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DEUTSCHLAND

SPD GEHEIMNIS IM TRESOR Notizen von Willy Brandts Hand lassen und Karl Wienand in neuem Licht erscheinen. Was verriet Wehner über deutsch-deutsche Sonderkontakte an Moskau? War Wienand ein KGB-Spion? Spitzengenossen wuß- ten von den Vermutungen des todkranken Parteipatriarchen – und behielten sie für sich.

n Gedanken war der Karlsru- Johannes Rau, für den Brandt her Bundesanwalt Joachim zu fast allen Zeiten eine Vaterfi- ILampe, 53, schon im Wo- gur war, hat vom Ehrenvorsit- chenende. Kurz vor Dienst- zenden persönlich eine Kopie schluß aber wurde er von ei- des Brandt-Vermerks erhalten. nem Anruf aufgehalten. Ein Den Bundesanwälten aber, Mann, der seinen Namen nicht die Wienand wegen des Ver- nennen wollte, bat um die dachts auf Stasi-Spionage an- Privatadresse des Ermittlers. klagten, blieb alles verborgen. Denn er wisse Wichtiges über Bei einem Amtsträger wie Rau den Fall des angeblichen Stasi- ist so viel Geheimniskrämerei Spions Karl Wienand, 68. Das zumindest fragwürdig. wolle er Lampe zukommen las- Die sozialdemokratischen Ve- sen. teranen wußten über Brandts Anderntags, am vorletzten Geheimnis Bescheid. Die näch- Samstag, traf der telefonisch ste Generation, die sich gern als angekündigte Brief ein. In ex- Brandts Enkel bezeichnen ließ, akt 50 Zeilen berichtete der hatte keinen Schimmer. Anonymus aufregend Gehei- Irritiert erkundigte sich der mes aus dem Innenleben der Parteivorsitzende Rudolf Schar- SPD. ping am vorigen Mittwoch, was Nach einem Gespräch mit er denn von dem Vorgang zu dem ehemaligen Botschafter halten habe. Die Antwort eines

der UdSSR in Walentin B. FRIEDRICH alten Kämpen, es handele sich Falin habe im Brandt-Gesprächspartner Falin um ein Papier, „mit dem sich die Frühjahr 1992 „einen hand- Geheimdiplomatie mit Wehner SPD nicht befassen muß“, gilt schriftlichen Vermerk gefer- allenfalls vorläufig. tigt“. Da habe Brandt erfahren, daß der Es geht um eine Art Geheimdiploma- Der Unbekannte, der sich in Karlsru- Wehner-Vertraute Wienand für „die an- tie der SPD in den siebziger Jahren und he meldete, kommt aus den Reihen der dere Seite“ gearbeitet habe. um die ewigen Grabenkämpfe der Troi- SPD. Er besitzt jede Menge Detail- Die handschriftliche Notiz, so der Un- ka Brandt-Wehner-Schmidt. Betrieb kenntnisse und kennt die Heiligtümer bekannte, „lag oder liegt noch in einem zum Ärger der Russen der Partei. Die Suche nach dem Verrä- Panzerschrank oder einer anderen ver- Außenpolitik auf eigene Faust mit der ter ist im Gang. borgenen Stelle“ in der SPD-nahen DDR-Führung? Hat Herbert Wehner Das rätselhafte Stück begann am 31. Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Wenn das stille deutsch-deutsche Treiben an März 1992. An jenem Tag fand auf dem das Papier dort verschwunden sei, wäre Moskau verraten? Bonner Venusberg ein Empfang zum „es aus Verschleierungs- oder Verdun- Der vertrauliche Vermerk von Willy 70. Geburtstag von Egon Bahr statt. Fa- kelungsgründen absichtlich in jüngster Brandt, der Lichtgestalt der SPD, wurde lin verabschiedete sich früh aus der Ge- Vergangenheit beiseite geschafft wor- in der Traditionspartei wie ein Staatsge- sellschaft: „Ich gehe noch zu Willy den“. heimnis geschützt. Der Unbekannte, Brandt.“ Anfang voriger Woche tauchte Lam- der den Ermittler Lampe auf die Spur „Aufgewühlt“, erinnert sich Brandts pe mit drei Ermittlern in Bonn auf. An- brachte, hatte geschrieben: „Den Inhalt Witwe Brigitte Seebacher, sei ihr Mann ruf bei Jürgen Burckhardt, dem Ge- des Vermerkes kennen derzeit nicht ein- an jenem Abend nach Hause gekom- schäftsführer der FES. Der verstand so- mal eine Handvoll SPD-Spitzenpoliti- men. Er habe überlegt, was er mit den fort. Als die Ermittler am Montag gegen ker.“ Erzählungen Falins anfangen solle. Sie 18 Uhr anrückten, übergab er ohne Zö- Das ist korrekt, dafür hatte der hätten gemeinsam Möglichkeiten und gern den langgesuchten dreiseitigen Schreiber Brandt gesorgt. Namen durchgespielt. Brandt-Vermerk samt Anlage. Eingeweiht war der alte Weggefährte Falin hat das Gespräch nie aus dem Die in breiten Buchstaben mit sanften Egon Bahr; er hatte sich im Oktober Gedächtnis verloren. Er habe damals Unterschwüngen gemalten Notizen 1992, nach Brandts Tod, stiekum eine Brandt erklärt, daß Akten über ihn in Brandts sind ein Stück Nachkriegsge- Kopie des Vermerks besorgt und dann Moskauer Archiven lägen, darunter schichte und reichen weit über den Fall geschwiegen. Hans-Jochen Vogel, be- „Erfreuliches und Unerfreuliches“. Wienand (siehe Kasten Seite 20) hinaus. rüchtigt für Diskretion, war informiert. Brandt soll sehr besorgt gewesen sein.

