HERAUSGEBER: Adlershofer Geschichten Band 1 WISTA-MANAGEMENT GMBH Bereich Kommunikation

Rudower Chaussee 17 D - 12489 Wiege der deutschen Motorluftfahrt Telefon: +49 (0) 30/ 63 92 22 25 www.adlershof.de Schutzgebühr: 5,00 EUR 2 3

Inhaltsverzeichnis:

Vorwort …………………………………………………………………………………………………………………………… 5 Die Wiege der deutschen Motorluftfahrt ………………………………………………………………… 7 Flugwochen und Flugschauen ………………………………………………………………………………… 14 Eine neue Industrie entsteht …………………………………………………………………………………… 20 Flugschulen in und Adlershof ………………………………………………………… 24 Die kurze Ära der Luftschiffe in Johannisthal ……………………………………………………… 26 Flugzeugbau in Johannisthal und Adlershof ……………………………………………………… 29 Die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) ……………………………………………… 32 Rüstungsproduktion im Ersten Weltkrieg …………………………………………………………… 36 Konsequenz aus der Niederlage 1918: Umstellung auf zivile Produktion ……… 40 Ziviler Luftverkehr in Adlershof ……………………………………………………………………………… 43 Anfänge der Filmindustrie in Adlershof ………………………………………………………………… 48 Luftfahrt und Autobau: Adlershof in den Zwanzigerjahren ……………………………… 50 Neubeginn nach 1933 im Zeichen der Luftrüstung ……………………………………………… 52 Ausbau der DVL in den Dreißigerjahren ………………………………………………………………… 54 Adlershof im Zweiten Weltkrieg ……………………………………………………………………………… 58 Kriegsende und sowjetische Besatzung ……………………………………………………………… 63 Adlershof als „Know-how-Drehscheibe“ 1945–1948 …………………………………………… 64 Anknüpfen an die Tradition – das DLR in Adlershof …………………………………………… 68 Literatur/Impressum …………………………………………………………………………………………………72 5

