Schritt wird die Stadt mit den die Region geben. Ich darf dazu, was in letzter Zeit Klägern, die den Planfeststellungsbeschluss ange- passiert ist, ein paar Dinge stichwortartig anführen: fochten haben, über eine mögliche Klagerücknah- 1,3 Millionen € für zwei Husumer Unternehmen - me verhandeln. Mir wäre sehr daran gelegen, dass Husumer Mineralöl Danish Crown und Schlacht- sich die Stadt bald mit dem Kläger zusammensetzt zentrum -; damit wurden 6 Millionen € Investitio- und man sich darüber einig wird, dass die Klage ge- nen ausgelöst; es wurden 58 neue Arbeitsplätze ge- gen den Planfeststellungsbeschluss zurückgenom- schaffen. 1,85 Millionen € wurden für das Theodor- men wird und der Ausbau so vorgenommen werden Storm-Haus des Nordseemuseums ausgegeben. kann, wie wir es vorschlagen. Bürgerinteressen Weitere Mittel für die Schlossinsel und das Schloss werden dadurch nicht beeinträchtigt. werden hinzukommen. Das alles sind wichtige In- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Was steht auf dem vestitionen in die Infrastruktur des Tourismus. Spickzettel?) Auch dies ist ein Thema, das die Region interessie- ren muss. - Der Spickzettel des Ministerpräsidenten bestätigt, was ich gesagt habe. Der Ministerpräsident hat vor kurzem in Husum den Förderbescheid für den NOB übergeben. Auch (Lachen bei der FDP) dort wurden Arbeitsplätze neu geschaffen. Auch Das unterstreicht auch die gute Kooperation. Was wenn es am Anfang Probleme gegeben hat, denke ich gesagt habe heißt, dass es Gespräche mit den ich, dass das Ganze in die richtige Richtung geht. Firmen nicht gegeben hat. Damit wird noch einmal Wir fördern weiterhin das, was für die Windenergie bestätigt, dass die Firma Vestas die große Ausbau- gemacht werden soll. Diese wird von uns kräftig lösung nicht unterstützt. Nachdem diese Kritik bis- unterstützt. Last, but not least wird Husum von der her nur intern geäußert wurde, sieht sich der Wirt- Landesregierung auch als Gesundheitsstandort un- schaftsrat durch die Haltung von Vestas gezwun- terstützt. Das Kreiskrankenhaus und die Psychiatrie gen, öffentlich für die kleine Ausbaulösung einzu- werden kräftig mit finanziellen Mitteln unterstützt. treten. Das bestätigt, was ich gesagt habe, dass es nämlich Bemühungen der Unternehmen bisher Bei mir war vor kurzem der Vertreter der Messege- nicht gegeben hat, die besagen: Wir wollen den sellschaft. Ich habe ihm gesagt: Wir nehmen den großen Ausbau. Den wollte keiner. Das ist eine Wettbewerb mit den in Hamburg und Bremerhaven Schimäre. Den Ausbau gibt es nicht. begonnenen Überlegungen auf, indem wir dafür sorgen, dass Husum der Weltmessestandort für (Dr. Heiner Garg [FDP]: Warum ist das eine Windenergie bleibt. Schimäre?) (Beifall bei CDU und SPD) - Man bekommt zu jedem Thema unterschiedliche Aussagen. Das gilt auch für diesen Fall. Dafür ergreifen wir auch die entsprechenden Maß- nahmen. In den Messestandort muss also kräftig in- Ich sage nur: Wir brauchen einen Ausbau, der ver- vestiert werden. nünftig ist und für den Geld einzusetzen ebenfalls vernünftig ist. Herr Garg, Sie werden mit dem The- Wie Sie sehen, meine Damen und Herren, hat eine ma „Husumer Hafen“ auch in der Region Nord- erfolgreiche Regionalpolitik mehrere Standbeine. friesland keinen Blumentopf mehr gewinnen, wenn Die Region Husum hat vielfältige Chancen, die wir Sie weiterhin für die Position eines großen Ausbaus alle nutzen. Treten Sie dabei mit uns gemeinsam für 1490 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Minister Dietrich Austermann) eine Lösung der Vernunft ein. Unterstützen Sie die zwischen der Stadt und der Landesregierung gege- Landesregierung weiterhin bei dem zielstrebigen ben hat, wurde eine so genannte Projektgruppe in- Vorgehen in Richtung Stärkung der Struktur der stalliert. Diese hat die Arbeit der Experten begleitet, Westküste. hinterfragt, diskutiert und gespiegelt. In dieser Gruppe waren von Anfang an neben der Stadt, der (Beifall bei CDU und SPD) Wirtschaftsförderung, dem Projektsteuerer und dem Amt für ländliche Räume auch zwei Mitarbeiter des Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Wirtschaftsministeriums beteiligt. Deren Arbeit Vielen Dank, Herr Minister, für den Bericht. wurde von der Investitionsbank moderiert. Es gab also die besten Voraussetzungen, um zu einem kon- Bevor ich die Aussprache eröffne, begrüße ich auf sensualen Ergebnis zu kommen. der Tribüne eine Delegation der Stadt Husum unter der Leitung des stellvertretenden Bürgermeisters Liebe Kolleginnen und Kollegen, Aufgabe der Be- Herrn Pietrzik sowie Teilnehmer eines Agrarsemi- gleitung war, den Prozess des Gutachtens kritisch nars bei der Landwirtschaftskammer Schleswig- zu begleiten und voranzubringen. Dafür hatte man Holstein. - Seien Sie uns herzlich willkommen! miteinander Spielregeln vereinbart. Während der Erarbeitung wurden von den Vertretern des Wirt- (Beifall) schaftsministeriums das Vorgehen und die Methode Das Wort erteile ich jetzt für den Antragsteller der Begutachtung nicht infrage gestellt. Dies gesch- Herrn Abgeordneten Klaus Müller von BÜNDNIS ah erst nach Vorlage des Gutachtens und, so speku- 90/DIE GRÜNEN. liere ich, vermutlich erst nach einer erfolgten Ab- sprache im Ministerium, vielleicht sogar mit der Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hausleitung selbst. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Damen Nun zu Qualität und Zielsetzung des Gutachtens. und Herren! Wenn die Lage nicht so ernst wäre und Der erste Satz zum Gutachten auf Seite 2 des Be- es dort tatsächlich nicht um viele Arbeitsplätze, richts des Wirtschaftsministeriums ist schlicht eine Wirtschaftsentwicklung und Schicksale ginge, Frechheit. Es hat nämlich sehr wohl einen Konsens könnte man den uns heute vorliegenden Bericht der über Zielrichtung und Qualität des Gutachtens ge- Landesregierung als schlechten Scherz verstehen. geben. Nur wurde er nachträglich wieder aufgekün- digt. Zwischen Stadt und Land wurde vereinbart, Ich habe auch nach der Rede des Wirtschaftsminis- dass man das Ergebnis anerkennen werde. Nach ters leider nicht den Eindruck, dass man ein ernst- meinem Eindruck passt hier jemandem das Ergeb- haftes Interesse an einem vernünftigen Ausbau des nis des Gutachtens nicht. Deshalb wird nachträglich Husumer Hafens für Offshore, Servicewartung und daran herumkritisiert. Reparatur hat. Wenn Sie mit den Menschen vor Ort redeten, würden Sie eine ganz andere Welt erleben, Dass Husum neben Service und Wartung auch als Sie mit dem Bericht und Ihrem heutigen Rede- Windkraftanlagenhersteller anlocken möchte, ist le- beitrag hier vermitteln wollen. gitim. Das machen alle Gemeinden, die ihren Ge- werbestandort stärken wollen. Husum hat dafür Ich sage deutlich: Ich teile nicht die Einschätzung Standortvorteile. Darauf komme ich gleich noch zu des Antrags von CDU und SPD der sagt, hier gebe sprechen. Die Auseinandersetzung darüber, dass es eine Einigung zwischen der Landesregierung akzeptiert wurde, dass es keine Komponentenher- und der Stadt Husum. Mir liegen andere Informa- stellung gibt, müssen wir nicht erneut führen. Das tionen vor. Ich bin gespannt auf die Diskussion im hat die Stadt Husum, wenn auch schmerzhaft, ak- Wirtschaftsausschuss. Da werden wir die Beteilig- zeptiert. ten alle an einen Tisch holen. Ich glaube, der eine oder andere wird ein blaues Wunder erleben. Wir reden über die Frage: Was sind eigentlich Ser- vice, Wartung und Reparatur an dieser Stelle? (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP) Bezüglich der Aussage des Ministeriums, die in dem Schreiben vom 17. Januar 2006 an den Bürger- Aufgrund des Weglassens von Tatsachen in diesem meister der Stadt Husum mehrfach zitiert wird, hat so genannten Sachstandsbericht wird der Eindruck man durchaus Zweifel, ob das Thema seitens des vermittelt, als hätten die Gutachter unabhängig Wirtschaftsministeriums korrekt, gut und fair be- und nicht rückgekoppelt vor sich hingearbeitet und handelt worden ist. Neben den im Bericht zitierten das Ergebnis einer erstaunten Öffentlichkeit präsen- Passagen äußert sich Herr Minister Austermann - tiert. Das ist mitnichten so gewesen. Gerade weil es man muss das Schreiben an den Bürgermeister unterschiedliche Auffassungen, die bekannt waren, Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1491

(Klaus Müller) komplett lesen - in gewohnt deftiger Form. Ich zi- parieren zu können. Das macht einen Reparatur- tiere: Das Gutachten ist eine „Zumutung“, eine hafen aus. Und ich halte dies für erforderlich und „wenig seriöse Arbeit“. Soweit zu den diplomati- notwendig. schen Formulierungskünsten unseres Wirtschafts- (Beifall beim SSW) ministers. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht hier aller- (Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup dings nicht nur um den Husumer Hafen. Wir müs- [SPD]) sen die Diskussion im Rahmen einer Offshore-Stra- - Nein, du hast das Gutachten bestimmt nicht gele- tegie für Schleswig-Holstein führen. Hier relativie- sen, lieber Kollege Astrup. ren sich die Nachteile, die Herr Minister Auster- mann gerade aufgeführt hat. Es treten die besonde- Der Wirtschaftsminister warnt vor falschen ren Stärken gerade in und rund um Husum hervor. Schlussfolgerungen, die zu einer nicht zu verant- Denn es gibt hier genehmigte Offshore-Bauplätze wortenden Hafenplanung führen würden, und wür- mit einer kurzen Distanz, mit einer schon vorhande- de gern eine schriftliche Zusicherung potenzieller nen Infrastruktur in Husum, mit einer sehr weitge- Nutzer erhalten. Einmal abgesehen davon, dass es henden Akzeptanz der Bevölkerung. Das alles sind kaum einen Fall gibt, wo vergleichbare Ansprüche positive Faktoren, die durch die bremsende Haltung an Investitions- und Infrastrukturvorhaben gestellt der Landesregierung gehemmt und behindert wer- worden sind, ist gerade der schrittweise Ausbau die den. richtige und schlaue Antwort auf ein berechtigtes Anliegen. Dieser Empfehlung will die Stadt Husum Der geplante ursprüngliche Ausbau ist ein wichti- nach meinen Informationen auch grundsätzlich fol- ger Baustein im Offshore-Windcluster neben NEP- gen. Derzeit laufen in Husum Planungen und Un- TUN, BZEE, windcomm, CEwind, den Onshore- tersuchungen, ob in einem ersten Schritt auf eine Testfeldern in Tarp-Eggebek und so weiter. Wenn Deichverschiebung verzichtet werden könnte. Von wir also in Husum den Hafen - vielleicht auch nicht einer Einigung ist mir an dieser Stelle aber noch nach der ursprünglichen Planung; auch wenn ich nichts bekannt. das besser gefunden hätte - in einer vernünftigen Art und Weise mit Service, Wartung und Reparatur (Beifall beim SSW) ausbauen, dann kommen wir voran, dann ist Husum Sollte man tatsächlich auf diese verzichten, ist jetzt die richtige Wahl. Leider hat Minister Austermann schon klar, dass andere Maßnahmen nötig werden, sich zu so einer vernünftigen, akzeptablen Lösung wie zum Beispiel eine geringe Deichverschiebung eben nicht bekannt. Er hat es wiederum klein gere- oder eine zweite Deichöffnung in diesem Bereich. det und das finde ich bedenklich und traurig. Dieses steht dann aber weiteren Ausbauschritten in (Zurufe von der CDU) der Zukunft entgegen beziehungsweise würde diese dann schlicht verteuern. Es gibt jetzt keine Zeit mehr zu verlieren, denn die- se Investitionsentscheidung ist immer auch mit ei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe den Ein- nem Risiko verbunden. Andere Häfen, andere Städ- druck, hinter dieser Diskussion verbirgt sich eine te warten nicht, bis hier die Konflikte zwischen der sehr schwierige und auch nicht ganz faire Debatte Landesregierung und der Stadt Husum gelöst wor- darüber, was ein Service- und Wartungshafen tat- den sind. sächlich ist. Herr Buder, Herr Schröder, Frau Sassen und Herr (Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Arp haben sich in ihren Pressemitteilungen vom 3. NEN]: Genau!) Februar 2006 bereits gefreut, dass es ein Einverneh- Dass in dem Antrag der großen Koalition, der uns men zwischen Minister Austermann und der Stadt heute neben dem Antrag der drei Oppositionspartei- Husum gebe. Ich befürchte, dass sie sich hier zu en vorliegt, nicht mehr von Reparatur die Rede ist, früh gefreut haben. Denn in der Pressemitteilung obwohl wir dieses ausführlich nach all den Diskus- vom 17. Februar 2006 erklären die Stadtvertreter sionen in Husum aufgeführt haben, lässt Schlimmes von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und ahnen. Wenn es nur darum gehen soll, in Husum ei- FDP, dass sie eine Deichverlegung für zwingend ne Station und Büros zu haben, wo dann jemand halten und die Landesregierung mit ihren Erklärun- mit einem kleinen Schiffchen hin- und herfahren gen „massiv dem öffentlichen Interesse an der För- kann, um nachzugucken, wie es da aussieht, ist das derung der Westküste und der Schaffung von Ar- für die Region zu wenig. Das reicht nicht. Es geht beitsmöglichkeiten und insbesondere dem Interesse darum, auch Flächen und Infrastruktur zu schaffen, der Stadt Husum“ geschadet habe. um zum Beispiel ein Rotorblatt oder Ähnliches re- 1492 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Klaus Müller)

Diese Landesregierung hat sich immer groß die Po- shore-Bereich insgesamt erst am Anfang seiner litik mit den Menschen auf die Fahnen geschrieben. Entwicklung steht und die zu erwartenden Anforde- Die Menschen in Husum haben zurzeit leider allen rungen an die Häfen als Standorte für Produktion, Grund, diese Ankündigung in den Wind zu schrei- Montage und Verschiffung sowie für Service, War- ben. tung und Reparatur gegenwärtig noch nicht voll- ständig abzusehen sind. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW) Die Hersteller von Offshore-Windanlagen werden sich für Verschiffung, Wartung, Service und Repa- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: ratur jenen Häfen zuwenden, bei denen möglichst wenige beziehungsweise keine Einschränkungen Das Wort für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeord- bestehen. Das ist ein Zitat aus dem Gutachten. Weil nete Ursula Sassen. der Husumer Hafen laut Gutachten wegen der be- sonderen Zufahrtsverhältnisse - Wassertiefe, Ursula Sassen [CDU]: Schiffsgrößen, zeitliche Erreichbarkeit - an sehr Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! spezielle und kostenintensive Montage- und Trans- Die Stadt Husum hat die Zeichen der Zeit erkannt porttechnologien gebunden ist, werden die von der und die Chancen der Windenergie als ein wichtiges Landesregierung geäußerten Bedenken bestätigt, Segment im Energiemix für sich genutzt. Die Off- dass Husum für die Verschiffung von Schwerkom- shore-Windenergie eröffnet zusätzliche Kapazitä- petenten nicht geeignet ist. ten, den Windenergie-Standort Husum weiter zu Es wurde immer wieder bemängelt, dass Husum stärken und Arbeits- und Ausbildungsplätze zu er- bisher keine schlüssige Bedarfsanalyse vorlegt hat, halten und neue zu schaffen. die den Ausbau des Husumer Hafens zum Offsho- Es ist daher nachvollziehbar, dass die Stadt Husum re-Hafen fordert. Eine überzeugende Bedarfsanaly- den Ausbau ihres Hafens beabsichtigt, um der Off- se konnte auch das nun vorliegende Gutachten - shore-Industrie bessere Entwicklungsmöglichkeiten eben weil Neuland betreten wird - nicht liefern. am Standort sowie günstigere Bedingungen für die Dennoch hat Husum gute Chancen, als Basishafen logistische Unterstützung von Bau und Wartung der für Service und Wartung von den Windenergieanla- Offshore-Anlagen zu bieten. gen-Produzenten genutzt zu werden. (Dr. Heiner Garg [FDP]: Wofür sind Sie?) (Dr. Heiner Garg [FDP]: Das hat dir Auster- mann aufgeschrieben!) Dies wurde von Teilen der vorherigen Landesregie- rung nahezu euphorisch unterstützt, sodass kritische Schon jetzt verfügt Husum über ein großes Potenti- Punkte nicht sorgfältig genug hinterfragt wurden. al von Fach- und Servicepersonal für die Windener- Zu Recht hatte sich Husum daher Hoffnungen auf giebranche. einen großen Ausbau des Hafens gemacht. Infolge- Die vergleichsweise geringe Entfernung zu einer dessen stellte die Stadt Husum am 20. Juli 2004 Reihe von Windparks in der Nordsee ist ein weite- einen Antrag auf Planfeststellung für den ,,Ausbau rer Standortvorteil für den Offshore-Service-Ha- und Betrieb des Husumer Hafens zum Service-Ha- fen Husum, für dessen Entwicklung es aber noch fen für Offshore-Zwecke“. großer Anstrengungen und der Ansiedlungs- und Aufgrund des ernüchternden Ergebnisses des Kas- Nutzungsbereitschaft von Windenergieunterneh- sensturzes nach der Regierungsübernahme hat die men bedarf. Diese haben sich bislang nur sehr zö- jetzige große Koalition, losgelöst von primär ideo- gerlich geäußert. Das macht es einerseits für Hu- logisch geprägten Zielvorstellungen, auch das Pro- sum schwer, den Bedarf zu ermitteln und anderer- jekt ,,Husumer Hafen“ unter die Lupe genommen seits macht es das für das Land schwer, in einen und Bedenken geäußert. Es stellte sich die Frage, Hafenausbau zu investieren, ohne zu wissen, ob ei- ob der tideabhängige Husumer Hafen überhaupt zur ne Auslastung des Offshore-Hafens Husum mög- Verschiffung von Großkomponenten geeignet lich ist. Klare Worte der Wirtschaft wären hilfreich sei, zumal Brunsbüttel bereits über geeignete infra- gewesen. und suprastrukturelle Voraussetzungen für die Ver- Die Schwierigkeit besteht nun darin, Balance zwi- schiffung von Komponenten verfügt. Darüber und schen dem vertretbaren Einsatz öffentlicher Mittel über vieles andere sollte das neue Gutachten der und einem attraktiven Ausbau zum Offshore-Ser- Baltic Marine Consult Auskunft geben. vice-Hafen zu halten, damit Husum und die Region Im Gutachten wird mehrfach darauf hingewiesen - von den Entwicklungschancen des Offshore-Wind- da sehe ich auch die Problematik -, dass der Off- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1493

(Ursula Sassen) energiemarktes profitieren und die Ansiedlung wei- zukommt. Das Märchen, das wir ständig über die terer Betriebe erfolgen kann. Benachteiligung und Vernachlässigung der West- küste hören, stellt sich nun wirklich als Märchen Am 3. Februar 2006 hat Bürgermeister Maaß das dar. In meiner kurzen Zeit hier im Parlament haben Gutachten der Baltic Marine Consult im Husumer wir schon mehrfach ausführlich über die Westküste Rathaus vorgestellt und erklärt - ich war dabei -, diskutiert, und das können wir auch heute am Bei- dass sich die Stadt Husum und die Landesregierung spiel der Stadt Husum und der Pläne der Stadt Hu- darauf verständigt hätten, den Husumer Hafen als sum im Hinblick auf den Ausbau des Hafens und Offshore-Hafen für Service und Wartung am Be- der Zurverfügungstellung und Zusage von Förder- darf orientiert auszubauen, was stufenweise gesche- mitteln wieder feststellen. hen könne. Die Aussage des Wirtschaftsministers, alle förde- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Aber geglaubt hat rungsfähigen Kosten zum Ausbau vor dem Deich man das nicht!) zu 70 % zu fördern, ist ausgesprochen konkret. Dies gibt der Stadt Husum die Möglichkeit, den Darauf kann man sich dann auch berufen. Auch der Ausbau nachfragegerecht vorzunehmen, den Bedarf Hinweis auf den eigentlichen Ausbauzweck, näm- zu konkretisieren und ein attraktiver Partner der lich die vornehmliche Aufgabe als Servicehafen für Offshore-Branche zu werden. die Offshore-Versorgung unterstützt die Stadt Hu- Ich bin überzeugt, dass auch die vorherige Landes- sum in ihrem Bestreben, den Windkraftstandort Hu- regierung gelegentlich Unbehagen ob der ehrgeizi- sum nachhaltig zu sichern und den dort ansässigen gen Ausbaupläne gehabt hat, sonst hätte sie die För- Windkraftunternehmen Standortsicherheit zu bie- dermittel längst freigegeben und diese Entschei- ten. dung nicht der neuen Landesregierung überlassen. Ich will das einmal auf das Auto übertragen. Wenn Vielleicht gelingt es der Stadt Husum aufgrund der ich mit meinem Auto in die Servicewerkstatt fahre, veränderten Gegebenheiten, eine Rücknahme der dann wird das Auto dort repariert. Wenn es so ka- Anfechtungsklagen gegen den Planfeststellungsbe- putt ist, dass es nicht mehr repariert werden kann, schluss vom 21. Februar 2005 zu erreichen, damit dann kaufe ich mir ein anderes Auto. Das wird aber Husum den Standortvorteil, den es hat, nicht durch nicht in der Servicewerkstatt hergestellt, sondern an Zeitverzögerung verliert. Dafür werden wir uns ein- einem anderen Ort. setzen. Vizepräsidentin Frauke Tengler: (Beifall bei CDU und SPD) Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- Vizepräsidentin Frauke Tengler: ordneten Klaus Müller, Herr Buder? Ich danke der Frau Abgeordneten Sassen. Ich ertei- Detlef Buder [SPD]: le nun für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Detlef Buder das Wort. Ja, bitte! Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Detlef Buder [SPD]: NEN]: Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dass Sie aber mit dem Auto dann auch das Eine Vorbemerkung: Ich bin gebeten worden, den Ziel erreichen können müssen? Kollegen Müller an die aktiven Arbeitsplatzbemü- (Heiterkeit) hungen in Blankensee zu erinnern und möchte das Um bei dem Beispiel zu bleiben: Das heißt, von dieser Stelle aus auch tun. Sie können sich ja dass Sie eine Logistik haben müssen, um bei- dann mit dem Abgeordneten Schröder darüber ins spielsweise mit Rotorblättern in den Hafen Benehmen setzen. hineinzukommen, um sie reparieren zu kön- (Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen. NEN]: Das ist aber nicht vergleichbar!) - Wissen Sie, wenn beispielsweise die Mühle repa- Auch dieser Tagesordnungspunkt, den wir jetzt zu riert wird, besprechen haben, zeigt, dass das Parlament und (Heiterkeit) die Regierung die Interessen der Westküste ernst nehmen. Das wollen wir heute wieder einmal fest- dann wird sie nicht auf See abgebaut und nach Hu- stellen. Das zeigt auch die hervorragende Beach- sum transportiert, sondern es werden Komponenten tung, die diesem Landstrich seitens des Parlamentes nach Husum transportiert und dort repariert. Wenn 1494 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Detlef Buder) es um das Reparieren von Flügeln geht, dann bin Meine Damen und Herren und Herr Müller, der ge- ich davon unterrichtet worden, dass man diese Flü- samte Vorgang im Zusammenhang mit dem Hafen gel wahrscheinlich abbaut und neue Flügel dahin Husum ist doch nicht so zu sehen, dass ein für alle transportiert. Die alten Flügel werden dann ver- Mal alle Diskussionen abgeschlossen sind, sondern schrottet. Es geht hier um Komponenten, die sich es ist alles ein fließender Prozess. Auch das, was innerhalb der Gondeln befinden. Diese Komponen- die Landesregierung dazu sagt, spiegelt das sehr ten können von Husum aus ohne Zweifel transpor- deutlich wider. Wenn der Wirtschaftsminister der tiert werden und dort auch dem Service zugeführt Meinung ist, dass im Moment die Planung so vor- werden. genommen werden sollte, dass zunächst der erste Schritt gemacht werden soll, dann ist das nur zu un- (Beifall bei SPD und CDU) terstützen. Wir können heute noch nicht abschließend sagen, (Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Die SPD vor Ort welche Ausbauschritte später nötig sein werden. sieht das aber anders!) Deshalb ist es richtig, dass zunächst entsprechend dem aktuellen Bedarf ausgebaut wird. Der Weg für - Die SPD vor Ort sieht - wenn sie sich mit ihr un- einen weiteren Ausbau ist jedoch frei, wenn dies terhalten - den Weg Schritt für Schritt auch als später sinnvoll und notwendig werden sollte. Es möglichen Ausbauweg an und sie sieht, dass der werden keine Wege verstellt. Somit betrachten wir Ausbau des Hafens auch noch nicht am Ende ange- den Vorschlag der Regierung und die Interpretation kommen ist. Das sehen wir auch so. Das sieht so- des Gutachtens zum Hafenausbau als offene Stu- wohl das Gutachten, das sieht auch der Minister, fenlösung, die von der Stadt Husum offensiv ge- das sieht auch die Landesregierung so. Alle sind der nutzt werden sollte. Meinung, wir machen erst den ersten Schritt und später den zweiten. Wir machen nicht den zweiten Sicher ist ab heute: Der Hafen Husum wird ausge- Schritt vor dem ersten. baut und den wirtschaftlichen Erfordernissen ange- passt, damit die Stadt Husum den im Hafen ange- (Beifall bei der SPD) siedelten Unternehmen eine weitere Nutzung der Im Gegensatz zu Herrn Klug bewegt die SPD also geplanten Infrastruktur sowie des angrenzenden etwas in diesem Fall und sie versucht, die verfahre- Gewerbegebietes für eine Offshore-Versorgung an- ne Situation dort wieder in die rechten Bahnen zu bieten kann. lenken. Die Diskussion über die Verschiffung von sehr Also: Wesentliche Voraussetzungen für eine Wei- großen Konstruktionsteilen ist jedoch noch nicht terentwicklung des Husumer Hafens sind auf den abgeschlossen. So etwas ist durch die derzeitige Weg gebracht worden und die entsprechenden Fi- Planung auch nicht ausgeschlossen. Herr Müller, es nanzmittel stehen zur Verfügung. Das steht fest. sind hier überhaupt keine Wege versperrt, sondern Wir müssen allerdings außerdem berücksichtigen, man macht hier, wie bei jeder vernünftigen Pla- dass dann, wenn die Husumer Westtangente end- nung, Schritt für Schritt. gültig fertig ist, die Komponenten auf der Südseite Das ist also noch nicht abgeschlossen; das soll hier verschifft werden müssen. Dem dient natürlich nicht verschwiegen werden. Die technischen De- auch der Ausbau an dieser Stelle. tails stehen also noch zur Klärung an. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mit dem Dieser Klärung dient auch das laufende Planfest- Ausbau, wie er jetzt vonseiten des Landes gefördert stellungsverfahren, das aus meiner Sicht zügig zum wird, haben die Stadt Husum und die umliegenden Abschluss gebracht werden sollte. Hier sind das Gemeinden alle Möglichkeiten, das wirtschaftliche Amt für ländliche Räume, aber auch der Einigungs- Profil zu stärken. Service für den Offshore-Bereich wille der Kläger gegen dieses Vorhaben und die soll und kann von Husum aus geleistet werden. Der Stadt Husum gefragt. Dass hierbei der Deich und gesamte Bereich der wirtschaftsnahen Dienstlei- seine mögliche Verlegung eine gewisse Rolle spie- stungen kann auch ausgebaut werden. len kann, ist unbestritten, Die Entwicklungen im Bereich der Meereswirt- (Beifall des Abgeordneten Klaus Müller schaft gehen weit über Offshore-Windanlagen hin- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) aus. Aqua- und Marikultur, Serviceleistungen im Zusammenhang mit Schiffs- und Bootsbau, For- sollte also noch einmal intensiv diskutiert werden. schungsvorhaben, Weiterentwicklungen im Bereich Küstenschutz und Lärmschutz und auch Flächen- des naturnahen Tourismus, Technologieentwick- vergrößerung sind infrage stehende Optionen. lung für die Meeresnutzung von Morgen und viele Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1495

(Detlef Buder) andere Möglichkeiten können den Husumer Hafen, Detlef Buder [SPD]: die Stadt Husum und die umliegende Region stär- Ja, ich komme zum Schluss. - Wenn gewährleistet ken. werden kann, dass Projekte von der Stadt Husum Ich habe viel Verständnis für den Wunsch der Hu- und der umliegenden Region zur Verfügung gestellt sumer, ihren Hafen auch für die Verschiffung von werden, dann wird auch sichergestellt sein, dass Großkomponenten zur Verfügung zu stellen. Als diese Projekte zur wirtschaftlichen Entwicklung Landespolitiker schaue ich aber auch darauf, wie beitragen und dass die Landesregierung und natür- realistisch damit verbundene Hoffnungen und Er- lich auch das Parlament diese Projekte geldlich för- wartungen sind. Dabei kann ich dann auch zu ande- dern. ren Einschätzungen als die örtlichen Politiker kom- (Beifall bei der CDU) men. Mit der offenen Stufenlösung halten wir uns den Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Weg für einen späteren weiteren Ausbau frei, wenn sich herausstellen sollte, dass der Hafen den tat- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Buder. - Für sächlichen Anforderungen nicht mehr genügen soll- die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Garg te. Jetzt muss es darum gehen, auf der Grundlage das Wort. Ich sage mit Blick auf die Zeit: Sie müs- der Gegebenheiten vor Ort einen maßvollen und an- sen nicht alle zehn Minuten reden, aber Sie dürfen gemessenen Ausbau umzusetzen. Der Ausbau ohne selbstverständlich. - Bitte sehr. Deichverlegung wird Millioneninvestitionen in die Region bringen. Er wird die Voraussetzungen dafür Dr. Heiner Garg [FDP]: schaffen, dass die Entwicklung Husums und des Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kolle- Husumer Umlands weitergehen kann. Wir betrei- gen! Mal sehen, ob wir innerhalb der zehn Minuten ben damit Standortsicherung für Unternehmen zu- bleiben können. kunftsträchtiger Technologien, erhalten Ar- beitsplätze und sorgen möglicherweise für weitere Ich muss mich doch sehr wundern, was hier zum Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe und im Teil von Lokalvertretern geäußert wurde. Liebe dazugehörigen Dienstleistungsbereich. Damit errei- Kollegin Sassen, Sie waren nicht als Einzige bei der chen wir sehr deutlich die Schwerpunkte des Wirt- Präsentation. Ich war auch dabei. Einen Vertreter schaftsprogramms „Innovations- und wissen- des Wirtschaftsministeriums habe ich schmerzlich schaftsbasierte Wirtschaft, Ausbau von Kompetenz- vermisst, an den zum Beispiel fachliche Fragen hät- zentren und Technologietransfer“. ten gerichtet werden können. Aber vorsichtshalber war keiner anwesend. Natürlich gibt es auch eine Zeit vor dem Ausbau des Außenhafens. Diese Zeit wurde intensiv dazu Und, liebe Frau Sassen: Die Haushaltslage kam - genutzt, den Binnenhafen für touristische Zwecke was mich überrascht - für die Union sehr überra- nutzbar zu gestalten. Insbesondere die Kaianlagen schend. Wer hat eigentlich in den letzten 17 Jahren mit dazugehöriger Straße haben davon profitiert. Oppositionspolitik gemacht und kannte die Haus- Ein wesentliches wirtschaftliches Standbein Hu- haltslage jedenfalls zu Zeiten ihrer Opposition? sums, der Tourismus, wurde dadurch nachhaltig ge- Jetzt überrascht Sie die Finanzlage. stärkt und die Attraktivität des Hafens gesteigert, (Zuruf der Abgeordneten Ursula Sassen zum Beispiel durch die Errichtung von Gaststätten [CDU]) und zugänglicher Flanierflächen. Sie müssen sich entscheiden, Frau Sassen: Soll der Diese Richtung sollte jetzt weiter verfolgt werden. Hafen nicht ausgebaut werden, weil kein Geld da Die Stadt hat hier Projekte vorzuschlagen, die die ist, oder soll der Hafen nicht ausgebaut werden, wirtschaftliche Entwicklung beflügeln, zukunfts- weil er sich nicht zum Ausbau eignet? Eine dieser weisend sind und Arbeitsplätze schaffen. beiden Versionen wäre die ehrlichere. (Dr. Heiner Garg [FDP]: Amen!) (Beifall bei FDP und SSW) - Nicht Amen. Vielmehr stellt gerade hier der Aus- Ich wundere mich auch ein bisschen über den Kol- bau des Tourismus für die wirtschaftliche Entwick- legen Buder. Für ihn ist die Deichverlegung nach lung eine ganz wesentliche Möglichkeit dar. wie vor ein Thema. Herr Minister Austermann, ist für Sie die Deichverlegung auch noch ein Thema? - Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Ich habe Sie so verstanden, dass die Deichverle- Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Buder. gung für Sie definitiv kein Thema mehr ist. Ich 1496 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Dr. Heiner Garg) komme gleich zu Ihrem stufenoffenen Ausbau oder Dann wurde Herr Austermann Minister und ver- was auch immer. warf die Husumer Pläne. Er erklärte, das Land sei nicht mehr bereit, den Husumer Hafen groß auszu- Aber, Frau Sassen, Sie haben gesagt, die Vorgän- bauen und dafür 9 Millionen € zu bezahlen; das gerregierung müsste bei dem, was sie an Ausbau- Land wolle nur noch 3,5 Millionen € für einen klei- plänen in der letzten Legislaturperiode beschlossen nen Ausbau bezahlen. Warum? - Angeblich, liebe hat, Bauchschmerzen haben. Ich würde gern ein Kolleginnen und Kollegen, weil Husum auch die Mitglied der Vorgängerregierung fragen, das den Verschiffung von großen Bauteilen eingeplant und Wahlkreis Nordfriesland noch für seine Partei re- damit die gemeinsame Erklärung Brunsbüttels und präsentiert. Das ist die Sozialministerin Gitta Trau- Husums verletzt habe. Ich sage „angeblich“, weil ernicht, die ja Abgeordnete von Nordfriesland ist. dieser Grund offensichtlich vorgeschoben ist. Hier- Bedauerlicherweise ist sie nicht da, ich kann sie al- zu zitiere ich mit Erlaubnis der Frau Präsidentin aus so nicht fragen, ob sie bei dem, was die Vorgänger- besagter Erklärung: regierung beschlossen hat, Bauchschmerzen hat. „Husum positioniert sich allein als Hafen für (Zurufe von der CDU) Service und Wartung.“ - Tut mir Leid. Fakt jedenfalls ist eines, Herr Bu- „Allein“ bedeutet hier eindeutig Service und War- der, und dabei bin ich mir ziemlich sicher: Das, was tung nur aus Husum und nicht aus Brunsbüttel. - Sie mit Unterstützung der Kollegin Sassen hier als Ich zitiere weiter: offene Stufenlösung vorgetragen haben, ist für mich nichts anderes als eine zweitklassige Beerdi- „Zur Ersterrichtung … positioniert sich Hu- gung der großen Ausbauvariante des Husumer Ha- sum … als Fertigungs- und Verschiffungs- fens. standort für Gondeln und gegebenenfalls weitere Komponenten …“ (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW) Das sind eindeutig große, schwere Bauteile, für die der Hafen entsprechend ausgebaut werden muss. Sie wollen beschwichtigen und sich vor Ort damit brüsten, dass Sie die Deichverlegung hier noch ein- (Beifall bei FDP und SSW) mal thematisiert haben. In Wirklichkeit ist das The- Mir soll doch niemand erklären, dass es sich um ma, jedenfalls für Ihren Wirtschaftsminister, durch „Expressreparaturen“ handelt, die tideabhängig und beendet. innerhalb von zwölf Stunden zu erfolgen haben, Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bis zum wenn es zum Beispiel darum geht, Rotorflügel aus- Frühjahr 2005 war alles klar - das war auch der zubauen. Diesen Anschein erwecken zu wollen, ist Grund für den gemeinsamen Antrag von Grünen, doch wirklich albern. FDP und SSW -: Die Häfen von Brunsbüttel und (Beifall bei FDP und SSW) Husum werden so ausgebaut, dass der Schiffsver- kehr für Bau und Betrieb von Offshore-Windparks Ich stelle fest: Die Stadt Husum handelte sehr über- von dort abgewickelt werden kann. Die Erklärung legt, als sie ihren Offshore-Hafen so plante, dass der beiden Städte stammt vom 30. Januar 2003 und große Bauteile verschifft werden könnten, und, wurde übrigens vom Kollegen Harms mit unter- Herr Minister Austermann, ausdrücklich im Ein- zeichnet oder zumindest mit protokolliert. Diese klang mit der Erklärung. Deshalb ist der angebliche Erklärung ist vollkommen eindeutig. Deswegen Grund, den Minister Austermann für seinen Stopp verstehe ich die Kritik, die jetzt zum Teil an der des großen Ausbaus des Husumer Hafens angab, Stadt Husum geäußert wird, überhaupt nicht. Wür- sehr fadenscheinig. Da gibt es vielleicht einen neu- den Sie die Erklärung nämlich einmal lesen, dann en Spickzettel vom Ministerpräsidenten. Offen- würden Sie feststellen, dass sich Ihre Kritik in Luft sichtlich möchten Sie, Herr Minister, irgendetwas auflöst, Herr Minister. verschleiern. Was, weiß ich allerdings bedauerli- cherweise noch nicht. Vielleicht wollen Sie eine (Beifall bei FDP und SSW) energiepolitische Wende einleiten und dazu ein Ex- Darauf komme ich später noch einmal zurück. empel bei einem rot-grünen Vorzeigeprojekt statu- ieren. Dann sollten Sie das hier sagen. Dabei haben Sie führten in der Erklärung aus, dass der Ausbau Sie vielleicht an den rot-grünen Investitionsruinen über beide Häfen erfolgen soll, wobei auch aus Hu- vorbei gegriffen. Das mag sein. Wenn das Ihre Ab- sum große Bauteile verschifft werden sollten. Dort sicht ist, dann müssen Sie das hier aber auch klipp steht auch, dass der Betrieb der Offshore-Wind- und klar sagen. parks allein aus Husum bedient werden soll. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1497

