Vor zwanzig Jahren „Gläubig tätig starb Bruno Heck auf festem Grund“

Jürgen Aretz

Mehr als vierzig Jahre ist Bruno Heck po- für Veränderungen und Reformen ein, litisch tätig gewesen. Ungewöhnlich lan- wo er sie im Interesse der Menschen und ge nahm er Schlüsselfunktionen wahr – des Gemeinwesens für hilfreich und ge- als Bundesgeschäftsführer und General- boten hielt. Das hat er in seinen verschie- sekretär der Christlich-Demokratischen denen Funktionen wiederholt unter Be- Union Deutschlands, als langjähriger weis gestellt. Ideologien aber waren ihm Bundestagsabgeordneter, als Bundesmi- verdächtig. nister unter drei Kanzlern (Konrad Ade- Gerade in den 1970er-Jahren, als Uto- nauer, , Kurt Georg Kie- pien wieder denkbar und Reformen un- singer) und zuletzt als Vorsitzender der begrenzt „machbar“ schienen, stieß sein Konrad-Adenauer-Stiftung. Politikverständnis auf Widerspruch, Als er am 16. September 1989 auf einer manchmal auch auf überhebliche Ableh- Wanderung in der schwäbischen Heimat nung. Heck nahm das nur äußerlich ge- unerwartet starb, hatte er dank seiner un- lassen hin. In dem zeitgeistbedingten verwechselbaren, oft sehr direkten Art „Reformismus“ sah er eine Gefahr für die die (Vor-)Urteile der Zeitgenossen längst Grundlagen des nach der nationalsozia- bestimmt: Für seine Kritiker war er ein listischen Katastrophe Erreichten, der „konservativer Moralist“ (Die Zeit), seine ideellen wie der materiellen Erfolge. Die Freunde beschrieben ihn als „gläubig tä- folgenden Jahrzehnte haben ihm und sei- tig auf festem Grund“ (Heinrich Basilius nen Mitstreitern immer wieder recht ge- Streithofen). geben. In der Tat war der christliche Glaube Hecks Grundhaltung charakterisierte für Heck verlässlicher Kompass und zu- damals einen großen Teil der Christlich- gleich die Leitlinie seines politischen Demokratischen Union. Das durch diese Handelns, dessen Grenzen er so be- Grundhaltung bestimmte Handeln be- schrieb: „Die Hoffnung auf ein Paradies wies, dass eine nicht nur nominell, son- auf Erden, das aus menschlicher Kraft ge- dern tatsächlich an christlichen Werten schaffen werden könnte, wird durch orientierte Politik Glaubwürdigkeit ge- christlichen Glauben nicht gedeckt. Der winnen und tragfähige Problemlösungen Christ weiß, dass die Bearbeitung der für die Sorgen und Anliegen der Men- Erde mühselig bleiben und dass Frieden schen bieten kann. Nicht zuletzt Hecks in seiner ganzen Fülle erst jenseits dieser Wirken belegt eindrucksvoll, wie not- Zeit sein wird.“ wendig diese innerparteiliche Orientie- Konservativ war Heck sicher in dem rung für den Gesamterfolg der Partei Sinne, dass er bereit war, das Bewährte zu CDU war – und wohl auch zeitlos bleiben prüfen, nicht aber, es um des Prinzips wird. willen infrage zu stellen oder stellen zu Bruno Heck wurde am 20. Januar 1917 lassen. Heck setzte sich dort und insoweit in geboren. Er stammte aus einfa-

