Rechtsabbieger

Für Schlagzeilen sorgen Neonazis, wenn sie mit Baseballschlägern und Schlagringen auf Menschen losgehen, die anders aussehen, denken oder handeln als sie. Aber solche Übergriffe sind nur die Spitze des Eisbergs. Rechtsextremismus gehört vielerorts längst zum Alltag: Tag für Tag fürchten sich Nachbarn vor den Schlägern, die die »neuen Nazis« aus den einst so netten Jungs von nebenan gemacht haben. Eltern kämpfen verzweifelt darum, ihre Kinder aus dem braunen Sumpf zu ziehen. Lehrer, Sozialarbeiter und Kommunalpolitiker reagieren oft hilflos.

All das ist das Werk gewiefter Überzeugungs- Die unterschätzte Gefahr: Neonazis in Niedersachsen täter, die ihre Netze fast flächendeckend auswerfen. Auch in Niedersachsen. »Rechtsabbieger« zerrt sie an die Öffentlichkeit und zeigt, welchen Schaden ISBN 978-3-938795-05-7 sie anrichten. Denn nur wer den Rechtsextremismus im Alltag erkennt, kann rechtzeitig gegensteuern. Die unterschätzte Gefahr: Rechtsabbieger Neonazis in NiedersachsenV y

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»Der Mensch kann nicht aus der Geschichte lernen.« Zu diesem Schluss Geschichte befasst und das menschenver- kommt der britische Philosoph Sir Karl achtende Nazi-Regime studiert hat, diese Popper in seinem Buch »Das Elend des His- Entwicklung dulden oder dazu schweigen. torizismus«. Er belegt diese Hypothese mit Aufklärung tut dringend not. vielen Beispielen und einer scharfsinnigen Der WESER-KURIER informiert seit Analyse menschlichen Verhaltens und Fehl- Jahren sachlich und exakt über den neuen verhaltens. Einen strengen Beweis bleibt er Rechtsextremismus. Er deckt neonazisti- schuldig. sche Umtriebe auf und stellt ihre Zusam- Mehr als 60 Jahre nach dem Ende menhänge und Hintergründe dar. So erfüllt des Zweiten Weltkriegs aber scheint sich er den gesellschaftspolitischen Auftrag Poppers Aussage auf unheimliche Weise einer Tageszeitung, meinungsbildend und zu bestätigen: Viele Bundesbürger denken demokratiefördernd zu wirken. fremdenfeindlich, haben Ressentiments In einer beispielhaften Kooperation gegen Juden oder Vorurteile gegen andere mit NDR Info ist diese Broschüre entstan- Gruppen wie Muslime, Obdachlose oder den. Sie informiert über die Umtriebe der Homosexuelle. Neonazis in Niedersachsen, sie stellt dar, Zugleich mehren sich die rechtsextre- welch unmittelbare Gefahr Kindern und mistischen Aktivitäten: Neonazis schlagen Jugendlichen droht, in den braunen Sumpf Ausländer zusammen, schüren Judenhass, zu geraten. Sie zeigt aber auch Möglich- verspotten Demokraten, schänden Gräber, keiten auf, sich aus der Umklammerung schmieren Hakenkreuze und schrecken zu lösen. Und so leistet sie vielleicht einen selbst vor gefährlicher Körperverletzung Beitrag, die pessimistische Hypothese von und Totschlag nicht zurück. Sir Karl Popper zu widerlegen. Dabei fängt es so harmlos an: Die »netten Jungs« kümmern sich um Alte und Junge, organisieren Freizeiten, veranstalten Liederabende und Zeltlager. So ziehen sie vor allem Kinder und Heranwachsende in ihren Bann. Dr. Ulrich Hackmack Dr. Ulrich Hackmack Befremdlich die schwache Gegen- Verleger wehr »aufrechter Demokraten«, peinlich WESER-KURIER ihr gescheiterter Versuch, die NPD zu ver- Bremer Nachrichten bieten; irritierend die beschwichtigenden Verdener Nachrichten Aussagen von Politikern und Verfassungs- schützern; beunruhigend das Schwei- gen vieler Bürger; beängstigend, wie die Akzeptanz dieser Umtriebe in aller Stille wächst. Dabei kann niemand, der sich mit z

Rechtsextremismus ist eine Bedrohung für das demokratische Gemeinwesen. Seine Geschichte verpflich- so schonungslos offengelegt werden wie tet den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Nähe brauner Führungspersonen zu in besonderer Weise, diese Bedrohung rechtsextremistischen Gewalttätern. deutlich zu machen. Denn die Überzeu- Der Hörfunksender NDR Info, das gung, dass in Deutschland die rassistische Informationsprogramm des Norddeut- Hetzpropaganda der Nazis nie wieder eine schen Rundfunks, stellt sich dieser Heraus- Chance haben darf, ist eine Wurzel des forderung. Seit Jahren berichtet NDR Info öffentlich-rechtlichen Rundfunks. regelmäßig über die braunen Organisati- Mehr als 60 Jahre nach Auschwitz onen und die Hintermänner, über ihre pro- haben wir es heute – auch in Norddeutsch- pagandistische Wühlarbeit und ihre Hetz- land – wieder mit aktiven Rechtsextremis- parolen. Gerade vor einer Landtagswahl, ten und Neonazis zu tun, die mit ihren wie der bevorstehenden in Niedersachsen, Parolen um Anhänger und Wählerstimmen ist es wichtig, diese Informationen gebün- werben. Dabei haben die braunen Strippen- delt zur Verfügung zu stellen. Die Broschü- zieher in den vergangenen Jahren taktisch re »Rechtsabbieger« – entstanden in einer hinzugelernt: Sie kommen nicht mehr in wegweisenden Zusammenarbeit mit dem Springerstiefeln und Bomberjacken daher, WESER-KURIER – ist ein Beitrag. sondern geben sich bürgerlich in Schlips und Anzug. Ihre braunen Ziele verber- gen sie hinter populistischen Parolen und scheinbar eingängigen Phrasen. Diese gesellschaftliche Wirklichkeit ändert sich nicht, wenn sie verschwiegen wird. Für Journalisten kommt es in der Joachim Knuth Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten darauf an, Parolen und Scheinargumente Joachim Knuth mit präzisen Informationen zu widerlegen Programmdirektor Hörfunk des und die verfassungsfeindliche und men- Norddeutschen Rundfunks schenverachtende Ideologie aufzudecken. Manche Führungskader im rechtsextremen Lager geben sich als Arzt oder Unternehmer ein ziviles Image. In Wirklichkeit aber han- delt es sich bei nicht wenigen um Verfas- sungsfeinde oder Kriminelle. Journalisten müssen deren Biografien durchleuchten, ihre Programme und Parolen überprüfen. Parallelen zur NS-Ideologie müssen eben- z Inhalt 1. Reingerutscht 2. Das rechte Angebot Scheinhinrichtung als Wie Jugendliche nach Wie es sich Freizeitvergnügen rechts abbiegen in der braunen Welt lebt Beim »Wehrsport« lassen Neonazis schon mal jede Maske fallen ...... 52

Hakenkreuze an der Tafel Musik hetzt Jugendliche in die Szene Schläge von rechts Seit mehr als drei Jahren versucht Ulrike Rechtsrock made in Niedersachsen ...... 32 Neonazis verüben immer Hopf, ihren Sohn aus der Szene zu holen . . . 8 mehr Gewalttaten ...... 54 Sammelbecken militanter Neonazis Von Freundschaft ist keine Rede »Blood & Honour« wurde 2000 in Was treibt Jugendliche in rechte Cliquen? . . . .13 Deutschland verboten ...... 35 3. Die Strippenzieher Das ist alles eine große Lüge Trotz Verbot nicht tot? Martin berichtet, wie er mit 15 Jahren Vieles deutet darauf hin, dass »Blood & Wer in der in die Szene gerutscht ist ...... 15 Honour« in Deutschland weiter existiert . . . 36 Szene das Sagen hat Die Clique wird zur Ersatzfamilie Was des militanten Neonazis Auf der Suche nach Anerkennung landen Herz begehrt Der Weichspüler viele Jugendliche in der Szene ...... 18 Stefan Silar vertreibt einschlägige Andreas Molau versteckt seinen Judenhass Bekleidung und CDs: ein Testkauf in hinter einer intellektuellen Fassade . . . . . 58 Köder für »menschliches Potenzial« »Norddeutschlands größtem Szeneladen« . . 38 Sven war Neonazi-Anführer, er warb Der Lautsprecher Jugendliche für die Szene ...... 20 Braune Geschäfte Dieter Riefling spricht nicht, er brüllt . . . . .60 Auf Einkaufstour durch Niedersachsen . . . .41 Glatze war gestern Der Dandy »Rechts sein« zieht sich durch viele Keine Lust auf Abwaschen Thorsten Heise ist stets bemüht, Jugendkulturen ...... 22 Lara war ein Jahr lang in einer sich in Szene zu setzen ...... 62 rechten Clique ...... 43 Auf den zweiten Blick Der Überzeugungsschläger Neonazis tragen ihre Gesinnung nach »Karriere« nicht ausgeschlossen »Kameradschaftsanführer« Marcus Winter außen – und umgehen trickreich Verbote . . . 25 Die Szene will sich mit Frauen schmücken . . 45 hat viel Knasterfahrung ...... 64

Unterwegs im »Weltnetz« Kindheit in Braun Vereint im »Kampf um die Straße« Im Internet findet sich jede Menge Ulrike wurde in die Neonazi-Anführer treffen sich brauner Propaganda ...... 28 Neonazi-Szene hineingeboren ...... 47 am »Stammtisch Nord« ...... 66

»Kämpfer von fanatischer Neonazis ohne »Führer« Besessenheit« Wie die »Kameradschaften« Die rechtsextremistische »Heimattreue entstanden sind ...... 68 Deutsche Jugend« drillt den Nachwuchs . . . .50 4. Braune unter uns 5. Gegensteuern Biedermann aus Buxtehude Adolf Dammann ist NPD-Gründungs- Wie Neonazis sich Was gegen rechts wirkt mitglied und gilt als Strippenzieher . . . . . 70 in den Alltag schleichen Auf dem Wege der Besserung? Gebieter der Schläger Landespräventionsrat spinnt Nach Manfred Börms Pfeife tanzen Nicht brauner als anderswo an einem großen Netz gegen rechts . . . . . 110 hartgesottene Gewalttäter ...... 72 Ein Landkreis wie jeder andere: Soltau-Fallingbostel gilt als unauffällig . . . 92 Eine Region wehrt sich Gefährliches »Multitalent« Verden zeigt, wie wehrhaft Rechtsanwalt Jürgen Rieger gilt Nur langsam bröckelt die Mauer Demokraten sein können ...... 112 als fanatischer Rassist ...... 74 des Schweigens Kein Problem mit rechts? Walsrode Der Weg aus der Szene ist steinig Nichts als Pokerspiele? zwischen Angst und Aufmucken ...... 96 Trotz zahlreicher Ausstiegshilfen Neonazis bekunden häufig Interesse bleibt Eigeninitiative gefragt ...... 114 an Immobilien ...... 76 »Sind das noch unsere Jungs?« Gerd Bücker vom Landespräventionsrat Schocktherapie in der Zelle Braune Weisheiten fordert Kommunen zu offensivem Im Knast klärt ein Ex-Neonazi Schüler Kader vermitteln ihrem Nachwuchs Umgang auf ...... 100 über seine einstigen »Kameraden« auf . . . . 117 zweifelhaftes Wissen ...... 78 »Wir erobern die Städte Impressum ...... 119 Sie sind nicht »die Niedersachsen« vom Land aus« In ihrem Stammland ist die NPD In manchem Dorf agieren Neonazis chancenlos – aber gefährlich ...... 80 weitgehend ungestört ...... 102

Auf dem absteigenden Ast Der Menschenfeind wohnt nebenan Die NPD zählt heute bundesweit nur Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind noch knapp 7000 Mitglieder ...... 82 in der Mitte der Gesellschaft angekommen . .104

Das große Versagen nach der Wahl Prinzip »Sündenbock« NPD-Abgeordnete fallen vor allem Rechtsextremismus ist viel durch Unwissenheit auf ...... 84 mehr als ein Jugendphänomen ...... 106

Vom Staat unterwandert Das Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens blamiert Demokraten ...... 86

Die Kraft des Wortes Ist es sinnvoll, die NPD zu verbieten? . . . . .88 z z z 1. Reingerutscht Wie Jugendliche nach rechts abbiegen z

 Ulrike Hopf* ist eine starke Frau. Eine Frau, die genau weiß, was sie Hakenkreuze will – und was nicht. Ihre Stimme klingt fest, als sie erzählt, dass an der Tafel sie die Reichskriegsflagge und den ganzen anderen »Neonazi- Scheiß« im Zimmer ihres Sohnes Seit mehr als drei Jahren ende weggefahren. Als das Paar wiederkam, nicht mehr geduldet hat. versucht Ulrike Hopf, ihren berichtete eine Nachbarin von dieser Party, die Michael mit seinen Freunden gefeiert »Alles musste er abnehmen.« Irgend- Sohn aus der Szene zu holen hatte. Eine Neonazi-Party mit Rechtsrock wann setzte sie ihren Ältesten sogar vor die und Hitler-Grüßen. »Ich bin aus allen Wol- Tür. »Dann geh doch zu deinen ›Kame- ken gefallen«, sagt Ulrike Hopf. »Damit raden‹ «, schrie sie ihn an, »wenn die dir so Wahl zu stellen: seine Familie oder seine habe ich nie im Leben gerechnet.« Sie stellte wichtig sind.« vermeintlichen Freunde. Er zögerte nicht, ihren Sohn zur Rede, aber der grinste nur. Den Sohn einfach vor die Tür zu set- sich für die »Kameraden« zu entscheiden. Ulrike Hopf packt Probleme an. zen, kommt eine Mutter hart an. Ulrike Enttäuscht und verzweifelt hätte sie ihn am Damals rief sie die Polizei und nannte den Hopf gibt das zu. Sie wusste sich keinen liebsten durchgeschüttelt, »damit er end- Beamten die Namen von Michaels Freun- anderen Rat mehr, als Michael* vor die lich kapiert, mit was für Dreckskerlen er den. »Ein Treffer nach dem anderen«, sagt sich abgibt«. Keine zwei Tage später stand sie. Die meisten aus der Clique waren den ihr Junge wieder vor der Tür. Sie ließ ihn örtlichen Staatsschützern längst als Rechts- Vorbild Neonazi: Michaels kleiner Bruder rein, auch wenn er die »Dreckskerle« immer extremisten bekannt. Doch helfen konnten schmierte schon in der Grundschule Haken- noch seine Freunde nannte. die Beamten der Mutter nicht. »Ihrem Sohn kreuze an die Tafel. ist keine Straftat nachzuweisen«, stellten Seit mehr als drei Jahren sie fest, »uns sind daher die Hände gebun- kämpft die 40-Jährige um ihren den.« Zusammen mit ihrem Lebensgefähr- – und gegen dessen rechts- Sohn ten begann die Mutter dreier Söhne, ihrem extreme Gesinnung. Gewonnen hat die Ältesten auf eigene Faust nachzuspionieren. Mutter bis heute nicht, aufgeben wird sie Die beiden folgten dem damals 14-Jährigen: auch nicht. Mit ihrem Sohn ist sie oft streng Geht er tatsächlich hin, wo er hinzugehen gewesen, streng und konsequent. Aber sie vorgibt? Sie postierten sich vor Partykellern hat es auch im Guten versucht. Zum Bei- und Kneipen: Mit wem feiert Michael? Sie spiel, als sie gemeinsam mit Michael und machten sich im Internet schlau: Welche ihrem Lebensgefährten »Schindlers Liste« Musikgruppen und Bekleidungsmarken anschaute und über die Verbrechen der sind in der rechten Szene angesagt? Auch Nazis sprach. Michael grinste nur: »Mama, Michaels Zimmer blieb nicht tabu: Welche du weißt es nicht besser. Aber das sind alles CDs hört er, versteckt er Waffen? Lügenmärchen.« Immer mochten sie auch nicht Nein Damals, vor mehr als drei Jahren, hat sagen. Mit Michael fuhren Ulrike Hopf Ulrike Hopf erst gemerkt, was läuft. Mit und ihr Lebensgefährte Andreas Fang-  ihrem Lebensgefährten hatte sie sich eine mann* nach Hannover, weil es unbedingt Auszeit gegönnt und war übers Wochen- die Springerstiefel von »Doc Martens« sein

* Name von der Redaktion geändert mussten. Fangmann chauffierte Michael nach Fallingbostel in einen Shop, der »Out- door«-Artikel führt, aber auch Waffen. Angeblich wollte der Jugendliche dort »nur mal stöbern«. Doch heimlich kaufte er sich eine Softairwaffe, die aussah wie ein echtes Gewehr. Seine Mutter fand die Waffe und warf sie in den Abfall. »Mama, dafür habe ich 30 Euro bezahlt«, beklagte sich Michael. Seine Mutter blieb hart. Ulrike Hopf ging zum Jugendamt: Sie sei mit Michael überfordert. Sie wisse nicht, wie sie mit seiner Gesinnung umgehen und Partys mit Hitler-Gruß: So feierte auch Michael mit seinen »Kameraden«, wie sie ihn aus der Szene holen soll. Weg seine Mutter erfuhr es von den Nachbarn. von den »Dreckskerlen«. Schließlich sind da auch noch die Jüngeren, um die sie sich hat sich gründlich geändert. Heute will sie könne man nichts machen, sagte ihr eine kümmern muss. Markus* war damals erst nicht nur ihren Jungen da raus holen, sie Mutter. Dass das vermutlich »so eine Phase« acht, und Thomas* zwölf. Und Ulrike Hopf will auch gegen rechts arbeiten. sei, die von ganz allein vorübergehe. »Wie- arbeitete ganze Tage, weil ihr geschiedener »Je mehr ich mich mit der Szene der andere fanden das halb so schlimm«, Mann den Unterhalt schuldig bleibt. Der beschäftige, umso schockierter bin ich.« berichtet Ulrike Hopf. »Manchmal hatte ich Sachbearbeiter im Jugendamt wusste kei- Ulrike Hopf hat gelernt, dass Rechts- den Eindruck, die denken ähnlich wie ihre nen Rat. Was das Amt denn tun solle, wur- extremismus nicht allein ein Problem von Kids.« de Ulrike Hopf gefragt, Michael wolle doch Geheimdienstlern ist, die unter großen Bei Michael ist »die Phase« nicht keine Hilfe. »Aber genau deshalb bin ich Schlapphüten verborgen arbeiten. Rechts- doch dahin: Ich wusste nicht weiter.« Ulrike extremismus gibt es vor den Haustüren ihrer vorübergegangen. Als an eine Hopf zuckt die Schultern. Kleinstadt – auch dort, wo nicht zu allem Sie hat nie einen Hehl daraus gemacht, Überfluss der eigene Sohn neonazistische Schule im Ort Hakenkreuze dass ihr Sohn ein Neonazi ist. Auch auf Einstellungen vertritt. »Fast noch mehr hat geschmiert wurden, geriet er die Gefahr hin, dass sie schief ange- mich die Ignoranz schockiert«, sagt Ulrike In schaut wird in ihrer weniger als 30 000 Hopf. »Erst seit ich mich auskenne, merke prompt unter Verdacht. Einwohner zählenden Stadt. ich, wie viele Jugendliche in Szeneklamot- seiner eigenen Schule fiel er durch »Ich kann ten rumlaufen und an wie vielen Neonazi- fremden- und judenfeindliche nichts dafür«, sagt Ulrike Hopf Schmierereien ich vorbeigehe.« bin Auch die Eltern von Michaels Freun- Sprüche auf. Er weigerte sich an einem mit fester Stimme. »Ich den hat die Mutter angesprochen. »Einige 9. November, mit seiner Klasse auf dem nicht rechts – und schon gar nicht glaubten mir schlicht nicht«, berichtet sie. jüdischen Friedhof der Kleinstadt der extrem.« Überhaupt hat vorher Politik in »Andere schienen es längst zu wissen, aber Reichspogromnacht zu gedenken. Mit Leh-  ihrem Leben kaum eine Rolle gespielt. Das wollten sich nicht damit beschäftigen.« Da rern lieferte er sich Wortgefechte. Irgend- Hitler über dem Bett, das imponiert »Kameraden« – und schockiert Eltern. Wie Michael horten viele rechtsextreme Jugendliche in ihren Zimmern NS-Devotionalien.

wann war das Maß voll: Michael flog von der Probleme annahm. Mit ihm ging sie wieder gefehlt? Ulrike Hopf denkt nach. »Micha- Hauptschule. Doch seine Mutter wusste ja und wieder zum Jugendamt, bis die Behör- el stand in Thomas’ Schatten«, sagt sie. schon viel früher nicht mehr weiter. »Allein de für Michael eine betreute Wohneinrich- »Sein jüngerer Bruder hatte schon immer wegen des Kleinen.« Wie viele jüngere tung genehmigte. mehr Freunde, heute kommt er auch bei Geschwister nahm sich Markus an seinem »Leicht war das nicht.« Ulrike Hopfs den Mädchen besser an.« Dabei sollte doch großen Bruder ein Beispiel. Er war noch Stimme bleibt fest, auch wenn jetzt Tränen eigentlich der große Bruder der »Überle- keine zehn, als er Hakenkreuze in seine in ihren Augen glänzen. Sie spricht von dem gene« sein. Doch Michael sei zeitlebens Schulhefte und auch an die Tafel schmierte. Gefühl, nicht mehr klarzukommen mit dem sehr ängstlich gewesen, nie habe er zu »So konnte es nicht weiter gehen.« Ulrike eigenen Kind. »Michael ist nicht unrecht«, Gewalt geneigt. »Er ist oft gehänselt wor- Hopf entschied: Michael muss weg aus der sagt seine Mutter. den, hat nie ausgeteilt, immer nur einge- »Er kann lieb sein, Stadt. Weg von seinen »Kameraden«. Aber steckt.« In der rechten Clique gehörte er damit auch weg von seiner Familie. zuverlässig und hilfsbereit.« Die endlich dazu. Zu einer Gemeinschaft, noch Eigentlich sei es Zufall gewesen, sagt Suche nach Anerkennung hat den dazu zu einer, die unter Jugendlichen zwei- Ulrike Hopf heute, ein glücklicher Zufall, felhaften »Respekt« genießt. Weil sie brutal dass im Jugendamt ein anderer Sachbe- hoch aufgeschossenen dünnen zuschlagen kann. arbeiter für sie zuständig wurde. Einer, Jugendlichen Auch Michael schlug zu. Wegen der »engagierter und sensibler« mit ihren in die Fänge der gefährlicher Körperverletzung verurteilte Problemen umging. Vielleicht lag es auch Rechtsextremisten getrieben. das Amtsgericht ihn zu acht Monaten Haft daran, dass sie nicht mehr alleine kam. Sie – ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung. Davon ist seine Mutter überzeugt. 10 hatte in einer kirchlichen Stiftung einen Mit drei weiteren Neonazis hatte er im Som- Erziehungsberater gefunden, der sich ihrer Hat ihm in seiner Familie Anerkennung mer 2006 fünf junge Punks angegriffen. Als »Zecken« beschimpften wieder, die Reichskriegsflagge, das »Deut- Michael und seine »Kum- sche Reich« in den Grenzen vor 1933 und das Plakat zum »Gedenken« an den einsti- pels« die Jugendlichen, dann gen Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Ulri- schlugen und traten sie zu. ke Hopf diskutierte mit Michaels Betreuer darüber. »Wie kann der das durchgehen Michael setzte Pfefferspray ein. Zwei lassen?«, fragt die Mutter. »Mir sagt er nur: Jugendliche wurden bei der Schlägerei ver- Lassen Sie Ihren Sohn.« Solange Michael letzt. sich an die Regeln der Gemeinschaft halte Unter den »Dreckskerlen«, mit denen und nichts Illegales an die Wände hänge, Michael sich immer noch trifft, sind ein- sei Einmischung nicht erlaubt. »Das wird schlägig vorbestrafte Gewalttäter. Einige schon«, versichere der Betreuer ihr noch, haben lange Strafregister. Richter haben sie wenn Michael nicht mehr zuhöre. Die Mut- gefährlicher Körperverletzung, Nötigung, ter schöpft Hoffnung. Volksverhetzung oder Landfriedensbruchs Die ist auch wieder an diesem Sonn- schuldig gesprochen. Michael war nicht Sein Faible für Waffen und »Kriegsspiele« abend enttäuscht worden, als ihr Jüngster nur Angeklagter, auch als Zeuge musste er teilt Michael mit vielen jungen Neonazis. besonders ungeduldig auf seinen großen mehrmals aussagen. Bruder wartete. Als Michael kam, gingen »Er hat immer die Klappe gehalten«, ihn wieder ein. Ulrike Hopf klingt ein biss- alle drei Brüder in den Wald »zum Spielen«. sagt seine Mutter. Aus falsch verstandener chen stolz. »Michael hat seinem Chef sofort Ulrike Hopf und Andreas Fangmann kam »Kameradschaft« – und auch aus Angst, da zugesagt. Er genießt das Gefühl, gebraucht das merkwürdig vor. Einmal mehr sind sie ist sich Ulrike Hopf sicher. Die Angst ging zu werden.« den Jungs gefolgt. »Ich dachte, ich sehe so weit, dass Michael Taten zugab, die er Die Entscheidung, ihren Sohn weg- gar nicht begangen hatte. Jedenfalls ist zuschicken, war richtig. »Meinst du nicht nicht richtig«, berichtet Ulrike seine Mutter davon überzeugt: »Die haben auch?« Ulrike Hopf schaut ihren Lebensge- Hopf. Ihre drei Jungs ihm gesagt, er soll die mal zugeben, weil er fährten an. Der zuckt die Schultern. Dann ballerten noch minderjährig war.« berichtet er, dass Michael jetzt viel angeln mit Softairgewehren in der Erst mit 17 Jahren ist Michael im geht. Zwei Mal im Jahr macht die Wohn- Gegend rum. »Die haben richtig Krieg März 2007 ausgezogen. Weg aus seiner gruppe eine Woche Angelurlaub in Skandi- gespielt.« Heimatstadt und in ein knapp 100 Kilome- navien. Auch Andreas Fangmann geht am Ihre Mutter war »stinksauer« und ter entferntes Dorf. Seither lebt er in einer Wochenende dann und wann mit Michael hat die Waffen sofort einkassiert. Wohngemeinschaft mit anderen »sozi- angeln. »Dann vergisst er alles um sich her- »Gewaltspirale« ist für Ulrike Hopf al auffälligen« Jugendlichen und einem um.« Ja, auch er glaubt, dass die Entschei- kein abstrakter Begriff. »Du guckst däm- Betreuer. Er macht eine Ausbildung zum dung richtig war, sagt Fangmann. Ulrike lich wie dein Nazi-Bruder«, soll einer der Landmaschinenmechaniker. »Die Lehre Hopf nickt und schöpft Hoffnung. jungen Punks, die Michael mit seinen macht ihm großen Spaß«, sagt seine Mut- Die wird immer wieder enttäuscht. »Kameraden« verprügelte, ihren Jüngsten ter. Kürzlich sollte er eine Woche frei haben, Zum Beispiel, wenn sie Michaels Zimmer in angepöbelt haben. Wenig später bekam 11 doch in letzter Sekunde bestellte sein Chef der Wohngruppe anschaut. Da hängen sie Ulrike Hopf einen Anruf: Thomas, ihr drit- ter Sohn, soll mit Freunden den Jugend- Es wäre nicht das erste Mal, dass in dem lichen »abgegriffen«, ihn bespuckt und Städtchen Autos demoliert werden, deren ins Gesicht geschlagen haben. Sie wollten Besitzer sich gegen Rechtsextremismus vermutlich den kleinen Bruder rächen. Ihr Die Szene setzt sich in Szene: In ihrer Clique engagieren. »Mein Auto haben sie auch Ältester sei bei dem Angriff gar nicht dabei fühlen sich rechtsextreme Jugendliche stark. nicht ausgelassen«, vermutet Andreas gewesen. Fangmann: Kurz nach einem heftigen Streit Michael verbringt immer noch fast der Entscheidung. Sie wollen nicht zwei- mit Michael waren die Scheiben des Fahr- jedes Wochenende zu Hause. Er ruft auch feln. Noch besser aber wäre eine Betreuung zeugs kaputt. Bislang lässt sich das Paar häufig mal unter der Woche an. »Dann will gewesen, die Fachwissen und Erfahrung im nicht unter Druck setzen. »Willst du mir der einfach mit mir quatschen«, berichtet Umgang mit rechtsextremen Jugendlichen Angst machen?«, fragt Ulrike Hopf ihren Ulrike Hopf. »Das hat er früher nie getan. Er hat. Eine, die Mittel gegen diese »Gehirn- Jungen. »Schämst du dich für mich vor dei- erkundigt sich auch, wie es seinen Brüdern wäsche« kennt. Ein anderes Wort fällt der nen Kumpels?« Antworten bleibt Michael und seiner Oma geht.« Da ist sie wieder, Mutter nicht ein, wenn sie sich fragt, war- ihr schuldig. die Hoffnung. Aber wenn Michael zurück um Michael die menschenverachtenden Sie glaubt nicht, dass ihr Ältester sich in seiner Heimatstadt ist, gehen auch die Einstellungen der »Dreckskerle« teilt. Sie je ernsthaft mit Hitlers Ideologie beschäftigt anderen Telefonate wieder los. Dann ruft findet keine Erklärung. hat. Auch nicht mit der Ideologie der neuen ihr Sohn seine rechten »Kumpels« an, um Ulrike Hopf hat eine Odyssee durch Nazis in NPD oder »Kameradschaften«. Er sich mit ihnen zu verabreden. Ämter und soziale Einrichtungen hinter glaube einfach seinen »Kameraden« und »Der läuft denen regelrecht hinter- sich. Seit drei Jahren lässt sie kaum eine übernehme deren dumpfe Parolen. »Wäre her«, sagt Ulrike Hopf. »Dabei wollen die Veranstaltung zu Rechtextremismus in Michael in irgendeine andere Clique gera- Michael gar nicht mehr.« Für die Clique sei der Region aus, keinen Vortrag, nicht ein- ten, hätte er genauso deren Outfit, deren er allenfalls ein »nützlicher Idiot«, wenn er mal ein Rockkonzert gegen rechts. Immer Ziele und deren Ideale angenommen.« Geld oder eine Flasche Schnaps mitbringe. in der Hoffnung, dazuzulernen, neue Davon ist Ulrike Hopf überzeugt. Ihr Sohn Ulrike Hopf kann manchmal hilflos sein. Ansprechpartner zu finden, konkrete Hilfe sei kein Anführer, er sei ein Mitläufer. »Ich »Was soll ich denn tun? Ich kann dem Jun- zu bekommen. Auch eine Selbsthilfegrup- will ihn nicht in Schutz nehmen«, beteuert gen doch keine neuen Freunde backen.« pe für Eltern will sie organisieren, doch fan- sie. »Zum Anführer hat Michael weder die den sich noch keine Mitstreiter: »Die Eltern Intelligenz noch den Charakter.« Ihr Sohn hätte viel früher Hil- von Michaels ›Kameraden‹ brauchen oder Vor kurzem ist ihr Ältester 18 gewor- fe gebraucht. Davon ist die wollen offenbar keine Hilfe.« Ulrike Hopf den. Die Volljährigkeit liegt der Mutter 40- blieben nur örtliche »Antifa-Gruppen« an schwer im Magen. »Jetzt habe ich gar keine Jährige überzeugt. Hilfe, Schulen, in Jugendeinrichtungen oder Ver- Rechte mehr«, sagt sie. »Wenn der Junge die eine Mutter nicht geben bänden. »Die sagen jedenfalls Bescheid, Mist baut, erfahre ich es vielleicht nicht ein- wenn sie mitkriegen, dass Michael wieder mal mehr.« Sie hat den Kampf unter ihrem kann, Hilfe von Profis. »Dann wäre er Scheiße baut.« Dann kann die Mutter ihren eigenen Dach nicht gewonnen, aber aufge- heute längst raus aus der Szene.« Doch Ulri- Jungen immerhin zur Rede stellen. ben wird sie nicht. Nicht den Kampf gegen ke Hopf und Andreas Fangmann brauchten »Du traust dich was«, sagt Michael rechts. Und auch nicht ihren Sohn. | 12 mehr als zwei Jahre, bis sie eine Einrich- manchmal. Er meint das nicht anerken- tung gefunden hatten. Sicher, sie stehen zu nend, er will seine Mutter einschüchtern. Von Freundschaft ist keine Rede Die meisten Jugendlichen in der Szene sind keine bulligen Glatzköpfe . Michael zum Beispiel ent- Was treibt Jugendliche In der Schule? spricht nicht diesem Klischee . in rechte Cliquen? Zum Beispiel. Oder im Sport, bei den Eltern, Aber viele wissen: Er gehört dazu, er hat beim anderen Geschlecht ... auch solche »Kameraden« ... Meint Zugehörigkeit die in der Szene viel . . die sitzen aber in der Schule nicht neben beschworene »Kameradschaft«? ihm . Reinhard Koch leitet die Arbeits- Das Wort fällt in diesem Zusammenhang Im übertragenen Sinne schon. Auch in der stelle Rechtsextremismus und immer. Auffällig ist, dass die Aussteiger so Schule kennt ihn plötzlich jeder – als den, gut wie nie von »Freundschaft« sprechen. »der bei den Neonazis mitmacht«. Jugend- Gewalt (ARuG) der Bildungs- Ist »Kameradschaft« nicht einfach das szene- liche wie er brauchen in ihrer Klasse kaum vereinigung Arbeit und Leben in typische Wort dafür? Gleichgesinnte, um wahrgenommen zu Keineswegs. Für »Kameradschaften« im werden. Braunschweig. Die Arbeitsstelle Sinne von Freundschaften ist die Szene viel Warum nicht? hilft ausstiegswilligen rechts- zu aggressiv. Ein Beispiel: Der rechte Jugendliche sagt: Auch nach innen? »Ich möchte darauf zurückkommen, was extremen Jugendlichen und berät Gerade nach innen. Das Verhalten unter- ›Kamerad XY‹ gesagt hat.« Dann verbittet ihre Angehörigen. einander ist oft hochgradig feindselig. sich der Lehrer in der Regel den Begriff Obwohl die Szene »Kameradschaft« gera- »Kamerad«. Der Jugendliche fragt nach, Herr Koch, warum landen Jugendliche wie dezu zwanghaft idealisiert, ist sie nach was der Lehrer denn gegen »Kamerad- Michael Hopf * in rechten Cliquen? Er kommt aus innen oft wertlos. schaft« habe, und bringt so vielleicht eine keinem rechts orientierten Elternhaus . . Wie kommt das? Autoritätsperson vor der ganzen Klasse ... das ist auch längst nicht mehr der »klas- Das gegenseitige Misstrauen ist groß. Fast argumentativ ins Schleudern. Das ist ein sische Fall«. Das galt für einen Teil junger jeder kennt Straftaten des anderen, aus tolles Machterlebnis für einen jungen Men- Neonazis der »ersten Generation«. der Mitwisserschaft resultieren Kontrolle, schen. Michael scheint sich aber auch nie für Politik Drohungen und Gewalt – und im Umkehr- interessiert zu haben oder zu interessieren . schluss natürlich auch Angst. Das schweißt Reinhard Koch leitet Politik treibt nur wenige Jugendliche in die die Szene zusammen. Nicht Freundschaft. die ARuG in Braunschweig. Szene. Die meisten Jugendlichen suchen Wenn das so ist, macht das den Zulauf von Anerkennung. Anerkennung und das Ge- Jugendlichen noch unerklärlicher . fühl dazuzugehören. Nein, denn nach außen bedeutet »Kame- Können Sie das konkreter sagen? radschaft« tatsächlich viel. Sie bringt Macht Fast alle Aussteiger nennen als Motiv für und Anerkennung. Wenn drei stadtbekann- ihren Einstieg: »Ich fühlte mich anerkannt te Glatzköpfe in ihren Springerstiefeln auf und zugehörig – unabhängig davon, wer ich dem Bürgersteig gehen, wechseln die Leute bin und was ich habe.« Das macht die Szene die Straßenseite. Das gibt vielen Jugend- besonders attraktiv für Jugendliche, die sich lichen ein Machtgefühl, wie sie es nie zuvor 13 anderswo nicht wahrgenommen fühlen. erlebt haben.

* Name von der Redaktion geändert Ein nie zuvor erlebtes Machtgefühl: Wenn junge Neonazis in der Clique unterwegs sind, wechseln viele Jugendliche die Straßenseite.

tiven Elite« anzugehören, die die »Herkunft Für die Analyse einer »rechten Jugendkar- des Blutes« eint. riere« muss man neben den Zugfaktoren »Herkunft des Blutes« klingt äußerst rassis- wie »Kameradschaft«, Erlebnis oder Kon- Aber reicht das, wenn »rechts sein« keinen Spaß tisch . . spirativität auch Druckfaktoren beachten: mehr macht, sobald die »Kameraden« unter sich ... das ist es ja auch. Die Jugendlichen mei- Wenn ein Jugendlicher offensiv rechts sind? nen das aber nicht hochpolitisch, es ist für auftritt, setzt sich das soziale Umfeld von Innerhalb der Szene sind Misstrauen und sie eher eine Phrase, mit der sie rechtferti- ihm ab und umso wichtiger wird für ihn die Angst nur die eine Seite. Die andere ist gen: »Wir sind etwas Besseres und haben Szene ... die »Erlebniswelt rechts«. Keine andere besondere Rechte, die wir auch mit Gewalt . . ein Teufelkreis . . Jugendszene bietet ein so umfassendes durchsetzen dürfen.« ... zumindest eine fatale Situation. Michael Angebot wie die rechte. Der Jugendliche So simpel fängt man Jugendliche? dürfte unter enormem Entscheidungsdruck kann 24 Stunden täglich Neonazi sein. Die Szene ist zumindest vordergründig stehen. Das offensive Auftreten seiner Mut- Wie geht denn das? sehr schlicht strukturiert: Es gibt gut und ter macht ihm ein Doppelleben unmöglich: Ganz einfach: Rechtsrock zum Wecken, schlecht – und überhaupt nichts dazwi- Auf Dauer kann er nicht Sohn und Neonazi in der Schule mit einem »Thor-Steinar«- schen. Man muss dabei auch bedenken, sein, er muss sich entscheiden. Pullover auffallen, am Nachmittag in der dass das Einstiegsalter der Jugendlichen Und fürchtet im Falle eines Ausstiegs Rache- Innenstadt die linken »Zecken« mit den immer weiter sinkt. akte der Szene? Punkfrisuren einschüchtern, abends mit Wo liegt dieses Alter heute? Vermutlich. Schlimmer ist aber, dass den »Kameraden« saufen, und als »High- Wir reden über Zwölf- bis 13-Jährige, vor Michael wahrscheinlich das Gefühl hätte, light« am Wochenende vielleicht noch ein wenigen Jahren lag das Einstiegsalter bei einmal mehr »versagt« zu haben. Motto: Aufmarsch mit zahllosen Polizisten und 15 bis 16. Und während damals Jugendli- »Neonazi sein hat auch nicht geklappt.« Gegendemonstranten oder ein hoch kon- che die »Erlebniswelt rechts« noch eher Und diese Schlappe müsste er nicht nur sich spiratives und daher auch als hoch span- zufällig kennen lernten, ist es heute sehr selber eingestehen, sondern auch vor Fami- nend erlebtes Konzert. wahrscheinlich, dass sie damit zumindest lie, Verwandten, Lehrern und Mitschülern Sie sprechen immer von jungen Rechtsextre- in Berührung kommen. zugeben: »Ich habe Riesenmist gebaut.« In misten, die sich offen als solche zu erkennen geben . Die Jugendlichen werden nicht nur immer dieser Situation noch Kraft zu finden, sein Versuchen die meisten nicht, ihre Gesinnung zu jünger, es zieht auch immer mehr Mädchen in durch sein »rechts sein« weggebrochenes verstecken? rechte Cliquen . . Umfeld wieder aufzubauen, das ist sehr Immer weniger spielen noch ihr »Versteck- ... das stimmt. Aber mit etwa 80 Prozent viel verlangt. | spiel«. Die Jugendlichen treten offensiver Jungen und Männern ist die Szene nach wie auf. Zugleich sind sie geschickter gewor- vor klar männlich dominiert. Machtgefühl, Hier finden ausstiegswillige Jugendliche den, sie wissen genau, was gerade noch Elitärgehabe und Gewaltbereitschaft spre- und ihre Angehörigen Hilfe: legal und was illegal ist. chen nun einmal vor allem Männer an. Arbeitsstelle Rechtsextremismus und »Kameradschaft«, Spaß und Erleben – gibt Braune Kader werden oft als »Rattenfänger« Gewalt (ARuG) der Bildungsvereinigung es weitere Motive, in die braune Szene abzugleiten? dargestellt, die jeden rein- und keinen rauslassen . Arbeit und Leben Nach unseren Erfahrungen stehen diese Aber Michaels Mutter hat den Eindruck, ihr Sohn Bohlweg 55, 38100 Braunschweig 14 beiden Motive ganz vorne. Erst mit großem laufe seinen »Kameraden« geradezu hinterher . Irrt Telefon: 05 31 / 1 23 36 34 Abstand folgt das Gefühl, einer »konspira- sie? E-Mail: [email protected] Das ist alles eine große Lüge