(Dr. Heiner Garg)

Aber Minister Austermann hat noch mehr Gründe (Beifall bei FDP und SSW - Jürgen Fedder- angeführt, warum er gegen den großen Ausbau des sen [CDU]: Falsch!) Husumer Hafens ist. Zum Beispiel liege noch kein - Ich hoffe, Herr Kollege Feddersen, Sie haben das Betreiberkonzept vor, was die Stadt Husum aller- Gutachten auch so gründlich und so kritisch gele- dings erstellt haben lassen will. Nun wird ernsthaft sen, dass Sie hier so fröhlich „falsch“ rufen können. erwogen, eine millionenschwere Investition in zu- kunftsträchtige Infrastruktur zu unterlassen, weil Was bei alledem noch fehlt, sind stichhaltige, sach- ein Konzept auf dem behördlichen Postweg von liche Gründe gegen den großen Ausbau des Husu- Husum nach Kiel verloren ging. Herr Minister, das mer Hafens. Ich habe weder vom Kollegen Buder ist lächerlich. Wenn dieses Konzept noch fehlte, noch von der Kollegin Sassen einen einzigen stich- wäre das doch wahrlich kein Grund, den Ausbau haltigen Grund gehört, der gegen den Ausbau des abzusagen. Das wäre ein Grund, in Husum anzuru- Husumer Hafens spräche. fen und zu fragen, wo es denn bleibt. Das Land (Beifall beim SSW) sollte endlich anfangen, gemeinsam mit der Stadt Husum Geld in den Standort Schleswig-Holstein zu Im Gegenteil! Dazu habe ich die Kollegin Sassen investieren. als Sprachrohr des Herrn Ministers Austermann auf der Präsentation am 3. Februar erlebt. Das war zwar Ein weiterer angeblicher Grund: Die örtliche Wirt- ganz charmant, liebe Frau Kollegin Sassen, aber es schaft sei gegen den großen Ausbau. Dann ist es al- war trotzdem inhaltlich falsch, was Sie da erzählt lerdings unerklärlich, warum die zuständige Indu- haben. strie- und Handelskammer davon nichts wusste. Darauf bezog sich mein Zwischenruf vorhin. Erklä- Wir meinen, es gibt keinen Grund, die Ausbaupläne ren Sie doch hier, warum sich die Industrie- und der Vorgängerregierung umzustoßen. Ich wundere Handelskammer genau anders positioniert hat, als mich immer über das Kopfschütteln über die Vor- Sie es gerade getan haben und den Anschein er- gängerregierung. Es waren die Sozialdemokraten, wecken wollen. Ganz offensichtlich hat der Wirt- die diese Ausbaupläne gemeinsam mit den Grünen schaftsminister nicht mit der öffentlich-rechtlich beschlossen und sie offensichtlich mitgetragen ha- beliehenen Vertretung der dortigen Wirtschaft ge- ben. Ich wundere mich wirklich über das Kopf- sprochen. Das macht er doch sonst immer so gern. schütteln, darüber, dass das jetzt alles ganz anders sein soll. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, alle diese Gründe sind aus unserer Sicht fadenscheinig. Der (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ausbau des Husumer Hafens zu einem Hafen, von NEN und SSW) dem aus Offshore-Windparks betrieben, gewartet Gut, dann haben Sie sich möglicherweise getäuscht. und im Rahmen dessen auch repariert werden kön- Ich sage Ihnen: Es wäre schön gewesen, wenn bei nen, erfordert den großen Ausbau, so wie es auch in der Präsentation im Rathaus ein Vertreter des Wirt- dem neuesten Gutachten bestätigt wurde. Sehr ge- schaftsministeriums da gewesen wäre. ehrter Herr Minister Austermann, Sie können mir glauben, ich habe dieses Gutachten kritisch gelesen, (Zuruf des Abgeordneten Hans-Jörn Arp ich habe mir sogar die Präsentation dieses Gutach- [CDU]) tens in Husum angeschaut. Dann hätte man ihn fragen können. Lieber Hans- Die Ergebnisse des Gutachtens wollen Sie also jetzt Jörn Arp, dich habe ich auch vermisst. Ich glaube, nicht wahrhaben. Zwar wurde das Gutachten unter hier werden fadenscheinige Gründe vorgeschoben, Lenkung Ihres Ministeriums erstellt. Aber es ge- weil man dieses Projekt aus einer bestimmten Ideo- nügt angeblich trotzdem nicht den vereinbarten An- logie heraus nicht mehr will. forderungen. Ich glaube, Herr Minister Auster- Ich sage Ihnen abschließend: Jetzt wird ein stufen- mann, Sie behaupten das nur, weil Ihnen schlicht- weiser Ausbau angekündigt. Da ist im Übrigen weg das Ergebnis dieses Gutachtens nicht in den auch der Bürgermeister gut davor. Er hat von Herrn Kram passt. Minister Austermann offensichtlich sprachlich ge- (Beifall bei FDP und SSW) lernt, was den angekündigten stufenweisen Ausbau in Husum anbelangt. Ich glaube, dass der Gutachter Es gefällt Ihnen nicht, was da festgestellt wurde. mit einem stufenweisen Ausbau etwas ganz anderes Ganz im Gegenteil! Dieses Gutachten macht Ihnen meint, als Herr Austermann tatsächlich am Standort einen ganz dicken Strich durch Ihre eigene Rech- Husum vorhat. nung. 1498 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Dr. Heiner Garg)

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auf die Service- und Wartungsfunktion und hielt NEN und SSW) sich nur die Option offen, auch schwerere Kompo- nenten im Rahmen dieser Funktion verschiffen zu Vizepräsidentin Ingrid Franzen: können. Wollte ein ortsansässiges Unternehmen auch schwerere Komponenten verschiffen können, Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg. Ich so sollte dies möglich sein. Mehr nicht. Will man gehe davon aus, dass alle bereit sind, diesen Tages- nämlich den Hafen nachträglich dafür ausstatten, ordnungspunkt auch über die Mittagszeit hinaus zu wäre dies ungleich teurerer geworden - im Ver- Ende zu diskutieren. Das Wort hat deshalb der Herr gleich zur rechtzeitigen Einplanung dieser Option Abgeordnete Lars Harms für den SSW im Landtag. in der ersten Bauphase. Lars Harms [SSW]: (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Betrachtet man die Ausbaupläne des Ha- An eine Verschiffung von Großkomponenten im fens Husum, muss man sich natürlich immer wieder großen Stil war hierbei aber nie gedacht. Wer etwas ins Gedächtnis rufen, was die bisherige Grundlage Gegenteiliges behauptet, betreibt Legendenbildung. der Planungen war. Schon vor Jahren erkannte die Die ehemalige Landesregierung hat mit dem Aus- Stadt Husum, dass es Chancen für eine wirtschaftli- bau der Windenergie dafür gesorgt, dass sich gera- che Entwicklung und für die weitere Bindung der de an der Westküste eine eigenständige, kraftvolle ortsansässigen Windkraftfirmen gibt, wenn man die und leistungsstarke Industrie hat ansiedeln können. Infrastruktur verbessert. Vor Ort trägt man diesen Wirtschaftszweig mit und Insbesondere der Offshore-Bereich gilt als der will mit selbstständigen Initiativen dafür sorgen, Wirtschaftszweig der Zukunft in der Region. Damit dass sich die Wirtschaft hier weiterentwickeln sich dieser in Husum entwickelt, plante man, den kann. Herr Austermann hat gerade vor ein paar Ta- Hafen dort zum Offshore-Servicehafen auszubauen. gen auf dem deutsch-dänischen Wirtschaftsforum Einige Überlegungen damals gingen auch in Rich- in Flensburg gesagt, dass die Landesregierung die tung Fertigung und Verschiffung von Großanlagen. Stärken der Regionen fördern will und dass man Dies rief seinerzeit auch die Stadt Brunsbüttel auf mit Eigeninitiative kommen möge. Dann werde das den Plan, eigene Ansprüche auf die Verschiffung Land schon helfend beispringen. Dies alles gilt aber von Großanlagen, insbesondere von Türmen, anzu- scheinbar nicht für die Westküste und schon gar melden. nicht für Husum. Statt sich nun bis aufs Messer zu bekämpfen, einig- Seit Regierungsantritt der neuen Regierung wird ten sich beide Städte auf Vermittlung durch zwei das Hafenprojekt behindert, wo man nur kann. Wi- regionale Landtagsabgeordnete - der andere war der der besseres Wissen haben Sie, Herr Wirtschaftsmi- Kollege Malerius von der SPD - auf eine Arbeits- nister, die Fördermittel ohne eine einzige inhaltli- teilung, die beiden Städten zugute kommen sollte. che Begründung gekürzt, sodass ein sinnvoller Aus- Grob gesagt, sollte Brunsbüttel die Großelemente bau des Husumer Hafens gar nicht mehr möglich zur Erstellung von Offshore-Windparks liefern und ist. Als Sie die Fördermittel gestrichen haben, ha- Husum sollte für die Wartung und den Service zu- ben weder wir als Politik noch die Stadt Husum, ständig sein. Die damalige schriftliche Vereinba- noch die Bürgerinnen und Bürger oder die beteilig- rung von 2003 gilt im Übrigen bis heute und wird ten Unternehmen gesagt bekommen, was Ihnen von beiden Seiten auch bis heute nicht infrage ge- konkret an den Plänen der Stadt Husum nicht be- stellt. hagt. Dann hätte man nämlich darüber diskutieren können und möglicherweise auch müssen. Stattdes- Vonseiten der damaligen Landesregierung wurde sen haben Sie pauschal gekürzt und die Husumer diese Vereinbarung begrüßt und in die Planungen schön zappeln lassen. Man hätte nämlich durchaus der Stadt Husum für einen Offshore-Servicehafen inhaltlich diskutieren können. Es lagen gutachterli- unterstützt. In einem breiten Prozess mit der Bevöl- che Stellungnahmen vor. Es fand eine Anhörung kerung, den ortsansässigen Unternehmen und der statt. Natürlich lagen die konkreten Pläne schon Wirtschaft wurden die Planungen für die Hafener- vor. Man hätte also über jeden Buchstaben und über weiterung durchgeführt. Dabei verzichtete die jedes Komma reden können, wenn es wirklich an Stadt Husum auf einen Ausbau des Hafens Rich- der einen oder anderen Stelle inhaltliche Probleme tung Dockkoog im Norden, welcher für die Ferti- gegeben hätte. In Wirklichkeit war Ihnen, Herr Mi- gung und die Verschiffung von Großkomponenten nister, aber gar nicht daran gelegen, hier inhaltlich ursprünglich vorgesehen war. Man beschränkte sich die Weiterentwicklung des Standortes Husum zu Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1499

(Lars Harms) diskutieren. In einer Mischung aus falsch verstan- schränken kann und diese somit nicht schwerlastfä- denem Lokalpatriotismus für Brunsbüttel und einer hig werden. Die Schwerlastfähigkeit ist zwar wün- gehörigen Portion ideologischer Ablehnung von al- schenswert, aber eben nicht unbedingt Vorausset- lem, was nach Windkraft riecht, sollten die Hafen- zung, damit der Hafen funktionsgerecht arbeiten planungen der Stadt Husum zu den Akten gelegt kann. Diesen Schritt wird die Stadt Husum mögli- werden. cherweise mitgehen können, wenn sich das wirt- schaftlich rechnet. Das macht man am besten, indem man eine nicht tragfähige Minimallösung vorschlägt, von der man Alle anderen Planungen, die bisher durch die Stadt weiß, dass man zwei Fliegen mit einer Klappe Husum vorgenommen wurden, werden vom Gut- schlagen kann. Lehnen die Husumer mit Recht ab, achten uneingeschränkt befürwortet. In dem Gut- dann ist das Projekt, wie gewünscht, tot. Versuchen achten ist außerdem davon die Rede, dass die bei- die Husumer, die Minimallösung irgendwie umzu- den vor Ort ansässigen Windenergieanlagenherstel- setzen, um zu retten, was zu retten ist, dann werden ler die Ausbaupläne ebenfalls begrüßen. Das ist sie mit Sicherheit scheitern. Man könnte dieses auch nicht weiter verwunderlich, weil sie sich Scheitern dann als Beweis dafür anführen, dass das schon 2003 - das ist schon ein bisschen länger her - ganze Projekt ohnehin nicht tragfähig war und man entsprechend geäußert haben. Von Vestas war da- das in Kiel schon immer gewusst habe. mals zu hören: Zum Glück für die Husumer war der politische „Wir von Vestas sichern unsere volle Unter- Druck immer noch groß genug, um wenigstens stützung für den Offshore-Stützpunkt Husum noch ein neuerliches Gutachten durchsetzen zu zu und werden diesen für die Offshore-Pro- können. Die Stadt Husum sollte ein Gutachten in jekte als Service- und Wartungshafen nut- Auftrag geben und das Wirtschaftsministerium zen.“ wollte dieses Gutachten schon in der Entstehungs- Vom REpower-Vorstandsvorsitzenden Vahrenholt phase begleiten. Es wurde eine Projektgruppe gebil- war zu hören: det, bei der die Investitionsbank das Projektmana- gement innehatte und die aus Vertretern der Stadt, „REpower wird von hier aus direkt die Groß- der Wirtschaftsförderungsgesellschaft, der Firma komponenten ... zu den Windparks auf See Windcomm, des Amtes für ländliche Räume und transportieren können.“ des Wirtschaftsministeriums bestand. Man wählte Deutlicher geht es eigentlich nicht. also einen unabhängigen Gutachter aus, begleitete dessen Studien und am Ende kam das heraus, was Bei der Präsentation des Gutachtens kürzlich im man nun vonseiten der Landesregierung gar nicht Husumer Rathaus haben sich die Vertreter der erwartet hatte. Windkraftindustrie sogar noch deutlicher geäußert. Auch die IHK hat deutlich gemacht, dass sie die (Dr. Heiner Garg [FDP]: So ist es!) Hafenpläne der Stadt Husum unterstützt. Die Pläne Das Gutachten kam zu den gleichen Schlussfolge- werden also auch von der Wirtschaft getragen. Wer rungen, zu denen man vor Ort auch schon immer etwas Gegenteiliges behauptet, betreibt auch hier gekommen war: Husum ist der am besten geeignete Legendenbildung. Standort für einen Offshore-Servicehafen. Nun ha- Was steht nun aber im Gutachten? - Zu folgenden ben wir das Ganze also auch noch mit ausdrückli- Schlüssen kommt das Gutachten: Der Ausbau des cher Beteiligung des Wirtschaftsministeriums be- Hafens ist im planfestgestellten Umfang sinnvoll stätigt bekommen. Bessere Argumente für eine För- und fachgerecht. Husum hat günstige Vorausset- derung gibt es nicht. Trotzdem wird uns nun ein zungen, weil es näher an den zukünftigen Offshore- Bericht der Landesregierung vorgelegt, die dieses Windkraftstandorten liegt als andere Häfen. Zur Projekt immer noch in Bausch und Bogen ablehnt. Ansiedlung weiterer Firmen ist die Ausweisung In Husum fragt man sich nun endgültig, was man von Gewerbeflächen in Hafennähe sinnvoll und nun noch tun soll, damit der Wirtschaftsminister notwendig. Wird der Hafen in Husum nicht ausge- seinen Fuß von der ideologischen Bremse nimmt. baut, werden diese Aufgaben voraussichtlich von Das Gutachten beschäftigt sich ausschließlich mit Häfen außerhalb Schleswig-Holsteins übernommen dem Ausbau des Hafens für Service, Wartung und und es ist dann mittelfristig mit der Abwanderung Reparatur. Keine Großkomponentenverschiffung der Windenergiebranche an andere Nordseehäfen zum Aufbau neuer Windparks, nur Service, War- zu rechnen. Eine Deichverlegung ist ebenfalls not- tung und Reparatur. Das neue Gutachten sagt nun wendig, um den Hafen angemessen ausbauen zu aus, dass man den Ausbau der Kaianlagen ein- 1500 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Lars Harms) können und um ihn auch noch bei möglichen tech- Sie sind damit das größte Hindernis für das wich- nischen Neuerungen nutzen zu können. tigste Leuchtturmprojekt an der Westküste. Der Einsatz von Wartungspersonal auf See wird un- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gefähr 40 bis 50 Arbeitsplätze bringen. Hinzu Sie, Herr Ministerpräsident und Herr Wirtschafts- kommt dann noch das an Land notwendige War- minister, haben nun heute die Chance, wirklich zu tungs- und Reparaturpersonal. Der Gutachter geht beweisen, dass sie nicht nur die Metropolregion somit von 200 bis 250 Arbeitsplätzen aus, wenn Hamburg im Auge haben, sondern auch der Norden drei Windparks von Husum aus versorgt werden. In eine Chance bekommt, wenn er gute Projekte hat. dem Moment, in dem sich auch im neuen Gewerbe- Das Projekt in Husum ist gut. Ihre eigenen Leute gebiet am Hafen neue Windenergiefirmen ansie- haben mitgearbeitet, wir alle können es schwarz auf deln, steigt die Zahl der Arbeitsplätze weiter an. weiß nachlesen und der Hafenausbau schafft Ar- Wer sich ansieht, wie viele Windparks auf offener beitsplätze in Nordfriesland und darum herum. See entstehen sollen und wie groß diese sein wer- den, weiß, dass hier wirklich große Chancen beste- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: hen, in Husum noch mehr Arbeitsplätze zu schaf- fen. Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter Harms. (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lars Harms [SSW]: Wer dies nicht wahrhaben und immer noch die Ent- Ja, Frau Präsidentin. - Eine Stufenlösung wäre si- wicklung an der Westküste blockieren will, der ge- cherlich möglich, wenn vorher feststeht, dass der fährdet vorsätzlich Arbeitsplätze und trägt dazu bei, Gesamtausbau gemäß Gutachten erfolgt und zu ei- dass sich dieser blühende Wirtschaftszweig von nem festen Termin abgeschlossen ist. Schleswig-Holstein abwenden muss. Der kann dann nämlich gar nicht anders. Ich fordere Sie deshalb noch einmal auf, lieber Herr Minister Austermann: Legen Sie den ideologischen Es reicht bei weitem nicht aus - wie im Bericht an- Ballast ab! Ergreifen Sie die Chance und fördern geboten -, nur Ausbaumaßnahmen vor dem Deich Sie den Hafenausbau in Husum ohne Abstriche! finanziell zu fördern. Das wäre ungefähr so, als ob Damit werden Arbeitsplätze geschaffen und das man eine Autobahn bauen wollte, aber nur den sollte auch Ihr Interesse sein. Standstreifen genehmigen würde. Entweder fördert man ganz oder man verhindert die wirtschaftliche (Beifall beim SSW) Entwicklung. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: (Beifall beim SSW) Ich danke dem Herrn Abgeordneten Harms. - Für Für uns als SSW ist es ganz klar. Wir haben schon die CDU-Fraktion erteile ich nun dem Herrn Abge- in der Entwicklungsphase zu den Ausbauplänen in ordneten Hans-Jörn Arp das Wort. Vier Minuten Husum gestanden und wir stehen auch weiterhin hat Ihnen Ihre Kollegin gelassen, lieber Herr Arp. dazu. Neben dieser konkreten Entwicklungsmög- lichkeit für den Hafen und die in Husum ansässigen Firmen glauben wir, dass man den Standort Hu- Hans-Jörn Arp [CDU]: sum zu einem Zentrum der erneuerbaren Energien Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ob- mit Schwerpunkt Windenergie weiterentwickeln wohl ich Sie noch etwas vom Essen abhalten wer- kann. de, glaube ich nicht, dass ich dafür vier Minuten Der Gutachter hat empfohlen, die Planungen zeit- brauche. Das meiste ist gesagt, aber - wie man so nah umzusetzen. Wir reden auch hier im Land im- schön sagt - noch nicht von mir. mer wieder davon, dass Projekte durch zu viel Bü- Erlauben Sie mir zunächst eine Bemerkung. - Ich rokratie verzögert werden. Das mag in dem einen möchte dem Kollegen Klaus Müller von dieser oder anderen Fall so sein. Hier ist dies nicht der Stelle aus herzlich zum Geburtstag gratulieren; er Fall. Alle haben ihre Hausaufgaben gemacht und hatte gestern Geburtstag. nur die Landesregierung hält die wirtschaftliche Entwicklung an der Westküste seit ihrem Regie- Lieber Klaus Müller, man sieht Ihnen nicht an, dass rungsantritt auf. Seit einem Jahr drehen wir uns im Sie älter geworden sind. Wir alle hoffen, dass sich Kreis, nur weil der politische Wille bei der inzwischen zum Alter etwas Weisheit gesellt. Dar- schwarz-roten Landesregierung nicht vorhanden ist. auf hatte ich heute gehofft. Leider kam es nicht so. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1501

(Hans-Jörn Arp)

Das kommt aber noch. Sie haben ja noch ein paar Minister im Bereich des Tourismus und der Ernäh- Jahre Zeit, weiser zu werden. rungswirtschaft unterstützen wird. Meine Damen und Herren, zur Rolle der Oppositi- Ich habe großen Respekt vor dem, was Frau Sassen on! Sie sind angekommen; das ist klar. Es war nicht und die Stadt Husum, insbesondere ihr Bürgermei- einfach, aber ihr in der Opposition seid angekom- ster, gesagt haben. Sie haben gesagt: Jawohl, wir men. Deshalb werdet ihr aber nicht ernster genom- sind bereit, über dieses Thema sachgerecht mit dem men als bisher. Wir sind alle für eine vernünftige Wirtschaftsminister und im Wirtschaftsausschuss Lösung - deshalb lassen wir uns nicht auseinander zu beraten. dividieren - für den Husumer Hafen. Da gibt es (Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg überhaupt keine zwei Meinungen. Da steht die [FDP]) CDU eindeutig zur Position Husums und zum Hu- sumer Hafen. - Lieber Heiner Garg, auch das Gutachten der IHK und ein persönliches Gespräch mit der IHK haben (Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nichts anderes gebracht als den bedarfsgerechten NEN]: Was ist vernünftig?) Ausbau und dafür setzen wir uns ein. Wir sind da- - Okay, dann reden wir einmal über Vernunft. Hier für und werden diesbezüglich auch keine zwei Deu- stellt sich nicht die Frage, ob zuerst die Henne oder tungen zulassen. das Ei da war. Vielmehr ist klar: Wenn es Offsho- Ich denke, wir sollten an dieser Stelle wie bisher re-Aufträge gibt - das sagt die CDU ganz deutlich sachlich orientiert im Wirtschaftsausschuss weiter- in ihrem Antrag -, dann sind wir für einen bedarfs- arbeiten. Wie gesagt: Die CDU ist uneingeschränkt gerechten Ausbau. Aber solange keine Offshore- für den bedarfsgerechten Ausbau des Husumer Ha- Aufträge vorliegen, wäre es unverantwortlich, Geld fens. Daran wird sich nichts ändern und der Ein- auszugeben, das wir gar nicht haben. Wir haben es druck soll hier noch einmal verstärkt werden. schlichtweg nicht und ich möchte auch gar nicht darauf eingehen, wo es die letzten 17 oder 20 Jahre (Beifall bei der CDU) geblieben ist. Wir können den Leuten nicht etwas versprechen, was wir nicht halten können. Sehr ge- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: ehrter Kollege Klaus Müller, das geht nicht, das wird uns um die Ohren gehauen. Wir können nur Vielen Dank dem Herrn Abgeordneten Arp. - Ge- das machen, was wir uns leisten können. schäftsleitend möchte ich sagen, dass sich der Mini- ster zur Wort gemeldet hat. Mit der Meldung von Wir müssen dann bitte auch zur Kenntnis nehmen - Herrn Feddersen liegen nun drei Dreiminutenbeiträ- darauf sind Sie nicht eingegangen -, dass die ge vor. Ich weiß, dass viele von Ihnen Termine in Schleuse eine Breite von 21,50 m hat. Das ist die der Mittagspause haben. Wollen wir weiter fortfah- Ausgangslage. Daran können wir nichts ändern. ren? - Okay, dann machen wir weiter. Vielleicht sind Sie ja bereit, hier in diesem Fall über Deichverlegungen zu reden. Ich kann Ihnen Dann erteile ich jetzt dem Herrn Minister das Wort. andere Beispiele nennen, wo Sie diese aus ideologi- Ich denke, es ist gut, dass er sich jetzt nach den vie- schen Gründen verhindert haben. Darüber werden len Wortbeiträgen äußert. wir hier und heute nicht diskutieren. Dietrich Austermann, Minister für Wissenschaft, (Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wirtschaft und Verkehr: NEN]: Wo habe ich Deichverlegungen ver- hindert?) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich bedauere, dass manche offensichtlich folgenden Eindruck haben: - In der Meldorfer Bucht waren die Wünsche zur Wenn sie einen bestimmten Unfug mehrmals wie- Absicherung des Friedrichskooger Hafens da. Dar- derholen, dann wird er schließlich zur Realität. - über wollen wir aber hier und heute nicht diskutie- Das, was hier zur Position der Landesregierung ren. Wir reden zurzeit über den Husumer Hafen. zum Thema Windenergie gesagt wurde, ist hanebü- (Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen. NEN]: Keine falschen Aussagen!) Herr Müller und Herr Harms, Sie beide haben noch Wir sagen: Wir sind für den bedarfsgerechten Aus- Hemd und Hose aus einem Stück angehabt, als ich bau und der bedarfsgerechte Ausbau vollzieht sich schon für Windenergie eingetreten bin. zurzeit in Fischerei und Tourismus. Darin liegen (Heiterkeit bei der CDU) bestimmt noch große Chancen für Husum, die der 1502 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Minister Dietrich Austermann)

Ich denke, man braucht sich in dieser Frage von wegen gibt es überhaupt keine Debatte in diese niemandem etwas vorwerfen zu lassen. Sie können Richtung. sich wen auch immer von der Landesregierung her- ausgreifen: Wir sind nicht zu übertreffen, wenn es Vizepräsidentin Ingrid Franzen: darum geht, uns für erneuerbare Energien einzuset- zen. Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Garg? Das Thema ideologische Ablehnung der Windkraft wurde mehrfach erwähnt. So ein Unfug! Dem muss Dietrich Austermann, Minister für Wissenschaft, ich leider noch einmal widersprechen, obwohl die Wirtschaft und Verkehr: Zeit bereits fortgeschritten ist. Meinetwegen. Weshalb haben wir uns nachher von dem Gutachten distanziert? - Wir haben von Anfang an gesagt: Es Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Minister Au- müssen zwei Kriterien erfüllt sein. Es muss eine be- stermann, haben Sie mitbekommen, dass der lastbare Dokumentation der Industrie, die dort an- Kollege Arp davon gesprochen hat, den Ha- treten will, vorhanden sein. Aussagen aus dem Jah- fen Husum für Fischerei und Tourismus aus- re 2003 zu wiederholen bringt überhaupt nichts. Es zubauen? geht vielmehr darum, wie die Situation heute aus- Selbstverständlich! Auch! Es hat doch niemand die sieht. Da finden Sie niemanden von der Industrie, Absicht zu sagen, wenn Tourismus bisher gelaufen der sagt: Ich möchte das Ganze machen. - Für uns ist, dann soll er in Zukunft nicht laufen. Dass man war eine Voraussetzung, dass das belastbar doku- mit dem Schatz des Tourismus in Nordfriesland mentiert wird. Es ist aber nicht dokumentiert wor- noch mehr machen kann als bisher über den Hafen den. Husum, ist doch unstreitig. Ich sehe hier keinen Ge- Die Stadt hat mit der damaligen Bürgermeisterin er- gensatz. Selbstverständlich kann das auch gemacht klärt, sie wolle sich damit das Thema „große Lö- werden. Hier also den Eindruck zu vermitteln, wir sung“ bestätigen lassen. Auch das war nicht unsere seien gegen die vernünftige Nutzung des Hafens, ist Position; das haben wir in der Projektgruppe immer völlig abwegig. wieder zum Ausdruck gebracht. Deswegen bin ich Zum Zeithorizont! Wenn man jetzt sagt, wir hätten auch nicht zur Präsentation gegangen. Denn ich sa- das Ganze aufgehalten, dann sage ich: Es gibt bis ge: Das ist nicht unser Gutachten und es macht heute kein Baurecht. Es gibt kein Baurecht für eine überhaupt keinen Sinn, den Leuten ein Gutachten kleine Lösung und es gibt schon gar kein Baurecht vorzustellen, das etwas anderes untersucht als das, für eine große Lösung. Das Baurecht gibt es nicht, was tatsächlich in Auftrag gegeben worden ist und weil es vor Ort keine Einigung gibt. Der Grund ist mit der Realität zu vereinbaren ist. Das muss man nicht, dass die Landesregierung dagegen wäre. So leider so deutlich sagen. lange dieses Baurecht nicht da ist, kann man nicht Der nächste Punkt - der Abgeordnete Arp hat es an- anfangen. Es gibt noch nicht einmal ein komplettes gesprochen - betrifft die Frage: Wie sind die tat- Baurecht für den ersten Offshore-Park. Stellen Sie sächlichen Gegebenheiten in der Hafenanlage? sich einmal vor, wie das zeitlich realisiert werden Wie ist die Schleusenbreite? Wie ist die Tideabhän- soll. Im Herbst gibt es die ersten Genehmigungen gigkeit? Wie ist die Vereisungsgefahr? Was kann für Kabeltrassen. Davon bin ich überzeugt, denn ich transportieren? Was will ich transportieren? - wir arbeiten fieberhaft daran. Im nächsten Jahr Da kann man die Realität doch nicht einfach aus- kann dann, wenn es gut läuft, vielleicht damit ange- blenden. fangen werden, den ersten Park zu errichten. Viel- leicht ist in zwei bis drei Jahren der erste große Bei den Ausführungen der drei Oppositionsrednern Park da. Es werden aber natürlich neue Anlagen blieb am Schluss der Eindruck, wir seien dagegen, aufgestellt und nicht solche, die gleich kaputt sind, dass der Hafen ausgebaut wird. So ein Quatsch! damit der Servicehafen endlich loslegen kann. Man Wir sind der Meinung, er soll so ausgebaut werden, kann sich ausrechnen, welcher Zeitbedarf da ist, um dass er als Service-, Versorgungs- und Wartungs- zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. hafen genutzt werden kann. Das ist die Absprache zwischen Brunsbüttel und Husum gewesen und un- Über diese Fragen haben wir hier und im Wirt- abhängig davon, dass das einzelne Abgeordnete ge- schaftsausschuss mehrfach diskutiert. Bitte hören sagt haben, ist das die Beschlussfassung gewesen. Sie auf, den Menschen in Husum Sand in die Au- An der orientieren wir uns und von daher wollen gen zu streuen und zu vermitteln, die Landesregie- wir einen Versorgungs- und Wartungshafen. Des- rung sei gegen ein vernünftiges Projekt, das dort Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1503

(Minister Dietrich Austermann) gemacht wird. Hören Sie auf zu vermitteln, wir sei- Das ist auch schwierig. Von daher wundert, was Sie en dagegen, dass Investitionen getätigt werden. Das über das Gutachten gesagt haben, über ein Gutach- ist völliger Quatsch! Frau Spoorendonk, fallen Sie ten, das von der Landesregierung mit in Auftrag ge- Ihrem Kollegen ins Wort, wenn er sagt, die Landes- geben worden ist und das von einer Projektgruppe regierung tue nichts für den nördlichen Landesteil. begleitet wurde, in der das Wirtschaftsministerium Natürlich tun wir etwas! Sie haben das selbst bestä- von Anfang an mit vertreten war, letztlich nicht tigt, als wir in Flensburg waren. Als ich gestern in mehr als Gutachten Ihres Ministeriums oder der Flensburg war, habe ich mit einem Vertreter der Landesregierung akzeptiert wird. Das ist nicht mehr IHK gesprochen. Er hat mir eindeutig gesagt, er unser Gutachten, sagen Sie. Ich finde, da kann nur ziehe in dieser Frage an einem Strang mit der Lan- die Schlussfolgerung sein: Man ist mit dem Ergeb- desregierung. Gleiches gilt für die Vertreter der nis des Gutachtens nicht einverstanden, also distan- großen Industrieanlagenhersteller in Husum. Mehr ziert man sich davon. kann man eigentlich nicht wollen. Es gibt vor Ort (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE vernünftige Lösungen. Damit sollten die Menschen GRÜNEN) in der Region davon überzeugt werden, dass es richtig ist, was die Landesregierung und die sie tra- genden Parteien hier machen. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: (Beifall bei CDU und SPD) Ich danke Frau Abgeordneter Spoorendonk. - Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Feddersen das Wort. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Ich danke dem Herrn Minister. Da die Landesregie- Jürgen Feddersen [CDU]: rung die Redezeit neu eröffnet hat, stehen allen Fraktionen jetzt jeweils fünf Minuten Redezeit zu. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich Wortmeldungen liegen mir von Frau Abgeordneter mache es kurz. Ich will Ihnen ehrlich sagen, als ich Spoorendonk vom SSW und von Herrn Abgeordne- das erste Mal davon hörte, dass in Husum ein Off- ten Feddersen von der CDU vor. Herr Garg hat zu- shore-Hafen gebaut werden soll, war ich er- rückgezogen. - Ich erteile nun der Frau Abgeordne- schrocken. ten Spoorendonk das Wort. (Dr. Heiner Garg [FDP]: Da hast du gesagt, das willst du auch haben!) Anke Spoorendonk [SSW]: - Mit aller Ernsthaftigkeit sage ich: Ich weiß, wo- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! von ich rede, das können Sie mir abnehmen. In Hu- Ich kann es kurz machen. Bei so einer Debatte fal- sum - so wie das ursprünglich angedacht war - len manchmal Formulierungen auf. Wenn der Kol- einen Offshore-Hafen zu bauen, kann nicht funk- lege Arp sich hier hinstellt und sagt, es müssen erst tionieren. Das kann nicht gehen. Ich weiß, wo ich einmal Aufträge vorliegen, dann werde bedarfsge- herkomme. Wir haben einen tideabhängigen Ha- recht ausgebaut, dann versuche ich, mir das einmal fen. Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie nicht vorzustellen. Das heißt also, dass man dann, wenn nur den Hafen tidefrei machen, sondern Sie müssen in einer Gemeinde ein Schwimmbad gebaut werden auch die ganze Zufahrt tidefrei machen. Sonst wird soll oder wenn ein Flughafen gebaut werden soll, das nicht funktionieren. Ich lebe seit über 30 Jahren erst einmal den Bedarf festlegen muss, bevor man auf Pellworm. In diesen Jahren haben wir mehrfach bauen kann. Lieber Kollege Arp, ich denke, Sie drei Wochen und länger keinen Fährverkehr zwi- kommen aus der Wirtschaft und wissen, dass es an- schen Pellworm und Nordstrand gehabt. Stellen Sie dersherum gehen kann. Man kann es zum Beispiel sich vor, wir haben in Husum die Situation, dass mit aktiver Werbung versuchen. Das Land Schles- Sie tage- und wochenlang keine Möglichkeit haben, wig-Holstein hat Imagewerbung groß geschrieben. den Hafen anzulaufen. Von wo aus wollen Sie die Ich dachte, dass auch so Aufträge an Land geholt Offshore-Anlagen dann versorgen? werden können. Kollege Arp, dies wollte ich unbe- Ich sage Ihnen nun etwas zur Praxis: Das kleine dingt noch einmal loswerden, denn das war Ihrer- Einmaleins eines Bürgermeisters, einer Bürgermei- seits eine entlarvende Bemerkung. sterin oder auch einer Verwaltung ist es, vernünfti- Lieber Herr Minister, ich glaube gern, dass die Lan- ge Anträge zu stellen. Ich gehe davon aus, dass das desregierung gewillt ist, auch die Stärken des Nor- jeder kann. Es geht aber auch darum, abgestimmte dens zu nutzen. Davon gehe ich aus. Ich gehe nicht Konzepte und Machbarkeitsstudien abzuliefern. davon aus, dass Sie mit gespaltener Zunge reden. Wenn ich die nicht abliefere, dann gibt es auch kein 1504 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Jürgen Feddersen)

