SONNTAG 9. JUNI 2019 Hier & Da 33

Das Hintertürchen zur Welt

Vom Hafen über die Hamme, und auf die Weltmeere

vonChrista neCkermann holz-Scharmbecker Hafen. Inzwischen hat- ten sich jedoch wassersportbegeisterte Os- nmitten grüner, flacher Wiesen und terholzer und Scharmbecker gefunden, die Weiden schlängelt sich ein mäßig 1901 den Ruderverein Osterholz-Scharm- breiter, jetzt gut 1,50 Meter tiefer Ka- beck gründeten und ihr Bootshaus am Os- nal von der Hamme in Richtung Os- terholzer Hafen errichteten. 1903 erfolgte I terholz-Scharmbeck: der Hafenkanal. die Eintragung in das Vereinsregister. Nur An seinem Ende liegt das nur 1,50 Meter drei Jahre später überlegten die Ruderer, ob tiefe Hafenbecken, in dem heute Motor- es nicht sinnvoll wäre, aus dem betriebsa- boote, Segelschiffe und die Torfkähne der men Osterholzer Hafen an die etwas ruhi- Torfkahnschiffer Osterholz-Scharmbeck gere Mündung des Hafenkanals bei Tietjens beheimatet sind. Es ist ein geruhsamer Ort, Hütte umzuziehen. Doch es dauerte noch an dem sich an günstigen Tagen Angler tref- weitere 14 Jahre, bevor die Ruderer ihr noch fen, um ab und zu ein Rotauge aus den recht heute bestehendes Domizil an der Hamme trüben Fluten zu fischen. bei Tietjens Hütte beziehen konnten. So geruhsam ging es in der wechselvollen Am 4. März 1925 wurde der Segel-Club Geschichte des Hafens allerdings nicht im- Hamme gegründet. Während also der Güter- mer zu. Am 30. Oktober 1764 stimmte König und Personenverkehr im Osterholzer Hafen Georg III dem Plan zum Bau des Hafens und stetig zurück ging, nahm der Segel- und der Ausgrabung des Kanals zu und beauf- Sportbootverkehr im Hafen- und Hammebe- tragte das Amt Osterholz mit den Vorarbei- reich kontinuierlich zu. ten. Dazu mussten Ländereien angekauft „Die Hamme zu befahren ist immer wie- werden, und der Amtsvogt Jürgen Christian der ein schönes Erlebnis, hinter jeder klei- Findorff wurde mit der Leitung des Hafen- nen Biegung eröffnen sich dem Sportboot- und Kanalbaus beauftragt. 1766 wird der fahrer neue Eindrücke“, erzählt Peter Hohei- Kanal vom Hafen zur Hamme fertiggestellt. sel, ehemals erster Vorsitzender des Se- Kosten: 23000 Reichstaler. gel-Clubs Hamme. Wer auf der Hamme se- Mit Kanal und Hafen erhielten die Oster- geln gelernt habe, versichert Hoheisel, sei holzer Bock- und Kahnschiffer ihre Liege- bereit für die großen Segelrevier der Welt. plätze. Der Hafen wurde damit zum Um- „Die Hamme verlange dem Segler einiges schlagplatz vieler wichtiger Dinge des tägli- ab. Der Fluss ist im Grunde kein geeignetes chen Lebens für die Siedler im Moor. Segelrevier. Am besten geht es noch mit Die Wasserwege durch das kleinen Jollen. Um vorwärts zu kommen ist gehörten zu den sichersten und schnellsten es unabdingbar, ständig zu kreuzen. „Aber Transportwegen für die benötigten Waren das hat man dann schnell gelernt“, versi- und Güter. Mit dem neuen Hafen nahmen chert Hoheisel verschmitzt. Handel und Wirtschaft in der Region denn Beim Segeln haben Wind und Strömung auch spürbar zu. Und mit dem direkten Zu- einen großen Anteil daran, wohin es geht. gang zum Wasser baute 1769 Lüer Steffens Die beste „Segelrichtung“ liegt in Richtung eine Gallerieholländer-Mühle, die bis zum , und damit hin zur Lesum und heutigen Tag zur unverwechselbaren Sil- Weser. „Da gibt es nicht so viele Brücken, für die der Mast eingeholt werden muss.“ Die unfreiwillig gute Ausbildung, die die „Die Hamme verlangt Hamme für die Segler bereithält, ermög- lichte ihnen schon so manche Showvorstel- dem Segler einiges ab.“ lung im Osterholzer Hafen, erinnert sich Peter Hoheisel. „Wir hatten ein junges Ver- Peter Hoheisel, ehemals erster Vorsitzender einsmitglied, Fabian Schweigel, der stieg in des Segel-Clubs Hamme Anzug, Schlips und Kragen in ein Boot, brachte es zum Kentern und richtete es wie- der auf – alles, ohne seinen Anzug im Ge- houette des Osterholzer Hafens gehört. ringsten nass zu machen, und das alles zur Nach Aufgabe der Osterholzer Ziegelei Unterhaltung der Zuschauer, die runter an um 1870 erfolgt der Transport von Ziegeln den Hafen gekommen waren.