Martin berichtet, immer politisch interessiert. Und in seinen wie er mit 15 Jahren in die Augen sind die Politiker schuld an allem, was ihm nicht gefällt. Szene gerutscht ist Martin hat in der Szene vieles kennen gelernt, von rechten Cliquen bis zu neona- zistischen »Kameradschaften«. Auch für Klar steht Martin* bei einigen sei- die NPD hat er gearbeitet. Heute will er sich ner ehemaligen »Kameraden« auf keiner Gruppe mehr zuordnen. »Ich fühle mich nicht rechts und auch nicht links«, der Abschussliste. Der 19-Jährige sagt der 19-Jährige. hat schon viele Drohungen aus Vor vier Jahren haderte Martin mit Infostände der Rechtsextremisten dem »demokratisch-kapitalistischen Sys- bringen nichts, meint Martin. Doch nicht der rechten Szene bekommen. Er tem«. Der 15-Jährige wollte sich abgrenzen. nur das hat ihn frustriert. hat deshalb ein unangenehmes In seinem Landkreis seien viele Jugendliche Gefühl, das gibt er zu, trotzdem Ist der Staat schuld? Wie Martin wollen rechts. »Linke« gebe es so gut wie keine. bleibt er gelassen. sich viele junge Rechtsextremisten am Und zu den paar Punks, die den ganzen Tag »System« rächen. auf der Straße in seinem Dorf herumlun- »Das ist doch alles heiße Luft«, sagt gerten, wollte er sich nicht gesellen. Martin Martin und grinst. »Von den Führungsper- wollte mehr – aktiv sein, auf Demos gehen. sonen abgesehen sind die doch alle total »Wenn man etwas gegen den Staat oder dumm.« das politische System machen will, bieten Heute verachtet er die rechte Szene, sich die Rechten eben an«, resümiert der er sieht keinen Sinn in deren ausländer- Jugendliche. Die Rechtsextremisten wür- feindlichen Aktionen. Als seine ehemaligen den als Außenseiter betrachtet, sie seien »Kameraden« Fensterscheiben in einem nicht »angepasst«. Damit wirkten sie wie Asylbewerberheim eingeschlagen haben, ein Magnet auf viele Jugendliche, die Ori- war er nicht dabei. »Ich wollte nicht mit. entierung suchen. Das war eine sinnlose Aktion. Was kön- Weil es in seinem Dorf so viele rech- nen denn diese Menschen dafür, dass in te Jugendliche gab, »landete ich fast unaus- Deutschland so viel schief läuft?«, fragt er weichlich in so einer Clique«. Sein Heimat- und zieht die Schultern hoch. Er war schon ort zählt rund 5000 Einwohner. Martin war auf Protest aus, und in der * Neben den Namen hat die Redaktion Schule wollte es ihm nicht gelingen, anzu- zum Schutz des Jugendlichen Details ecken. Der einzige Weg »dagegen zu sein«, 15 seiner Biografie verändert, die nicht sinn- war für ihn der Weg in die rechte Szene. entstellend sind. »Kameradschaft« angehörten. Bald war er einer von ihnen. Weil Martin technisches Know-how und Orga- nisationstalent hat, genoss er rasch viel Ansehen in der »Kameradschaft«. »Deshalb akzeptierten meine ›Kameraden‹ auch, dass ich keine Springerstiefel trug, kein Skin- head war und nicht bei Aktionen mitmach- Eine neue, die alte Gefahr: Junge Neonazis setzen auf die alte te, bei denen Gewalt im Spiel war. Ich war menschenverachtende Ideologie des NS-Regimes. komplett gegen Gewalt«, sagt Martin mit Nachdruck. Auch mit Waffen will er daher Martin kommt aus einem gutsi- leuchten. Diese rechte Gruppe war keine nichts am Hut haben. Trotzdem liegt bei tuierten Elternhaus und hat »Kameradschaft«, aber mehr als »nur« eine ihm daheim eine Gaspistole in der Schub- Clique mit Jugendlichen, die bloß herum- lade. Die habe er sich zu Silvester gekauft, einen Bruder, der »mit rech- hängen. würde sie aber nie bei sich tragen. Sagt er. ter Gesinnung noch nie was Sein Vater war dagegen. Er kritisierte Irgendwann fand Martin auch die Martins Gesinnung scharf. Doch weil Martin Aktionen der »Kameradschaft« sinnlos. am Hut hatte«. Martin und seine Freunde geschickt und clever ist, bot er seinem Vater »Wir haben mit den Demos kaum etwas hörten gerne »Böhse Onkelz«. Ab und an wenig Angriffsfläche. Er hörte zu Hause erreicht, und ich wollte doch politisch was traf sich die Clique, einfach so, »um abzu- keinen lauten Rechtsrock und trug keine bewegen«, sagt Martin. Deshalb hat er sich hängen oder Playstation zu spielen«. Klar Kleidung mit eindeutigen Codes. In seinem von seinen »Kameraden« verabschiedet. sind »manchmal ausländerfeindliche Sprü- Zimmer gab es keine Reichskriegsflaggen »Klar bekam ich Drohungen, aber die haben che gefallen«, aber gleich danach gingen oder NPD-Plakate an der Wand. Und er sich nicht getraut, etwas zu unternehmen«, die Jugendlichen beim Türken um die Ecke stritt nichts ab, sondern gab offen zu, dass sagt Martin und grinst. »Sie wissen, dass einen Döner essen, oder sie demolierten er »bei den Rechten« war. auch ich für die gefährlich werden kann, Autos. Nur so aus Frust. »Irgendwann hat Auch sein Vater machte keinen Hehl wenn ich ihnen die Polizei auf den Hals mich das hohle Zeug genervt«, sagt Martin. aus seiner Meinung, dennoch hat er Mar- hetze.« Seine damaligen Freunde nennt er heute tins Aktivitäten geduldet. »Jedenfalls hat er Das Lächeln verschwindet rasch wie- dumm. mich nicht rausgeschmissen«, sagt Mar- der aus seinem Gesicht. Jetzt schaut der Eineinhalb Jahre war der Jugendliche tin. »Wenn er mehr Stress gemacht und 19-Jährige sehr ernst. »Als ich dann raus in der Clique, als er in einer neuen Schule mir Sachen verboten hätte, wäre ich ganz war – das war am Anfang Scheiße.« Martin zwei weitere Neonazis kennen lernte: »Jan schnell weg gewesen.« Heute freut er sich, schweigt und denkt nach. »Man ist ja kom- trug einen Thor-Steinar-Pulli, da wusste dass er noch Kontakt zu seinem Vater hat. plett in der Szene, kennt ganz viele Leute. ich sofort, dass er ein Rechter ist. Ich bin Und plötzlich ist man raus – und hat keine Mit 17 Jahren einfach zu ihm hin – und schon kurze Zeit lernte Mar- Freunde mehr«, versucht er zu erklären. Er 16 später bin ich auf meine erste Demo gegan- tin bei einer Veranstaltung wirkt hilflos, das nimmt ihn mit. »Dann gen«, erinnert sich Martin. Seine Augen Neonazis kennen, die einer merkt man, dass das gar keine Freunde waren«, sagt Martin. »Die sind einfach weg danach!« Dabei hatte er noch Glück. Eine Handvoll Freunde aus der Zeit, bevor Mar- tin in die Szene abglitt, waren noch für ihn da. Sie hatten zwar seine rechte Gesinnung kritisiert, sich aber nicht ganz von ihm abgekehrt. Auch mit einigen aus den rech- ten Gruppen von damals ist der 19-Jährige weiter befreundet, auch sie sind mittler- weile ausgestiegen. Martin ist vor einigen Monaten zu seiner Freundin gezogen, hat seinen Schulabschluss gemacht und will eine Ausbildung anfangen. »Volksbetrüger« nennen Neonazis demokratische Politiker oft. Mit deren »politischem System« hat auch Wenn er über die »Kameraden« Aussteiger Martin seinen Frieden noch nicht geschlossen. von einst spricht, klingt sei- ne Stimme verächtlich: »Das ist alles eine große Lüge. Sie erzählen einem viel, aber sie leben gar nicht danach.« Deshalb nimmt er die Rechten nicht mehr ernst. Aber er glaubt noch immer, dass das politische System die Wurzel allen Übels ist. Nur mit der rechten Szene will er nichts mehr zu tun haben. »Jeder darf doch seine Meinung vertreten«, sagt er bestimmt. Seine klaren Augen blicken einen Moment starr vor sich hin. Dann fasst er seine Gedanken in Worte: »Wenn es bei uns im Dorf damals eine große linke Clique gegeben hätte, wäre ich wahrscheinlich ein Linker geworden.« |

17 Es gibt nicht den einen Weg, der Jugendliche in die rechte Szene Die Clique wird führt. Nach Ansicht von Wissen- schaftlern wirken verschiedene zur Ersatzfamilie Einflüsse zusammen: Den jun- gen Menschen fehlt es an Aner- kennung in der Schule, in der Auf der Suche nach Beziehungen in der Familie sind emotio- Familie oder bei Freunden. Sie Anerkennung landen viele nal oberflächlich und wenig verlässlich. »Viele Familien leben völlig beziehungslos finden keinen Arbeitsplatz und Jugendliche in der Szene nebeneinander her«, sagt Welp. Er nennt wissen nichts mit sich anzufan- das »System Familie total überfordert«. Oft würden Eltern ihren Kindern gen. Schule ihnen keine Werte bieten, die diese mit Desinteresse begegnen, sich nicht »Sie erleben, dass das gesellschaft- Leere füllen, fühlen sich die Jugendlichen durchsetzen oder seien nicht in der Lage, liche System sie nicht wirklich braucht. ausgegrenzt. mit ihrem Nachwuchs angemessen über Akzeptanz, Geborgenheit und Verläss- In dem Forschungsprojekt »Ein- politische Einstellungen zu diskutieren. In lichkeit kennen sie nicht«, sagt Wolf- und Ausstiege bei Skinheads« der Fach- ihrer eigenen Hilflosigkeit bestrafen sie die gang Welp, Dozent an der Hochschule hochschule Esslingen begleitete Welp als Kinder oder ignorieren deren zum Teil pro- Neubrandenburg. wissenschaftlicher Mitarbeiter drei Jahre vozierendes Verhalten vollkommen. Feh- In der Pubertät fragen sich Jugend- lang rechtsorientierte Jugendliche. Viele lende Kommunikation in der Familie wirkt liche »Wer bin ich?«, »Welchen Sinn hat das nannten das Verhältnis zu den Eltern »ganz sich auf das Sozialverhalten aus. Da die jun- Leben?« oder »Wo ist mein Platz in dieser in Ordnung«. Die Wirklichkeit aber sah gen Menschen ihre Konflikte verbal meist Gesellschaft?«. Ob Konflikte in der Schule, oft anders aus: »Tatsächlich reden viele nicht lösen können, wählen viele Gewalt als Scheidung der Eltern oder die ersten Erfah- Eltern kaum mit ihren Kindern«, sagt Alternative. »Viele müssen Gewalt ausüben, rungen mit der Sexualität: Die Jugendlichen Welp. Gemeinsame Aktivitäten fehlen, die um sich selbst überhaupt noch zu spüren«, erleben die Pubertät als eine Zeit der Unsi- cherheit und kommen nur schwer mit den emotionalen, körperlichen und sozialen »Erlebniswelt rechts«: Sie bietet Jugendlichen Abwechslung – Veränderungen zurecht. Zu dieser Zeit und das Gefühl, dazuzugehören. gehen oft altbekannte und sinnstiftende Strukturen verloren, ohne dass überzeu- gende Alternativen geschaffen werden. Die Struktur der konventionellen Ursprungsfamilie mit Vater, Mutter und Kindern gibt es immer seltener – an ihre Stelle treten »Patchworkfamilien«, die das bisherige Leben gehörig durcheinander wirbeln. 18 Viele Jugendliche hängen sprichwört- lich in der Luft. Wenn Familie, Freunde und sagt Welp. »Gewalt verleiht Macht und Stär- ke. Starke Emotionen, die ein Lebensgefühl geben, das alles andere überlagert.« Diese Gefühle sprechen rechtsorien- tierte Organisationen, Parteien und Cliquen mit ihrer vermeintlich harmlosen Erlebnis- pädagogik an – durch Fußball, Zeltlager, Kino- oder Grillabende. Es gehe nicht in erster Linie um politische Arbeit oder Demonstrationen, sondern »um das einzige Angebot, das den Jugendlichen überhaupt gemacht wird«, sagt Welp. Sehr schnell jedoch werden diese Freizeitangebote mit rechtsextremen Inhalten aufgeladen. Die Nicht alleine im Regen stehen: Die Szene bietet vermeintlichen Schutz. Grenzen zu rechtsextremen Par- teien und Gruppierungen welcher jugendkulturellen Gruppe sie sich mit Konflikten umzugehen. Sie haben sind fließend, denn anschließen: einer Musikgruppe, einem Angst. Wenn dann vermeintlicher Schutz aus Freund- Sportverein – oder einer rechten Clique«, kommt, wird der gerne angenommen.« | schaft kann schnell eine »Kamerad- sagt Welp. Gefährlich werde es, wenn kei- schaft« werden. Die ist hierarchisch geglie- ne anderen Gruppen, Institutionen oder dert und von Gruppenzwang und Unter- Instanzen als die rechten da seien, um die ordnung gekennzeichnet. Die Zugehörig- Jugendlichen aufzufangen. »Immer mehr keit zu solch einer Gruppe schließt dabei junge Leute verbringen ihre Freizeit allein gleichzeitig andere aus: Linke, Homosexu- oder haben virtuelle Freunde im Internet«, elle oder Ausländer. weiß der Diplompädagoge. Rechte Organi- Jugendkulturen sind Beziehungs- sationen und Cliquen aber versprechen ein netzwerke, die eine soziale Heimat bieten, Gemeinschaftsleben, das die Jugendlichen eine Gemeinschaft der Gleichen, in der kaum kennen. Jugendliche ihre Identität suchen. Diese Oft übernehmen Jugendliche kritik- Gruppierungen sind notwendig, um sich los die Werte und Regeln der jeweiligen Cli- In der Gruppe fühlen sie sich stark: von den Eltern zu lösen: Die Clique wird zur que. So entfalle die mühsame Arbeit an der Rechtsextremisten auf einer Demonstration. Ersatzfamilie, sie füllt die innere Leere vie- eigenen Identität, sagt Welp. Das Kollektiv ler Jugendlicher mit Werten und Regeln. ersetzt die Individualität – und die Jugend- Dabei scheint weitgehend egal zu lichen nehmen es dankbar an, nun fühlen sein, welche Regeln in der Gruppe gelten. sie sich zu einem großen Ganzen gehörig »Wenn Jugendliche auf der Suche nach und können auch sich selber »größer« als 19 ihrer Identität sind, ist es fast beliebig, bisher fühlen. Welp: »Sie haben nie gelernt, Ein erstes gemeinsames Bier auf dem Schützenfest, zusammen Köder für Sport treiben, auf ein Konzert gehen oder ein paar Tage zelten: »menschliches Geschulte Kader ködern Jugend- liche für die Szene. Potenzial« Sie verstricken die jungen Menschen geschickt in die neonazistischen Struktu- Sven war Neonazi-Anführer, zu schockieren statt zu locken. Auch hät- ren. Ihnen gehe es dabei nie um die jungen er warb Jugendliche für die ten nur wenige Jugendliche mit 13 oder 14 Menschen, sondern um »menschliches Jahren bereits ein ausgeprägtes politisches Potenzial«, sagt Aussteiger Sven*. Für seine Szene Bewusstsein. »Das entwickelt sich erst mit »Kameradschaftsgruppe« warb er jahrelang der Zeit«, sagt Sven. Jugendliche. Er selber ist schon mit zwölf Jahren in Viel verraten will Sven nicht – jeden- Seit mehr als einem Jahr gibt Sven sein die Szene gerutscht. »Damals war das noch falls nicht über sich und seine eigene »brau- Insiderwissen über rechtsextreme Anwer- ungewöhnlich«, berichtet er. Vor wenigen ne Karriere«. Zu groß ist die Angst vor der bestrategien in Vorträgen und Workshops Jahren haben die Neonazis eher die 15- und Rache seiner ehemaligen »Kameraden«. an Lehrer, Jugendbetreuer, Bewährungshel- 16-Jährigen angesprochen. Heute sei es »In der Szene ist es egal, wie lange man fer und Jugendliche weiter. Auch wenn er dagegen »gängige Praxis«, auch Jüngere raus ist«, sagt Sven. Habe man zum Kader jetzt schon ein paar Jahre »raus« ist, fühlt er zu ködern. »Zwölfjährige sind in ihrer Ent- gehört, könne man »nicht ohne Konse- sich bedroht. Er überlegt sich genau, wem wicklung heute schließlich weiter.« quenzen gehen«. Die reichen von verbalen er sich zu erkennen gibt und durch welche »Gängige Praxis« sei auch, sich vor- Drohungen bis zu gewalttätigen Übergrif- Informationen seine Ex-»Kameraden« ihn nehmlich an Jugendliche zu wenden, die fen. identifizieren könnten. Wie einfach es dann mit ihrer Freizeit nichts anzufangen wüss- wäre, Daten wie Wohnort oder Arbeitgeber ten. Gelangweilte Teenies, die irgendwo Plakate kleben für die NPD: Auch dazu ziehen herauszufinden, weiß Sven aus eigener rumhängen und die Zeit totschlagen. Vor die Neonazi-Anführer Jugendliche heran. Erfahrung. Schließlich hat er einst selbst allem auf dem Land würden die braunen Menschen hinterherspioniert – meist Mit- Rattenfänger schnell fündig, berichtet gliedern der linken Szene, denen die Neo- Sven. »Denn da haben viele Jugendliche nazis »eins auswischen« wollten. kaum Gelegenheit, mal aus ihrem Dorf Doch trotz seiner verständlichen herauszukommen.« Geheimnisse hat Sven viel zu erzählen. Er Zunächst laden die Extremisten die war kein Mitläufer. In seiner »Kamerad- Jugendlichen zu gemeinsamen Aktivitäten schaft« gehörte er zu den Anführern und ein. Ganz unverfänglich. »Eine der ers- war bundesweit aktiv. An Aufmärschen und Demonstrationen nahm er nicht nur teil, er ten Fragen ist, ob die Jugend- organisierte sie auch. Seine wichtigste Auf- haben, zum Beispiel gabe aber war, Jugendliche für die Szene zu lichen Lust begeistern. mit zum Fußball zu kommen.« Später »Ich bin nicht mit der Tür ins Haus bringe man zu einem Treffen wie zufällig gefallen«, sagt Sven. »Das wäre zu riskant eine Rechtsrock-CD oder ein Propaganda- 20 gewesen.« Er meint das Risiko, mit Hetz- Flugblatt mit, um den Jugendlichen mit der parolen oder Hitler-Gruß die Jugendlichen rechten Gesinnung in Berührung zu brin-

* Name von der Redaktion geändert führer«. Sven dagegen war nie in einer Par- Schon deshalb findet Sven seine Präven- tei aktiv: »Als ich noch in der Szene war, galt tionsarbeit wichtig. Denn der Szene gehe die NPD als eine Partei aus alten Säcken, die es »allein um Potenziale«, sagt Sven. nur reden und nicht handeln.« »Menschliches Potenzial« für Aufmärsche, Für gefährlich hält Sven auch, wie zur Demonstration von Stärke und zur Ver- die Szene um Jugendliche wirbt: Die Extre- breitung rechten Gedankenguts. Schon Konspirativ organisiert: Mit Rechtsrock- vor seinem Ausstieg habe er Probleme mit misten beschränken sich nicht konzerten ködern Neonazis Jugendliche. gewissen Teilen der Ideologie gehabt, sagt mehr auf bestimmte Grup- Sven, beispielsweise mit der Leugnung des gen. Zeige ein Angeworbener über einen sondern »fischen« in vielen Holocausts. »Trotzdem habe ich nie etwas längeren Zeitraum Interesse und wolle sich pen, dagegen gesagt – ich habe mich nicht Jugendkulturen. engagieren, werde er übers Wochenende in Die braunen Strategen getraut.« ein »nationales Zeltlager« oder zu einem produzieren Kleidung und Musik für jeden Ausgestiegen sei er letztlich aber Aufmarsch mitgenommen. Geschmack und verbreiten ihre rechten nicht wegen solcher Skrupel, sondern weil Die Konspirativität des Zeltlagers, Botschaften in kleinen Schülerzeitungen er eine Familie gegründet hat. Und er steht aber auch das öffentliche Aufsehen des wie schicken Hochglanzmagazinen. Das damit nicht allein: Wie der Einstieg sei auch Aufmarsches zeigen oft Wirkung: »Viele Internet tut ein Übriges zur Streuung der Ausstieg vieler Szeneangehöriger nicht Jugendliche sind fasziniert«, sagt Sven. rechtsextremistischer Propaganda. Daher politisch motiviert. »Ich habe mich irgend- Bald bekommen sie Aufgaben, mit der sie kommen immer mehr Jugendliche mit der wann gefragt, ob ich meiner Familie ein »der Sache auch aktiv dienen« sollen. Sie Szene in Berührung. Leben in der Szene zumuten will.« | verteilen Flyer und andere Propaganda. »Viele junge Leute merken gar nicht, dass sie politisiert werden«, sagt Sven. Noch vor wenigen Jahren spielten Bei »Wehrsportübungen« predigen Anführer rechten Jugendlichen die rechtsextremen Parteien beim syste- Gewalt und Militarismus. matischen Anwerben junger Leute kaum eine Rolle, meint Sven. Heute nennt er das »fast ein Glück«: Solange es keine zentral von den Parteien geleitete Strategie gebe und viele »Kameradschaften« mehr oder weniger autonom agierten, gelinge es den Extremisten nur schlecht, ihre Kräfte zu bündeln. Daher hält er auch für gefährlich, dass seit einigen Jahren NPD und »Kame- radschaften« enger und enger zusammen- arbeiten. So sind unter ihren Kandidaten zur niedersächsischen Landtagswahl am 21 27. Januar 2008 auch »Kameradschaftsan- »Sie tragen keine Bomberjacken, sind trotz allem national. Gehen Glatze war gestern zum Fußball oder Partys – ihre Köpfe sind nicht kahl. Man kann nur schwer erkennen, wer sie sind und was sie wollen. Doch wenn es um Deutschland geht, »Rechts sein« zieht sich Ähnlich drastisch sieht der Bremer Rechts- dann hört man sie von weitem durch viele Jugendkulturen extremismusexperte Cornelius Peltz diese Entwicklung. »Wenn ein Jugendlicher auf grollen: Eine Jugend rebelliert.« der Straße menschenverachtende Parolen Das propagiert die Gruppe »Sleipnir« schreit oder gar Minderheiten angreift, ist 2005 auf der »Schulhof-CD«, produziert tung ist ein Drittel der bundesdeutschen es total egal, ob er bekennender Neonazi von der rechtsextremen NPD. Damit be- Bevölkerung ausländerfeindlich eingestellt. ist«, meint er. wirbt sie einen Trend in der Szene: Vor »Da wäre es ja schon fast merkwürdig, Wie breit gefächert der rechts- wenigen Jahren war es noch einfach, einen wenn sich das nicht auch in der gesamten extreme Lifestyle mittlerweile ist, erlebt rechten Jugendlichen an seinem Outfit zu Jugendkultur niederschlägt.« Bianca Klose bei ihrer täglichen Arbeit in erkennen. Heute ziehen sich rechte Einstel- Zwar gebe es keine Hinweise darauf, der Mobilen Beratung gegen Rechtsextre- lungen durch alle Jugendkulturen. »Rechts dass die Zahl rechtsextremer Jugendlicher mismus in Berlin. Auch ihrer Ansicht nach sein« ist Teil des jugendlichen Mainstreams wachse, »aber drum herum sind hunderte existieren rechtsextrem mitbestimmte geworden. Jugendliche, die in rechtsorientierten Cli- Lifestyle-Bewegungen mit eigener Kutur- Den Grund für die Entwicklung sieht quen sind, die rechts denken und auch ger- industrie und eigener Sprachform in fast der Jugendforscher Klaus Farin nicht allein ne ›rechts‹ prügeln, die aber mit der organi- allen Jugendkulturen. Es gebe Outfits für in der jungen Generation. »Wenn ein 13- sierten Szene nichts zu tun haben wollen«, fast jeden Geschmack – dazu die passende Jähriger sagt, die Ausländer nehmen ihm meint der Jugendforscher. Deshalb finde Musik. »Rechtsextrem orientierte Jugend- den Arbeitsplatz weg, dann muss man sich man rechtsextremes Gedankengut mittler- liche haben inzwischen viele Wahlmöglich- fragen, woher er das hat«, sagt der Leiter weile in allen jugendkulturellen Bereichen keiten bezüglich ihrer kulturellen Identi- des Archivs für Jugendkulturen in Berlin. – von Hip Hop über Techno bis hinein in die fikation. Sie können sich für verschiedene Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stif- Punkszene. Musikrichtungen interessieren, ihre Haare tragen, wie sie wollen, und entscheiden, ob Beunruhigend ist der gesell- sie ihre Orientierung nach außen tragen oder Auch die sind rechts: Manchem Neonazi sieht schaftliche Rechtsrutsch nicht«, stellt Klose fest. So kann die Gesin- man seine Gesinnung kaum an. dann, wenn die Gesin- nung ausgelebt werden, ohne sich an poli- gerade tischen Aktionen zu beteiligen oder anders nung nicht offensiv nach außen öffentlich rechtsgesinnt aufzutreten. getragen wird. »Wenn sich ein Jugendlicher Dabei helfen szenetypische Beklei- eindeutig rechts kleidet und sich auch noch dungsmarken wie »Thor Steinar«, die nach einer rechtsextremen Partei anschließt, außen beteuern, unpolitisch zu sein. So begibt er sich in ein gesellschaftliches wehren sich die Macher der Marke in ihrem Abseits«, sagt der Jugendforscher. »Wer Internetauftritt ausdrücklich gegen ihr aber versteckte rechtsextreme Positionen »rechtes Image«. Labels wie »Hateware«, 22 vertritt, hat noch die Möglichkeit zu wir- »Pro Violence« oder »Sportfrei« sind unter ken.« rechten Hooligans beliebt – werden aber auch von Fußballschlägern getragen, die sich als unpolitisch verstehen. Die Artikel werden nicht nur in Szeneläden verkauft. Sie gehen auch in herkömmlichen Sport- und Militarygeschäften über den Tresen. Dadurch steigt die öffentliche Akzeptanz für die braune Mode. Diese Entwicklung ist kein Zufall. Laut Peltz hat sich die braune Mode- und Musik- industrie auf die veränderten »Bedürfnisse« ihrer »Kunden« eingestellt. Seit einiger Zeit wird auch Neonazimode angeboten, die sich wie das Label »Rizist« an Hip- Hop- und Skaterstilen orientiert. Dass der Sprössling in der harmlos aussehenden Kapuzenjacke mit Graffitischriftzug und den Beggypants seine braune Gesinnung auslebt, ist für das ungeschulte Auge vieler Eltern nicht mehr zu erkennen. Das Geschäft mit den »neuen Mode- Mord als Kult: Weil ihr Sänger einen Menschen zu Tode gequält hat, trends« ist nicht nur unauffäl- genießt die Band »Absurd« in der NS-Black-Metal-Szene Kultstatus. lig, sondern auch lukrativ: Viele Marken werden von einschlägig maßen Anklang finden. In der Hip-Hop-, bekannten Neonazis produziert Reggae- oder Technoszene hat sich in den Auch rechte Fußballschläger lassen sich vergangenen Jahren ebenfalls eine rechte häufig bei NPD-Veranstaltungen blicken. oder vermarktet – und die lassen musikalische Subkultur entwickelt. »Auch wenn sich hier noch keine festen Struktu- einen Teil ihrer Einnahmen wieder ren herausgebildet haben, muss man auf- in die rechte Szene fließen. passen, wie sich diese Szene entwickelt«, Wie die Mode bietet auch die rechte mahnt Peltz. Musik mittlerweile viele Facetten. Neben Den extrem rechten Flügel des Black Rock und Punk sind zahlreiche braune Metal hat der Rechtsrockexperte Christian Liedermacher etabliert. Allen voran der Dornbusch untersucht. Seiner Ansicht wegen Volksverhetzung rechtskräftig nach lässt sich hier die größte Schnitt- verurteilte , der mit sei- menge einer neonazistischen Mischsze- nen hetzerischen »Balladen« bei rechten ne ausmachen. Während herkömmliche 23 Jugendlichen und Erwachsenen gleicher- Bands aus dem Bereich Black Metal in der Regel antichristliche Elemente und Fanta- als extrem gelten. Das ist bis sykomponenten aufgreifen, hetzen rechts- eine orientierte Bands gegen gesellschaftliche zu einem gewissen Grad »Randgruppen« wie Schwule oder Juden. ganz normale Kunstform«, sagt Häufig werden auch reale Gewalttaten und der Rechtsrockexperte. Wenn Morde glorifiziert. Und es bleibt nicht bei die der Verherrlichung der Verbrechen anderer: Texte allerdings rassistische »Immer wieder begehen Mitglieder der Sze- ne auch reale Gewalttaten wie Vergewalti- oder neonazistische Bilder gung oder Totschlag«, sagt Dornbusch. aufgreifen, werde extreme Musik »Und genau dadurch werden sie in ihren zu Kreisen zu Helden.« rechtsextremer Musik. Für gefährlich hält er auch, wie sich Auch Dornbusch sieht Musik und Musiker und Szene gegenseitig beeinflus- Lifestyle eng verknüpft und bestätigt den sen. So gaben rechtsextreme Skinheads Trend zum versteckten Rechtsextremis- nach brutalen Überfällen an, die Gewalt- mus. Heute könnten Jugendliche »ganz darstellungen des Black Metal hätten sie zu normal aussehen« und lediglich mit einem ihren Taten »inspiriert« . Umgekehrt holen kleinen Button am Revers ihre extrem rech- sich die Musiker ideologisch aufgeladene te Gesinnung dokumentieren. Erkennbar Texte aus der rechten Szene. ist das nur für Szenemitglieder. Andere »Es gibt ja Jugendliche bleiben außen vor. Die meisten viele Musikrichtungen, die Erwachsenen sowieso. |

Sie stehen auf Schwarz – und auf Neonazis: Auch die Dark-Wave-Szene hat einen extrem rechten Flügel.

24 Auf den zweiten Blick

Neonazis tragen ihre gestellt. Im privaten Raum gibt es jedoch nazistisch zu erkennen. Beliebt sind germa- Gesinnung nach außen – und keine gesetzliche Handhabe dagegen. nische Schriftzeichen, so genannte Runen. Bei fast keinem Aufmarsch fehlt die Viele haben bereits die Nationalsozialisten umgehen trickreich Verbote Reichskriegsflagge mit Adler und eisernem ideologisch vereinnahmt – so die doppelte Kreuz. Sie darf auch heute noch offen Sigrune, die Hitlers Waffen-SS als Zeichen gezeigt werden. Allerdings kann die Poli- nutzte. Sie ist heute verboten. Nicht straf- zei sie im Einzelfall sicherstellen, wenn die bar ist dagegen die Triskele, einst Erken- Wenn ein Neonazi auf offener Beamten »konkrete Gefahren für die öffent- nungszeichen einer SS-Division, die einem Straße den Hitler-Gruß zeigt, liche Sicherheit und Ordnung« sehen. dreiarmigen Hakenkreuz gleicht. An ein Die Rechtsextremisten lassen sich sich drehendes Hakenkreuz erinnert die eine Hakenkreuzfahne schwenkt immer neue Codes einfallen, um ihre brau- »Schwarze Sonne«, sie besteht aus zwölf oder »Heil Hitler« grölt, macht ne Gesinnung zu verschlüsseln. Sie nutzen Sigrunen und darf ebenfalls gezeigt wer- verschiedene Symbole, Zahlen, Buchstaben den. Auch das Keltenkreuz und der Thors- er sich strafbar. In Deutschland oder Bekleidungsmarken. Diese Zeichen hammer sind legale Zeichen, die in der Sze- sind diese Symbole, Gesten und sind erst auf den zweiten Blick als neo- ne neonazistisch umgedeutet werden. Ebenfalls beliebt sind Zahlen- und Parolen gesetzlich verboten. Buchstabendcodes. Dabei stehen die ver- wendeten Zahlen für die entsprechenden Das Strafgesetzbuch (StGB) sieht Die Buchstabenfolge »nsdap« im Label Buchstaben des Alphabets. Die 88 für in Paragraf 86a für das »Verwenden von »Consdaple« zieht Neonazis an. Kennzeichen verfassungswidriger Orga- »Heil Hitler« und die 18 für nisationen« eine Freiheitsstrafe von bis mittler- zu drei Jahren vor. Auch Kennzeichen, die »« sind Verwechslungen mit NS-Symbolen provo- weile geläufig. Weniger bekannt zieren, sind gesetzlich verboten. ist dagegen, dass die 28 in der Die Liste indizierter Zeichen, Paro- len und Grußformeln ist lang. Das heißt Szene das in Deutschland ver- allerdings nicht, dass sie nicht gebraucht werden. Im Gegenteil: In der Szene gehö- botene Neonazi-Netzwerk ren sie zum Alltag. Allerdings sind die »Blood & Honour« verschlüs- meisten Neonazis clever genug, sie nur in selt. Die 14 steht für die »14 Words« den eigenen vier Wänden zu zeigen. Auch Nazi-Devotionalien wie die Reichskriegs- des Rechtsextremisten David Eden Lane, flagge mit Hakenkreuz oder SS-Uniformen das in der Szene zu einer Art Glaubens- und Tätowierungen, die NS-Zeichen zeigen, bekenntnis geworden ist: »We must 25 werden in der Regel nicht offen zur Schau secure the existence of our people and Gemein ist den »Skins« ihre Glatze. Ihr Kleidungsstil huldigt einem Arbeiter-, Pro- leten- und Männlichkeitskult: Stiefel von »Doc Martens«, Jacken, T-Shirts und Pull- over von »Lonsdale«, »Fred Perry« oder »Ben Sherman« gehören zu den bekanntesten, in der Szene getragenen Marken. Einige der Firmen haben sich erfolgreich gegen die Verein- nahmung durch Rechts- extremisten gewehrt. Andere Labels weniger: »Pitbull« und »Troublemaker« sowie der Schuhfabrikant »New Balance« weisen eine Verbindung zum Rechtextre- mismus zwar von sich, betonen jedoch

»Schwarz-Weiß-Rot« fehlt auf keinem Aufmarsch: Drehendes Hakenkreuz: Neonazis wollen das »Deutsche Reich« wiederhaben – auch mit Gewalt. Die »Schwarze Sonne« ist auch unter Rechtsextremisten beliebt.

a future for white children« (»Wir müs- Bastarde«), es ist unter Hooligans wie sen das Bestehen unseres Volkes und die Rechtsextremisten beliebt. Letztere wan- Zukunft unserer weißen Kinder sichern«). deln die Abkürzung auch in AJAB ab. An Nicht nur mit Ziffern lassen sich eindeutig die Stelle des Wortes »Cops« (»Polizisten«) rechtsextremistische Aussagen verschlüs- tritt »« (»Juden«). seln: Auch durch ihr Outfit tragen viele Die Abkürzungen WAR und Neonazis ihre Einstellung ungestraft WAW steht für »White Aryan nach außen. Viele Kleidungsstücke, die , auf Deutsch »Wei- in der Szene beliebt sind, entstammen der Resistance« Jugendkultur der Skinheads. Sie hat ihren ßer Arischer Widerstand«. WP Ursprung in der britischen Arbeiterbewe- gung. Viele Skinhead-Gruppen sind erklär- bedeutet »White Power« (»Weiße termaßen unpolitisch oder links. Doch in Macht«). 26 Das Kürzel ACAB steht für »All Deutschland ist die Skinhead-Szene laut Cops Are Bastards« (»Alle Polizisten sind Verfassungsschutz klar rechts dominiert. zugleich, dass sie keinen Einfluss darauf werden gerne unter einer offen getragenen Symbole ideologisch um: Mit einem haben, wer ihre Waren trägt. Die branden- Jacke angezogen, so dass von dem Schrift- »Palästinensertuch« tragen sie ihren Anti- burgische Firma »Thor Steinar« wehrt sich zug nur »NSDAP« zu sehen ist. semitismus nach außen. Im Shirt mit dem gegen ihr – offenbar umsatzförderndes In den vergangenen Jahren kommt rechte Konterfei Che Guevaras wollen sie einem – rechtes Image eher halbherzig. Mode auch im »Gangster Style« daher. Sie »nationalen Volkshelden« huldigen. Daher Die Szene reagiert auf die Gegen- orientiert sich an der Hip-Hop- und Ska- muss man heute sehr genau hinschauen, rechts-Politik einiger Firmen mit der terbewegung. Hier bedienen Marken wie um die rechte Gesinnung der Träger sol- Produktion eigener Marken. Die Marken »Hatecore«, »Hate Crime« oder »Risizt« die cher Symbole zu erkennen. | »Dobermann«, »Walhalla« oder »MaxH8« rechte Käuferschicht. sind Beispiele. Beliebt in der Szene ist auch Viele Rechtsextremisten deuten auch »Consdaple«. Shirts mit dieser Aufschrift bisher eher in der linken Szene beliebte

Flaggen und mehr: Die meisten Extremisten wissen genau, was noch legal ist.

Auch verbotene Zeichen wie das Hakenkreuz gehören in der Szene zum Alltag. Sie werden jedoch nur in den eigenen vier 27 Wänden gezeigt – oder anonym im Internet. »Guten Abend, meine Damen und Herren.« Ein junger Mann Unterwegs im grauen Anzug und mit einem akkuraten Kurzhaarschnitt liest im »Weltnetz« Nachrichten vor einer Kulisse, die von der »Tagesschau« abge- kupfert ist. Im Internet findet sich jede licht oder die Existenz der Konzentrations- Er spricht über »Ausländerschwem- Menge brauner Propaganda lager geleugnet. Ein besonders zynisches me«, »Abzocke« und »Arbeitsplätze nur für Homepage-Logo spricht in Anspielung Deutsche«. Dabei hat der Mann erkennbar auf den Massenmord an Juden im »Dritten Mühe, seine Texte halbwegs verständlich Reich« von »sechs Millionen zufriedenen und fehlerfrei vorzutragen. begreifen, sprechen sie lieber von »Welt- Kunden«. Auch zu Gewalt gegen politisch netzseite« und »E-Post«. Was auf den ers- Andersdenkende wird aufgerufen. ten Blick dümmlich, aber harmlos daher- Diskussionsforen wie das »Wikin- kommt, ist Teil eines weit verzweigten und ger-Forum« sorgen für den Informati- gefährlichen Netzwerkes rechtsextremer onsaustausch und den Zusammenhalt in Aktivisten. Das Bundesamt für Verfassungs- der Szene. Auch zu konspirativen Treffen schutz geht von mehr als 1000 rechtsextre- wie illegalen Konzerten verabreden sich mistischen Internetpräsenzen in deutscher eingeweihte Neonazis via »Weltnetz« – in Sprache aus. Foren, die durch Passwörter abgeschottet Über viele dieser Internetauftritte sind. werden gewaltverherrlichende, antisemi- Deutsche Behörden haben meist tische und fremdenfeindliche Inhalte ver- wenig rechtliche Handhabe: Die Internet- Braunes Gewäsch macht in Blau: breitet. Auf einigen Internetseiten wird der seiten sind häufig in Ländern angemeldet, die sogenannte Nachrichtensendung der Nationalsozialismus auch offen verherr- mit denen die Bundesrepublik kein Rechts- Rechtsextremisten.