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Unbedingt wollte Brandt von Falin wissen, ob der Spion Günter Gui- llaume, der 1974 enttarnt worden war und zum Sturz des Kanzlers Brandt bei- trug, womöglich doch für die Russen gearbeitet habe. Erich Honecker hatte nämlich gegenüber Brandt mehrmals beteuert: Der Spion sei nicht von ihm plaziert worden, er habe keine Ahnung gehabt. Brandt hielt Falins Antwort fest: Auf meine Frage, für wen denn Gui wirklich gearbeitet habe (Honeckers Bemühen, es bei den Russen festzu- machen): Die beiden Dienste, der so- wjetische und der ostdeutsche, hätten einander unterrichtet bzw. Interessen abgesteckt, wenn einer von beiden Zu- gang zu einer wichtigen Person aufge- tan habe. Doch erst ein wohl freiwilliges Ge- ständnis von Falin versetzte Brandt endgültig in Aufregung.

AP Der Russe, dem er immer vertraut Weggefährten Bahr, Brandt*: Aufgewühlt nach Hause gekommen hatte, räumte ein, er habe über all die Jahre enge Kontakte mit Herbert Weh- ner, dem Wanderer zwischen den Wel- ten, gepflegt – vorbei an Brandt und auch an Schmidt. Unter Punkt drei no- tierte Brandt bitter: „Mitte 70er Jahre: enge Zusammenarbeit Falin – HW.“ Für einen wie Brandt kam das einem Verrat gleich. Wehner und immer wie- der Wehner lag ihm schwer auf der Seele. Am 5. April 1992, fünf Tage nach dem Gespräch, traf Brandt seinen lang- jährigen Gefährten Bahr. „Wie war das mit Falin?“ fragte Bahr. „Ein dicker Hund“, soll Brandt geantwortet haben. Kein Wort über Wienand, lange Erzäh- lungen über die Geheimtouren des al- ten Rivalen Herbert Wehner. Vermutlich hatte Brandt die wichtig- sten Passagen des März-Gesprächs mit Falin zunächst auf winzigen Zetteln festgehalten. Daten, Stichworte, Kürzel – so arbeitete der Alte. Die Niederschrift fertigte er offenbar zweieinhalb Monate später, am 18. Ju- ni. Ein paar Tage zuvor hatten Ärzte bei Brandt inoperablen Krebs entdeckt. Der Drei-Seiten-Vermerk wird so zum Teilstück seines politischen Testaments. Am 19. Juni 1992 bestellte Brandt seinen Büroleiter Klaus Lindenberg zu sich nach Unkel. Er übergab ihm die Notizen mit der Bitte, das Original im Tresor seines Parteibüros zu bunkern. Lindenberg legte über den Vorgang ei- nen Vermerk an. Der Mann, der seit einem Jahr für die Ebert-Stiftung in Rom arbeitet, unterschrieb: „Diese An- gaben entsprechen der Wahrheit.“ Aber was ist in diesem Fall die Wahr- heit? Warum hat Brandt seiner Frau,

* Am 31. März 1992 in Bonn bei der Feier zu Brandt-Vermerk (Ausriß): Teilstück eines Testaments Bahrs 70. Geburtstag.