Geld. So einfach ist das. Das haben wir nicht erlebt. wenn es nicht gelungen wäre, in den letzten zehn Ich will Ihnen nicht verraten, wie viele Anträge ich bis fünfzehn Jahren diesen neuen Standort aufzu- während meiner 15-jährigen Zeit als Bürgermeister bauen. Das ist eine Riesenchance für die Region. gestellt habe. Ich will Ihnen schon gar nicht verra- Das wird hier klein geredet. Darüber bin ich fas- ten, wie viel Geld ich in diesen 15 Jahren aus Kiel sungslos. abgeholt habe. Mir ist keine Machbarkeitsstudie Das ist nicht nur ohne Unterstützung des Landrates und kein Konzept abgelehnt worden, weil wir diese passiert. Es ist häufig genug mit Widerstand pas- immer mit den Ministerien abgesprochen haben. In- siert. Die Ausbildung der Mechatroniker ist nicht sofern wird das auch in Zukunft so funktionieren. nach Nordfriesland, sondern nach Heide gekom- Die Schleuse wurde angesprochen und ich habe men, weil der Landrat Klimant klüger war und sich vom Ostwind gesprochen. Wenn Sie 14 Tage lang dafür engagiert, während man sich in Nordfriesland keinen Ostwind haben, dann kommen Sie nicht nicht dafür engagiert hat. Das ist die Wahrheit. Der nach Husum hinein; so einfach ist das. Ich möchte Standort der Windindustrie in Nordfriesland ist kei- mit einem Zitat enden. Es gab ehemals den Bürger- nesfalls sicher. Auch der Messestandort ist nicht si- meister Gurlitt in Husum. Er sagte: „War uns Ha- cher. Hamburg versucht immer wieder, den Messe- ben beetn natter, denn güng uns dat allens beter.“ - standort nach Hamburg zu ziehen. Das wissen wir. Ich denke, mit diesem Wort kann man viel anfan- Zur Frage der Anbindung an die Offshore-Anlagen gen. sage ich: Natürlich hat niemand davon geredet, komplette Windanlagen über Husum auszuliefern. (Beifall bei CDU und SPD) Worum es aber ging und worüber immer diskutiert wurde, ist dies: Es ging immer darum, Husum, wo Vizepräsidentin Ingrid Franzen: die Windkraftindustrie ansässig ist, als Serviceha- Ich danke Herrn Abgeordneten Feddersen. - Für fen für die Offshore-Anlagen auszubauen. Diese BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordne- Chance, Husum als Servicehafen auszubauen und ter Karl-Martin Hentschel das Wort. in Husum zu investieren, ist eine Notwendigkeit. Das ist eine Chance, die genutzt werden muss. Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Da stelle ich mich als Minister nicht hin und sage: NEN]: Die Stadt hat schlechte Vorlagen gemacht und das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Gutachten ist zweifelhaft. Da gehe ich vielmehr als Herren! Langsam bin ich fassungslos. Wenn Sie Land selber hin und sage: Das ist eine ganz wichti- sich hier hinstellen und sagen, die CDU war schon ge Entwicklungschance für eine strukturschwache immer für die Windenergie, dann erinnere ich mich Region, dafür engagieren wir uns, wir kümmern an die letzte Legislaturperiode und an das, was Ihr uns als Ministerium, als Land darum, dass das ver- Kollege Kerssenbrock hier alles erzählt hat. nünftig funktioniert, so wie das in den letzten Jah- ren passiert ist. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU) (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Zurufe von Ich erinnere mich an das, was er hier alles erzählt der CDU) hat, und daran, wie er noch bis in die letzte Stunde hinein, die er im Parlament war, den Kampf gegen Da beschaffen wir die Unterlagen, da sprechen wir die Windmühlen geführt hat. Das, was der Landrat mit dem Bürgermeister, mit dem Landrat und sor- von Nordfriesland betrieben hat, ist auch eine Num- gen dafür, dass die Unterlagen kommen. Unter Rot- mer für sich. In Husum hängen mittlerweile 40 % Grün hat es Investitionszusagen von fast 10 Mil- des Bruttosozialprodukts der Stadt und 40 % der lionen € für Husum gegeben. Diese Zusagen sind Steuereinnahmen an der Windindustrie. Wir haben widerrufen worden. es geschafft, in einer Gegend wie der Westküste, in (Minister Dietrich Austermann: Das ist der wirtschaftliche Aktivitäten ganz schwer hinzu- falsch!) bekommen sind, in den letzten zehn Jahren eine In- dustrie aufzubauen, die dieser Region eine ganz - Das ist Fakt. Es ist nur noch die Rede von nicht neue Perspektive schafft und die eine Exportindu- einmal mehr der Hälfte der Ausgaben nach den strie aufbaut, in der Exporte in alle Welt - in die Zahlen, die ich kenne. Das haben Sie widerrufen. USA, nach Japan, nach China und so weiter - statt- Sie reden das Ganze hier klein, Sie zerreden die finden. Das ist eine Chance für die Region. Ich Chancen der Westküste, Sie zerreden die Chancen möchte wissen, was in Nordfriesland los wäre, eines neuen industriellen Standortes an der Westkü- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1505

(Karl-Martin Hentschel) ste und stellen sich hierhin und führen kleinliche nicht zugeschlagen worden sind, geht aus unserem Diskussionen. Antrag deutlich hervor. Ich sage Ihnen eines: Was Sie im Kopf führen, ist Man kann Herrn Austermann ja sehr viel vorwer- immer noch Ihre ideologische Bremse, dass Sie die fen, zum Beispiel dass er nicht gerade „unstreitbar“ Windenergie immer noch nicht als das erkennen, ist. Aber man kann ihm nicht vorwerfen, dass er was sie ist: eine Chance. Heute wird in Tausende nicht von der ersten Stunde an aufseiten der Wind- von Anlagen in den USA investiert. Das sehen Sie energie gestanden hat. nicht. Für Sie ist das immer noch Spielzeug und das (Beifall bei SPD und CDU) Wichtige sind Ihre Atomkraftwerke. Das sage ich Ihnen auch vor dem Hintergrund, dass (Widerspruch bei der CDU) ich Kreistagsabgeordneter in Dithmarschen bin. Nur, von den Atomkraftwerken in Schleswig-Hol- Manches Gesetzgebungsvorhaben, das Herr Auster- stein leben gerade einmal 300 Menschen, von der mann im Rahmen der Windenergie angeschoben Windkraft leben mittlerweile Tausende von Men- hat, haben wir, weil es für uns nicht praktikabel schen und es werden noch viel mehr werden. war, zurückgepfiffen. Diese Energie ist die Zukunft. Jeder Pfennig dieser (Zurufe) Energie bleibt in Schleswig-Holstein. Darüber hin- - Das muss an dieser Stelle auch gesagt werden. aus ist es eine Exportindustrie, von der Schleswig- Ansonsten haben wir auf dem Weg, die Windener- Holstein Chancen hat durch einen weltweiten gie aufzubauen, auf seiner Seite gestanden. Herr Boom, der gerade erst beginnt. Alle Prognosen be- Austermann hat die Windenergie gerade auch in sagen, es wird sich verzehnfachen. Diese Chancen Dithmarschen, nicht nur in Brunsbüttel, mit uns zu- zu nutzen, ist die Verantwortung des Landes, die sammen fördernd betrieben. Das muss man an die- Verantwortung des Landtages und die Verantwor- ser Stelle einfach sagen und kann nicht so tun, als tung des Ministers. Sie werden dem nicht gerecht. sei er ideologisch vernagelt. Deswegen bin ich dafür, dass Sie wirklich einmal ganz tief in sich gehen, meine Damen und Herren. (Zuruf von der CDU: Wer das sagt, ist es meist selber!) (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das möchte ich in diesem Zusammenhang feststel- len - trotz aller Auseinandersetzungen, die wir mit Vizepräsidentin Ingrid Franzen: ihm ansonsten gehabt haben; aber das hat mit dieser Sache nichts zu tun. Es gibt einen weiteren Wortbeitrag. Für die SPD- Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Detlef Bu- (Beifall bei SPD und CDU) der das Wort. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: (Zurufe) Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich Detlef Buder [SPD]: schließe die Beratung. Sie haben viel geredet, aber selten über Anträge. Ich habe das so verstanden, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- dass der Bericht dem Ausschuss überwiesen wer- gen! Was ich eben gehört habe, schlägt dem Fass den soll und wir über die Anträge in der Sache ab- den Boden aus, einfach deshalb, weil uns zugesi- stimmen sollen. chert worden ist, dass gerade in dieser struktur- schwachen Region - man kann eine Region durch Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesre- ständiges Wiederholen auch kaputt reden - gierung, Drucksache 16/580, dem Wirtschaftsaus- schuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. (Beifall bei SPD und CDU) - Wer so beschließen will, den bitte ich um das das zugesicherte Geld in Husum verbleibt. Ihnen ist Handzeichen. - Das ist einstimmig passiert. anscheinend entgangen, was ich vorhin gesagt ha- Wird bei den Anträgen alternative Abstimmung ge- be: Es ist jetzt auch Aufgabe der Stadt Husum, es wünscht? - Wunderbar, das geht auch fixer. Ich se- ist auch Aufgabe der Region, die restlichen Mittel he keinen Widerspruch gegen dieses Verfahren. - so zu verplanen, dass sie für die Bevölkerung dort Wer dem Antrag der Fraktionen von CDU und zukunftssicher investiert werden. Das ist die Aufga- SPD, Drucksache 16/614, seine Zustimmung geben be, die jetzt bevorsteht, neben der exakten Planung will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer dem und Weiterplanung des Hafens. Dass die Türen Antrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE 1506 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)

GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW, terin Trauernicht in den „Kieler Nachrichten“ im Drucksache 16/569, seine Zustimmung geben will, Februar. den bitte ich um das Handzeichen. - Ich stelle fest, CDU-Bundesfamilienministerin von der Leyen for- dass der Antrag Drucksache 16/614 mit den Stim- dert, nach praktikablen Wegen für dieses beitrags- men von CDU und SPD angenommen worden ist. freie Kindertagesstättenjahr zu suchen, und die Wir setzen die Sitzung um 15 Uhr mit Tagesord- CDU in Schleswig-Holstein hat noch für diese Le- nungspunkt 5 fort. gislaturperiode den Einstieg in ein kostenloses Ki- ta-Jahr versprochen. Bei so viel Übereinstimmung Die Sitzung ist unterbrochen. sollten wir damit beginnen, Konzepte auf den (Unterbrechung: 13:36 bis 15:01 Uhr) Tisch zu legen. In unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, genau dieses zu tun, und wir Vizepräsidentin Ingrid Franzen: werden nachher den letzten Absatz unseres Antra- ges getrennt abstimmen lassen. Dann können Sie Ich eröffne wieder die Sitzung und begrüße Sie alle deutlich machen, ob Sie Ihre Forderungen selbst sehr herzlich. ernst nehmen oder nicht. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, teile ich Die institutionelle Kinderbetreuung in Deutschland mit, dass Herr Minister Wiegard wegen dienstlicher muss deutlich besser werden - aus pädagogischer Verpflichtungen auf Bundesebene beurlaubt ist. Sicht, aus bildungspolitischer Sicht, aus Gründen Bei den Besuchern warte ich noch ein bisschen mit der sozialen Gerechtigkeit und um Familie und Be- der Begrüßung. Wir erwarten noch ein paar mehr. ruf endlich miteinander zu vereinbaren. Mit unse- rem heutigen Antrag fordern wir, dass die Schwer- Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tages- punkte in der Familienpolitik künftig anders gesetzt ordnungspunkt 5 auf: werden, hin zur institutionellen Förderung von Betreuung und Versorgung. Wir fordern, dass die Vorfahrt für Kinder - Familienförderung wei- vorgesehenen Mittel für Elterngeld und Betreu- terentwickeln ungsfreibeträge - immerhin zusätzlich 2,2 Milliar- Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den € - den Kommunen und Ländern zur Verfü- Drucksache 16/558 gung gestellt werden, damit die Arbeit der Kinder- tagesstätten gut ausgestattet ist. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Abgeordneter Monika Heinold das Wir sprechen uns deshalb erneut gegen das Ehegat- Wort. tensplitting aus und wir sprechen uns gegen die Einführung des neuen Elterngeldes aus. Bei der Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einführung des neuen Elterngeldes wird mit Schweden und der dortigen erfolgreichen Familien- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Scha- politik argumentiert. Aber wie funktioniert es wirk- de, dass nicht allen Abgeordneten das Thema so lich in Schweden? - Kindertagesstätten und Schu- wichtig ist, dass zumindest eine gewisse Präsenz da len haben dort ein qualitativ gutes und bedarfsge- ist. Das soll uns aber nicht davon abhalten, ernst- rechtes Angebot. Die Kosten für die Eltern sind in haft in der Sache miteinander zu streiten. Schweden bei 150 € gedeckelt, einschließlich Win- Willkommen im Club, meine Damen und Herren. deln und mehrerer Mahlzeiten. Die Familienförde- Ich freue mich, dass wir uns nun alle gemeinsam rung besteht ausschließlich aus einem Kindergeld für ein beitragsfreies Kindertagesstättenjahr in von 120 € monatlich und aus dem ein Jahr lang ge- Schleswig-Holstein einsetzen. Als meine Fraktion zahlten Elterngeld. Ansonsten gibt es nichts in dies vor ziemlich genau fünf Jahren forderte, hagel- Schweden, keine Steuerfreibeträge, keine Betreu- te es noch heftige Kritik. SPD-Bildungsministerin ungsfreibeträge, kein Ehegattensplitting. Das Sy- Ute Erdsiek-Rave wies unsere Forderung als popu- stem in Schweden bedeutet, Eltern erhalten im er- listischen Schnellschuss zurück und auch andere sten Lebensjahr ihres Kindes eine gute finanzielle Kommentare waren nicht gerade freundlich. Heute Ausstattung, anschließend gehen sie wieder zurück ist es die SPD selbst, die gebührenfreie Kinderta- an ihren Arbeitsplatz. Der Staat sichert die Kinder- gesstätten fordert: „Mittelfristig brauchen wir ge- betreuung und er hat damit einen großen Einfluss bührenfreie Kindergärten und anfangen wollen wir auf Bildung und Erziehung der Kinder. Das Ergeb- mit einem gebührenfreien Kita-Jahr vor Schulbe- nis ist eine hohe Erwerbstätigkeit beider Elternteile ginn, wie es Rheinland-Pfalz praktiziert“, so Minis- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1507

(Monika Heinold) und eine relativ große Chancengleichheit der Kin- gen. Natürlich weiß ich, dass es da ganz nett wäre, der. diese Kosten von der Steuer abzusetzen. Aber seien wir doch mal ehrlich, meine Damen und Herren, Deutschland hat ein komplett anderes System, eine unser Hauptproblem sind doch nicht gut verdienen- Mischung aus Kindergeld, Steuerfreibeträgen, Ehe- de Eltern, die zu viel Steuern zahlen, sondern unser gattensplitting, Erziehungsgeld, Baukindergeld, Be- Hauptproblem sind Kindertagesstätten mit hohen treuungsfreibeträgen und Kindertagesstättenfinan- Elternbeiträgen und unzureichenden Öffnungszei- zierung. Über Ehegattensplitting und Steuerfreibe- ten. träge werden bei uns insbesondere die Besserver- dienenden gefördert. Allein das Erziehungsgeld hat (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eine Gerechtigkeitskomponente. Genau aus diesem In diesem Zusammenhang teile ich ausdrücklich die Erziehungsgeld will die Bundesregierung nun ein Aussage von Familienministerin Trauernicht - Elterngeld machen, welches wiederum überpropor- „Kieler Nachrichten“ -, wo sie zu den geplanten tional den besser Verdienenden zu Gute kommt. Ich Betreuungsfreibeträgen gesagt hat: „Ich glaube, die halte dieses für schlicht ungerecht. Menschen erwarten eher eine klare Lösung, zum (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beispiel 50 € für jeden Kita-Platz. Damit kann jede Familie planen.“ - Frau Ministerin, uns haben Sie Deshalb ist meine Fraktion dagegen, das schwedi- an Ihrer Seite. Kämpfen Sie dafür, dass Sie auch sche Elterngeld einfach so auf die jetzige Familien- CDU und SPD hier im Landtag an Ihrer Seite ha- förderung obendrauf zu packen. Stattdessen müssen ben, damit Sie in Berlin mutig voranschreiten kön- wir erst einmal alte Zöpfe wie das Ehegattensplit- nen. ting abschaffen und wir müssen dringend in eine verlässliche, qualitativ gute und für die Eltern be- Fast alle Parteien fordern inzwischen, dass Eltern zahlbare Kinderbetreuung investieren. Ohne eine mittelfristig gar keine Beiträge mehr für die Kinder- bedarfsgerechte Kinderbetreuung kann die Ver- tagesstätte zahlen müssen. Auch dieses konnten wir einbarkeit von Familie und Beruf nicht gelingen. von unterschiedlichen Parteien lesen. Ich kenne Auch das zeigt Schweden. Dafür müssen alle finan- sehr viele Eltern, aber auch Erzieherinnen und ziellen Kapazitäten gebündelt werden. Für neue Kommunalvertreterinnen, die diese Debatte ange- Fördertatbestände haben wir keine Mittel. Bei der sichts der real hohen Elternbeiträge, Kita-Beiträge Kinderbetreuung gibt es in Deutschland große Defi- für verlogen halten. Deshalb ist es Aufgabe der Po- zite und dementsprechend großen und teuren Hand- litik, diese Förderung mit Zahlen zu unterfüttern lungsbedarf. Die Qualität in den Kindertagesstätten und ernsthaft zu prüfen, ob und wie unsere Verspre- muss besser werden. Die Kindertagesstätten brau- chen finanzierbar und damit umsetzbar sind. chen Geld für die Umsetzung des Bildungsauftra- Hier setzt unser zweiter Berichtsantrag an. Wir ges. Wir haben das miteinander diskutiert. Das päd- wollen wissen, was die beitragsfreie Kindertages- agogische Personal muss künftig zumindest teilwei- stätte in Schleswig-Holstein kosten würde, und wir se auf Hochschulniveau ausgebildet werden. wollen wissen, was es kosten würde, wenn wir die Meine Fraktion hat aber noch weitere Ziele. In ei- Elternbeiträge nach oben begrenzen. nem ersten Schritt wollen wir den Kindertagesstät- Meine Fraktion hat vor einigen Jahren schon einmal tenbesuch ein Jahr vor der Schule beitragsfrei stel- einen Vorschlag gemacht, wie wir in Schleswig- len und dieses Jahr für die Kinder verbindlich ma- Holstein innerhalb des Bildungssystems Mittel um- chen. In einem zweiten Schritt wollen wir an allen schichten können. Wir wollten durch die Bildung Kindergärten und Schulen ein kostenloses Mit- von Oberstufenzentren Mittel freischaufeln, um sie tagessen zur Verfügung stellen. In einem dritten in den Vorschulbereich hineinzustecken, damit die- Schritt wollen wir einen Rechtsanspruch auf einen ser gestärkt wird. Ich weiß, dieser Vorschlag war Kindertagesstättenplatz für alle Kinder ab dem er- heftig umstritten. Ich weiß, er hat keine Mehrheit sten Lebensjahr umsetzen. In einem vierten Schritt gefunden. Aber, meine Damen und Herren von wollen wir, dass die jetzigen Gebühren für Kinder- CDU und SPD, ich erwarte von allen, die ein ko- tagesstätten deutlich gesenkt werden. Das ist der stenloses Kitajahr propagieren, dass sie dafür einen Weg hin zur beitragsfreien Kindertagesstätte. eigenen Finanzierungsvorschlag auf den Tisch le- Natürlich kann ich verstehen, dass Frau von der gen. Ich erwarte von denjenigen, die große Hoff- Leyen andere Probleme hat. Auch ich war über Jah- nungen wecken - wie der Fraktionschef der CDU, re in der Situation, angesichts eines langen Arbeits- Herr Wadephul, der selber die Zahl von 40 Millio- tages, angesichts Kindern und angesichts eines gu- nen € pro Jahr angegeben hat -, dass sie sagen, wie ten Einkommens eine Haushaltshilfe zu beschäfti- es denn gehen kann. 1508 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Monika Heinold)

Dass es Finanzierungsmöglichkeiten zur Umset- nungsverschiedenheiten zwischen Christdemokra- zung der beitragsfreien Kindertagesstätte gibt, ten und Sozialdemokraten gibt. Aber bezüglich des macht uns gerade die Stadt Neuss in Nordrhein- Themas Familienpolitik rennen Sie bei den Sozial- Westfalen vor. Sie will als erste Kommune in Nord- demokraten offene Türen ein. Da wäre also mehr rhein-Westfalen ab August auf Kindertagesstätten- möglich gewesen. Sie können sich nicht damit ent- gebühren verzichten, wobei sie gleichzeitig die schuldigen, dass Sie in den vergangenen Jahren von Grundsteuer anhebt und Einsparungen im Verwal- den Sozialdemokraten gebremst worden seien. Sol- tungsbereich vornimmt. Das ist eine kommunal be- ches würde ich Ihnen schlicht und ergreifend nicht schlossene Möglichkeit, die ich als mutig bezeich- glauben. ne. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Familien Dieses Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, neu nach- und Kinder, Geborgenheit und gegenseitige Verant- zudenken, neue Schwerpunkte zu setzen. Wir müs- wortung, wünschen sich, man glaubt es kaum, 90 % sen den Mut haben, Maßnahmen zu bündeln, und der Jugendlichen in unserem Land. Wir wissen aus sollten in Deutschland nicht weiter dazu neigen, Studien auch, dass in Deutschland rund 80 % aller uns zu verzetteln, indem wir unterschiedliche För- jungen Menschen gern eine Familie mit mindestens dertöpfe und -konzepte machen. Wir müssen uns zwei Kindern gründen wollen. auf die Kindertagesstätten konzentrieren und von Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die heutige Ge- anderen Fördertatbeständen verabschieden; wir burtenrate liegt in Deutschland bei 1,3 Kindern je sollten diese nicht neu erfinden. Frau. Die Zahl der Geburten sank von 1,3 Millio- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen im Jahr 1961 auf rund 700.000 im letzten Jahr. Deutschland gehört damit in Europa zum Schlus- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: slicht. Etwas mehr als zwei Kinder wären nötig, um die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Frankreich Ich danke der Frau Abgeordneten Heinold. - Bevor erreicht dies annähernd. Die Bevölkerungsstruk- wir in der Debatte fortfahren, begrüße ich auf der tur verändert sich erheblich. Besuchertribüne sehr herzlich die Seniorenunion Quickborn. - Seien Sie uns herzlich willkommen! Durch die erfreuliche Steigerung der Lebenserwar- tung kommt ein weiterer Faktor hinzu, den wir zur (Beifall im ganzen Haus) Kenntnis nehmen müssen: Die Überalterung unse- Das Wort hat nun für die CDU-Fraktion der Frakti- rer Gesellschaft ist vorprogrammiert. Im Jahr 2030 onsvorsitzende Dr. Johann Wadephul. werden in Deutschland die über 60-Jährigen die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Wir wissen aber Dr. Johann Wadephul [CDU]: auch, dass Deutschland im europaweiten Vergleich das meiste Geld für Kinder in die Hand nimmt. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Kollegin Frauke Tengler hat uns in der letzten Sit- Herren! Es wurde von der Zahl der Kinder gespro- zung die Zahlen genannt. Ich erlaube mir, sie zu chen. Dass ich dennoch, Frau Kollegin Lütkes, Ih- wiederholen. rer geschätzten Kollegin Frau Heinold zu weiteren Hoffnungen Anlass gebe, macht mich stolz und 36 Milliarden € fließen jährlich allein an Kinder- auch ein Stück gelassen. Das ist ganz gut. geld. 25 Milliarden € kosten die kommunalen Kin- dertagesstätten. 19 Milliarden € kostet die beitrags- Aber wenn man Ihre Rede gehört hat, glaubt man freie Kinderkrankenversicherung. Das sind Zahlen, gar nicht, was Sie gesagt haben. Sie haben hier die man zur Kenntnis nehmen muss. Es sind be- neun Jahre lang Verantwortung für die Landespoli- achtliche Summen. tik getragen. Sieben Jahre lang haben Sie das auf Bundesebene getan. Mit einem Mal kommen Sie Wir sind uns sicherlich einig, dass wir zur Förde- hier mit riesigen Programmen und Vorschlägen. rung von Familien gern noch mehr tun würden, Warum haben Sie die in den vergangenen Jahren Frau Kollegin Heinold, als es die öffentlichen eigentlich nicht umgesetzt? Das fragt man sich Haushalte heute zulassen. Wir müssen verstärkt ernsthaft. darüber nachdenken, ob die Gelder, die wir einset- zen, so am effektivsten eingesetzt sind. Vielleicht (Beifall bei CDU und FDP) finden wir andere Wege, die den Familien mit der Frau Kollegin Lütkes, ich muss Ihnen in aller Of- gleichen Summe besser helfen. Wir sollten deshalb fenheit sagen: Bei allen Projekten, die wir gemein- neue Ideen nicht gleich verwerfen, sondern unter sam mit den Sozialdemokraten anpacken, steht es diesem Gesichtspunkt genau prüfen. Aber dieser außer Frage, dass es in manchen Bereichen Mei- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1509

(Dr. Johann Wadephul)

Gesichtspunkt ist mir gerade bei Ihrer Rede zu kurz Zu der geistigen kommt die materielle Verarmung gekommen. hinzu. Die sich abzeichnenden wenigen Schultern, die im Beruf stehen, werden die Belastungen der Selbst wenn wir das Kindergeld verdoppelten und immer mehr und länger lebenden Ruheständler für jedes Kind von Geburt an einen Betreuungsplatz nicht mehr tragen können. Wir sind daher auch un- anböten, könnten wir nicht sicher sein, dass mehr ter diesem Gesichtspunkt aufgefordert, alles zu tun, Kinder geboren werden. Hier geht es eben nicht nur um die Entwicklung zu ändern. um das Geld, nicht nur um die materiellen Werte, die uns fehlen. Es ist, um es mit den Worten unse- Deswegen beschäftigt sich die CDU in Schleswig- res Altbundespräsidenten Roman Herzog zu sagen, Holstein intensiv mit dem Thema Familienpolitik. ein geistiger Verarmungsprozess, der sich in den 2001 hat sie die gesellschaftlichen Veränderun- letzten Jahrzehnten schleichend in unserer Gesell- gen aufgegriffen und den Weg zu einer zukunfts- schaft ausgebreitet hat. weisenden Familienpolitik aufgezeigt. Derzeit fin- den in allen Kreisen Veranstaltungen mit Experten Wir haben verlernt, was Kinder für eine Gesell- statt und der Landesparteitag der CDU in Schles- schaft und für jeden Einzelnen von uns bedeuten: wig-Holstein wird in Kürze ein Grundsatzpapier Sie bereichern und beschenken unser Leben. Sie verabschieden. zwingen uns, ständig über unser eigenes Tun nach- zudenken und es zu hinterfragen. Sie lehren uns, Die CDU-Landtagsfraktion hat eine Große Anfrage Dinge wieder völlig neu und mit anderen Augen zu zur Familienpolitik eingebracht, um weiteres betrachten. Sie vermitteln uns Staunen, Fröhlichkeit Grundlagenmaterial zu erhalten. Wir wissen, dass und Bewegung. Sie verhindern eine geistige Ver- wir nicht nur auf eine Veränderung der Einstellung krustung. Von ihrer Geburt an begreifen wir Ver- setzen können, wenn wir ein Ja zu Familie und Kin- antwortung ganz neu. dern erreichen wollen. Hierzu bedarf es einer großen Bandbreite an Maßnahmen. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viele dieser Maßnahmen erfordern keine oder nur Wir haben es zugelassen, dass Bequemlichkeit und geringe finanzielle Mittel, sondern eher einen guten Selbstverwirklichung überhand genommen haben, Willen und die Bereitschaft zu Flexibilität. Ich dass Kindertoben stört, weil es laut ist, und zum nenne beispielsweise die Regelungen zur Verein- Teil sogar vor Gericht dagegen vorgegangen wird, barkeit von Familie und Beruf, betriebliche Famili- während Flug- und Autolärm als gegeben betrachtet enförderung und die Einrichtung lokaler Bündnisse werden. Familien mit Kindern werden in der Bahn, für Familien. im Restaurant oder andernorts schief angeschaut. Die Entscheidung eines Elternteils, sich ausschließ- Andere Maßnahmen - hierzu zähle ich insbesondere lich der Kindererziehung zu widmen, wird nicht an- alle Maßnahmen zur Kinderbetreuung - lassen sich erkannt. nicht umsetzen, ohne Geld in die Hand zu nehmen. Wir wissen, dass mangelnde oder teure Betreu- Gegen diesen Verarmungsprozess müssen wir an- ungsangebote bei vielen jungen Familien den Kin- gehen, und zwar nicht aus materiellen Gründen, derwunsch bremsen. Ein Familienteil, meistens im- sondern weil sich unsere gesamte Gesellschaft ihrer mer noch die Mutter, müsste auf absehbare Zeit auf geistigen Zukunft beraubt. eine Berufstätigkeit verzichten. Das führte zu er- (Beifall bei CDU und SPD) heblichen finanziellen Nachteilen oder eine nicht Wir alle - damit meine ich nicht nur uns Politiker, gewünschte Lebensgestaltung. Deswegen müssen sondern alle gesellschaftlichen Kräfte - können und wir alle Initiativen unterstützen, die eine Verbesse- müssen dieses Umdenken erreichen. Wenn uns das rung der Betreuung erreichen. gelingt, wenn wir überzeugt sagen, dass Kinderlärm Da sich die Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS Zukunftsmusik ist, haben wir einen Erfolg zu ver- 90/DIE GRÜNEN gerade in den vergangenen Sit- buchen. Glauben Sie mir, als dreifacher Vater ken- zungen - Stichwort Rauchverbot - auch mit der Si- ne ich diese Musik in allen Tonarten, wenn man da- tuation hier im Landtag auseinander gesetzt haben, bei, offen gestanden, auch nicht immer fröhlich und möchte ich anregen, eine Initiative zu ergreifen, um gelassen ist. Wenn wir diese Musik bejahen, haben auch im Bereich des Landeshauses und der Ministe- wir sehr viel mehr erreicht als mit jeder Kindergel- rien für Betreuungsangebote zu sorgen, derhöhung. (Beifall bei der CDU) Herr Ministerpräsident, auch Enkelkinder musizie- um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Mi- ren oft auf ihre Art und Weise und tragen dazu bei, nisterien und vielleicht auch Abgeordneten zu er- dass wir die Verarmung überwinden. 1510 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Dr. Johann Wadephul) möglichen, ihren Beruf auszuüben, parallel verbun- Schwache eine große Hemmschwelle haben, trotz den mit einem Betreuungsangebot. Vielleicht kön- aller Unterstützung, die es dort gibt, einen Kinder- nen wir so etwas gemeinsam im Ältestenrat und ge- gartenplatz in Anspruch zu nehmen. Ich glaube, meinsam mit den Häusern erörtern. gerade in sozial schwachen Schichten, in denen es auch soziale Defizite gibt, in denen es Sprachdefizi- Die CDU-Fraktion spricht sich zur Verbesserung te gibt, in denen es Kinder mit Migrationshinter- der Situation für eine langfristige Einführung eines grund gibt, ist es eine der wichtigsten Zukunftsauf- kostenlosen letzten Kindergartenjahres aus. Mei- gaben, in Deutschland dafür zu sorgen, dass alle ne sehr verehrten Damen und Herren, diese Aussa- Kinder in einen Kindergarten kommen. Ich bin für ge, Frau Kollegin Heinold, ist ja der eigentliche eine intakte Familie, aber ich bin genauso der Über- Anlass Ihres heutigen Antrages. Wir freuen uns, zeugung, wir können Kinder heute ohne einen Kin- dass wir Sie animiert haben, unsere familienpoliti- dergartenbesuch nicht mehr in die Grundschule schen Vorstellungen aufzugreifen und zu unterstüt- schicken. Deswegen müssen wir dafür sehr viel zen. Wir können jede Unterstützung gebrauchen, Geld und Energie aufwenden. auch die der Opposition. (Beifall bei CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS Wie bei jeder Maßnahme, die den finanziellen Ein- 90/DIE GRÜNEN) satz des Landes fordert, gilt es natürlich, keine neu- en Schulden aufzunehmen. Unseren Lebensstan- dard erhalten wir derzeit nur auf Kosten der nach- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: folgenden Generationen. Das ist auch ein Stück Un- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Wadephul. gerechtigkeit gegenüber den Kindern und Kindes- - Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun Frau Ab- kindern, die später ihr Leben selbstständig gestalten geordnete Ulrike Rodust. sollen und nicht unsere Schulden aufgebürdet be- kommen sollen. Deswegen ist es unser vorderstes Ulrike Rodust [SPD]: Ziel, in dieser Legislaturperiode zunächst entschei- dende Schritte zur Haushaltskonsolidierung zu ge- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen hen und jedenfalls den Doppelhaushalt 2007/2008 und Kollegen! Ein Blick in die Medien zeigt: Fami- in einer Art und Weise zu verabschieden, die für lienpolitik ist hoch im Kurs. So etwas birgt regel- die Zukunft verantwortbar ist. mäßig die Gefahr, dass es sich um ein Strohfeuer handelt. Und dieser Verdacht wächst, wenn ich mir Aber das Ziel bleibt auf der politischen Agenda und die plötzliche Überaktivität im Hause ansehe. In ist auch in dieser Legislaturperiode eines der politi- den vergangenen Wochen sind viele Initiativen auf schen Ziele der CDU-Fraktion. Wir werden, wie den Weg gebracht worden: In der 13. Tagung wird Sie es gesagt haben, Frau Heinold, nicht nur die die Regierung über ihre familienpolitischen Aktivi- Lippen spitzen, sondern wir werden auch pfeifen. täten berichten. Im Sozialausschuss wurde ein Be- Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in diesem richtsantrag über die Vermeidung gesundheitlicher Bereich Handlungsbedarf haben. Schäden und Gesundheitsstörungen bei Kindern be- (Beifall bei der CDU) schlossen, der natürlich auch die Familie umfasst. Die CDU hat eine Große Anfrage zur Familienpoli- Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen tik in Schleswig-Holstein eingebracht. Die Grünen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Ich bin da- haben nun für die 14. Tagung ebenfalls einen Be- gegen, dass wir, so wie Sie das gemacht haben - je- richt beantragt. denfalls konnte man Sie so verstehen -, sagen, es gibt ein Problem nur bei den sozial besser oder so- Liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn wir unsere zial schlechter Gestellten, und zwar mit Blick auf eigenen Berichtsanträge ernst nehmen und sie nicht Frau von der Leyen, die natürlich einen anderen fi- als Beschäftigungstherapie für die Verwaltung be- nanziellen Hintergrund hat. Aber ich muss wirklich trachten, sollten wir doch erst einmal alle Berichte sagen, meine Bewunderung für diese Frau mit sie- abwarten und dann sehen, welche konkreten Maß- ben Kindern ist schon sehr groß. nahmen sich daraus ergeben. Wir sollten beide Probleme sehen. Die frühere Fa- (Beifall bei der SPD) milienministerin Schmidt hat auch immer auf das Der vorliegende Antrag gibt mir allerdings die Ge- Problem hingewiesen: Wir haben ein ausgeprägtes legenheit, einige Grundzüge unserer Familienpoli- Problem bei Akademikerinnen, die sich nicht mehr tik darzulegen: Deutschland hat zu wenige Kinder. für Kinder entscheiden. Das ist für die Zukunft un- Wir verzeichnen eine hohe Kinderlosigkeit vor al- serer Gesellschaft eine große Gefahr. Auf der ande- lem der besser gebildeten Männer und Frauen und ren Seite haben wir das Problem, dass sozial Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1511