Was als laienhafte Kopie der ARD-Nach- Verbotene Zeichen für jedermann sichtbar: richten via Internet über den Bildschirm Internetseiten, deren Server im Ausland stehen, machen es möglich. flimmert, ist der Versuch, im rechts- extremen Lager eine eigene »Nachrich- tensendung« zu etablieren. Zunächst lief die »Sendung«über das Internetpor- tal »YouTube«. Nachdem »YouTube«- Kunden protestiert hatten, packte der Neonazi Christian Müller seine »Nach- richtensendung« kurzerhand auf eine eige- ne Homepage. Der gebräuchliche Anglizismus »Homepage« ist unter Neonazis allerdings 28 ebenso unbeliebt wie »E-Mail«. Weil sie sich als einzig wahre Hüter des »Deutschtums« stumpf ist, gehen zivile Initiativen einen anderen Weg: Aufklärung und – wenn mög- lich – massenhafter Protest lautet beispiels- weise das Motto der Organisation »jugen- schutz.net« aus Mainz, einer Einrichtung der Landesmedienanstalten. Hier werden Adressen von Internetseiten mit extremis- tischen Inhalten gesammelt, um gezielt Gegenaktivitäten zu starten. Zu diesem Zweck hat »jugendschutz.net« ein entspre- chendes Formular ins Netz gestellt.|

Hier können Internetseiten mit rechtsextremen Inhalten gemeldet werden: Brauner Humor? Eine rechtsextremistische Internetseite zeigt den verurteilten jugendschutz.net Volksverhetzer – vertieft in links orientierte Lektüre. Wallstraße 11, 55122 Mainz Telefon: 06 131/32 85-20 hilfeabkommen abgeschlossen hat. Polizei weit operierende Netzwerk »altermedia«: E-Mail: [email protected] und Staatsanwälten sind in diesen Fällen Dessen gleichnamiger deutscher Ableger Internet: www.jugendschutz.net die Hände gebunden. hat sich zum führenden Forum parteige- Auch deshalb warnt der niedersäch- bundener und »autonomer« Nationalis- sische Verfassungsschutz vor der Faszi- ten gemausert. Regelmäßige Kolumnen nation, die diese rechtsextremistischen des rechtsextremistischen Vordenkers Internetangebote für Jugendliche und Jürgen Schwab sind hier ebenso zu fin- Heranwachsende haben können. Denn den wie Beiträge des bundesweit aktiven Anführers aus Hamburg. die Kader der Szene wissen Drahtzieher und offenkundig Finanzier die pubertäre Suche nach des Netzwerkes »altermedia« ist der selbst- ernannte »weiße Nationalist« . Tabubruch und Regelverstoß Der Ku-Klux-Klan-Anhänger lebt im ame- geschickt für ihre Zwecke zu rikanischen Bundesstaat Louisiana und nutzen. Wohl auch deshalb tummeln hat mehrfach erfolglos für den US-Senat sich ihre »Anwerber« auf beliebten, kandidiert. Er hat offenkundig millionen- kommerziellen Internetplattformen wie schwere Sponsoren, die auch seine welt- dem »Studi-VZ« und dessen Jugend- weite Propaganda alimentieren dürften. ableger »Schüler-VZ« – eine riesige Ziel- Weil das juristische Schwert deut- gruppe für rechtsextreme Aktivisten. scher Strafverfolger im Kampf gegen in- 29 Eher an Erwachsene wendet sich das welt- ternational betriebene Hetzportale meist y y30 2. Das rechte Angebot Wie es sich in der braunen Welt lebt

z 31 Musik dient der rechtsextremen Szene nicht nur zur Unterhal- Musik tung – sie ist ihr Propagandamit- tel Nummer eins. Musik weckt hetzt Jugendliche Emotionen und ist eingängiger als politische Parolen. Auch in die Szene in Niedersachsen verbreiten Rechtsrocker ihre menschenver- Rechtsrock nur vor ihnen können die Neonazis auf der made in Niedersachsen Bühne offen ihre Hetzparolen grölen. achtenden Botschaften. In der Regel wird nicht einmal der Die Nacht ist dunkel und kalt. Am genaue Ort verraten, sondern nur ein letzten Wochenende im Januar 2007 haben »Schleusungspunkt«, meist eine Rast- oder sich schon an den Zufahrtsstraßen des hat nichts gegen die »Party« einzuwenden. Tankstelle. »Erst wenn sich die Veranstal- kleinen Dorfes Grauen bei Schneverdin- Rechtsextremistische Konzerte als »Party« ter sicher sind, dass die Ankommenden gen Polizisten postiert. Nur einige hundert auszugeben, ist ein gängiger Trick in der ›Kameraden‹ sind, verraten sie den genauen Meter entfernt stehen im Ort gleich Dut- Szene. Sie will den Behörden keine Chance Ort«, berichten Aussteiger. zende Einsatzwagen, die meisten rund um geben, die Musikveranstaltungen bereits 2006 fanden in Niedersachsen min- ein altes Bauernhaus. Dort feiern etwa 60 im Vorfeld zu verbieten. destens elf Rechtsrockkonzerte statt. Die Männer und Frauen angeblich den Geburts- Ähnliche Veranstaltungen finden Zahl der hierzulande ansässigen extrem tag des Neonazis Marcel S. Aus dem Gebäu- nahezu an jedem Wochenende irgendwo rechten Bands und Bandprojekte bezif- de dringt kaum wahrnehmbar Musik. im Bundesgebiet statt. Die Werbung für fern Experten auf knapp 20. Die nieder- Die Polizei vermutet hinter der die getarnten Rechtsrockkonzerte geht sächsischen Hetzmusikanten geben sich »Geburtstagsfeier« ein getarntes Rechts- über Mund-zu-Mund-Propaganda, E-Mail Namen wie »Agitator«, »Nordfront«, »Ter- rockkonzert. Doch sie muss die Extremisten oder SMS – und stets nur an eingeweihte roritorium« oder »Faktor Deutschland« gewähren lassen: Der Besitzer des Hauses Szenemitglieder. Nur sie sind willkommen, und sind weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Wie viele Bands es genau sind, können selbst Experten nur schät- »Musik« unter dem Hakenkreuz: Konspirativ organisierte Rechtsrockkonzerte zen. Die Szene ist kaum zu überschauen. finden bis heute an fast jedem Wochenende auch in Deutschland statt. Neu gegründete Bands werden meist erst wahrgenommen, wenn sie ihren ersten Tonträger veröffentlichen oder ihr erstes Konzert spielen. »Hinzu kommt, dass sich hinter verschiedenen Bandnamen teilwei- se dieselben Musiker verbergen«, sagt der Rechtsrockexperte Christian Dornbusch. Als Beispiel nennt er das Projekt »Gigi und die braunen Stadtmusikanten« um den Meppener Daniel »Gigi« Giese. Mit seiner »Schlagerband« bediente er sich ein- gängiger Stimmungsmelodien und dichtete 32 darauf rechtsextremistische Texte. Zugleich war er nach Angaben von Szenekennern Mitglied der Meppener Bandprojekte »Stahlgewitter«, »Saccara« und »In Tyran- nos«. Es werden ihm auch Verbindungen zu den »Zillertaler Türkenjägern« nachge- sagt. »Die rechtsextreme Jugendszene definiert sich weitgehend über Musik«, beschreibt Dornbusch die Bedeutung des Niedersächsische Hetzmusikanten krakeelen Rechtsrocks. »Die Musik ist das Binde- auf eigenen Alben und auch auf der NPD-»Schulhof-CD«. glied ihres sozialen Zusammenhangs.« Welche Art von Musik gespielt wird, ist ziemlich egal. Rechtsrock meint keinen Donaldson nannte Musik das Mittel, »das Annett Müller ist eine der wenigen Frau- musikalischen Stil, sondern Textinhalte. dem Kampf um das Überleben und Gedei- en in der deutschen Rechtsrockszene. Mit Dornbusch: »Wenn es rassistische oder hen der weißen Rasse gewidmet ist«. Die ihrem Ehemann Michael Müller schlägt antisemitische Fragmente gibt Waffen in diesem »Kampf« sind Schlag- sie auch härtere Töne an. »Faktor Deutsch- zeug und Gitarre. Rechtsrock wird auch die land« nennt sich das gemeinsame Projekt, oder der Nationalsozialismus »Einstiegsdroge« der Szene genannt. »Erst in der die eher ruhigeren Töne der beiden verherrlicht wird, werden Emotionen ausgelöst, der Inhalt Liedermacher rockigem Sound weichen – sprechen wir wird erst später wahrgenommen«, erklärt mit noch eindeutigeren Texten: »Wille und von Rechtsrock.« Dornbusch. Sieg, es lebe das Vaterland! Die Straßen frei kom- Auch die »Liedermacherin« Annett unseren Bataillonen! Die Stiefel schmettern Hunderte Neonazis Müller aus Bad Lauterberg verbreitet die auf Asphalt! Wille und Sieg, jeder kämpft men regelmäßig bei konspirativ braune Ideologie singend – so rechtfertigt auf seinem Posten und mag es auch das organisierten Konzerten zusammen. sie beispielsweise Rassismus: »Der Deut- Leben kosten!« Die Konzerte sind jedoch nicht nur für sche, so heißt es, ist ein Rassist, doch nein, Als »Faktor Deutschland« trat das den Zusammenhalt innerhalb der Szene das ist er wirklich nicht. Wir helfen gern, braune Paar unter anderem im Oktober wichtig. Musik gilt zugleich als wichtigstes doch irgendwann ist Schluss, weil auch 2006 an, als rund 900 Neonazis vor der Jus- Propagandamittel der Rechten, um Nach- irgendwann mal das Volk an sich denken tizvollzugsanstalt Berlin-Tegel »Freiheit für wuchs zu werben. »Musik ist das ideale Mit- muss. Vermischung pur ist das Ende vom Luni« forderten. »Luni« oder »Luni- tel, Jugendlichen den Nationalsozialismus Lied und es eine Minderheit an Deutschen näherzubringen. Damit kann Ideologie in Deutschland gibt.« Müller ist Direkt- koff« nennt sich Michael Regener, besser als in politischen Veranstaltungen kandidatin der NPD zur niedersächsischen ehemaliger transportiert werden«, sagte Ian Stuart Landtagswahl am 27. Januar 2008 und auf Sänger der Neo- Donaldson, 1993 verstorbener Sänger der Parteiveranstaltungen ein gern gesehener nazi-Kultband »Landser«. britischen Neonazi-Kultband »Skrewdri- und gehörter Gast. Die Partei verbreitet Die Band wurde im März 2005 ver« und Mitbegründer des im Jahr 2000 in zudem Müllers »Werke« auf ihren »Schul- Deutschland verbotenen Musiknetzwerkes hof-CDs«, die sie seit 2004 an Schüler zu als »kriminelle Vereinigung« 33 »Blood & Honour«. verteilen versucht. verboten. Unter anderem des- nazi-Band »Hauptkampflinie«; Bassist Auch die rechte Hooligan-Band »Katego- halb ging Regener in den Knast. Johannes »Hansel« Wiesemann marschiert rie C – Hungrige Wölfe« um den Bremer bei Demonstrationen oft mit der NPD Hannes Ostendorf gab in Berlin Kostpro- »Faktor Deutschland« war nicht die Göttingen; Sänger Oliver »Olli« Keudel ben ihres zweifelhaften Repertoires. Somit einzige Band, die die »Soli-Demo« musi- outete sich auf einem 2005 erschienenen bestritten ausschließlich Rechtsrocker aus kalisch umrahmten. Auch »Agitator« aus Album freimütig: »Ich bin mit Leib und Niedersachsen und Bremen das »Soli-Kon- Göttingen spielten. Die 2004 gegründete Seele Nazi.« In einem anderen Song singt zert« in der Bundeshauptstadt. Nachdem Band hat sich mit zahlreichen Konzerten er von einem »imaginären« Freund, der aus »Agitator«-Sänger »Olli« ins Mikro gegrölt zweifelhafte Popularität erworben. Die der Szene aussteigen will: »Ja, wir können hatte: »Ich bin stolz, ein Nazi zu sein«, wur- Musiker sind auch anderweitig in der Sze- doch gute Freunde bleiben, hat er zu mir de er festgenommen – da war das Konzert ne unterwegs: Schlagzeuger Timo Schu- gesagt, leider hatte ich in dem Augenblick allerdings schon vorbei. | bert spielte zuvor in der populären Neo- die Knarre nicht parat.«

Hetzen gemeinsam auf der Bühne: Hannes Ostendorf, Sänger der rechten Hooligan-Band »KC – Hungrige Wölfe« aus Bremen, und Oliver Keudel, Sänger der Neonazi-Band »Agitator« aus Göttingen.

34 Sammelbecken militanter Neonazis Stilrichtungen zu sammeln und zu einer Bewegung zusammenzuführen – nicht nur »Blood & Honour« war die zynische Konsequenz aus der in der Musik, sondern auch im Kampf«. wurde 2000 in Deutschland nationalsozialistischen Rassenlehre. Mitglieder veranstalteten in der Folgezeit in »Blut und Ehre« stand auch eingraviert Norddeutschland paramilitärische Wehr- verboten auf den Fahrtenmessern, die die Mit- sportübungen. glieder der Hitler-Jugend bei sich trugen. Die Neonazis lehnten sich allzu offen »Blood & Honour« wurde 1987 in an den Nationalsozialismus an: Im Septem- Schon der Name nimmt Bezug Großbritannien gegründet. Die Organi- ber 2000 wurden »Blood & Honour – Divisi- auf das NS-Regime: »Blood & sation entwickelte sich rasch zu einem on Deutschland«, deren »Untersektionen« Sammelbecken rechtsextremer Skinheads. und »White Youth« verboten. »White Youth« Honour«, zu deutsch »Blut und Eines ihrer Ziele war, Rechtsrockbands zu (»Weiße Jugend«) hieß die Jugendorganisa- Ehre«, spielt auf die so genann- vernetzen. Ihre Musik sollte die braune Pro- tion von »Blood & Honour«. | paganda transportieren. In den folgenden ten »Nürnberger Gesetze« aus Jahren gründeten sich in anderen Ländern Ableger von »Blood & Honour«. dem Jahr 1935 an. Während eines Treffens im Oktober Das »Gesetz zum Schutz des deut- 1998 gab »Blood & Honour« Deutschland schen Blutes und der deutschen Ehre« die Losung aus: »Patrioten verschiedener

»Blood & Honour« agiert international – und in anderen Ländern bis heute legal.

35 Die Stadt im Hintergrund ist zerbombt. Vermummt und mit Trotz Verbot verschränkten Armen präsen- tieren sich die Männer der 2001 nicht tot? gegründeten Gruppe »Gladiator – Germania« auf ihrer Internet- seite. »Gloria et Patria« (»Ehre Vieles deutet darauf hin, Honour« gegründet. Die Ziffer 18 steht für und Vaterland«) heißt es da. dass »Blood & Honour« in den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets und damit für die Initialen Adolf Der Begriff »Gladiator« taucht in der Deutschland weiter existiert Hitlers. Die Gruppe wird für eine Reihe von braunen Szene auch in anderem Zusam- Mordversuchen und Anschlägen auf poli- menhang auf. In dem von dem Neonazi- tische Gegner verantwortlich gemacht. Sie Netzwerk »Blood & Honour« herausgege- Auch andere Kader von »Blood & Honour« sammelt zudem Informationen über poli- benen Pamphlet »The Way Forward« (»Der blieben nach dem Verbot aktiv. Zwar brach tische Gegner der Neonazis. International Weg vorwärts«) ist »Gladiator« die Bezeich- für die Neonazis ein wichtiger Teil ihrer in die Schlagzeilen geriet »« nach nung für »Blood & Honour«-Aktivisten. bundesweiten Vernetzung weg, dennoch einer Reihe von Anschlägen in London, bei Nach dem Vorbild der Waffen-SS sollen die sind gerade in Norddeutschland ehema- denen selbstgebaute Nagelbomben ein- »neuen Legionen arischer Gladiatoren« den lige Aktivisten noch heute im Rechtsrock- gesetzt wurden. Sechs Menschen starben, »Kampf« aufnehmen. geschäft tätig. Und auch bei »Combat 18«, mehr als 150 wurden zum Teil erheblich Im September 2000 wurde die »Blood dem »bewaffneten Arm« der verbotenen verletzt. & Honour – Division Deutschland« verbo- Organisation. In Deutschland durchsuchten Poli- ten. Doch noch ein Jahr später organisier- »Combat 18« wurde zu Beginn der zisten im Oktober 2003 die Wohnungen te Sebastian St. – Gründungsmitglied von 1990er Jahre im Umfeld von »Blood & von Neonazis – unter anderem im schles- »Gladiator – Germania« und rechte Hand des ehemaligen »Blood & Honour«-Aktivis- ten Sascha B. – in der Festhalle des Schüt- Die 28 steht in der Szene für »Blood & Honour«. zenvereins Tostedt ein Gedächtniskon- zert für den 1993 verstorbenen »Blood & Honour«-Gründer, . »Ian-Stuart-Memorial-Konzerte« gelten in der neonazistischen Szene als Highlights. Knapp 500 Rechts- extremisten wurden 2001 zu dem konspirativ organisierten Konzert in Tostedt geschleust, und vermummte Männer bewachten den Eingang. Erst kurz vor Mitternacht versuchten eilig herbeigezogene Polizei- 36 kräfte, die Veranstaltung aufzulösen. Da war das Konzert bereits zu Ende. wig-holsteinischen Landkreis Pinneberg bei Hamburg. Sie beschlagnahmten unter anderem eine Pumpgun, Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen und »Steck- Auch deutsche Neonazis »gedenken« briefe« politischer Gegner. Im Visier hat- heute noch »Blood & Honour«-Gründer ten die Ermittler Mitglieder von »Combat Ian Stuart Donaldson. 18 Pinneberg«. Zum Umfeld dieser Gruppe gehörten ehemalige Mitglieder der verbote- nen »Blood & Honour Sektion Nordmark«. mit der Zahl 28 abgebildet. Auch Hannes F., einst aktiv in der »Blood & Honour Sektion Niedersachsen«, ist mit der Die Ziffer codiert die Buch- Gruppe »Combat 18 Pinneberg« vertraut: In staben B und H für »Blood & seinem Auftrag soll die Gruppe abtrünnig Honour«. Ein großes Polizeiaufgebot ver- gewordene »Blood & Honour«-Aktivisten in hinderte nur wenige Wochen später ein wei- Niedersachsen abgestraft haben. teres Konzert in Neufeld. Doch der Verfas- Anders als »Blood & Honour« ist sungsschutz scheint dennoch guten Mutes: »Combat 18« nicht verboten, darf jedoch Es gebe keine erkennbare Fortführung von nicht beworben werden. Auf Hemden und »Blood & Honour« in Deutschland, heißt es Aufnähern ist der Schriftzug dennoch ein aus der Behörde. | Erkennungszeichen, das Neonazis gerne tragen. Im Frühjahr 2007 gab es im schleswig- holsteinischen Neufeld ein »Combat 18«-Konzert, für das europaweit geworben wurde. Auf dem Flyer waren neben dem »Combat 18«- Schriftzug zwei Billardkugeln

37 Das Herz schlägt schnell, der Mund ist trocken. Die Klinke zu Was des drücken, kostet Überwindung. Gibt es nicht doch einen zwin- militanten Neonazis genden Grund, dem eigenen Widerwillen nachzugeben – und Herz begehrt einfach umzukehren? Hinter dem abgedunkelten Eingang Stefan Silar vertreibt im Abseits steht: Werder Bremen, Hertha einschlägige Bekleidung und BSC Berlin, Borussia Dortmund und der FC wartet schließlich eine andere, St. Pauli verwehren Zuschauern mit »Thor von Gewalt und Menschenver- CDs: ein Testkauf in Steinar«-Bekleidung den Zutritt in ihre Sta- dien. »Thor Steinar« – im »aktionsorien- achtung geprägte Welt. Zu spät. »Norddeutschlands größtem tierten Rechtsextremismus beliebt«, wie der Die Tür gibt nach, die Schwelle Szeneladen« Verfassungsschutz Berlin und Brandenburg schreibt – bekam zuletzt auch vom Ham- ist überschritten. »Hallo, kann burger SV die rote Karte gezeigt. ich helfen?«, fragt eine freund- möglichst unverfängliches T-Shirt als Bei »Streetwear Tostedt« hängen Geschenk« erwerben zu wollen, irritiert den trotzdem Poster von HSV-Spielern: Silar liche Stimme. »Wohl kaum«, Verkäufer und Inhaber in Personalunion. ist HSV-Fan, und so entwickelt sich zwi- liegt auf den Lippen. »Ja«, lau- »Was heißt hier nicht verfänglich?«, fragte schen dem Verkäufer und dem Werder der kurzgeschorene Mittdreißiger mit Tat- favorisierenden Kunden ein Smalltalk tet die Antwort. Auftakt eines too im Nacken. Der Hinweis »irgendetwas über das nahende Nordderby. Während- bizarren Einkaufs. mit Fußball« hilft, derlei gibt es gleich am dessen schweift der Blick durch die beiden Eingang. An einem Ständer hängen Shirts Verkaufsräume: aufgeräumt, zweckmä- Tostedt, Ortsteil Todtglüsingen: von »Thor Steinar«. Die Marke ist bei rech- ßig eingerichtet und geräumiger, als die Hier, am Nordrand der Lüneburger Hei- ten Hooligans und Rechtsextremisten ein Außenansicht des Ladens vermuten lässt. de, befindet sich »Streetwear Tostedt«. Im gängiges Erkennungszeichen, weshalb Welche Gesinnung dahinter steckt, macht einzigen Schaufenster steht eine Puppe sie keineswegs als »unverfänglich« gilt, auch ein Inter-Mailand-Trikot an der Wand in Armeeuniform, dazu liegen ein paar sondern bei einigen Fußballklubs längst deutlich, auf dem die Nummer 88 prangt. »zivile« Bekleidungsstücke aus. Der Ein- In der Szene steht die Ziffer 8 für den achten gang ist mit schwarzer Folie beklebt. In der Von außen eher unscheinbar: der Szeneladen Buchstaben des Alphabets, die 88 für »Heil direkten Nachbarschaft sind keine weiteren des Neonazis Stefan Silar. Hitler«. Geschäfte zu sehen, Laufkundschaft dürfte Dem Unbedarften erschließt sich nicht daher kaum zum Umsatz beitragen. Von sofort, um wen und was es bei »Streetwear außen wirkt »Norddeutschlands größter Tostedt« geht. Das gilt auch für den Szeneladen«, so die Werbung im Internet, unscheinbar. Doch dem niedersächsischen so hilfsbereiten Verkäufer und Verfassungsschutz ist »Streetwear Tostedt« Inhaber. als Anlaufstelle für Rechtsradikale, Skin- Stefan Silar wurde heads und Neonazis bekannt. im Jahr 1992 vom Landge- 38 Das Verkaufsgespräch kommt nur stockend voran. Der Wunsch, »ein richt Stade zu sechs Jahren Haft verurteilt. Mit 19 Jahren hatte er am Buxtehuder Bus- ehemaliger Sänger Michael Regener alias Für den Hausgebrauch solcher Musik bahnhof mit einem weiteren »Luni« verbüßt derzeit eine mehrjährige verkauft Silar eine Reihe CDs, die direkt Haftstrafe, unter anderem wegen Volks- neben der Kasse stehen. Eine Liste der Täter einen Mann erschlagen, verhetzung. Seinem einsitzenden »Blood & Silberlinge enthält der Internetshop von der auf Hitler geschimpft Honour«-Kumpanen scheint Silar verbun- »Streetwear Tostedt«. Bands wie »Kom- den, ein Plakat im Ladeninneren fordert mando Skin« und »Gigi und die braunen hatte. Nach seiner Haftent- »Freiheit für Luni«. Stadtmusikanten« oder Albentitel wie »Eine lassung wurde Silar einer der Käme »Luni« Anfang 2008 frei, Prise Terror« und »Weiß und rein« lassen könnte er in Silar einen Auftraggeber keinen Zweifel am tonangebenden Pro- Anführer von »Blood & Honour«. Zu dem finden. Silar ist laut niedersächsischem gramm – mit dem sich offensichtlich Geld im Jahr 2000 verbotenen Netzwerk mili- Verfassungsschutz »immer wieder als verdienen lässt: Silars Laden existiert nun tanter Rechtsextremisten vermerkt der Bun- einer der bedeutenderen Veranstalter von schon seit zwei Jahren. Doch »Streetwear desverfassungsschutz: »Die Organisation Rechtsrockkonzerten in Erscheinung ge- Tostedt« habe über den kommer- versucht, der Zersplitterung der Skinhead- treten«. Schon deshalb nehme man »seine Szene entgegenzuwirken und sie durch Aktivitäten aufmerksam zur Kenntnis«, ziellen Gesichtspunkt hinaus neonazistische Musik zu beeinflussen.« erklärt Behördensprecherin Maren Bran- Bedeutung, Das Frotzeln über den jeweils ande- denburger. sagt Brandenbur- ren Fußballverein ist beendet. Ohnehin kam das Gespräch nur schleppend voran, Im Sortiment des Tostedters: das bei Rechtsextremisten beliebte Label »Thor Steinar«. zu sehr blockiert das Wissen um Silars Gewalttaten und extremistische Aktivi- täten. Der wiederum widmet sich nun einem etwa 16-Jährigen. Offensichtlich ist der Jugendliche zum »Abhängen« gekom- men, kaufen jedenfalls will er nichts. Die beiden unterhalten sich. »Na, hast du gestern auf die Fresse bekommen?«, fragt Silar. Mehr ist nicht zu verstehen, den Rest des Gespräches übertönt die Musik, die aus Gegröle und brachialem Bearbeiten von Schlagzeug und elektrischen Gitarren besteht. Die passenden T-Shirts »Terroris- ten mit E-Gitarre – Braune Musik Fraktion« gibt es hier von der Stange. »Terroristen mit E-Gitarre« nannten sich die »Musiker« der Neonazi-Kultband »Landser«. »Landser« wurde im Jahr 2001 39 als kriminelle Vereinigung verboten. Ihr T-Shirts hin. Vermutlich werde »Combat 18« bald verboten, deshalb werde er die- se Shirts auch nicht mehr nachbestellen. Auf dem zweiten Hemd sind Soldaten bei einer nationalsozialistischen Massenkund- gebung zu sehen. Na ja, meint Silar, dazu und zum Aufdruck »Ein Volk… sein Reich!« brauche er ja wohl nichts zu sagen. Der Kunde besteht auf seiner Wahl, 30 Euro wandern über den Tresen. Erleichtert geht es zum Ausgang. Da ruft Silar: »Kann ich noch mal was sehen?« Schlagartig steigt Alles andere als unverfänglich: Shirts, die für »Combat 18« werben. ein ungutes Gefühl auf, die Schritte zurück zur Kasse sind zögerlich. Fliegt der Test- ger, etwa als »gewisse Kom- Honour« gegründet und in England für kauf auf? Nein. Der Geschäftsmann hat mehrere Anschläge verantwortlich gemacht nur vergessen, die Größen der verkauften munikationsplattform«. – verübt unter anderem mit Briefbomben. T-Shirts zu notieren. Denn Ordnung muss Tatsächlich bietet das Geschäft ideale Für eine deutsche Combat-18-Gruppe soll sein. | Bedingungen, um sich ungestört auszutau- Silar abtrünnige »Blood & Honour«-Mit- schen. In die Abgeschiedenheit des 3200 glieder abgestraft und dafür eine Verurtei- Einwohner zählenden Ortsteils Todtglüsin- lung wegen Körperverletzung bekommen gen verirrt sich nur der Kunde, der den Kon- haben. takt sucht, sich über den Laden informiert Ohne ins Detail zu gehen, weist Silar hat und das spezielle Sortiment nachfragt. seine scheinbar unbedarfte Kundschaft fast Silar kann in einem legalen, öffentlichen fürsorglich auf die »Verfänglichkeit« des Alles andere als ein freundlicher Verkäufer: und doch diskreten Rahmen seine Verbin- Stefan Silar nimmt 2007 an einer illegalen dungen zu Gesinnungsgenossen pflegen. Braune Ware aus dem »Weltnetz«: NPD-Demonstration in Oldenburg teil und »Streetwear Tostedt« bildet einen Anlauf- Silar preist seine Artikel auch online an. wird in Gewahrsam genommen. punkt, der Struktur und Organisation der rechten Szene zugute kommen dürfte. Inzwischen hat sich die Kundschaft mit dem Wunsch nach einem »möglichst unverfänglichen« T-Shirt für zwei über- aus verfängliche entschieden. Silar ist ver- wundert. Auf eines der Hemden ist »Com- bat 18 – Parcel Service« und ein Paket mit 40 Dynamitstangen gedruckt. »Combat 18« wurde als bewaffneter Arm von »Blood & Braune Geschäfte

Auf Einkaufstour räumt er ein, dass die meisten von »Leuten Munsters Fußgängerzone gleich auf zwei durch Niedersachsen aus der Szene« gekauft werden. Ihm ist das dieser Sorte. Das Tattoo- und Piercingstu- egal – solange die Kasse stimmt. dio »Bulletproof« mit dem angeschlossenen Knapp 60 Kilometer weiter südöst- Militarygeschäft »Dezentral«. Geleitet wer- lich wird man im »Militariashop« in Soltau den die beiden Läden unter anderem von Braune Mode für jedermann. fündig. In dem Geschäft und über einen Hannes K. Er soll dem in Deutschland im Nicht nur Neonazis verkau- Online-Versandhandel werden historische Jahr 2000 verbotenen Neonazi-Netzwerk Militaria aller Art angeboten – darunter »Blood & Honour« angehört haben. fen szenetypische Bekleidung. Orden, Abzeichen und Uniformen aus der Offen liegen im Tattooshop Fotoal- Auch herkömmliche »Armycen- Zeit des NS-Regimes. Es gibt auch Uni- ben mit Bildern der gestochenen Arbeiten formen von Hitlers Waffen-SS. Nachge- und Tattoovorlagen zur Ansicht aus. Indi- ter« oder »Militaryshops« han- macht oder original. deln mit braunen Modemarken Für die Devotionalien mit Kultsta- tus in der braunen Szene muss man tief und NS-Devotionalien. In Nie- in die Tasche greifen. Allein eine original Ein Faible für Waffen und Uniformen dersachsen ist es ganz einfach, Anzughose kostet mehrere hundert Euro. haben nicht nur Militärfans, auch viele Obwohl laut Betreiber vornehmlich The- Neonazis teilen diese Leidenschaft. sich szenemäßig einzukleiden. ater- und Filmproduktionen auf den Fun- Björn S. ist Geschäftsmann. Er dus zurückgreifen, lässt er zweifellos auch nennt sich »waschechter Kapitalist«. In rechte Sammlerherzen höherschlagen. Das seinem »Armycenter« in Zeven verkauft ist den Angestellten offenbar völlig klar. er alles, womit er Geld machen kann: von Der Verkäufer jedenfalls klärt die Kunden herkömmlicher Freizeit- und Berufsbeklei- gerne auf: In den eigenen vier Wän- dung, Camping- und Outdoor-Zubehör über Bundeswehr- und Armeekleidung bis den dürfe man ein ganzes Zimmer zu Messern und diversen »Accessoires«. voll mit solch »historischen Stü- Neben einer Reihe herkömmlicher Marken finden sich in seinem Sortiment cken« haben und »sogar Rechtsrock auch in der rechten Szene einige beliebte hören«, ohne sich strafbar zu machen. Labels wie »Thor Steinar«, »Lonsdale« »Unpolitische« Läden wie diese sind und »Fred Perry«, es gibt Aufnäher mit profitorientiert. Wer die Sachen kauft, den Schriftzügen »Skingirl«, »Skinhead«, ist den Inhabern gleichgültig. Es gibt in »Odins Volk« oder der Neonazi-Kultband Niedersachsen allerdings auch Geschäfte »«. Der Geschäftsmann weiß anderer Qualität – mit guten Verbindungen sehr genau, wer die Artikel gerne kauft. in die organisierte rechtsextreme Szene. 20 41 Angesprochen auf den Absatz dieser Artikel Kilometer östlich von Soltau stößt man in zien für die Szeneverbindung der Betreiber sind nicht nur die tätowierten heidnischen Götter, germanische Runensymbole oder Bilder von Wehrmachtssoldaten. Eine Mustervorlage ist ein Ausdruck aus dem Internetauftritt der neonazistischen Kame- radschaft »Snevern Jungs«. Als Piercer bei »Bulletproof« arbeitet Marcel U. Er soll Ver- bindungen ins Kampfsportmilieu pflegen. »Fight Nights« mögen nicht nur Kampf- Rechtes vom Grabbeltisch: Zu einem guten Teil finanziert sich die Szene durch Merchandising. sportfanatiker, sie sind auch bei Neonazis beliebt. Der benachbarte Armyshop »Dezen- verkauft Inhaber Thomas W. zudem rechte des niedersächsischen Labels »Max H8« Mode. Die Internetseite des Tätowierers ist an. Der Name bedeutet »Maximum Hate« tral« versteht sich als »Der spezielle mit dem Internetshop verlinkt. Darauf ist – maximaler Hass. Zugleich verschlüsselt Laden – für spezielle Ausrüstung« der Hinweis auf einen zweiten Laden glei- »H8« die Ziffer 88, die in der Szene eben- und hat nach eigenen Angaben chen Namens – im sachsen-anhaltinischen falls für »Heil Hitler« steht. Halberstadt. Dort haben im Sommer 2007 Inhaber der »Textilfirma« ist Marc Ausrüstung »von Soldaten für mehrere einschlägig bekannte Neonazis S. aus Cremlingen bei Braunschweig, der Soldaten«. Mehr noch: Unter eine Gruppe Schauspieler krankenhausreif Mode »made in Niedersachsen« produziert geschlagen. und über einen Versandhandel vertreibt. Er dem Titel »Combat and Survival Neben dem eindeutigen Neonazi- bekannte sich in einem Interview für die School« und »Warrior Survival label »Hate Hate«, bei dem die Anfangs- rechtsextreme Kampagne »Schöner leben buchstaben als Code für »Heil Hitler« gel- mit Naziläden« offen zu seiner Gesinnung. School« bietet der Inhaber neben ten, bietet der Inhaber unter anderem Mode Seine Ware verkauft er mit Hilfe nieder- Überlebenstrainings auch Ausbil- sächsischer »Geschäftsmänner« – und via Internet weit über die Landesgrenzen hin- dungen zum Scharfschützen an. Brauner Geschäftsmann: Marc S. marschiert aus. Damit ist die braune Mode nicht nur in In der Garnisonsstadt soll das offenkundig bei zahlreichen Neonazi-Aufmärschen mit. Niedersachsen angekommen, mittlerweile vor allem Soldaten ansprechen. Aber Mitar- wird sie hier auch produziert. | beiter des Armyshops beteiligten sich auch schon an »Wehrsportübungen«, an denen auch Neonazis Interesse zeigten. Ähnlich wie in Munster wird auch in Seesen die rechte Gesinnung in »Pit’s Tattoo«-Studio nicht nur in die Haut gesto- 42 chen. Über das integrierte Ladengeschäft und den Onlineshop namens »Ragnarök« Keine Lust auf Abwaschen

Lara war ein Jahr lang in einer rechten Clique

Man sieht es ihr nicht an. Lara* war ein Jahr lang in einer rechten Clique. Sie ist 18 und stammt aus einem Dorf in Niedersachsen. Keines der gängigen Klischees trifft auf sie zu – im Gegenteil. Mit ihren gefärbten Haaren, ihrem Piercing und den groß- Ohne Fahne »ganz normal«: Gerade vielen jungen Frauen en Ohrringen könnte sie auch sieht man ihre rechtsextreme Gesinnung nicht an. als jemand durchgehen, der Dabei war ihr Einstieg in die rechte Szene tisch«. Auf der Party lernte Lara eine rechte eine Partei links der SPD wählt. eher der lange Zeit übliche. Noch in den Clique aus Bremen kennen. In einen der »Wir sahen alle ganz normal aus«, 1990er Jahren gingen Rechtsextremismus- Bremer verliebte sie sich. Von nun an nahm berichtet sie. »Keiner hatte kurze Haare forscher davon aus, dass die meisten Mäd- sie an Demonstrationen teil, besuchte das oder so.« Auch beim Thema Mutterkult, das chen wegen ihres bereits rechts orientierten »Pressefest« der NPD-Postille »Deutsche für viele rechte Frauenorganisationen eine Partners zum ersten Mal Kontakt zur Szene Stimme«. Auf dem alljährlichen Großereig- große Rolle spielt, zuckt sie mit den Schul- bekommen. »Das ist das Klischee«, bestä- nis der Szene gibt es Rechtsrockkonzerte, tern. »Das gibt es, ja«, sagt sie, »aber ich tigt die Pädagogin und Rechtsextremis- Infostände und jede Menge Szeneartikel. hab nur ganz gewöhnliche Mädels kennen musexpertin Renate Feldmann. »Doch in Lara verteilte auch Aufkleber und Flugblät- gelernt, die auf Partys gingen und einfach Wahrheit sind es auch oft Geschwister oder ter. Auch ihre Freunde orientierten sich nun ihren Spaß haben wollten.« Freunde, die zum Einstieg führen.« mehr und mehr an den Bremern. Genau betrachtet ist bei Lara beides Auch andere Erfahrungen, die Lara richtig. Vor zwei Jahren besuchte sie mit gemacht hat, entsprechen Klischees. So die einem ihrer Freunde eine Party. Die Mäd- zahlenmäßige Überlegenheit der Männer, * Neben dem Namen hat die Redaktion zum chen und Jungen, die sie bis dahin kannte, Kenner der Szene sprechen von 80 Prozent Schutz der jungen Frau Details ihrer Biogra- hatten zwar auch zuvor »teilweise rechte männlichen Anhängern. Auch dass die 43 fie verändert, die nicht sinnentstellend sind. Ansichten, doch keiner von ihnen war poli- Männer politisch »engagierter« seien als die Frauen, bestätigt Lara. Trotzdem wurde Lara bald tonan- gebend – allerdings nur daheim in ihrer Dorfclique und nicht bei den Bremern. »Es war eine Zeit lang so, dass alle gemacht haben, was ich woll- Unter Machos: Viele Männer in der Szene sehen Frauen nicht als gleichberechtigt an. te. Und ich habe immer gemacht, Skinhead-Band »Kruppstahl«: »Reene, oh Seite gerissen. ›Du redest mit niemandem‹, was die wollten.« Reene, hast du heute Zeit für mich? Komm hat er mir gesagt.« Erniedrigende Szenen Dass ein Mädchen in einer rechten vorbei, dann fick ich dich.« Renees ist ein weiß sie auch von einer Party zu erzählen, Clique das Sagen hat, ist eher ungewöhn- Szenebegriff für weibliche Skinheads. auf der sie mit Bremer »Kameraden« war. lich. Zwar nehmen viele Männer »das große Feldmann bestätigt die Sexualisie- »Das Mädchen, das wir besuchten, war Potenzial der Frauen« wahr, erklärt Renate rung von Frauen in der »braunen Subkul- nicht sonderlich beliebt. Einer der Männer Feldmann. »Sie wissen, dass die Frauen eine tur«: »In den Liedtexten, die von Männern hat ihr auf die Zahnbürste gepinkelt und in wichtige Rolle spielen, weil die Szene durch gemacht wurden, tauchen Frauen überwie- den Kleiderschrank gekotzt.« sie stärker wird.« Die Journalistin Alexan- gend als Sexobjekte auf.« Frauenbands der Lara hat ein für alle mal genug von der dra Frank schreibt, Frauen würden bei rechten Szene texten ganz anders: »Da ist Szene. Vor einem Jahr hat sie den Veranstaltungen auch bewusst nach vorn von gleichberechtigten ›Kameradinnen‹ die gestellt, »weil sie sympathisch aussehen Rede«, sagt Renate Feldmann. Kontakt abgebrochen. »Ich habe und deeskalierend wirken«. Auch Lara hat Als gleichberechtigte »Kameradin« »Seit rasch festgestellt, dass ihre »Kameraden« wurde Lara lediglich in ihrer Dorfclique nachgedacht«, sagt sie. sie und ihre weiblichen Kolleginnen ger- angesehen. Von den Bremern habe sie des ich in der Ausbildung bin, bin ich ne vorschickten, wenn es ums Flugblatt- öfteren »geh abwaschen« oder »mach uns nicht mehr dabei.« verteilen ging. »Die haben gesagt, zieht was zu essen« zu hören bekommen, erzählt Ihre selbstständige euch einen Minirock an und tragt ein tiefes Lara. Sie sei aber selbstbewusst genug Art entsprach ohnehin nicht dem Frauen- Dekolletee, das kommt besser an.« gewesen, sich nichts vorschreiben zu las- bild, das viele ihrer »Kameraden« vertraten. Laras Erfahrung verrät viel über das sen. »Mach dir doch selbst was zu essen«, Anonym bleiben will sie dennoch. Das habe wahre Frauenbild vieler rechter Männer, habe sie dann gesagt. allerdings nichts mit mangelndem Selbst- vor allem in der Szene der neonazistischen Ihre Eigenständigkeit und ihre bewusstsein zu tun. »Ich weiß nicht, ob die »Kameradschaften«. Sie und ihre Freun- Selbstsicherheit haben nicht alle gern mir was tun würden.« Und darauf will sie es dinnen seien »bei den Bremern schon gesehen. Bei einer Demonstration habe nicht ankommen lassen. | eher als Sexobjekt angesehen« worden, sie einmal ein Journalist angesprochen, 44 berichtet sie. Das Frauenbild spiegelt auch berichtet sie. »Bevor ich den Mund aufma- der Rechtsrock wider, so singt die rechte chen konnte, hat mich ein ›Kamerad‹ zur »Karriere« nicht ausgeschlossen

Die Szene will sich mit sind sich einig: »Am Thema Mütterlichkeit stark auf«, erläutert Bitzan. In der GDF Frauen schmücken kommen die rechten Frauenorganisationen gebe man sich unauffälliger und bürgerli- nicht vorbei.« Viele Frauen sehen die Mut- cher. Die Frauen sind in Regionalgruppen terrolle als zentral an, und diese Rolle stehe aufgeteilt. Auf ihrer Internetseite nennen in ihrer Bedeutung den Aufgaben der Män- sie sich etwas »Besonderes«. Die »freiwil- Der Heimat nur am Herd zu ner in nichts nach. In dem Artikel »Stellung lige Unterordnung unter die Gemeinschaft dienen, das war einmal. Für ihr der Frau« im Internetauftritt der GDF heißt und das Volk« sei die zentrale Aufgabe der es: »Mann und Frau sind eine sich ergän- Frauen. Dazu kommt der Erziehungsauf- großes Ziel einer »nationalen zende Einheit. Wo sie zusammen wirken, trag. Seine Bedeutung spiegelt sich auf der Revolution« lassen die Neonazis gedeihen die Sippe und das Volk.« Kinderseite der GDF wider, der »Zwergen- Dennoch hat sich die Szene verän- post«. auch Frauen mitmachen. Rechts- dert. »Sie entwickelt sich weiter – und das Um die Mutterrolle geht es auch im extreme Frauenorganisationen schlägt sich in vielen Angeboten nieder«, rechtsextremen »Ring Nationaler Frauen« sagt Renate Bitzan. Mädchen können bei (RNF). Stella Palau, RNF-Sprecherin und versprechen eine politische »Kar- »Mädelringen« und der »Heimattreuen NPD-Bundesvorstandsmitglied, schreibt riere«. Deutschen Jugend« (HDJ) mitmachen – da im Februar 2006 in der NPD-Postille »Deut- geht es völkisch zu. Die Älteren will die sche Stimme«, wichtig seien ihr die »altbe- »Es ist Zeit, dass die Frau sich gegen GDF anlocken. »Sie geht in eine ähnliche währten Werte« des deutschen Volkes. Der die Emanzen absetzt und ihre natürlichen Richtung, aber Stereotype treten nicht so RNF wurde 2006 als Frauenorganisation und geistigen Bedürfnisse in Einklang der NPD gegründet und will ein »partei- bringt«, heißt es blumig in dem Artikel Sie kann auch anders: Bei einem übergreifender Dachverband für nationale »Was sind eigentlich Emanzen?« auf der Neonazi-Aufmarsch trat Ricarda Riefling als Frauen« sein. »Die machen auf den ers- Homepage der rechtsextremen »Gemein- Hetzrednerin auf. schaft Deutscher Frauen« (GDF). Die mit- ten Blick einen bürgerlichen gliederstärkste Frauenorganisation in der wählen eher braunen Szene gilt auch als die aktivste. Eindruck, seriöse Sie wurde 2001 als Nachfolgeorganisation Politikformen und würden des »Skingirl Freundeskreis Deutschland« nicht unbedingt im Trachtenlook (SFD) gegründet und zieht vor allem jene rechten Frauen an, die politisches Enga- rumlaufen«, erläutert Bitzan. gement mit der traditionellen Mutterrolle So versteht auch RNF-Frau Ricarda verknüpfen wollen. Riefling aus Coppengrave bei Hildesheim Die Pädagogin Renate Feldmann und ihr Engagement. Die Mutter zweier Kinder die Politikwissenschaftlerin Renate Bitzan ist die Noch-Ehefrau des »Kameradschafts- beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem anführers« Dieter Riefling. Die Mittzwanzi- 45 Thema Rechtsextremismus und Frauen. Sie gerin ist eine der führenden rechtsextremen Neonazistinnen im Trachtenlook: Der rechtsextreme »Ring Nationaler Frauen« macht auf bürgerlich.