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die so etwas wie ein Monopol auf die Die Notizen Brandts waren kaum auf Selbstverständlich war die Stasi in die- letzten Gedanken ihres Mannes in des- dem Markt, da rotierte schon wieder die ser Phase des Kalten Krieges anderer- sen letzten Tagen erhebt, die Notizen Dementi-Maschine. seits emsig dabei, alles zu sammeln, vorenthalten? Die Historikerin Seeba- Falin bleibt dabei, Wienand habe was sich irgendwann irgendwie gegen cher ahnte nur, daß ihr Mann seine Er- „definitiv keine Verbindung“ zum KGB Sozialdemokraten ausschlachten ließ. innerungen an das Falin-Gespräch gehabt. Brandt seien „Unkorrektheiten, Dazu gehörten die Erler-Protokolle ge- schriftlich festgehalten hatte. Mißverständnisse“ unterlaufen. nauso wie die Wehner-Akten aus der Sie wollte Beweise für das Gehörte Allein auf weiter Flur triumphierte Moskauer Emigration. haben, um die sozialdemokratische vorige Woche Brandts Witwe: „Jetzt ist Als zum Beispiel 1965 die deutsch- Heiligenfigur Wehner endgültig vom das Thema Wehner wieder auf dem deutschen Gespräche über das Passier- Sockel stürzen zu können. Wienand Tisch.“ scheinabkommen stockten, erarbeitete war für sie nur von Interesse, weil er Willy Brandt hatte bei dem Gespräch die HVA eine „Gesprächskonzeption“ von jeher Wehner nahestand. mit Falin großen Bammel vor den für Berg: Zunächst fahndete sie nach einer Ko- Sprengbomben gehabt, die in den Kel- Wir könnten die Erler-Sache hochspie- pie im heimischen Schreibtisch – verge- lern der Moskauer Geheimdienste und len; über den Verrat Wehners gibt es bens. In dem Möbel fand sie zwar 43 Ministerien lagern. „Noch manches aus Akten und Untersuchungen bei uns, Blatt Papier aus Brandts Feder über Moskauer Archiven“, notierte er dü- und bei dessen Haltung uns gegenüber Wehners Rolle beim Kanzler-Rücktritt ster. hätten wir gar keinen Grund, uns Zu- 1974, und die lösten Anfang 1994 Tatsächlich tauchte neues Material, rückhaltung aufzuerlegen. Und schließ- auch reichlich Wirbel aus (SPIEGEL etwa über den Herbert Wehner des lich liegt noch manches andere wohl- 4/1994). Die Falin-Kopie blieb jedoch Moskauer Exils, aufgeschrieben vom verwahrt in unseren Schränken. verschollen. KGB-Vorgänger NKWD, nach Brandts Selbst im Kanzleramt des Christde- Tod andernorts auf, in der Berliner Liegt dort auch das letzte Geheim- mokraten ließ die Witwe Gauck-Behörde. nis um den Zuchtmeister der SPD? nach dem Erbstück suchen – Fehlanzei- Dort liegt auch fast 30 Jahre altes Brandt hielt es wohl für möglich. Er ge. Stasi-Material, das Brandt unangenehm wollte von Falin wissen, ob Wehner in „Das Papier war Willy Brandt zu den siebziger Jahren Sonder- wichtig“, interpretiert einer von dessen kontakte nach Moskau gehabt ältesten Vertrauten boshaft, „als daß er habe. es seiner Frau überlassen wollte. Er Falin erzählte eine abenteuerli- hatte, was ihre politische Zuverlässig- che Geschichte. Über Jahre habe keit anging, am Ende erhebliche Zwei- Wehner die Sowjets immer dann fel.“ auf dem laufenden gehalten, wenn So ist es wohl zu erklären, daß im die Westdeutschen mit der DDR- Frühjahr 1994 im Saal 129 des Bonner Spitze Geheimdiplomatie betrie- Landgerichtes eine Groteske ablief. ben. Brigitte Seebacher hatte behauptet, Helmut Schmidt und Erich Ho- daß Wienand nach Aussagen Falins für necker hätten bislang unbekannte den sowjetischen KGB gearbeitet habe; Verbindungen gepflegt. Angeb- das wisse sie von ihrem Mann. lich habe Honecker an Schmidt, Vor Gericht verlor Seebacher auf der vermutlich nach dessen Übernah- ganzen Linie. Den gegen Wienand ge- me der Kanzlerschaft 1974, ge- richteten KGB-Vorwurf mußte sie schrieben: „Wenn wir beide zu- ebenso kassieren wie die Behauptung, sammenstehen, können wir uns „daß Herr Falin dies meinem Mann be- der Russen erwehren.“ Der lang- richtet hat“. jährige sowjetische Außenminister