(Ulrike Rodust) wir stellen einen negativen Rekord auf, was Famili- zu Recht seinen Platz im Koalitionsvertrag gefun- en mit mehreren Kindern angeht, eine bei uns fast den. aussterbende Form der Familie. Unser Land ist Die Verbindung von Elterngeld und mehr Kinder- nicht kinderfeindlich, es ist kinderentwöhnt. betreuung wird eine drastische Senkung von Fami- Unsere Gesellschaft und immer mehr junge Frauen lienarmut ermöglichen. Wenn junge Frauen nach und Männer halten Kinder nicht mehr für einen un- der Geburt eines Kindes zunächst für ein Jahr aus- verzichtbaren Bestandteil des Lebens. Zugleich ist scheiden, das Elterngeld den Einkommenseinbruch die Familie für die meisten Menschen der wichtig- auffängt und sie danach eine gesicherte und bezahl- ste Bereich im Leben, in dem sie Rückhalt und Zu- bare Kinderbetreuung vorfinden, wird es viel weni- wendung finden. ger Familien geben, die von nur einem Einkommen oder nur aus Transfermitteln leben müssen. Das ist Völlig klar, eine Entscheidung gegen Kinder muss das Ziel. respektiert werden und die schrecklichen Vorfälle der letzten Zeit müssen uns deutlich machen, dass Durch die Absetzbarkeit der Kinderbetreuungsko- einem Kind nichts Schlimmeres passieren kann, als sten wird ein Hemmnis beim Wiedereinstieg junger ungewollt und ungeliebt geboren zu werden und Eltern, insbesondere Mütter, in den Beruf gemil- schließlich auch materiell und seelisch unversorgt dert. Diese Maßnahme trägt auch zu unserem Ziel und misshandelt aufwachsen zu müssen. bei, die Anreize zur Erwerbstätigkeit von Müt- tern zu stärken. Die Aufnahme einer Erwerbstätig- Aber die Entscheidung für Kinder darf nicht daran keit muss gerade auch für geringer Verdienende, scheitern, dass die von der Gesellschaft zu schaf- darunter sind häufig Alleinerziehende, attraktiver fenden Rahmenbedingungen nicht da sind. werden. Wenn sie die Betreuungskosten für ihre Im „Spiegel“ las ich, sechs junge CDU-Bundestags- Kinder von Anfang an steuerlich absetzen können, abgeordnete setzten sich wieder für das alte, tradi- lohnt sich eine Erwerbstätigkeit eher, als wenn der tionelle Bild der Familie ein. Dazu sage ich: Meine größte Teil des Gehaltes unwiederbringlich in die Herren, dass ist mit uns, den SPD-Frauen, nicht Kinderbetreuung fließt. möglich. Wir wollen beides; wir wollen Zeit haben Wenn wir Beitragsfreiheit für für unsere Kinder und wir wollen Beruf und Fami- Kindertagesstätten, übrigens eine alte SPD-Forde- lie in eine gute Balance bringen. rung, anstreben, wäre das ein weiterer wichtiger fa- (Beifall bei der SPD) milien- und bildungspolitischer Schritt, eine konse- Die SPD-Fraktion verfolgte in der rot-grünen eben- quente Verbindung von Bildung und Betreuung. so wie in der Großen Koalition erfolgreich das Ziel, Die Finanzierung kann nur durch eine gemeinsame den Ausbau einer quantitativen und qualitativen Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen Kinderbildung und -betreuung voranzubringen. gelingen. Aber wir müssen ehrlich sagen, dass dies Wir reden nicht nur darüber, wir handeln auch, und angesichts der Verschuldung unseres Landes aktu- zwar mit einer Mischung aus familienfreundlicher ell nicht realistisch ist. Dennoch gewährt das Land Infrastruktur, zeitlichen Möglichkeiten und finanzi- den Trägern von Kindertageseinrichtungen und Ta- ellen Rahmenbedingungen. gespflegestellen pauschale Zuschüsse. Insgesamt Wir setzen uns gemeinsam mit starken Partnern aus sind für die Jahre 2006 bis 2010 300 Millionen € Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft für eine eingeplant. Für die vorschulische Sprachförderung familienbewusste Arbeitswelt ein. Ihr Eckpfeiler ist werden in diesem Zeitraum insgesamt 27 Millio- ein gutes Angebot an Kinderbetreuung. Das Tages- nen € veranschlagt. Dies ist eine gewaltige Kraftan- betreuungsausbaugesetz soll bis 2010 230.000 zu- strengung, doch wir werden dies umsetzen. sätzliche Plätze für unter Dreijährige in Krippen Da sind vorläufig Wünsche für den beitragsfreien und bei der Tagespflege schaffen. Wir haben die Kindergarten nicht realisierbar. Zumindest kann notwendige Qualitätsinitiative für Betreuungsein- ich nicht erkennen, woher das Land den Eigenan- richtungen gestartet. Der Dreiklang aus Bildung, teil, der vom Bund automatisch gefordert werden Betreuung und Erziehung steht im Mittelpunkt. würde, aufbringen soll. Diese Ziele sind auch im „Nationalen Aktionsplan Meine Damen und Herren, Kinder, die heute in Ar- für ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010“ mut leben, bleiben arm und auch ihre Kinder wer- verankert und seit Jahren im schleswig-holsteini- den arm sein. Das geht aus der neuesten Studie der schen Kita-Gesetz festgeschrieben. Der Aktions- Arbeiterwohlfahrt über Kinderarmut in Deutsch- plan hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt und land hervor. Dem Kreislauf von Armut durch Ein- kommensbenachteiligung sowie verminderten Bil- 1512 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Ulrike Rodust) dungschancen ist nur schwer zu entkommen. Die für Kinder und Familie entscheiden. Davon bin ich Armut und ihre Folgen haben sich verfestigt, der fest überzeugt. gesundheitliche Zustand der Kinder oft verschlech- (Beifall bei SPD und CDU) tert und aus den Einzelgängern, die häufig bereits im Kindergarten arme Kinder waren, sind in der Grundschule Außenseiter geworden. Aus der Ar- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: mutsfalle auszubrechen, gelingt nur selten, weil Für die FDP-Fraktion erhält nun der Herr Abgeord- auch die Bildungschancen armer Kinder deutlich nete Dr. Heiner Garg das Wort. geringer sind. Auch dies trägt zu den PISA-Ergeb- nissen bei. Dr. Heiner Garg [FDP]: Haushaltskürzungen kann es hier nicht geben. Um Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kolle- den Lehrerbedarf zu decken und um Verbesserun- gen! Ich hätte mir gewünscht, dass man sich mit gen im Unterrichtsangebot zu ermöglichen, werden dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein wir auch in den nächsten Jahren neue Lehrerstellen bisschen mehr inhaltlich beschäftigt hätte. Denn schaffen. darin wird nicht nur ein ganz konkreter Finanzie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Staat kann rungsvorschlag gemacht. - Ich sage gleich etwas nur die Mittel verteilen, die ihm auch zur Verfü- dazu. Ich teile den Vorschlag so nicht, aber es wird gung stehen. Der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE ein konkreter Finanzierungsvorschlag gemacht, der GRÜNEN ist interessant und wenn ich nicht schon hoch spannend und zwischen den einzelnen Partei- länger hier im Landtag sitzen würde, wäre ich si- en und Fraktionen auch sehr umstritten ist. Deswe- cherlich auch beeindruckt. Doch nun stelle ich nur gen hätte mich auch interessiert, Herr Fraktionsvor- fest: Er ist überaus populistisch. Die Feststellung in sitzender Wadephul, wie eigentlich die CDU zum Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von Vorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass Schleswig-Hol- durch die Abschaffung des Ehegattensplittings stein erheblichen Nachholbedarf bei der institutio- bestimmte Projekte zu finanzieren. Aber der Vor- nellen Kinderbetreuung habe, werden wir nach den schlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geht ja Berichten beurteilen und nicht jetzt. vom Ansatz her auch in eine andere Richtung der Familienförderung. Wenn ich das heute richtig ver- Aus der Opposition heraus kann man leicht Forde- standen habe, dann gehen Teile der SPD auf Bun- rungen stellen, die nicht bis ins Detail ausgefeilt desebene auch genau in diese Richtung, während sind. In Koalitionen werden Kompromisse ge- die Union offensichtlich etwas anderes möchte. macht. Das wissen wir alle nur zu gut. Aber Kom- promisse verdammen nicht zum Nichtstun. Deshalb Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, Vor- können wir Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen fahrt für Kinder ist etwas - Frau Heinold, das haben von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, von Ihrer Ver- wir auch von beiden Vorrednern gehört -, was alle antwortung nicht entbinden. All diese Forderungen, möchten. Die Frage ist: Welcher Weg soll dafür ge- die Sie in den letzten Wochen auf den Tisch gelegt wählt werden, um den Kindern genau diese Vor- haben, hätten Sie, als Sie verantwortlich waren, fahrt zu gewähren? Dazu müssen aus unserer Sicht durchsetzen können. Sie haben noch nicht einmal folgende Fragen beantwortet werden: den Versuch gemacht, weil Sie damals eingesehen Wie können Familien besser gefördert werden? haben, dass dies nicht finanzierbar ist. Deshalb leh- Wie kann eine bessere und möglichst kostenfreie nen wir Ihren Antrag ab. Betreuung von Kindern organisiert werden? Wie (Zuruf der Abgeordneten Anne Lütkes können Familie und Beruf für Frauen und Männer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist al- grundsätzlich besser vereinbart werden, damit Kin- bern!) der, wie dies der Kollege Wadephul dargestellt hat, nicht weiterhin das Hindernis in der beruflichen Wir haben uns für die nächsten Jahre in der Famili- und gesellschaftlichen Stellung eines jeden Einzel- enpolitik viel vorgenommen. Etliches ist schon auf nen darstellen, sondern eine echte Bereicherung den Weg gebracht, anderes wird folgen. Am Ende sind? des Weges - davon bin ich fest überzeugt - wird dieses Land eine Familienpolitik haben, die nicht Frau Kollegin Heinold, die von Ihnen vorgelegten nur eine sozialdemokratische Handschrift trägt, Anträge zur Familienförderung und zur besseren sondern auch eine für junge Menschen attraktive Kinderbetreuung beschreiben einen möglichen Form hat. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, Weg, keine Frage. Man kann ihn wählen, um dieses werden sich wieder viel mehr Frauen und Männer Ziel zu erreichen. Dabei soll künftig eine institutio- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1513

(Dr. Heiner Garg) nelle Förderung von Betreuungsangeboten Priori- wohl liberale Frauen als auch liberale Männer hal- tät vor der individuellen Familienförderung haben. ten bestimmt nichts von der Initiative sechs junger Sie haben das klipp und klar gesagt. An sich hätte Unionsabgeordneten. Allerdings ist die Unionsfrak- ich mir dazu eine deutliche Antwort meiner Vorred- tion im Deutschen Bundestag etwas größer als ner gewünscht. sechs. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vor dreißig Jahren sah das Familienbild noch ganz anders aus. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass wir Folgerichtig fordern Sie die Abschaffung des Ehe- unter ,,Familie" auch das Zusammenleben von El- gattensplittings, um die von Ihnen angestrebte insti- ternteilen mit Kindern, von Nichtverheirateten mit tutionelle Förderung zu finanzieren. Das mag kon- Kindern sowie von Geschiedenen mit Kindern ver- sequent sein, ist aber aus unserer Sicht nicht der stehen müssen. Entscheidendes Kriterium muss richtige Weg, um die individuelle Lebensgestaltung deshalb sein, dass Menschen füreinander einstehen. von Familien zu fördern. Vielmehr drängt sich mir Deshalb verstehen wir unter ,,Familie" jede Art von der Eindruck auf, dass Familien bei der Verwirkli- Verantwortungsgemeinschaft, in der Kinder auf- chung dieses Ziels nicht gefördert, sondern staatli- wachsen. cherseits bevormundet werden. Wir haben daher im Rahmen der Verfassungsdebat- Ich will Ihnen auch sagen, warum ich diesen Ein- te anlässlich der deutschen Einheit eine Ergänzung druck habe. des Artikels 6 des Grundgesetzes vorgeschlagen. Der Antrag unterstellt, dass eine individuelle Fami- Wir wollten damals, dass der Staat den besonderen lienförderung nicht zielführend ist. Vielmehr sol- Schutz, den Ehe und Familie genießen, auch auf die len Familien durch institutionelle Rahmenbedin- anderen auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaf- gungen im Bereich der Kinderbetreuung zu einem ten ausweitet. Dieser Antrag hat damals im Bundes- bestimmten Verhalten angeleitet werden. Dabei tag bedauerlicherweise nicht die notwendige Zwei- wird die bewusste Entscheidung von Familien, be- drittelmehrheit erhalten. stimmte Angebote gerade nicht zu nutzen oder an- Das eigentliche Problem der Familienförderung dere Angebote nutzen zu wollen, durch die Be- liegt jedoch tiefer, gerade dann, wenn man in dem schneidung der individuellen Familienförderung Instrument des Ehegattensplittings lediglich eine genommen. Gerade diese staatliche Bevormundung einseitige und grundlose steuerrechtliche Privilegie- lehne ich strikt ab. rung des Instituts der Ehe sieht. Dabei muss an die- (Beifall bei der FDP) ser Stelle die entscheidende Frage beantwortet wer- Wir geben lieber Familien das Geld, um sie in die den, ob künftig die Ehe oder die Familie steuerlich Lage zu versetzen, bestimmte Kinderbetreuungsan- gefördert werden soll. Denn Artikel 6 des Grundge- gebote auszuwählen. Eine Möglichkeit, ihnen das setzes schreibt fest, dass ,,Ehe und Familie" unter Geld zur Verfügung zu stellen, bietet das so ge- dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung nannte Ehegattensplitting. Allerdings profitieren stehen. Der Schutz der Ehe ist damit ein selbst- nicht alle Formen der Familie davon. Im Antrag ständiges Gewährleistungsinstrument im Rahmen wird deshalb unterstellt, dass der Staat durch das des Artikels 6. Es geht also nicht nur um den Instrument des Ehegattensplittings eine bestimmte Schutz der Familie, sondern auch um das selbst- Form der Familie, die so genannte Alleinverdiener- ständige Rechtsinstitut der Ehe, Frau Kollegin Lüt- ehe, einseitig fördert. Genau diesen Aspekt möchte kes. ich näher beleuchten. Man hat sich bei der Einführung des Ehegatten- Denn bei der Analyse, was wir heute unter dem Be- splittings durchaus etwas gedacht, und zwar nicht griff ,,Familie" verstehen müssen, sind wir, glaube nur dahin gehend, dass man die Ehe privilegieren ich, ziemlich eng beisammen. Die Lebensform ,,Fa- will, sondern dass es der Staat auf diese Weise den milie" hat sich im Laufe der Zeit schneller gewan- Eheleuten überlässt, wie sie ihre Ehe führen. Das delt, als dies bisher vom Gesetzgeber nachvollzo- kann der Staat nur, wenn er nicht über alle mögli- gen wurde. Weniger Eheschließungen, mehr Schei- chen Transferleistungen steuernd eingreift, sondern dungen und eine steigende Anzahl von außereheli- den Ehegatten genügend Einkommen belässt, damit chen Geburten sprechen hierbei eine ganz deutliche sie frei entscheiden können, wie sie ihr Leben ge- Sprache. Das althergebrachte Alleinverdienermo- stalten wollen. dell - Vater erwerbstätig und Mutter Hausfrau - Wenn aber das Ehegattensplitting nicht unmittelbar wird in der Realität nur noch von einem Drittel der der Förderung von Familien mit Kindern dient, wie Familien gewählt. Und, Frau Kollegin Rodust: So- kann dann ein Ausgleich gefunden werden, um Fa- 1514 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Dr. Heiner Garg) milien nicht schlechter zu stellen? Kann die Ab- tensplittings und den vermeintlichen finanziellen schaffung des Ehegattensplittings - abgesehen von Ressourcen, die wir dann haben, so etwas wie den den vielfältigen verfassungsrechtlichen und steuer- „Jäger 90“ der Familienförderung zu machen. systematischen Bedenken - wirklich eine Lösung (Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sein, wie Sie das vorschlagen? - Nein, nicht von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die oft genannte Summe von 20 Milliarden € - Aber es gibt zahlreiche Vorschläge, wie man das Deutsche Bank Research 2002 - bis 22,1 Milliar- Geld anders verwenden könnte. Man kann das Geld den € - DIW in Berlin von 2003 -, die dem Staat bei redlicherweise nur einmal ausgeben. der Abschaffung des Splittingvorteils aus der Ein- kommensteuer für Familienleistungen zur Verfü- Viel schlimmer ist aus meiner Sicht: Gerade den gung stünden, wecken selbstverständlich große Be- Verantwortungsgemeinschaften, die wir als Familie gehrlichkeiten und Ideen, wie man das anders ver- definiert haben, wäre mit dieser Maßnahme immer teilt. noch nicht geholfen. Wir müssen aus unserer Sicht andere Antworten geben als die Abschaffung des Ökonomische Gründe sprechen gegen eine Ab- Ehegattensplittings, wenn wir die Familien genau schaffung, denn rund 70 % des Splittingvolumens an der richtigen Stelle fördern wollen. entfallen auf verheiratete Einkommensbezieher mit Kindern. Den Familien würde damit eine notwendi- Die weitergehende Frage, wie neben den rein mo- ge finanzielle Förderung entzogen, die durch den netären Leistungen in der Familienpolitik eine In- Aufbau von institutionellen Angeboten nicht kom- frastruktur geschaffen werden kann, um Familien pensiert werden kann. zu fördern und die Vereinbarung von Familie und Beruf zu ermöglichen, ist deshalb aus unserer Sicht (Beifall des Abgeordneten Lars Harms unabhängig von der Frage zu beantworten, ob wir [SSW]) das Ehegattensplitting abschaffen. Dazu gehört Flösse dieses Geld aber an individueller Förderung auch - da gebe ich Ihnen Recht -, dass in Schles- wieder an die Familien mit Kindern zurück, hätten wig-Holstein endlich der tatsächliche Bedarf der diese keine weiteren Vorteile, sodass von einer wei- meisten Eltern an Betreuungsangeboten vor Ein- terentwickelten Familienförderung - so wie Sie sie schulung der Kinder ermittelt werden muss. wollen - gar nicht mehr gesprochen werden kann. (Beifall bei der FDP) Auch die Abschaffung oder die Einschränkung ei- nes Splittings für kinderlose Ehepaare würde nicht Hierzu bietet der Berichtsantrag zur Umsetzung ei- sehr viel weiter helfen. Gerade in dieser Gruppe ner kostengünstigen oder gar kostenlosen Kinderbe- sind beide Ehepartner besonders häufig berufstätig, treuung eine Planungsgrundlage für Land und sodass der Splittingvorteil entsprechend gering ist. Kommunen, anhand der wir genau diesen Aspekt Frau Heinold, Sie wissen, das das so ist. im Sozialausschuss weiter diskutieren können. (Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold Gestatten Sie mir eine abschließende Bemerkung. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Zuruf von der SPD: Nein!) Darüber hinaus dürfen Verheiratete gegenüber Ge- - Ich habe nicht Sie gefragt, ob Sie sie mir gestat- schiedenen nicht benachteiligt werden, sodass der ten. jetzt bestehende Versorgungsanspruch geschiedener Partner, der derzeit steuerlich abzugsfähig ist, dann (Heiterkeit und Zurufe) konsequenterweise auch bei Verheirateten gelten Kollege Baasch, es ist doch Pflicht und notwendig, müsste. Unter dem Strich wäre dann wenig übrig, dass sich gerade auch die Opposition darum küm- um Nichtverheiratete mit Kindern oder einen flä- mert und immer wieder nachfragt, was getan wer- chendeckenden Ausbau von Betreuungsangeboten den muss, um bestimmte Situationen zu verbessern zu fördern. - auch, liebe Kollegin Rodust, wenn eine der regie- Nach Berechnungen der Deutschen Bank Research rungstragenden Fraktionen eine Große Anfrage zu aus dem Jahr 2002 wären die oftmals errechneten diesem Thema gestellt haben mag. Da kann ich nur 20 Milliarden € auf 1,5 Milliarden bis 2,5 Milliar- das sagen, was Frau Heinold gesagt hat: Die Grü- den € reduziert. Das ist dann wieder eher Wunsch- nen waren in diesem Fall zuerst da. denken denn Realität. Das ist nicht besonders viel, (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE wenn man sich die Summen anschaut, die zuvor in GRÜNEN) die Debatte geworfen wurden. Ich warne im Übri- gen auch davor, bei der Abschaffung des Ehegat- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1515

Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Sie gehen davon aus, dass 50 bis 70 % der global publizierten Steuerliteratur inzwischen aus Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das Deutschland kommt. Nun wird es sicherlich noch Wort für den SSW im Landtag hat Herr Abgeord- ein paar Ratgeber mehr geben, die Familien den neter Lars Harms. Weg durch den Steuerdschungel weisen wollen. (Konrad Nabel [SPD]: Stell nicht so blöde So ein Gesetz ist der falsche Weg. Er ändert nur Fragen wie eben!) wenig an der Benachteiligung von Familien und wird sicherlich keine einzige Frau und keinen Mann Lars Harms [SSW]: von der Familiengründung überzeugen. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Die Grünen nennen in ihrem Antrag ein anderes Herren! Ich bin davon überzeugt, dass eigentlich in Überbleibsel einer falschen, einseitig monetär aus- Sachen Familienpolitik schon alles gesagt worden gerichteten Politik, das Ehegattensplitting. In ist. Gute und solide Analysen füllen inzwischen Skandinavien ist übrigens undenkbar, dass die ganze Bücherwände, die meisten davon ausgespro- Frauen via Steuerrecht übervorteilt werden. Denn chen klug und fundiert. Es sind vor allem drei Be- die aktuellen Vorteile der niedrigen Steuerklasse funde, die uns zum Handeln zwingen. Erstens gibt wirken sich im Alter zu einem handfesten Nachteil es in Deutschland zu wenig Nachwuchs, weil viele aus. Schließlich werden die Sozialbeiträge nach Frauen und Männer befürchten, dass unsere Gesell- dem künstlich niedrig gerechneten Einkommen be- schaft sie zu wenig in der Elternschaft unterstützt. rechnet. Zweitens liegt die Erwerbstätigkeit von Frauen in der Bundesrepublik europaweit unter dem Durch- Das Ehegattensplitting fördert darüber hinaus ganz schnitt und die Karrieremöglichkeiten für Frauen klar die Ein-Verdiener-Ehe und boykottiert Bemü- sind in Deutschland immer noch schlechter als die hungen um ökonomische Selbstständigkeit beider von Männern. Drittens sind die Chancen für Kinder Partner. in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie (Beifall der Abgeordneten Anne Lütkes aus sozial schwachen Familien kommen, ausge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sprochen schlecht. Die Liste der Nachteile des Ehegattensplittings lie- Das alles hat der SSW - wie auch viele andere - ße sich fortsetzen. Unter anderem die Tatsache, schon seit Jahren kritisiert. Wir haben fordert, die dass 90 % der Mittel aus dem Ehegattensplitting Familien durch differenzierte institutionelle Ange- westdeutschen Paaren zufließen, aber nur 10 % an bote zu unterstützen. Von daher unterstützen wir ostdeutsche Paare ausgezahlt werden, zeigt die so- den Antrag der Grünen, fordert er doch die Um- ziale Schieflage dieses Modells. steuerung weg von individueller Förderung hin zu mehr Dienstleistungen durch den Staat. Skandina- (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold vien macht das vor. Die Rahmendaten, hohe Frau- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) enerwerbsquote und gleichzeitig hohe Geburtenra- Das Ehegattensplitting hat im Übrigen genau bese- te, zeigen, dass die Maßnahmen richtig sind. hen nichts mit einer Familie zu tun, denn nach mei- (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold nem Dafürhalten gehören zu einer Familie unbe- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dingt Kinder. Menschen sollen sich lebenslang ver- binden, meinetwegen auch auf Zeit. Eine besondere Zurzeit scheinen diejenigen, die eine Individualför- Pflicht für den Staat erwächst für mich aber erst aus derung à la katholischer Soziallehre umsetzen wol- der Tatsache der Kinderbetreuung. Insofern gebe len, in der schwarz-roten Regierung den Ton anzu- ich dem Kollegen Garg Recht, dass man sich über geben. Wie sonst wäre ein Gesetz zu erklären, das den Verfassungsartikel Ehe und Familie unterhalten mit großem Brimborium vorgestellt wird, von dem muss. aber schätzungsweise nur jede zweite Familie profi- tieren wird, das Gesetz zur Anrechenbarkeit von (Zuruf der Abgeordneten Anne Lütkes Kinderbetreuungskosten? Warum nur die Hälfte? [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) - Ganz einfach: Die meisten Menschen verdienen - Das ist so. einfach zu wenig, um irgendwelche Belastungen steuerlich geltend machen zu können, oder sie kön- Dabei spielt es keine Rolle, ob es eigene Kinder, nen es sich gar nicht leisten, überhaupt in Vorlei- Pflegekinder oder adoptierte Kinder sind. Ungefähr stung zu gehen. Einmal ganz abgesehen davon, dass 22 Milliarden € kostet ein Steuermodell, das Ein- Experten schätzen, dass das deutsche Steuerrecht kommensunterschiede zwischen Männern und sowieso das komplizierte auf der ganzen Welt ist. Frauen belohnt. Der SSW fordert schon seit Jahren, 1516 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Lars Harms) dieses Geld besser für die Dienstleistungen für Fa- garten anzumelden. Es liegen keine genauen Zahlen milien einzusetzen und nur noch die Kinder und und Konzepte vor und deswegen können wir ei- damit die Familie zu fördern und nicht die Ehe. gentlich noch nicht die Schlüsse ziehen, die im An- trag schon gezogen werden. Das muss nachgeholt Nach dem vorliegenden Antrag soll das Geld in die werden. Einführung des kostenlosen Kindertagesstättenjah- res für fünfjährige Kinder fließen. Ich muss sagen, Wo wirklich Bedarf ist, sind die so genannten Kin- dass ich mit der einseitigen Bindung der Mittel Pro- derkrippen. In Husum ist ein entsprechendes Pro- bleme habe, denn zumindest die Familien mit Kin- jekt nach langem Vorlauf gescheitert. In Nordfries- dern dürfen nicht durch die Streichung des Ehegat- land war es das dann schon von öffentlicher Seite - tensplitting benachteiligt werden. Das ist das größte bis auf eine Ausnahme auf Sylt. Private Betreu- Problem, das wir mit diesem Antrag haben. Auch ungslösungen in Familie oder Nachbarschaft sind darauf ist der Kollege Garg schon eingegangen. die einzige Möglichkeit für Frauen und Männer mit Deshalb stellt sich - geht man davon aus, dass man kleinen Kindern. das nicht will - die Frage, ob die Mittel aus dem In größeren Städten sieht es in Schleswig-Holstein Ehegattensplitting - die berühmten zitierten kaum besser aus. Hier muss sich bald etwas ändern. 1,5 Milliarden bis 2 Milliarden € - ausreichen, Ich hoffe auch, dass wir dazu bald einen gangbaren wenn man die Familien nicht finanziell benachteili- Weg finden. gen will, um überhaupt ein flächendeckendes Ange- bot anbieten zu können. Wir müssen also schnellstens umsteuern. Der Aus- stieg aus dem komplizierten deutschen Steuerrecht Die Grünen legen besonderen Wert auf das letzte ist überfällig. Das Instrument der Familienförde- Kindergartenjahr, das kostenlos angeboten wer- rung via Steuerrecht ist am Ende. Es ist unge- den soll. Aber - auch das ist wichtig - bitte nur mit recht, weil die Großverdiener erheblich mehr profi- entsprechendem Konzept. In den Einrichtungen des tieren als die Kleinverdiener. Letztlich belohnt es Dänischen Schulvereins wird parallel zu Einrich- lediglich diejenigen, die genug Verständnis und Be- tungen in Dänemark das letzte Kindergartenjahr harrlichkeit für ein unübersichtliches System auf- schon jetzt als Vorschule genutzt: Die Kinder be- bringen oder sich einfach einen guten Steuerberater reiten sich auf die Schule vor, sie lernen Zahlen, sie leisten können. Dabei garantiert das System keines- lernen die ersten Worte schreiben, sie turnen auch wegs, dass wirklich bedürftige Familien angemes- schon einmal in der Schulturnhalle, um alles ken- sen finanziell unterstützt bzw. entlastet werden und nen zu lernen. Das alles erleichtert den Übergang in dass diese ihren Kindergartenplatz bekommen. die Schule, gibt aber auch - das ist viel wichtiger - den Pädagogen im Kindergarten die Möglichkeit, Der SSW setzt sich stattdessen für eine breitflächi- die Schulfähigkeit der Kinder kompetent über einen ge Verbesserung der Kinderbetreuung ein. Bis heu- längeren Zeitraum zu beurteilen und positiv zu be- te kann sich jede Frau in den neuen Bundesländern einflussen. Eventuelle Probleme - auch und gerade darauf verlassen, dass sich in ihrer Nähe eine Ganz- im sozialen und sprachlichen Bereich - können tags-Kita findet, wenn sie eine braucht. Hier muss rechtzeitig gezielt angegangen werden. Das alles ich „auch jeder Mann“ anfügen; das steht hier nicht spricht für den Besuch des Kindergartens im letzten im Skript, gehört aber auch dazu. Genau diese Si- Jahr vor der Schule. cherheit fehlt bei uns und daran werden weder El- terngeld noch Steuersparmodelle etwas ändern. Bedeutet das aber auch, dass es kostenlos sein sollte oder dass wir es uns leisten können? - Ich habe Nur jedes zehnte Kind in Deutschland, das jünger mich einmal schlau gemacht: 10 % Selbstbehalt als drei Jahre alt ist, wird in einer Krippe betreut. fordern die Kitas von Hartz-IV-Empfängern, wenn Die Kosten für eine Tagesmutter liegen je nach ei- sie ihren Sohn oder ihre Tochter in den Kindergar- gener Stundenzahl zwischen 200 und 500 € im Mo- ten schicken wollen. In Flensburg beträgt der Min- nat. Das kann sich kein Kleinverdiener leisten. Al- destsatz 13 € im Monat für einen Halbtagsplatz. Ich so: Wir brauchen Plätze für Kinder, aber keine neu- wollte die Summe nur einmal nennen, um hier auch en Steuersparmodell. die Relationen richtig darzustellen. (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold Ich kann mir eigentlich kaum vorstellen, dass diese [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 13 € Eltern von einer Anmeldung ihrer Kinder ab- Familienförderung bedarf nicht der Weiterentwick- halten. Genau weiß ich das natürlich nicht. Erst ein- lung, sondern der Umsteuerung: Weg mit neuen in- mal muss untersucht werden, welche Gründe im- dividuellen Lösungen, die lange Antragsverfahren merhin fast jede sechste Familie hat - dies gilt auch nach sich ziehen und die Reichen begünstigen. für reiche Familien -, ihre Kinder nicht in Kinder- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1517

(Lars Harms)