“ und anderem Baumaterial überwiegend auf Und die Hamme ist ein Fluss der Aben- dem Wasserweg, die Osterholzer Reiswerke teuer, die dann im „Skipper-Treff“ am Hafen nutzen den Hafen zum Abtransport der als erzählt werden. Etwa die Geschichte, wie Viehfutter genutzten Reisschalen. Um mit ein Sportbootkamerad, der sich nicht so gut der Bahn günstigere Frachttarife zu verhan- im Revier auskannte, bei Nebel auf der deln, wurden zeitweise auch die fertigen Hamme verschwand. „Bei Nebel liegt der Reisprodukte per Schiff versandt. 1899 legte ganze Fluss in Dunkelheit, während sich die dann die Bremer Firma W. Hollmann & Co. Hamme bei Vollmond wie eine silberne am Osterholzer Hafen eine Torfstreufabrik Straße durch die Wiesen zieht“, berichtet an, die kurz darauf in den Besitz von Johann Peter Hoheisel. Der Sportfreund, der zwar Ahrens und Johann Flathmann, beide Land- wusste, dass es irgendwann links in den wirte in Scharmbeck, überging. Auch die Hafenkanal gehen musste, aber wegen der Tabakindustrie in Osterholz und Scharm- schlechten Lichtverhältnisse die Umgebung beck, die in erster Linie auf die Nähe zum nicht erkannte, bog zu früh ab und landete Tabakhandelsplatz zurückzuführen in einem Altarm der Hamme, einer Sack- ist, erfährt durch den Hafen einen Auf- gasse. „Als wir bemerkten, dass er fehlte, schwung. machten wir uns auf die Suche. Er war froh, Um 1864 baute die Firma Frerichs & Co. als wir auftauchten. Er hatte sich schon auf am damals neu entstandenen Bahnhof (auf eine Nacht auf dem Boot eingerichtet“, erin- dem Gelände der heutigen Stadthalle) eine nert Peter Hoheisel. Eisengießerei und Maschinenfabrik. 1904 Zu kämpfen hatten die Bootsfahrer auch wurde das Werk für den Bau größerer mit der Tücke des Objekts. Wenn die Sport- Schiffe erheblich vergrößert. Zwischen 1900 boote mit den Holzrümpfen im Herbst aus und 1929 entstanden hier etwa 50 Heckrad- dem Wasser genommen wurden, führte die dampfer, die, in Einzelteile zerlegt, über den Lagerung an Land dazu, dass sich die Plan- Osterholzer Hafen nach Südamerika und ken zusammenzogen und Lücken bildeten. Afrika verschifft wurden, um dort auf den Wurden die Boote dann im Frühjahr wieder großen Flüssen Dienst zu tun. zu Wasser gelassen, kam es schon mal vor, Um 1900 wurde der Hafen und der Hafen- dass zuviel Wasser in den Rumpf eindrang kanal zum Hauptverkehrsweg zwischen und das Boot sank. „Wir haben dann zur Osterholz und . Ab dem 15. Sep- Abhilfe Seile um die Bootsrümpfe gelegt, in tember 1901 gab es Motorbootfahren vom denen die Holzboote ruhen konnten. So Hafen nach Worpswede, der Preis für eine konnte nur wenig Wasser durch die Lücken Tour lag bei 0,70 Reichsmark. Ab etwa 1910 zwischen den Planken eindringen, während bediente dann vornehmlich die Kleinbahnli- sich die Planken wieder ausdehnten. Das nie, der „Moorexpress“, die Verbindung zwi- Wasser wurde dann ausgeschöpft oder aus- schen Osterholz und Worpswede. gepumpt, aber die Boote blieben wenigstens Im Jahr 1902 verzeichnete der Osterholzer an der Wasseroberfläche“, so Peter Hoheisel. Hafen 1475 Torfkähne, 1245 kleine Dielen- Seit 254 Jahren besteht der Hafen von schiffe, 517 Schiffe mit weißem Torf, Stroh Osterholz-Scharmbeck nun und hat in die- und Heu, 129 Personenschiffe, 15 Kähne und ser langen Zeit den Wandel von einem ge- SAK

Böcke und acht Tjalken, eine holländischer schäftigen Umschlagplatz benötigter Waren KO einmastiger Segelschiffstyp, der für den und Rohstoffe zu einem beliebten Ausflugs- Gütertransport für flache Küsten- und Bin- ziel und Heimathafen vieler Sportbootfah- IAN nengewässer gedacht war. 1934 wurden rer vollzogen. Deswegen hoffen viele Was- IST HR

noch 891 Torfkähne, die fast ausschließlich sersport-Begeisterte, dass ihnen die be- :C

Torf transportierten, gezählt, 1952 befuhren rühmte Handbreit Wasser unter dem Kiel an TO nur noch 67 Torfschiffe den Oster- dieser Stelle noch lange erhalten bleibt. FO