Aber hatte sie wirklich unrecht? F. ROGNER / NETZHAUT Andrej Gromyko habe ihn, Falin, Der zuverlässige Hans-Jochen Vogel Brandt-Witwe Seebacher verdutzt gefragt, warum Wehner erinnert sich an ein Gespräch mit dem „Thema Wehner wieder auf dem Tisch“ dies erzählt habe. Wehner habe Ehrenvorsitzenden kurz vor Ostern womöglich erkannt, so Falins In- 1992. Das Treffen mit Falin hatte gera- sein mußte. Es gibt Aufschluß über terpretation, „daß das ein riskantes de stattgefunden. Damals habe Brandt Geheimkontakte, die Willy Brandt als Spiel war“. von dem Verdacht gegen Wienand be- Regierender Bürgermeister von Eine klammheimliche, konspirative richtet. Er habe vom KGB gesprochen, zwischen 1957 und 1966 zum Pankower Nebenaußenpolitik, unabhängig von der kein Zweifel. Regime, wie die DDR zu Ulbrichts sozial-liberalen Regierung? Altkanzler Gemeinsam hätten sie überlegt, wie Zeiten im freien Westen hieß, herstell- Schmidt, der spätestens seit Mitte der sie sich verhalten sollten. Konrad Porz- te. Sein Emissär war Dietrich Spangen- siebziger Jahre Wehner näher stand als ner, der Chef des Bundesnachrichten- berg; er traf den DDR-Wissenschaftler Brandt, dementiert gewohnt glasklar: dienstes (BND), sollte helfen. Der Hermann von Berg, den wiederum „Weder habe ich 1974 noch überhaupt BND war für Auslandsaufklärung und Markus Wolf instruierte. jemals einen solchen Brief bekommen. also für den KGB zuständig. Brandt nutzte die anrüchige Verbin- Auch ansonsten habe ich niemals einen Vogel rief den mindestens gleicher- dung auch schon mal in eigener Sache. handschriftlichen Brief von Erich Ho- maßen verschwiegenen Porzner an. Ein Aus Stasi-Akten geht hervor, daß necker erhalten.“ Spekulationen, er ha- paar Wochen später meldete sich der Spangenberg Kompromittierendes – be deutsch-deutsche Zusammenarbeit BND-Chef wieder bei seinem Partei- Vernehmungsprotokolle der Gestapo, unter Ausschluß Moskaus betrieben, freund Vogel: keine Erkenntnisse. Fritz Erler betreffend, der in den sech- seien „Unfug“. Von einem eigenen Brandt notierte: „Am 17. 6. teilte mir ziger Jahren Brandts Rivale um die Draht Wehners zu Moskauer Gewährs- HJV (Hans-Jochen Vogel –Red.) mit, SPD-Führung war – in Empfang nahm. leuten „habe ich nie etwas gehört“. Porzner könne hierzu nichts sagen.“ Der Bürgermeister hatte darum gebe- Schmidts Botschaft: Gibt es keinen Brandt schloß den Vermerk ab. ten. dunklen Unterstrom der deutsch-deut-