Vorwort

Wissenschaft und Technologie haben in Als am 12. März 1991 eine Konferenz Berli- der verstanden, Zäsuren und Umbrüche Adlershof Tradition. Das Gelände war einst ner Staatssekretäre die Entscheidung fäll- als Herausforderungen anzunehmen und ein Flugplatz, der einen anderen Namen te, in Adlershof eine „integrierte Land- etwas Neues aufzubauen. Die Geschichte trug, nämlich Johannisthal. Er wurde am schaft aus Wissenschaft und Wirtschaft“ von Adlershof ist daher auch die Geschich- 26. September 1909 als erster deutscher aufzubauen, schien Adlershof als Techno- te von 100 Jahren Innovation. Mit den „Ad- Motorflugplatz – und als welweit zweiter logiestandort seine Geschichte hinter sich lershofer Geschichten“ wollen wir Ihnen, – in Betrieb genommen. 1912 nahm die zu haben. Doch er überlebte auch diesen liebe Leserinnen und Leser, Einblicke in die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt harten Einschnitt Entwicklung dieses Standortes geben. Den (DVL) ihren Sitz in Adlershof. Der Erste Anfang macht die Luftfahrt. In lockerer Fol- Weltkrieg brachte dem Flugplatz und der Insgesamt acht der heute elf in Adlershof ge wollen wir Ihnen dann die Leistungen Flugzeugindustrie einen Aufschwung, dem ansässigen außeruniversitären Institute von Wissenschaft, Wirtschaft und Medien nach 1918 ein jäher Absturz folgte. Doch waren Anfang 1992 aus der ehemaligen vorstellen. Johannisthal blieb Industriestandort, an- Akademie der Wissenschaften der DDR stelle von Flugzeugen wurden Autos ge- herausgelöst und in die bundesdeutsche baut und in den leeren Hallen Filme ge- Forschungslandschaft überführt worden. dreht. Von 1997 bis 2003 kamen noch sechs na- Berlin, den 13 Juni 2009 turwissenschaftliche Institute der Hum- Im „Dritten Reich“ stand Adlershof im boldt-Universität zu Berlin hinzu. Zur An- Dienst der Luftrüstung. Unmittelbar nach siedlung innovativer Firmen wurden mo- dem Zweiten Weltkrieg demontierte die derne Fach- und Gründerzentren errichtet. Hardy Rudolf Schmitz, Geschäftsführer der sowjetische Siegermacht die Einrichtun- WISTA-MANAGEMENT GMBH gen der DVL und legte den Flugplatz still. Heute, 100 Jahre nachdem die ersten Mo- Doch Adlershof überlebte, mit neuen Auf- torflieger hier starteten, ist Adlershof einer gaben und Funktionen. Das Fernsehen der der erfolgreichsten Hochtechnologiestand- DDR machte den Namen „Adlershof“ zum orte Deutschlands. Auf einer Fläche von Synonym für ein Medium und für das Ge- 420 Hektar ist ein integrierter Wissen- lände. Das Ministerium für Staatssicher- schafts-, Wirtschafts- und Medienstandort heit (MfS) bemächtigte sich eines Teils des entstanden, eingebettet in ein städtebau- Terrains und stationierte dort sein Wachre- liches Gesamtkonzept. Kern ist ein Wissen- giment „Feliks Dzierzynski“. Und es kam schafts- und Technologiepark mit 420 Un- die Akademie der Wissenschaften (AdW). ternehmen, elf außeruniversitären wissen- Bis 1989 waren in Adlershof neun wissen- schaftlichen Instituten und sechs natur- schaftliche Institute auf den Feldern Physik wissenschaftlichen Instituten der Hum- und Chemie aktiv. Im Herbst 1989 arbeite- boldt-Universität. Hier arbeiten heute ten dort allein 5.600 Menschen. Die Wie- 6.300 Menschen. Hinzu kommen 6.700 dervereinigung brachte für den Standort Studenten. die zweite und wohl schärfste Zäsur. Die Geschichte Adlershofs ist die eines Das Wachregiment wurde aufgelöst, das ständigen Wandels und großer Umwäl- Schicksal der Akademie und des DDR-Fern- zungen. Sie zeigt aber auch, dass die Men- sehens besiegelte der Einigungsvertrag. schen an diesem Standort es immer wie- 7

Plakat für die erste Flugwoche vom 26. September bis zum 3. Oktober 1909.

Rainer Karlsch / Thomas Flemming / Burghard Ciesla

Die Wiege der deutschen Motorluftfahrt

Als sich am 26. September 1909 auf dem schafft hatten. Von der „Basis-Station“ Jo- und ihm – angeblich – ein Strafmandat soeben fertiggestellten Flugfeld Johannis- hannisthal aus konnte die Entwicklung der über 150 Mark wegen „groben Unfugs“ thal bei Berlin die ersten Flugzeuge knat- Luftfahrt in großen Schritten weitergehen. verpasst haben.) Blériot umflog problem- ternd in den Himmel erhoben, war das fak- los den festgesetzten Wendepunkt und tisch die Geburtsstunde der deutschen Erste Flugwoche 1909 kassierte die dafür ausgesetzten 20.000 Motorluftfahrt. Johannisthal war der erste Mark Preisgeld. Sein Landsmann Farman Motorflugplatz Deutschlands – und der Eröffnet wurde Johannisthal mit einer setzte die Zuschauer durch eine extrem zweite der Welt, da vier Wochen zuvor im spektakulären Flugwoche, bei der freilich flache Flugbahn, knapp über dem Boden, französischen Bétheny bei Reims das welt- ausländische Piloten eindeutig das Feld in Erstaunen, während der Gewinner im weit erste Flugfeld in Betrieb genommen bzw. die Luft beherrschten, vor allem die Dauerflug-Wettbewerb – Hubert Latham wurde. Mit Johannisthal hatte die deut- Franzosen Henry Farman, Louis Blériot und – sein Fluggerät 2 Std. 41 Min. in der Luft sche Luftfahrt nunmehr einen festen Hubert Latham. Letzterer begeisterte die halten konnte. Dagegen nahmen sich die Standort gefunden, nachdem Hans Grade Zuschauer mit dem ersten Überlandflug in Leistungen des einzigen deutschen Teil- und August Euler im Oktober bzw. Novem- Deutschland vom Tempelhofer Feld nach nehmers in Johannisthal, Hermann Dorner, ber 1908 als erste Deutsche kurze Flüge Johannisthal. (Die Berliner Polizei soll aller- sehr bescheiden aus. Ihm gelangen mit mit motorgetriebenen Fluggeräten ge- dings nicht so begeistert gewesen sein seinem Fluggerät nur kurze Luftsprünge. 8 9