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chen Verhältnissen. Zum Abitur gelangte rang er das Direktmandat im Wahlkreis er mit kirchlicher Hilfe. Rottweil-Tuttlingen, das er bis zu seinem freiwilligen Verzicht 1976 viermal vertei- Der Weg nach Bonn digte. Das Amt des Bundesgeschäftsfüh- Heck, der in der katholischen Jugend- rers gab er 1958 auf, um sich ganz seiner organisation „Neudeutschland“ aktiv parlamentarischen Arbeit widmen zu war, geriet vor dem Krieg mit den Natio- können. nalsozialisten aneinander, und nach dem Innerhalb kurzer Zeit erwarb er sich ei- Krieg, aus dem er als Oberleutnant zu- nen hervorragenden Ruf als Medienpoli- rückkehrte, gehörte er zu den wenigen, tiker. Die CDU wollte ihn zum Grün- die die Geisteshaltung der eigenen Gene- dungsintendanten für das neue ZDF ma- ration selbstkritisch hinterfragten. Als chen. Die Berufung scheiterte 1962 am Vorsitzender der Tübinger Studentenver- Widerstand der SPD. Medienpolitisch tretung beklagte er auf einem Studenten- blieb er auch in der Folge tätig: Für 28 tag der französischen Besatzungszone Jahre stand er an der Spitze des Verwal- den unzureichenden Widerstand gegen tungsrates der Deutschen Welle, des Aus- den Nationalsozialismus und führte aus: landssenders der Bundesrepublik. „Auch wenn wir nationalsozialistisch nicht gedacht haben – nationalistisch ha- Bundesminister und ben wir gedacht.“ Die Rede machte ihn erster CDU-Generalsekretär überregional bekannt. Nach der „Spiegel-Affäre“ berief Ade- Nach Abschluss seines Studiums der nauer den 45-Jährigen als Bundesminister Klassischen Philologie, Germanistik und für Familie und Jugend in die Regierung; Geschichte war er kurze Zeit Gymnasial- Heck war damit nach das lehrer, promovierte und wurde bald per- zweitjüngste Kabinettsmitglied. Bundes- sönlicher Referent des Kultusministers kanzler Erhard bestätigte ihn 1963 in sei- von Württemberg-Hohenzollern. Schon nem Amt. 1952 folgte die Berufung zum hauptamt- Ganz in der Tradition der kirchlichen lichen Geschäftsführer der CDU-Bundes- Soziallehre sah Heck, Vater von sechs geschäftsstelle in Bonn, die in ihren An- Kindern, in der intakten Familie die fängen steckte – wie die gesamte Parteior- Grundlage für ein funktionierendes Ge- ganisation. Mit minimalen personellen meinwesen. Er konnte etliche konkrete und finanziellen Mitteln musste Heck Verbesserungen für die Familien durch- ebenso die Programmarbeit auf den Weg setzen; im Besonderen geht die erste bringen und die Wahlkämpfe organisie- breite gesetzliche Ausbildungsförderung ren. auf ihn zurück. Heck hat seine soziale Die Zusammenarbeit mit dem „Partei- Herkunft nie vergessen. patriarchen“ gestaltete Intensiv betrieb er nach Abschluss des sich zunächst nicht unproblematisch: Die deutsch-französischen Vertrages durch ersten Jahre empfand Heck als „das här- Adenauer und de Gaulle den Aufbau des teste Brot“, das er je gegessen habe. Seine „Deutsch-Französischen Jugendwerks“ Loyalität gegenüber Adenauer blieb da- (DFJW). Auch dieses in seiner Bedeutung von unberührt. heute kaum mehr nachvollziehbare Bei- Mit Heck begann eine neue Phase der spiel der Versöhnungs- und Verständi- jungen Partei: Er suchte sie als moderne gungsarbeit war ihm aufgrund seiner und zugleich auf Sicherheit und Bewah- Kriegserlebnisse ein persönliches Anlie- rung bedachte Volkspartei zu präsentie- gen. Das DFJW symbolisierte ein Stück ren. Bei den Bundestagswahlen 1957 er- weit den Weg zu einem neuen Europa. In

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Der CDU-Politiker Bruno Heck, aufgenommen auf dem Bundesparteitag der CDU am 9. März 1981 in Mannheim. © picture-alliance/dpa, Foto: Porträtdienst

der Tradition Adenauers und der CDU lige FDP weltanschaulich in das neun- gab es für Heck einen unmittelbaren Zu- zehnte Jahrhundert. In dieser Situation sammenhang zwischen der europäischen zog er trotz der auch hier notwendigen und der deutschen Frage – den „zwei Sei- Abgrenzung die SPD als Koalitionspart- ten einer Medaille“. ner vor, zumal die Sozialdemokraten die Im Herbst 1966 scheiterte die Koalition Einführung des Mehrheitswahlrechtes von CDU, CSU und FDP und mit ihr zugesichert hatten. Später konstatierte Bundeskanzler Erhard. Die Vorgänge Heck, man sei der SPD und im Besonde- schienen Hecks negatives Bild von der ren „auf den Leim ge- FDP zu bestätigen. Für den praktizieren- gangen“. , der neue den Katholiken, der zugleich die christ- Bundeskanzler, ernannte Heck wieder liche Ökumene lebte, gehörte die dama- zum Familienminister.