DER SPIEGEL 4/1995 21 DEUTSCHLAND schen Politik, kann Wehner auch nichts an Moskau verraten haben. Allerdings gab es in der hochoffiziel- len Ost- und Entspannungspolitik eini- ge untergründige Episoden, die nicht für die Geschichtsbücher bestimmt wa- ren. Die SPD-Kanzler Brandt und Schmidt profitierten sogar davon. Als ausführendes Organ diente beiden Re- gierungschefs über die Jahre Egon Bahr. Und der todkranke Parteipatri- arch Brandt machte Andeutungen über diese politischen Sonderwege zwischen Bonn und Moskau in seinen Falin-No- tizen. Er habe Brandt, erläutert Falin, dar- über aufgeklärt, daß es der Emissär Bahr in den siebziger Jahren auf russi- scher Seite mit zwei KGB-Generalen zu tun gehabt habe. KGB-Chef Jurij Andropow persönlich habe die Feder- führung gehabt. Das klingt bizarr, aber ein wirkliches Geheimnis hat Falin kaum verraten. Und diese doppelbödige Außenpolitik hatte für die Bonner Regierung sogar den erhofften Effekt: Sie war hilfreich. Weizsäcker beim SPIEGEL-Gespräch*: „Der Zulauf der PDS kommt von den Von Heiligabend 1969 an traf sich Egon Bahr regelmäßig mit den KGB- Generalen Walerij Lednew und Wja- SPIEGEL-Gespräch tscheslaw Keworkow. Die beiden über- brachten Briefe und Mitteilungen von Leonid Breschnew oder nahmen wel- che für den sowjetischen Staats- und „Das Strafen muß ein Parteichef entgegen. Die Russen ließen 1974 über diesen Kanal vorfühlen, ob die Deutschen wohl Alexander Solschenizyn Asyl ge- Ende finden“ währen würden. Auf den eingespielten Wegen erfuhr Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker über DDR-Unrecht und PDS Helmut Schmidt in den Tagen vor Weihnachten 1979 vom bevorstehen- den Einmarsch der Sowjettruppen in SPIEGEL: Vor zehn Jahren, in Ihrer Re- nötig wird. Dazu brauchen wir eine leb- Afghanistan. Die Amerikaner, deren de zum 40. Jahrestag des Kriegsendes, hafte und vertiefte öffentliche Debatte, Satelliten jeden einzelnen Soldaten der plädierten Sie mit Blick auf die NS-Zeit an deren Ende die Entscheidung über Roten Armee in Kabul auf Fotos für Härte: „Schonung unserer Gefühle eine Abschlußregelung stehen kann. bannten, behielten ihre Weisheit mit hilft nicht weiter.“ Gilt das auch für den SPIEGEL: Das heißt, Sie halten ein Ge- dem Hochmut der Großmacht bis zu- Umgang mit der SED-Vergangenheit? setz, das die Verfolgung von DDR-Un- letzt für sich. Weizsäcker: Die beiden Vergangenhei- recht beendet, zu welchem Zeitpunkt Lednew starb 1987, sein vertrauter ten haben das eine gemeinsam: daß sie auch immer, für sinnvoll . . . Gesprächspartner Egon Bahr legte nicht bewältigt werden können. Das Weizsäcker: . . . und in welchem Um- Blumen auf sein Moskauer Grab. Ke- kann man mit der Vergangenheit nie. fang auch immer für unvermeidlich. Wir workow hat ein Buch über seine von Im übrigen sind sie ihrem Charakter können uns in bezug auf Regierungskri- den Historikern übersehene Tätigkeit nach nur begrenzt zu vergleichen. minalität oder zwischenmenschliche Un- geschrieben. Vor- und Nachwort stam- Selbstverständlich handelt es sich um taten in der Vergangenheit vom Verjäh- men von Egon Bahr. Tyranneien. Ich bin aber dafür, daß rungsgedanken nicht vollkommen ent- Der todkranke Willy Brandt schrieb man die Aufgaben, die die Vergangen- fernen. Die Wahrheit im politischen und in dürren Worten auf drei Seiten auf, heit uns in bezug auf den Nationalsozia- im menschlichen Sinn muß auf den was ihm sein Gesprächspartner Falin lismus einerseits und die SED-Herr- Tisch, soweit sie zugänglich ist. Aber erzählt hatte. „Da müssen sich für mei- schaft andererseits stellt, je für sich und das Ziel muß die Aussöhnung sein. nen Mann damals neue Abgründe auf- nicht synchron behandelt. SPIEGEL: Vergessen und vergeben auch getan haben“, glaubt die Witwe Brigit- SPIEGEL: Was empfehlen Sie dann für für Mauermorde und Stasi-Schnüffelei? te Seebacher zu wissen. den Umgang mit dem SED-Unrecht? Weizsäcker: Nein. Wir müssen zwei Sie will ihren einsamen Rachefeld- Weizsäcker: Das ist ein zentrales Thema Dinge scharf auseinanderhalten: Es ist zug gegen Wehner und Wienand und der Gegenwart, zu dem früher oder spä- moralisch, menschlich, historisch und die SPD verstärkt fortsetzen: „Es wer- ter eine Entscheidung des Gesetzgebers politisch unannehmbar und undenkbar, den sich nun mehrere Leute erklären die Erinnerung an und die Beschäfti- müssen, warum sie das Papier haben * Mit Redakteuren Thomas Darnstädt und Gabor gung mit der Vergangenheit zu been- verschwinden lassen wollen.“ Y Steingart in seinem Berliner Büro. den. Insoweit darf und wird es keinen

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