Franzosen und Briten hatten beim nen brachte er auch bei der Errichtung von Motorflug die Nase vorn Luftfahrtzeughallen zur Anwendung. Auf diese Weise kam er mit zahlreichen Luft- Der Vorsprung Frankreichs und Englands fahrtpionieren in Kontakt, darunter Major im Flugzeugbau hing vor allem damit zu- von Tschudi, einem ehemaligen Militärluft- sammen, dass in Deutschland lange Zeit schiffer, der 1909 als Geschäftsführer der das Prinzip „leichter als Luft“, also das Luft- Internationalen Luftschiffahrt Ausstellung schiff bzw. der Zeppelin, favorisiert wurde, (ILA) in Frankfurt/M. wirkte. Zwischen 1906 nicht zuletzt vom Militär. In den USA und und 1908 war er Chefkonstrukteur und -in- in Frankreich hatten hingegen um 1900 genieur in Marokko. Zugleich war von Hobbykonstrukteure mit dem Bau und der Tschudi Mitglied im Deutschen Aero Club, Erprobung von Motorflugzeugen begon- dem seinerzeit wichtigsten gesellschaftlichen nen, wobei zwei bahnbrechende Innovati- Treffpunkt der Luftfahrtlobbyisten. Arthur Müller onen aus Deutschland – das Gleitflugzeug von Otto Lilienthal (1891) und der Verbren- Über von Tschudi erfuhr der rührige Unter- *1871 in Stuhm/ Westpreußen nungsmotor von Gottlieb Daimler (1883) nehmer Müller 1908 von Planungen für ei- + 19. Januar 1935 in Berlin und Carl Benz (1879) – die entscheidenden nen Flugplatz in oder bei Berlin. Deren Ini- Arthur Müller ist eine Schlüsselfigur in der Geschichte technischen Voraussetzungen lieferten. tiator Eduard von Pustau, Kapitän zur See des Luftfahrt- und Industriestandorts Johannisthal/ Die Brüder Wilbur und Orville Wright eröff- a. D., der als Fachschriftsteller vehement Adlershof. neten in den USA am 17. Dezember 1903 den Fluggedanken in Deutschland beför- mit einem selbstgebauten Doppeldecker derte, hatte aber noch kein geeignetes und Der als Sohn jüdischer Eltern unter dem Namen Aron das Zeitalter des Motorflugs. Etwa zur sel- vor allem bezahlbares Grundstück gefun- Cohn geborene Müller stieg 1895 nach kaufmännischer Ausbildung in Posen in den Futtermittelhandel ein. ben Zeit gab es erste Motorflugversuche den. Unter anderem stand die Nutzung Nachdem er mit „Müllers Mais-Melasse“ großen auch in Europa, vor allem in Frankreich. vorhandener Berliner Pferderennbahnen geschäftlichen Erfolg erzielt hatte, verlegte er sich 1902 zur Diskussion. Pferderennen und Fliegerei, auf den Bau von Scheunen in Leichtbauweise. Diese In Deutschland waren es private Luftfahrt- das passte dann aber doch nicht zusam- konnten auch als Luftschiffhallen verwendet werden und so vereine, die den Motorflug voranbrachten. men. stattete Müller die erste Luftfahrtausstellung in Frankfurt a.M. 1909 mit derartigen Hallen aus. Überzeugt von In ihnen fanden sich Offiziere, Erfinder und den technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der technikbegeisterte Unternehmer zusam- In Berlin waren die ersten