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Nach zwei Jahren schied Heck aus der spielen. Barzel und Heck verband gegen- Bundesregierung, um sich ganz auf sein seitiges Misstrauen. Heck formulierte: Amt als Generalsekretär der CDU zu kon- „Wir sind fundamental verschiedene zentrieren, das er seit dem Frühjahr 1967 Leute.“ bekleidete. In dieser Funktion sollte er auf In der Diskussion um die Ostpolitik der Parteiebene das Profil gegenüber dem Brandts, die die frühen Siebzigerjahre be- Koalitionspartner SPD schärfen. stimmte, zählte Heck zu den Kritikern, die Das betraf entscheidend die Ost- und das Prinzip von Leistung und Gegenleis- Deutschlandpolitik, deren Vordenker Bahr tung durch die Politik und die Verhand- der engste Berater von Außenminister lungsführung der Regierung Brandt/ Brandt war. Heck schrieb im September Scheel missachtet sahen. Im Unterschied 1968, die von Bahr entwickelte These vom zu anderen Vertretern der Union lehnte „Wandel durch Annäherung“ sei durch Heck aus realpolitischen Gründen die An- die sowjetische Invasion in der CSSR (Au- erkennung der Oder-Neiße-Grenze nicht gust 1968) „sichtbar widerlegt“ worden. prinzipiell ab, hielt es aber für zwingend Im November 1968 legte die CDU ihr geboten, diese Frage mit der Überwin- neues „Berliner Programm“ vor, das „we- dung der deutschen Teilung zu verknüp- sentlich“ (so ) auf Heck zu- fen. rückging und auch von der kritischen Auch nach dem Scheitern Barzels und Presse überraschend positiv aufgenom- der Wahl Kohls zum Parteivorsitzenden men wurde. Heck wollte mit diesem Pro- hat Heck keine weiteren Funktionen in gramm Konsequenzen aus der aktuellen Partei oder Fraktion mehr übernommen. gesellschaftlichen und politischen Dis- Noch einmal griff er entschieden in die kussion ziehen. Die Partei sollte sich für politische Diskussion ein, als die soge- die Siebzigerjahre offener und betont zu- nannte Reform des Paragrafen 218 Straf- kunftsgewandt präsentieren. gesetzbuch auf der Tagesordnung des Bundestages stand. In ihrem später vom In der Opposition Bundesverfassungsgericht teilweise ver- Das neue Programm und die wesentlich worfenen Gesetz gaben SPD und FDP den durchs Hecks Regie erfolgreiche Wahl- Schutz des ungeborenen Lebens in den kampfmobilisierung führte bei den Bun- ersten drei Schwangerschaftsmonaten destagswahlen 1969 zu einem glänzen- faktisch preis. Sie argumentierten unter den Ergebnis für die CDU. Dennoch anderem mit der „sozialen Indikation“. konnten SPD und FDP eine knappe Mehr- Das ließ Heck aus der Haut fahren. Es heit erringen. Kiesinger verlor sein Amt gebe, so seine unmissverständliche Hal- an Brandt. tung, nichts „Asozialeres als eine Mutter, Die politische Situation war emotional die ihrem Kind das Leben verweigert“. hoch angeheizt, aber gleichwohl ver- suchte die CDU, ihre Niederlage zu ana- Die Jahre in der Stiftung lysieren und die notwendigen Konse- Heck schied, wie frühzeitig angekündigt, quenzen zu ziehen. Das geschah in einer 1976 aus dem Deutschen Kommission unter Leitung des jungen aus. Als „politischer Pensionär“ sah er Helmut Kohl, den Heck zur „Avant- sich deswegen keineswegs. Bereits 1956 garde“ der Partei zählte. Heck war der hatte er den Vorsitz der „Gesellschaft erste Parteiprominente, der sich auf Kohls für christlich-demokratische Bildungs- Seite stellte. Als Rainer Barzel Kiesinger arbeit“ übernommen, einer Vorläufer- im Parteivorsitz ablöste, konnte und Organisation der Konrad-Adenauer-Stif- wollte Heck keine zentrale Rolle mehr tung (KAS). Zu deren Vorsitzenden war