Rechtsextremismus dürfe nicht mehr als allein männlich dominiertes Terrain gesehen werden, sagt Feldmann. Manche Anführerinnen seien in der Szene Vorbilder geworden – weil sie sich trauen, öffentlich Position zu beziehen und Tabus zu brechen sagt Renate Bitzan: »Es ist etwas anderes, ob eine jüngere, gebildete, seriöse Frau etwas sagt oder ein alter Mann.« Das hät- ten auch männliche Anführer der Szene er- Aktivistinnen Niedersachsens. Auf den ers- liche Wertschätzung erfahre. Mit Feminis- kannt, die Frauen gerne mal ans Rednerpult ten Blick merkt man der mädchenhaften, mus habe das nichts zu tun, meint Schüss- lassen, weil sie »sympathischer« wirkten. zierlichen Frau nicht an, dass sie zum brau- ler, jede Frau sei willkommen. Dennoch drängten die Frauen vor allem nen Kader gehört. Ganz bürgerlich war sie Diese Öffnung der Szene hat auch aus eigenem Antrieb in die Szene, berichtet im Sportverein TSV Coppengrave als stell- Expertin Feldmann beobachtet. Renate Feldmann. »Es gibt vertretende Leiterin der Schwimmsparte Sicher ist: Die Frauen verändern die tätig. Ihr anderes Gesicht zeigte sie unter zwar den Trend in Richtung Szene. Waren sie einst für viele rechte Män- anderem bei einem NPD-Aufmarsch in Bad ner der Grund zum Ausstieg, tragen sie nun Nenndorf, auf dem sie eine Hetzrede hielt. Mutterrolle, dennoch wird zur Stabilisierung der Strukturen bei. Denn Sie selbst nennt sich eine »aufge- immer wieder betont, dass jede wer innerhalb der Szene sein »Familien- schlossene und engagierte Mutter«, für die Daher glück« findet, muss nicht mehr außerhalb »Themen wie Familie, Bildung und Umwelt- mitmachen kann.« danach suchen. schutz sehr wichtig« seien. Frauen- und greifen bestimmte Klischees Über den Frauenanteil in der NPD familienpolitisch mitzumischen, sei das Natürlich gebe es gibt es unterschiedliche Angaben. Mal ist Ziel, erklärt auch die RNF-Vorsitzende Git- nicht mehr. von 15, mal von 22, mal von 27 Prozent ta Schüssler, NPD-Landtagsabgeordnete in noch Skingirls mit kahlrasier- die Rede. Was Frauen an der braunen Sze- Sachsen. 130 bis 150 aktive Mitglieder gebe und Stirnfransen. ne attraktiv finden, ist schwer zu sagen. es. »So genau lässt sich das nicht beziffern, tem Schädel Geschlechtsspezifische Gründe schei- Auch völkische Frauen, denn wir haben keine Mitgliedsbeiträge. die sich gerne nen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Wir wollen die Hemmschwelle bewusst – im Stil von Adolf Hitlers »Bund Deutscher Denkbar ist, dass die Frauen in den Orga- niedrig halten, um so viele national einge- Mädel« – in lange blaue Röcken und weiße nisationen rasch eine politische »Karriere« stellte Frauen wie möglich anzusprechen, Blusen kleiden, sind noch vertreten. Ande- machen können. Hinzu kommen die Wün- die bisher noch davor zurückschrecken, re Stereotype seien Mädchen mit langen sche nach Macht und Gruppenzusammen- in die Partei einzutreten«, wirbt Schüssler blonden Haaren an der Seite des Mannes halt. Mit nach Expertenmeinung 80 Prozent für die braune Organisation. Die Frauen im oder jene Frauen, die germanische Trachten bleibt die Szene zwar von Männern domi- RNF seien »durchschnittliche Frauen mit tragen. Feldmann: »Aber viele rechte Frau- niert, aber in ihren Nischen machten dort 46 durchschnittlichen Biografien«. Der RNF en sind äußerlich nicht mehr als solche zu auch Frauen »Karriere«. Denn der Heimat wünsche, dass Mutterschaft gesellschaft- erkennen.« nur am Herd zu dienen, das war einmal. | Kindheit in Braun

Ulrike wurde in Rund zehn Jahre ist das jetzt her. Ulrike war gen. Nach 20 Jahren, in denen sie »Neonazi die Neonazi-Szene danach noch häufiger mit der HDJ unter- von Beruf« gewesen sei, räumt die 36-Jäh- wegs. Ihr Bruder brauchte dagegen nie wie- rige ein. Der Moment, als sie ihre Kinder hineingeboren der dahin – ihn wollten die HDJ-Kader um aus dem HDJ-Zeltlager abholte, sei einer den Lüneburger NPD-Anführer Manfred der wenigen gewesen, in denen sie schon Börm nicht mehr haben. Andreas ist geistig damals an der eigenen braunen Gesinnung Sie war sieben Jahre alt, als sie behindert. »Eine Katastrophe« habe Börm gezweifelt habe. mit ihrem ein Jahr älteren Bruder Andreas’ HDJ-Aufenthalt genannt, erinnert »Ich weiß noch, wie wütend ich war«, die Mutter sich. Und dass sie »den bloß nie sagt die Mutter von fünf Kindern. zum ersten Mal in ein Zeltlager wieder herbringen soll«. fuhr. Als ihre Mutter Ulrike fünf Ulrikes und Andreas’ Mutter war »Ich dachte, ihr Schweine, am lange Neonazi-Anführerin in Niedersach- liebsten würdet ihr den Jungen Tage später abholte, weinte das sen und Bremen. Vor eineinhalb Jahren ist Kind. »Mama, da will ich nie wie- Tanja Privenau* aus der Szene ausgestie- vergasen.« Seit dem Aus- der hin.« Morgens um viertel vor sechs hatten Trompeten die Kinder geweckt. Punkt sechs war »Morgenappell«. Antreten in Reih und Völkisch verbrämt: Die »Heimattreue Deutsche Jugend« schwört Glied, die Mädchen links, die Jungen rechts. Kinder und Jugendliche auf den Neonazismus ein. Morgenlauf, Liegestütze, Kniebeugen, danach waschen, umziehen, frühstücken. Der Ton der »Betreuer« war streng und zackig. Wer aus der Reihe tanzte, musste zusätzliche Liegestütze machen. Wer mal übermütig »Heil Hitler« brüllte, wurde nicht bestraft. Schließlich war das Lager der rechtsextremistischen »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ) hochkonspirativ organisiert. In diesem ent- legenen Winkel des Harzes hörte vermut- lich kein Außenstehender die Kinder. Wenn doch, gab es ja noch die »Bewacher«. Junge Männer, die unter ihren Jacken Schlagstö- cke trugen, »sicherten« Tag und Nacht das 47 Lager. stieg musste die Familie bereits Lüneburg ein und aus, erzählt Ulrike. Auch morgens wieder abbauten, absolvierten mit Udo Pastörs’ Tochter hat sie viel Zeit Ulrike und ihre Freundinnen in Röcken. mehrmals umziehen, zu hoch war verbracht. Pastörs sitzt heute für die NPD Abends machten sie sich am Lagerfeuer der Verfolgungsdruck der einstigen »Kame- im Schweriner Landtag. Bevor es ihn nach ihr Essen und sangen zur Gitarre. Den Tag raden«, zu hoch waren auch die bürokra- Mecklenburg-Vorpommern zog, lebte er über marschierten sie im Takt, den Trom- tischen Hürden, die sich vor der Familie mit seiner Familie im Ammerland. meln vorgaben. Bei der HDJ klangen die auftürmten. Auf dem Foto strahlt Ulrike mit Tage aus, wie sie begannen: Trompeten Ulrike sieht aus wie viele Mädchen ihren Freundinnen um die Wette. Da war befahlen die Nachtruhe. mit 17. Sie trägt gerne verwaschene Jeans, sie zwölf Jahre alt, es war ihr letztes HDJ- Ulrikes Mutter war als Jugendliche in enge T-Shirts und angesagte Turnschuhe. Lager. Alle Mädchen trugen weiße Blusen der »Wiking-Jugend« aktiv. Die Organisati- Sie liest viel, hört Musik und geht mit zu langen dunkelblauen Röcken. Das war on verstand sich als Nachfolgerin der Hit- Freundinnen aus. Vor dem Ausstieg durfte so gewünscht bei der HDJ. Die Kleidung ler-Jugend (HJ) und hat die Verherrlichung sie nicht einmal Radio hören. Jeans waren erinnert an die Uniformen von Hitlers des Nationalsozialismus zu offensichtlich tabu, Hosen generell bei Mädchen nicht »Bund Deutscher Mädel« (BDM), besonders betrieben: 1994 hat das Bundesinnenmi- gerne gesehen. »Das war oft peinlich«, wenn die Mädchen dazu auch noch ihre nisterium die »Wiking-Jugend« wegen ihrer erinnert Ulrike sich. »Im Trachtenrock zur schwarzen Halstücher trugen. Hart soll- »Wesensverwandtschaft mit der NSDAP Schule.« ten die Mädchen werden, deshalb blieben und der Hitler-Jugend« verboten. »In den »Dass du mir keinen Türken oder Strumpfhosen auch im Winter verpönt. Lagern der ›Wiking-Jugend‹ hatten wir Neger anschleppst«, sagte ihre Mutter. Selbst mehrtägige Wanderungen, bei Jacken mit Gau-Dreiecken«, erinnert sich Immerhin konnte sie mit der überhaupt denen die Kinder ihre Zelte abends auf- und Tanja Privenau. Während der NS-Zeit haben diskutieren. Anders als mit ihrem Stiefva- ter. Der Bremer NPD-Aktivist Markus Prive- nau duldete keinen Widerspruch und keine Diskussion. »Er hat mich mal zusammen- gebrüllt, weil ich das Klavierstück eines Mehr als 150 Kinder und Jugendliche haben laut Verfassungsschutz jüdischen Komponisten üben wollte.« In an einem Zeltlager der HDJ nahe Eschede teilgenommen. der nächsten Klavierstunde belog Ulrike ihren Lehrer. Sie möge das Stück nicht, daher habe sie nicht geübt. »Die Wahrheit durfte ich ja nicht sagen.« Eine Kindheit in Braun bedeutet, in zwei Welten zu leben. Den Zwiespalt kennt Ulrike, »seit ich denken kann«. Schon in der Grundschule lernte sie, dass es Dinge gab, die sie verschweigen musste. Jedenfalls vor bestimmten Leuten. Vor anderen nicht: Die meisten Freunde der Familie waren Rechts- 48 extremisten. So gingen Tanja Privenau und ihre Kinder jahrelang bei den Börms in HJ’ler den »Gau«, aus dem sie stammten, habe sie das »Rassenschande« genannt von einem Dreieck umrahmt auf Armbin- – und sich anschließend auf die Zunge den getragen. gebissen. »Klar, dass das niemand witzig fand.« Für die Aussteigerin ist es »gar Die 17-Jährige führt keine Frage«, dass die »Hei- zwei Jah- mattreue Deutsche Jugend« die re nach dem Ausstieg ihrer Aufgaben der »Wiking-Jugend« Mutter noch immer ein Doppel- in der rechtsextremen Szene leben. Heute muss Ulrike sich mit Vorbild für die rechtsextreme Jugend? Ein ihrer Familie vor den ehemaligen übernommen hat. »Je früher »Kameradschaftsanführer« im HDJ-Zeltlager. indoktriniert werden, »Kameraden« verstecken und darf Kinder Wer schwach war, hatte keine Chance. auch Freunden und Lehrern nichts von desto wahrscheinlicher ist der ›Erfolg‹.« »Dass mein Bruder gehänselt wurde, war ihrer Vergangenheit erzählen. »Ich muss Deshalb nehme die HDJ bereits Kinder ab ich gewöhnt«, meint Ulrike. »Aber nicht immer noch aufpassen, was ich sage, aber sieben Jahre auf. so bösartig und hartnäckig wie bei der die Gründe finde ich viel besser.« Am liebs- Gebetet wurde nicht bei der HDJ. »Vor HDJ.« Die »Betreuer« hätten meistens weg- ten würde sie nach dem Abitur für eine jeder Mahlzeit musste ein Kind einen ›Tisch- geschaut. Standen weder Ausdauersport Organisation arbeiten, die Aussteigern aus spruch‹ aufsagen«, sagt Ulrike. Gesammelt noch Wettkämpfe auf dem Programm, wur- der rechten Szene hilft. | sind die Sprüche in HDJ-Publikationen wie den die jüngeren Teilnehmer mit Basteln, »Tischsprüche für Heim, Fahrt und Lager«. Singen oder Tanzen beschäftigt, während In dem braun eingebundenen Büchlein die älteren zum »Unterricht« mussten. In finden sich – inmitten banaler Reime wie Rhetorik zum Beispiel oder Menschen- »Apfel rot und Apfel rund. Wer ihn ißt, der führung, Lagersicherheit oder Demonstra- bleibt gesund« – eindeutige Anspielungen tionsrecht. auf eine »germanisch-heidnische« Ersatz- Solcher Unterricht blieb Ulrike religion. Die haben einst Pseudowissen- erspart. Mit zwölf Jahren setzte sie sich schaftler im Auftrag des SS-Reichsführers durch und brauchte nicht mehr zur HDJ. Heinrich Himmler als Teil der nationalso- Aber ihr Leben blieb geteilt. Ihren Freun- zialistischen »Blut-und-Boden-Ideologie« dinnen durfte sie vieles von Zuhause nicht ersonnen. Die »Tischsprüche« verherr- erzählen, genauso wenig deren Eltern, den lichen Krieg und Gewalt: »Neben dem Nachbarn oder Lehrern. »Warum, wusste Pflug führt das Schwert! Ernten kann nur, ich nicht genau«, sagt Ulrike. »Nur, dass wer sich wehrt.« Es geht noch deutlicher: das mit Hitler zu tun hatte, und damit, dass »Boden und Blut – heilig Gut!« meine Eltern anders über den dachten.« Freizeit gab es kaum im HDJ-Lager. Manchmal hat sie sich auch verplappert. * Zum Schutz Tanja Privenaus und ihrer »Allenfalls mal eine Stunde«, berichtet Ulri- Zum Beispiel als es bei ihrer Freundin Familie wurden Details ihrer Biografie 49 ke. Viele Wettkämpfe wurden ausgetragen. daheim Schoko- mit Vanillepudding gab, verändert, die nicht sinnentstellend sind. Die rechtsextremistische »Hei- mattreue Deutsche Jugend« (HDJ) »Kämpfer von ist nahezu bundesweit aktiv. An fast jedem dritten Wochenende fanatischer findet irgendwo in Deutschland ein »Jugendlager« der HDJ statt. Besessenheit« Auf der Internetseite heißt es: »Wir sind die aktive, volks- und heimattreue Die rechtsextremistische lich eindeutige Sprache. Das ist die Sprache Jugendbewegung für alle deutschen Mädel »Heimattreue der Nationalsozialisten – und macht deut- und Jungen im Alter von sieben bis 25 lich, wes Geistes Kind die Führungskräfte Jahren.« Mit der deutschen Sprache aller- Deutsche Jugend« drillt der HDJ sind.« dings hat auch diese rechtsextremistische Wes Geistes Kind die HDJ-Führer Organisation so ihre Probleme – so heißt den Nachwuchs sind, offenbart einer von ihnen ganz offen es weiter: »Jedes Jahr gibt es bei uns tolle bei einer »Feier« in Brandenburg. Der 44 Unternehmungen: von Sommerzeltlager Jahre alte Aktivist Ralph Tegethoff ruft bis Schwimmbadbesuchen und vielem Art der Fahnenweihe im »Dritten Reich« den Mitgliedern vor der Fahne der HDJ zu: mehr reicht die Palette.« Minderjährige »vereidigt« werden. »Dieses System hat keine Fehler – es ist ein Was oberflächlich betrachtet als Gerhard Bücker vom Landespräven- Fehler. Und wir sind angetreten, es durch Freizeitorganisation daherkommt, ist in tionsrat Niedersachsen beobachtet die HDJ einen freien deutschen Volksstaat zu erset- Wahrheit eine knallharte Kaderschmiede. seit langem. »Ich kenne Aufnahmen von zen.« Bestrebungen, einen Staat nach dem Deren Ziele formuliert die verbandseigene Lagern, bei denen auf Zelten Aufschriften Vorbild des »Dritten Reiches« zu errichten, Zeitschrift »Funkenflug« so: »Wir brauchen wie ›Führerbunker‹ und ›Großdeutschland‹ sind bei Strafe verboten – und damit auch eine Jugend, die hart ist. Wir brauchen zu lesen sind. Ich denke, das ist eine ziem- Vereine, die solches im Schilde führen. Kämpfer von fanatischer Besessenheit und zäher Ausdauer.« An anderer Stelle heißt es: »Wenn unsere Jugend wieder zur Bewe- Neonazistische Aufbauarbeit: Anhänger der HDJ errichten Zelte. gung werden soll, um einst das Ruder her- um zu reißen, dann muss sie in die Mitte des Volkes hinein.« Allein in Niedersachsen gab es 2007 mindestens zwei solcher »Jugendlager«: zu Pfingsten auf dem Gelände eines Bau- ernhofes in der Nähe von Eschede und wenig später ein weiteres nahe Georgs- marienhütte bei Osnabrück. Das Pfadfin- derimage ist Tarnung: Fahnenappelle im Fackelschein stehen auf dem Programm, Kinder im Grundschulalter schwören der deutschen Wehrmacht und Angehörigen von Hitlers Kriegshelden die Treue. So 50 zeigen interne Bilder einen nächtlichen Appell, bei dem im Fackelschein nach Noch sind es nur einzelne, die sich für ein Verbot der HDJ stark machen. Zu ihnen gehört der Berliner Innensenator Erhard Körting (SPD). Er forderte, die Gruppie- rung zu untersagen, weil sie »ein Weltbild vertritt, das mit unserer freiheitlich, demo- kratischen Grundordnung in keiner Weise vereinbar ist, und weil sie neonazistische Tendenzen vertritt.« Ähnlichen Organisationen wie der HDJ ist es so ergangen, zum Beispiel der Harmlose Jugendfreizeit? Die HDJ gilt als Kaderschmiede der Szene. »Wiking-Jugend« (WJ). Sie wurde 1952 als Nachfolgeorganisation der Hitler- Jugend gegründet. In ihrer Zeitschrift dass sie eine Nachfolgeorganisation der »Wikinger« propagierte die regional in »Wiking-Jugend« ist, sondern auch die »Gaue« unterteilte Organisation eine Tatsache, dass manch führender Kopf der rassistisch geprägte »Nordland-Ideolo- WJ heute eine maßgebende Rolle bei der gie«. 1994 verbot das Bundesinnenmi- HDJ spielt. Wie der Bauunternehmer Man- nisterium die »Wiking-Jugend« wegen fred Börm aus Handorf bei Lüneburg. Das ihrer Wesensverwandtschaft NPD-Bundesvorstandsmitglied Börm war mit »Gauführer Niedersachsen« der »Wiking- NSDAP und Hitler-Jugend. Jugend«. Wegen eines Überfalls auf ein NATO-Waffenlager verbüßte er eine lange »Auch die ›Wiking-Jugend‹ Haftstrafe. Heute ist er in der HDJ-Einheit hat mit uniformähnlichen Teilen Niedersachsen aktiv. | und mit Maßnahmen gearbei- tet, die die Abenteuerlust der Jugend wecken soll«, sagt Bücker vom Landespräventionsrat. »Und das ist nach ganz vielen Veröffentlichungen eben das, was die HDJ heute auch tut.« Im Erlass des Bundesinnenministeriums zum Verbot der »Wiking-Jugend« heißt es: »Es ist ver- boten, Ersatzorganisationen zu bilden.« Nicht nur die Aktionen und das Er- 51 scheinungsbild der HDJ sprechen dafür, Schaut man in die Wohnzim- merschränke von Neonazis fin- Scheinhinrichtung det man vor allem eines: Bücher zum Thema Krieg und Waffen. als Freizeitvergnügen Doch graue Theorie ist manchem Rechtsextremisten offenbar zu wenig. »Wehrsportübungen« Beim »Wehrsport« Die Beschriftungen sind Programm. erfreuen sich in der Szene gro- lassen Neonazis schon mal Die etwa 25 Teilnehmer des Lagers sol- len »eintauchen« in die rechte Erlebnis- ßer Beliebtheit. Nicht nur Er- jede Maske fallen welt, deren Vorbild die Jugendarbeit des wachsene, sondern auch Kin- »Dritten Reiches« ist. Dazu gehören auch die paramilitärischen Übungen: In einem der und Jugendliche lassen sich des Quartiers ist ein Zelt mit der Aufschrift nahen Waldstück werden Erdbunker und durch teils martialische »Kriegs- »Führerhauptquartier« aufgebaut. Hier Trittfallen ausgehoben, in der »AG Luft- weht die schwarz-weiß-rote Reichskriegs- gewehr« der Umgang mit Schusswaffen spiele« auf Gewalt und Militanz flagge. In unmittelbarer Nähe steht ein Fass gelehrt. Die besten Schützen erhalten trimmen. mit der Aufschrift »Entlausungsmittel«. Die Urkunden. Auf denen wird deutlich, wo für Anspielung ist besonders perfide – mit dem die Neonazis »der Feind« steht: Die Urkun- So auch in Wilsum im Juli 2006. In Entlausungsmittel »Zyklon B« wurden in den zeigen antisemitische Karikaturen. der Grafschaft Bentheim findet in jenem den Gaskammern der Konzentrationslager Am späten Nachmittag steht mili- Sommer eine groß angelegte »Wehrsport- Millionen Menschen ermordet. tärischer Drill an: Die Teilnehmer treten übung« statt. Schon an der Zufahrtsstraße zum Zeltlager steht ein Wachtposten mit einem Schlagstock. Über ein Feldtelefon hält er Kontakt mit dem »Hauptquartier«. Brauner Humor? Offenbar zum Vergnügen stellen Sollten unerwünschte Besucher auftau- junge Neonazis Hinrichtungen nach. chen, würde er vermutlich die »Kameraden« informieren und Unterstützung aus dem Lager anfordern. »Das Leben ist Kampf« heißt das Motto des Treffens. Es ist ein »nationales Jugendlager«, zu dem Neona- zis aus den Regionen Vechta, Osnabrück und dem Münsterland eingeladen haben. Nur die Szene weiß davon – warum, wird schnell deutlich: Schriftzüge und Wegwei- ser huldigen in aller Deutlichkeit dem NS- Regime. So prangt auf vielen Zelten der Schriftzug »Hitler-Jugend«. Andere Zelte tragen die Bezeichnung »Leibstandarte« – 52 benannt nach einer Einheit der SS, die Hit- ler besonders treu ergeben war. Im Zentrum Schilder zeigen deutlich, in welcher Führungsfigur: DerNPD -Landtagskandidat Antreten in Reih und Glied: Tradition sich die »Wehrsportler« um Christian Fischer aus Vechta soll für die HDJ Paramilitärischer Drill ist angesagt. Christian Fischer sehen. Zeltlager organisieren. in Zweierreihen an, einige brüllen Parolen. tion für die Jüngsten im »Dritten Reich«, ist und fünf Jahren geahndet werden. Die »Nachtübungen« runden das Programm ab, Fischer regelmäßig als Betreuer tätig. Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bildung vereinzelt wird dabei im Schutz der Dunkel- Vor einigen Jahren hat Fischer die einer bewaffneten Gruppe und Verstößen heit mit Leuchtspurmunition geschossen neonazistische »Kameradschaft Freie Na- gegen das Waffengesetz. Drei Monate nach um Angriffe auf das Lager zu simulieren. tionalisten Vechta« mitgegründet. Und der ersten Razzia folgt im Juli 2007 eine Als »Freizeitausgleich« stellen die »Cam- auch auf Bundesebene ist er aktiv – als Mit- weitere. In den Landkreisen Steinfurt und per« Hinrichtungen nach – und täuschen glied der zwielichtigen Einsatztruppe der Osnabrück suchen die Polizeibeamten nach für Fotos Enthauptungen mit Macheten NPD, den die Partei »Bundesordnerdienst« einer Rohrbombe, nachdem sie zuvor Bau- vor. nennt. anleitungen entdeckt hatten. Zu den Führungsfiguren des Fischers Sommerlager im Juli 2006 in Der niedersächsische NPD-Spitzen- Sommerlagers 2006 gehört der der Grafschaft Bentheim beschäftigt neun kandidat Andreas Molau hat zu Beginn sei- Monate später Polizei und Staatsanwalt- nes Wahlkampfes Mitte September 2007 Neonazi Christian Fischer schaft: Es gibt eine Razzia mit Hausdurch- erklärt, er werde keine Gewalttäter unter aus Vechta. Als Organisator suchungen bei allen Teilnehmern. Zuvor den NPD-Kandidaten dulden. Zur nieder- begrüßt hatten Ermittler Fotos von dem Sommer- sächsischen Landtagswahl am 27. Januar er die Teilnehmer,die lager gefunden. Bei der Razzia stellen die 2008 steht Christian Fischer auf Platz 18. | zwischen 16 und 48 Jahre alt Beamten ein ganzes Waffenarsenal sind, unter ihnen sind auch zwei sicher: ein Kleinkalibergewehr, junge Frauen. Fischer gilt in der Pistolen, Luftgewehre, eine Szene als Militärfan und Waffennarr. Panzerfaust und Munition Das Lager in Wilsum ist nicht das Dazu erste »Wehrsportlager«, das Fischer orga- für Maschinengewehre. nisiert haben soll. Seit Jahren ist er Mitglied Softairwaffen, Macheten, Wurf- der rechtsextremistischen »Heimattreuen sterne,Baseballschläger, Schlagringe, Tot- deutschen Jugend« (HDJ), die bundesweit schläger, eine Armbrust, mehrere Stahl- »Zeltfahrten« veranstaltet. Hier werden helme und ein Abzeichen der SS-Toten- Kinder und ganze Familien an Ideologie kopfverbände. und Lebensentwürfe der Neonazis herange- Einige der Waffen unterliegen dem führt. Bei so genannten »Pimpfenlagern«, Kriegswaffenkontrollgesetz. Verstöße 53 benannt nach der NS-Nachwuchsorganisa- können mit Haftstrafen zwischen einem Seit der Wende sind in der Bun- desrepublik Deutschland durch Schläge von rechts rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten 136 Menschen ge- storben. »Rechte Gewalt ist ein Problem, das uns alle angeht«, sagt Uwe Karsten Heye, Vor- Neonazis verüben sam misshandelt. Die Bundesverfassungs- sitzender der Aktion »Gesicht immer mehr Gewalttaten schützer weisen in ihrem Jahresbericht 2006 insgesamt 1047 rechtsextremistisch zeigen« und ehemaliger Regie- motivierte Gewalttaten aus. Mehr als die rungssprecher. Hälfte der Taten waren ausländerfeindlich dafür sein dürfte, dass sich die Stimmen für oder antisemitisch motiviert. Die übrigen Heye hat 2006 den Begriff »No- ein Verbot der NPD mehren. braunen Schläger suchten sich ihre Opfer Go-Areas« geprägt. So bezeichnete er Auch wenn die Statistiken des Bun- unter vermeintlichen oder tatsächlichen Gegenden, die Menschen ausländischen desamtes für Verfassungsschutz im Jahr politischen Gegnern. Aussehens besser nicht betreten – weil 2006 keinen Toten unter den Opfern rechts- Mit 138 Taten liegt Niedersachsen im sie dort um ihre Gesundheit oder gar um extrem motivierter Gewalt ausweisen, ist bundesweiten Vergleich an zweiter Stelle ihr Leben fürchten müssen. Ausgerechnet das Risiko weiter gestiegen. Das gilt für hinter Nordrhein-Westfalen. Unter Einbe- zur Fußballweltmeisterschaft – unter dem die alten Länder ebenso wie für die neuen. ziehung der Einwohnerzahlen relativiert Motto »Zu Gast bei Freunden« – hatte Heye Statistisch betrachtet wurde im Jahr 2006 sich das. Aber mit 1,73 Gewalttaten pro damit eine Diskussion entfacht, die nach dreimal täglich irgendwo in der Bundesre- 10 000 Einwohner belegt Niedersachsen den Vorfällen von Mügeln im Sommer 2007 publik ein Mensch von Rechtsextremisten immer noch Platz sieben. Fachleute sind erneut aufflackerte und eine Hauptursache geschlagen, getreten oder anders gewalt- beunruhigt: Unter den westdeutschen Flä- chenländern schlagen die Braunen nur in Schleswig-Holstein noch häufiger zu. In Niedergeschlagen: Junge Neonazis greifen Gegendemonstranten an. Bundesländern wie Hessen, Bayern oder Rheinland-Pfalz dagegen werden deutlich weniger Taten verzeichnet. Der niedersächsische Verfassungs- schutz hält in seinem Jahres- bericht 2006 eine »uner- freuliche Zunahme rechter Gewalt« fest, die überwiegend auf öffentlichen Straßen und am Wochenende verübt werde. Zugleich kommt er zu der 54 Erkenntnis, dass vor allem unter Jugendlichen und Heranwach- senden die Gewaltbereitschaft insgesamt die Beamten 2007 ganze Arsenale aus Mes- wächst, das gelte auch für junge Straftä- sern, Macheten und Schlagwerkzeugen. ter aus dem rechtsextremen Milieu. Zwei Experten befürchten, dass die Zahl besonders drastische Fälle beschreibt der der rechts motivierten Gewalttaten auch Verfassungsschutzbericht. Beide Taten im Jahr 2007 zumindest statistisch weiter wurden in Dorste im Landkreis Osterode gestiegen ist. Das bedeutet allerdings nicht verübt. Das macht deutlich, dass die Harz- zwingend eine größere Gefährdung. region offenkundig ein massives Problem Nicht nur in Niedersachsen, betont der mit rechter Gewalt hat – entgegen mancher Äußerung von Politikern. Im ersten Fall Verfassungsschutz, wachse die schlugen die Täter während einer öffent- Anzeigebereitschaft der Bevöl- Ganze Waffenarsenale stellt die Polizei bei lichen Festveranstaltung einen deutschen Rechtsextremisten sicher. Staatsbürger nieder und drückten eine kerung. Im Klartext: Immer weni- Zigarette in seinem Gesicht aus. Im zwei- ger Menschen sind bereit, ihnen kriminell ten Fall machte ein aggressiver Mob unter erscheinende Handlungen von Rechts- »Heil Hitler«-Rufen Jagd auf ausländisch aussehende Personen, mehrere Menschen extremisten zu »übersehen« wurden bei dem Übergriff verletzt. oder zu , Das Landesamt bestätigt auch, dass tolerieren und zeigen die Rechtsextremisten immer aggres- sie bei den Behörden an. Da die Statistik siver auftreten – auch gegen- nur bekannt gewordene Taten über Polizeibeamten. Die erfasst, kann das zu einem Anstieg führen, ohne dass die Braunen tatsächlich häufiger Militarismus und Gewalt sind in der Szene Entwicklung geht mit einer zugeschlagen haben. Das kann aber auch angesagt. ein- bedeuten, dass bisher überhaupt nur die Militarisierung der Szene Spitze des Eisbergs rechter Gewalt bekannt her: Im Herbst 2007 fanden Ermitt- ist. | ler bei Thorsten Heise, einem der Anführer der Szene in Nie- dersachsen, ein Maschinenge- wehr, eine Maschinenpistole und eine Faustfeuerwaffe. Die Waffen waren laut Staatsanwaltschaft Noch nicht mal ironisch gemeint: Die NPD 55 schussbereit. Bei anderen Neonazis fanden macht Stimmung gegen Gewalttäter. z y

56 z y 2. Der3. Die rechte LifestyleStrippenzieher WieWer Neonazis in der Szene Jugendlichedas Sagen hat ködern. z y Andreas Molaus Waffe im Kampf für die rechte Gesinnung ist das Der Weichspüler Wort: Der 1968 geborene Spit- zenkandidat der NPD in Nie- dersachsen schreibt viel – in »intellektuellen« Blättern der »Neuen Rechten« oder der »Nati- Andreas Molau versteckt Wortreich polemisiert Molau gegen die onalzeitung« des rechtsextre- seinen Judenhass hinter ausländischen Standorte des Konzerns. Als er sie benennen will, verliert er sich in mistischen Millionärs und Ver- einer intellektuellen Fassade einem hilflosen »Äh, äh, ...«. Auch Molaus legers Gerhard Frey. Und Molau »Experte« für VW-Fragen, der Wolfsburger Michael Knobloch, hat seine »Hausaufga- schreibt nicht nur, er redet auch bei vielen einschlägigen Demonstrationen ben« offenbar nur unvollständig erledigt. gern. Wie am Nachmittag des 1. dabei gewesen und offenkundig nicht erst Als Knobloch eilfertig mit dem Zwischenruf durch den Wahlkampf auf die NPD auf- »Rio« weiterhelfen will, beweist er Unwis- Dezember 2007 in der Gaststätte merksam geworden. Eine ältere Dame, frü- senheit. Im brasilianischen Rio des Janei- »Alte Schmiede« in der Gemein- her war sie Buchhalterin, heute erteilt sie ro hat es noch nie ein VW-Werk gegeben Schülern privat Nachhilfe, kann Teile von – wohl aber in der Nähe von São Paulo. de Heinigen nahe Wolfenbüttel. Molaus Rede nahezu wörtlich mitsprechen Das Hinterzimmer der »Alten Schmie- – sie ist nach eigenem Bekunden kein Neu- de« hat gewiss schon bessere Zeiten gese- ling in NPD-Kreisen. Die anderen »Gäste« hen. Aus dem offenen Sicherungskasten an sind es offenbar auch nicht: »Die kenne ich Immer für ein Schwätzchen zu haben: der Wand kringeln sich blanke Drahtenden, alle von Veranstaltungen«, sagt die Frau Andreas Molau redet viel und gern. die vergilbten Tapeten zieren zwei große freimütig. Ölgemälde. Motiv des einen: »Röhrender Rund 30 Minuten redet Molau an Hirsch ohne Bergsee«, Motiv des anderen: diesem Nachmittag – vor allem über sei- »Bergsee ohne Hirsch«. Etwa 20 Personen ne Lieblingsthemen Geschichte (»60 Jahre haben an den abgestoßenen braunen Knei- nach Kriegsende muss Schluss sein mit dem pentischen Platz genommen. Wahlkämpfer Schuld-Kult.«) und Schule (»Wir werden Molau ist der Gastgeber. Ausnahmswei- eine Volksinitiative starten zur Trennung se hat er zwei Journalisten hinzugebeten. von deutschen und ausländischen Kindern Ihnen will er zeigen, wie erfolgreich der im Unterricht.«). In diesen Themen kennt Wahlkampf der Neonazis in Niedersachsen Molau sich aus. Der studierte Historiker angeblich funktioniert. Bei den Geladenen, war von 1996 bis 2004 Lehrer für Deutsch so wirft sich Molau in die Brust, handle es und Geschichte an der Waldorfschule in sich ausschließlich um Interessenten, die Braunschweig. Dann gab man ihm wegen erst durch den Wahlkampf auf die NPD auf- seiner geplanten Aktivitäten für die NPD- merksam geworden seien. Eine Legende, Landtagsfraktion in Dresden den Laufpass. wie an diesem Nachmittag schnell deutlich Nicht so textsicher ist der NPD-Spitzen- wird. mann an diesem Nachmittag, wenn es um 58 Mancher, der da angestrengt den auf- Fragen des größten Arbeitgebers in Nie- merksamen NPD-Neuling gibt, ist schon dersachsen geht: um VW. Knobloch ist es auch, der wenig später Das neue Dokumentationszentrum in durch sein Verhalten das angebliche »Inte- der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen ressententreffen« als Inszenierung entlarvt. kommentierte Molau mit den Worten, Auf die Frage, wie sich die Partei zum VW- hier seien »enorme Summen verschleu- Gesetz zu verhalten gedenke, holt er einen dert« worden, um eine »schädliche Zettel hervor und liest seine Replik Wort für Gegenkultur in Niedersachsen zu ver- Wort vom Blatt vor. Das kann nur jemand, Alles nur Show: Die NPD inszeniert ihren stärken«. Die Sätze haben dazu der vorher genau weiß, welche Fragen ihm Wahlkampf mehr, als dass sie ihn führt. gestellt werden. geführt, dass sich die Stim- Das angebliche »Interessententref- wig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und NPD fen« des Andreas Molau ist offenkundig die Mecklenburg-Vorpommern versammelt. men für ein Verbot der Inszenierung eines Spitzenkandidaten, der Mit ihrer Hilfe will er bis zum Ende des auch in Niedersachsen mehren. Erfolge nachweisen muss, obwohl er weiß, Wahlkampfes rund eine Million Wahl- Den Spitzenkandidaten ficht das dass ihm im Wahlkampf die Felle davon- zeitungen verteilen, etwa 300 Infostände nicht an. Als stellvertretender Chefredak- schwimmen. Zwar gehen seriöse Mei- bestreiten und mehr als 20 000 Plakate auf- teur des Parteiorgans »Deutsche Stim- nungsforschungsinstitute unisono davon hängen. Die Wahl seiner Themen ist nach me« und Vorsitzender der rechtsextremen aus, dass seine rechtsextremistische Partei Expertenmeinung »populistische Propa- »Gesellschaft für Freie Publizistik« hat er keine Aussichten hat, in den Landtag von ganda in Reinkultur«. Molau schürt Ängste gelernt, wie er seinen Bekanntheitsgrad um Hannover einzuziehen. Im Oktober 2007 vor Globalisierung (»Hier geht es um Sein nahezu jeden Preis erhöht. Die Sprecherin aber präsentiert Molau auf der Internet- oder Nicht-Sein unseres Volkes.«) und Aus- des Landesamtes für Verfassungsschutz, seite der NPD angeblich »geheime Zahlen« ländern (»Was hier passiert, ist eine fremde Maren Brandenburger, nennt Molau einen aus dem Meinungsforschungsinstitut For- Landnahme. Deshalb stehen wir als NPD »intellektuellen Kopf der rechtsextremisti- sa, die genau das Gegenteil belegen sollen. hier, um unsere Heimat zu verteidigen.«). schen NPD Niedersachsen, der seine Frem- Forsa spricht von einer glatten Fälschung Vor allem aber weiß Molau, sich mit denfeindlichkeit hinter der Fassade von und zwingt Molau mit juristischen Mitteln, gezielten rhetorischen Regelverstößen und Ethnopluralismus verbirgt«. diese Behauptung von der Internetseite zu Geschmacklosigkeiten am Rande der Lega- An Intelligenz und rhetorischer nehmen. lität (»Ich lasse jede Rede von einem Juris- Gewandtheit ist er den meisten seiner Par- ten überprüfen.«) in den Medien Gehör zu teifreunde weit überlegen. Dennoch sind Doch solche Tricks sind nicht verschaffen. So wie bei seiner verbalen Ent- sie in der Lage, seine Parolen jederzeit kri- die einzigen im Landtagswahl- gleisung gegen den Zentralrat der Juden in tiklos zu wiederholen. Wie sehr Molaus kampf des Deutschland am 15. September 2007 in Mannschaft dessen Slogans verinnerlicht Andreas Molau. Hannover: »Wenn die NPD die Richtlinien hat, macht ein »Wahlhelfer« nach dem Aufmerksamkeit um jeden der Politik in diesem Lande bestimmt, Frau »Interessententreffen« im Gasthof »Alte Knobloch, dann ist es vorbei mit dieser Son- Schmiede« unfreiwillig deutlich. Als er sich scheint sein vorrangiges Ziel Preis derbehandlung, dann ist Schluss mit dem von den beiden Journalisten verabschiedet, zu sein. Er hat in seiner Wahlkampfmann- Extra-Geld.« Das Wort »Sonderbehandlung« rutscht ihm ein besonders zynischer NPD- schaft mehrere Dutzend »Freier Kame- wurde im »Dritten Reich« als Code für den Slogan heraus, mit dem die Partei gegen 59 raden« unter anderem aus Berlin, Schles- millionenfachen Mord an Juden benutzt. Ausländer hetzt: »Gute Heimreise.« | Dieter Riefling ist ein klei- ner Mann. Die meisten seiner Der Lautsprecher »Kameraden« überragen ihn bei Demonstrationen um Hauptes- länge. Doch Riefling weiß, wie er sich bei seinen Gesinnungs- genossen Gehör verschafft. Dieter Riefling spricht nicht, desweit in der Szene gern gehörter Redner. Was dem 39-Jährigen an Körper- er brüllt Seine kriminelle Karriere verschafft ihm größe fehlt, gleicht er durch Lautstärke unter Gesinnungsgenossen Geltung und wieder aus. Vermutlich auch deshalb hat Anerkennung. Zehn Monate verbrachte er er stets sein Megaphon dabei, wenn er für wegen Körperverletzung im Gefängnis, »die Bewegung« auf die Straße geht. Der in 2007 in Lüneburg: »Mecklenburg-Vor- auch wegen Aufstachelung zum Rassen- Coppengrave bei Hildesheim lebende Rief- pommern und Sachsen, unsere Vorposten hass, Volksverhetzung und Verbreitung von ling ist im Wortsinn »Lautsprecher« der im Reich, werden sich mit uns vereinigen. Propagandamitteln verfassungswidriger rechtsextremistischen Szene. Wenn er die Und dann wird die BRD wieder das, was sie Organisationen wurde er verurteilt. Schon Flüstertüte vor seinen Mund hält, spricht völkerrechtlich schon immer ist – das deut- als Jugendlicher war er in der Szene, gehörte er nicht, er brüllt. Verzerrt und kaum ver- sche Reich in den Farben Schwarz-Weiß- zum Kader der 1995 verbotenen »Freiheit- ständlich sind die Sätze, die er mit sich Rot.« In den beiden neuen Bundesländern lichen Deutschen Arbeiterpartei« (FAP). überschlagender Stimme hervorpresst. Sät- sitzt die NPD bereits im Landtag. Auch im Umfeld der mittlerweile verbotenen ze, die keinen Zweifel an seiner Gesinnung Der äußerlich unscheinbare Riefling »Blood & Honour«-Bewegung war Riefling lassen: Riefling träumt von der Wieder- gehört zu den führenden Köpfen der Neo- aktiv. Der gebürtige Nordrhein-Westfale auferstehung des »Dritten Reiches«. nazi-Szene in Niedersachsen. Seine Spra- unterhält gute Beziehungen zu bundesweit Deutlich macht er das einmal mehr che ist schlicht, die Grammatik auffallend tätigen »Kameradschaftsanführern« wie bei einem Neonazi-Aufmarsch im Sommer fehlerhaft. Dennoch ist Riefling ein bun- NPD-Bundesvorstandsmitglied Thors- ten Heise und dem Hamburger Neonazi Kleiner Krakeeler: Unter Rechtsextremisten ist Riefling als Redner beliebt. Christian Worch. Der niedersächsische Verfassungs- schutz widmet Riefling in seinem Jahres- bericht 2006 einen ganzen Abschnitt. Rief- ling gilt als Gründer der »Bürgerinitiative für Zivilcourage Hildesheim« (BFZ), die auf ihren Internetseiten zum Hass gegen Aus- länder aufstachelt und Propagandamaterial und Flugblätter zum Herunterladen bereit- stellt. Für die Flugblätter zeichnet Rieflings Ex-Frau presserechtlich verantwortlich. Die Internetseite, meint man in der Behör- de, sei geschickt inszeniert: Wegen des »unaufdringlich gestalteten Auftritts und der Bürgerengagement vortäuschenden 60 Bezeichnung« sei sie erst auf den zweiten Blick als rechtsextremistisch zu erkennen. verbot auf Parteiveranstaltungen. Es kam zum Machtkampf. Dessen Verlauf machte deutlich, wie stark der Einfluss der ultra- extremistischen Zirkel auch in der rechts- extremen Partei ist: Nicht nur »Freie Kame- radschaften« solidarisierten sich damals mit Riefling, auch NPD-Kreis- und Stadt- verbände sowie die radikale NPD-Jugend- organisation »Junge Nationaldemokraten« stellten sich hinter ihn. Geltungssüchtig? Riefling genießt offenbar, Riefling gewann den Machtkampf. dass man ihn in der Szene kennt. Beim NPD-Parteitag im April in Scharzfeld wurde er als Direktkandidat für den nie- Rieflings Verhältnis zur NPD ist gespal- dersächsischen Landtag aufgestellt. Von ten. Wie sein Hamburger Mentor Chris- einem Auftrittsverbot ist längst nicht mehr tian Worch ist auch er der Meinung: »Die die Rede. Beim Wahlkampfauftakt der Par- Bewegung braucht keine Parteien.« Wie tei im September in der »Eilenriedehalle« in Hannover durfte Riefling Grußworte spre- Worch träumt er von einer rechts- chen. extremistischen Revolution Sechs Minuten dauerte seine abgele- sene Ansprache, in der er zwar wieder ein- – gewaltsame Machtergreifung mal »deutsche Interessen« betonte, zugleich eingeschlossen. Die NPD, die sich im nie- aber deutlich machte, wie schwer er sich dersächsischen Landtagswahlkampf bür- mit der deutschen Sprache und ihrer Gram- gerlich geben will, ist beiden zu angepasst matik tut. »Nur gesunde, und bieder. Man braucht sich dennoch nationale gegenseitig: Für die NPD ist Riefling Bin- Menschen können in dieses deglied zu den gewaltbereiten und beson- ders extremistischen »Kameradschaften«, unseres Land eine nationale