Stattdessen brauchen wir eine leistungsfähige in Berlin ist falsch. Das Geld muss hin zu den Dienstleistungsstruktur für Kinder und Eltern, die Kommunen und hin zu den Ländern, flächendeckend und kompetent ist. Dann profitieren (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, diejenigen, die der Förderung bedürfen, mehr als FDP und SSW) jetzt. Das wäre dann auch wirklich gerecht. damit wir unsere Kindertagesstätten finanzieren (Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ können. Sie wollen das Geld individuell den Fami- DIE GRÜNEN) lien geben, und zwar nach komplizierten steuer- rechtlichen Verfahren, sodass man zunächst für die Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Kindertagesstätte bezahlt, um anschließend etwas Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms über die Steuer zurückzubekommen. Das wird uns und das Wort für einen Kurzbeitrag hat jetzt die erstens niemand danken - das sage ich Ihnen schon Frau Abgeordnete Monika Heinold. jetzt - und zweitens kommt dies nicht bei allen Fa- milien an. Deshalb ist es falsch. Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da Zum nächsten Punkt! Frau Rodust, Sie werfen uns SPD und CDU den Antrag scheinbar weder gelesen vor, wir würden hier einen populistischen Antrag noch verstanden geschweige denn meiner Rede zu- stellen. Da sage ich: Sie haben den Antrag nicht ge- gehört haben, möchte ich noch ein paar Sachen er- lesen. - Wir fordern die Abschaffung des Ehegat- wähnen. tensplittings und wir sind gegen das Elterngeld. Wir Herr Wadephul, Sie mahnten gleich am Anfang an, wollen, dass die Betreuungsfreibeträge nicht er- man möge einmal die bestehende Familienpolitik höht werden. Und wenn das so populistisch ist, hinterfragen. Unser Antrag hinterfragt die bestehen- dann sage ich: Nur Mut, machen Sie es doch ge- de Familienpolitik. Das ist das zentrale Element un- meinsam mit uns. seres Antrages. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Vorhin erntete ich Kopfschütteln bei der CDU, als Wenn Sie sich gemeinsam mit uns auf diesen Weg ich sagte, die CDU möchte noch in dieser Legisla- begeben wollen, dann sage ich: Nur Mut! turperiode in das kostenfreie letzte Jahr vor der Schule einsteigen. Mit Erlaubnis der Präsidentin (Dr. Johann Wadephul [CDU]: Frau Heinold, möchte ich aus den „Kieler Nachrichten“ vom Sie haben hier neun Jahre Politik gestaltet!) 30. Januar zitieren: - Ich weiß, dass ich hier neun Jahre lang Politik ge- „Doch auch die CDU in Schleswig-Holstein macht habe. Auch an dieser Stelle scheinen Sie weckt Hoffnung. Zumindest ein kostenfreies nicht im Raum gewesen zu sein. Denn zu Beginn letztes Kindergartenjahr solle allen Kindern meiner Rede habe ich gesagt, dass wir das vor fünf ein vorschulisches Bildungsangebot ermögli- Jahren gefordert haben. Ich habe geschildert, wel- chen. CDU-Fraktionschef Wadephul kündig- che finanziellen - - te sogar einen ersten Schritt noch in dieser (Dr. Johann Wadephul [CDU]: Natürlich war Legislaturperiode an.“ ich im Raum!) (Dr. Johann Wadephul [CDU]: Ich bin belei- Ich habe gesagt, dass wir Finanzierungsvorschläge digt! Das habe ich vorhin hier im Plenum ge- vorgelegt haben. Ich habe zitiert, dass damals von- sagt!) seiten der SPD gesagt wurde, dass sei ein populisti- „Bei der Frage, wie die Finanzierung sicher- scher Schnellschuss, und dass keinerlei Bereitschaft gestellt werden soll, musste er allerdings pas- vorhanden gewesen sei, auf uns einzugehen. sen.“ Von daher betone ich noch einmal: Es geht hier in Ich sage Ihnen: Wenn Sie als CDU-Fraktionschef dieser Debatte darum, dass CDU und SPD in Berlin versprechen, noch in dieser Legislaturperiode erste über 2,2 Milliarden € neu für Familienförderung in Schritte zu tun, dann werden Sie unseren letzten die Hand nehmen. Das sind nicht Grüne, die hier Absatz, den wir gleich getrennt abstimmen lassen, zusätzliche Verschuldungsprogramme auflegen; es nicht ablehnen können. In diesem Absatz fordern sind CDU und FDP. Wir sagen: Die Schwerpunkt- wir schließlich die Landesregierung auf, bis zur setzung für diese zusätzlichen über 2 Milliarden € 14. Tagung ein Konzept vorzulegen, wie das denn gehen kann. Wenn Sie den ablehnen, dann ist all 1518 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Monika Heinold) das, was Sie bisher verkündet haben, verlogen. Auf der Basis einer Analyse erfolgreicher Familien- Dann ist das populistisch und dann ist das unehr- politik anderer europäischer Länder kommt die Ex- lich. pertenkommission zu dem Ergebnis, dass eine Kombination der drei Elemente Neuzuschnitt von (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Geldleistungen, Zeitpolitik und Infrastrukturpolitik Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE familienfreundliche Voraussetzungen schaffen GRÜNEN]: Richtig! - Karl-Martin Hentschel kann. Deutschland habe - so das ernüchternde Er- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gratuliert gebnis - bisher in allen drei Bereichen nicht ange- Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- messen auf die gesellschaftliche Entwicklung rea- NEN] zu ihrer Rede und küsst sie auf die giert. Deshalb gibt es politischen Handlungsbedarf Wange. - Heiterkeit - Wolfgang Baasch auf allen drei Ebenen. [SPD]: Ihr seid Schauspieler! - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Folgerichtig berücksichtigen die Koalitionsverein- Und ihr seid verlogen! Euch ist es peinlich, barungen auf Landes- und auf Bundesebene alle dass ihr nicht klatschen dürft!) drei Ebenen und zweifellos gibt es dabei politische Präferenzen - auch parteipolitische Präferenzen -, Vizepräsidentin Ingrid Franzen: was die Schwerpunktsetzung und die Reihenfolge angeht. Das ist in Koalitionen nicht verwunderlich. Für die Landesregierung hat nun die Familienmini- Ich mag mir angesichts der Debatte, die wir gerade sterin Dr. Gitta Trauernicht das Wort. gehört haben, im Moment nicht vorstellen, Frau (Unruhe) Heinold, wie der Kompromiss zwischen Grün und Gelb aussehen würde. Ich darf um Ruhe bitten! - Das Wort hat die Frau Ministerin. (Torsten Geerdts [CDU]: Die Gefahr besteht nicht! Es gibt auch schlaue Wähler!) Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, Wir sollten auch an dieser Stelle feststellen, dass es Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren: bisher keine Mehrheitsregierung geschafft hat - zu Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und meinem Leidwesen auch nicht Rot-Grün -, das Herren! Ich bin natürlich sehr gespannt, ob ich nach Ehegattensplitting abzuschaffen. Insofern sollten meinen Ausführungen in der gleichen Weise be- wir auch nicht über dieses Thema reden. Dafür gibt küsst werde. es schlicht und ergreifend keine Mehrheiten. Familienpolitik ist in der öffentlichen Diskussion. Klar ist aber auch in der Familienpolitik, dass der in Das ist gut so. Denn Familien- und Kinderpolitik den zurückliegenden Jahren eingeleitete Paradig- sind für unsere Zukunft wichtiger denn je. menwechsel - weg von den Geldleistungen und hin zu Investitionen in die Infrastruktur und ergänzt Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ziel einer durch zielgenaue Förderinstrumente - überfällig nachhaltigen Familienpolitik - und darum muss es war. gehen - ist es, jene sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu schaffen, die es (Beifall bei der SPD) der nachwachsenden Generation ermöglichen, in Dieser Weg muss weitergegangen werden. die Entwicklung und Erziehung von Kindern zu in- vestieren, Generationensolidarität zu leben und Für- (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold sorge für andere als Teil der eigenen Lebensper- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) spektive zu interpretieren. Was ist nun das besondere Problem in Deutsch- Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Siebte Famili- land? _Zunächst einmal muss man wissen, dass die enbericht der Bundesregierung Politik und Gesell- Kinderlosigkeit durchaus kein neues Phänomen schaft Zielmarken und Handlungskonzepte aufge- ist. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren zum Bei- zeigt. spiel ein Viertel aller Frauen in Deutschland und Frankreich ohne Kinder. Trotzdem hat damals nie- (Unruhe - Monika Heinold [BÜNDNIS mand über dieses Problem geredet. Wettgemacht 90/DIE GRÜNEN]: Das interessiert die CDU wurde es damals durch den Kinderreichtum der an- nicht!) deren Frauen. Genau das ist ein Thema, das man in - In der Tat. Vielleicht möchte irgendjemand von den Fokus der Analyse nehmen muss, weil es in der CDU zuhören. Europa sehr unterschiedliche Konstellationen des Problems gibt. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1519

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

In ganz Europa aber gab es wegen der Einführung In diesem Kontext ist auch die Weiterentwicklung der Anti-Baby-Pille und der Bildungsreform Gebur- des Erziehungsgeldes zum Elterngeld zu verste- tenrückgänge, doch für diese sehr ähnlichen Ent- hen. Deshalb plädiert die Kommission dafür, und wicklungen wurden unterschiedlich erfolgreiche zwar auch mit Blick auf die skandinavischen Län- gesellschaftspolitische Antworten gefunden. Heute der. Dort wird das Elterngeld tatsächlich auch als befinden sich daher andere europäische Länder in ein zentrales Element nachhaltiger Familienpolitik einer besseren demographischen Situation als benutzt. Wir sollten uns deshalb sehr intensiv mit Deutschland. Die Geburtenzahlen sind dort höher dem Thema Elterngeld auseinander setzen. Das und die Balance zwischen Familie und Beruf ist wird aber eine große Herausforderung sein, weil es dort leichter in den Griff zu bekommen. Deshalb richtig ist, was Sie sagen, Frau Heinold. Dafür sol- gilt es, einen Blick über den Tellerrand zu werfen. len zusätzlich 2,2 Milliarden € in die Hand genom- men werden. Es wird eine Umverteilung vom Er- Warum haben sich diese großen Unterschiede in ziehungsgeld und damit von Niedrigeinkommen hin den europäischen Ländern ergeben, obwohl die zu mittleren Einkommen geben. Sie können sicher Ausgangsbedingungen doch so ähnlich waren? - sein, dass Schleswig-Holstein bei der Konzeptio- Die entscheidende Ursache liegt in der spezifisch nierung des Elterngeldes sehr genau darauf achten deutschen Lebenslaufplanung. So ist in Deutsch- wird, dass es nicht nur eine familienpolitische Di- land die Zeit, sich für Kinder zu entscheiden, be- mension, sondern auch eine sozialpolitische Di- sonders knapp. Der typisch deutsche Lebenslauf ist mension haben wird. dreigeteilt in Ausbildung, Beruf und Rente. Ein Drittel des Lebens verbringen die Deutschen in ei- (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE ner sehr langen Ausbildung. Dann erfolgt der Be- GRÜNEN) rufseinstieg. Fachleute nennen dies inzwischen die Vor diesem Hintergrund unterstütze ich nachdrück- Rushhour des Lebens. Wir lernen zunehmend, dass lich die Bemühungen des Bundes, das Kindergeld- die Frage des Kinderkriegens auch eine Frage ist, zuschlagsgesetz auszuweiten, denn hier geht es die Männer beantworten, und zwar noch häufiger darum, dass Familien in unserem Land vor Armut negativ als Frauen. Deutsche Akademikerinnen und geschützt werden müssen. Dazu bedarf es eines Akademiker nehmen sich nach Ausbildungsab- speziellen Instruments. Der Kindergeldzuschlag ist schluss und Berufseinstieg etwas fünf Jahre Zeit, ein Baustein auf dem Weg zu einer Grundsicherung um sich für oder gegen Kinder zu entscheiden. In für Kinder, die ich ausdrücklich unterstütze. Deutschland erleben Familien zudem einen ökono- mischen Achterbahneffekt, wenn sie sich für Kin- (Beifall im ganzen Haus) der entscheiden. In Deutschland müssen daher drin- Generell gilt, dass Politik für mehr Kinder, für star- gend neue Lebenslaufmodelle entwickelt werden, ke Familien und für bessere Bildung mehr ist als um die Zeitspannen für Ausbildung, Beruf und Fa- ein Politikfeld unter vielen. Diese Politik ist ein miliengründung zu entzerren und zu verlängern, so zentraler Ansatz, um wirtschaftliches Wachstum die Experten des siebten Familienberichts. Eines und soziale Gerechtigkeit unter den Bedingungen der Stichworte in dieser Diskussion ist das Thema einer modernen Gesellschaft zu ermöglichen. Dazu Kinderkriegen während der Ausbildung. bedarf es vieler Bausteine wie die konsequente Ver- (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold bindung von Bildung und Betreuung. Insbesondere [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) für die Kleinsten müssen die Betreuungsangebote ausgebaut werden. Auch für die Kleinsten müssen - Frau Heinold, vor diesem Hintergrund plädiert der wir uns darüber im Klaren sein, dass es nicht nur siebte Familienbericht auch dafür, die finanzielle um Betreuung und Erziehung, sondern auch um Förderung auf jene Lebensphase zu konzentrieren, Bildung geht. Es geht um Bildung von Anfang an. in der Familien relativ wenig Geld zur Verfügung steht. Dies sei vor allem bei jungen Familien der (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold Fall. Ich füge hinzu, das ist bei Familien mit niedri- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gem Einkommen generell der Fall. Ich möchte da- Dieses Ziel ist mit dem Koalitionsvertrag sowohl her auch an dieser Stelle für diese Formulierung auf Bundesebene als auch auf Landesebene noch werben, denn ein niedriges Einkommen zu haben, einmal deutlich unterstrichen worden. Dabei muss ist nicht mit sozialer Schwäche gleichzusetzen. Ich uns allen klar sein, dass Kindertagesbetreuung ver- sage dies, weil der Begriff der sozialschwachen Fa- lässlich, flexibel und bezahlbar sein muss. milien wieder sehr stark um sich greift. (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) GRÜNEN) 1520 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

Ich setze mich seit Jahren persönlich und politisch bekommen haben. Die Zahl wird sich noch weiter dafür ein, dass Kindertagesbetreuung beitragsfrei steigern, weil viele dabei sind, dieses engagiert auf wird und dass man es überhaupt denken darf und den Weg zu bringen. Um die Nachhaltigkeit dieser sagen muss, dass es eine solche Vision gibt. Noch Bündnisse zu steigern, werden wir im Ministerium vor einigen Jahren war es unvorstellbar, dass man dafür eine Servicestelle einrichten. einen Prozentpunkt der Mehrwertsteuer dafür ein- (Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch setzt. Heute aber wird jedenfalls das Nachdenken in [SPD]) diese Richtung von allen Parteien unterstützt. Ich finde, das ist ein zentraler Fortschritt. Es ist inzwischen bekannt, dass die finanziellen Leistungen für Familien bislang noch zu intranspa- (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE rent und zu wenig aufeinander abgestimmt sind. GRÜNEN) Das ist ein Schlüsselthema. Die Transparenz muss Frau Heinold, deshalb geht es nicht darum, ein erhöht werden. Die gesetzlichen Einkommensgren- Konzept vorzulegen, sondern diese Richtung zu un- zen und Begriffe müssen aufeinander abgestimmt terstützen. Das habe ich bei den Koalitionsverhand- werden und die Leistungen müssten optimalerweise lungen auf Bundesebene ausdrücklich getan, indem in einer Familienkasse gebündelt werden. Deshalb dort formuliert worden ist, dass der Bund gemein- ist auch dies auf Bundesebene im Koalitionsvertrag sam mit den Ländern nach Lösungswegen sucht, verankert. Ich möchte hier im Land mit der Ent- um das Ziel der Beitragsfreiheit überhaupt realisie- wicklung eines Pilotprojektes „Familienbüro“ er- ren zu können. Genau so muss der Weg tatsächlich ste Zeichen setzen, obwohl ich mir klar darüber bin, sein. Bis dahin gilt aber für mich ganz eindeutig: wie schwierig dieser Weg ist. Nichtsdestotrotz wol- Volle Kraft voraus für Infrastruktur. Das ist das, len wir ihn gehen. was die Familien am meisten brauchen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir werden weiter an einer Politik des Dreiklangs An dieser Stelle sage ich daher: Für mich gehört zur arbeiten: Zeitpolitik, um die Lebenslaufplanung zu Unterstützung der Infrastruktur auch die Unterstüt- ändern; Infrastrukturpolitik, um Förderung und zung von Eltern durch Familienbildung und entla- Wachstum zu ermöglichen, und finanzielle Entla- stende Angebote. Frühe Hilfen sind für Familien stung, damit Kinderhaben nicht zum Armutsrisiko unerlässlich. Deshalb setzen wir hier mit dem Kin- wird. Ganz wesentlich wird es aber sein, mit ideo- der- und Jugend-Aktionsplan in unserem Land logischen Vorstellungen von Familien jeder Art einen deutlichen Schwerpunkt. Schluss zu machen. Tatsächlich gehört es für mich schon seit Jahren zu den jämmerlichsten Fehllei- Nicht zuletzt - und das ist noch gar nicht angespro- stungen unserer Gesellschaft, dass negativ besetzte chen worden - brauchen wir eine humane und eine und zudem völlig unscharfe Begriffe wie die familienfreundliche Arbeitswelt. Eine familien- Singlegesellschaft oder Rabenmütter die Runde ma- freundliche Arbeitswelt ist - wie die skandinavi- chen. All dies sind deutsche Schöpfungen. Andere schen Länder zeigen - betriebs- und volkswirt- Länder kennen diese Begriffe nicht. Sie sehen darin schaftlich gewinnbringend, da das Erwerbsperso- eher individuelle Lebensentwürfe als weibliche nenpotenzial ausgeschöpft wird, wie es immer so Ideologien. schön heißt. Das heißt schlicht und ergreifend, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen berufs- Es ist ohne Zweifel: Familienpolitik muss umden- tätig sind. So wird das Qualifikationsniveau erhal- ken. Der klassische bundesrepublikanische Sonder- ten und die Arbeitszufriedenheit steigt. Deshalb weg der letzten Jahrzehnte muss als gescheitert gel- setzt diese Landesregierung im Rahmen ihrer fami- ten. Er sah wie folgt aus: In den ersten Jahren bleibt lienpolitischen Aktivitäten auch einen Schwerpunkt das Kind allein zu Haus bei der Mutter. In einer bei der familienfreundlichen Arbeitswelt. zweiten Phase geht es in den Kindergarten und in einer dritten Phase gibt es Bildung in der Halbtags- Mit der Allianz für die Familie und den lokalen schule: All das wird in Zukunft der Vergangenheit Bündnissen wurde ein innovativer Weg eingeschla- angehören müssen. Das bedeutet, dass sich die Le- gen, um die Kooperation von Politik, Wirtschaft benswelt von Kindern in Zukunft radikal verändern und Gesellschaft auch auf lokaler Ebene zu veran- wird. Damit wird sich auch die Lebenswelt von Fa- kern und dort konkrete Strategien für mehr Famili- milien verändern. Dies konstruktiv zu begleiten, ist enfreundlichkeit zu entwickeln. Das ist ein soziales unser aller Aufgabe. Ich denke, daran sollten wir Netzwerk, das wir in Schleswig-Holstein ausbauen. gemeinsam arbeiten. Ich freue mich, berichten zu können, dass wir im letzten halben Jahr fünf weitere Bündnisse hinzu Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1521

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE trem. Mir geht es um eine vernünftige Weiterent- GRÜNEN) wicklung der agrarsozialen Sicherung, die unsere wirtschaftenden Betriebe stärkt und die unseren Vizepräsidentin Frauke Tengler: Landwirten eine leistungsstarke Sicherung zu ange- messenen Preisen bietet. Darauf zielt unser Antrag. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich Unsere Betriebe in Schleswig-Holstein dürfen schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, zu- strukturbedingt nicht schlechter gestellt werden. nächst über den letzten Absatz des Antrages Druck- sache 16/558 abstimmen zu lassen. Wer dem zu- Mit sehr gemischten Gefühlen habe ich deshalb im stimmen möchte, den bitte ich um das Handzei- Berliner Koalitionsvertrag von CDU, CSU und chen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der SPD gelesen, dass das landwirtschaftliche Sozial- Antrag mit den Stimmen von CDU und SPD gegen versicherungssystem ,,schrittweise mit den allge- die Stimmen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- meinen sozialen Sicherungssystemen zu verzah- NEN und SSW abgelehnt. nen“ sei, wobei offen bleibt, wie diese ,,Verzah- nung“ aussehen soll. Genau hier liegt aber der Hase Ich stelle dann die Absätze 1 bis 4 des Antrages im Pfeffer. Drucksache 16/558 zur Abstimmung. Wer dem zu- stimmen möchte, den bitte ich um das Handzei- Denn das landwirtschaftliche Sozialversicherungs- chen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist system ist ja nicht zufällig oder willkürlich ein ei- dieser Teil des Antrages mit den Stimmen von genständiges System, sondern aus sehr guten CDU und SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS Gründen. Hier sind Selbstständige pflichtversichert, 90/DIE GRÜNEN bei Enthaltung von FDP und die teilweise sehr spezifischen Risiken ausgesetzt SSW abgelehnt. sind und die berufsbedingt einen sehr spezifischen Bedarf an sozialer Absicherung für sich und ihre Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Familie haben. Landwirtschaftliche Sozialversicherung Für den Landwirt - anders als für den landwirt- schaftlichen Arbeitnehmer, der Mitglied in der all- Antrag der Fraktion der FDP gemeinen Sozialversicherung ist - teilen sich nicht Drucksache 16/585 Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Kosten für ein Versicherungsrisiko, sondern der Landwirt trägt sie Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das alleine. ist nicht der Fall. Ich eröffne damit die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Günther Hilde- An der grundsätzlichen Eigenständigkeit des land- brand. wirtschaftlichen Sozialversicherungssystems ist al- so nicht zu rütteln und ebenso wenig - das füge ich Günther Hildebrand [FDP]: gleich hinzu - am Regionalprinzip. Umso entsetzter war ich deshalb, als ich die Ausführungen zur land- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wirtschaftlichen Sozialpolitik auf dem Sprechzettel Die Diskussion um das agrarsoziale Sicherungssy- von Landwirtschaftsminister von Boetticher zur stem ist keine neue Diskussion. Aber der Struktur- letzten Agrarausschusssitzung nachlas. Es stand im wandel in der Landwirtschaft und der zunehmende Umdruck 16/587, der Herr Staatssekretär hat das Zwang zur Konsolidierung des Bundeshaushalts vorgetragen. Nach einem knappen Hinweis auf heizen die Diskussion aktuell wie selten zuvor an. ,,grundsätzliche" Zweifel an der Eigenständigkeit (Unruhe) des Systems heißt es da lapidar: ,,Eine grundsätzliche Alternative wäre die Vizepräsidentin Frauke Tengler: Einbeziehung der Landwirte in die allgemei- ne Sozialversicherung. Auf diese Weise wür- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Hil- de die ‚alte Last’ auf die Beitragszahler ver- debrand hat das Wort. teilt anstatt solidarisch durch die breitere Ba- sis der Steuerzahler." Günther Hildebrand [FDP]: Ganz so einfach ist das System aber nicht und ich Es ist absehbar, dass sich die Diskussion zwischen kann nur hoffen, dass man sich im Ministerium in- den Extremen „Status quo bewahren“ und ,,Inte- zwischen grundsätzlich mit dem Wesen des land- gration in die allgemeinen Sozialversicherungssy- wirtschaftlichen Sozialversicherungssystems aus- steme“ bewegen wird. Um eines vorwegzunehmen: einander setzt, um künftig derartige Oberflächlich- Ich vertrete weder das eine noch das andere Ex- keiten zu vermeiden. Noch dazu, weil der Bundes- 1522 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Günther Hildebrand) rechnungshof im Zuge seiner aktuellen Evaluie- Vizepräsidentin Frauke Tengler: rung der Organisationsreform der landwirtschaft- Ich danke Herrn Kollegen Günter Hildebrand und lichen Sozialversicherung von 2001 demnächst erteile für die CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten auch die Stellungnahmen aller Landesministerien Klaus Klinckhamer das Wort. einholen will, um sie in seinem Bericht für den Haushaltssausschuss des Deutschen Bundestages berücksichtigen zu können. Klaus Klinckhamer [CDU]: Gerade in Schleswig-Holstein verfügen wir über Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und vergleichsweise gute agrarsoziale Strukturen. Das Herren! Die landwirtschaftliche Sozialversicherung hat mit der historischen Entwicklung, das hat mit ist eine Besonderheit im sozialen Sicherungssy- unterschiedlichen Höfeordnungen und auch unter- stem. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft schiedlichen Standortfaktoren zu tun. Sie prägen braucht dieses System zum Ausgleich der damit die unterschiedliche Situation der landwirtschaftli- verbundenen Verwerfungen. Deshalb ist die land- chen Betriebe in Deutschland und entsprechend wirtschaftliche Sozialversicherung eine Aufgabe auch die unterschiedlichen Ausgabenbelastungen je der Gesellschaft und nicht nur der Berufsgruppe. Hektar im Bereich der landwirtschaftlichen Unfall- Die Entwicklung in der Landwirtschaft hat zur Fol- und Krankenversicherung. Dieser unterschiedlichen ge, dass Defizite in der Sozialversicherung leider regionalen Struktur müssen wir Rechnung tragen. unvermeidbar sind. In der Alterssicherung der (Beifall bei der FDP) Landwirte beträgt das Verhältnis Beitragszahler zu Rentner 10 zu 15, in der allgemeinen Rentenversi- Eine Zusammenfassung aller Regionalträger zu ei- cherung dagegen 10 zu 4. Dieser Vergleich zeigt nem bundesweiten Gesamtträger mit einheitlicher die besondere Situation der landwirtschaftlichen Beitragsverteilung würde zu einschneidenden Bei- Alterssicherung auf. tragsverwerfungen zulasten unserer wirtschaftenden Betriebe in Schleswig-Holstein führen. Fachleute Bei der Betrachtung der staatlichen Unterstützung gehen von zusätzlichen Kosten für unsere Betriebe der landwirtschaftlichen Alterssicherung darf nicht von rund 20 % über den bisherigen Beiträgen für vergessen werden, dass allein im laufenden Jahr Unfall- und Krankenversicherung aus. Das Gleiche über 80 Milliarden € aus dem Bundeshaushalt in gilt im Falle eines beitragsfinanzierten Finanzaus- die Deutsche Rentenversicherung gezahlt werden. gleichs. Das müssen wir verhindern. Es ist daher angemessen, die landwirtschaftliche Altersversorgung ebenso zu stützen. Schleswig-Holstein verfügt über eine gute agrarso- ziale Struktur und genau die gilt es zu erhalten. Die landwirtschaftliche Sozialversicherung muss weiterentwickelt werden. Die Bestrebungen des (Beifall bei der FDP) Bundes, durch eine Umstrukturierung eine dauer- Der ehemalige Landwirtschaftsminister Müller hat hafte finanzielle Entlastung zu erreichen, müssen im Rahmen der Entkoppelung bei der Umverteilung durchaus unterstützt werden. Eine weitere Senkung zwischen den Bundesländern bereits einmal im Zu- der Verwaltungskosten ist unumgänglich. Die ge grüner Gleichmacherei aller Landwirte die Spit- schleswig-holsteinische Versicherung hat hier Vor- zenposition Schleswig-Holsteins zu Markte getra- bildfunktion. In den vergangenen Jahren ist der Per- gen. 18,3 Millionen € hat er seinerzeit im Zuge der sonalbestand um 22 % gesenkt worden. Versiche- künastschen Entkoppelungsvorschläge verschenkt. rungen in anderen Bundesländern haben in dieser 18,3 Millionen €, die nicht nur unseren Landwir- Hinsicht teilweise einen erheblichen Nachholbe- ten, sondern dem gesamten ländlichen Raum jetzt darf. fehlen. Die höchst unterschiedlichen Agrarstrukturen in Ich hoffe sehr, dass der heutige Landwirtschaftsmi- den Bundesländern sind historisch gewachsen. Da- nister nicht vorhat, einen ähnlichen Irrweg einzu- mit verbunden sind erhebliche Differenzen bei den schlagen. Wir brauchen keine agrarsoziale Gleich- Belastungen für die landwirtschaftliche Unfall- und macherei zulasten Schleswig-Holsteins. Die inner- Krankenversicherung. Daher spricht viel für die landwirtschaftliche Beitragsgerechtigkeit muss re- Weiterführung der regionalen Gliederung. Eine gional ansetzen. bundesweit einheitliche Beitragsverteilung würde zu einem Finanztransfer in den Süden führen. Es (Beifall bei der FDP) wäre nicht zu vermitteln, warum bei der landwirt- schaftlichen Sozialversicherung die Beiträge nivel- liert werden sollen, aber strukturelle Stützungsmaß- nahmen keinerlei Prüfung unterzogen werden. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1523

(Klaus Klinckhamer)

(Beifall bei CDU und FDP) regelt ist. So hat sich die große Koalition in Berlin im Koalitionsvertrag verpflichtet, die agrarsoziale Es macht auch keinen Sinn, die Verwaltungskosten Sicherung zukunftsfest zu gestalten - ich zitiere aus in den Vordergrund zu stellen, die mit einem Anteil dem Koalitionsvertrag -: von rund 5 % den Leistungskosten mit rund 95 % gegenüberstehen. Deshalb ist der Vorschlag des „Das eigenständige System der landwirt- Bundesrechnungshofes zur Senkung der Verwal- schaftlichen Sozialversicherung wird langfri- tungskosten nicht sonderlich hilfreich. Sein Vor- stig nur gewährleistet werden können und zu- schlag, einen Bundesträger zu bilden, muss nicht kunftsfest bleiben, wenn die Systeme moder- zwangläufig zu niedrigeren Kosten führen. Es ist nisiert, die Beiträge und Leistungen chancen- sinnvoller, dort anzusetzen, wo die höchsten Kosten gleich an andere Sozialsysteme angepasst entstehen, und auch Druck auszuüben, sonst wird und schrittweise mit den allgemeinen sozia- sich dort nichts ändern und lediglich eine Verschie- len Sicherungssystemen verzahnt werden.“ bung der Beiträge erfolgen. Dieses ist ein Schwerpunkt auch der nationalen (Beifall bei CDU und FDP) Agrarpolitik, denn mit rund 3,7 Milliarden € wer- den hier rund 72 % des deutschen Agrarhaushaltes Dies darf jedoch nicht bedeuten, dass alles so jährlich ausgegeben. bleibt, wie es ist. Sinnvolle Kooperationen zwi- schen den Regionalträgern können zu weiteren Ko- Bei der in dieser Legislaturperiode des Bundes an- stensenkungen führen und darüber hinaus die Lei- stehenden Reform müssen aber sowohl die Beson- stungsqualität verbessern. derheiten der Landwirtschaft in der Bundesrepublik als auch die Belange der landwirtschaftlichen Sozi- Wir sind gespannt, wie die schwarz-rote Koalition alversicherung in Schleswig-Holstein berücksich- in Berlin dieses Thema anpackt und erwarten, dass tigt werden. In der Landwirtschaft, auch angesichts die rund 240 Arbeitsplätze der landwirtschaftlichen des Status der Landwirte als „freie Unternehmer“, Sozialversicherung in Kiel nicht unter die Räder gibt es ein besonders großes Missverhältnis zwi- kommen. schen aktiven Beitragszahlern und passiven Zah- (Beifall bei CDU und FDP) lungsempfängern, also den Altenteilern. Der Kolle- Der Antrag der FDP geht in die richtige Richtung. ge Klinckhamer hat das eben schon erwähnt. Den- Ich gehe davon aus, dass wir im Ausschuss die Ge- ken Sie daran, als 1972 diese Regelung durch den legenheit haben werden, uns umfassend zu infor- Bund eingerichtet wurde, hatten wir in Schleswig- mieren und auszutauschen. Holstein noch fast 60.000 Betriebe, 30 Jahre später nur noch ein Drittel davon. Es ist daher schlichtweg (Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt unmöglich, die Beitragszahler deutlich stärker zur bei der SPD) Kasse zu bitten. Wir würden die Arbeit in der Landwirtschaft zu stark verteuern und so Ar- Vizepräsidentin Frauke Tengler: beitsplätze vernichten. Die heutige Finanzierung, schwerpunktmäßig über den Bundeshaushalt, ist al- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Klaus Klinck- so nicht nur ein Stück Agrarsozialpolitik, sondern hamer. - Bevor ich dem Kollegen Dr. Höppner das auch ein Stück Wirtschaftsförderung für den ländli- Wort erteile, möchte ich auf der Tribüne sehr herz- chen Raum. lich Mitglieder der Volkshochschule Tellingstedt und der Volkshochschule Wankendorf begrüßen. - Die schleswig-holsteinische landwirtschaftliche So- Seien Sie uns herzlich willkommen! zialversicherung hat in den letzten Jahren erhebli- che Kosteneinsparungen durch Personalabbau er- (Beifall) reicht. Die Beitragsstruktur für unsere Landwirte ist Das Wort für die SPD-Fraktion erhält der Herr Ab- daher besonders günstig. Sie würde verloren gehen, geordnete Dr. Henning Höppner. wenn wir bundesweit einheitliche Strukturen und Kostenrahmen schaffen würden. Dr. Henning Höppner [SPD]: Dies alles, lieber Kollege Hildebrand, ist Inhalt des Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über vorliegenden FDP-Antrages, und ich will nicht ver- den Reformbedarf aller sozialen Sicherungssysteme hehlen, dass ich ihn mit großer Sympathie betrach- in Deutschland angesichts der demographischen te. Es ist jedoch gegenwärtig noch nicht der Zeit- Entwicklung und der Finanzierungsproblematik be- punkt, diesen Antrag abschließend zu beraten. Wir steht kein Dissens. Das gilt auch für die Agrarsozi- müssen uns Zeit nehmen, und es wird Zeit brau- alversicherung, die vollständig durch den Bund ge- chen, vernünftige Lösung zu entwickeln, die so- 1524 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Dr. Henning Höppner) wohl den finanziellen Herausforderungen gerecht form sein. Das muss man ganz deutlich sagen. Das werden als auch den Landwirten in Schleswig-Hol- wollen wir nicht. stein eine zukunftsfähige Sozialversicherung garan- (Zuruf von der SPD: Sie wollen keinen Ar- tieren. Daher müssen wir uns auch Zeit nehmen, beiter- und Bauernstaat! - Heiterkeit) um die im Berliner Koalitionsvertrag angesproche- ne laufende Bewertung durch den Bundesrech- Es gibt einen weiteren Grund, warum die Einglie- nungshof abzuwarten, die die im Jahr 2001 erfolgte derung nicht möglich ist, das sind die unterschied- Organisationsreform der landwirtschaftlichen Sozi- lichen Strukturen. Die Beiträge und die Leistun- alversicherungsstrukturen zum Gegenstand hat. gen der Agrarversicherung orientieren sich an den Hektarzahlen. Das lässt sich natürlich schlecht Ich bitte wie der Kollege Klinckhamer um Über- übertragen auf die normalen Lohnabhängigen, weil weisung in den Umwelt- und Agrarausschuss und die keine Hektar haben. Deswegen würde dies, in den Ausschuss für Soziales. wenn wir sie eingliedern würden, zu enormen Ver- (Beifall bei SPD, CDU und FDP) werfungen führen. Einige würden wesentlich mehr bekommen, andere würden wesentlich weniger be- Vizepräsidentin Frauke Tengler: kommen, ähnlich bei den Beiträgen. Das heißt, wir würden sehr starke Strukturverwerfungen haben. Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Höppner und Dagegen war die Eingliederung der DDR-Versiche- erteile das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE rungen ein Klacks und selbst da haben wir heute GRÜNEN Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hent- noch unzählige Prozesse wegen des Gerechtigkeits- schel. problems zu führen. Auch dieser Grund der enor- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Aber bitte nicht so men Verwerfungen, die eintreten würden, spricht laut!) also gegen eine Eingliederung. Dazu kommt das Problem, das die FDP angespro- Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen hat, die regionalen Strukturen. In Süddeutsch- NEN]: land haben wir überwiegend Bauern, die Nebener- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und werbsbauern sind. Der Grossteil der Bauern in Herren! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Garg! Deutschland sind Nebenerwerbsbauern, in Schles- wig-Holstein haben wir aber überwiegend Haupter- (Zurufe: Oh, oh!) werbsbauern. Das sind völlig unterschiedliche - Es kommt immer darauf an, worum es geht. Strukturen, die auch nicht einfach zu nivellieren Manchmal muss man sich ja aufregen. sind. Das ist auch eines der Probleme. Die Agrarversicherung ist deswegen ein besonderes Von daher ist die Frage: Was kann man tun? Problem, weil, wie wir alle wissen, die Zahl der Grundsätzlich unterstütze ich das Ziel, die Land- Bauern drastisch abgenommen hat, seit diese Ver- wirtschaft in die allgemeine Sozialversicherung ein- sicherung eingeführt wurde. Als sie eingeführt wur- zugliedern und insgesamt zu einem einheitlichen de, gab es in Schleswig-Holstein 60.000 Bauern, Sozialversicherungssystem zu kommen. Das geht heute zahlen 10.000 Bauern einen Beitrag. Es ist lo- aber meiner Ansicht nach nur, wenn man die alten gisch, dass das nicht kostendeckend sein kann, und Ansprüche unverändert bestehen lässt und wenn deshalb wird über die Hälfte der Mittel vom Staat man diejenigen, die neu einzahlen, in das allgemei- subventioniert. Einer der größten Subventionstöpfe ne Sozialversicherungssystem eingliedert. Das ist im Agrarbereich ist die Sozialversicherung. Das ist der einzige Vorschlag, den ich für händelbar und logisch. sinnvoll halte. Es ist auch verständlich, dass darüber nachgedacht In diesem Sinne schlage ich vor, dass wir ange- wird, was man ändern kann. Es ist auch logisch, sichts der unterschiedlichen Positionen, die noch dass man sagt, eine besondere Versicherung für ausdiskutiert werden müssen, den Antrag der FDP Bauern sei eine unnötige Bürokratie. Da macht es dem Agrar- und Umweltausschuss überweisen und Sinn, nachzudenken, ob man sie in die allgemeine dort ausführlich diskutieren, damit es dann zu einer Sozialversicherung eingliedert. Ich sehe allerdings Empfehlung an die Landesregierung kommt. Ich das Problem, wenn in die allgemeine Sozialversi- halte es für richtig, was gesagt worden ist, dass das cherung eingezahlt wird, dass dann die Begehrlich- Parlament in dieser Frage der Landesregierung eine keiten des Staates dazu führen, dass Beitragszahler Empfehlung gibt, wie sie sich zu verhalten hat. wie Arbeiter und Angestellten dann für die Bauern (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Defizite bezahlen. Das kann nicht Sinn der Re- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1525