Seite 70 Nr. 478 · September 2009 „Gläubig tätig auf festem Grund“ er schon 1968 bestimmt worden; jetzt deutscher Deutschland- und Ostpolitik trat er auch faktisch an ihre Spitze. Die stilisiert. Geflissentlich wurden die Be- Geschäftsführung hatte zwischenzeitlich mühungen um den Dialog und die Ko- Manfred Wörner inne. operation mit den Staaten Ost- und Mit- Von 1970 bis 1989 trug Heck in seiner teleuropas und auch die Kontaktversuche gleichzeitigen Funktion als Herausgeber mit der DDR unterschlagen, die bis in die der Politischen Meinung zu ihrer steigen- Adenauer-Zeit zurückgingen und von den Bedeutung bei. seinen Nachfolgern Erhard und Kiesinger Heck schwebte vor, die KAS zu einer intensiviert worden waren. Heck hat den Art Impulsgeber für die politische Dis- Ansatz für das ACDP erweitert und ge- kussion und, noch grundsätzlicher, zu ei- staltend mit dazu beigetragen, dass es nem Träger der Demokratieförderung zu zum „Gedächtnis“ der christlich-demo- machen. Diesem Ziel diente die 1981 ge- kratischen Bewegung geworden ist. gründete „Politische Akademie“, und in Als Vorsitzender der KAS legte Heck diesem Kontext stand auch sein besonde- großen Wert auf ihre Unabhängigkeit von res persönliches Interesse für zwei wei- der Partei – und zugleich betonte er ihre tere Bereiche: die internationale Zu- geistig-politische Nähe. Partei und Stif- sammenarbeit und das Archiv für Christ- tung haben davon ihren Vorteil gehabt. lich-Demokratische Politik (ACDP). Heiner Geißler, parteiintern Heck nicht Vor dem Hintergrund des Ost-West- unbedingt nahestehend, schrieb ihm zu Konfliktes, der Hecks Denken wesentlich seinem siebzigsten Geburtstag, in seiner geprägt hatte, bildete die Demokratieför- Stiftungsarbeit verkörpere er „eine Syn- derung keineswegs nur in der Bundesre- these von Geist und Politik, die nicht im publik, sondern auch in der sogenannten Grundsätzlichen verharrt, sondern be- Dritten Welt einen Schwerpunkt der Stif- harrlich für die konkrete Tat eintritt“. Was tungsarbeit. Im Zentrum stand Latein- als Kompliment formuliert war, beschrieb amerika, dessen Freiheit und Entwick- den Stiftungsvorsitzenden zutreffend. lung in den Siebziger- und Achtzigerjah- Heck, der gestalten und bewegen ren durch marxistisch-leninistische Be- wollte, war folgerichtig keine immer ein- wegungen auf der einen Seite und durch fache Führungspersönlichkeit. Sein pries- die „Doktrin der nationalen Sicherheit“ terlicher Freund Heinrich Basilius Streit- auf der anderen Seite bedroht war. Die hofen schrieb, er sei „wie ein Patriarch“ Stiftung leistete vor Ort hervorragende gewesen und durchaus auch „leicht auto- und erfolgreiche Arbeit. Sie war an dem ritär“ – aber zugleich von großer Fürsorg- Aufbau demokratischer Strukturen in lichkeit. Seinem Nachfolger Bernhard Vo- vielen Ländern beteiligt. Dem Versuch ei- gel konnte Heck 1989 eine gut aufgestellte nes Netzwerkes aus linken und linksex- Stiftung übergeben, deren Arbeit weit tremen Kräften, die KAS wegen dieser über den eigenen politischen Bereich hi- Arbeit öffentlich zu diskreditieren, trat naus Anerkennung fand. Heck entschlossen entgegen. Die Verwirklichung eines großen Zie- Der zweite Schwerpunkt war der Auf- les christlich-demokratischer Politik von bau des ACDP, das auf Überlegungen Adenauer bis Kohl hat Bruno Heck von und Helmut Kohl zu- nicht mehr erlebt: die Wiedervereini- rückging. Es entstand nicht zuletzt aus gung Deutschlands. An dieses Ziel hatte dem Bestreben, einer Legendenbildung er als deutscher Patriot und überzeugter entgegenzutreten: Die Regierungsüber- Europäer immer geglaubt. Keine acht nahme der sozialliberalen Koalition wur- Wochen nach seinem Tod fiel die Berli- de vielfach zu einer „Stunde null“ west- ner Mauer.

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