Riefling braucht die NPD-Anhänger als Bei- Politik gestalten«, sagte der Neonazi und fallspender für seine Hetzreden. fügte hinzu: »Die Bauern sind das Rück- An seinem Fanatismus wäre 2006 grat unseres schönes Heimatlandes.« Die- beinahe der NPD-Landesverband Nie- ter Riefling ist – vermutlich nicht nur – für dersachsen zerbrochen. Weil er es mit der Deutschlehrer ein hoffnungsloser Fall. | öffentlichen Verherrlichung des National- sozialismus wieder einmal zu weit getrie- ben hatte, verpassten ihm Funktionäre 61 einen Maulkorb. Sie verhängten ein Rede- »Im Namen des Volkes ergeht das folgende Urteil: Der Ange- Der Dandy klagte ist schuldig im Sinne des Gesetzes!« Bei vielen Menschen, die einmal ver- urteilt worden sind, hinterlässt der Rich- terspruch bleibende Wirkung. Thorsten Heise gehört offensichtlich nicht dazu. Die Thorsten Heise ist stets nahmsweise ihre Posten verlassen, um ihm Zahl seiner Verurteilungen ist mittlerweile bemüht, sich in Szene die Hand zu schütteln. Er quittiert die Geste zweistellig. Trotzdem oder vielleicht gerade jedenfalls mit breitem Grinsen. deshalb ist der aus Göttingen stammende zu setzen Heise ist ein Multifunktionär. Schon Rechtsextremist in seinen Kreisen einer der als 15-jähriger Skinhead fasst er im rechts- angesehensten Aktivisten. extremen Lager Fuß. Seine Karriere beginnt Das wird auch beim Wahlkampf- Schon vor der Eingangstür hält er »Hof«. in der »Freiheitlichen Deutschen Arbeiter- auftakt der NPD am 15. September 2007 Leichter Sommermantel in hellem Beige, partei« (FAP), einer etwa 1000 Mitglieder in Hannover deutlich. Der beginnt pünktlich grau glänzender Anzug aus teurem Stoff, zählenden Gruppierung, die offen für den um zehn Uhr vormittags, doch Thorsten dunkle Markensonnenbrille – so steht er Nationalsozialismus wirbt. 1992 bringt er Heise weiß: Wer zu spät kommt, wird mehr da, die Hände in die Hüften gestemmt, die es bis zum FAP-Landesvorsitzenden in Nie- beachtet. Also kommt Heise zu spät und Brust aufgebläht. Ein brauner Dandy. Hei- dersachsen. 1995 wird die Partei verboten. hat es gar nicht eilig damit, sich wie alle se weiß um seine Geltung in der Szene. Er Fortan sucht Heise andere Wege, Füh- anderen einen Platz in den Stuhlreihen zu genießt es offensichtlich, dass die in weiße rungsqualitäten zu beweisen: bei der als suchen. Hemden gekleideten NPD-Türsteher aus- besonders radikal geltenden »Kamerad- schaft Northeim« und als Veranstalter von Rechtsrockkonzerten. Sein wohl größtes Event veranstaltet er am 21. Oktober 1995 in Northeim. Rund 1000 Neonazis und Skin- Treusorgender Familienvater? In Heises Haus fanden die Ermittler Waffen. heads kommen, unter ihnen Mitglieder der rechtsextremistischen Terrorgruppe »Com- bat 18«. Rechtsextremistische Musik wird Heises Haupteinnahmequelle. In Nort- heim gründet er 1998 einen »Großhandel für Bild- und Tonträger und Militärbe- kleidung«, den er später »WB Versand« (»Witwe Bolte Versand«) nennt. Im Ange- bot hat er nicht nur Musik, sondern auch Schlagstöcke und schusssichere Westen aus dem Sortiment der Polizei-Elitetruppe GSG9. 1999 kauft er in Eichsfeld nahe dem thüringischen Fretterode ein Landgut mit dreistöckigem Herrenhaus im Fachwerk- 62 stil und Stallungen. Seither trägt er Schlips und Kragen statt Bomberjacke und Sprin- gerstiefel. Im Rechtsrockbusiness gilt der Ex-Skinhead als tonangebend. Seine Geschäfte laufen bombig – mit legalen und offenbar auch mit illegalen Mitteln. 2003 leitet die Staatsanwaltschaft Frankfurt Ermittlungen gegen Heise ein. Der Vorwurf: Aus Thailand soll er 6000 illegale Rechtsrock-CDs eingeführt haben. Bei einer Durchsuchung seines »WB Ver- sandes« finden die Beamten rund 950 CDs, eine gebrauchsfähige Handgranate sowie Munition. Heises Know-how im rechtsextremen Musikgeschäft und seine Verbindungen in die »Kameradschaftsszene« macht sich auch die NPD zunutze. Nach Kontakten zum Bundesvorsitzenden im Jah- Nicht nur mit Rechtsrock macht Heise Geschäfte, er handelt auch mit Polizeiausrüstung. re 2003 tritt Heise in die Partei ein. Ande- re bundesweit aktive »Kameradschafts- und scharfe Waffen: Im Haus anführer« folgen – wie Thomas Wulff beamten anrücken, wirft er sich in Schale. aus Hamburg oder Ralph Tegethoff aus sind ein Maschinengewehr, Während die Spezialisten mit Sprengstoff- Nordrhein-Westfalen. 2006 wird Heise in eine Maschinenpistole und hunden und Metallsonden sein Anwesen den NPD-Bundesvorstand gewählt. Dort ist filzen, gibt er den treusorgenden Famili- eine Faustfeuerwaffe versteckt. er zuständig für den Kontakt zu den neona- Das teilt envater und posiert im grau glänzenden zistischen »Freien Kameradschaften« und die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Anzug vor Fotografen. Den Anzug kennen soll dafür sorgen, dass der Neonazi-Traum mit. Nach erster Prüfung vor Ort sollen die viele Pressevertreter schon aus Hannover. von der »Volksfront von rechts« Wirklich- Waffen gebrauchsfähig sein. Für den ille- Nur die Krawatte ist neu – und die Baby- keit wird. galen Besitz von Kriegswaffen wie Maschi- flasche in Heises Hand.| Die Realität ist für Heise nüchterner: nengewehr oder Maschinenpistole sieht das Am 30. Oktober 2007 wird sein Gelände Gesetz ein bis fünf Jahre Gefängnis vor. abermals durchsucht. Das sind Aussichten, die den knast- Für die Ermitt- erfahrenen Heise – mindestens zweimal ler des Bundeskriminalamtes war er unter anderem wegen Körperver- erweist sich die Aktion letzungsdelikten in Haft – am Tag der Haus- als Voll- durchsuchung nicht zu schrecken scheinen. treffer. Sie finden erneut Seine Eitelkeit ist ihm wichtiger: Zwar ist er Stunden zuvor noch im Trainingsanzug im 63 rechtsextremistische Musik Dorf herumgelaufen, aber als die Kriminal- Gewaltsam stoßen die Täter den Mann in das Auto und verschlep- Der Überzeugungs- pen ihn. Auf einem Feldweg wird er aus dem Fahrzeug gezerrt, die schläger Täter prügeln auf ihn ein. Immer mehr Schläge muss der »poli- tische Gegner« einstecken – ein »Kameradschaftsanführer« auflagen gehört die Auflösung der »Kame- Baseballschläger geht dabei zu Marcus Winter hat viel radschaft Weserbergland«. Winter grün- det kurzerhand die »Nationale Offensive Bruch. Knasterfahrung Schaumburg« (NOS). Unter seiner Führung Das Opfer überlebt das Martyrium versammeln sich dort erneut gewaltbe- vermutlich nur, weil einer der Peiniger in reite Neonazis. In den folgenden Monaten letzter Minute einen Rückzieher macht. agiert er weiter. Über die neonazistische erwirbt sich die Gruppe den zweifelhaften Die Täter verfrachten den Mann wieder ins »Hilfsgemeinschaft nationaler Gefange- Ruf militanter Hardliner. Auto, die Fahrt geht weiter. Erst eine Poli- ner« (HNG) hält er den Kontakt zu seinen Trotz – oder gerade wegen – seiner zeistreife beendet die Entführung. »Kameraden«. Auch hinter Gittern findet er schweren Straftaten macht die NPD »Win- Von dieser Tat »Winnys« im Jahr 2002 rasch Gleichgesinnte. Neonazis wie Roman ny« im Bundestagswahlkampf 2005 zu berichten Neonazis gerne. »Winny« heißt Greifenstein oder Marco Siedbürger. ihrem Kandidaten. Der Extremist, der zur eigentlich Marcus Winter und ist einer der Szenekenner nennen sie »tickende Zeit- Bewährung auf freiem Fuß ist, meldet jetzt Überzeugungstäter unter Norddeutsch- bomben«. Siedbürger sitzt unter anderem regelmäßig rechtsextremistische Kundge- lands Rechtsextremisten. Nach der Tat wegen »gemeinschaftlichen Totschlages«, bungen oder Aufmärsche in Norddeutsch- taucht er unter. Ein Richter erlässt drei Tage Greifenstein wegen »gefährlicher Körper- land an. Auch auf dem Gelände des Heisen- später Haftbefehl. Doch seine »Kameraden« verletzung« und »Verstoßes gegen das Waf- hofes in Dörverden ist er häufig zu Gast. gewähren ihm Unterschlupf, NPD-Aktivis- fengesetz« ein. Gemeinsam gründen sie die Aus seiner Gewaltbereitschaft macht ten aus Achim planen, ihn nach Tschechien »Knastkameradschaft Hameln«. Winter, der in Stadthagen nahe Hannover zu schleusen. Doch der Plan scheitert: Eini- Nach seiner vorzeitigen Haftentlas- wohnt, kein Geheimnis. Als Anfang 2007 ge Monate später nimmt die Polizei Winter sung Anfang 2005 macht Marcus Winter in Rotenburg Polizisten ein Konzert der fest. Da sind seine Komplizen den Ermitt- weiter wie bisher. Zu seinen Bewährungs- radikalen NPD-Jugendorganisation »Jun- lern bereits ins Netz gegangen. ge Nationaldemokraten« auflösen, mel- Im folgenden Prozess wird Winter det sich Winter kurze Zeit später zu Wort. Anfang 2004 unter anderem wegen Frei- Unter dem Pseudonym »Winterzeit« heitsberaubung und gefährlicher Körper- verletzung zu zwei Jahren Haft verurteilt. legt er in einem rechtsextremisti- Die nächste Zeit verbringt er in der Justiz- Auch gegenüber Polizisten treten Winter und schen Internetforum sein Ver- vollzugsanstalt Hameln. Die kennt er zur seine »Kameraden« aggressiv auf. Genüge: Sieben Jahre zuvor hat er bereits ständnis von politischem Vorge- eine dreijährige Haftstrafe kassiert – unter hen dar. Erst wenn anderem ebenfalls wegen Körperverletz- »die ersten ung. Helme und Visiere brechen, Bei Haftantritt 2005 ist Winter Füh- werden sie merken, dass Wider- 64 rungsaktivist der militanten »Kamerad- schaft Weserbergland«. Im Gefängnis stand zu jeder Zeit und an jedem Rechtsextremisten marschieren durch Bad Nenndorf, Winter organisierte die Demo.

Ort möglich ist«, lautet sein Kommentar zu dem Polizeieinsatz. Im Juli 2007 werden Winters Aktivi- täten gebremst. Nach der Veröffentlichung eines volksverhetzenden Artikels auf der Internetseite der NOS wird er erneut ver- urteilt. Dieses Mal zu neun Monaten Haft Neonazi mit Schlagkraft: Winter ist einschlägig vorbestraft. ohne Bewährung. Gegen das Urteil legt er Revision ein. Kurze Zeit später wird das »Winterhilfswerk« gegründet – als Hilfs- organisation für »nationale Gefangene«. »Winterhilfswerk« spielt nicht nur auf Winter an. So hieß auch eine Unter- organisation des NS-Propagandaministeri- ums im »Dritten Reich«. Das »Winterhilfs- werk« betreut unter anderem den Neonazi Kai Diesner. Er gilt militanten Neonazis als »Held«: Mit einer abgesägten Schrotflinte schießt er 1997 auf ein PDS-Mitglied. Bei der anschließenden Flucht tötet er einen Polizisten und verletzt einen weiteren schwer. Als Kontaktadresse gibt das »Win- terhilfswerk« das Postfach der »Jungen Nationaldemokraten« an. | 65 Die Tätowierung bleibt bedeckt. Am übersichtlichen Lüneburger Vereint im »Kampf Bahnhof würde die von Flam- men gesäumte Schrift auf dem um die Straße« kahlrasierten Schädel womög- lich auffallen. Andreas Nickel ist lange genug dabei. Er weiß, Neonazi-Anführer treffen staltungsort erfuhren – denn Polizei oder wie man sich unauffällig verhält. sich am »Stammtisch Nord« Presse sollten nichts von den Konzerten mitbekommen. Viele Anführer machen Aufmerksamkeit könnten ihn auch nach dem Verbot im Rechtsrockge- und seine beiden Begleiter in schäft weiter, nur firmieren sie nicht mehr »Stammtisch« klingt harmlos, und das offen unter »Blood & Honour«. Schwierigkeiten bringen. soll es auch, denn Begriffe wie »überregi- Vom Lüneburger Bahnhof fährt Nickel stammt aus Klötze in Sach- onales Arbeitstreffen« würden Polizei und Nickel an diesem Augustabend mit dem sen-Anhalt. Ihn hat es an diesem Freitag im Verfassungsschutz unnötig aufmerksam Auto weiter. Auf dem Parkplatz einer Fast- August 2007 nicht zufällig nach Lüneburg machen. Die Neonazi-Anführer aus Nord- Food-Kette werden er und seine »Kame- verschlagen. In der Nähe trifft sich heute deutschland wollen ungestört sein. Mitt- raden« schon erwartet. Von hier geht es ins der »Stammtisch Nord«. Hier wird nicht lerweile reisen zu den monatlichen Treffen benachbarte Reppenstedt zu einer Gaststät- in Bierlaune politisiert, hier wird nüchtern Extremisten aus fünf Bundesländern an: te. Bis 20 Uhr kommen noch viele weitere Politik gemacht. Die menschenverachtende Niedersachsen, Hamburg, Schleswig- Fahrzeuge mit Gleichgesinnten dort an. Politik militanter Neonazis. Hier tauschen Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Nickels Gruppe kümmert sich vor die Rechtsextremisten Demonstrationster- Sachsen-Anhalt. allem um Konzerte. Im kleinen Tespe, mine aus, sprechen über Aufmärsche und Nickels Tätowierung ist Teil seines nur wenige Kilometer von Reppenstedt die Werbung für Veranstaltungen. Die hier politischen Programms: »Blood & Honour« entfernt, hatte sie 2006 ein Konzert orga- zusammenkommen, eint der »Kampf um steht säuberlich in seine Haut gestochen. nisiert. Die »Sicherheitsleute« trugen rote die Straße«. Am »Stammtisch Nord« wird »Blood & Honour« ist ein internationales Hemden und nannten sich »Saalschutz dieser »Kampf« strategisch geplant. Netzwerk militanter Neonazis, das vor Nordmark«. Ihr Chef war Stefan Silar aus allem rechte Skinhead-Konzerte veranstal- Tostedt im Landkreis Harburg. Bis zum tet, und dessen deutscher Ableger im Sep- Verbot von »Blood & Honour« soll er deren Nicht immer bleibt die Tätowierung bedeckt: tember 2000 vom Bundesinnenminister »Sektion Nordmark« geleitet haben. der Neonazi Andreas Nickel. verboten wurde. Seither existiert die Orga- Auch am »Stammtisch Nord« sitzen nisation hierzulande nicht mehr – jeden- Neonazis aus der »Nordmark«. Der Begriff falls nicht in der Öffentlichkeit. ist der Gebietsaufteilung des »Dritten Reiches« entlehnt, die »neuen Nazis« nen- Ihre Mitglieder hatten bereits vor nen das nördliche Niedersachsen, Ham- dem Verbot konspirativ agiert. burg und das südliche Schleswig-Holstein Konzertbesucher mussten sich an bis heute so. Für die Region Hannover-West Tankstellen oder Autobahnrast- sitzt Dieter Riefling am »Stammtisch«. stätten einer »Überprüfung« Der »Kameradschaftsanführer« aus dem 66 Leinebergland soll ebenfalls für »Blood unterziehen, bevor sie den genauen Veran- & Honour« aktiv gewesen sein. In einer Erklärung »ehemaliger Aktivisten« aus dem Frühjahr 2006 wurde Riefling gar als »poli- tischer Leiter« der verbotenen Organisation bezeichnet. Riefling schätzt Stammtische offenbar sehr: Mit seiner Noch-Ehefrau Ricarda organisierte er im heimischen Hil- desheim ein solches Treffen für die »Natio- nalen Kräfte« der Region. Am »Stammtisch Nord« bereiteten die Neonazi-Kader auch die »Sonnwend- Tragende Rolle in der Szene: Aktivisten des »Stammtisches Nord« bei einem neonazistischen feier« 2007 der norddeutschen »Kamerad- »Heldengedenken«. schaftsszene« vor. Cheforganisator waren Dennis Bührig von der »Kameradschaft zuständig. Fünf Männer sichern den Ein- schaften an, für die NPD als Direktkandi- Celle 73« und »befreundete Kameraden« gang der Gaststätte, zuvor waren sie bereits daten antreten zu wollen. der »Nationalen Offensive Schaum- beim »Herschleusen« der Fahrzeuge behilf- Uneigennützig ist die NPD-Wahlhilfe burg« (NOS). Die NOS gilt als besonders lich. nicht. Die »Kameradschaften« des »Stamm- Mit der 16 bezieht gewaltbereit. Zum »Festprogramm« der sich die tisches Nord« kassieren offenbar Bares für »Sonnwendfeier« auf dem Gelände eines »Kameradschaft« – genau wie ihre Wahlkampfhilfe. Von fünfstelligen rechtsextremen Landwirts in Eschede im die »Kameradschaft Celle 73« – Beträgen ist die Rede. Das Geld soll nach Landkreis Celle gehörten Bogenschießen, der Landtagswahl in die Kassen der »Kame- Speer- und Baumstammwerfen. »Ordner« auf die NS-Diktatur: 16 war die radschaftsgruppen« fließen. Mit Hilfe der bewachten die 30 Kinder und knapp 150 in Partei sollen auch die militanten Ansichten Neonazis. Am Abend entfachten die Extre- Nummer der SA-Einheit der Neonazis in den Landtag Einzug erhal- misten ein Feuer und marschierten mit Lüneburg, 73 die der SA-Einheit ten. Was das für Ansichten sind, lässt sich brennenden Fackeln durch die Dunkelheit. in der Begründung des Verbotes von »Blood in Celle. Das niedersächsische Innenministerium & Honour« nachlesen. Da heißt es unter prüft derzeit ein Verbotsverfahren gegen Die »Kameraden« empfangen in Rep- anderem: Die Organisation »bekennt sich die Gruppe aus Schaumburg. penstedt einen Gast: Andreas Molau, den zu Hitler und anderen führenden Natio- Der »Stammtisch« gilt längst als Kno- NPD-Spitzenkandidaten für die nieder- nalsozialisten«, »strebt eine Überwindung tenpunkt der parteiunabhängigen Neona- sächsische Landtagwahl 2008. Er will in der verfassungsmäßigen Ordnung an« und zi-Szene im Norden. Hier vernetzt sich, der militanten Neonazi-Szene um Unter- »respektiert nur Völker, die der weißen Ras- was vorher nicht vernetzt war. Auch der Ort stützung für seinen Wahlkampf werben. se angehören«. | der Versammlung im Reppenstedter Gast- Erst zu später Stunde verlässt er den Saal haus ist nicht zufällig gewählt. Die kleine wieder – geschäftig, die Aktentasche unter Gemeinde liegt zentral für die beteiligten dem Arm. Molau kann seinen Auftritt offen- Funktionäre. Die »Kameradschaft Lüne- sichtlich als Erfolg verbuchen: Kurze Zeit burg / Sturm 16« ist in der Region zu Hause später kündigen mehrere Mitglieder der am 67 und an diesem Abend für den »Wachdienst« »Stammtisch Nord« vertretenen Kamerad- Kaum etwas fürchten Rechts- extremisten so sehr wie ein Ver- Neonazis bot ihrer Organisationen. Vor allem in den frühen 1990er Jah- ohne »Führer« ren kam für zahlreiche neonazis- tische Vereinigungen das Aus. Spektakulär waren 1995 das Verbot Wie die »Kameradschaften« der »Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpar- entstanden sind Das durchschnittliche Einstiegsalter in die tei« (FAP) und fünf Jahre später des »Blood Szene liegt bei etwa 16 Jahren, die meisten & Honour«-Netzwerkes. Die rechte Szene »Kameraden« sind zwischen 20 und 25 reagierte und bildete rasch neue Organisa- Jahren alt. Der Frauenanteil beträgt nach tionen: »Freie Kameradschaften«, die weit- ten«. Vor allem in Norddeutschland und Angaben des Verfassungsschutzes in Nie- gehend auf schriftlich festgelegte Statuten den neuen Bundesländern fand die Idee dersachsen etwa zehn Prozent. Ideologisch verzichten. Damit haben die Behörden rasch Anhänger. Bundesweit werden heute halten die Gruppen ihr Bekenntnis zum wenig Handhabe, gegen sie vorzugehen. mehr als 150 »Kameradschaften« gezählt. historischen Nationalsozialismus und Die Idee stammt von dem in Hamburg Allein in Niedersachsen gibt es mehr als 20 ihre Ablehnung des parlamentarischen lebenden, bundesweit aktiven Rechtsextre- solcher Gruppierungen mit insgesamt etwa Systems der Bundesrepublik Deutschland misten Christian Worch. Er entwarf Anfang 350 Mitgliedern. Zu den aktivsten zählen zusammen. Experten bescheinigen einzel- 1993 das Modell »leaderless resistance«, den die »Snevern Jungs«, die »Kameradschaft nen Mitgliedern hohe Gewaltbereitschaft. »führerlosen Widerstand« – in Anlehnung 73 Celle« und die »AG Wiking« im Raum Die »Kameradschaften« treten vor allem an die irische Terrorvereinigung IRA und Wilhelmshaven. auf Demonstrationen und Kundgebungen an das Selbstverständnis der »Autonomen öffentlich in Erscheinung. Die überregio- in Deutschland«. Nach dem Motto »Alle nale Koordination übernehmen »Aktions- machen mit – und keiner ist verantwortlich« büros«, die über Internet und Handy die wollte Worch braune Massen mobilisieren. Während sein »Kamerad« Worch im Knast saß, Mobilisierung leiten. Diese arbeiten zum Umgesetzt wurde das Konzept jedoch nicht ging Thomas Wulff mit dessen Ideen hausieren. Teil hoch konspirativ, damit »politische von ihm, sondern von seinem damaligen Gegner« und Behörden ihre Aktionen mög- Freund und Gesinnungsgenossen Thomas lichst nicht stören oder verhindern. Wulff. Zur NPD haben die »Freien Kamerad- Es war schaften« ein gespaltenes Verhältnis. Zwar schlichter »Ideen- eint sie der Kampf gegen »das System«, klau«: Als Worch Mitte der doch über den Weg gibt es Differenzen. Während die NPD zumindest formal weit- 1990er Jahre wegen »Fort- gehend die Regeln der Demokratie befolgt, führung einer verbotenen phantasieren viele »Freie Kameraden« diffus von einer – auch gewaltsamen – Revolution Vereinigung«zwei Jahre lang von rechts. Das führte in den vergangenen ins Gefängnis musste, ging Jahren dazu, dass sich innerhalb der Szene die lose Gruppierung der »autonomen Nati- Wulff mit Worchs Konzept onalisten« bildete. Sie orientiert sich stark

68 in Neonazi-Kreisen hausieren. Wulff an Erscheinungsbild und Auftreten »linker nannte »sein« Konzept »Freie Nationalis- Autonomer«. Die »autonomen Nationalis- Stand im Regen: »Kameradschaftsanführer« Christian Woch in Hamburg. ten« tragen in der Regel schwarze Kleidung, nutzen Symbole der linken Alternativbewe- gung und machen bei Demonstrationen aus ihrer Gewaltbereitschaft auch gegenüber Polizeibeamten keinen Hehl. Trotz aller Differenzen arbeiten NPD und »Kameraden« eng zusammen. Im Bundesvorstand und allen Landesvorständen gibt es Beauftragte, die für den Zusammenhalt mit den »Freien Kräften« sorgen. In Wahlkämpfen überneh- men diese einen erheblichen Teil der Arbeit auf der Straße. Bei NPD-Kundgebungen stellen sie einen Großteil der Teilnehmer. Zudem baut die NPD darauf, durch die Agi- tation der »Freien Kameradschaften« und den von ihnen verkörperten »rechten Life- style« neue Mitglieder zu gewinnen. |

Neonazistische »Freie Kräfte« dominieren rechtsextreme Aufmärsche längst auch in 69 Niedersachsen. Auf der Fensterbank des hell- braun gekachelten Bades liegt Biedermann »Der Spiegel«. Aufgeschlagen ist ein Artikel über Postchef Klaus aus Buxtehude Zumwinkel. Die fettgedruckte Schlagzeile lautet: »Jeder kämpft für sich.« Das könnte Adolf Dam- Adolf Dammann ist gliedsnummer 171, er ist heute noch stolz darauf. Damals war er gerade 25 Jahre alt manns Lebensmotto sein. NPD-Gründungsmitglied und hatte bereits eine lange rechtsextreme Der 1939 geborene Dammann gehört und gilt als Strippenzieher Karriere hinter sich. Sie begann, als er noch zum NPD-»Urgestein« – nicht nur in Nie- zur Schule ging. dersachsen, sondern bundesweit. Zugleich Seitdem lebt der Rechtsextremist gilt er als einer der Strippenzieher der Bücker vom Landespräventionsrat nennt seine rassistischen Träume von einem rechtsextremistischen Partei zwischen ihn einen »Meinungsführer in der natio- »deutschen Volksstaat« – mit allen Konse- Stade und Göttingen. nalen Szene« Niedersachsens. Für Bücker quenzen. 17 Jahre war der gelernte Bank- Gutbürgerlich ist die wohl treffendste ist Dammann ein »verbaler Brandstifter«, kaufmann für die »Volksbank Altes Land« Bezeichnung für sein Zuhause. Dicke Tep- der seine Gesinnung mit dem »Kleid des in Jork tätig, zuletzt als geschäftsführendes piche über abgeschabtem Stäbchenparkett Biedermannes tarnt«. Vorstandsmitglied, bis ihn seine rechtsex- im Wohnzimmer, ein fünftüriger Wohn- In seinem geräumigen Haus ist von tremistische Propaganda den Job kostete. zimmerschrank aus dunklem Nussbaum- der kämpferischen Seite des Adolf Dam- Doch unbeirrt machte er weiter braune holz mit abgestoßenen Füßen, auf der mann kaum etwas zu spüren. Höflich bie- Politik: als aggressiver Redner bei NPD- Fensterbank eine kleine Porzellanente mit tet er in seinem Wohnzimmer den Platz Aufmärschen und bis zur Rente auch bei rotem Schal, an den Wänden goldgerahmte mit der besten Aussicht an. Wer in den mit seinem neuen Arbeitgeber, einer Bank in Bilder mit gestickten Landschaftsmotiven hellbeigem Veloursstoff bezogenen Sessel Hamburg. und eine Zinnemedaille des »Männerge- sinkt, blickt an tiefroten Vorhängen vorbei Dammann gehört zu den rührigsten sangsvereins Mittelnkirchen von 1844«, durch große Terrassenfenster auf den na- Anführern der Szene. Niemand sonst hat so überreicht zur Silberhochzeit. So sieht es hen Mischwald. Drei Stunden nimmt sich viele Aufmärsche und Kundgebungen ange- aus in Adolf Dammanns dunkel verklin- Adolf Dammann Zeit für das Gespräch. meldet wie er. Alleine im Jahr 1978 waren es kertem Einfamilienhaus in Buxtehude. Hier »Das kann ich Ihnen zeigen«, ist der Satz, empfängt er Gäste, Parteifreunde und an den er in diesen 180 Minuten am häufigsten Auch mit »Kameradschaftsanführern« per Du: einem finsteren Novembertag ausnahms- sagt. Denn Adolf Dammanns ganzer Stolz Adolf Dammann gilt als Strippenzieher in der weise mal einen Reporter der »System- ist das Archiv in seinem Keller. Tausende niedersächsischen NPD. medien«, wie er die freie Presse nennt. Zeitungsausschnitte, Parteipapiere und Hinweise auf die andere Seite des Pamphlete hat er dort gesammelt – in mehr Adolf Dammann hängen als Kohlezeich- als vier Jahrzehnten. nungen in seinem Arbeitszimmer. »Wer »Ich muss mir Gedanken machen, nicht für die Freiheit sterben kann, der ist wie ich all das eines Tages der Partei ver- der Kette wert«, heißt es darauf. mache«, sagt er. Das für ihn wichtigste Adolf Dammann liebt eingängige Dokument hat er schon bereitgelegt: eine Sprüche wie diesen. Vor Gericht nannte er hellblaue Pappe mit NPD-Logo und der 70 sich einmal einen »Meinungsverbrecher«. Jahreszahl 1964 – dem Gründungsjahr der Vorbestraft ist er allerdings nicht. Gerhard Partei. Dammanns Ausweis trägt die Mit- 27 Veranstaltungen. Dammann sagt stolz: »Das kann ich Ihnen zeigen.« Und wieder verweist er auf die Zeitungsausschnitte in seinem Keller. Sein Verhältnis zur NPD und ihren Führungsgremien ist zwiespältig: »Parteien sind für mich nur Mittel zum Zweck.« Zwar gehörte er viele Jahre dem Landesvorstand an – daneben aber hält er enge Kontakte zu führenden Vertretern der »Kamerad- schaftsszene«. Zu ihnen zählen die Ham- burger Rechtsextremisten Christian Worch und Jürgen Rieger. Dammann gilt als Grün- der und Motor des mächtigen NPD-Unter- bezirks Stade, der über fünf Landkreise von Cuxhaven bis nach Rotenburg reicht. Gibt sich auch gerne mal bürgerlich: Dammann als Redner auf dem NPD-Landesparteitag 2007. »Die Fackel unserer Weltan- schauung weitergeben an die Trainingsveranstaltungen«. Damit machte Gruppen«. Die Brandstifter wurden nie ge- lautet sich Dammann in Parteikreisen »verdient«, fasst. nächste Generation«, band Nachwuchskader an sich und baute Unbeirrt machte Dammann weiter. sein rechtsextremer Auftrag. Die- seine Macht in der Landes-NPD immer wei- Er gründete auf eigene Kosten ein neu- sem Ziel sollen auch die »Schu- ter aus. Macht, die ihn auch massive Kon- es »Zentrum« in Bargstedt, das er bis vor flikte mit dem Landesvorstand politisch wenigen Jahren der NPD und anderen lungsveranstaltungen« für den unbeschadet überstehen ließ. rechtsextremen Gruppen zur Verfügung 1999 ging die »Kalte Zeit 10« in Flam- stellte. Geld, sagt Dammann, sei ihm nicht »Gesinnungsnachwuchs« dienen. men auf – durch Brandstiftung. Kurze Zeit wichtig, sondern nur »Mittel zum Zweck«. Auf eigene Kosten kaufte er 1978 für damals später wurde ein Bekennerschreiben ver- Was aber bringt einen Menschen wie ihn 65 000 Mark ein später zum »Schulungszent- teilt. »Das kann ich Ihnen zeigen«, sagt dazu, mehr als ein halbes Jahrhundert als rum« umgebautes Wohnhaus in Sulingen im Dammann und holt das zwei Seiten lange Rechtsextremist aktiv zu sein? Dammann Kreis Diepholz und vermietet es für monat- Schriftstück aus seinem Keller. hat sofort eine Antwort parat: »Es liegt mir lich 300 Mark an den NPD-Nachwuchsver- »Die ›Kalte Zeit‹ war ein verwahrlos- im Blut.« Er selbst nennt sich »politischer band »Junge Nationaldemokraten«. Die tes Bauernhaus, welches von Faschisten Soldat«, für andere, wie die Sprecherin des Adresse lautete »Kalte Zeit 10«. 21 Jahre gekauft worden war und die meiste Zeit niedersächsischen Verfassungsschutzes, lang war »Kalte Zeit 10« Veranstaltungsort leer stand. Auch als wir ungebetenerwei- Maren Brandenburger, ist er »ein unbelehr- für braune »Kameradschafts- und Musik- se zu Besuch erschienen«, heißt es in dem barer Rechtsextremist«. | abende«, »Mitgliederversammlungen« und Bekennerschreiben. Unterschrieben ist 71 vor allem für »linientreue Ausbildungs- und es mit »Autonome und antifaschistische Kurz und knapp ist das Komman- do: »Abmarsch!« Der Neonazi- Gebieter Aufmarsch setzt sich prompt in Bewegung. Mit verschränkten der Schläger Armen steht Manfred Börm da und kontrolliert, ob seine Anwei- sungen befolgt werden. Nach Manfred Börms leitet er das »Referat Ordnung«. Dahinter Vereinzelt brüllen die Extremisten Pfeife tanzen hartgesottene steckt der berüchtigte NPD-»Ordnerdienst«. Beschimpfungen zu Gegendemonstranten Der soll für »Disziplin und Sicherheit bei herüber. Dann bellt Börm »Disziplin wah- Gewalttäter Kundgebungen und Demonstrationen ren!« oder »Nicht provozieren lassen!« in des nationalen Widerstandes« sorgen und sein Megaphon. Dem verurteilten Straftä- durch »entschlossenes, sicheres und dis- ter geht es nicht um Gewaltfreiheit, er dul- Jugend. Sie propagierte Strenge, Disziplin zipliniertes Auftreten anderen Kameraden det keine eigenständigen Aktionen. Auch und Ordnung der »politischen Soldaten« Beispiel und Vorbild sein«, schreibt die »zugeschlagen« werden soll offenbar nur nach «nationalsozialistischem Vorbild«. NPD-Postille »Deutsche Stimme«. auf sein Kommando. Seit dem Verbot engagiert Börm sich in der Die so genannte »Schutztruppe« gibt Der inzwischen ergraute Anführer rechtsextremistischen »Heimattreuen Deut- es seit Ende der 1960er Jahre. 2003 über- gilt in der Szene als Autorität. »Niemand schen Jugend« (HDJ), die Szenekennern als nahm Börm ihre Leitung – und baute sie zu wagt es, Manfred Börm zu widerspre- Nachfolgerin der »Wiking-Jugend« gilt. einer zunehmend aggressiv auftretenden chen«, sagen Aussteiger. Diesen Mythos Auch in der NPD machte Börm rasch Schlägertruppe um. Von den Männern hat der unscheinbare Endfünfziger auf eine rechtsextremistische »Karriere«. Heu- verlangt Börm Unterordnung und Fana- Militanz und Fanatismus gebaut. Junge te bekleidet er Ämter im Unterbezirk Lüne- tismus. In einem »Meldeblatt für Interes- Neonazis erzählen sich gerne reißerische burg, im Landesvorstand Niedersachsen sierte« heißt es: »Der Bewerber erkennt die Geschichten von den «Heldentaten« des und im Bundesvorstand. Auch innerhalb Grundlage unserer nationalistischen Welt- Maurermeisters aus Handorf bei Lüneburg. der Partei bleibt er sich treu: Bundesweit anschauung an. Er ist bereit, nach diesen Etlichen gilt er als Vorbild. Als einer, der Grundsätzen sein Leben auszurichten.« nicht redet, sondern handelt. Innerhalb der Partei hat Börm Gehandelt hat Börm allerdings. Bereits Ende der 1970er Jahre bewies der nicht nur Freunde. Er widme Kandidat zur niedersächsischen Landtags- Börm in seinem Element: Bei Neonazi- »seinen« Ordnern mehr Auf- wahl 2008 politisch motivierte kriminelle Aufmärschen dirigiert er die »Ordner«, unter Energie: Er war an einem Überfall auf ein ihnen einschlägig verurteilte Gewalttäter. merksamkeit als der übrigen Waffenlager der NATO beteiligt. 1979 wurde sagen Kritiker. Aber sie wis- er zu einer mehrjährigen Haftstrafe verur- Partei, teilt – unter anderem wegen Mitgliedschaft pern den Widerspruch eher, als dass sie in einer terroristischen Vereinigung. ihn aussprechen – schließlich Militanter Neonazismus bestimm- te Börms Leben auch nach seiner Haft- machen gerade die Schläger entlassung 1985. Er wurde »Gauführer Börm sehr mächtig. Die zum Teil einschlä- Niedersachsen« der militanten »Wiking- gig verurteilten Gewalttäter scheinen ihm 72 Jugend«. Die 1994 verbotene Organisation treu ergeben – trotz oder gerade wegen verstand sich als Nachfolgerin der Hitler- seiner Strenge. Streng ist der Neonazi selbst mit seiner zum Auftakt des Landtagswahlkampfes in Familie. Die Aussteigerin Tanja Privenau Schleswig-Holstein eine regelrechte Stra- war lange eng mit den Börms befreundet. ßenschlacht. Ehefrau Ute, die ebenfalls für die NPD Mit Tabletts und Tischen als Schutz- kandidiert hat und an »Heimatabenden« schilden, mit Stühlen und Flaschen zum Gleichgesinnte um sich sammelte, durfte Schlagen stürmten die Rechtsextremisten es trotz politischen Engagements und sechs auf die etwa 60 Menschen zu. Die Situation Kindern nie zu viel sein, »ihren Manfred eskalierte, bis ein Zivilpolizist zur Warnung auch abends spät noch zu bekochen«. Gut- aus scharfer deutsch, versteht sich: Börm esse für sein Waffe in die Luft Leben gerne Fleisch und Bratkartoffeln. feuerte. Filmaufnahmen zeigten Einzig bei seinen inzwischen den später, dass Börm Kinderschuhen entwachsenen Töch- die »Ordner« tern und Söhnen soll er dann und wann noch per Handzeichen lenkte, Schwäche zeigen. Zwar habe er alle sechs während er selbst mit Steinen stramm neonazistisch erzogen und zur HDJ geschickt, berichtet Privenau. Zugleich aber warf. | habe er insbesondere den Töchtern »eine Art Doppelleben« gestattet: Sie durften die in der HDJ typischen langen Röcke und weißen Blusen gegen in der Szene verpönte Jeans und bauchfreie Tops tauschen und so in die Disko gehen. Eher unscheinbar steht Börm am Rande von In der Öffentlichkeit sieht Demonstrationen. Doch ein Wort genügt: Niemand in der Szene wage es, ihm zu wider- man Börm selten lächeln. Eher sprechen, sagen Insider. unscheinbar steht der Strip- penzieher am Rande der Auf- märsche aggressiver, meist junger Neonazis und dirigiert »Ordner«. Trotz seines kühlen Auftretens kann der Fanatiker offenbar immer noch gefährlich werden. Das mussten Gegende- monstranten im Dezember 2004 in Stein- burg nahe Itzehoe erleben: Mit ihnen 73 lieferten sich Börm und seine »Ordner« Die Adresse zeugt von Wohl- stand: die Auguste-Baur-Straße Gefährliches in Hamburgs Villenvorort Blan- kenese. In der zweistöckigen »Multitalent« Jugendstilvilla mit dem nicht mehr ganz frischen Anstrich ist Jürgen Riegers Anwaltskanzlei. Rechtsanwalt Jürgen Rieger Antworten. Er selbst sprach 2005 in einem Auf dem Schreibtisch stapeln sich gilt als fanatischer Rassist Interview von »Grundstücksspekulationen«. Gerichtsakten. Der 62-Jährige ist der »Star- Rieger war fast 20 Jahre lang Mitglied des anwalt« der rechten Szene. Zu seinen Kli- Grundeigentümervereins im noblen Blan- enten gehörten der vom RAF-Terroristen kenese, bis 1995 auch in dessen Vorstand. zum Neonazi gewandelte Horst Mahler sächsischen Verfassungsschutzes, Maren Ein anderer Teil seines Vermögens stammt und der Holocaustleugner Ernst Zündel. Brandenburger, einen »geradezu obses- offenbar aus Hinterlassenschaften verstor- Rieger ist Überzeugungstäter: Er teilt die siven Rassismus«. bener Altnazis – von Menschen, die wollen, Ansichten seiner braunen Mandanten bis Doch Rieger ist mehr als ein fana- »dass ihr Vermögen der Bewegung« zugute hin zu deren Verehrung für Hitler. tischer Hetzer. Der Vizechef des Hambur- kommt, wie Rieger es formuliert. Seit Ende »Adolf Hitler ist mit Sicherheit der ger Landesamtes für Verfassungsschutz, der 1970er Jahre setzt der Anwalt dieses größte Staatsmann, den wir im letzten Jahr- Manfred Murck, bezeichnete ihn als »gefähr- Geld für seine Zwecke ein. 1978 ließ er zwei hundert gehabt haben«, sagte er in einem liches Multitalent«. Zum »Multitalent« wird von ihm dominierte Vereine am Rande der Interview. Auch Rieger selbst hat als Anwalt Rieger vor allem, weil er offenkundig über Lüneburger Heide einen Bauernhof kaufen. im Prozess die Existenz der Gaskammern erhebliche finanzielle Mittel verfügt. Zu Dort gründete er das Schulungszentrum in Konzentrationslagern geleugnet. Das deren Herkunft gibt es mehr Fragen als »Hetendorf 13«, das jahrzehntelang ein brachte ihm eine Verurteilung wegen Volksverhetzung ein. Rieger will das Urteil anfechten. Der Spross einer Hamburger Arztfamilie sorgt sich um den Untergang Gilt als fanatischer Rassist: der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger. der »arischen Rasse«, liebt germanische Bräuche, und er ist fanatisch in seinem Hass auf Menschen anderer »Rassen«. Beim Pressefest der NPD in Sachsen im Jahr 2006 brüllte er vor mehreren hundert Neonazis unter lautem Beifall Sätze wie diesen: »Die Neger haben einen Intelligenzquotienten von durchschnittlich 85 – und das ist etwa die Hälfte zwischen Schwachsinn und normalbegabt.«