Vizepräsidentin Frauke Tengler: stem der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zu reformieren. Diese Schritte wurden von der Ich danke dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin landwirtschaftlichen Sozialversicherung stets be- Hentschel. - Für den SSW erteile ich jetzt dem gleitet. So hat es beispielsweise in den letzten Jah- Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort. ren dazu geführt, dass die Zahl der Träger von 20 auf nunmehr acht reduziert wurde, um Verwal- Lars Harms [SSW]: tungsaufwendungen einzusparen. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Wichtig war bei den Reformüberlegungen aus Herren! Zuvor sei mir ein Hinweis erlaubt. Ich schleswig-holsteinischer Sicht, dass man keine bun- spreche jetzt nicht als agrarpolitischer, sondern als desweite Versicherung haben wollte und künftig sozialpolitischer Sprecher, weil es sich hier nach auch nicht haben will. Ich meine, dass es dafür unserer Auffassung eindeutig um ein sozialpoliti- einen guten Grund gibt. Denn dadurch würden die sches Thema handelt. Landwirte in Schleswig-Holstein zu Nettozahlern Der Strukturwandel in der Landwirtschaft zieht sich werden. Die gravierenden regionalen Strukturunter- wie ein roter Faden durch die EU-Agrarreform der schiede der landwirtschaftlichen Betriebe zugun- letzten Jahrzehnte. Wir wissen bereits heute, dass sten unserer Landwirtschaft würden sich finanziell wir das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht negativ auf die schleswig-holsteinischen Betriebe haben. Die Betriebe in Norddeutschland, speziell in auswirken. Das kann von uns aus regionaler Sicht Schleswig-Holstein, stehen im Verhältnis zu ihren nicht gewollt sein. Deshalb ist eine Beibehaltung Kollegen im Süden glücklicherweise ökonomisch des Systems, das bloß auf eine bundesweite Basis gut da. Gerade der Strukturwandel bereitet der gestellt ist, nicht im Interesse Schleswig-Holsteins Landwirtschaft und damit auch dem agrarsozialen und seiner Landwirte. Sicherungssystem erhebliches Kopfzerbrechen, Da wir aber um weitere Veränderungen nicht um- wenn es um die künftige Ausgestaltung des sozia- hin kommen, sollten die Träger der landwirtschaft- len Sicherungssystems geht. Jedes Jahr verliert die lichen Sozialversicherung sowie die Bauernverbän- landwirtschaftliche Sozialversicherung in Schles- de aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersach- wig-Holstein rund 3 % der Betriebe und somit auch sen, Bremen und Nordrhein-Westfalen ausloten, Pflichtversicherte, die in die Versicherung einzah- wie weit eine weitere enge Zusammenarbeit aus ih- len. Dass sich dieses System irgendwann nicht rer Sicht möglich wäre, inwieweit sie notwendige mehr selber trägt, wissen wir bereits seit Jahren. Im Reformen der Sozialversicherung tragen können Übrigen ist dies auch eine Folge der Liberalisierung und wie vor allen Dingen der Übergang zu einer der Krankenversicherung. Da ist es schon ein bis- Verzahnung mit dem allgemeinen Sozialversiche- schen komisch, dass gerade die FDP nun die Aus- rungssystem im Norden gemeinsam vollzogen wirkungen dieser neugewonnenen Freiheit in einem werden kann. Letztlich müssen wir nämlich erken- ausgewählten Sektor zurückdrehen will. nen, dass weitgreifende Reformen in der landwirt- Die landwirtschaftliche Sozialversicherung ist in schaftlichen Sozialversicherung schon längst über- vier Sparten aufgeteilt: Alterssicherung der Land- fällig waren. wirte, landwirtschaftliche Krankenversicherung, Inwieweit sich die landwirtschaftlichen Sozialversi- landwirtschaftliche Pflegeversicherung und land- cherungen in nächster Zeit am Markt orientieren wirtschaftliche Unfallversicherung. Für Schleswig- können, hängt einzig und allein davon ab, was der Holstein bedeutet dies: Der Bund übernimmt eine Bund künftig zu zahlen gewillt ist. Da sollten wir Defizithaftung bei der Alterssicherung mit rund uns nichts vormachen. Der Bund wird in nächster 70 % der Ausgaben. Die landwirtschaftliche Unfall- Zeit irgendwann nach und nach aussteigen wollen versicherung wird deshalb mit 30 % Bundesmitteln und fordern, dass sich die Landwirte ähnlich versi- bezuschusst. Die landwirtschaftliche Krankenversi- chern wie die anderen Bürger. Langfristig kommen cherung wird weitaus überwiegend aus Bundesmit- wir also nicht umhin, das landwirtschaftliche in das teln finanziert. Die Pflegeversicherung wird über allgemeine Sozialversicherungssystem zu übertra- einen bundesweiten Ausgleichsfonds finanziert. gen. Daher ist die schrittweise Verzahnung mit dem Diese Zahlen machen deutlich, dass der Bund an allgemeinen Sozialversicherungssystem der einzige der Aufrechterhaltung dieses Systems einen erheb- richtige Weg. Unsere Landwirte und die Sozialver- lichen Anteil hat. Da wir wissen, dass der Bund im- sicherung sollten diesen Weg vorher selbstständig mer wieder auf der Suche nach Möglichkeiten zur abstecken, statt darauf zu warten, dass etwas mit ih- Einsparung von Geld ist, wissen wir auch, dass er nen geschieht. Wir sollten unseren Landwirten dazu immer wieder Anläufe unternommen hat, das Sy- unsere Unterstützung zusagen. Das Herumdoktern 1526 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Lars Harms) an alten Strukturen halten wir dagegen nicht lange Wenn man den Haushalt des Bundeslandwirt- durch. schaftsministers anschaut, sieht man, dass dort 4 Milliarden € an Ausgaben für die soziale Siche- (Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- rung insgesamt 70 % des Einzelplans des Land- donk [SSW]) wirtschaftsministeriums ausmachen. Das ist natür- lich der mit Abstand größte Ausgabenblock. Darum Vizepräsidentin Frauke Tengler: ist das, lieber Kollege Harms, auch ein Thema für Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Jetzt den Landwirtschaftsminister, nicht für den Sozial- erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister minister. Dr. Christian von Boetticher das Wort. Die Reformüberlegungen stehen beim Bund noch am Anfang. Jetzt gleich Befürchtungen zu äußern, Dr. Christian von Boetticher, Minister für Land- weil Herr Seehofer ein Bayer ist und es deshalb ge- wirtschaft, Umwelt und ländliche Räume: gen die erfolgreichen norddeutschen Regionalm- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und odelle gerichtet sei, ist etwas, dem ich widerspre- Herren! Ich könnte es mir jetzt einfach machen und chen muss. Wir haben nicht umsonst einen Staats- sagen: Ich warte auf die Empfehlung des Landta- sekretär Lindemann. Er kommt aus Niedersachsen. ges. Trotzdem will ich ein paar Dinge aus meiner Dadurch haben wir im Bundesministerium ein gu- Warte dazu sagen. tes „check and balance“-System zwischen nord- und süddeutschen Interessen. Ich bin froh, dass wir uns alle darüber einig sind, dass die landwirtschaftliche Sozialversicherung aus Aber an der Stelle geht es natürlich auch um den guten Gründen ein soziales Sondersystem ist. Das sozialen Frieden im ländlichen Raum. Wir wissen, ist mehrfach angeklungen. Die Argumente dafür dass sich der Strukturwandel verschärft hat. Daher sind aufgezählt worden. Ich stelle jedenfalls zum ist es schlichtweg nicht möglich, den weniger wer- Teil eine breite Meinung in dieser Richtung fest. denden aktiven landwirtschaftlichen Unternehme- rinnen und Unternehmern die gesamten Sozialla- Aber eines ist auch klar: Die Reform des Sozial- sten ihrer Branche aufzubürden. Darum sage ich staats, die wire auf allen Ebenen angegangen, führt noch einmal ganz deutlich: Das agrarsoziale Siche- dazu, dass man über neue Wege in der Agrarsozi- rungssystem, das auf die besonderen Verhältnisse alpolitik nachdenken muss, aber natürlich unter der Landwirtschaft als Unternehmer ausgerichtet Berücksichtigung der Besonderheiten. Diese beste- bleiben muss, bedarf auch zukünftig der solidari- hen in der Generationengerechtigkeit und in der schen Mitfinanzierung durch den Bund. Daraus Verlässlichkeit. Letztlich geht es um eine finanziel- kann man den Bund nicht entlassen. Aber die De- le Absicherung der bäuerlichen selbstständigen Fa- batte ist vor dem finanziellen Hintergrund vorhan- milien gegen Alter, Unfall, Krankheit, Pflegebe- den. Für mich als schleswig-holsteinischen Land- dürftigkeit und für den Todesfall. Das sind ganz wirtschaftsminister geht es darum, in diese Debatte wichtige Rahmenbedingungen für unsere deutsche auch die schleswig-holsteinischen Interessen einzu- und - bei uns im Norden - schleswig-holsteinische bringen. Herr Hildebrand, Sie haben das deutlich Landwirtschaft. Da muss man sehr präzise sein. gesagt. Wenn wir in den Koalitionsvertrag gucken, sehen Eine wesentliche Konsequenz der Reformpläne wä- wir, dass ein zentrales Anliegen die Weiterentwick- re nämlich die Aushebelung der Regionalisierung lung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Eine ist. Hierzu hat Minister Seehofer vor dem Bundes- Integration der regionalen Sozialversicherungsträ- tag in einer Regierungserklärung deutlich gesagt - ger in ein bundesdeutsches System würde für den ich zitiere -: „Wir brauchen eine ständige Fortent- Norden eine relative Schlechterstellung mit sich wicklung und schrittweise Verzahnung der land- bringen. Warum? - Wir sind eben anders struktu- wirtschaftlichen Sozialversicherung mit dem allge- riert als die süddeutschen Bundesländer. Bei uns meinen sozialen Sicherungssystem.“ sind die Beiträge deutlich günstiger als woanders. Das ist im Prinzip sicherlich ein nachvollziehbarer Die Belastung würde im Falle einer Integration vor Ansatz. Aber angesichts des Erfolges, den wir in allem auf die Beitragszahler verschoben werden. Es den letzten Jahren mit dem Sondermodell gehabt handelt sich hierbei um Faktoren, die man in der haben, führt das zunächst einmal zu einer Verunsi- Debatte berücksichtigen muss. Wir werden unsere cherung. Das spürt man in den Gesprächen auch schleswig-holsteinischen Interessen intensiv ein- mit den Landwirten. Warum ist das so? Es geht bringen. ums Geld. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1527

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

Wir müssen darüber hinaus mit einigen nicht uner- das Parlament willig und bereit, den Bericht der heblichen technischen Problemen rechnen. Das be- Landesregierung entgegenzunehmen? trifft zum Beispiel die Beitragsbemessung und die (Zurufe: Ja, ja!) Integration selbstständiger Landwirte in eine Ange- stelltenversicherung. Aber Landwirte sind nun - Wunderbar; danke schön. einmal Unternehmer, nicht Arbeitnehmer oder An- Damit erteile ich das Wort für den Bericht der Lan- gestellte. Auch können die Altenteiler nicht mit den desregierung der Ministerin für Soziales, Gesund- Rentnern gleichgesetzt werden, weil das Altersgeld heit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta bekanntlich nur eine Teilsicherung neben dem Al- Trauernicht. tenteil ist. Vergessen dürfen wir an dieser Stelle auch nicht die Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, Errungenschaften der Betriebs- und Haushaltshilfe Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren: oder die Altersabsicherung der Bäuerinnen, um die die Landfrauen in all den Jahren sehr stark ge- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und kämpft haben. Herren! Ich tue das gern, obwohl ich einen Moment irritiert war, weil ich dachte, dass der Bericht erst Ich sage noch einmal: Es ist ganz wichtig, dass wir beantragt werden soll, dann darüber beraten wird bei den anstehenden Beratungen die Vorteile des und ich dann beim nächsten Mal oder wann auch jetzigen Systems und insbesondere die Errungen- immer einen Bericht gebe. Aber ich fange gern an. schaften, die wir aufgrund unserer Vorteile in Schleswig-Holstein erreicht haben, nicht auf einem Der Landtag hatte im Jahre 1996 mit Drucksache Gemeinschaftsaltar opfern. Aber noch einmal: Die 14/227 einen Berichtsauftrag über die Landesarmut Debatte beginnt erst, und wir werden uns dort in an das damalige Ministerium für Arbeit, Gesund- dieser Hinsicht einbringen. heit und Soziales gegeben. Dieser Landesarmutsbe- richt wurde in der Tagung des Landtages im Sep- (Beifall bei CDU und SPD) tember 1999 vorgelegt und an den Sozialausschuss verwiesen, der ihn einstimmig zur Kenntnis genom- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: men hatte. Der Bericht wurde extern für 200.000 DM erstellt und umfasste immerhin 317 Ich danke dem Minister Dr. von Boetticher. Weite- Seiten. re Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schlie- ße die Beratung. Es gab dann ein Anhörungsverfahren zum Landes- armutsbericht, das im Sozialausschuss im März Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 2001 ausgewertet wurde. Infolge dieser Auswer- 16/585 federführend dem Umwelt- und Agraraus- tung fasste der Sozialausschuss auf Vorschlag des schuss, mitberatend dem Sozialausschuss zu über- Abgeordneten Baasch den Beschluss, sich in der weisen. Wer dem so zustimmen will, den bitte ich laufenden Legislaturperiode mit dem The- um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Dann ist es menschwerpunkt Schuldensituation von Privat- so beschlossen. personen in Schleswig-Holstein zu beschäftigen Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 24: und bis zum Jahr 2003 darüber einen Bericht vorzu- legen, was auch geschah. Landesbericht zur Armutsbekämpfung in Die Auseinandersetzung mit dem Thema Armut ist Schleswig-Holstein also in Schleswig-Holstein keineswegs neu und es Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellt sich die Frage, ob es überhaupt ein Erkennt- Drucksache 16/595 (neu) nisdefizit gibt. Es hat sich damals allerdings ge- zeigt, dass eine differenzierte Betrachtung der sehr Änderungsantrag der Abgeordneten des SSW unterschiedlichen Lebenslagen verschiedener Grup- Drucksache 16/611 pen den politischen Reflexionsgrad auf die Proble- matiken erhöht hat. Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/615 In der Folge gab es zum Beispiel den Bericht zur Situation von Familien und den Bericht über die Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Einkommens- und Vermögenssituation sowie das ist nicht der Fall. Gutachten zur Überschuldungsproblematik. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte zunächst Parallel zu den Aktivitäten der Landesregierung, um die Abstimmung über den Berichtsantrag. Ist die, wie man feststellen kann, in den letzten Jahren 1528 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht) bemerkenswert waren, entwickelte sich ein konti- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines nuierlicher Armuts- und Reichtumsbericht der wird damit klar: Wir haben es heute mit einer sehr Bundesregierung, dessen Erkenntnisse wir natür- komplexen Thematik zu tun, wenn wir über Armut lich heute auch in Schleswig-Holstein nutzen. So reden. Allein deshalb gibt es auch keine einfachen wurde am 2. März 2005 vom Bundeskabinett der Antworten. Die sich langsam, aber kontinuierlich Zweite Armuts- und Reichtumsbericht verabschie- gebildete Armutswirklichkeit braucht heute auch det. Dieser Zweite Armuts- und Reichtumsbericht mehr als Geld. Sie braucht unser ernsthaftes politi- begreift Armut und Reichtum als Pole einer Band- sches und gesellschaftliches Engagement. Wir mer- breite von Teilhabe- und Verwirklichungschancen. ken es in Schleswig-Holstein, dass es dieses gibt. Der Bericht stellt fest, dass eingeschränkte Ver- Die „Tafeln“ sind nur ein Beispiel dafür. wirklichungschancen und ein höheres Armutsrisiko Ich halte es deshalb für zwingend geboten, sich vor auch durch unzureichende Ausbildung, fehlende dem Hintergrund der öffentlichen Entwicklung und Bildungsabschlüsse sowie einem erschwerten Zu- Diskussion und der zunehmenden Sensibilisierung gang zur Erwerbstätigkeit bedingt sind. Das ist na- auch in unserem Land differenziert eines Schlüssel- türlich für uns alle auch nicht neu, dass Armut im themas anzunehmen. Das Schlüsselthema heißt für Regelfall von der Erwerbslosigkeit begleitet wird mich Kinderarmut. beziehungsweise darin sogar ihre Ursache hat. Statt umfangreicher und teurer Berichte bin ich da- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Noch für, die Aktivitäten und Arbeitsvorhaben der unter- stärker als zur Zeit des Landesarmutsberichts im schiedlichen Einrichtungen und Initiativen zu ver- Jahre 1999 verschiebt sich die aktuelle Armutsde- netzen, in der Bevölkerung zu verankern und die batte - das zeigt auch dieser Bundesbericht - auf die Prozesse zu steuern. Ich stimme deshalb dem An- Fragen von Bildung, sozialer Entwicklung, Partizi- trag der Regierungsfraktionen zu. Mein Ministeri- pation und kultureller Identifikation. Armut hat in- um wird in der nächsten Tagung, so dies hier be- sofern viele Gesichter. Defizite in der Essensversor- schlossen werden sollte, einen mündlichen Bericht gung produzierten Übergewichtigkeit oder andere zur Kinderarmut im März hier im Landtag abgeben. Ernährungsstörungen, Zahnkrankheiten, schlicht- weg Erkrankungen; deswegen sind arme Menschen (Beifall bei SPD und CDU) kränker als andere Menschen. Armut zieht sich in den preisgünstigen Wohnraum zurück. Das führt zu Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Ghettobildung in benachteiligten Wohngebieten. Kinder mit so genannter schlechter Adresse haben Ich danke der Frau Ministerin und eröffne die Aus- zudem mit Überfüllung und gleichzeitigem Mangel sprache. Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS an Freizeiträumen zu tun. Soziale Kontakte werden 90/DIE GRÜNEN hat die Frau Abgeordnete Moni- aus Schamgefühl reduziert. Bildungsferne Eltern ka Heinold. haben häufig auch sozial-emotionale Defizite, die ein brüchiges Selbstwertgefühl bei den Kindern er- Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zeugen. Bildungs- und Lebenschancen können Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns durch permanenten Geldmangel oder auch durch liegen drei unterschiedliche Anträge vor. Wir haben Geldverschwendung an falscher Stelle nicht genutzt den Antrag gestellt, dass die Landesregierung in der werden. Kinder und Jugendliche - auch das ist ein heutigen Sitzung berichten möge, wann die Landes- Gesicht von Armut - aus armen Elternhäusern ken- regierung eine Berichterstattung über die soziale nen praktisch keine fernen Länder. Sie nehmen sel- Lage der Bevölkerung in Schleswig-Holstein vorle- ten an Schüleraustauschprogrammen teil. Sie verfü- gen wird. Wir hatten keinen Landesarmutsbericht gen über wenig Erfahrungen mit Ausflügen, Rei- beantragt, um das noch einmal deutlich zu machen. sen, Sprachen, fremden Kulturen. Meine sehr ge- Das ist der SSW-Antrag. Wir haben gesagt, dass ehrten Damen und Herren, manche verquarste die 50.000 €, die schon in den Haushalt eingestellt Weltanschauung von Jugendlichen hat gerade darin sind und der Landesregierung genau für diesen Be- ihren Grund, weil die Welt nicht angeschaut wer- richt durch das Parlament zur Verfügung gestellt den konnte. Falls dann der Wirtschaftsaufschwung worden sind, auch dafür genutzt werden. Wir be- kommt, können diese Kinder und Jugendlichen dar- grüßen die Initiativen, die die Sozialverbände gegen an nicht teilnehmen; denn ihnen fehlen für eine Kinderarmut gemeinsam gestartet haben. Den Teil wissensbasierte Volkswirtschaft die elementarsten haben ja auch CDU und SPD mit in ihren Antrag Voraussetzungen. Wohlstand und Bildung sind aufgenommen. Insofern jetzt keine Behauptung, ich heute weitgehend deckungsgleiche Begriffe. würde große Berichte, die viel Geld kosten, einfor- dern. Das wäre falsch. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1529

(Monika Heinold)

Was haben CDU und SPD jetzt aus unserem Antrag Wir möchten gern, dass die Landesregierung heute gemacht? deutlich macht, wofür sie die 50.000 €, die im Titel „Berichte über die soziale Lage der Bevölkerung in Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Schleswig-Holstein“ des Landeshaushalts stehen, ausgeben möchte. Ich möchte gern, dass diese Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage 50.000 € tatsächlich für eine Bewertung der sozia- des Herrn Abgeordneten Baasch? len Lage verwandt werden. Dabei ist natürlich die Initiative „Gemeinsam gegen Kinderarmut“ ein Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sehr starker Baustein und wenn die Landesregie- Gern! rung sagt, dass sie es genau dafür verwenden wird, dann bin ich hoch zufrieden. Wolfgang Baasch [SPD]: Frau Kollegin, in der Begründung des Antrages, den die Abge- Eben ist schon benannt worden, dass die Armut in ordneten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschland zugenommen hat, dass die Schere zwi- formuliert haben, wird gefordert, die im Ein- schen Arm und Reich weiter auseinander klafft. Ich zelplan 10 vorgesehenen Mittel für die kon- sage sehr deutlich: Ich bin auch absolut unzufrieden zeptionelle Erstellung eines Landesberichts mit dem, was die rot-grüne Bundesregierung inso- zur Armutsbekämpfung einzusetzen. Eben weit erreicht hat. Es ist bitter zu bilanzieren, dass es haben Sie noch gesagt, Sie wollten keinen auch Rot-Grün nicht geschafft haben, aber es ist so. Armutsbericht. Was zählt denn nun? Auch wir haben es nicht geschafft, die Armut in Deutschland zurückzudrängen. Vielmehr fallen im- Sehr geehrter Herr Kollege Baasch, die Begrün- mer mehr Menschen in Deutschland in Armut. Er- dung wird niemals beschlossen, sondern es gibt schreckend dabei ist, dass dies überwiegend Famili- einen Beschlusstext, der gilt. en mit Kindern trifft, sodass in Deutschland inzwi- Der Antrag von SPD und CDU hat mich etwas ver- schen 15 % aller Kinder unter 15 Jahren in Armut wundert. Denn er ist eine bunte Mischung von Din- leben. gen, die wir schon vorher beantragt haben. Ich habe Wenn wir über Armut diskutieren, dann müssen wir das in der letzten Sitzung schon einmal gesagt. Im uns auch überlegen, welche Begrifflichkeit wir Landesjugendhilfeausschuss hat das Familienminis- wählen. Die Weltbank definiert einen Menschen als terium schon etwas darüber gestöhnt, dass von uns arm, wenn er weniger als einen Dollar täglich zur ständig Berichtsanträge kommen, die sich wieder- Verfügung hat. Das ist existenzielle Armut. In holen. Sie fordern jetzt zum Beispiel erneut, dass Deutschland gilt ein Mensch als arm, wenn er weni- über die Gesundheitsversorgung von Kindern und ger als 60 % des monatlichen mittleren Nettoein- Jugendlichen berichtet wird. Dazu haben wir in der kommens zur Verfügung hat. Das sind - auf der Da- letzten Sitzung einen Berichtsantrag beschlossen. tenbasis des Jahres 2000 - circa 900 € im Monat. Sie fordern erneut, dass über den Versorgungsgrad Der aktuelle Armutsbericht der Bundesregierung und das Ausbauvorhaben der Kinderbetreuung be- legt diese Definition des Armutsbegriffs zugrunde. richtet wird. Dazu werden wir hoffentlich nachher Er spricht von einer relativen Armut und er argu- einen Berichtsantrag beschließen. Das haben wir mentiert, dass es in einer reichen Gesellschaft wie heute Morgen behandelt. Sie fordern Berichtsanträ- Deutschland, in einem Wohlfahrtsstaat, nicht um ge zu großen Bereichen: Jugendberatung, Familien- das reine Überleben gehen kann, wenn wir über Ar- politik, Erziehungsauftrag. Dazu gibt es mehrere mut sprechen, sondern dass es um das soziokultu- Berichtsanträge von Ihnen, zu denen wir auf die relle Existenzminimum geht, es geht um die Teilha- Berichte warten, und es gibt eine Große Anfrage be am Leben, um gesellschaftliche Teilhabe. der CDU zur Familienpolitik. Es ist wichtig, dies auch zu benennen, damit wir Ich sage sehr deutlich: Als Opposition ist es nicht wissen, worüber wir reden. Gerade bei Familien mit meine Aufgabe, die Regierung vor zu vielen Be- Kindern wirkt sich auch sehr aus, ob eine Teilhabe richtsanträgen zu bewahren. Aber so, wie Sie das möglich ist oder nicht, ob sie sich den Sportverein, machen, jedes Mal neue Berichtsanträge zu be- das Schulbuch oder auch die Turnschuhe, die sie schließen, die sich doppeln, sodass die Regierung für die Schule brauchen, leisten können. im Grunde nur noch Teile herauskopieren und neu zusammenheften muss, kann nicht die qualitative Wir haben - das ist alarmierend - in Deutschland in- Arbeit in diesem Landtag ersetzen. zwischen eine Struktur, bei der sich Armut in der dritten Generation verfestigt hat. Dies wirkt sich (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auf unser Bildungssystem aus. Das haben wir im- mer wieder auch miteinander diskutiert. Es gibt ei- 1530 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Monika Heinold) ne neue Schicht mehrfach Benachteiligter. Wäh- rig nach Hause gehen, hier sind die Kinder, die frei- rend das so genannte oberste Zehntel der Bevölke- tags schon wissen, dass sie erst montags die nächste rung 47 % des Vermögens besitzt, hat die untere warme Mahlzeit bekommen, hier sind die Eltern, Hälfte der Bevölkerung nur 4 % des Vermögens zur die Hilfe brauchen und die an diesen Stellen auch Verfügung. Hierbei ist wichtig, dass wir Armut und Beratungsangebote annehmen, hier sind auch die Reichtum, Vermögen und Verschuldung miteinan- Familien, die ihre Kinder aus der Kindertagesstätte der diskutieren. Vor ein paar Jahren haben mein abmelden, weil sie sich den Kindergartenplatz Kollege Günter Neugebauer und ich noch gemein- schlicht nicht mehr leisten können. sam einen Armuts- und einen Reichtumsbericht ge- Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es in Ham- fordert. Ich denke, es war richtig, diese beiden The- burg jetzt eine erste Siebentages-Kindertagesstätte men gemeinsam zu beraten. gibt, wo alle Kinder, ob im Kindergarten angemel- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) det oder nicht, am Wochenende eine warme Mahl- zeit bekommen. So gut wie das ist, so deutlich In Deutschland streichen Unternehmen relativ hohe macht es aber auch, dass es durchaus erschreckend Gewinne ein. Gleichzeitig schaffen sie Arbeitsplät- ist, dass wir in Deutschland im Prinzip wieder bei ze ab und investieren nicht in den Standort der Armenküche angekommen sind. Das muss Deutschland. Ich denke, auch hier müssen wir laut- man benennen. Auch in Neumünster bildet sich stark protestieren und sagen, dass sich hieran etwas jetzt bei der „Tafel“ eine Initiative, die das in die- verändern muss. sem Sinne in etwa übernehmen möchte. Deutschland ist, global betrachtet, nach wie vor ein Ich sage sehr deutlich: Hungernde Kinder sind für Wohlfahrtsstaat. Wir müssen sicherstellen, dass alle eine reiche Gesellschaft eine Schande. Auch dies Kinder in unserem Land eine Chance auf Bildung müssen wir benennen. haben, und wir müssen - wir haben das heute Mor- gen schon diskutiert - klären, warum die hohen In- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vestitionen unseres Staates in Bildung, in Familien- und vereinzelt bei der SPD) politik, bisher nicht erfolgreich waren oder zumin- Ich komme zum Schluss. Kinder und Jugendliche dest nicht zu dem Erfolg geführt haben, den wir uns spüren sehr genau, ob sie in unserer Gesellschaft wünschen. einen festen Platz haben, ob sie ernst genommen, Die Initiative der Wohlfahrtsverbände „Gemein- ob sie akzeptiert werden und ob sich jemand küm- sam gegen Kinderarmut“ hat acht Forderungen auf- mert. Von daher bedanke ich mich ganz herzlich gestellt: Rechte für alle Kinder durchsetzen, Grund- bei Frau Simonis, dass sie sich als Schirmherrin der sicherung für Kinder gegen materielle Armut, kom- UNICEF für dieses Projekt zur Verfügung gestellt munale Netzwerke zur Armutsprävention, Kinder- hat und dies mit Sicherheit auch gern macht. tageseinrichtungen ausbauen, Bildungschancen für (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN alle Kinder, sichere Gesundheitsversorgung für alle und vereinzelt bei der SPD) Kinder, Erziehungsfähigkeit der Eltern stärken, und eine achte in Bezug auf Kinderarmut und Migrati- on. Meine Fraktion unterstützt genau diese Schwer- Vizepräsidentin Frauke Tengler: punktsetzung. Mit unserem heutigen Antrag wollen Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Herrn Abge- wir auch ein deutliches Signal geben, dass wir diese ordneten Torsten Geerdts das Wort. Schwerpunktsetzung und diese Initiative unterstüt- zen. Von daher freut es mich, dass CDU und SPD Torsten Geerdts [CDU]: dies mit in ihrem Antrag eingebaut haben. Das scheint mir ein wirklich wichtiges Signal zu sein. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Kindheit ist kein Kinderspiel.“ - So lautet die Die ersten regionalen Armutskonferenzen, die Überschrift einer Kampagne des Deutschen Kinder- jetzt stattfinden, machen deutlich, dass es einen schutzbundes. Die Lebenssituation von Kindern großen Bedarf gibt mitzudiskutieren, vor allem je- soll mit dieser Kampagne in die Köpfe der Gesell- ner, die täglich mit Armut konfrontiert sind, und schaft gebracht werden. zwar nicht als Betroffene, sondern weil sie mit die- sen Menschen arbeiten. Insbesondere aus den Kin- In den meisten reichen Ländern wächst der Anteil dertagesstätten werden wir jetzt darauf hingewie- der Kinder, die in Armut leben müssen. Nach einer sen: Wir sind eine unglaublich gute Anlaufstelle. Studie von UNICEF hat sich in 17 von 24 OECD- Lieber Staat, baue uns doch aus als Anlaufstelle für Staaten die Lebenssituation von Kindern ver- die Familien. Denn hier sind die Kinder, die hung- schlechtert. In Deutschland leben circa 1,2 Millio- nen Kinder und Jugendliche in relativer Armut. Sie Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1531

(Torsten Geerdts) und ihre Eltern sind auf Sozialgeld, Arbeitslosen- Person ausschließlich auf soziale Transferleistun- geld I oder II angewiesen. In Schleswig-Holstein gen angewiesen zu sein. Wir können uns eine Ge- gelten 64.000 Kinder als arm. sellschaft nicht leisten, in der Familien über Gene- rationen hinweg ohne Arbeit und vom Sozialgeld- Die Teilhabe vieler dieser Kinder am gesellschaftli- bezug leben müssen. Wegschauen gilt nicht. Wer chen Leben ist gefährdet. CDU und SPD halten die- ausschließlich die Antwort parat hat, dass die öf- se Situation für so gravierend, dass wir mit unserem fentlichen Haushalte leer sind, der übersieht die ge- Antrag erreichen wollen, uns in der Berichterstat- meinsame Aufgabe der Jugend-, Sozial- und Fi- tung auf Kinder und Jugendliche zu konzentrieren. nanzpolitiker, Jugendhilfekarrieren frühzeitig zu Wir haben kein Interesse an Berichten und Landes- beenden und nicht in dauerhafte Sozialgeldkarrie- plänen, die in den Schubladen verstauben. Wir wol- ren münden zu lassen. Das wäre sozialpolitisch und len konkretes Handeln dargestellt bekommen, um haushaltspolitisch das fatalste, was unserem Staat zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebenssi- widerfahren könnte. tuation von Kindern und Jugendlichen zu kommen. Die Rate der Kinder, die in Armut leben, wächst Wir sind also gemeinsam in der Verantwortung. hierzulande deutlich schneller als die der Erwachse- Das Thema „Bekämpfung der Kinderarmut“ ist ei- nen. ne gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich nicht nur die Sozialpolitiker zu stellen haben. CDU und SPD stehen mit ihrer Politik dafür ein, dass Familien nicht sozial benachteiligt werden. (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir werden die Kinderarmut aktiv bekämpfen. Die NEN und SSW) Betreuung von Kindern werden wir bedarfsgerecht Mit einer Geburtenrate von 1,3 Kindern ist fortentwickeln und gemeinsam mit den Kommunen Deutschland fast das Schlusslicht in Europa. Nur werden wir familiengerechte Lebensbedingungen 25 % der Frauen sind vollzeitbeschäftigt im Ver- schaffen. Die Gründung lokaler Bündnisse für Fa- gleich zu 45 % zum Beispiel in Frankreich. Insbe- milien werden wir mit Nachdruck unterstützen. Ich sondere Frauen halten die Vereinbarkeit von Fami- finde es gut, dass immer mehr Kreise und kreisfreie lie und Beruf in Deutschland für nicht gegeben. Da- Städte mitmachen. her erwarte ich von der Landesregierung, dass sie (Beifall der Abgeordneten Wolfgang Baasch bei ihrer Berichterstattung den Zusammenhang zwi- [SPD] und Siegrid Tenor-Alschausky [SPD]) schen Kinderarmut und den Verkrustungen unseres bundesdeutschen Arbeitsmarktes darstellt. UNICEF sagt aber auch - diese Formulierung finde ich bemerkenswert -, dass Kinder in Deutschland (Rolf Fischer [SPD]: Sehr gut!) kein Armutsrisiko sind. Dramatisch hingegen ist die Die CDU-Landtagsfraktion begrüßt die Kampagne soziale Situation vieler Kinder, die mit einem allein von Landesjugendring, dem Deutschen Kinder- erziehenden Elternteil leben. Verschweigen dürfen schutzbund, dem Sozialverband Deutschland und wir in diesem Zusammenhang auch nicht die Situa- der AWO gegen Kinderarmut. Wir haben in dieser tion von Kindern in Zuwandererfamilien. Wer Frage hohe Erwartungen an die Landesregierung. sich in seinem Wahlkreis in den Brennpunkten um- Ich bin aber auch davon überzeugt, dass wir einen schaut, der stellt sehr schnell fest, dass sowohl die entscheidenden Beitrag durch den von der Famili- soziale Situation von Kindern Asylsuchender, Asyl- enministerin vorgelegten Kinder- und Jugend-Akti- berechtigter, aber auch der Aussiedler Sprengkraft onsplan auf Landesebene leisten können, um für unsere Gesellschaft bedeuten können. Schleswig-Holstein zu einem familien- und kinder- Armut grenzt aus. Dabei herrscht nicht nur ein freundlichen Bundesland zu machen und weiter Mangel an materiellen Dingen. Es gibt häufig Defi- auszubauen. zite in den Bereichen Bildung und Erziehung. Aber Es ist daher die vordringlichste Aufgabe, um dieses auch durch falsche Ernährung verursachte Gesund- große Ziel zu erreichen, die Kinderarmut zu be- heitsprobleme sind gravierend. Diese Kette setzt kämpfen, Gewalt in Familien auszuschließen, Ver- sich fort über beengte Wohnverhältnisse, dem Le- nachlässigung von Kindern aufzudecken und nied- ben in vernachlässigten Stadtteilen, auftretende rigschwellige Hilfs- und Beratungsangebote wohn- Probleme in der Schulbildung bis hin zu den ortnah vorzuhalten. Jede Maßnahme, die aus Mit- schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Von teln des Landes unterstützt wird, muss kindgerecht, Chancengerechtigkeit kann nach so einer „Karrie- lebensweltbezogen, gemeinschaftsstiftend und ge- re“ keine Rede mehr sein. schlechtergerecht sein. Für viele heute in Armut lebende Kinder und Ju- gendliche besteht die Gefahr, auch als erwachsene 1532 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Torsten Geerdts)

Kinder in Schleswig-Holstein sollen gesund auf- Von dieser Landesregierung erwarten wir, dass sie wachsen. Daher brauchen wir Frühwarnsysteme die Arbeit in den Kinderschutzzentren gemeinsam zwischen dem Jugendhilfe- und dem Gesundheits- mit den Verantwortlichen auf kommunaler Ebene system. absichert. Zur Bekämpfung von Gewalt und Ver- nachlässigung sind die Kinder- und Jugendtelefone Um der Gewalt in den Familien vorzubeugen, es von größter Bedeutung. Für Eltern brauchen wir nicht zu Überforderungen junger Eltern kommen zu weiterhin dringend Elterntelefone, wo man unbüro- lassen, benötigen wir frühe Hilfen. kratisch und anonym Hilfe erhält. Wir brauchen so Meine Fraktion ist begeistert von dem Schutzen- genannte Elternschulen, um Defizite bei jungen Vä- gel-Projekt in Flensburg. Dort gibt es ein Netz- tern und Müttern abzubauen, damit sie ihren Erzie- werk gesundheitlicher und sozialer Hilfen für junge hungsauftrag auch wirklich wahrnehmen können. Familien in schwierigen Lebenssituationen. Wir Wir müssen die Kommunen und die Träger unter- brauchen in jedem Kreis, in jeder kreisfreien Stadt stützen, die teilweise auf ehrenamtlicher Basis ein enges Zusammenwirken von Arztpraxen, Klini- einen kostenlosen Mittagstisch für Kinder aus sozi- ken, Kirchengemeinden, Kindertagesstätten, Schu- al schwächeren Familien anbieten. Oft wird dieses len, Beratungs- und Frühförderungsangeboten. Angebot an eine von Ehrenamtlern durchgeführte Durch den Einsatz von Familienhebammen und ab- Hausaufgabenhilfe gekoppelt. Wir müssen die hohe gestimmter Gemeinwesenarbeit sollen benachteilig- Qualität der Fachberatungsstellen für Opfer von se- te Familien in ihrem direkten Lebensumfeld Hilfe xueller Gewalt in den Familien sichern. erhalten. Ich bin froh, dass wir viele dieser Punkte im Koali- Gerade für die sozial Schwächeren benötigen wir tionsvertrag und im Haushalt 2006 verankern konn- eine ganzheitliche Bildung. Ich finde, das gehört in ten. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch dazu, den diese Debatte auch hinein. Menschen zu sagen, dass wir uns aufgrund der (Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer Haushaltslage konzentrieren müssen. Für meine [SPD]) Fraktion liegt der Schwerpunkt in der Kinder- und Daher sind wir uns auch in dem Ziel einig, noch Familienpolitik. Um diesen Schwerpunkt finanzie- mehr Ganztagsangebote, Ganztagsschulen in ren zu können, müssen wir an anderer Stelle deut- Schleswig-Holstein einzurichten. lich sparen. (Beifall des Abgeordneten Peter Eichstädt Kinderarmut kann man nur mit einem Bündel an [SPD]) Maßnahmen ressortübergreifend bekämpfen. Dazu zählen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Aber wie schon ausgeführt, ist die Bekämpfung der die Mitverantwortung der Tarifpartner, flexible Be- Kinderarmut nicht ausschließlich die Aufgabe der treuungsangebote in Kindertagesstätten, aber auch Sozialpolitiker. Der wichtigste Beitrag zur Armuts- Betreuungsangebote für unter Dreijährige. Wir bekämpfung wird gewährleistet, wenn eine Politik brauchen Eltern- und Familienbildung, verlässliche betrieben wird, die zu mehr Wachstum und Be- soziale Frühwarnsysteme bei Vernachlässigungen schäftigung führt. Daher ist es auch für Sozial- und und wir unterstützen die lokalen Bündnisse für Fa- Jugendpolitiker eine der wichtigsten Nachrichten milien. der vergangenen Tage die, dass Schleswig-Holstein jetzt auf Platz 2 beim Wachstum liegt. Am Ende dieser Wahlperiode werden wir nicht an der Zahl der abgeforderten Berichte und Landesplä- Es gibt noch kein Aufatmen beim Blick auf die Ar- ne gemessen. Wir werden uns messen lassen müs- beitslosenstatistik. Denn hinter jedem Arbeitslosge- sen an den konkreten Verbesserungen zum Beispiel meldeten befindet sich ein oder befinden sich meh- für Kinder und Jugendliche in Schleswig-Holstein. rere Schicksale. Oft sind es Familien mit Kindern. Aber es besteht wieder ein Stück Hoffnung auf dem Ich freue mich auf eine Fortsetzung dieser Diskus- Arbeitsmarkt. Während bundesweit die Beschäfti- sion während der nächsten Landtagstagung. Wir gungszahlen rückläufig sind, gab es in Schleswig- wollen einen mündlichen Bericht zur Situation von Holstein eine Stabilisierung. Wenn die Wirtschaft Kindern und Jugendlichen in diesem Land. nicht nachhaltig anspringt und die Arbeitslosigkeit (Beifall bei CDU und SPD) nicht sinkt, dann können wir im Sozialhaushalt noch so viel herumdoktern, der Armut unter Kin- dern und Jugendlichen werden wir nicht entschie- den entgegenwirken. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1533

Vizepräsidentin Frauke Tengler: (Beifall bei der SPD) Ich danke dem Herrn Abgeordneten Torsten Ge- Wir sprechen in jedem Fall über viel zu viele Kin- erdts und erteile für die SPD-Fraktion der Frau Ab- der und ihre Familien. geordneten Siegrid Tenor-Alschausky das Wort. Was bedeutet eine Kindheit in Armut? Welche Benachteiligungen entstehen? - Ist eine Familie ih- Siegrid Tenor-Alschausky [SPD]: rem Einkommen nach arm, ist das Risiko hoch, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen dass die Kinder sozial, materiell, kulturell und ge- und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und sundheitlich unterversorgt sind. Bei den sechsjähri- Herren! Kinderarmut in Deutschland, in Schleswig- gen armen Kindern in unserem Bundesland sind ge- Holstein, das ist nicht achselzuckend hinzunehmen. genüber nicht armen Kindern deutlich häufiger Es ist zu fragen, warum es in einer doch reichen Auffälligkeiten beim Sprach-, Spiel- und Arbeits- Gesellschaft nicht gelingt, allen Kindern ein Auf- verhalten festzustellen. wachsen in sozial und materiell gesicherten Ver- Auch bei Klassenwiederholungen zeigen sich deut- hältnissen zu ermöglichen. liche Unterschiede: Während fast 30 % der armen Die SPD-Fraktion begrüßt nachdrücklich die Kam- Kinder eine Klasse wiederholen müssen, sind es bei pagne „Gemeinsam gegen Kinderarmut“ von Kin- nicht armen Kindern nur 8,4 %. derschutzbund, Landesjugendring, Arbeiterwohl- Eine der neuesten Untersuchungen, die sich mit der fahrt und Sozialverband unter der Schirmherrschaft Armut von Kindern beschäftigen, hat das Institut von , UNICEF Deutschland. für Sozialarbeit und Sozialpädagogik im Auftrag (Beifall bei der SPD) des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt erstellt. Auch die Ergebnisse dieser Studie belegen, was zu- Wir freuen uns ganz besonders, dass unsere ehema- mindest bei fachlich Interessierten längst bekannt lige Ministerpräsidentin ihr Ansehen und ihre Kom- ist: Das höchste Armutsrisiko haben Kinder aus Ei- petenz einbringt. nelternfamilien, Kinder aus sehr großen Familien Nach dem neuesten Armuts- und Reichtumsbe- mit vier und mehr Kindern und Kinder aus Famili- richt der Bundesregierung hat sich die Schere en mit Migrationshintergrund. zwischen Arm und Reich in unserem Land weiter Auch die Unterschiede, die das Leben von armen geöffnet. Armut von Kindern und ihren Familien - Kindern im Gegensatz zu Kindern aus nicht armen und hier ist nicht nur Einkommensarmut gemeint - Familien ausmachen, sind nicht wirklich überra- hat Folgen für ihre Gesundheit, ihre Bildungschan- schend: Der größte Unterschied ist im materiellen cen, für das soziale Verhalten, für das gesellschaft- Bereich festzustellen. Ausdruck der Mangellage ist liche Miteinander. zum Beispiel vor allem, kein eigenes Kinderzimmer Unzureichende Förderung, fehlende Zuwendung zu haben, Einschränkungen bei der Kleidung und/ und mangelnde Verlässlichkeit - das sind Ursachen oder dem Spielzeug hinnehmen zu müssen. für Hoffnungslosigkeit bei Kindern und Jugendli- Wir können also feststellen: Armut schränkt Kinder chen. Diese Probleme führen häufig zu Lebenskri- und ihre Familien ein und grenzt sie sozial aus. Je sen mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffe- länger Armut andauert, desto gravierender werden nen, für ihren weiteren Lebensweg und für ihr so- die Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft. ziales Umfeld. Ziel einer zukunftsorientierten Poli- tik muss es deshalb nach Auffassung der SPD-Frak- Armut einer Familie ist der zentrale Risikofaktor tion sein, die in der Regel schon in sehr frühen Le- für eine Entwicklung im Wohlergehen. Arme Kin- bensjahren von Kindern einsetzende Spirale von der verfügen über weniger personale, familiäre und Benachteiligung zu durchbrechen. außerfamiliäre Schutzfaktoren als nicht arme Kin- der. Das wirkt sich natürlich auf ihre Lebenssituati- Nach Aussagen des Kinderschutzbundes, der on aus. Diese Kinder wachsen in einem belasteten AWO, des Landesjugendrings und des Sozialver- und in einem belastenden Umfeld auf, das ihnen bandes wuchsen Mitte 2005 etwa 14 % aller Kin- nur begrenzte Handlungs- und Entwicklungsspiel- der in Schleswig-Holstein unter Armutsbedingun- räume verschafft. Die kindliche Situation wird be- gen auf. Ich meine, es ist müßig, einen Streit über stimmt durch Einschränkungen materieller wie im- die zugrunde liegende Armutsdefinition zu führen. materieller Art. Ein außerfamiliärer Ersatz oder ein Denn es ändert nicht die Notwendigkeit des Han- Schutz davor ist nur selten gegeben. delns, wenn aufgrund anderer Berechnungsmodelle der Prozentsatz der betroffenen Kinder leicht sinkt Ich habe es bereits zu Beginn meiner Rede gesagt: oder steigt Es ist das Verdienst von Kinderschutzbund, AWO, 1534 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Siegrid Tenor-Alschausky)

Sozialverband und Landesjugendring, das Augen- zialen und persönlichen Kompetenzen und Bega- merk nicht nur der Fachöffentlichkeit und der Poli- bungen erhalten, damit sie unter anderem auf die tik auf das Problem „Kinderarmut“ gelenkt zu ha- künftigen Herausforderungen einer selbstständigen ben. Berufs- und Lebensgestaltung gut vorbereitet sind. Aber - auch das stelle ich hier ausdrücklich fest -: Kinder müssen die Chance haben, in Familien auf- Sowohl die rot-grüne Landesregierung und die sie zuwachsen, die in der Lage sind, ihre Erziehungs- tragenden Fraktionen haben sich des Themas in den verantwortung wahrzunehmen. Kinder müssen zu- vergangenen Jahren angenommen als auch die jet- verlässig vor Vernachlässigung geschützt werden. zige Landesregierung und die Fraktionen von SPD Sie haben Anspruch darauf, dass unsere Gesell- und CDU vernachlässigen die Politik für Kinder schaft ihnen unabhängig vom sozialen Status ihrer und Jugendliche nicht. Eltern gleichberechtigte Chancen auf eine gesicher- te Lebensgestaltung und eine frühzeitige Unterstüt- Um einen Überblick über die zahlreichen bisheri- zung in Notlagen gewährt. gen Aktivitäten zu erhalten - Frau Heinold, es geht um Aktivitäten und Arbeitsfelder, aber nicht um (Beifall bei SPD und CDU) neue Berichte -, Zum Wohle der Kinder und Jugendlichen ist die (Beifall bei der SPD) Zusammenarbeit vieler Akteure erforderlich. Wie eine solche Kooperation organisiert werden kann, bitten wir die Landesregierung deshalb, in der Mai- zeigen die ersten Bündnisse für Familie, die in un- Tagung des Landtages unter anderem darüber zu serem Land ihre Arbeit aufgenommen haben. Hier berichten, wie eine weitergehende Grundsiche- gibt es viele Erfolg versprechende Ansätze. Eine rung von Kindern und Jugendlichen gegen materi- solche Kooperation zum Wohle von Kindern ist im- elle Armut aufgestellt werden kann und welche An- mer dann besonders erfolgreich, wenn sie in kon- sätze es zur Armutsprävention bei Kindern und kreten Projekten praktiziert wird und ihr Nutzen für Jugendlichen bereits gibt. Wir möchten wissen, wie alle Beteiligten möglichst rasch sichtbar wird. es um den Versorgungsgrad und Ausbauvorhaben bei der Kinderbetreuung steht, wie die Situation Die SPD-Fraktion begrüßt und unterstützt diese von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshin- Aktivitäten. Denn das Wohl von Kindern und Ju- tergrund ist. Zu berichten ist über Aktivitäten zur gendlichen muss auf allen politischen Ebenen nicht Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Inhalt von wohlfeilen Sonntagsreden sein, sondern Kindern und Jugendlichen und über Aktivitäten zur täglich in praktische Arbeit umgesetzt werden. Verhinderung von Gewalt und zur Vermeidung Wir freuen uns auf den ausstehenden Bericht der von Vernachlässigung. Landesregierung und werden die Ergebnisse nicht Eine solche Berichterstattung kann den seit Novem- nur hier auf Landesebene, sondern gerade auch im ber 2005 vorliegenden Kinder- und Jugendaktions- Gespräch mit den Fachleuten der Verbände, Schu- plan für Schleswig-Holstein in Teilen ergänzen und len und sozialen Einrichtungen, Kommunalpolitike- aktualisieren, aber auch Handlungsfelder weiter rinnen und Kommunalpolitikern und den Betroffe- konkretisieren; darauf kommt es uns an. nen, also den Kindern und Jugendlichen, diskutie- ren. Uns ist klar, dass eine wirkungsvolle Politik für Kinder und Jugendliche in unserem Land von einer Schließen möchte ich mit einem Zitat von Janusz Vielzahl von Akteuren mitbestimmt wird. Die ma- Korczak, das Kinderschutzbund, AWO, Sozialver- terielle Ausstattung von Kindern wird ganz ent- band und Landesjugendring ihrer Initiative „Ge- scheidend durch die Bundespolitik bestimmt. Kin- meinsam gegen Kinderarmut“ vorangestellt haben: der- und Jugendhilfe ist eine der originären Aufga- „Kinder werden nicht erst Menschen, sie sind schon ben der kommunalen Ebene. Aber der Kinder- und welche.“ Jugendaktionsplan ist als Rahmenplan ja auch gera- (Beifall bei SPD und CDU ) de so angelegt, dass die Aktivitäten der verschiede- nen Handelnden zusammengefasst und aufeinander abgestimmt werden. Vizepräsidentin Frauke Tengler: Kindern und Jugendlichen in unserem Land müssen Ich danke der Frau Abgeordneten Tenor-Alschaus- Perspektiven eröffnet werden. Sie müssen entspre- ky und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Ab- chend ihres gesundheitlichen und psychosozialen geordneten Dr. Heiner Garg das Wort. Entwicklungsstands individuell gefördert werden. Sie müssen eine ausreichende Förderung ihrer so- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1535

Dr. Heiner Garg [FDP]: Armut bei Kindern heißt, es gibt Kinder, die mor- gens ohne Frühstück in den Kindergarten gehen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! oder überhaupt nicht in den Kindergarten geschickt Angesichts der Tatsache, wie die Debatte bisher werden können, weil die Eltern möglicherweise das verlaufen ist, und angesichts des Erkenntnisstandes Geld dazu nicht haben. Kinderarmut, das sind sämtlicher Vorrednerinnen und Vorredner will ich Schüler, die nicht an Klassenfahrten und Ausflügen ganz deutlich sagen: Die FDP hat sich an dieser In- teilnehmen können, weil die Haushaltskasse so et- flation von Vorschlägen hinsichtlich Berichtsanträ- was nicht hergibt. Das sind finanzschwache Famili- ge mit Absicht nicht beteiligt. Wir wollen keinen en, die aus Kostengründen in infrastrukturschwa- neuen Bericht. Wir wollen keinen neuen Berichts- chen Wohngegenden wohnen. Dort schließt sich antrag stellen. dann der Teufelskreis. Mangelnde Freizeit-, Förder- Ich halte es für legitim und sinnvoll, dass die Grü- und Ausbildungsmöglichkeiten und eine steigende nen nachgefragt haben, wann der zugesagte und mit Verschuldung führen dazu, dass ein Ausbruch aus entsprechenden Haushaltsmitteln ausgestattete Be- dieser Armut in Zukunft immer schwieriger wird. richt der Landesregierung kommt, und damit ist es Die Kollegin Heinold hat von der Sozialhilfegene- gut. ration in dritter Generation gesprochen. Ich wohne (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE drüben in Kiel-Gaarden. Ich kenne diese Familien GRÜNEN) genau, die in dritter Generation von der Sozialhilfe Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann leben. Es ist verdammt schwer, dort herauszukom- auch nicht Begründungen nachvollziehen, die da men. Es ist unendlich schwierig, wenn man erlebt, heißen: Wir wollen keinen Bericht und deswegen dass möglicherweise nicht nur Vater und Mutter ar- fragen wir die Landesregierung und bitten sie, in beitslos sind, sondern dass auch die Großeltern ar- der 11. Tagung zu berichten. beitslos waren. Dort ist es schwer, Kinder - mit ei- nem Frühstück ausgestattet - in den Kindergarten (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE oder in die Schule zu schicken. GRÜNEN) Alarmierend ist die überdurchschnittliche Armut Das habe ich - ehrlich gesagt - auch nicht so ganz von Kindern Alleinerziehender, Arbeitsloser und verstanden. Kindern aus Zuwandererfamilien. Meine Vorredner Ich möchte hier aber keine falsche Schärfe hinein- haben dies bereits gesagt. Auch da bildet Schles- bringen. Alle Vorrednerinnen und Vorredner haben wig-Holstein bedauerlicherweise keine Ausnahme. es bewiesen, egal welcher Fraktion sie angehört ha- Hinzu kommt, dass allein 80.000 Haushalte in ben. Wir wissen genau, wie schlimm die Situation Schleswig-Holstein überschuldet sind. Jeder fünfte ist. Die Ministerin wird gleich sagen, wann die Schleswig-Holsteiner unter 25 Jahren hat bereits Landesregierung diesen Auftrag erfüllt. Wenn aus Verbindlichkeiten von mehreren Tausend Euro an- dieser Diskussion heraus entsteht, dass dieser Land- gehäuft; bedauerlicherweise mit steigender Ten- tag komplett hinter den Menschen steht, die in der denz. Es ist richtig, wenn hier - und zwar egal von täglichen Arbeit damit beschäftigt sind, pragmati- wem - gefragt wird, wie wir diesen Teufelskreis sche Lösungen nicht nur zu erarbeiten, sondern sie durchbrechen können. auch umzusetzen, dann hat auch die Debatte um Wir wissen aus vielfältigen Studien, dass Armut in Berichtsanträge vielleicht ihren Sinn gehabt. erster Linie - aber nicht nur - ein materielles Pro- Gerade angesichts der Tatsache, dass Kinderarmut blem ist. Natürlich sind Geldleistungen wichtig und in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren die Sicherung des Existenzminimums ist auch in stärker gestiegen ist als in allen anderen Industrie- Geldleistungen bemessen eine Grundvorausset- staaten, glaube ich wirklich, dass das, was der Kol- zung. Die Auszahlung von Geld löst aber viele Pro- lege Geerdts gesagt hat, zutrifft, nämlich dass wir bleme sozial Schwacher nicht in jedem Fall. Was nicht daran gemessen werden, wer hier am häufig- brauchen die Betroffenen zusätzlich? Womit kann sten Berichtsanträge stellt und wer die längsten Be- ihnen geholfen werden, wenn nicht nur mit Geld? richtsanträge stellt. Vielmehr werden wir daran ge- Die Antwort ist aus unserer Sicht: durch mehr und messen, dass wir uns am Schluss einer Legislatur- durch bessere Bildung und durch bessere Bildungs- periode alle fragen, was wir dazu getan haben, dass angebote. Je bessere Rahmenbedingungen in die- Kinderarmut gesenkt werden kann. Es gilt dann sem Bereich geschaffen werden können, um den nicht zu fragen, was haben wir getan, um irgend- Betroffenen zu helfen, umso eher kann der Teufels- welche Drucksachen zu produzieren. kreis der Armut durchbrochen werden, denn Armut geht regelmäßig mit Sprachdefiziten und einem 1536 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Dr. Heiner Garg) mangelnden sozialen Arbeitsverhalten einher, das wie Hort- und Krippenplätzen weiter voranzutrei- sich negativ auf den Bildungsverlauf und damit auf ben und dabei die Frage zu beantworten, wie diese die spätere berufliche Existenzsicherung der Men- Angebote ohne Kosten für die Familien wahrge- schen auswirkt. nommen werden können. Es ist wichtig, Eltern die Vereinbarung von Familie und Beruf besser zu So darf es auch keinen wundern, dass in Deutsch- ermöglichen und Förderangebote gerade für schwa- land mittlerweile in fast jedem Kinderzimmer Fern- che Schüler zu verbessern, um ihnen die Möglich- seher stehen, Erstklässler aber immer häufiger auf keit eines Schulabschlusses zu eröffnen. Mittler- dem Sprachniveau von Dreijährigen verharren. weile haben wir in Schleswig-Holstein den trauri- Deswegen ist es notwendig, neben dem Ausbau von gen Rekord, dass 12 % der abgehenden Haupt- Kindergartenplätzen und Ganztagsbetreuungsange- schüler überhaupt keinen Abschluss mehr haben. boten die individuelle Förderung der Kinder in Auch hier gibt es Nachbesserungsbedarf. den Mittelpunkt zu stellen. Ein aktives Armutsbe- kämpfungsprogramm muss aus unserer Sicht genau Frau Kollegin Heinold, vielleicht eine abschließen- hier ansetzen. Wir haben in der vorigen Debatte de Bemerkung: Wenn man böswillig ist, dann kann schon einmal darüber gesprochen, was die institu- man aus der Begründung zu ihrem Antrag herausle- tionelle Förderung anbelangt. Wir brauchen in den sen, dass Sie einen neuen Antrag fordern. vorschulischen Bereichen mehr Bildungsangebote, (Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold mehr Qualifikationen für Erzieherinnen und Erzie- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) her sowie Ganztagsangebote, um gerade sozial schwache Kinder bestmöglich zu fördern. - Genau, wer ist schon böswillig? Wir haben ihn zweimal gelesen. Ich habe Ihren Antrag in der Tat Gerade im Kindergarten kann man Kindern aus so verstanden: Sie wollen zusammenführen, was benachteiligten Familien am wirksamsten helfen. wir bereits haben, und darauf aufbauend die Lan- Das hat neulich eine Studie des Kriminologen Chri- desregierung daran erinnern, dass Haushaltsmittel stian Pfeiffer noch einmal ans Tageslicht gebracht. bewilligt wurden, um entsprechend aufzubauen, da- 39 % aller Kinder in Deutschland gehen auf ein mit man einen Grundstock hat. Man kann nur auf- Gymnasium. Ausländerkinder, die oft überpropor- grund von Tatsachen entscheiden, über die man Be- tional von Armut betroffen sind, gehen jedoch nur scheid weiß. Insofern habe ich Ihren Antrag nicht zu 9 % dorthin. Was ist mit den als neuen Berichtsantrag empfunden. Die beiden Ausländerkindern, die in einen deutschen Ganz- anderen Anträge habe ich allerdings sehr wohl so tagskindergarten gehen und entsprechend sprach- empfunden. Deshalb würde ich mich freuen, wenn lich gefördert werden? Von denen schaffen es 39 % wir am Ende der Debatte dazu kommen würden, die auf ein Gymnasium, also genauso viele wie im Landesregierung nicht mit zusätzlichen Berichts- Durchschnitt. Ich will damit nicht sagen, dass wir pflichten zu bedenken. Das gilt gerade für den An- uns nicht anstrengen müssen, damit noch mehr Kin- trag von CDU und SPD. Ich kann es zwar verste- der aufs Gymnasium gehen können, aber das heißt, hen, dass man eine eigene Drucksache haben will, mit der entsprechenden Förderung haben diese aber ich glaube, wenn die Sozialministerin jetzt Menschen dieselbe Chance einen entsprechenden ganz klar sagt, was in dem von der Landesregierung qualifizierten Schulabschluss zu machen. Ohne die- ohnehin zu erarbeitenden Bericht stehen wird, und se Förderung haben sie sehr viel schlechter Chan- wenn diese Punkte darin vorkommen, dann wäre es cen. doch ein großartiges Zeichen zu sagen, wir ziehen Wenn davon auszugehen ist, dass in den ersten Le- diesen zusätzlichen Berichtsantrag an die Landesre- bensjahren ein Grundstein dafür gelegt werden gierung zurück. kann, aus der Armut auszubrechen, dann muss ge- (Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nau an dieser Stelle der nächste Schritt erfolgen. In- NEN) sofern greift der von der Landesregierung vorgeleg- te Kinder- und Jugend-Aktionsplan diese Punkte folgerichtig auf und wird durch den Aktionsplan Vizepräsidentin Frauke Tengler: der Sozialverbände „Gemeinsam gegen Kinderar- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner mut“ in diesem Ziel ergänzt. Garg und erteile für den SSW Herrn Abgeordneten Aus unsere Sicht ist wichtig, nicht nur Kinder aus Lars Harms das Wort. Migrationsfamilien durch ein besseres und gezielte- res Förder- und Sprachangebot in unsere Gesell- schaft zu integrieren, sondern Infrastrukturange- bote wie den Ausbau von Ganztagsangeboten so- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1537

Lars Harms [SSW]: hatten wir dieses Wissen bereits 1999 mit dem letz- ten vorgelegten Armutsbericht. Schon die damali- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und gen Zahlen waren teilweise deprimierend. Herren! Anfang November letzten Jahres wurden die Öffentlichkeit und auch wir als Landtagspoliti- Nach dem Landesarmutsbericht von 1999 waren ker wieder einmal durch neue erschütternde Zahlen 11 % aller Haushalte von Armut betroffen. Haupt- über die Kinderarmut in Schleswig-Holstein aufge- sächlich betroffen waren kinderreiche Familien, Ar- schreckt. Demnach war nach Angaben des Sozial- beitslose, gering Qualifizierte, Alleinerziehende, ministerium fast jedes siebte Kind bei uns von Kin- Kinder und Ausländer. Das Armutsrisiko von Al- derarmut betroffen. Das sind sage und schreibe leinerziehenden war dreimal so groß wie das des 64.000 Kinder. In Schleswig-Holstein leben 14 % Bevölkerungsdurchschnitts und bei Arbeitslosen der Kinder unter 15 Jahren von Sozialhilfe. In Kiel war es sogar dreieinhalbmal so groß wie das der sind es sogar 29 % und in anderen kreisfreien Städ- Durchschnitthaushalte. Das dürfte heute nicht we- ten dürfte dies ähnlich sein. Vor diesem Hinter- sentlich anders sein. grund kann man die Aussagen des AWO-Landesge- Ohne die exakten heutigen Zahlen für Schleswig- schäftsführers Volker Andresen nur unterstützen, Holstein zu kennen, geht man kaum fehl in der An- wenn er sagt, dass es sich um einen handfesten so- nahme, wenn man sagt, dass Hartz IV zu einer wei- zialpolitischen Skandal handelt. teren Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich Nun hört man leider immer noch das Argument, in der Bundesrepublik geführt hat. Denn nach al- dass es unseren Armen im Verhältnis zu anderen lem, was wir wissen, hat sich das Armutsproblem Ländern - zum Beispiel in Osteuropa - doch sehr in den letzten Jahren vergrößert. Die Massenar- gut gehe. Jeder, der sich mit dem Thema auch nur beitslosigkeit mit 5 Millionen registrierten Arbeits- ansatzweise beschäftigt, weiß, dass dies eine Milch- losen, aber in Wirklichkeit fast 7 Millionen Men- mädchenrechnung ist und mit der Realität absolut schen, die reell ohne Beschäftigung sind, hat ihre nichts zu tun hat. So belegt beispielsweise eine Stu- deutlichen Spuren hinterlassen. Wir haben vielfach die des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädago- schon Familien, in denen die finanzielle Abhängig- gik, dass die Einkommensarmut von Familien zu keit von Sozialhilfe von einer Generation auf die gravierenden Benachteiligungen der Kinder bei Bil- nächste übertragen wird teilweise sogar in der drit- dung und Ausbildung führt und zu höheren Ge- ten oder vierten Generation. sundheitsrisiken, sozialer Ausgrenzung und Ver- Die Bundesregierung hat bereits vor einigen Jah- nachlässigung führen kann. Dazu kommt, dass es in ren einen nationalen Aktionsplan zur Bekämp- Familien, die dauerhaft in ihrer wirtschaftlichen fung von Armut und sozialer Ausgrenzung be- und sozialen Situation belastet sind, viel eher Kon- schlossen. Darin sind verschiedene Handlungsfel- flikte gibt, die eskalieren. Dieser Druck wird meist der und Strategien angeführt. Es geht um bessere an das schwächste Glied, an die Kinder, weiterge- Bildungschancen, um zielgenaue Unterstützung von geben. Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt, um nach- Armut bedeutet also Ausgrenzung von der Teilhabe haltige Familienpolitik - zum Beispiel bei der Kin- am gesellschaftlichen Leben und ist deshalb ein derbetreuung -, um Perspektiven für jugendliche ganz großes Problem in unserer Gesellschaft. Na- Arbeitslose, um eine bessere Integration von Mi- türlich gilt dies insbesondere für die von Armut Be- grantinnen und Migranten und um vieles mehr. troffenen, aber das Armutsproblem betrifft auch uns Jeder dieser Ansätze ist an sich richtig und doch übrige Menschen, da eine zu große gesellschaftli- greifen sie zu kurz, weil es sich entweder eigentlich che Ungleichheit nicht nur zu Konflikten führt, son- um landespolitische Kompetenzen handelt oder dern auch dazu führt, dass zu viele menschliche weil sie durch andere politische Zielsetzungen und Ressourcen einfach nicht genutzt werden. Entwicklungen konterkariert werden. Dazu muss Nun liegen uns für Schleswig-Holstein außer den man klar sagen, dass unser Wirtschaftssystem in Zahlen zur Kinderarmut keine aktuellen Zahlen vor. Zeiten der Globalisierung zu viel Verlierer und zu Deshalb ist die Erarbeitung eines Landesarmuts- wenig Gewinner produziert und somit stark zur berichts - wie es die Grünen in ihrem Antrag for- Ausgrenzung von vielen Bevölkerungsgruppen bei- dern - sehr wichtig. Zumindest haben wir ihn auf- trägt. Das ist aber ein anderes abendfüllendes The- grund der Begründung so verstanden. Natürlich ma und ehrlicherweise müssen wir uns eingestehen, geht es darum, dass wir ein detailliertes Wissen dass es unter den gegebenen bundespolitischen über die Ursachen, die Ausprägungen und die Aus- Voraussetzungen für uns in Schleswig-Holstein nur wirkungen von Armut haben, bevor wir eine wirk- schwer ist, eigene Akzente zu setzen. Aber wir same Bekämpfung anstreben können. Allerdings müssen es natürlich versuchen. 1538 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Lars Harms)

Für Schleswig-Holstein sollten wir uns deshalb auf Rahmen der Landeskompetenzen bereits mit dem das für uns Machbare konzentrieren und deshalb ist Haushalt 2007/2008 in Gang setzen kann. Dann es gut, dass es Organisationen gibt, die sich mit die- wollen wir politisch und inhaltlich darüber diskutie- sen Problemstellungen befassen. So wird im vorlie- ren. Deshalb bitten wir um Unterstützung für unse- genden Antrag der Grünen auf die Kampagne „Ge- ren Änderungsantrag. meinsam gegen Kinderarmut“ von Kinderschutz- (Beifall beim SSW) bund, Landesjugendring, Arbeiterwohlfahrt und So- zialverband unter der Schirmherrschaft von Heide Simonis hingewiesen. Mit acht Thesen gegen Kin- Vizepräsidentin Frauke Tengler: derarmut wollen sie eine breite Öffentlichkeit infor- Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms und er- mieren und der Politik konkrete Vorschläge zur Be- teile Frau Ministerin Dr. Gitta Trauernicht das kämpfung der Kinderarmut an die Hand geben. Es Wort. geht bei diesen Forderungen unter anderem um mehr Öffentlichkeit für Kinderrechte, um eine Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, Grundsicherung von mindestens 300 € für jedes Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren: Kind, um die Einrichtung von kommunalen Netz- werken zur Prävention und zur Minderung von Kin- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich derarmutsfolgen, um die Verbesserung des Ange- möchte konkrete Auskunft über den Einsatz der botes für die bis zu drei Jahre alten Kinder und so Mittel geben, die mit der Zweckbestimmung Be- weiter. richte über die soziale Lage der Bevölkerung in Schleswig-Holstein im Haushalt eingestellt sind. Auch wenn nicht alle Vorschläge unmittelbar auf Wir beabsichtigen, diese Mittel im Rahmen des Ge- Landesebene umsetzbar sind, sieht der SSW sie samtkonzepts für Menschen mit Behinderung ein- doch als eine vernünftige Grundlage zur weiteren zusetzen, weil wir in diesem Bereich konkreten Er- Diskussion. Die Sozialministerin hat schon ihre Be- kenntnisbedarf auf Datenbasis haben, während wir reitschaft zur Unterstützung der Forderungen signa- bei dem gerade diskutierten Bereich der Kinderar- lisiert. Das begrüßen wir. Schließlich geht es dar- mut weniger ein Erkenntnisdefizit haben, sondern um, den sozialen Kitt unserer Gesellschaft zu erhal- vor dem Hintergrund der vorliegenden Erkenntnisse ten. und die Politik muss alle positiven gesellschaft- sowie der Erwartungen und Forderungen der Träger lichen Kräfte mit einbinden. und anderer Handlungsansätze darstellen wollen, Wir begrüßen also, dass BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wie Kinderarmut in diesem Land konkret zu be- NEN dieses wichtige Thema auf die Tagesordnung kämpfen ist. Ich hoffe, dass ich damit Ihrem Begeh- des Landtages gesetzt haben, und können auch die ren nachgekommen bin, Frau Heinold. ersten beiden Abschnitte des Antrages ungeschmä- (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE lert unterstützen. Allerdings haben wir uns gefragt, GRÜNEN) warum in dem vorliegenden Antrag im dritten Ab- schnitt von der Landesregierung nur gefordert wird, Vizepräsidentin Frauke Tengler: dass sie darlegen soll, wann eine Berichterstattung über die soziale Lage der Bevölkerung in Schles- Ich danke der Frau Ministerin. - Weitere Wortmel- wig-Holstein vorgelegt wird. Der CDU/SPD-An- dungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Be- trag will nur einmal einen kurzen mündlichen Be- ratung und stelle zunächst fest, dass die Absätze 2 richt erhalten, verlangt aber kein abgestimmtes, und 3 der Drucksache 16/595 (neu) durch die Be- konkretes Konzept. richterstattung der Landesregierung ihre Erledigung gefunden haben. Wir meinen, dass der Landtag selbst etwas präziser sagen sollte, wann er einen Landesarmutsbericht (Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben will und welche Zielsetzung dieser haben NEN]: Ja, das ist richtig!) soll. Der SSW fordert daher in seinem Änderungs- Es ist Abstimmung in der Sache beantragt. Ich antrag, dass die Landesregierung bis zur 15. Ta- schlage abweichend von der Geschäftsordnung vor, gung - also im September - einen Landesarmuts- alle vorliegenden Anträge zu selbstständigen Anträ- bericht vorlegen muss. Dazu wollen wir gleichzei- gen zu erklären. - Ich sehe keinen Widerspruch, tig einen konkreten Handlungsplan zur Bekämp- dann werden wir so verfahren. fung der Armut in Schleswig-Holstein vorgelegt bekommen. Es muss doch darum gehen, dass wir Wer zunächst Absatz 1 des Antrages der Fraktion als Land selbst handeln, und daher muss die Lan- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 16/595 desregierung darlegen, welche Maßnahmen sie im (neu), zustimmen will, den bitte ich um das Hand- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1539