74 Nicht zuletzt wegen Aussagen wie dieser bescheinigt ihm die Sprecherin des nieder- brauner Szenetreffpunkt war. 1998 wurden die Vereine verboten, später das Anwesen enteignet. Rieger aber scheint entschlossen, wieder einen Treffpunkt für die norddeut- sche Szene zu etablieren. Zunächst kaufte er ein Kino in Hameln, dann die ehema- lige Bundeswehrliegenschaft Heisenhof in Dörverden. Er versuchte sich am Erwerb der Stadthalle in Verden und scheiterte offen- bar nur knapp beim Kauf des »Hotels am Stadtpark« in Delmenhorst. Der beken- nende »Neuheide« will »Rassezüchtung« Braune Sammelleidenschaft: Unter anderem besitzt Rieger Wehrmachtsfahrzeuge. betreiben, »nordische Menschen mit nor- dischen Menschen« paaren. Denn Blondi- »So warten Sie es doch ab, wenn nen seien intelligenter als Brünette, weiß er der erste Reporter umgelegt zu berichten. Er selbst ist brünett. Jahrzehntelang agierte Rieger in der ist, der erste Richter umgelegt rechtsextremen Szene als Einzelgänger. Das ist. Dann wissen Sie, es geht los.« änderte sich im September 2006, als er in die NPD eintrat. Kurze Zeit später wollte er Als der Reporter nachhakte, wen Rieger sich beim Bundesparteitag der NPD in Ber- denn umgelegt sehen wolle, drohte dieser lin zum stellvertretenden Bundesvorsitzen- unverhohlen und öffentlich: »Reporter, den wählen lassen. Doch Rieger hatte seine Richter, Polizisten, Sie!« Macht offenkundig überschätzt und wurde Seit kurzem steht zum ersten Mal mit einem Beisitzerposten abgespeist. Seit Riegers Job auf dem Spiel: Die Staatsan- Januar 2007 ist er Landesvorsitzender der waltschaft Mannheim hat Anklage wegen NPD in Hamburg. Volksverhetzung erhoben. Sie wirft dem Dass er kein harmloser Spinner ist, Neonazi vor, als Verteidiger Ernst Zündels belegt er nicht nur durch seine fanatischen in neun Fällen den Holocaust abgestritten Reden auf Parteitagen sondern auch vor oder verharmlost zu haben – und zugleich laufender TV-Kamera. hat die Staatsanwaltschaft ein Berufsverbot Ganz deutlich gab beantragt. | er da seine Gewaltphantasien für die Zeit nach der von ihm so sehnlich herbeigewünschten 75 »nationalen Revolution« preis: In der Öffentlichkeit den Hitler- Gruß zu zeigen oder »Sieg Heil« Nichts als zu rufen, ist in diesem Lande bei Strafe verboten. Weil sie Pokerspiele? aber gern den rechten Arm zum »Deutschen Gruß« emporrecken, brauchen Neonazis schützende Neonazis bekunden häufig finanziell notleidende Gastronome auf dem Lande sind bereit, Mauern, die ihr verbotenes und Interesse an Immobilien ihre oft schäbigen Hin- menschenverachtendes Treiben terzimmer (Bier-)Umsatz ver- verbergen. ist die Partei auf gleichgesinnte Gönner heißenden Neonazi-Runden Deshalb sind immer wieder Schlag- angewiesen. In Eschede nahe Celle lebt der zur Verfügung zu stellen. zeilen zu lesen, die von der Sorge um ein Landwirt Joachim Nahtz. Er gehört zum künftiges »Tagungs- und Schulungszen- Urgestein der Szene in Norddeutschland Lügen gehören in Extre- trum« der Rechtsextremisten berichten. und stellt den Extremisten seine Ländereien mistenkreisen offenbar auch Tatsächlich ist der Immobilienbesitz der regelmäßig für »Zelt- und Pfingstlager« Neonazis nur schwer zu überblicken. Häu- sowie »Sonnwendfeiern« zur Verfügung. bei der Raumbeschaffung zum Geschäft. sern sieht man von außen nicht an, ob Ohne solche Gönner haben es Rechts- Für seinen Landesparteitag drinnen braune Parolen gegrölt oder Kader extremisten in Niedersachsen schwer, im März 2007 mietete sich der Landesver- geschult werden. geeignete Räume für ihre Treffen zu finden. band der NPD unter Angabe falscher Daten Sicher ist: In Georgsmarienhütte bei Seriöse Gastwirte gehen auf Abstand, wenn in einer Gastwirtschaft in Ostfriesland ein. Osnabrück verfügt die NPD seit mindestens die NPD bei ihnen anklopft. Bestenfalls Als der Gastwirt von der wahren Identität zehn Jahren über ein Gebäude, das sie nach Gutdünken für ihre Zwecke nutzen kann Die NPD-Fahne wehte nicht lange über Melles altem Bahnhof. – einen heruntergekommenen 1970er-Jah- Ob Rieger das Gebäude tatsächlich erworben hat, ist nach wie vor unklar. re-Bau. Das ehemals weiße Backsteinhaus dient als »Tagungs- und Schulungszen- trum«. Hier wird menschenverachten- de Skinhead-Musik gespielt, und es gibt Konzertabende einschlägig vorbestrafter Liedermacher wie Frank Rennicke. Durch- reisende »Berufsdemonstranten« aus dem rechtsextremistischen Lager erhalten hier ebenso Quartier wie »Kameradschaftska- der« aus anderen Bundesländern, die für die NPD im Wahlkampf Flugblätter unge- beten in Hausbriefkästen stopfen. In Wilhelmshaven verfügt die NPD über Räume in einem Einfamilienhaus, in 76 dem ebenfalls »Gruppen- und Schulungs- abende« veranstaltet werden. Anderenorts seiner Gäste erfuhr, bewies er Zivilcoura- ge und setzte die NPD-Mitglieder mit Hil- fe der Polizei kurzerhand an die Luft. Die Neonazis machten ihrer Verärgerung mit einer »Spontandemo« in Oldenburg Luft und lieferten sich dort eine Rauferei mit der Polizei. Strafanzeigen wegen Landfrie- densbruchs und Widerstandes gegen Voll- streckungsbeamte waren die Folge. Weil das braune Parteivolk fast flä- Teurer Leerstand: Drei Millionen Euro ließ sich die Stadt Delmenhorst chendeckend ohne Raum dasteht, schei- das »Hotel am Stadtpark« kosten, um es dem Neonazi Rieger wegzuschnappen. nen Kader der NPD erpicht darauf, eigene Immobilien zu erwerben. Der nach Spen- Millionenpreis wirklich auf auf dem Immobilienmarkt mit der Angst denbetrügereien chronisch klammen NPD den Tisch gelegt hätte oder ob Geschäfte gemacht haben. fällt es allerdings zunehmend schwer, als In Melle jedenfalls hat man sich liquide und damit als ernstzunehmender es sich um ein raffiniert ein- 2007 nicht ins Bockshorn jagen lassen Geschäftspartner aufzutreten. Dennoch ist – und den Spieß einfach umgedreht. Dort gefädeltes Pokerspiel gehan- in vielen Kommunen die Sorge groß, dass hat Rieger nach Informationen der Meller delt hat. in ihrer Stadt oder Gemeinde ein rechtsex- Mit dem Ziel, den Preis künstlich Kreiszeitung tatsächlich seine Unterschrift tremistisches »Schulungszentrum« entste- hochzutreiben und am Ende feixend den unter einen Kaufvertrag gesetzt. Er könnte hen könnte. Manches Ratsmitglied würde Mehrerlös zwischen Verkäufer und vermeint- jetzt Eigentümer eines abgetakelten Bahn- den Rechtsextremisten in Frage kommende lichem braunem Bieter aufzuteilen. hofsgebäudes werden. Die Stadt hat sich Gebäude lieber mit kommunalem Geld vor Die Idee ist nicht neu. Sie stammt aus am Immobilienpoker nicht beteiligt. Der der Nase wegkaufen, als tatenlos der Ent- dem NPD-Kreisverband Jena. Der wusste Kaufpreis beträgt rund 700 000 Euro. Rie- stehung eines braunen Schandflecks zuzu- schon im Jahre 2005 um die Furcht in deut- ger behauptet, vom Vertrag zurücktreten zu sehen. schen Rathäusern. Auf seinen Internetsei- können. Mit dieser Meinung steht er aller- Mit Hilfe einer beispiellosen Spen- ten bot der Kreisverband Immobilienver- dings ziemlich alleine. Zudem ist längst densammlung in der Bevölkerung legte die käufern folgenden »Service« an: »Gegen nicht jeder davon überzeugt, dass der nach Stadt Delmenhorst 2006 rund drei Millio- Zahlung einer Parteispende stellen wir eigener Aussage wohlhabende Rieger die nen Euro auf den Tisch, um dem Hamburger Ihnen schriftlich aus, ein gesteigertes Inter- Summe tatsächlich aufbringen kann. Beim Neonazi Jürgen Rieger das »Hotel am Stadt- esse am Erwerb Ihrer Immobilie zu haben. Poker gibt es nun einmal kein Rücktritts- park« mit seinen mehr als 100 Zimmern Ebenfalls in diesem ›Service‹ enthalten recht – und mancher hat schon alles verlo- wegzuschnappen. Das gelang zwar – jetzt ist eine Mitteilung an die örtliche Presse. ren. | aber sitzt die Stadt auf einer schwer nutz- Damit haben Sie die besten Chancen, dass baren Immobilie, die monatlich mindestens Ihre Immobilie zu Höchstpreisen von der 15 000 Euro verschlingt. Stadt gekauft wird.« Lügen, bluffen und Zudem ist bis Kasse machen: Niemand weiß genau, wie 77 heute unklar, ob Rieger den oft die NPD und ihre Handlanger bereits Der »Kampf um die Köpfe« ist der NPD ein zentrales Anlie- Braune Weisheiten gen. Dabei verhält sie sich wie ein Drogendealer: Mit rechter Musik und Mode werden künf- tige Konsumenten »angefixt«, Kader vermitteln ihrem mit regelmäßigen Schulungen Nachwuchs »Erstkonsumenten« zu abhän- zweifelhaftes Wissen gigen »Dauerkunden« erzogen. Die Fortbildungen sollen nicht nur auf Auseinandersetzungen mit dem »poli- wird.« Die Referenten von damals sind die Wissenswertes? Die radikale NPD-Jugendor- tischen Gegner« vorbereiten. Sie sollen Parteigrößen von heute – wie der nieder- ganisation »Junge Nationaldemokraten« lehrt auch den Zusammenhalt in der Szene för- sächsische NPD-Vorsitzende Ulrich Eigen- den rechten Umgang mit der Presse. dern. Die NPD in Niedersachsen verfolgt feld. dieses Konzept seit Jahrzehnten. Erfahren Doch nicht nur die Referenten haben im hat das der heute 38 Jahre alte Peter von rechtsextremen Lager »Karriere« gemacht. der Birn*. Anfang der 1990er Jahre spielte Auch mancher Teilnehmer stieg in der probe: »Aus einer türkischen Salami wird er eine führende Rolle in der NPD-Nach- Hierarchie ganz nach oben. Zu ihnen gehört auch dann kein Deutschländer-Würstchen, wuchsorganisation »Junge Nationaldemo- der aus Hildesheim stammende NPD-Akti- wenn sie sechs Wochen in einem deut- kraten« (JN) in Norddeutschland. Mehrfach vist . Heute sitzt er als Frak- schen Kühlschrank gelegen hat«, hetzte er nahm er in dieser Zeit an Kaderschulungen tionsvorsitzender der NPD im sächsischen gegen die ihm verhasste Integration auslän- der NPD in Hetendorf nahe Celle teil. »Das Landtag und ist für seine dreisten Hass- discher Mitbürger. Gelernt hat Apfel sein war sehr praxisnah«, berichtet Peter von der tiraden gegen Andersdenkende berüchtigt. rhetorisches Handwerk vor allem in der Birn. »Wir haben zum Beispiel gelernt, was Beim niedersächsischen NPD-Parteitag in Schulungsstätte »Kalte Zeit 10« des NPD- zu tun ist, wenn ein ›Kamerad‹ verhaftet Scharzfeld gab er im April 2007 eine Kost- Funktionärs Adolf Dammann in Sulingen im Landkreis Diepholz. Dammann kaufte das ehemalige Bau- NPD-Urgestein Adolf Dammann leitet den Nachwuchs an. ernhaus 1978. Mehr als zwei Jahrzehnte lang stellte er das Gebäude der NPD und anderen rechtsextremistischen Organisa- tionen als »Schulungsstätte« zur Verfügung. Zu den Teilnehmern der »Fortbildungsver- anstaltungen« gehörte Jan Zobel, der Ende der 1990er Jahre aus der Szene ausgestiegen ist. Mehrfach drückte Zobel dort die Schul- bank – im gleichen Kursus saß Holger Apfel. »Ein besonders strebsamer Aktivist«, erinnert sich Zobel. 1999 ging die »Kalte Zeit 10« durch Brandstiftung in Flammen 78 auf – die Schulungen wurden in Dammanns Haus in Bargstedt fortgesetzt.

* Name von der Redaktion geändert Ideologischer Unterricht hat bei der NPD Niedersachsen eine lange Tradition: In den 1970er Jahren gab die JN ein »Pressehand- buch« heraus, seit 1977 erhalten Partei- funktionäre zudem per Rundbrief einen »Leitfaden« für den Umgang mit der Presse Das Motto lautet: Aufmerksam- keit erregen – um jeden Preis. Nichts fürchtet der NPD-Funktio- när mehr, als keine Beachtung zu finden. Wörtlich heißt es in dem Rund- brief an die Gesinnungsfreunde: »Grund- sätzlich solltet Ihr gegen Zeitungsredakti- onen nur in Ausnahmefällen aktiv werden. Ansonsten besteht nämlich die Gefahr, dass sie gar nichts mehr über uns berich- Ein ehemaliger Rechtsterrorist als »Lehrer«: Auf dem Heisenhof in Dörverden sprach ten. Und das Totgeschwiegen-Werden ist ja NPD-Aktivist Peter Naumann über »Methoden der Observation«. heute unser Hauptproblem.« Pech für die NPD, dass Zeitungs-, Radio- und Fernsehredaktionen berichten wollen, was interessiert. Daher zitieren sie in der Regel Politiker, die inhaltlich etwas zu sagen haben. Trotz aller Schulungen verbreiten NPD-Politiker nichts als Hetzpa- rolen und Phrasen. Für Schlagzeilen sorgen Kader und Mitläufer bestenfalls durch skan- dalöse Sprüche – und durch Straftaten. |

79 Das Geschehen in der »Eilen- riedehalle« in Hannover wirkt Sie sind nicht grotesk: Umrahmt vom Fah- nen schwenkenden Parteinach- »die Niedersachsen« wuchs, schmettern der nieder- sächsische NPD-Vorstand und aus Dresden, Schwerin und Ber- In ihrem Stammland ist lin angereiste Redner das »Lied die NPD chancenlos – aber der Niedersachsen«. gefährlich Das unbeholfene Zucken der Mund- winkel bei manchem auf dem Podium zeigt, dass nicht jeder textsicher ist. Aber darauf 1964, stellte – im nur wenige Kilometer von kommt es der NPD an diesem sonnigen der heutigen »Eilenriedehalle« entfernten Nachmittag des 15. September 2007 gar »Döhrener Maschpark« – der Zementfabri- nicht an. Die karge fensterlose Halle ist kant die entscheidende Schauplatz eines Spektakels, das die NPD Frage: »Wer ist für die Gründung der neu- Verbotener Gruß: Beim NPD-Wahlkampf- »Wahlkampfauftakt« nennt. Die Kader en Partei?« Einen Augenblick herrschte auftakt im September 2007 machen einige wollen Geschlossenheit demonstrieren, gespannte Ruhe: Dann erhoben sich die Neonazis keinen Hehl aus ihrer Gesinnung. nachdem sie zuvor jahrelang interne Gra- rund 600 versammelten Männer in ihren benkämpfe ausgefochten haben. schwarzen Anzügen und applaudierten. Vier Monate vor der Landtagswahl Das war die Geburtsstunde der NPD. Und in Niedersachsen wittert die NPD-Füh- schon damals war sie ein Sammelbecken 117 Rechtsextremisten in die Rathäuser rung um den Spitzenkandidaten Andreas für – teils verbotene – nationale, neonazis- und Kreistage. Ein unaufhaltsamer Abstieg Molau Morgenluft: Es ist ein knappes Jahr tische und radikal-nationalistische Splitter- hatte begonnen. her, dass die NPD im Nachbarland Meck- gruppen. Heute kommt die NPD landesweit lenburg-Vorpommern mit mehr als sieben Drei Jahre später, bei den Landtags- auf gerade einmal 18 Abgeordnete in Kom- Prozent den Sprung ins Landesparlament wahlen 1967, machten rund 7,1 Prozent der munalparlamenten. Laut Spitzenkandidat geschafft hat. Die Strippen im Schweriner Wähler in Niedersachsen ihr Kreuzchen Andreas Molau sieht sich die Partei beim Landtagswahlkampf zogen damals zwei bei der NPD. Wahlkampfauftakt in der »Eilenriedehal- Zehn Abgeordnete kamen gewiefte und politisch skrupellose Takti- le« dennoch »im Aufwind«. Der Extremist ker: der NPD-Landesvorsitzende Stefan in den Landtag. Die Freude dar- will jede Zwietracht in den eigenen Reihen Köster und sein Parteikompagnon Peter über währte nicht lange. übertünchen. Doch der politische Spaltpilz Marx. Beide sollen nun auch im niedersäch- Miss- findet im Sumpf der NPD Niedersachsen sischen Wahlkampf für die rechtsextreme gunst und Zwietracht waren Nahrung im Überfluss. Mancher Spitzen- Partei die Fäden ziehen. schon damals ständige Begleiter funktionär guckt in der »Eilenriedehalle« Das »Lied der Niedersachsen« wird vermutlich deshalb so angestrengt, weil der Rechtsextremisten. an diesem Septembernachmittag nicht nur Kurze Zeit später er in der Tasche die Faust ballt gegen man- wegen der bevorstehenden Landtagswahl verließen drei Abgeordnete die NPD-Frak- chen, der da mit ihm auf der Bühne steht. besonders laut gesungen: Niedersachsen tion. Ein Jahr später erreichte die Partei bei Im Zentrum der Kritik steht der NPD- 80 ist auch das Stammland der rechtsextre- den Kommunalwahlen landesweit nur noch Landesvorsitzende Ulrich Eigenfeld. Er ist men Partei. Am Sonnabend, 28. November 5,2 Prozent. Statt erhoffter 200 schickte sie wie stets in Anzug und Krawatte gekleidet und gilt als Vertreter des formal bürger- ren, hängte Eigenfeld ihm einen Maulkorb Gros der Teilnehmer. Viele von ihnen haben lichen Flügels der NPD. Dem Ex-Eisen- um. Später knickte er ein und nahm das mittlerweile ein NPD-Parteibuch. bahner werden finanzielle Mauscheleien Redeverbot zurück. Das zeigt, wie groß der Alle Versuche des »bürgerlichen La- und Eigenmächtigkeiten vorgeworfen, die Einfluss der als besonders gewaltbereit und gers«, sich in der NPD von diesem Gedan- wenige Monate zuvor beinahe zum Schei- fanatisch geltenden »Kameradschaften« auf kengut abzusetzen, verfehlen beim Wähler tern des NPD-Landesparteitages in Scharz- die NPD ist. offenbar ihre Wirkung. Keines der feld geführt hätten. Sie haben in Adolf Dammann, dem Besonders verübelt wird ihm das Vorsitzenden des mächtigen Unterbezirks renommierten Meinungsfor- Redeverbot, das er gegen einen der promi- Stade, einen einflussreichen Fürsprecher. nentesten »Kameradschaftsanführer« in Im Landtagswahlkampf spielen Mitglieder schungsinstitute beschei- Niedersachsen verhängte: Dieter Riefling der »Kameradschaften« eine Schlüsselrol- nigt der Partei ernstzuneh- aus Hildesheim. Riefling, selbst nicht NPD- le. Ohne sie wäre der 630 Mitglieder zäh- Mitglied, war über Jahre regelmäßig mit lende Landesverband kaum in der Lage, mende Aussichten, Ende provozierenden Ansprachen bei Veranstal- wie angekündigt mehr als eine Million Januar 2008 in den Landtag von tungen der NPD aufgetreten. Offenbar aus Wahlzeitungen zu verteilen, Infostände in Hannover einzuziehen. Angst, Riefling könnte das von Eigenfeld Fußgängerzonen zu besetzen oder nen- Vielleicht klingt sorgsam gepflegte, oberflächlich bürgerli- nenswert viele Plakate zu kleben. Auch bei deshalb das »Lied der Niedersachsen« beim che Image zur Landtagswahl 2008 zerstö- Aufmärschen stellen die »Kameraden« das Wahlkampfauftakt in der »Eilenriedehalle« weniger nach gesundem Selbstbewusstsein Grotesk anmutende Inszenierung: als nach angstvollem Pfeifen im Walde. | Fahnen schwenkend zieht der NPD-Nachwuchs in die »Eilenriedehalle« ein.

81 Die NPD wurde 1964 in Hanno- ver als Sammlungsbewegung des Auf dem »nationalen Lagers« gegründet. In ihr vereinigten sich teilweise absteigenden Ast verbotene, rechtsextremistische Splittergruppen mit der dama- ligen »Deutschen Reichspartei« Die NPD zählt heute überein, sich in den Bundesländern nicht (DRP). Die DRP stand in der bundesweit nur noch gegenseitig Konkurrenz zu machen. Nun tritt bei Landtagswahlen nur jeweils eine Tradition der 1952 verbotenen knapp 7000 Mitglieder der beiden rechtsextremen Parteien an. Die »Sozialistischen Reichspartei«, Republikaner lehnen eine Zusammenarbeit mit der NPD weiter ab – die Folge ist ein einer Nachfolgeorganisation von Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde. In der flächendeckender Bedeutungsverlust der Hitlers NSDAP. Folgezeit verlor die rechtsextreme Partei an »Reps«. Bedeutung. Das betrifft Wahlergebnisse In den vergangenen Jahren nahm die Von 1966 bis 1968 verbuchte die Par- wie Mitgliederzahlen. Kam die NPD bun- NPD regelmäßig an Wahlen teil. In Sach- tei unter den Vorsitzenden Fritz Thielen und desweit einst auf knapp 30 000 Mitglieder, sen errang sie im September 2004 einen bei Landtagswahlen sind es heute noch knapp 7000. Stimmenanteil von 9,2 Prozent und zog Erfolge. Sie zog in sieben Landtage ein: In den 1980er Jahren traten im rechts- mit zwölf Abgeordneten erstmals wieder Niedersachsen, Hessen, Bayern, Rhein- extremen Spektrum mit der DVU und den in einen Landtag ein. 2006 kam sie bei land-Pfalz, Schleswig-Holstein, Baden- Republikanern Konkurrenten auf den Plan. den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vor- Württemberg und Bremen. Bei den Bun- 2005 aber schlossen DVU und NPD den so pommern auf 7,3 Prozent und stellt seither destagswahlen 1969 scheiterte sie mit 4,3 genannten »Deutschland-Pakt«: Man kam sechs Abgeordnete.

Fadenscheinig einig: Hinter den Kulissen sind sich Niedersachsens NPD-Kader und »Kameradschaftsanführer« alles andere als wohl gesonnen.

82 Und tschüss: Die NPD ist auf dem absteigenden Ast.

Ideologisch strebt die NPD die Schaffung und ihrer Verehrung für das »Dritte einer »Volksgemeinschaft im natürlichen Reich«. ethnischen Sinne an«. Nach Einschät- So nennt der NPD-Bundesvorsit- zung des niedersächsischen Verfassungs- zende Udo Voigt als Ziel, die Demokratie schutzes führen Geschichtsverständnis »abzuwickeln«. Das Stelenfeld des Holo- und programmatische Äußerungen führen- caust-Mahnmals in Berlin empfahl er, als der Parteivertreter zu dem Schluss, dass der »Fundamente einer neuen Reichskanzlei« Begriff »Volksgemeinschaft« im Sinne des zu nutzen. Voigt, der seit 1996 Parteivor- historischen Nationalsozialismus inter- sitzender ist, zeichnet verantwortlich für pretiert werden muss. Geleitet von diesem die wachsende Radikalisierung der Partei. Ansatz erhebe die NPD unter anderem die Er bemüht sich auch, Mitglieder neonazis- Forderung nach einer »Rückführung von tischer »Kameradschaften« stärker einzu- Ausländern in ihre Heimatländer«, schrei- binden. | ben die Verfassungsschützer in ihrem Jah- resbericht 2006. Die alte und neue Garde: Der Landes- Parteikader lassen auch öffentlich vorsitzende Ulrich Eigenfeld (links) bemüht keinen Zweifel an ihrer Ableh- sich, die bürgerliche Fassade aufrecht- nung des demokratischen zuerhalten. Bundesvorstandsmitglied und »Kameradschaftsanführer« Thorsten Heise 83 Systems der Bundesrepublik (rechts) steht für die gewaltbereite Szene. NPD-Kandidaten versprechen viel im Wahlkampf. Vor allem Das große Versagen wollen sie »Anwalt der kleinen Leute« sein. Dafür versprechen nach der Wahl sie vollen Einsatz im Landespar- lament, in Kreistagen oder Rat- häusern. NPD-Abgeordnete kommunalen Ausschüssen dagegen ist Aber einmal gewählt, machen NPD- fallen vor allem durch seine Sache nicht. Der NPD-Vertreter Kommunalpolitiker vor allem durch Unwis- nimmt nicht einmal an den Sitzungen des senheit und Passivität auf sich aufmerksam. Unwissenheit auf Verwaltungsausschusses teil. Dort werden Sie »schwänzen« wichtige Ausschusssit- nicht-öffentlich wichtige Personal- und zungen hinter verschlossenen Türen, weil Sachentscheidungen vorbereitet. Für den diese ihnen kein Forum für ihre Propagan- Hahn sitzt seit der jüngsten Kommunal- CDU-Fraktionsvorsitzenden Horst Tichy da bieten. wahl für die NPD im Stadtrat. 3,7 Prozent ist klar: »Wer sich so verhält, macht deut- Die Ratsversammlung in Bad Lau- der Stimmen erhielt seine Partei am 10. Sep- lich, dass er sich für das Geschehen in der terberg im Harz ist ein Beispiel: Elf Punkte tember 2006 in dem rund 12 000 Einwohner Kommune nicht interessiert.« umfasst die Tagesordnung an diesem No- zählenden Städtchen. Das Sitzungsproto- Michael Hahn in Bad Lauterberg ist vemberabend. Es geht um Straßenbeleuch- koll braucht an diesem Abend keinen ein- kein Einzelfall. Im Verdener Kreistag sitzt tungen, Sitzbänke und den »Schierker-Feu- zigen Redebeitrag von Hahn festzuhalten. der ehemalige Chirurg Rigolf Hennig für erstein-Platz«. Auch Michael Hahn hat das Nur einmal ist seine Stimme zu vernehmen konstitu- Papier vor sich auf dem Tisch, daneben – als ein SPD-Ratsmitglied sich weigert, die NPD. Schon der einen weißen Zettel. Auf ihm vermerkt der dem Rechtsextremisten zur Begrüßung die ierenden Sitzung im Herbst 2006 37-Jährige fein säuberlich das Datum: »22. Hand zu geben. Da protestiert der NPD- blieb der 73-Jährige selbstver- November 2007«. Dabei bleibt es, mehr hält Mann laut und vernehmlich. er an diesem Abend nicht für notierens- Im Wahlkampf hat er noch »Funda- schuldet fern: Wegen Volks- wert. mentalopposition« und »engagiertes Ein- treten für die Sorgen der Bürger« verspro- verhetzung verbüßte er eine chen. Zu merken ist davon heute nichts. Haftstrafe. Erst fünf Monate Nicht nur an diesem Abend, berichtet der später nahm er erstmals an einer Er hebt gerne mal den Arm. Ansonsten fällt SPD-Fraktionsvorsitzende in Bad Lauter- Sitzung teil. Michael Hahn vor allem durch Ignoranz und berg, Heinz Kalamorz: »Von Aktivität kann Wie sein Kollege Hahn aus Inkompetenz auf – oder gar nicht. man eigentlich nicht sprechen. Ich habe Bad Lauterberg blieb er weitgehend stumm. noch nicht erlebt, dass Herr Hahn einen Außerhalb des Kreistages aber bringt er Antrag eingereicht oder größere Wortbei- Sätze wie diesen: In Bergen-Belsen habe es träge gebracht hat.« Nur einmal in den 14 etwa 3000 Tote gegeben. Diese Menschen Monaten seiner Amtszeit als Kommunal- seien überwiegend verhungert. Und zwar parlamentarier ergriff Hahn bislang das nur deshalb, weil britische Tiefflieger die Wort – das war an jenem Abend, als die Nahrungsmitteltransporte bombardiert Ratsversammlung eine Resolution gegen hätten. Tatsächlich ermordeten die Nazis Rechtsextremismus verabschiedet hat. in dem ehemaligen Konzentrationslager 84 Da riss er den Arm hoch und stimm- zwischen 1940 und 1945 mehr als 70 000 te dagegen. Mühsame Fleißarbeit in den Menschen auf zum Teil bestialische Art. Nach Ansicht des früheren stellvertretenden Präsidenten des Landtages in Hannover, Ernst-Henning Jahn (CDU) aus Wolfen- büttel, sind Äußerungen wie die von Rigolf Hennig an Zynismus kaum zu überbieten. Jahn hat sich intensiv wissenschaftlich mit dem Thema Konzentrationslager ausein- andergesetzt. Er spricht von »empörender Geschichtsfälschung«. Ihm will nicht ein- leuchten, dass solche Äußerungen straffrei bleiben. Skandalöse Äußerungen von NPD- Verbale Entgleisungen: Im Schweriner Landtag kassiert Pastörs’ Fraktion Mitgliedern in der Öffentlichkeit die meisten Ordnungsrufe. auf der einen, Unwissenheit und Ignoranz in der täglichen Pastörs – auch er nennt sich gern »Anwalt Dafür überziehen sie das Parlament mit der kleinen Leute« – ließ sich auf Kosten einer Flut von Anfragen. Bis Dezember Parlaments- und Ausschuss- des Steuerzahlers ein Abgeordnetenbüro 2007 waren es 365. Das Ziel ist offenbar, die arbeit auf der anderen Seite: Das einrichten. Ein Büro, in dem man sich in Arbeit der Gremien zu behindern. Vermut- hat bei den »die Reichskanzlei der 1930er Jahre zurück- lich haben die Schweriner NPD- »Politiker« Rechtsextremisten versetzt fühlt«, berichten Augenzeugen. Für mittlerweile selbst den Überblick über die Methode, wie auch die sechs NPD-Abge- kein anderes Abgeordnetenbüro musste die von ihnen eingeforderten Antworten verlo- ordneten im Landtag Mecklenburg-Vor- Landtagsverwaltung so viel Aufwand bei ren. Bis Mai 2007 stellten sie ihre Anfragen pommerns beweisen. Landtagspräsidentin der Beschaffung der Einrichtung treiben als »Erfolge« ihrer Arbeit auf ihre Internet- Sylvia Bretschneider (SPD) bekommt deren wie für das von Pastörs mit seinen »ausge- seiten. Seither gab es keine Aktualisierung Aggressivität und Respektlosigkeit gegen- fallenen« Wünschen. mehr. Der Hamburger Politologe Markus über demokratischen Institutionen beson- Keiner anderen Fraktion im Schweri- Birzer hat die »Arbeit« der NPD-Abgeord- ders zu spüren. ner Landtag gelten so viele Ordnungsrufe neten in Kommunalparlamenten Meck- Vor allem der NPD-Fraktionsvorsit- wie der NPD. Sechsmal wurden Abgeord- lenburg-Vorpommerns wissenschaftlich zende Udo Pastörs (»Ein Hitler wird leider nete bereits wegen sprachlicher Anleihen untersucht. Im Ergebnis bescheinigt er den nur alle 1000 Jahre geboren.«) greift zu beim NS-Regime ( »Hier spricht die Stimme Rechtsextremisten vor allem zwei Dinge: Formulierungen, die sich offenkundig an des Blutes.«) oder anderer verbaler Entglei- Inkompetenz und Ignoranz. | den Hetzreden führender NS-Politiker im sungen von der weiteren Teilnahme an der »Dritten Reich« anlehnen. So nannte er Sitzung ausgeschlossen. Praktische Arbeit Landtagspolitiker »Banditen« und wollte in den Parlamentsausschüssen dagegen den »ganzen Saustall mit eisernem Besen scheuen die NPD-Parlamentarier offenkun- 85 ausfegen«. dig. Dort ziehen sie es vor, zu schweigen. Wäre die Angelegenheit nicht so ernst, könnte die Geschich- Vom Staat te durchaus als Stoff für einen Thriller herhalten. Anfang des unterwandert Jahrtausends unternahm die deutsche Politik den vergeb- lichen Versuch, die »National- Das Scheitern des so genannten V-Leute waren entweder demokratische Partei Deutsch- NPD-Verbotsverfahrens vom Verfassungsschutz in die NPD einge- schleust worden, oder es handelte sich um lands« (NPD) zu verbieten. blamiert Demokraten langjährige NPD-Mitglieder, die von der Behörde bezahlt wurden, um im Gegenzug Nur drei Jahre später hatten sich Bun- Informationen über das Innenleben der desregierung, Bundestag und Bundesrat Parteien entgegenstellen. Eilig stellten Partei weiterzugeben. gehörig blamiert. Das Verfahren vor dem Bundesregierung, Bundestag und Bundes- Für das Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wurde einge- rat ihre Verbotsanträge zusammen, die sie Bundesverfassungsgericht bedeutete diese stellt. Der »Aufstand der Anständigen« im bereits im Januar 2001 beim Bundesverfas- brisante Information das Ende. Aus Sicht Kampf gegen den Rechtsextremismus war, sungsgericht in Karlsruhe einreichten. Das einiger Richter war es unmöglich, festzu- wie der Chemnitzer Politikwissenschaftler Verfahren war auf den Weg gebracht. stellen, in welchem Ausmaß der Verfas- Lars Flemming feststellte, zum »Aufstand Fast genau ein Jahr später platzte sungsschutz das Treiben der NPD beein- der Unfähigen« geraten. Die NPD durfte die politische Bombe. Nach und nach flusst hatte. Immerhin konnten zahlreiche weiterbestehen. wurde bekannt, dass in den Führungszir- belastende Beweise allein durch die V-Leute Was war geschehen? Anfang dieses keln der NPD zahlreiche Mitarbeiter der gewonnen werden. Aber konnte man aus- Jahrtausends wurde das Vorhaben, nach Verfassungsschutzbehörden saßen. Die schließen, dass sie das Verhalten der Partei dem Verbot der »Sozialistischen Reichspar- tei« 1952 und der »Kommunistischen Par- tei Deutschlands« im Jahr 1956 zum dritten Lauter dumme Esel? Neonazis machen sich häufig über Demokraten lustig. Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Partei verbieten zu lassen, auf den Weg gebracht. Eine Reihe fremdenfeindlicher Anschläge hatte zuvor in Deutschland dafür gesorgt, dass sich die Menschen rechtsex- tremistischen Gruppierungen zunehmend entgegenstellten. Die demokratischen Parteien, in deren Reihen immer wieder die Forderung nach einem NPD-Verbot laut geworden war, nahmen diese Entwicklung auf. In Umfragen sprach sich die Mehrheit der Deut- schen für ein Verbot der NPD 86 aus. Diesem Wunsch wollte sich offenbar keine der politischen beeinflusst haben? Haben die V-Leute ihre Darstellungen vielleicht übertrieben, um bei der Behörde Eindruck zu machen? Und was hätte es bedeutet, wenn die Geheim- dienstmitarbeiter die Partei erst zu verfas- sungsfeindlichem Verhalten angestiftet hätten, um damit selbst die Gründe für ein Verbot zu schaffen? Der Verdacht, die Partei sei zumin- dest teilweise staatlich gesteuert, konnte Neonazistischer Zynismus: Die Extremisten wissen die Freiheiten, bei einigen Verfassungsrichtern nicht aus- die die Demokratie gewährt, bis an die Grenzen des Erträglichen auszunutzen. geräumt werden. Das Verbotsverfah- ren wurde im März 2003 ein- gestellt. Zwar verbuchte die NPD diese Einstellung in der Öffentlichkeit als Erfolg. Als echter Gewinner konnte sie sich dennoch nicht fühlen. Schließlich hatte sich herausgestellt, dass die NPD in hohem Maße von Spitzeln unterwandert war. Aber auch der Staat hat verloren und sich blamiert. Zwar wird ein Verbot der rechtsextremen Partei immer wieder dis- kutiert. Die Sorge aber, dass ein erneutes Scheitern des Verfahrens vor dem höchsten deutschen Gericht der NPD propagandisti- schen Rückenwind verschaffen könnte, lässt vor allem in der CDU viele Politiker zögern. |

87 Es ist ein Schwachpunkt einer Gesellschaft, wenn rechtsextre- Die Kraft mes Gedankengut kursiert und immer wieder Menschen anderer des Wortes Hautfarbe, anderen Aussehens oder anderer politischer Einstel- lung Opfer brutaler Überfälle Ist es sinnvoll, tante Neonazi-Szene. Und das menschen- werden. Absoluter Schutz wäre die NPD zu verbieten? feindliche Auftreten ihrer Vertreter in den Landtagen Sachsens und Mecklenburg- nur durch absolute Kontrolle Vorpommerns dient gewiss nicht dazu, im möglich – das wäre das Ende der Ausland ein gutes Licht auf Deutschland zu In den vergangenen Jahren wurde immer werfen. Könnte ein Verbot dieses Problem freiheitlichen Gesellschaft. wieder über ein Verbot der rechtsextremen lösen? Aber nicht nur der staatliche Sicher- NPD diskutiert. Im Jahr 2003 ist ein Verbots- Befürworter eines neuen Verbots- heitsapparat, sondern auch die Zivilgesell- verfahren zwar gescheitert, dennoch sind antrages bringen das Argument vor, mit schaft ist gefordert, sich rechter Gewalt viele der Meinung, dass es sinnvoll wäre, dem Verbot entfiele eine der wichtigsten entgegenzustellen und den Betroffenen einen neuen Versuch zu wagen. Schließ- Finanzierungsquellen der NPD. Nach zur Seite zu stehen. Auch wird regelmäßig lich gilt die NPD als verfassungsfeindlich, Aussage des SPD-Politikers Sebastian nach politischen und juristischen Konse- antisemitisch und antidemokratisch. Sie Edathy bezieht die rechtsextremisti- quenzen gerufen. Wäre es nicht möglich, propagiert einen »völkischen Staat« und die Ausprägungen des Rechtsextremismus die angebliche Überlegenheit der »weißen sche Partei mehr als die Hälfte schlicht zu verbieten? Rasse«. Sie hat Verbindungen in die mili- ihres Geldes aus der staatlichen Parteienfinanzierung:» So erhält Postkarten und mehr: Bundesweit ist der zivilgesellschaftliche Protest der militante Neonazismus gegen rechts bunt und vielfältig. in Deutschland über die NPD staatliche Finanzmittel, und das Parteienprivileg wird dazu missbraucht, wöchent- lich Aufmärsche von Neonazis anzumelden.« Nach einem Verbot könnte die Partei nicht mehr gewählt werden und wäre damit der Chance beraubt, ihre men- schenverachtenden Parolen auch in Parla- menten zu verbreiten. Die NPD könnte nicht mehr so tun, als sei sie »eine ganz normale Partei«. Keine NPD – kein Problem? 88 Diesen Argumenten widerspre- chen die Gegner eines Verbots: Auf diese Aufklärung hilft: Ausstellungen zeigen, wie Rechtsextremisten arbeiten und wie man sich ihnen entgegenstellen kann.

Weise werde die Auseinandersetzung mit nichts in den Köpfen der Men- der Partei mindern will, muss sich in der der NPD behindert. Die Partei wäre nicht Sache mit der Partei auseinandersetzen.« mehr greifbar, ihre Anhänger gingen in schen, die fremdenfeindlichen Seiner Ansicht nach ist die demokra- den Untergrund, was die Arbeit der Sicher- oder nationalistischen Parolen tische Auseinandersetzung mit den Extre- heitsbehörden erschweren würde. Es wäre misten zu suchen, um sie argumentativ zu auch denkbar, dass gerade eine illegale auf den Leim gehen«, sagt Frank entlarven – ohne staatliche Repression, Bewegung auf rechtsextrem gesinnte Men- Richter, Vorsitzender der Gewerkschaft allein mit der Kraft des Wortes. Die Nicht- schen besonders anziehend wirken könnte. Wahl dieser Partei würde sie von staatlichen der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Der Reiz des Verbotenen dürfe nicht unter- Aber Finanzierungsquellen abschneiden und ihr schätzt werden. Vielleicht würden sich welche Alternative zum Verbot die Möglichkeit versagen, ihre dumpfen rechte Gesinnungsgenossen einer verbote- Parolen auf dem parlamentarischen Weg nen NPD ja erst recht zuwenden? gibt es? zu verbreiten. | Paul Spiegel, der 2006 verstorbene, Dieser Ansatz geht einher mit dem frühere Präsident des Zentralrats der Juden, wohl gewichtigsten Argument gegen ein riet dazu, das Problem demokratisch zu Verbot. Zwar wäre es möglich, die Partei lösen und der NPD bei den Wahlen schlicht verschwinden zu lassen. Das rechte Gedan- die Stimme zu versagen: »Das Verbot«, kengut aber ließe sich auf diese Weise nicht meinte Spiegel, »wird am besten ausgespro- beseitigen. Ganz im Gegenteil: Ein Verbot chen durch die Wähler.« Der Politikwissen- würde die Szene unter Umständen wei- schaftler Eckhard Jesse sieht das genauso: ter zusammenschweißen und so zu deren »Die NPD ist zwar durch und durch antide- Radikalisierung beitragen. »Der Ruf nach mokratisch, wird aber gleichwohl demo- 89 dem Verfassungsgericht ändert kratisch gewählt. Wer den Stimmenanteil

z z90 4. Braune unter uns Wie Neonazis sich in den Alltag schleichen

y91 Heidekreis nennt sich der Land- kreis Soltau-Fallingbostel. Und Nicht brauner er hat noch mehr zu bieten als eine malerische Landschaft mit als anderswo niedlichen Heidschnucken. Vogel-, Heide- und Serengetipark sind weit über die Kreisgren- Ein Landkreis wie jeder Doch nicht deshalb gilt den Verfassungs- zen hinaus bekannt und beliebt. andere: Soltau-Fallingbostel schützern die »Kameradschaft« als beson- ders gefährlich, sondern weil sie sich »Braun ist die Heide« will hier gilt als unauffällig daheim auch gerne bürgerlich und harmlos kaum jemand hören. gibt. Ihr Anführer Matthias Behrens lässt sich mit seinen Gesinnungsgenossen häu- Durch neonazistische Umtriebe falle Christian Pfeiffer vom Kriminologischen fig bei Blutspenden, Müllsammelaktionen, die Region nicht auf, da sind sich Polizei- Forschungsinstitut Niedersachsen hatte Skat- oder Kegelturnieren und auch auf sprecher Peter Hoppe in Soltau und Maren Kommunalpolitiker aller Fraktionen Mitte Volksfesten blicken. Seriös in Schlips und Brandenburger vom Verfassungsschutz in 2006 in Alarmstimmung versetzt: In kaum Kragen besucht er öffentliche Sitzungen Hannover einig. Rechtsextreme Umtriebe einer anderen Region sei der Anteil rechts- der Schneverdinger Ratsversammlung oder machen sie nur in wenigen Orten aus. Sol- extrem eingestellter Jugendlicher so hoch des Fallingbosteler Kreistages. tau-Fallingbostel ist ein niedersächsischer wie hier. Laut Pfeiffers Studie dachte hier »Die braune Jauche parfümiert sich«, Landkreis wie jeder andere – er ist nur ein 2005 jeder fünfte Neuntklässler fremden- schimpfte ein Grünen-Abgeordneter im Beispiel. feindlich, knapp sieben Prozent seien gar Februar 2007, als er Behrens unter den Zu- rechtsextrem eingestellt. Pfeiffer: »Was schauern des Jugendhilfeausschusses aus- es in der Heide an braun gefärbter Tradi- machte. Gelockt hatte den NPD-Landtags- Nur ein schlechter Faschingsscherz? tion gibt, trägt offenkundig dazu bei, die kandidaten vermutlich die Tagesordnung: In ihrem Internetauftritt zeigen Jugendlichen auf Kurs zu bringen.« Die Abgeordneten befanden über die För- die »Snevern Jungs« Ku-Klux-Klan-Kutten. Auch Polizei und Verfassungsschutz derung eines Projektes gegen Rechtsextre- fällt immerhin vor allem Schneverdingen mismus. mit seinen »Snevern Jungs« auf. Die mar- Nicht jeder Politiker im Landkreis schieren bei NPD-Demos mit, einige wollen reagiert so deutlich wie der Grüne. Auf für die Partei in den niedersächsischen Land- Einladung des damaligen SPD-Bürgermeis- tag einziehen. terkandidaten und heutigen Bürgermeis- Die »Snevern Jungs« ters setzte sich die Soltauer Juso-Arbeits- feiern »Karneval« mit Kutten des gemeinschaft gegen Rechtsradikalismus noch Mitte 2006 mit den »Snevern Jungs« Ku-Klux-Klan, im Sommer an einen Tisch und diskutierte. Die lokale zeigt der ein oder andere auch Presse titelte anschließend »Gelungener öffentlich eine Tätowierung der Dialog« und zitierte eine SPD-Politikerin, die die Neonazi-Kader lediglich als »Ultra- verbotenen Neonazi-Organi- konservative« einsortierte. Auch als die sation »Blood & Honour« oder Grünen wenige Wochen später zur Diskus- 92 sion »Was tun gegen Rechtsextremismus?« »AJAB« für »All Jews are bastards«. nach Schneverdingen luden, ließen sie dabei einige interessierte »Snevern Jungs« zuhören. Im August 2007 liefen die »Kame- raden« einmal mehr beim beliebten »Hei- delauf« mit. Der Vorsitzende des Sport- vereins sah »keine rechtliche Handhabe«, die Extremisten nicht mitmachen zu las- sen. Neben juristischen Bedenken schien Angst im Spiel: »Wer weiß, was die sonst machen?« Noch 2006 standen die »Snevern Extremismus völkisch bieder: Viele »Ludendorffer« bringen Kind und Kegel Jungs« auf der Ergebnisliste. Als sei die zum alljährlichen Ostertreffen mit. Neonazitruppe ein Verein wie jeder ande- re. Damals hatte der Verfassungsschutz die sitzen wird aber nicht funktionieren.« Ent- Auch Knapps Parteifreund Dieter Möhr- »Kameradschaft« längst öffentlich rechts- nervt mietete der erklärte Antifaschist einen mann regte sich auf: Offenbar sei es enga- extremistisch genannt. Ersatzraum in einer Gaststätte. gierten Jugendlichen in Niedersachsen Sich gegen rechts zu engagieren, kaum möglich, Konzerte gegen rechts In Schneverdingen tut man scheint auch in Munster nicht einfach. Ihr durchzuführen. Der parlamentarische sich nicht nur schwer, Neonazis »Rock gegen rechts«-Konzert jedenfalls Geschäftsführer der SPD im Landtag ist von Volksläufen auszuschließen. mussten Schüler und Jusos im März 2006 auch Fraktionschef im Kreistag Soltau-Fal- fürs Erste absagen: Dem Ordnungsamt lingbostels. Anlass für seinen Frust: Eben- Ebenso schwer fällt es den war aufgefallen, dass dem Sportheim ein falls aus Furcht vor ungebetenen Besuchern zweiter Fluchtweg fehlt. Renate Knapp, war wenige Wochen zuvor im Landkreis Verantwortlichen offenbar, SPD-Fraktionschefin im örtlichen Stadtrat, Schaumburg ein Konzert abgesagt worden. für Aufklärung über Rechts- nannte die Begründung »fadenscheinig«. In Munster erklang »Rock gegen rechts« extremismus zu sorgen. Für sie steckte hinter der Absage Angst vor doch noch – allerdings erst vier Monate Ein militanten Neonazis, die einen »Konzertbe- später und auf einem Privatgelände. Bündnis aus Parteien, Gewerk- such« angedroht hatten. Dabei hat der traditionsreiche Mili- schaften und Initiativen wollte Ende No- Schmierfinke: Die »Autonomen tärstandort Aufklärung über vember 2007 eine solche Veranstaltung in Nationalisten Soltau« verschandeln nicht Rechtsextremismus durch- Schneverdingens Gesamtschule organisie- nur Hauswände mit ihren Parolen. ren. Anfang November habe er im Kreis- aus nötig: Unter militanten haus um Genehmigung gebeten, berichtet Gewerkschaftsfunktionär Charly Braun, Neonazis ist die Stadt offenbar beliebt. und bis zum letzten Werktag vor dem Ter- Die »Snevern Jungs« sind nicht die einzigen, min sei darüber nicht entschieden worden. die im Internet vom örtlichen Panzermuse- »Die Entscheidungsträger sitzen das offen- um und der dort gezeigten »deutschen Mili- 93 sichtlich aus«, schimpft Braun. »Nazis aus- tärgeschichte« schwärmen. In Munster sammelt zudem »Snevern als »Kameradschaften« wie »Freie Kräfte haben Namen und Adressen – kein Verge- Jung’« und NPD-Landtagskandidat Roman Munster« oder »Snevern Jungs«. ben, kein Vergessen« musste Michael Lebid Greifenstein Jugendliche um sich. Einige In Soltau und Bomlitz bringen die an seiner Haustür lesen. Der SPD-Politiker seiner etwa zehn Anhänger seien erst 14 ANS dann und wann über Nacht hunderte will sich nicht einschüchtern lassen: »Ich oder 15 Jahre alt, berichtet Verfassungs- Aufkleber und Plakate an. Sie verschonen bin Anfeindungen gewöhnt.« In seiner schützerin Brandenburger. Ihnen bietet weder Verkehrsschilder noch Strommas- rund 7000 Einwohner zählenden Indus- Greifenstein mehr als Museumsbesuche: ten, Häuserwände oder Buswartehäuschen triegemeinde habe man den Extremisten Von ihm angeführt sollen die »Freien Kräfte mit ihren Parolen wie »Anti-Antifa-Netz- lange »kein Forum bieten und das Thema Munster« Wehrsport treiben – ganz in der werk« und »Good Night Left Side«. Auch nicht hochkochen« wollen: Ohne viel Auf- Nähe des örtlichen Truppenübungsplatzes Sticker und Flugblätter der NPD und ihrer hebens habe ein »lockeres, aber gut funkti- und getarnt als »Survival-Wochenenden«. radikalen Jugendorganisation »Junge Nati- onierendes Bündnis aus Bürgern« die Sti- Greifenstein scheint ein »Waffennarr« zu onaldemokraten« streuen die ANS eifrig. cker und Plakate stets umgehend entfernt. sein: Bereits 1996 wurde er verurteilt, weil Offenbar ist der Draht der »rechts ange- »Aber irgendwann reicht es«, meint Lebid. er einen Menschen mit einer Pistole bedroht hauchten Hansels« zur organisierten Szene »Wir reißen den Dreck nicht nur ab, wir hatte. Inzwischen ist die Liste der Urteile ein sehr kurzer. prangern seine Verursacher auch öffentlich gegen den Mittdreißiger lang; neben Ver- Anfang September 2007 titelte die an.« stößen gegen das Waffengesetz enthält Lokalpresse »Nazi-Aufkleber an jeder Bom- Ganz anders als die »autonomen« sie Schuldsprüche wegen Bedrohung und litzer Ecke«. Beim Bürgermeister wurden Neonazis kommt der »Bund für Gott- gefährlicher Körperverletzung. die Neonazis dann sehr persönlich: »Linke erkenntnis (Ludendorff ) e.V.« daher. Die Neben »Snevern Jungs« und »Freien auch »Ludendorffer« genannten Anhänger Kräften Munster« kennt der Verfassungs- Marschiert auch gerne mit der NPD: des Bundes treten betont gesittet auf. Mit schutz im Landkreis die »Autonomen Natio- Roman Greifenstein gilt als Anführer der Kind und Kegel reisen sie nach Dorfmark nalisten Soltau« (ANS). Nicht von ungefähr »Freien Kräfte Munster«. bei Bad Fallingbostel. Seit mehr als 30 Jah- greift die braune Szene mit »autonom« einen ren tagen sie alljährlich zu Ostern dort – im von Linksextremisten besetzten Begriff auf. örtlichen »Deutschen Haus«. Dort disku- tieren sie Themen wie die »multikulturelle In ihrer Aufmachung erinnert die Gesellschaft« oder amüsieren sich an einem Propaganda »autonomer »Volkstumsabend«. Die Frauen spazieren an die der lin- gerne in langen Röcken durch den 3500 Nationalisten« Einwohner zählenden Ort, an der Hand ken Szene, die Rechtsextremis- haben sie Mädchen mit adrett geflochtenen Zöpfen und Jungen in Knickerbockern. ten kleiden sich auch ähnlich. Polizei- Schon mit seinem Namen hul- sprecher Hoppe nennt die ANS »ein paar digt der »Bund« Mathilde Ludendorff. Die rechts angehauchte Hansels, die viel Unsinn 1966 gestorbene Witwe des Hitler-Wegge- machen«. Verfassungsschützerin Branden- fährten Erich Ludendorff unterteilte die burger nimmt sie weniger auf die leichte Menschheit in »Licht- und Schachtrassen« 94 Schulter. Ihre Behörde gehe von zehn bis und warnte vor einer »Vermischung«. Sie 15 Personen aus, die gewaltbereiter seien propagierte das »Recht des Stärkeren« und Kommt offenbar ins Schwitzen: Nach dem Heidelauf entblößt ein »Snevern Jung« seine neonazistischen Tätowierungen.

wollte in Juden die Drahtzieher einer »Welt- verschwörung« ausgemacht haben. Ihre Anhänger verstecken bis heute hinter ihrer völkisch-biederen Fassade derlei antisemi- tische und rassistische Überzeugungen. Eine Erkenntnis, die noch älter ist als die Extremistentreffen in Dorfmark: Schon 1961 verboten die Innenminister der Länder den »Bund für Gotterkenntnis« als verfassungs- feindlich, doch wegen Verfahrensfehlern hoben bayerische Verwaltungsrichter das Nicht erst seit Christian Pfeiffers Studie zeigen wir Neonazis, dass wir sie nicht Verbot 1977 wieder auf. Im Hei- beobachte man braune Umtriebe »sehr unter uns dulden.« sensibel«, befindet Norden. Der Christ- Überhaupt scheint sich die Aufre- dekreis störten die »Tagungen« demokrat will Extremisten »weder dulden gung um die Studie von Pfeiffers Krimi- noch verharmlosen«. Zugleich mahnt er, nologischem Institut weitgehend gelegt der Rechtsextremisten jahr- »gelassen zu bleiben«. Schließlich sei in zu haben. Soltau-Fallingbostels traurige zehntelang offenbar kaum Soltau-Fallingbostel Rechtsextremismus Spitzenwerte hätten sich nicht zuletzt aus jemanden. Jedenfalls fanden nicht weiter verbreitet als in den Nachbar- der Art der Datenerhebung ergeben, sagen landkreisen. Manfred Ostermann, der par- viele Kommunalpolitiker. Denn die Studie sich erstmals 2007 etwa 100 teilose Landrat, sieht das genauso. vergleiche ihre ländlich geprägte Heide vor Menschen zu einer Lars Klingbeil, SPD-Fraktionsvize allem mit städtischen Regionen. Die Politik Mahnwache ein. im Kreistag, verweist auf Aufklärungsver- scheint mit den Fachbehörden weitgehend Schneverdingen, Munster, Soltau, anstaltungen und auf die Resolution gegen einig, dass es in der Heide nicht brauner Bomlitz, Dorfmark – und der Kreis Soltau- Rechtsextremismus, die der Kreistag im zugeht als andernorts in Niedersachsen. Fallingbostel hat noch mehr solcher Städte März 2007 einstimmig verabschiedet hat. Was die »wachsamen Demokraten« und Dörfer. Doch schon bald will man den Seit der Pfeiffer-Studie habe sich bereits viel in Soltau-Fallingbostel tröstlich finden braunen Umtrieben den Nachwuchs neh- getan. Und bei wohlfeilen Worten werde es mögen, könnte andernorts im Land »wach- men: Zusammen mit der Polizei habe das nicht bleiben, verspricht auch Klingbeil mit same Demokraten« gehörig erschrecken. Jugendamt ein Präventionsprogramm erar- Blick auf das Präventionsprogramm. Niedersachsens Kultusminister Bernd beitet, berichtet Hermann Norden, Chef Peter Rabe, Vorsitzender des Kreis- Busemann hat jedenfalls bereits erkannt, der CDU-Mehrheitsfraktion im Kreistag. präventionsrates und ehemaliger SPD- dass sich Rechtsextremismus unter jungen Neben Veranstaltungen an Schulen werde Landtagsabgeordneter, räumt eine »gewisse Leuten nicht »auf überschaubare Klein- es erlebnispädagogische Angebote geben, Massierung« rechtsextremer Umtriebe ein. gruppen und einzelne Täter beschränkt«. die Jugendliche in ihrer Persönlichkeit Im selben Atemzug betont auch er, »aber Und der CDU-Politiker meint, dazu trage stärken und sie weniger anfällig für rechtes nicht mehr als in unseren Nachbarkreisen eine »vielfach eher wegschauende, tolerie- Gedankengut machen. Und auch die Leiter Rotenburg, Celle oder Lüneburg«. Engage- rende oder gar unterstützende Erwachse- der Jugendabteilungen örtlicher Vereine ment gegen rechts vermisst er im Heide- nenwelt« bei. | 95 wolle man gegen rechts schulen. kreis nicht: »Als wachsame Demokraten Das Thema ist tabu. Kaum je- mand spricht über Rechtsextre- Nur langsam mismus in Walsrode. Auch nicht die Bürgermeisterin. bröckelt die Mauer Silke Lorenz ruft tagelang nicht zu- rück. Erst auf schriftliche Anfrage reagiert des Schweigens die Parteilose – mit »derzeit kein Kom- mentar«. Persönlich erlaubt sie sich den Hinweis, dass sie »rechtsextremistische Kein Problem mit rechts? Wichmann *, berichtet Petersen. Veit Wich- Aktivitäten in Deutschland für deutlich Walsrode zwischen mann ist einschlägig vorbestraft, er schlägt problematisch« hält. Kein Wort über ihre zu – für Geld, aber auch für seine rechts- Stadt. Angst und Aufmucken extreme Gesinnung. Oder einfach, weil ihm Walsrode liegt im Landkreis Soltau- gerade nicht passt, wie der Typ vor ihm Auto Fallingbostel. Der Heidekreis gilt Polizei fährt. Schon zur Schule nahm Wichmann und Verfassungsschutz in Niedersachsen er nicht veröffentlicht sehen und auch einen Baseballschläger mit. Damit wolle er keineswegs als braune Hochburg. Lediglich nicht, wo er arbeitet: »Walsrode ist klein.« an der Bushaltestelle »den Russen die Knie zwei »Kameradschaften« in Schneverdin- In seinen Augen sind die Neonazis hier zertrümmern«, soll er frank und frei einge- gen und Munster sowie Soltaus »Autonome »zwar chaotisch, aber keineswegs unorga- räumt haben. Klar, dass er irgendwann von Nationalisten« halten Hannovers Schlapp- nisiert«. Und gewaltbereit seien sie auch. der Schule flog. Heute hat der 25-Jährige hüte für erwähnenswert. Walsrode gilt Ihren harten Kern schätzt Petersen auf zehn bereits reichlich Knasterfahrung. ihnen eher als weißer Fleck in dem Land- bis 15 Personen. Er selbst habe viele Monate Manfred Köster* scheint ein guter kreis, der in Sachen Rechtsextremismus gebraucht, »um zu kapieren, was an Wals- Kumpel von Veit Wichmann zu sein. Jeden- ohnehin nicht auffällt. »Einzelpersonen rodes Schulen abgeht«: Rechtsextremismus falls sitzt er gerne unter den Zuschauern, sind allerorten aktiv«, sagt Behördenspre- sei fast allgegenwärtig. wenn vor Gericht wieder einmal gegen Veit cherin Maren Brandenburger, »und orga- Schon viele Viert- und Fünftklässler Wichmann verhandelt wird. Er feixt, wenn nisierte Strukturen sind uns in Walsrode kennen die Hetzmusik von Rechtsrock- es gut läuft für den Angeklagten. Köster nicht bekannt«. Die örtliche Polizei sieht bands oder die Namen von Typen wie Veit gilt als weniger gewalttätig als Wichmann, das genauso: Es gebe »ein paar unorgani- sierte Rechtsextremisten«, sagt Sprecher Braune im Anmarsch: Demonstrativ geschlossen reisten die Neonazis nach Walsrode, Peter Hoppe in Soltau. als im örtlichen Jugendzentrum über Rechtsextremismus aufgeklärt werden soll. Frank Petersen* würde jetzt vielleicht lachen, »wenn das alles nicht so traurig wäre«. Er nennt die 25000-Ein- wohner-Stadt einen »klaren Schwerpunkt« der braunen Szene im Landkreis. Und in sei- nem Job kriegt er viel mit, kennt zahlreiche Jugendliche und 96 auch ihre Eltern. Seinen Namen will

* Name von der Redaktion geändert auch als intelligenter – und als ein langjäh- Hakenkreuzen und dem Zeichen von Hit- riger Anführer der örtlichen Neonazi-Sze- lers SS. Das war nur wenige Tage, nachdem ne. Trotzdem wird sein Name in und rund sich an der Schule eine »Antifaschistische um Walsrode noch leiser geflüstert als Arbeitsgruppe« gegründet hatte. Bereits Wichmanns. Denn Manfred Köster ist auch im Juni 2006 prangten neonazistische und Sohn eines honorigen Unternehmers aus antisemitische Parolen am Gebäude der Hamwiede, dieser Ortsteil Walsrodes zählt Zeugen Jehovas. Zwischen Hakenkreuz und gerade mal 220 Seelen. »Seine betuchten Davidstern war dort »Juden raus« zu lesen. Eltern hauen ihn aus allem raus«, sagen Nur gut einen Monat später über- Einheimische. Anfang 2006 verwarf das Landgericht fielen vier junge Rechtsextremis- Verden die Berufung Kösters: Das Amtsge- Unübersehbar prangen Hakenkreuze ten an einem See in Walsrode richt hatte den damals 22-Jährigen wegen nicht nur an Schulen. Verstoßes gegen das Versammlungsrecht fünf Jugendliche. Eher zufällig zu 800 Euro Geldstrafe verurteilt. Nach waren Überzeugung der Richter hatte er 2004 in zunächst zwei Neona- Verden an einer illegalen NPD-Aktion teil- zis dort, binnen Minuten hatten genommen: Neonazis wollten eine Aufklä- Verfolgten des Nazi-Regimes«, die der Ver- Gesinnungsgenossen rungsveranstaltung über Rechtsextremis- fassungsschutz mancherorts als linksextre- sie zwei mus stürmen. mistisch einschätzt. In Walsrodes Jugend- herzitiert. Sie sprühten Pfefferspray, Neben einem Baseballschläger fand zentrum organisiert er mit einem Bündnis traten auf die Jugendlichen ein die Polizei in Kösters Auto fünf Axtstiele. aus Parteien, Gewerkschaften und Initia- Die wollte der Angeklagte – nach eigenen tiven Vorträge über braune Umtriebe oder und grölten »Heil Hitler«. Angaben – mitnichten als Waffen einset- zeigt Filme über Rechtsextremismus. Die Der Richter stellte später klar, dass zen, sondern in der Firma seines Vaters Veranstaltungen sind stets gut die gefährliche Körperverletzung sich nutzen. Das Gegenteil konnte die Staats- gegen »politische Gegner« gerichtet habe: anwaltschaft nicht beweisen. Schon damals besucht. Aber nur wenig später Die angegriffenen Jugendlichen hätten hatte Köster mehrere Strafverfahren hinter sind auch mal »punkig« ausgesehen. Zwei Täter waren sich. So wurde er 2003 wegen vorsätzlicher die Fenster- bereits mehrfach gefährlicher Körperverlet- Körperverletzung zu einem Jahr und drei scheiben des »Juze« einge- zung oder Verwendens von Zeichen verfas- Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die die mit Neonazi- sungsfeindlicher Organisationen schuldig Richter auf drei Jahre zur Bewährung aus- schlagen oder gesprochen worden. Deshalb verurteilte setzten. Parolen zugeschmiert. das Amtsgericht Walsrode Ende März 2007 Charly Braun ist einer der wenigen, die Schmierereien sind in der rechtsextre- Christoph Tensing* zu einem Jahr und öffentlich sagen: »Klar, sind die Neonazis men Szene bekanntlich beliebt. In seiner Friedrich Geißner* zu elf Monaten Haft auch in Walsrode unterwegs.« Der Wahl- Heimat dokumentiert Charly Braun sie akri- ohne Bewährung. André Karchmanns* und Hannoveraner ist im Heidekreis geboren bisch. So beschmierten Rechtsextremisten Richard Kanters* Freiheitsstrafen wurden 97 und engagiert sich in der »Vereinigung der Ende 2006 die Berufsbildende Schule mit auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Veit Wichmann und Richard Kanter eines Abends, weit nach zehn und offensichtlich angetrunken, in des Lehrers Privathaus Einlass begehrte. Dieser solle gefälligst Dateien von Kösters Handy rausrücken, die er einst in der Schule einkassiert habe. Zu dieser Zeit saß Köster längst nicht mehr bei ihm im Unterricht, es galt offenbar ledig- lich, eine alte Rechnung zu begleichen. Auch aus Hamwiede reisen junge Neonazis nach Verden, Der Lehrer rief die Polizei. Die verwies die um eine GEW-Veranstaltung gegen rechts zu stören. Ruhestörer des Grundstücks, doch vom Bürgersteig aus machten die drei weiter. Richard Kanter war 2004 an Manfred gekommen. Auch Köster habe schließlich Nur Tage später war das Auto Kösters Seite, als dieser bei der illegalen eine zweite Chance verdient. Jugendliche NPD-Aktion in Verden mitmachte. Rechts- trainieren zur Resozialisierung? »Solange des Lehrers gründlich demo- extremisten wie er sind nicht die einzigen er Fußball spielt, kann er nichts anstellen«, Jugendlichen, die in Walsrode auf Kösters befindet Meine. Dann fällt ihm noch ein, liert. Die Täter hatten offen- Kommando hören: Bei »Germania Walsro- dass in Kösters Jugendmannschaft »auch sichtlich Steine aus einem Brun- de« trainiert der Mittzwanziger 15- und 16- junge Kurden spielen«. nen gefischt, eine ganze Reihe geparkter Jährige. Dabei darf Köster zu den Spielen Manfred Kösters Vater, der Unterneh- Autos unversehrt gelassen, um ausschließ- der ersten Mannschaft nicht mal mehr als mer, kommt zu fast jedem Spiel der Kicker lich am Wagen des Lehrers Heck- und Zuschauer. von »Germania Walsrode«. Seine Firma Windschutzscheibe zu zerstören. Natürlich Der Vereinsvorsitzende sieht darin sponsert häufig Trikots und soll sich auch gerieten Manfred Köster, Veit Wichmann keinen Widerspruch. »Unsere Jugendab- sonst nicht lumpen lassen. In seinem »Ger- und Richard Kanter unter Verdacht. Doch teilung hat entschieden, dass er Trainer manen-Echo« gratulierte der Verein seinem die drei feierten zur Tatzeit unter den Augen bleibt«, sagt Gerd Meine. »Zuschauerver- Gönner zum Ehejubiläum. Für das Layout Dutzender Zeugen ein Volksfest. Weder für bot« scheint ihm zudem ein hartes Wort, der Publikation zeichnet dessen Frau ver- die Pöbeleien vor des Lehrers Haustür noch die Vereinsspitze habe Köster »mündlich antwortlich. Sie soll sich auch gelegentlich für die Sachbeschädigung an seinem Auto nahe gelegt«, den Spielen einstweilen fern- für ihren längst volljährigen Sohn entschul- sollen sich aufmerksame Bürger als Augen- zubleiben. Im Übrigen, stellt Meine klar, sei digen. oder Ohrenzeugen gefunden haben. Am Vielleicht ja auch bei Kösters ehema- Ende wurden beide Verfahren eingestellt. der Jugendtrainer »unter Alkoholein- ligem Lehrer, doch der ist in dieser Ange- Weder Frank Petersen noch seine Be- fluss aggressiv gegen Zuschauer« legenheit leider nicht zu sprechen. Nicht rufskollegen wollen sich »Ansprechpartner geworden. rechtsradikalen einmal die Gründe für sein Schweigen mag gegen Rechtsextremismus« in Walsrode Von er nennen. Der Mann wohnt in Walsrode, er nennen. »Da geht schnell was kaputt.« Es oder fremdenfeindlichen Äuße- hat Frau und Kinder. gehe ihm nicht um politisches Porzel- 98 Aus anderer Quelle war zu erfah- lan, stellt er klar. Er meint es wörtlich. nichts zu Ohren rungen sei ihm ren, dass Manfred Köster zusammen mit Schließlich zielen die örtlichen Neonazis gerne mal auf Fensterscheiben von Häusern Diesen Verdacht hatte der Anruf eines ein- oder Autos. Und er fügt hinzu: »Zum Glück zigen »aufmerksamen« Bürgers ausgelöst. wohne ich nicht in Walsrode.« Zudem fehle Ein Großeinsatz der Polizei war die Fol- ihm Fachkompetenz: »Learning-by-doing ge. Am Ende stellte sich heraus, dass sich reicht bei weitem nicht aus.« Dabei braucht lediglich eine offensichtlich muslimische, die Stadt nach seiner Überzeugung drin- weil verschleierte Frau und ihr Mann den gend Experten, »die am besten regelmäßig Flecken in der Heide für ihre Flitterwochen von außerhalb kommen«. ausgesucht hatten. Der Polizei blieb nichts, Manfred Kösters Heimatort Hamwiede als sich bei dem – völlig unverdächtigen – kam Ende Oktober 2007 in den Medien über- Paar zu entschuldigen. Walsroder wie Frank regional groß raus. Nicht wegen fremden- Petersen würden über »aufmerksame« Bür- feindlicher oder gar rechtsextremistischer ger wie jenen Anrufer vielleicht lachen, Übergriffe, versteht sich. »wenn das alles nicht so traurig wäre« .| Walsrode gilt schließlich als weißer Fleck auf der braunen Landkar- te, in dem sich nach Darstel- lung der Behörden einzelne Rechtsextremisten unorga- tummeln. nisiert In Walsrodes kleinem Ortsteil ging es um nichts weniger als um Terrorverdacht gegen mutmaßliche Isla- misten.

Weggewischt? Heute darf sich Walsrodes Berufsbildende Schule 99 »Schule ohne Rassismus« nennen. Gerd Bücker leitet die Clearing- stelle zur Prävention von Rechts- »Sind das noch extremismus beim Landesprä- ventionsrat. Die Clearingstelle unsere Jungs?« berät auch Entscheidungsträger in Kommunen und Landkreisen und vermittelt ihnen Ansprech- Gerd Bücker vom und Wege. Ich habe beispielsweise mal partner. Landespräventionsrat einem Verein, der unter seinen Trainern einen Rechtsextremisten hatte, geraten, Eine Studie des Kriminologischen For- fordert Kommunen zu ihm eine Art »Cheftrainer« vor die Nase schungsinstituts Niedersachsen bescheinigt offensivem Umgang auf zu setzen. Damit hatte der Trainer de facto dem Landkreis Soltau-Fallingbostel auffallend nichts mehr zu sagen. Nach zwei Monaten viele Jugendliche, die fremdenfeindlich oder gar ist er gegangen – auf eigenen Wunsch. rechtsextrem eingestellt sind . Kommunalpoli- tiker halten dem entgegen, die Studie vergleiche den zu schmieden und Öffentlichkeit her- die ländliche Region vornehmlich mit städtischen zustellen. Das zeigt den Neonazis, dass ihre Gebieten . Denkt man tatsächlich auf dem Land Saat nicht auf fruchtbaren Boden fällt, dass generell brauner als in der Stadt? sie auf Widerstand stoßen. Nein. Allerdings scheinen es Rechtsextre- Die Extremisten ausgrenzen? misten auf dem Land leichter zu haben, Ihre unbelehrbaren Kader auf jeden Fall. ihr Biedermann-Image aufrecht zu erhal- Mal ein konkretes Beispiel: Was soll ein Ver- Gerd Bücker leitet die Clearingstelle ten. In kleinen Orten kennt oft jeder jeden einsvorstand tun, der erfährt, dass sein Jugend- zur Prävention von Rechtsextremismus – und das womöglich von Kindesbeinen an. trainer ein Rechtsextremist ist? beim Landespräventionsrat. Daher tun sich gerade dort viele Menschen Da gibt es keine Patentrezepte, das muss schwer, zu sagen: »Du bist ein Neonazi, mit man im Einzelfall entscheiden. Generell dir wollen wir nichts zu tun haben.« rate ich, zunächst zu gucken, wie tief der Was meinen Sie mit Biedermann-Image? Mann oder die Frau in der Szene steckt. Sich in den bürgerlichen Alltag zu inte- Kommt man zu der Überzeugung, dass die grieren wie es zum Beispiel die »Snevern Person ein »Wackelkandidat« ist, sollte man Jungs« versuchen, wenn sie im heimischen sie ansprechen und ihr sehr deutlich sagen: Schneverdingen Müll sammeln oder Skat »Wenn du damit weiter machst, fliegst du kloppen. bei uns raus.« Manche Fehlgeleitete kann Vor Ort sagen viele: Die tun keinem was, die man so in ihre Schranken weisen. benehmen sich immer ordentlich . Und wenn die Person nicht »fehlgeleitet« ist, Viele Extremisten schwingen ihre hetze- sondern aus Überzeugung handelt? rischen Reden andernorts und geben vor Ein Rechtsextremist hat als Jugendtrainer der eigenen Haustür den netten Nachbarn. in einem Sportverein nichts verloren. Also Das ist nicht nur in Schneverdingen so. muss er gehen. Wie soll man denn mit so einem »netten Ist das überhaupt möglich, solange er sich Nachbarn« umgehen? im Verein nichts zuschulden kommen lässt? 100 In der Regel rate ich, ein möglichst breites Wenn die Vereinssatzung einen Ausschluss Bündnis aus Politik, Vereinen und Verbän- nicht hergibt, finden sich oft andere Mittel Wie kommen Rechtsextremisten in solche Positi- onen? Das passiert in der Regel in Gegenden, in denen jahrelang weggeschaut und die hei- mische Szene verharmlost wurde – nach dem Motto: »Das sind doch unsere Jungs.« Da gilt es zunächst aufzuklären, welche Auffassungen diese »Jungs« vertreten, dass sie beispielsweise bei neonazistischen Ver- anstaltungen oder gar bei rechtsextrem motivierten Gewalttaten mit von der Partie sind. Und dann müssen sich die Menschen vor Ort fragen: »Sind das tatsächlich noch unsere Jungs?« Unter den »14 Words« posieren die »Snevern Jungs« in ihrem Internetauftritt. »14 Words« Gerade in Orten, in denen jeder jeden kennt, steht in der Szene für einen rassistischen Ausspruch des Rechtsextremisten David Eden Lane: scheint auch viel Angst im Spiel – unterschwel- »We must secure the existence of our people and a future for white children.« (»Wir müssen lig oder ausgesprochen: »Wenn ich den braunen das Bestehen unseres Volkes und die Zukunft unserer weißen Kinder sichern.«) ›Kameraden‹ aus dem Verein schmeiße, sind morgen vielleicht meine Reifen zerstochen – oder mehr oder minder versteckten verbalen rechte Skinheads in Springerstiefeln und Schlimmeres .« Drohungen oder Sachbeschädigungen zu mit Baseballschlägern. Diese »Nachbarn« Viele Leute haben Angst, das stimmt. Wenn agieren. wollen ihre letztlich menschenverachtende ich Kommunalpolitiker, Vereinsvorsitzen- Gibt es neben der Angst vor »Racheaktionen« Einstellung in die Mitte der Gesellschaft de oder Schulleiter berate, höre ich auch auch die Angst um den »guten Ruf« des Ortes? tragen. Und leider haben sie damit bislang mal: »Sie haben gut reden, Sie fahren gleich Einige Kommunalpolitiker scheinen den zu viel Erfolg. | wieder weg nach Hannover.« Und die Leu- Rechtsextremismus in ihrer Gemeinde te haben ja grundsätzlich recht. Die hohe lieber zu verschweigen oder zu verharmlo- Hier finden kriminelle Energie und vor allem die hohe sen: Sie fürchten, ihr Ort sei sonst schnell kommunale Entscheidungsträger Hilfe: Gewaltbereitschaft in Teilen der Szene sind als »braune Hochburg« verschrien – mit Clearingstelle zur Prävention von ein Riesenproblem. Aber gerade deshalb negativen Folgen für Tourismus und Wirt- Rechtsextremismus muss man den Kampf gegen antidemo- schaft. Dabei ist der offensive Umgang mit Am Waterlooplatz 5a kratisches Denken und Handeln offensiv den Problemen die einzig erfolgverspre- 30169 Hannover angehen. chende Strategie. Zumal NPD und »Kame- Telefon: 0511 / 120 52 59 Die »Öffentlichkeit« wird kaum nachts Autos radschaften« immer geschickter um Sym- E-Mail: [email protected] bewachen . pathien buhlen... Nur im übertragenen Sinne natürlich: Viele . .indem . sich Kader wie die »Snevern Jungs« Extremisten weichen durch klare öffent- in den bürgerlichen Alltag einbringen? liche Identifizierung und Beobachtung Genau. Auf ihre Art sind solch »nette 101 zurück – und trauen sich nicht mehr, mit Braune von nebenan« oft gefährlicher als »Wir erobern die Städte vom Land aus« heißt eine Parole der »Wir erobern NPD. Vielleicht weil sich offen- bar gerade auf dem Lande die die Städte Menschen – aus Sorge um den Ruf des Ortes oder um die Sicher- vom Land aus« heit der eigenen Familie – schwer tun, gegen den Rechtsextremis- In manchem Dorf beklagte gar eine schlimme Heuchelei im agieren Neonazis Ort: Seit der Kommunalwahl habe man mus vor der eigenen Haustür im Gemeinderat zwischen Preuß und den offensiv zu kämpfen. Und gegen weitgehend ungestört anderen einen Stuhl frei gelassen, um sich nach außen abzugrenzen. »Und in nicht- seine Anführer. öffentlicher Sitzung hockt man dann wie- Zum Beispiel in der Gemeinde seriöser Presse auch die rechtsextremisti- der zusammen«, sagte der FDP-Politiker. Süpplingen bei Helmstedt. Da lebt Adolf sche »Nationalzeitung« vertrieben wird. »Das geht doch nicht.« Preuß, und er ist beliebt im Dorf. Mit sei- Leute wie Adolf Preuß seien eine unter- Die evangelisch-lutherische Lan- nem Traktor ist der 66 Jahre alte Landwirt schätzte Gefahr, nicht nur in Süpplingen, deskirche in Braunschweig, zu der die in der 1900 Seelen zählenden Gemeinde sagte die Sprecherin des niedersächsischen Kirchengemeinde Süpplingen gehört, lud stets zur Stelle, wenn man ihn braucht. Und Verfassungsschutzes, Maren Brandenbur- zur Gemeindeversammlung, um das The- gebraucht wird seine Hilfe oft: beim Schüt- ger, als der »Fall Adolf Preuß« im Frühjahr ma offen zu diskutieren. Doch ihre Hand- zenfest, bei der Feuerwehr, oder wenn im 2007 Schlagzeilen machte. lungsmöglichkeiten schienen begrenzt: Dennoch Frühjahr das alte Holz der Kirchengemein- Die bloße Mitgliedschaft in der NPD reiche de abgefahren werden muss. waren es zunächst wenige, nicht aus, um Preuß aus dem Kirchenvor- Die andere Seite des Adolf Preuß: stand zu entfernen, hieß es zunächst. Die Der Landwirt ist aktiver Rechtsextremist die deutlich auf Distanz zu Reaktionen in der Kirchengemeinde waren – und niemandem im Dorf ist das verbor- dem NPD-Funktionär gingen. geteilt. Vor allem ältere Gemeindemit- gen geblieben. Denn schließlich sitzt er Der kürzlich verstorbene stellvertretende glieder sagten, sie verstünden »die ganze seit 1968 für die NPD im Gemeinderat. Bürgermeister Olaf-Locarno Tornow, dem Aufregung nicht«. Doch nicht nur in der Politik sammelt der in Süpplingen der Supermarkt gehörte, Ende November 2007 ging die Kir- NPD-Mann Erfahrung, sondern auch in chenleitung einen Schritt weiter. Offenbar Süpplingens evangelischer Kirchengemein- Adolf Preuß ist NPD-Mann – und beliebt in um Adolf Preuß argumentativ unter Druck de. Seit 1988 ist Preuß Mitglied im Kirchen- seinem Dorf. zu setzen und ihn zum Verzicht auf sei- vorstand, bei der jüngsten Vorstandswahl nen Sitz im Kirchenvorstand zu drängen, erzielte er das zweitbeste Ergebnis. lud sie ihn zum »Gespräch«. 15 »Fragen Viele Jahre nahm kaum jemand zum christlichen Bekenntnis« wurden ihm Anstoß an den braunen Umtrieben des gestellt. Fragen wie diese: »Wie wird man Landwirts, obwohl er offen für seine extre- Mitglied in unserer evangelisch-luthe- mistischen Ideen wirbt. Er verteilt im Ort rischen Landeskirche in Braunschweig: Flugblätter der NPD, lädt Gesinnungs- durch die Taufe oder durch die Zugehörig- freunde zu Schulungen auf seinen Hof ein keit zur deutschen Rasse?« NPD-Mitglied 102 und sorgt wie nebenbei noch dafür, dass Preuß sagte dazu, er werde sich nicht unter im einzigen Zeitungskiosk des Ortes neben Druck setzen lassen. Weder werde er aus der Partei austreten noch den Sitz im Kir- sonst keinen Ärger gebe. Einer Journalis- chenvorstand aufgeben. Mitte Dezember tin, die den Bürgermeister filmen wollte, 2007 schloss die Probstei Preuß aus dem griff er rüde in die Kamera und sprach Dro- Kirchenvorstand aus. Ob er bei der näch- hungen aus. Viel Zeit verging, bis der Rat- sten Wahl erneut antritt, ist offen. Der Spre- hauschef das »Parteitagsgelände« der NPD cher der Landeskirche, Michael Strauß, wieder verließ. Zuviel Zeit, meint mancher räumt ein: »Wir haben das Problem zu lan- im Landkreis Osterode. ge schleifen lassen.« Nach Medienberichten über das Ver- Von hinten sehen sie vermutlich besser aus: Während Preuß in Süpplingen seit halten des Bürgermeisters musste dieser Beim NPD-Parteitag in Scharzfeld jedenfalls langem NPD-Politik macht, ließ sich die Kritik einstecken. Vor allem die örtliche wollten sich die Delegierten nicht von vorne NPD im kleinen Scharzfeld nur einen Tag SPD, die Grünen und der Deutsche Gewerk- ablichten lassen. lang blicken – allerdings mit geballter schaftsbund warfen ihm mangelnde Dis- Kraft. Dabei ist das »Restaurant Dorfge- tanz zu den Rechtsextremisten vor und for- und Anwerbeversuche durch Rechtsextre- meinschaftshaus« kein sonderlich einla- derten seinen Rücktritt. Unvermittelt war misten. Nun erst wurde auch bekannt, dass dender Ort. Vergilbte Gardinen an kleinen der Südharz in den Schlagzeilen – und mit sich die Freiwillige Feuerwehr aus dem Lau- Fenstern und ein verwittertes Dach aus ihm die zahlreichen Aktivitäten der rechts- terberger Stadtteil Barbis schon zwei Jahre Eternit zeugen davon, dass der Bau aus extremistischen »Kameradschaften« in zuvor an den Bürgermeister gewandt hatte, dunklen Holzbohlen schon bessere Zeiten der Region. Aktivitäten, die viele offenbar nachdem bei Osterfeuern Neonazis ihre gesehen hat. lieber verdrängen, als sie zur Kenntnis zu Mitglieder bedroht hatten. Und auch die Doch war das schäbige Gebäude in nehmen und zu bekämpfen. Wenig später NPD machte nicht nur durch den Parteitag dem Herzberger Ortsteil Scharzfeld am 15. beschäftigte Scharzfeld auch den Landtag klar, wie wichtig ihr die Region ist: Gleich April 2007 Schauplatz eines Ereignisses, in Hannover. vier ihrer ersten 20 Listenkandidaten für die Die CDU-Landtags- das die Region im Südharz verändern soll- niedersächsische Landtagswahl Ende Janu- te. Denn dorthin hatte die NPD an diesem abgeordnete Regina Seeringer ar 2008 sind in Bad Lauterberg zu Hause. sonnigen Frühlingstag – von Polizei und stärkte ihrem Parteifreund Wal- Weil sie die Umtriebe der Neonazis Verfassungsschutz offenbar unbemerkt nicht mehr tatenlos hinnehmen wollen, – rund 100 Delegierte zu ihrem 48. Lan- ter den Rücken – und warf den gründeten engagierte Bürger um den Grü- desparteitag eingeladen. Erst spät am Vor- nen-Politiker Fritz Vokuhl ein überpartei- mittag erschien die örtliche Polizei – und Medien vor, die Tourismus- liches Bündnis »Bunt statt braun«. Im Sep- mit ihr Scharzfelds CDU-Bürgermeister region fälschlich als Hochburg tember 2007 folgten rund 1500 Menschen Gerhard Walter. Der wollte nach eigenen der Neonazis in Bad Lauterberg einem Protestaufruf der Angaben im Dorfgemeinschaftshaus nur zu bezeichnen. IG Metall. Rund 20 Betriebe stellten ihre mal »nach dem Rechten sehen«. Genau das aber ist die Gegend zwi- Mitarbeiter stundenweise frei, damit sie Auf die Frage eines Reporters, ob schen Osterode und Goslar. Szenekenner gegen die Rechtsextremisten auf die Straße er denn gar nichts dagegen habe, dass wie Gerd Bücker vom Landespräventi- gehen konnten. In der Gemeinde Süpplin- die rechtsextremistische NPD in seinem onsrat schätzen die Zahl der dort aktiven gen ist dagegen bislang niemand gegen Ort tage, antwortete er, er könne doch gar Rechtsextremisten auf bis zu 50. Schullei- die Aktivitäten des Neonazis auf die Straße nichts dagegen haben, wenn eine legale ter in Bad Lauterberg berichten von gewalt- gegangen. | 103 Partei eine Versammlung abhalte – und es samen Übergriffen auf ihre Schützlinge »Die Juden passen nicht zu den Deutschen und haben heute noch Der Menschenfeind zu großen Einfluss«, »überhaupt sollte Deutschland wieder einen wohnt nebenan starken Führer haben« – Aussa- gen, die wie Parolen von Ewig- gestrigen klingen. Und doch teilt Fremdenfeindlichkeit rechts ein, sondern in die politische Mitte. sie ein großer Teil der Gesell- und Rassismus sind in Zugleich sehen sich viele Bürger, die sich noch vor wenigen Jahren rechts sahen, heu- schaft. der Mitte der Gesellschaft te in der Mitte. Heitmeyers Fazit: »Die Mitte Das ist das Ergebnis der Studie »Vom der Gesellschaft rückt nach rechts.« Rand zur Mitte« der Psychologen und Sozi- angekommen Das könne der Nährboden für rechts- ologen Oliver Decker und Elmar Brähler extreme Parteien werden – oder dazu füh- von der Universität Leipzig. Die repräsenta- ren, dass die demokratischen Parteien die tive Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert- Soziologen Wilhelm Heitmeyer kommt rechtsextremen Tendenzen in der Gesell- Stiftung hat rechtsextreme Einstellungen in zu dem Ergebnis: Fremdenfeindliche und schaft aufgreifen. Denn die Mitte gelte als der Gesellschaft untersucht. Das Ergebnis antisemitische Einstellungen sind weit »normal«, warnt Heitmeyer. Gelten Frem- bereitet Sorgen: Rund ein Drittel der Bevöl- verbreitet. denfeindlichkeit oder Antisemitismus erst So waren 2006 knapp 60 kerung teilt rechtsextreme Ansichten. Jeder als »normal«, werden sie nicht einmal mehr dritte Deutsche ist danach nationalistisch Prozent der Bundesbürger der thematisiert – geschweige denn problema- eingestellt, zwei von fünf denken fremden- tisiert. feindlich, jeder Fünfte antisemitisch, knapp Ansicht, dass in Deutsch- jeder zehnte Deutsche befürwortet gar eine land zu viele Ausländer rechtsautoritäre Diktatur. Für Oliver Decker leben; knapp 36 Prozent waren sind das keine überraschenden Ergebnisse. »Dass die Ausländerfeindlichkeit so hoch dafür, Ausländer in ihre Hei- ist, war uns aus anderen Studien bekannt.« , wenn Auch die repräsentative Langzeitstu- mat zurückzuschicken die »Deutsche Zustände« des Bielefelder Arbeitsplätze knapp werden; knapp 15 Prozent fanden, dass Leute wie du und ich? Die NPD lädt zum Sommerfest. Juden zu viel Einfluss hätten. Nationalstolz ist auch bei vielen Unter anderem für diese Einstellungen hat Deutschen angesagt, die ihn sich nicht Heitmeyer den Begriff »gruppenbezogene offen ans Revers heften. Menschenfeindlichkeit« geprägt. Denn wer Gruppen wie Ausländern, Juden oder Als eine Ursache für diese verhängnisvolle Homosexuellen feindlich gegenübersteht, Entwicklung nennt Heitmeyer, dass immer sei schlicht Menschen feindlich gesinnt mehr Menschen sich orientierungslos füh- – und das nur, weil diese bestimmten len – aufgrund gesellschaftlicher Verände- Gruppen angehören. Viele Befragte, die rungen und damit verbundener Risiken. So 104 fremdenfeindlich oder antisemitisch den- wachse die Kluft zwischen Arm und Reich, ken, ordnen sich nicht einmal politisch genau wie die Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Hinzu kämen wei- tere Zukunftsängste und das Gefühl poli- tischer Ohnmacht. Wer sich ohnmächtig fühle, suche dafür oft Schuldige – und gren- ze diese dann aus. Neben dem subjektiven Empfinden sind Bildung und Alter wichtige Faktoren: Menschen mit niedrigem Bil- dungsniveau neigen eher zu Vorurteilen als gebildete, und ältere eher als junge. Auf dem Land denken die Menschen Trauriger Ausblick: Migranten sehen Neonazis an ihrem Fenster vorbeimarschieren. tendenziell menschenfeindlicher als in der Stadt. Dafür hat Heitmeyer mehrere Ursa- man in ländlichen Regionen oft konserva- stellungen bedingen. Immerhin zieht eine chen ausgemacht. Beispielsweise denke tiver und habe weniger Kontakt zu ande- rechtsextreme Einstellung nicht zwingend ren Gruppen – wie zu Ausländern. auch rechtsextremes oder gewalttätiges Anders Handeln nach sich. Ein Grund zur Entwar- »Gute Heimreise« ist eine der als oft behauptet, sinkt laut der nung ist das aber nicht. Rechtsextremismus zynischen Parolen der NPD, Studie die Fremdenfeindlich- dürfe nicht mehr als Randphänomen, son- um Fremdenfeindlichkeit anzustacheln. dern müsse als gesamtgesellschaftliches keit mit steigendem Ausländer- Problem betrachtet werden, mahnt Decker. anteil. Auch die »Landflucht« trägt zur Politische Bildung dürfe sich nicht auf Kin- »gruppenbezogenen Menschenfeindlich- der und Jugendliche beschränken, sondern keit« bei, weil diese in Gebieten größer sei, müsse Erwachsene einbeziehen. Sonst aus denen Menschen abwandern. könnten aus den Parolen der Ewiggestri- Dieses Stadt-Land-Gefälle hat Heit- gen die politischen Leitlinien von morgen meyer auch in Niedersachsen nachgewie- werden. | sen. Im Vergleich zu ihren Nachbarn in Schleswig-Holstein denken die Niedersach- sen »feindseliger«, aber im Vergleich zu denen in Mecklenburg-Vorpommern sind sie weniger »menschenfeindlich«. Unter allen Bundesländern liegt Niedersachsen laut Heitmeyer im Mittelfeld. Ein deutliches Stadt-Land-Gefälle haben auch Decker und Brähler in ihrer Erhebung festgestellt. Nach ihren Ergeb- nissen können auch autoritäre Erziehung sowie Aggressions- und Gewalterfah- 105 rungen in der Kindheit rechtsextreme Ein- Mit ihrer Studie »Vom Rand zur Mitte« erregten Oliver Decker Prinzip und sein Kollege Elmar Bräh- ler von der Universität Leipzig »Sündenbock« Anfang 2006 Aufsehen. Die Wis- senschaftler hatten im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung Rechtsextremismus muss nicht den Wunsch nach einem rechts- untersucht, wie verbreitet rechts- ist viel mehr als extremen Führer bedeuten, dessen Partei ist nachgeordnet. Trotzdem kann das als latent extreme Einstellungen unter den ein Jugendphänomen antidemokratische Einstellung verstanden Bundesbürgern sind. werden. Wer eine Diktatur befürwortet, lehnt eine Demokratie ab. Und die Ergeb- In Ihrer Studie kommen Sie zu dem Ergeb- Satz »Deutschland solle seine Interessen gegenüber nisse unserer Studie zeigen leider, dass es nis, dass ein großer Teil der Deutschen rechts- dem Ausland durchsetzen« auch als Nein der Bun- viele Menschen gibt, die so denken. extreme Ansichten teilt . Hat dieses Ergebnis Sie desrepublik zum Irakkrieg verstehen . Ist die Kritik Sie sehen einen Zusammenhang zwischen überrascht? berechtigt? autoritärer Erziehung und rechtsextremen Ein- Die Ergebnisse unserer Studie stimmen mit Wir haben die Daten statistisch geprüft: Es stellungen . denen anderer überein. Auch der Bielefelder gab keine Ausreißer. Alle, die bei vermeint- Menschen, die in ihrer Kindheit mit Auto- Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer stellt lich eindeutigeren Aussagen zustimmten, rität und Aggressionen konfrontiert wer- in seiner Langzeitstudie »Deutsche Zustän- haben auch hier zugestimmt. Und alle, die den, neigen eher zum klassischen Prinzip de« eine hohe Ausländerfeindlichkeit in der niedrige Zustimmungswerte hatten, haben des »Sündenbocks«. Minderheiten und Bevölkerung fest. Was mich überrascht hat, auch dieser Aussage nicht zugestimmt. Die Schwächere werden ausgegrenzt. Einige waren die klaren Statements. Erfahrungs- Überprüfung zeigt, dass die Fragen richtig Probanden unserer Studie berichten, dass gemäß antworten viele Befragte sozial verstanden wurden. sie in ihrer Kindheit geschlagen wurden erwünscht. Sie sind also offenbar davon Es gab nicht nur Kritik an der Art der Erhe- und ihnen das »nicht geschadet« habe. ausgegangen, dass ihre Antworten genau bung, sondern auch an der Analyse der Ergebnisse Sie sind sich sicher, dass aus ihnen »etwas das sind: sozial erwünscht oder zumindest – zum Beispiel zum Thema Nationalismus . Vernünftiges« geworden ist. Lässt man konsensfähig. Ich kenne die Kritik: In Frankreich oder den Geht ein Rechtsruck durch die Gesellschaft? USA gebe es auch starken Nationalismus, Nein, so kann man das nicht sagen. in diesen Ländern sei üblich, was wir hier- Oliver Decker hat untersucht, Latenter Rechtsextremismus ist kein neues zulande kritisieren. Aber heißt das auch, wie verbreitet rechtsextreme Einstellungen Phänomen. Die Forschungen gehen bis in dass dieser Nationalismus »normal« ist? in der Gesellschaft sind. die 1930er Jahre zurück. Das Thema bricht Nationalismus hat auch eine gesellschaft- immer wieder auf, wenn die Gesellschaft liche Funktion. Die eigene Nation erfährt sich verändert. Aber dass ein Drittel der eine Aufwertung, die mit einer Abwertung Gesellschaft ausländerfeindlich ist, dass anderer Nationen verknüpft wird. Das muss Antisemitismus und Chauvismus wieder man inhaltlich diskutieren. Das ist keine weit verbreitet sind – darin steckt Zünd- wissenschaftliche Diskussion mehr, son- stoff. dern eine politische. Kritiker Ihrer Studie behaupten, Fragen und Aber Nationalismus bedeutet doch noch 106 Antworten seien missverständlich und pauschali- längst keine Ablehnung der Demokratie? sierend formuliert . Beispielsweise könnte man den Der Wunsch nach einem starken Führer diese Probanden in Gruppen diskutieren, falscher politischer Weichenstellungen. Es fällt auf, wie stark das zusammenhängt: ist höchste Zeit, endlich gegenzusteuern. Rechtsextreme Einstellungen werden wie Wie denn? im Affekt geäußert. So werden in der Dis- Ein Anfang ist, das Problem öffentlich kussionen über den historischen National- wahrzunehmen. Die Programme gegen sozialismus Täter und Opfer vertauscht. Rechtsextremismus sind richtig und gut Aber die Erziehung ist nicht an allem – aber sie richten sich fast ausschließlich schuld . . an Jugendliche. Und Rechtsextremismus ist ... natürlich nicht. Ein weiterer Faktor ist kein reines Jugendphänomen, daher muss die Angst vor wirtschaftlichem Abstieg. In es auch um politische Erwachsenenbildung einer globalisierten Welt öffnen sich auch gehen. Und die Älteren sind viel schwieriger die Arbeitsmärkte. Und diese Prozesse wer- zu erreichen. | den von vielen nicht als soziale, sondern als ethnische verstanden. Motto: »Die Auslän- der nehmen uns die Arbeitsplätze weg.« Sie stellen in Ihrer Studie auch fest, dass viele rechtsextrem eingestellte Bürger die großen Volksparteien wählen – und nicht Parteien wie die NPD . Ist das nicht beruhigend? Viel besser wäre, wenn es diese Einstel- lungen nicht gäbe. Die größte Gefahr liegt aber darin, dass die demokratischen Parteien vorherrschende Einstellungen in der Gesellschaft aufzugreifen pflegen. Bei- spiele sind die öffentlichen Diskussionen um den »Asylkompromiss« oder die dop- pelte Staatsbürgerschaft. Solche Diskus- sionen lassen nationale und rassistische Einstellungen »normal« werden. Und was als »normal« empfunden wird, wird nicht Ein ganz normales Sommerfest? Rechtsextremisten reisen mehr in Frage gestellt. oft mit der ganzen Familie zu den einschlägigen Veranstaltungen. Was ist Ihr Fazit: Wie wird sich die Gesell- schaft entwickeln? Ich mag keine Prognose abgeben, ich wür- de dazu gerne eine Langzeitstudie durch- führen. Fest steht, dass die Gesellschaft ein großes rechtsextremes Potenzial hat – und 107 dieses Potenzial ist das Produkt zahlreicher y