(Vizepräsidentin Frauke Tengler) zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist GRÜNEN bittet um einen mündlichen Bericht in der Antrag mit den Stimmen von CDU und SPD dieser Tagung. Wer dem Berichtsantrag mit dieser gegen die Stimmen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE Änderung eines mündlichen Berichts seine Zustim- GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms bei mung geben will, den bitte ich um das Handzei- Enthaltung der Abgeordneten Spoorendonk abge- chen. - Gegenprobe! - Damit ist das so beschlossen. lehnt. - Frau Spoorendonk möchte ihr Abstim- Ich erteile für die Landesregierung dem Minister mungsverhalten erläutern. für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr, Herrn Austermann, das Wort. Anke Spoorendonk [SSW]: Ich habe mich der Stimme enthalten, will aber zu Dietrich Austermann, Minister für Wissenschaft, Protokoll geben, dass ich für den ersten Absatz ge- Wirtschaft und Verkehr: stimmt hätte, wenn ich besser aufgepasst hätte. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit (Heiterkeit) der Entscheidung, ob und in welcher Form die DB AG privatisiert werden soll, stehen wir vor ei- Vizepräsidentin Frauke Tengler: ner sehr wichtigen Weichenstellung im Bereich der Verkehrspolitik. Das gerade erschienene Gutachten Das ist weniger ein Problem des Präsidiums. von Booz Allen Hamilton zeigt, dass die Thematik Wir kommen zum Antrag der Abgeordneten des allerdings bei weitem komplexer ist, als bisher ge- SSW, Drucksache 16/611. Wer dem zustimmen dacht wurde. Deswegen sage ich gleich zu Beginn, will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegen- es wird nicht möglich sein, die Fragen, die von den probe! - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag des Grünen gestellt worden sind, hier in der Sitzung zu SSW mit den Stimmen von SPD und CDU gegen beantworten. Aber es ist ja vorgesehen, dass das die Stimmen des SSW bei Enthaltung von FDP und Ganze im Ausschuss beraten und dort die Aufklä- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. rung gegeben wird. Das hängt einmal damit zusam- men, dass wir natürlich Gutachten, die vorliegen, Ich lasse jetzt über den Antrag der Fraktionen von sorgfältig prüfen und lesen müssen. Wir hatten heu- CDU und SPD, Drucksache 16/615, abstimmen. te schon einmal das Thema eines Gutachtens für ei- Die Kollegen der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE ne bestimmte Situation. Auch dort haben wir uns GRÜNEN bitten zunächst um Abstimmung des er- das gründlich angeguckt und uns eine Meinung ge- sten Absatzes. Damit stelle ich den ersten Absatz bildet. Das gilt hier genauso. des Antrages Drucksache 16/615 zur Abstimmung. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Lassen Sie mich aber ein paar Dinge bereits heute Handzeichen. - Gegenprobe! - Ich stelle fest, dass sagen. Bisher hat sich die Diskussion auf zwei Mo- der erste Absatz vom Haus einstimmig so beschlos- delle fokussiert, erstens auf den Börsengang des in- sen ist. tegrierten Konzerns einschließlich der Infrastruk- tur, also Bahn, Betrieb und Infrastruktur gemein- Ich stelle nun den gesamten Antrag Drucksache sam, zweitens der Börsengang nur der Transport- 16/615 zur Abstimmung und frage zunächst nach gesellschaft und damit die Trennung von Netz Zustimmung. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Da- und Betrieb. Diese beiden Alternativen wurden als mit ist der Antrag der Fraktionen von CDU und die einzig möglichen angesehen. Das Gutachten SPD, Drucksache 16/615, mit den Stimmen der zeigt, dass es nicht nur diese beiden Modelle gibt. Fraktionen von CDU und SPD gegen die Stimmen Geprüft wird auch ein Eigentumsmodell in zwei von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW Varianten und ein Finanzholdingmodell. Laut angenommen. Gutachten sind übrigens alle vier Modelle, die ich Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe jetzt eben genannt habe, kapitalmarktfähig - eine nicht noch den Tagesordnungspunkt 7 auf: unerhebliche Voraussetzung für den Börsengang. Keines der Modelle würde den Modal Split, also Ablehnung des integrierten Börsengangs der den Marktanteil der Bahn im Verhältnis zu den an- Bahn deren Verkehrsträgern, in nennenswertem Umfang ändern. Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/560 Allerdings - dies kann man heute schon sagen - un- terscheiden sie sich erheblich bei den Finanz- und Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wettbewerbseffekten. Eine Privatisierung, so wie ist nicht der Fall. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE das Gutachten ausweist, würde dem Bundeshaus- halt zunächst einen bestimmten Betrag bringen. Da 1540 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Minister Dietrich Austermann) differieren die Angaben zwischen 14 Milliarden es nur noch die großen Magistralen zwischen den und 23 Milliarden €, ein gewaltiger Batzen Geld. Metropolen. Das darf es nicht geben. Aber im Vergleich zu den mehr als 200 Milliar- Zweitens. Das Land darf nicht mehr als heute zur den €, die der Bund allein in den letzten zehn Jah- Finanzierung von Neubau- und Sanierungsmaß- ren aufgebracht hat, um die Infrastruktur zu finan- nahmen herangezogen werden. zieren, sieht die Summe nicht mehr ganz so beein- druckend aus, zumal es unstrittig ist, dass der Bund Drittens. Es müssen Rahmenbedingungen für einen weiterhin für die Finanzierung der Eisenbahnin- fairen Wettbewerb gegeben sein. frastruktur und Regionalisierungsmittel aufkom- Viertens. Die Trassenentgelte müssen bezahlbar men müsste. Das heißt, wir geben einen bestimmten sein. Wert weg und bekommen dafür einen Preis, der in einem Missverhältnis zum tatsächlichen Wert steht. Ich halte eine endgültige Festlegung, wie sie der Wir würden weiterhin verpflichtet, für die Infra- Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorsieht, struktur und die Regionalisierungsmittel tätig sein für verfrüht, da der Diskussionsprozess noch andau- zu müssen, um die es in der aktuellen Debatte geht. ert und viele Parameter noch nicht feststehen. Ich weiß, dass sich die Regierungsfraktionen im Koali- Der Wettbewerb zwischen den Eisenbahnunterneh- tionsvertrag für eine Trennung ausgesprochen ha- men würde am Stärksten bei der Trennung von ben, aber diese Zielsetzung basiert auf unserem Netz und Betrieb belebt werden. Das ist unstreitig. Kenntnisstand vom April 2005. Ich bin im Zweifel Wir sollten aber nicht übersehen, dass die Bundes- immer dafür, dass sich politischer Wille den Geset- netzagentur ihre Arbeit gerade erst zum 1. Janu- zen der Vernunft beugt und nicht umgekehrt. Das ar 2006 aufgenommen hat. Dort wird jetzt kontrol- bedeutet, dass man über diese Frage noch einmal liert, dort soll darauf geachtet werden, dass Wettbe- im Zusammenhang mit der Berücksichtigung des- werb ordentlich funktioniert. Ich meine schon, be- sen redet, was jetzt zur Begutachtung vorliegt. Las- vor man die Trennung von Netz und Betrieb fordert sen Sie uns nichts überstürzen, lassen Sie uns die oder durchsetzt, sollte man zunächst einmal sehen, Erkenntnisse aus dem neuen Gutachten von Booz ob die Stärkung des Wettbewerbs auf diesem Wege Allen Hamilton ohne ideologische Scheuklappen nicht genauso gut erreicht werden kann. weiter diskutieren. Schließlich sollte man sich darüber im Klaren sein, (Beifall bei CDU und SPD) dass bei einer Trennung von Netz und Betrieb be- stehende Synergieeffekte verloren gehen. Vizepräsidentin Frauke Tengler: Die Eisenbahn ist technisch ein sehr komplexes Sy- stem. Es bestehen gegenseitige Abhängigkeiten Ich danke Herrn Minister Dietrich Austermann. - zwischen Infrastruktur und Transportunternehmen, Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für und zwar erheblich mehr als bei den Verkehrsträ- die antragstellende Fraktion dem Herrn Abgeordne- gern Schifffahrt und Straße. Eine Trennung von ten Klaus Müller. Netz und Betrieb würde bedeuten, dass ein Eisen- bahnsystem, das in der Eigentümerverantwortung Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der DB AG im Großen und Ganzen funktioniert, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zerschlagen würde. Ich denke aber, dass eine ab- Herr Minister, vielen Dank für Ihren Bericht. Zu- schließende Bewertung heute noch nicht möglich mindest einem Ihrer letzten Sätze kann ich voll und ist. Das wird man sich in Ruhe ansehen müssen. Ich ganz zustimmen. Auch ich würde mir wünschen, sage dies auch im Hinblick auf die Aussage, die der dass sich die politische Willensbildung der Ver- Koalitionsvertrag in diesem Punkte trifft. Ich den- nunft unterordnet. Nur, nach dem, wie Sie Ihre ke, dass wir nicht Gutachten in Auftrag geben, um Ausführungen angeordnet haben, befürchte ich, sie hinterher zu ignorieren, sondern um sie zu wür- dass wir eine unterschiedliche Interpretation von digen und daraus Konsequenzen zu ziehen. Vernunft haben an dieser Stelle. Nichtsdestotrotz ist Wie immer die Diskussion ausgeht - so denke ich -, es richtig: Der geplante Börsengang der Deutschen sind für unser Land vier Bedingungen wichtig: Bahn AG steht ganz oben auf der verkehrspoliti- schen Agenda, zumal es eine entscheidende Wei- Erstens. Das Schienennetz darf nicht auf die profi- chenstellung sein wird, die man auch nicht wieder tablen Strecken zwischen den Metropolen konzen- rückgängig machen kann. Wenn man erst einmal triert und in der Fläche zurückgebaut werden. Die eine Entscheidung - wahrscheinlich im Herbst - im Sorge besteht bei einem Teil derer, die bestimmte Bundestag und Bundesrat getroffen hat, dann wird Positionen vertreten, dass man sagt, hinterher gebe die über zukünftige Generationen hinweg bestim- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1541

(Klaus Müller) men, wie erfolgreich der schienengebundene Ver- „Den größten Anteil am Effekt investiver kehr in Deutschland und somit auch in Schleswig- Fehlallokation hat nach Einschätzung der Holstein sein kann. Dabei ist die Bezeichnung Deutschen Bahn AG eine Verlangsamung durch den Vorsitzenden der Deutschen Bank AG beziehungsweise Verminderung der Stillle- als „integrierter Börsengang“ vermeintlich klug ge- gung unwirtschaftlicher Teile des Schienen- wählt. Sie klingt positiv, so ähnlich wie Ganztags- netzes nach einer Trennung. Eine eher staats- schulen. Davon darf man sich in der Diskussion nahe Infrastrukturgesellschaft wäre nicht in nicht täuschen lassen. der Lage, Rationalisierung des Netzes in dem Ausmaß und in der Geschwindigkeit nachzu- Herr Mehdorn geht bei der Weichenstellung, wozu vollziehen, wie das ein privatisierter, inte- Herr Austermann eine sehr klare Meinung hat - zu- grierter Konzern wahrnehmen könnte.“ mindest bei der Antrittsvorstellung im Wirtschafts- ausschuss hat sich unser Verkehrsminister schon Herr Minister, ich bin sicher, auch Sie kennen diese einmal deutlicher dazu geäußert, als jetzt in seiner Ausführungen, und ich wäre dankbar, wenn Sie mir Rede -, davon aus, dass auf jedem Fall das Schie- Ihr Ohr leihen würden. Es handelt sich hier nicht nennetz bei der DB verbleiben soll. Meine Fraktion um eine rein theoretisch-ordnungspolitische Frage. ist der Auffassung - unterstützt von vielen verkehrs- Vielmehr ist das, wenn es hier schon einen erklär- wissenschaftlichen Experten -, dass wir eher das ten Willen der Deutschen Bahn AG gibt, unter be- Modell einer Trennung verfolgen, wobei es richtig stimmten Bedingungen weitere Strecken stillzule- ist, dass das neue Gutachten von Booz Allen Ha- gen, etwas, was ganz elementar die Lebenswirk- milton eine Reihe von weiteren Varianten auf- lichkeit und die verkehrspolitischen Wahlmöglich- macht, die alle ungefähr entlang eines Trennungs- keiten der Menschen auch in Schleswig-Holstein modells gehen und in der Tat verschiedene Vor- betreffen würde. Ich glaube, das ist genau der Weg, und Nachteile haben, die sehr sorgfältig miteinan- wo wir fraktionsübergreifend zu dem Ergebnis der diskutiert werden müssen. Auch hier ist es nach kommen werden: Das können wir nicht wollen. Wir meinen Informationen so, dass es im Bundesver- wollen ein Mehr an schienengebundenem Verkehr kehrsausschuss eine offene Diskussion gibt, ohne und nicht ein Weniger. dass man jetzt schon mit einem Präjudiz in diese Wir würden gern im Wirtschaftsausschuss darüber Frage, die keine unwichtige Teilfrage ist, hinein- beraten, inwieweit die DB Netz seit 2001 die insge- geht. samt ungefähr 2,1 Milliarden € Bundesmittel nicht Das neue Gutachten lese ich etwas anders, als es verbauen konnte und inwieweit Projekte in Schles- der Minister gerade dargestellt hat, weil es sagt, alle wig-Holstein davon betroffen waren. Modelle seien kapitalmarktfähig. Das ist gar keine Letztlich bleibt aber die Kernfrage: Für welches Frage. Auch dieses wurde von Herrn Mehdorn lan- Modell entscheidet sich die schleswig-holsteinische ge Zeit bestritten. Da ist man ein Stück weiter. Sehr Landesregierung? Sie wird ja über den Bundesrat wohl ist es so, dass die verschiedenen Modelle für an der Willensbildung mitwirken. die Frage des Wettbewerbs und wie weit wir Ver- kehr auf die Schiene verlagern, unterschiedliche Entscheidend ist allerdings auch die Frage: Wie Auswirkungen haben. Darum haben wir auch keine kommen wir dazu, dass es eine mögliche Tren- Scheu, hier eine klare Auffassung zu vertreten. Aus nung weiteren Wettbewerbern ermöglichen oder meiner Sicht sind die verschiedenen Modelle der erleichtern würde, mit Problemen fertig zu werden? Trennungsvariante der des integrierten Börsen- Wenn es eine integrierte Version wäre, müsste ge- gangs eindeutig vorzuziehen. fragt werden, ob Wettbewerber nach wie vor mit Problemen zu kämpfen haben. Ich erinnere an die Vergangene Woche hat die Beratung des erwähnten letzte Sitzung des Wirtschaftsausschusses, wo uns Gutachtens im Bundesverkehrsausschuss eine Rei- Herr Wewers im Zusammenhang mit den unbe- he von hektischen Diskussionen ausgelöst. Was war streitbaren Problemen bei der NOB ein farbiges Or- geschehen? Es ist noch strittig, wer genau ge- ganigramm vorgelegt hat, aus dem erkennbar war, schwärzt hat, aber eine Seite des Gutachtens wurde dass zumindest in den letzten Wochen ein Großteil den Abgeordneten geschwärzt übergeben. Sie wur- der Probleme nicht mehr die NOB betrafen, son- de dann, wie das so passiert, einer Fraktion unge- dern die DB Netz. Ich finde, auch dies muss man in schwärzt zugespielt. Da dies bereits öffentlich zi- aller Ruhe und Sachlichkeit dabei berücksichtigen. tiert worden ist, will ich dies noch einmal deutlich machen. Auf Seite 203 wurde in dem Gutachten Wir wären dankbar, wenn der Wirtschaftsminister „Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG heute erklären könnte, dass er die Antworten auf mit und ohne Netz“ ausgeführt: die Fragen, die er jetzt nicht geben konnte - dafür 1542 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Klaus Müller) habe ich Verständnis -, dem Wirtschaftsausschuss Ich halte es für einen Skandal - das sage ich deut- in schriftlicher Form vorlegen würde, sodass wir in lich -, was letzte Woche im Verkehrsausschuss des aller Ruhe, wenn es dem Sommer entgegengeht, Deutschen Bundestages gelaufen ist. Nur gut und darüber beraten können. Deshalb sollten wir den richtig informierte Abgeordnete können eine sach- zweiten Teil des Antrages an den Wirtschaftsaus- lich korrekte und ökonomisch sinnvolle Entschei- schuss überweisen. Das beantrage ich hiermit. Viel- dung treffen, die frei jeglicher Ideologie ist. leicht können wir dann dem Landtag einen in Ruhe Wir werden uns zum richtigen Zeitpunkt - also erarbeiteten gemeinsamen Antrag im Herbst vorle- nicht heute - im Wesentlichen zwischen zwei Mo- gen. dellen entscheiden müssen. Entweder wird der Bör- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sengang der Bahn mit dem Schienennetz stattfin- den - das wäre der integrierte Konzern -, oder es Vizepräsidentin Frauke Tengler: findet eine Trennung von Netz und Betrieb statt, wie es der Antrag der Grünen verlangt. Beide Mo- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Klaus Müller. - delle sind, wie das Gutachten zeigt, kapitalmarktfä- Ich erteile für die CDU-Fraktion dem Herrn Abge- hig, sodass die Voraussetzungen für einen Börsen- ordneten Hans-Jörn Arp das Wort. gang gegeben wären. Hans-Jörn Arp [CDU]: Je nach Modell kann der Bundesfinanzminister mit unterschiedlichen Privatisierungserlösen rech- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr nen. Im Idealfall wären es 23,3 Milliarden €, sofern Kollege Klaus Müller, ich sage vorweg: Ihrem An- man sich für einen integrierten Börsengang ent- trag stimmen wir zu. Nach den Sommerferien wer- scheidet. Trennt man dagegen den Betrieb vom den wir in Ruhe und Sachlichkeit darüber diskutie- Netz und privatisiert nur die Betriebsgesellschaft, ren. sind es im schlechtesten Fall nur 10,3 Milliarden €. Es gibt einen Grund, weshalb wir auch heute dar- Bei dieser Spanne zeigt sich, vor welcher Entschei- über diskutieren. In Art. 87 e des Grundgesetzes ist dung wir stehen. Allerdings relativieren sich die die Verwaltung der Eisenbahnen des Bundes gere- Privatisierungserlöse im Vergleich zu den Haus- gelt. Absatz 5 sieht die Zustimmung des Bundesra- haltsmitteln, die in den vergangenen zehn Jahren - tes zu Gesetzen vor, „die die Auflösung, die Ver- sie haben immerhin 200 Millionen € betragen - der schmelzung und die Aufspaltung von Eisenbahnun- Steuerzahler in dieses Netz gesteckt hat. ternehmen des Bundes … regeln“. Insofern ist es richtig, dass wir in diesem hohen Haus darüber dis- Vor dem Hintergrund dieser Zahlen ist der Privati- kutieren. Allerdings, lieber Klaus Müller, halte ich sierungserlös geradezu bescheiden. Trotzdem müs- den Zeitpunkt, jetzt darüber zu diskutieren, für sen wir uns die Frage stellen, welchen Privatisie- falsch. Denn er liegt viel zu früh. Um eine vernünf- rungsweg wir wählen sollten. In der Kurzfassung tige parlamentarische Beratung durchzuführen, des Gutachtens heißt es dazu auf Seite 5: müssen wir weitere Informationen erhalten. Ich hal- „Alle Strukturmodelle weisen in den einzel- te den Zeitpunkt deshalb für eindeutig zu früh, weil nen Bewertungsdimensionen Vorzüge gegen- eine dezidierte Entscheidung auf Bundesebene bis- über ihren Alternativen aus. Diese sind je- her noch nicht getroffen wurde. doch insgesamt noch dominierend. Dadurch Mich wundert es aber nicht, dass die Grünen diesen wird insbesondere die Abwägung der Vortei- Antrag eingebracht haben. Ihnen geht es - glaube le im Bereich des Wettbewerbs, die durch al- ich - weniger um die Sache als darum, die Deutsche ternative Strukturmodelle regeneriert werden, Bahn, die immer im hundertprozentigen Besitz der mit den Nachteilen, wie sie durch die Tren- Bundesrepublik Deutschland war, zu zerschlagen. nung bei der möglichen Haushaltsentlastung Ihnen geht es darum, Herrn Mehdorn in seine entstehen, erforderlich.“ Schranken zu verweisen. Das, meine Damen und Wir müssen uns also politisch zwischen möglichst Herren, machen wir so nicht mit. Wir müssen in viel Wettbewerb auf der einen Seite und der Höhe Ruhe über das Ergebnis des Hamilton-Gutachtens der Privatisierungserlöse auf der anderen Seite ent- diskutieren, das Für und Wider der untersuchten scheiden. Modelle abwägen und aus schleswig-holsteinischer Sicht bewerten. Dafür ist es allerdings notwendig, Für mich als schleswig-holsteinischem Abgeordne- dass uns Parlamentariern, die letztlich die Entschei- ten sind die folgenden vier Punkte entscheidend: dung treffen müssen, alle erforderlichen Informa- Erstens. Es darf keine Streckenstilllegungen infol- tionen bereitgestellt werden. ge des Börsengangs geben. Gerade in Schleswig- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1543

(Hans-Jörn Arp)

Holstein haben wir mit viel Geld Eisenbahn- trieb vereinbart. Bevor es so weit ist, stehen noch strecken reaktiviert. Ich erinnere nur an die Strecke viele Fragen zur Beantwortung an. Herr Auster- zwischen Neumünster und Bad Oldesloe. mann hat das eben schon angesprochen. Der Bör- sengang der Deutschen Bahn AG wird kommen. Es Zweitens. Es darf keine Einschränkung des Wett- ist nur die Frage, wann und in welcher Form das bewerbs geben. Es war schon immer Politik der sein wird. Es wird entweder einen integrierten Bör- CDU, möglichst viel Wettbewerb zuzulassen. Da- sengang geben, bei dem das Unternehmen in Gän- bei müssen aber Rahmenbedingungen für einen fai- ze erhalten bleibt, oder es wird nur die Transportge- ren Wettbewerb zwischen den Marktteilnehmern sellschaft, also ohne Schienennetz, endgültig priva- durch die Politik geschaffen werden. tisiert. Drittens. Der Bund darf sich seiner Verantwortung Die Deutsche Bahn AG entwickelt sich immer wei- für das Streckennetz nicht entziehen. Das Land ter zu einem Logistikunternehmen. Auf Straße, kann und will nicht einen größeren Beitrag zur Fi- Schiene und Wasserweg ist die DB AG aufgestellt, nanzierung des Streckennetzes leisten. entweder selbst oder durch Tochterunternehmen. Viertens. Zwar haben wir als Landtagsabgeordnete Der kürzlich erst gescheiterte Versuch der Bahn, auf diesen vierten Punkt nur wenig Einfluss, aber die Hamburger Hafen- und Lagerhaus AG zu über- ich möchte mich dennoch dafür einsetzen, Kollege nehmen, ist das letzte Beispiel dafür, dass sich die Ritzek, dass es uns gelingt, in Europa einheitliche Bahn immer weiter zu einem großen Logistikun- Wettbewerbsbedingungen auf der Schiene zu ternehmen entwickeln will. Deshalb wird auch die schaffen. Es darf nicht sein, dass sich ausländische Frage zu beantworten sein, ob eines der größten Lo- Unternehmen auf dem deutschen Markt die Filet- gistikunternehmen das Schienennetz betreiben soll stücke aussuchen, während die Deutsche Bahn kei- oder ob es nicht besser ist, das Netz in der Hand des ne Chance hat, diese Unternehmen auf ihren Hei- Bundes zu belassen. matmärkten anzugreifen. (Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Frauke Tengler: NEN]: Wichtige Frage!) Herr Abgeordneter, bitte formulieren Sie Ihren letz- Meine Damen und Herren, jetzt ist die Frage, ob es ten Satz. sinnvoll ist, den einen oder anderen Weg zu gehen. Für den Erhalt der DB AG als Gesamtunternehmen Hans-Jörn Arp [CDU]: sprechen Synergieeffekte, die sich ergeben, wenn Netz und Betrieb in einer Hand bleiben. Voraus- Bevor die Entscheidung über das Modell des Bör- sichtlich würde der Erlös bei einem integrierten sengangs fallen wird, müssen wir Antworten auf Börsengang höher sein, als wenn das Netz nicht mit die genannten vier Fragen gefunden haben. Diese darin enthalten sein wird. Das haben wir eben Dinge werden wir nach der Sommerpause, Herr schon gehört. Es ist immer schlecht, wenn man als Kollege Müller, ganz ideologiefrei im Wirtschafts- Dritter redet. ausschuss diskutieren, wie wir das auch bei anderen wichtigen Themen gemacht haben. In Schleswig-Holstein sind wir in Sachen Privati- sierung von Bahnlinien anderen Bundesländern Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und ent- weit voraus. Deshalb stellt sich für uns im besonde- schuldige mich für die Überziehung der Redezeit. ren Maße die Frage, wie wir den erfolgreichen Weg (Beifall bei CDU und SPD) der Privatisierung weiter gehen können, ohne dass es zu Einschränkungen bei der Infrastruktur kommt, Vizepräsidentin Frauke Tengler: die Frage also, ob unsere privaten Bahnunterneh- men mit der Trennung von Schiene und Betrieb Das Wort für die SPD-Fraktion erteile ich dem besser zurechtkommen werden als in der jetzigen Herrn Abgeordneten Olaf Schulze. integrierten Form. Dies gilt für den öffentlichen Schienenpersonenverkehr genauso wie für den Olaf Schulze [SPD]: Schienengüterverkehr. Wir haben ein großes Inter- esse daran, dass der Schienenpersonenverkehr Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich auch weiterhin gesichert wird und eine hohe Kun- hoffe, dass ich die zeitliche Überziehung des Herrn denzufriedenheit gegeben ist. Aber auch der regio- Arp wieder gutmachen kann. nale Schienengüterverkehr darf nicht vernachlässigt SPD und CDU haben in ihrer Koalitionsvereinba- werden. Gerade Streckenstilllegungen müssen ver- rung eindeutig die Trennung von Netz und Be- hindert werden. 1544 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Olaf Schulze)

(Beifall des Abgeordneten Klaus Müller Erstens. Wir Liberalen wollen den Börsengang der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) DB AG auf dem freien Kapitalmarkt. Wir wollen ihn, aber wir wollen ihn ohne das Schienennetz. Die Bundesrepublik Deutschland liegt beim Güter- verkehr auf der Schiene im europäischen Vergleich (Beifall bei der FDP und des Abgeordneten weit vorn und hat im letzten Vergleichszeitraum Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 2003/2004 noch einmal stark zugenommen, auch NEN]) beim innerstaatlichen Verkehr. Das ist eine Stärke, Zweitens. Die materielle Privatisierung der DB AG die wir nicht riskieren wollen. Wir werden genau ist Teil der Bahnreform. Sie ist kein Selbstzweck, darauf achten, mit welchen der zur Wahl stehenden sondern sie ist ein Mittel, um zwei Ziele zu errei- Optionen der Schienengüterverkehr die besten Ent- chen: erstens mehr Verkehr auf die Schiene zu wicklungschancen hat. locken und zweitens den Bundeshaushalt zu entla- Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Netz- sten. planung, die sicherstellt, dass noch mehr Güter auf Dritte Position: Damit auch bundesweit mehr Wett- die Schiene verlagert werden können und dass auch bewerb auf die Schiene kommt, brauchen wir unse- regionale Interessen berücksichtigt werden. Die rer Ansicht nach die materielle Privatisierung der Diskriminierungsfreiheit für alle Anbieter muss DB AG. Wir brauchen sie aber ohne das Schienen- sichergestellt sein. Das Booz-Allen-Hamilton-Gut- netz. achten gibt einen umfassenden Überblick über das Für und Wider der einzelnen Varianten. Deshalb Viertens. Es ist ganz klar, was bei der so genannten sollte die Landesregierung die Fragen des Antrag- integrierten Lösung passieren würde. Das legale stellers noch einmal beantworten. Auf dieser Ausnutzen ihres Monopols würde der DB AG ganz Grundlage können wir dann im Ausschuss intensiv besonders gut gelingen, wenn sie den Zugang ihrer beraten und sicherlich gemeinsam eine gute Ent- Konkurrenten zum Schienennetz beeinflussen oder scheidung treffen. sogar kontrollieren könnte. Deshalb müssen aus un- serer Sicht Netz und Betrieb getrennt werden. Dar- (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE über, welche Möglichkeiten es im Einzelnen gibt, GRÜNEN) werden wir uns unterhalten. Deshalb werden wir dem Antrag auf Ausschuss- Fazit: Die Verkehrssparten der DB AG sollten an überweisung zustimmen. - Ich habe die Zeit von Private versteigert werden, also das, was man beim Herrn Arp wieder gutgemacht. Es sind noch 1 Mi- Börsenerstgang zu tut, das Schienennetz aber aus- nute und 35 Sekunden übrig. drücklich nicht. Das Schienennetz sollte von der (Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE öffentlichen Hand möglicherweise in privater GRÜNEN und SSW) Rechtsform an Schienenverkehrsanbieter vermietet werden. Nur so kann es aus unserer Sicht gelingen, Vizepräsidentin Ingrid Franzen: wirklich bessere und schnellere Leistungen und mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. - Es ver- Herr Abgeordneter Schulze, dafür ist Ihnen das Prä- bleiben noch 3 Minuten und 20 Sekunden. sidium ausgesprochen dankbar. - Das Wort für die FDP-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten (Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/ Dr. Heiner Garg. DIE GRÜNEN)

Dr. Heiner Garg [FDP]: Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir danken auch dem Herrn Abgeordneten Dr. Ich tue nicht oft das, was Holger Astrup mir auf- Heiner Garg. - Das Wort für den SSW erteile ich gibt, aber in dem Fall versuche ich, mich daran zu dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. halten. Lars Harms [SSW]: Da wir nach der Sommerpause offensichtlich im Wirtschaftsausschuss angeregt und fachlich inten- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und siv darüber diskutieren werden, will ich einfach die Herren! Der SSW hat die Bahnreform von Anfang Eingangs- oder Startpositionen meiner Fraktion an trotz erheblicher Kritik konstruktiv begleitet. Für ganz kurz umreißen. uns war das Ziel der Reform, die vorhersehbaren nationalen und internationalen Verkehrszuwächse im Personen- und Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern, das ausschlaggebende Argument. Mit der Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006 1545

(Lars Harms)

Reform sollten aber auch die für uns nicht beein- Demgegenüber haben wir aber auch das getrennte flussbaren Vorgaben der Europäischen Union hin Modell, das sich in dem Gutachten als sehr vorteil- zu mehr Wettbewerb, Gleichstellung mit den ande- haft für weiteren Wettbewerb herausgestellt hat und ren Verkehrsträgern und ein diskriminierungsfreier somit im Interesse der Kunden liegt. Zu diesem Er- Zugang zum Schienenverkehrsmarkt erfüllt werden. gebnis ist auch eine Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und des Bundesverban- (Unruhe) des der Deutschen Industrie gekommen, die von Unternehmensberatern und Banken erstellt wurde. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Demnach ist der integrierte Börsengang kein geeig- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat der netes Mittel, um mehr Verkehr auf die Schiene zu Herr Abgeordnete Lars Harms. Ich bitte um etwas verlagern und für mehr Wettbewerb zu sorgen. Dort mehr Aufmerksamkeit. wird empfohlen - von den Unternehmern -, das Netz aus dem Konzern herauszulösen und in eine Lars Harms [SSW]: eigene Gesellschaft in Staatsbesitz zu überführen. Erst dann sollten die Transporttöchter privatisiert Darüber hinaus wurde aber auch das Ziel verfolgt, werden. So das Gutachten der Wirtschaft. dass die Bahn sich nach wirtschaftlichen und unter- nehmerischen Prinzipien am Markt behaupten soll. Diese Forderung findet auch unsere Unterstützung. Somit ist der Börsengang der Bahn eine logische Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat schon Konsequenz der Reform, auch wenn wir diese Ent- früher einstimmig gefordert, dass die Schienenin- scheidung immer noch kritisch sehen. frastruktur in öffentlicher Hand verbleiben muss und nach Möglichkeit in regionale Verantwortung Nun wissen wir, dass es für den Börsengang der übergehen muss. Ich meine, meine sehr geehrten Bahn fünf Modelle gibt. Dies ist zumindest das Er- Damen und Herren, daran sollten wir auch keinen gebnis des Gutachterkonsortiums. Die Organisati- Deut ändern. Nur durch die Abkopplung der Infra- onsmodelle reichen von der Beibehaltung des inte- struktur vom Mutterkonzern bekommen wir mehr grierten Konzerns über verschiedene Mischmodelle Wettbewerb und ein breiteres Angebot auf der bis hin zur völligen Trennung von Infrastruktur und Schiene. Nur so können wir gewährleisten, dass alle Betrieb. Untersucht wurden hierbei verkehrs-, haus- zu den gleichen Bedingungen auf den Strecken fah- halts- und finanzpolitische Konsequenzen der ver- ren. Somit herrscht auf der Schiene Waffengleich- schiedenen Modelle. Diese wurden dann ergebni- heit. soffen in einer Tabelle gegenübergestellt. Grund- sätzlich gilt für alle Modelle, dass sie börsentaug- Denn was würde passieren, wenn die Bahn samt lich sind. Netz an die Börse geht und auf einmal wirklich den marktwirtschaftlichen Bedingungen ausgesetzt Aus einem ergebnisoffenen Gutachten kann natür- wird, ohne dass der Bund immer wieder Milliarden lich jeder das herauslesen, was ihm speziell gefällt. nachschießt und direkt Einfluss nimmt? - Dann ist Bemerkenswert hierbei ist jedoch, dass jetzt nur natürlich jegliche Konkurrenz der Bahn ein Dorn zwei Optionen in der politischen Landschaft debat- im Auge. Wie die Konditionen für die Nutzung der tiert werden: das integrierte Modell und das ge- Schienen dann ausgestaltet werden, kann sich jeder trennte Modell. ausmalen. Wir können nicht auf der einen Seite sa- Aus Sicht von Herrn Mehdorn als Chef des Bahn- gen, dass wir die Bahn in einem marktorientierten konzerns kann ich gut verstehen, dass er das inte- Wettbewerb sehen wollen, aber gleichzeitig geben grierte Modell bevorzugt. Schließlich möchte er wir ihr das Monopol für die Schiene mit in die schnellstmöglich privatisieren und ein wirtschaft- Hand. Man muss dabei schon ehrlich bleiben. lich leistungsfähiges Unternehmen an der Börse Schleswig-Holstein als Flächenland kann daher präsentieren, das dann auch den größtmöglichen nur ein Interesse haben. Das Erfolgsmodell der Re- Gewinn garantiert. Diese Zielrichtung lässt sich nur gionalisierung, wie wir es bisher haben, muss fort- durch das integrierte Modell erreichen. Nachvoll- gesetzt werden. Dies kann nur mit dem getrennten ziehen kann ich auch die Kritik der Gewerkschaft Modell geschehen. Die Kapitalmarktfähigkeit der TRANSNET, die zum einen den Börsengang zwar Bahn ist das eine, aber für uns steht die Wettbe- generell in Frage stellt und hierbei lieber den Bund werbsfähigkeit und vor allem die Kundenorientie- weiterhin in der Verantwortung sieht, die aber zum rung an vorderster Stelle. anderen mehrere Tausend Arbeitsplätze bedroht sieht, wenn es zu einer Aufspaltung von Netz und Wenn ich an das zurückdenke, was wir in den letz- Betrieb kommt. ten vier, fünf Jahren hinsichtlich der Ausschrei- bungen gemacht haben, dann ist der Erfolg, den 1546 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

(Lars Harms) wir dort erzielt haben, gerade der Tatsache geschul- Ansonsten ist beantragt worden, die Nummer 2 des det, dass wir glücklicherweise in der Lage waren, Antrages Drucksache 16/560 dem Wirtschaftsaus- einen ordentlichen Zugang zum Netz gewährlei- schuss zu überweisen sowie den mündlichen Be- sten zu können. Dieses Netz dürfen wir uns als richt der Landesregierung ebenfalls dem Wirt- Staat nicht aus der Hand nehmen lassen. schafsausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich (Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ um das Handzeichen. Gegenprobe! - Das ist so be- DIE GRÜNEN) schlossen. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich unterbreche die 10. Tagung, wünsche Ihnen allen einen guten Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. Abend und schließe die heutige Sitzung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmel- dungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Schluss: 18:11 Uhr Beratung. Ich stelle fest, dass der Minister den Be- richt zu Nummer 1 des Antrages Drucksache 16/ 560 gegeben hat. Damit ist dieser Berichtsantrag er- ledigt.

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst und Ausschussdienst