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5. Gegensteuern Was gegen rechts wirkt

109 In Niedersachsen wollen immer mehr Menschen den rechtsextre- Auf dem Wege der mistischen Umtrieben vor ihrer Haustür Einhalt gebieten. Das Besserung? glaubt Gerd Bücker. Der Leiter der Clearingstelle zur Präventi- on von Rechtsextremismus beim Landespräventionsrat für drei. Es fließt in die Landkreise Verden Landespräventionsrat arbeitet spinnt an einem großen und Nienburg, die im »Weser-Aller-Bünd- nis: Engagiert für Demokratie und Zivilcou- seit 2004 an der Vernetzung aller, Netz gegen rechts rage« (WABE) zusammenarbeiten. Dane- die sich gegen rechts engagieren ben fördert der Bund Aktionspläne in den Städten Braunschweig und Lüneburg sowie wollen – von der Handvoll Bür- den Landkreisen Goslar und Osterode. Die ger eines Dorfes über Jugend- sortierte: »Jugend für Vielfalt, Toleranz und Träger der Aktionspläne entscheiden dann, Demokratie – gegen Rechtsextremismus, welche Projekte vor Ort gefördert werden. zentren, Vereine oder Schulen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus« Mit »Vielfalt tut gut« unterstützt der bis zu Organisationen wie Lan- nannte das Familienministerium Ende 2006 Bund zudem landesweit tätige Organi- sein 19 Millionen Euro schweres Programm. sationen. In Niedersachsen fiel die Wahl deskirche oder Sportjugend. Praktischerweise ist inzwischen in aller auf die Arbeitsstelle Rechtsextremismus Ende 2006 hat Berlin Bückers Arbeit Kürze von »Vielfalt tut gut« die Rede. Das gehörig durcheinander gewirbelt, als das Programm fördert bundesweit 90 »lokale Bundesfamilienministerium seine Pro- Aktionspläne« (LAP). Die meisten setzen gramme gegen Rechtsextremismus neu sich gegen Rechtsextremismus ein, andere wollen »interethnische Konflikte« in ihrer »NPD« mal anders gedeutet: Kommune lösen. Die örtlichen Träger wer- Der Protest gegen rechts ist vielfältig. den nicht komplett vom Bund finanziert, sondern müssen auch selber Geld zuschie- ßen. Aus Berlin fließen immerhin bis zu 100 000 Euro pro Jahr. Das Programm läuft zunächst bis ins Jahr 2010. Wie es danach weitergeht, ist offen. »Wehret den Anfängen« bleibt aktuell – In Niedersachsen haben sich 25 Be- auch in Niedersachsen. werber gemeldet, noch mehr waren es nur in Sachsen. und Gewalt (ARuG) in Braunschweig. Die »Das zeigt, dass sich ARuG arbeitet schon seit langem auch mit die Niedersachsen der Probleme Bückers Clearingstelle zusammen. Ihr Lei- bewusst ter sitzt im Fachbeirat der Clearingstelle, sind«, sagt Bücker. gemeinsam mit Vertretern aus Bremens Berlin belohnte das Engage- Jugendbildungsstätte Lidice-Haus, Hanno- ment und gibt nun Geld für fünf vers »ARPOS-Institut – Sozialwissenschaft 110 für die Praxis«, der hannoverschen evan- »lokale Aktionspläne« statt wie geplant gelischen Landeskirche, der Landesstelle hat Bücker in vergleichbaren Fällen seine Experten einzeln zusammengetrommelt. Als beispielsweise die NPD Mitte November 2007 in Georgsmarienhütte aufmarschierte, beriet seine Clearingstelle die Stadt. Mit Erfolg: »2500 friedliche Gegendemons- tranten sind ein gutes Ergebnis«, meint Bücker. Es geht also voran mit der Arbeit gegen Rechtsextremismus in Niedersach- sen? »Als Jürgen Rieger 2004 den Heisen- hof in Dörverden gekauft hat, hätte ich mich gefreut, wenn wir so weit gewesen wären«, sagt Bücker. Niedersachsen leis- te heute fundierte Arbeit, um Gegen rechts: Vielerorts, wo Neonazis einen Aufmarsch anmelden, regt sich Protest. rechtsextremen Umtrieben und Einstellungen vorzubeugen. Jugendschutz, der Aussteigerhilfe Rechts Ausgangslage entschieden, sagt Bücker. Wunschlos glücklich ist Bücker des Landes, dem Landeskriminalamt und Der Netzwerker gegen rechts hat insgesamt nicht. Er und seine Kollegen setzen sich dem Verfassungsschutz sowie dem Lan- rund 50 Fachleute in petto, die im Bedarfs- für eine bessere Beratung von Opfern desamt für Soziales und Jugend. Diese fall mitmachen könnten. rechtsextremer Straftäter ein. Helfen wür- Organisationen sind – ergänzt um Sportju- Wenn künftig etwa ein Bürgermei- de Niedersachsens Präventionsexperten gend und Landesjugendring – die Partner ster erfährt, dass die NPD in seinem Dorf auch, sich dauerhaft mit ihren Kollegen der ARuG, um »kompetente Konzepte für ihren Parteitag veranstalten will, könnte er in den Nachbarländern zu vernetzen. »Die Demokratie und Toleranz« zu entwickeln. das Interventionsteam anfordern. Bislang Rechtsextremisten agieren länderübergrei- Auch diese Arbeit wird Berlin mindestens fend«, sagt Bücker. Und leider seien auch bis Ende 2009 fördern. sie »verdammt gute Netzwerker«. | Neben den 19 Millionen Euro für »Vielfalt tut gut« hat Berlin weitere fünf Millionen bereitgestellt. Sie sollen nicht die Prävention fördern, sondern in Krisen- fällen helfen. In Niedersachsen geht daher bald ein »Mobiles Interventionsteam« an Großeinsatz: Bei rechtsextremen den Start. Seine Einsätze werden beim Lan- Aufmärschen versuchen die Beamten, despräventionsrat koordiniert. Wie es sich Neonazis und Gegendemonstranten 111 konkret zusammensetzt, werde je nach voneinander fern zu halten. Als Ende Juni 2004 bekannt wurde, wer hinter dem Kauf des Eine Region Dörverdener Heisenhofs steck- te, war die Aufregung groß. Bis wehrt sich dahin hatte sich niemand etwas unter der ominösen »Wilhelm- Tietjen-Stiftung für Fertilisation Verden zeigt, wie wehrhaft Verein die »Stadthalle für alle« retten. Ver- Ltd.« mit Sitz in London vorstel- Demokraten sein können den wehrte sich auf breiter Front dagegen, als brauner Landkreis verschrien zu wer- len können. Das änderte sich den. schlagartig, als der Name ihres Ein Engagement, dass bundesweit Kirchen und Parteien, Arbeiter und Aka- Anerkennung fand. 2005 würdigte der »Direktors« an die Öffentlichkeit demiker – das gesamte Spektrum der Be- damalige Bundesinnenminister gelangte: Jürgen Rieger. völkerung war vertreten. die Verdener Initiativen als »Botschafter An sieben Sonntagsspaziergängen der Toleranz«. Eine Klasse der Dörverdener Damals kündigte der Hamburger zum Heisenhof beteiligten sich mehrere Haupt- und Realschule bekam gleich meh- Rechtsextremist forsch an, auf dem Anwe- tausend Menschen. Der Aktionstag »Ver- rere Auszeichnungen, darunter den »Schü- sen an der Bundesstraße 215 zwischen den ist bunt« zog rund 5000 Besucher an. lerfriedenspreis 2005« aus der Hand des Verden und Nienburg Fruchtbarkeitsfor- Schüler brachten »Kontrasst« heraus, ein niedersächsischen Kultusministers Bernd schung nach Rieger-Art betreiben zu wol- Magazin kontra Rassismus. Schulprojekte Busemann. Die Jugendlichen hatten unter len: »In anderthalb Jahren, vielleicht auch befassten sich mit Rechtsextremismus, der anderem bei einem Sonntagsspaziergang früher, wird sich da was tun.« zudem auf zahlreichen Informationsver- auf mehr als 100 Schildern die Namen von Seither hat sich in der Tat eine Men- anstaltungen thematisiert wurde. Und als Opfern rechter Gewalt genannt. ge getan, allerdings ganz und gar nicht im nicht auszuschließen war, dass Rieger die Trotz aller Aufklärung über die Ziele Sinne des Rassisten Rieger. Bürger und Verdener Stadthalle kaufen wollte, gingen der braunen Populisten gelang zweien von Behörden in der Region haben dem Rechts- in kurzer Zeit fast 240 000 Euro Spenden ihnen im September 2006 der Sprung in die anwalt so viele Stolpersteine in den Weg ein. Damit konnte ein eigens gegründeter Kommunalparlamente. Bislang sind Da- gelegt, dass er bislang kaum ein Bein an die niel Fürstenberg im Gemeinderat Dörver- Erde bekommen hat. Geht die Rechnung den sowie Rigolf Hennig im Verdener Stadt- auf, kann er den Heisenhof abschreiben. »Vielfalt tut gut« – nicht nur in Verden. rat und im Kreistag allerdings nicht weiter Nutzen darf er ihn derzeit nicht, seine von In dem Landkreis ist die Arbeit gegen rechts aufgefallen. »Wer die gewählt hat, ihm dort einquartierten Gesinnungsgenos- besonders intensiv. sen mussten wieder ausziehen. müsste eigentlich ziemlich ent- Während die staatlichen Instanzen , meint Werner ein noch nicht beendetes juristisches täuscht sein« Tauziehen mit Rieger eingingen, zeigte Meincke vom Verdener Bündnis die Bevölkerung ihm und seinem Gefolge für Demokratie demonstrativ die rote Karte. In Dörverden und Toleranz. und Verden entstanden Bündnisse gegen Der pensionierte Lehrer ist zuver- rechts, unter deren Dach sich ganz vielfäl- sichtlich, dass die NPD bei der niedersäch- 112 tige Gruppen sammelten. Vereine und Ver- sischen Landtagswahl am 27. Januar 2008 bände, Feuerwehren und Gewerkschaften, außen vor bleibt. Mit der Konjunktur- belebung nehme die Zahl der Protest- gen Neonazis vom Heisenhof den Flecken wähler ab, prophezeit er. Sein Mitstreiter zu ihrem »Kampfgebiet«. Abends grasten Detlef Rakebrand ist weniger optimistisch: sie systematisch Treffpunkte nach gelang- »So lange der Aufschwung bei den Leuten weilten Jugendlichen ab oder tauchten in unten nicht ankommt... Aber ich lasse mich einem Gartenhaus auf, in dem ein junger gern eines Besseren belehren.« Neonazi aus Langwedel Gleichaltrige um Das Bündnis will seine »Verden geht Jürgen Rieger und seine sich geschart hatte. »Im Augenblick sieht zur Wahl«-Aktion in Zusammenarbeit mit Gesinnungsgenossen haben bisher kaum es aus, als hätten sie sich zurückgezogen«, den demokratischen Ratsparteien wieder- einen Fuß auf den Heisenhof bekommen. meint Christiane Morré, die Gleichstel- holen, Jugendliche planen eine Podiums- lungsbeauftragte der Gemeinde. Sie ist diskussion zur Landtagswahl. zugleich Mitglied der lokalen Arbeitsgrup- Zwar sind Deshalb ist weiterhin Prävention angesagt. pe Jugendhilfe, die eng mit dem landkreis- die Neonazis seit einiger Zeit aus Die Städte und Landkreise Verden und Nien- weiten Netzwerk gegen den Rechtsextre- burg haben im Kampf gegen den Rechts- mismus verwoben ist. dem Verdener Stadtbild ver- extremismus das »Weser-Aller-Bündnis: Für die besorgten Initiativen ist der schwunden und unterstützen Engagiert für Demokratie und Zivilcoura- Kampf noch längst nicht ausgestanden. mit ihrem Lautsprecherwagen ge« (WABE) gegründet. Es ist bereits zum WABE hat auch für das nächste Jahr För- zweiten Mal mit Geld vom Bund ausgestat- dermittel beantragt. Hanisch: »Wir gehen NPD-Aktionen in anderen Regi- tet worden, um Projekte zur Immunisie- davon aus, dass sie bewilligt werden.« onen, doch Rakebrand rung von Kindern und Jugendlichen gegen Vielleicht entwickeln sich dann noch mehr traut dem menschenverachtende Parolen auf den Weg Gruppenangebote für gefährdete Jugend- Frieden vor der eigenen Haustür zu bringen. Einschließlich der kommu- liche. »Die sollten wir überall haben«, sagt nicht: »Das ist die Ruhe vor dem Sturm. nalen Zuschüsse standen im vergangenen Werner Meincke. Man sieht sie nicht, aber sie sind noch da.« Jahr 140 000 Euro zur Verfügung, die in so In den vergangenen Jahren hat es in genannte Mikroprojekte fließen. Sie finden Verden mehrfach Gerichtsverhandlungen in Kindergärten und Schulen, in Vereinen gegen Neonazis gegeben, mal wegen Kör- In Dörverden erinnerten Kinder an die und Jugendorganisationen statt. perverletzung, mal wegen Volksverhetzung. zahlreichen Opfer rechter Gewalt. Dazu gehört aber auch ein Angebot Vor einem Jahr ging für gefährdete Jugendliche in Langwe- ein Reichs- del, das von WABE-Mitarbeiter Wilfried bahnwaggon in Flammen auf, Hanisch betreut wird. Mal kommen zwei, der auf dem Berufsschulgelände mal 15 junge Menschen zu den Treffen. Angeregt haben es betroffene Mütter, die als Mahnmal an die Zwangs- sich in einem Gesprächskreis zusammen- NS-Regimes stand. gefunden haben. arbeiter des Nachdem es 2005 in Langwedel zu Die Tat wurde nie aufgeklärt. Es blieb der einer Schlägerei zwischen zwei Jugend- Verdacht, dass die Brandstifter der rechts- 113 gruppen gekommen war, erklärten die jun- extremen Szene angehören. | Das Ganze erinnert an die Kar- riere eines süchtigen Rauchers: Der Weg aus der Mit ein paar Zigaretten fängt es an, und schon ist Wahrheit Szene ist steinig geworden, was als Warnung auf der Schachtel steht: »Rauchen kann sehr schnell zur Abhängig- Trotz zahlreicher In Niedersachsen gibt es die zentrale An- keit führen«. Ausstiegshilfen bleibt laufstelle »Aussteigerhilfe Rechts«, die beim Justizministerium angesiedelt ist. Ihr Mit dem Einstieg in die rechts- Eigeninitiative gefragt Vorteil im Vergleich zu anderen Bundes- extreme Szene ist es ähnlich: Ein paar ländern: Bei der Aussteigerhilfe arbeiten neue »Freunde«, ein paar Rechtsrockkon- Sozialpädagogen, die zudem Erfahrung zerte, ein paar gezielte Tabubrüche – schon Apotheker kann Ihnen helfen«. Menschen, im Umgang mit Rechtsextremisten haben. beginnt das braune Gift zu wirken. Das die in die rechtsextreme Szene abgerutscht Der Nachteil: Das Projekt ist in erster Linie Ende vom Lied ist ein Gruppenzwang, der sind, haben es da erheblich schwerer. Denn für bereits straffällig gewordene Szene- zerstörerisch wirken kann wie die Nikotin- wer sich auf die Suche nach Ausstiegshil- angehörige gedacht. Wer diese Stufe in sei- sucht eines Kettenrauchers. fen macht, sieht sich schnell einem verwir- ner rechtsextremen »Karriere« noch nicht In einem Punkt haben es Raucher renden Angebot zum Teil konkurrierender erreicht hat, wird dem Konzept nach wenig sogar leichter: Auf vielen Schachteln ist Programme gegenüber, die je nach Bundes- Hilfe erfahren – wenngleich man versucht, zu lesen, wo es Hilfe gibt: »Ihr Arzt oder land unterschiedlich aussehen. in Einzelfällen zu helfen. Unklar ist zudem, wie lange es diese Aussteigerhilfe noch »Volksverräter« nennen die Neonazis ihre politischen Gegner – geben wird. Ihre Existenz ist lediglich bis und » Verräter« jeden »Kameraden«, der raus will aus der Szene. Ende 2008 gesichert. Für potenzielle Aussteiger ohne kri- minelle Karriere ist in Niedersachsen die Arbeitsstelle gegen Rechtsextremismus und Gewalt (ARuG) in Braunschweig eine Anlaufstelle. Auch wenn sie kein eigen- ständiges Aussteigerprogramm hat, finden Ausstiegswillige hier Ansprechpartner, die ihnen eine kompetente Erstberatung bie- ten, Hilfsangebote machen und den Kon- takt zu anderen Helfern herstellen. Seit etwa sieben Jahren wird in Bund und Ländern an Konzepten für Ausstiegs- willige gewerkelt. Mit unterschiedlichem Erfolg. Zunächst gab es Telefon-Hotlines, meist unterhalten von den Landesämtern für Verfassungsschutz, die potenziellen Aussteigern den Erstkontakt erleichtern 114 sollten. Ein wenig erfolgreiches Konzept, wie beispielsweise der Vizechef des Ham- Hände abzählen, sagt Murck. In den der nicht-staatlichen Organisation »Exit« meisten Fällen habe sein Amt für Ausstiegs- in Berlin. Zwar erhält »Exit« staatliche För- willige vor allem Hilfe zur Selbsthilfe leisten derung, die Konzepte aber entwickelt die müssen, beispielsweise durch Unterstüt- Organisation selbst. Sie setzt zung bei der Job- und Wohnungssuche. Vor vor allem habe man ihnen jedoch »das Gefühl allem auf die Eigeninitia- geben müssen, dass sie nicht allein sind«, sagt der Beamte. Ernsthafte Bedrohungen tive der Ausstiegswilligen, durch die früheren »Kameraden« hatten deren Beweggründe genau die meisten Aussteiger nicht zu befürchten. geprüft werden, bevor sie in das Das sei auch darauf zurückzuführen, dass das Landesamt einen eher leisen Ausstieg Programm aufgenommen werden. aus der Szene empfehle und von öffent- »Exit« hilft bei Umzug, Arbeitssuche und lichen Bekundungen abrate. Behördengängen. Darüber hinaus küm- Einem weit verbreiteten Gerücht tritt mere sich die Organisation um die psy- Moment der Besinnung: War der Weg in die Murck vehement entgegen: dass die Ver- chischen Probleme jener, die aus einer fast Szene der rechte? Doch Wenden ist schwierig. fassungsschutzbehörden Ausstiegswillige abgeschotteten Welt falscher »Kamerad- vor dem endgültigen Ausstieg eine Zeit schaft« und brutaler Unterdrückung aus- burger Landesamtes für Verfassungsschutz, lang als Informanten benutzten. »Ich halte brechen wollen, sagt »Exit«-Chef Bernd Manfred Murck, für seinen Zuständigkeits- es für unmoralisch und kontraproduktiv, Wagner. bereich einräumt. Kaum Szeneabtrünnige, jemanden, der aussteigen will, als V-Mann Seit der Gründung vor sieben Jah- sondern vor allem Journalisten hätten von in die Szene zurückzuschicken oder ihn ren hat »Exit« den Ausstieg von etwa 230 der Hotline Gebrauch gemacht, um sich dort zu lassen«, sagt Murck. »Das wäre ein Ex-Neonazis begleitet. Der Nachteil des auf schnellem Wege über die Ausstiegskon- Missbrauch des Aussteigerprogramms.« Programms: Weil »Exit« keine staatliche zepte zu erkundigen, sagt der Verfassungs- Doch hält sich das Gerücht in Szene- Organisation ist, bleiben Schutzkorridore schützer. kreisen offenbar hartnäckig. Anders ist wie Namenswechsel und Zeugenschutz In Hamburg gibt es seit März 2001 ein kaum zu erklären, dass die Erfolgsbilanz für »Exit«-Aussteiger unerreichbar. Zudem Ausstiegskonzept, für das die Behörde für vergleichbarer bundesweiter Programme fehlt Geld. Nicht jeder hält es deshalb für Inneres die Federführung hat, und an des- ernüchternd ausfällt. Bei der Ausstiegshil- eine gute Idee, dass ein Land mit massiven sen Umsetzung Verfassungsschutz, Polizei fe des Bundesamtes für Verfassungsschutz Extremismus-Problemen wie Mecklenburg- und auch die Behörde für Bildung und Sport haben veröffentlichten Zahlen zufolge in Vorpommern die Betreuung von Ausstiegs- gemeinsam arbeiten. den vergangenen fünf Jahren 230 poten- willigen gleich ganz der Organisation über- Die Nachfrage zielle Aussteiger den Kontakt mit dem Amt lassen hat. hält sich in Grenzen: Die Zahl gesucht – von ihnen wurden lediglich 130 Zu den Kritikern gehört der Leiter des der konkreten Fälle bis zum endgültigen Ausstieg begleitet. Regionalzentrums für demokratische Kul- lasse sich In der öffentlichen Aufmerksamkeit tur West-Mecklenburg, Karl-Georg Ohse. etwa an den Fingern zweier eine weit größere Rolle als die staatlichen Er arbeitet seit Jahren professionell gegen 115 Ausstiegskonzepte spielt das Programm Rechtsextremismus und beklagt vor allem die mangelnde Abstimmung zwischen den Bundesländern bei der Betreuung von Aus- steigern: »Wenn ein Aussteiger den Wohn- ort wechseln muss, damit er vor der Verfol- gung durch seine Ex-Gesinnungsgenossen geschützt werden kann, gibt es immer wie- der Probleme: Ein Bundesland will nicht die Kosten des anderen übernehmen.« Kritisch gegenüber den bestehenden Konzepten ist auch der langjährige Mitar- beiter der Jugendbildungsstätte Lidice-Haus in Bremen, Andrea Müller. Nach jahrelanger Präventionsarbeit gegen Rechtsextremis- mus weiß er: Aufklärung ist der beste Schutz: Maren Brandenburger, Sprecherin des Verfassungsschutzes »Aussteiger sind immer in Hannover, informiert über Rechtsextremismus. auch Umsteiger. Man muss ihnen ein neues Leben in einem demokratischen Bewusst- Anlaufstellen: Bundesamt für Verfassungsschutz sein ermöglichen, damit sie eine Telefon: 02 21 / 7 92 62 Bundesweit: E-Mail: [email protected] Chance haben, ihre Einstel- EXIT-Deutschland Postfach: 87 03 16 Niedersachsen: lungen zu ändern.« Genau das aber sei 13162 Berlin Justizministerium in vielen Ausstiegskonzepten nicht ausrei- Telefon: 09 00 / 123 123 88 Aussteigerhilfe Rechts chend umsetzbar. Telefax: 0 12 12 / 68 88 666 00 Postfach 452 Der Ausstieg wird also niemandem E-Mail: [email protected] 30004 Hannover leicht gemacht. Nüchtern betrachtet bleibt Telefon: 01 78 / 747 47 20 nur, die Konsequenz der Warnung auf der ZDK Gesellschaft E-Mail: Zigarettenschachtel umzuformulieren: Demokratische Kultur gGmbH [email protected] »Rechtsextremismus fügt Ihnen und Ihrer Mühlenstraße 47 Umgebung erheblichen Schaden zu. Fan- 13187 Berlin Hamburg: gen Sie gar nicht erst damit an.« | Telefon: 030 / 912 07 93 Landesamt für Verfassungsschutz Telefax: 030 / 91 20 79 45 Johanniswall 4 E-Mail: 20095 Hamburg [email protected] Telefon: 040 / 24 44 43 Telefax: 040 / 33 83 60 116 E-Mail: [email protected] Schocktherapie in der Zelle

Im Knast klärt ein Ex- Probleme gibt es keine – aber einen langen Strehlow ist wegen Mordes inhaftiert Neonazi Schüler über seine und einschüchternden Weg, der jetzt vor – einer Beziehungstat, die nicht in Zusam- den Realschülern liegt. Die Sicherheitsvor- menhang mit seiner rechtsextremistischen einstigen »Kameraden« auf schriften in der JVA Celle sind aus gutem Gesinnung steht. Deshalb ist sie an die- Grund besonders streng: Von den 230 Häft- sem Tag auch nicht Thema. Vielmehr wol- lingen verbüßen mehr als die Hälfte lebens- len die Schüler wissen, wie er ins braune Neonazis nennen sich gern »Ka- lange Haftstrafen. Zu ihnen gehört Michael Milieu gerutscht ist. Strehlow gibt be- meraden«. Doch in der Szene Strehlow, der seit mehr als zehn Jahren in reitwillig Auskunft. Neonazi sei er seit Celle einsitzt. Nach Taschenkontrolle, Lei- seiner Kindheit gewesen, berichtet er. wird gelogen und betrogen, besvisitation und mehr als einem Dutzend Damals lebte er in der Nähe von Magde- geschlagen und hintergangen. Gittertüren und Stahltoren erwartet er die burg, Deutschland war zu dieser Zeit noch Schüler in einem Gruppenraum. Sie sind geteilt. Sein Großvater, ein über- Viele Aussteiger berichten, wie verblüfft: Michael Strehlow trägt keine sehr sie unter der falschen »Ka- Anstaltskluft, sondern ein grünes Sweat- zeugter Nazi, habe ihn mit shirt und schwarze Jeans. »Ihr könnt mich der NS-Ideologie »infiziert«. Er sei meradschaft« gelitten haben. alles fragen, was ihr wollt, egal wie abwegig Auch unter den 230 Inhaftierten die Fragen sind«, begrüßt der 35-Jährige es gewesen, der ihn mit Leuten zusammen- in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Celle mit den drei Messingringen im rechten Ohr gebracht habe, die schon im »Dritten Reich« ist solch ein Aussteiger, der jahrelang als die Realschüler. für die politische »Nachwuchsausbildung« Neonazi aktiv war. Während der Haft ist er ausgestiegen – jetzt berichtet er Schülern über seine Erfahrungen. Eine Art Schock- Eingesperrt, aber ausgestiegen: therapie in der Zelle. Michael Strehlow klärt Schüler über die Szene auf. Etwas mulmig ist ihnen schon zumu- te, den 15 und 16 Jahre alten Schülern der neunten Klasse der Realschule Wietze, als sie vor der dicken Mauer der JVA die gelben Besucherausweise in Empfang nehmen. In wenigen Minuten werden sie mit einem ehemaligen Neonazi zusammentreffen, der wegen Mordes zu lebenslanger Haft verur- teilt ist. Vor der stählernen Gefängnistür beschreibt die 15-jährige Nadja ihre Sorge: »Ich habe schon Angst. Er war ja früher ein Nazi. Und wenn der meine schwarzen 117 Haare sieht, dann kann ich mir gar nicht vorstellen, dass es keine Probleme gibt.« verantwortlich waren. Sie hätten ihn zum Quadratmeter großen Zelle gehütet hatte. »Michael Strehlow kann Schülern sehr Neonazi erzogen, sagt Strehlow. »Für mich »Ich habe vor allem nach einem gesucht deutlich vermitteln, wie sich eine langjäh- war es völlig normal, so zu denken.« Als er – nach Anerkennung«, sagt Strehlow rück- rige Haftstrafe auf einen Menschen aus- 13 Jahre alt war, starb sein Großvater. »An blickend. »Aber bekommen habe ich sie nie wirkt«, sagt Anstaltsleiter Werner Cordes. seinem Grab habe ich damals geschworen, wirklich.« Zudem sei er in der Lage, sich auszudrü- in seinem Sinne weiterzumachen.« Vor seinen ehemaligen Gesinnungs- cken und bei den Schülern einen blei- Nach der Wende machte Strehlow in genossen hat er noch heute Angst. Deshalb benden Eindruck zu hinterlassen. Durch Kreisen seiner braunen »Kameradschaft« will er über konkrete Personen und Orte den Kontakt würden die Schüler nach- Karriere. von damals nicht sprechen. »Sollte ich das haltig begreifen, welch schlimme Folgen Man entdeckte sein Talent, tun, wäre mein Leben nicht viel wert, wenn ein Hineinrutschen in die rechtsextreme Nachwuchs zu werben. Bun- ich eines Tages die Gefängnismauern ver- Szene habe. Die Schüler bestätigen den desweit sei er Anfang der 1990er lasse.« Das wird noch einige Jahre dauern. Anstaltsleiter. »Ich finde es gut, dass er Bis dahin will er etwas Sinnvolles tun – und das macht«, sagt Nadja. »Ich glaube, das Jahre unterwegs gewesen, um andere davor bewahren, wie er in die Szene hilft uns allen sehr, so etwas nicht zu zu geraten. Die Gefängnisleitung unter- machen.« Trotz ihrer dunklen Haare hat neue Gesinnungsgenossen stützt ihn, sie weiß, dass viele Neonazis im sie nach dem Besuch keine Angst mehr vor zu ködern, sagt er. »Ich war Laufe ihrer rechtsextremistischen »Karrie- diesem Haftinsassen. | taktisch sehr gut geschult und re« mit dem Gesetz in Konflikt geraten. habe große Überzeugungskraft gehabt.« Den damaligen Umgang mit den neuen »Kameraden« empfindet er heute als Wenden erlaubt: zynisch. Die meisten seien reines »Kano- Nicht einmal hinter Gittern ist der Weg aus der Szene versperrt. nenfutter« gewesen. Man habe sie bewusst zu Schlägereien mit Andersdenkenden oder zur Hatz auf Ausländer angestiftet. »Es war nicht schlimm, wenn der ein oder ande- re junge ›Kamerad‹ dabei auf der Strecke blieb.« Erst im Gefängnis ist Michael Streh- low zur Einsicht gekommen. Viel psychologische Betreuungsar- beit sei dafür nötig gewesen, sagt er, ein jahrelanger Prozess. »Es gab vorher nicht viele Menschen, die sich für mich interes- siert haben.« 2005 sagte er sich endgültig vom braunen Gedankengut los – mit einem demonstrativen Akt: Im Gefängnishof ver- 118 grub er seine Reichskriegsflagge, die er lange Zeit wie einen Schatz in seiner acht Weser-Kurier NDR Info Impressum

Kein Informationsträger in Bremen und NDR Info ist das Informationsprogramm Herausgeber und Verlag: dem niedersächsischen Umland reicht des Norddeutschen Rundfunks mit Nach- Bremer Tageszeitungen AG weiter als die Titel der Bremer Tageszei- richten im Viertelstundentakt und einem Redaktion: tungen AG: Etwa 500 000 Menschen lesen breit gefächerten Informationsangebot Christine Kröger, Stefan Schölermann, täglich WESER-KURIER, Kurier am Sonn- zu den wichtigsten Themen des Tages: Andrea Suhn tag, Bremer Nachrichten und Verdener Ob Politik oder Kultur, das Neueste aus Bildredaktion: Nachrichten mit den Regionalausgaben der Region, Wirtschaft oder Sport – der André Aden, Christine Kröger Die Norddeutsche, Osterholzer Kreis- Hörer erfährt alles Wissenswerte sofort. Texte: blatt, Wümme-Zeitung, Achimer Kurier, Kompakt, aktuell und klar strukturiert. André Aden, Mario Assmann, Sven Regionale Rundschau, Syker Kurier und Mit Reportagen und Interviews, Börchers, Clemens Breuer, Nicole Delmenhorster Kurier. Analysen und Hintergrundberichten will Brückner, Barbara Debinska, André Sie informieren ihre Leser aktuell NDR Info informieren und bilden. Gleich- Fesser, Tina Groll, Christine Kröger, und zuverlässig über lokale und regionale zeitig ist es Ziel des öffentlich-rechtlichen Anke Landwehr, Heike Nieder, Werner Themen ebenso wie über Weltpolitik und Radioprogramms, gesellschaftliche Ohsenroth, Stefan Schölermann, Wirtschaft. Sie bieten mehr als die bloße Missstände aufzuzeigen, den politischen Andrea Suhn, Per Thomas Nachricht, sie liefern auch die Hinter- Diskurs anzuregen und damit zur freien Fotos: gründe politischer und gesellschaftlicher und vielfältigen Meinungsbildung beizu- Arbeitsstelle gegen Rechtsextremismus Ereignisse. Auf diese Weise erfüllen die tragen. und Gewalt, ddp, dpa, DGB-Kulturarbeits- Bremer Tageszeitungen ihren Auftrag, kreis SFA, Recherche-Nord, Jörn Breiholz, demokratiefördernd und meinungsbil- Weitere Programminfos und Frequenzen unter: Hans-Henning Hasselberg, Frank Thomas dend zu wirken. Sport und Kultur, Unter- www .ndrinfo .de Koch, Christine Kröger, Udo Meissner, haltung und Verbraucherthemen runden Sonja K. Sancken, Stefan Schölermann das Angebot ab. Gestaltung und Titel »Rechtsabbieger«: © »b mal x« Kommunikation, Bremen Mehr Informationen unter: www .weser-kurier .de Druck: BerlinDruck GmbH + Co KG Weiterverarbeitung: Diese Publikation haben unterstützt: Buchbinderei Düdden & Runge GmbH

© Bremer Tageszeitungen AG * Arbeitsstelle Rechtsextremismus und * »b mal x« Kommunikation, Bremen Gewalt (ARuG), Braunschweig * BerlinDruck, Achim Bremen, im Januar 2008 * Clearingstelle zur Prävention von * Buchbinderei Düdden & Runge, Bremen Rechtsextremismus beim * Grafischer Großhandel ISBN 978-3-938795-05-7 Landespräventionsrat, Hannover Hubertus Wesseler, Georgsmarienhütte 119 * Jugendbildungsstätte Lidice-Haus, Bremen V

V120

Rechtsabbieger

Für Schlagzeilen sorgen Neonazis, wenn sie mit Baseballschlägern und Schlagringen auf Menschen losgehen, die anders aussehen, denken oder handeln als sie. Aber solche Übergriffe sind nur die Spitze des Eisbergs. Rechtsextremismus gehört vielerorts längst zum Alltag: Tag für Tag fürchten sich Nachbarn vor den Schlägern, die die »neuen Nazis« aus den einst so netten Jungs von nebenan gemacht haben. Eltern kämpfen verzweifelt darum, ihre Kinder aus dem braunen Sumpf zu ziehen. Lehrer, Sozialarbeiter und Kommunalpolitiker reagieren oft hilflos.

All das ist das Werk gewiefter Überzeugungs- Die unterschätzte Gefahr: Neonazis in Niedersachsen täter, die ihre Netze fast flächendeckend auswerfen. Auch in Niedersachsen. »Rechtsabbieger« zerrt sie an die Öffentlichkeit und zeigt, welchen Schaden ISBN 978-3-938795-05-7 sie anrichten. Denn nur wer den Rechtsextremismus im Alltag erkennt, kann rechtzeitig gegensteuern. Die unterschätzte Gefahr: Rechtsabbieger Neonazis in NiedersachsenV y