Luftschiffe bis- beginnenden Motor-Luftfahrt gründete er 1909 die „Flug- men, die erkannt hatten, dass es sich bei her auf dem Artillerieschießplatz in und Sportplatz Berlin-Johannisthal GmbH“. Damit den Flugmaschinen um mehr als eine gestartet. Flugplätze für den künftigen wurde er zu einem der wichtigsten Investoren und Anreger Rummelplatzattraktion handelte. Die Tat- des Luftfahrtstandorts Johannisthal. Die von ihm 1912 sache, dass französische Flieger zu jener gegründete Luft-Verkehrs-Gesellschaft AG (LVG) war vor 1918 einer der größten Flugzeughersteller Deutschlands. Zeit sämtliche Flugrekorde innehatten, empfanden sie geradezu als eine nationale Nach dem durch den Versailler Vertrag erzwungenen Schmach. Ende der Flugzeugproduktion engagierte sich Müller ab 1926 mit großem Erfolg im Bau von Zulieferteilen für die Die Initiatoren Arthur Müller und Automobilindustrie. Georg von Tschudi Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 war Müller bis zu seinem Tode 1935 zunehmen- Eine herausragende Rolle bei der Grün- den Drangsalierungen ausgesetzt. Seine Unternehmen und dung und dem Ausbau des Flugplatzes Jo- Grundstücke wurden enteignet und „arisiert“. hannisthal spielten der Bauunternehmer Arthur Müller und Major Georg von Tschu- Müllers Witwe und seine beiden Söhne konnten – nahezu mittellos – den Nazis mit knapper Not durch Emigration di. Der aus einer jüdischen Familie in West- entkommen. preußen stammende Arthur Müller (1871–1935) hatte sich mit Ideenreichtum und Durchsetzungsvermögen aus kleinen Georg von Tschudi, einer der Gründer des Flugfel- Verhältnissen emporgearbeitet. Eine von des Johannisthal/Adlershof, ab 1910 löste er Ar- ihm entwickelte Leichtbauweise für Scheu- thur Müller als Direktor der Flugplatz GmbH ab. Gerhard Sedlmayr als Flugschüler 1911 bei der Firma Wright in Adlershof. Er gründet 1919 am gleichen Ort die Firma „Autoflug“ (heute in Rellingen beheimatet). Im Hintergrund links Motorenprüfstände der DVL und das heute noch existierende Laborgebäude. 10 11

Motorflug benötigten jedoch andere Vor- Noch 1871, dem Gründungsjahr des Deut- mehr als Privatperson weiter. Er hatte die aussetzungen. Zudem sperrte sich das Mi- schen Reiches, lagen Adlershof und Johan- Vorstellung, Johannisthal zu einem mon- litär einer zivilen Nutzung. nisthal jwd, „jans weit draußen“, wie die dänen Villenvorort vor den Toren der pros- Berliner zu sagen pflegten. Beide im wald- perierenden Metropole Berlin umgestalten Nun brachte sich Arthur Müller ins Spiel. Er reichen Bruchtal gelegenen Orte zählten zu können. Zu diesem Zweck ließ Trützschler handelte mit dem Forstfiskus einen güns- seinerzeit zusammen keine 400 Einwoh- Kur- und Badehäuser bauen, sodass dem Ort tigen Pachtvertrag für ein ca. 300 ha gro- ner. Die Siedlungen waren erst in der Re- 1884 der Name „Bad Johannisthal“ zugespro- ßes Areal zwischen Adlershof und Johan- gierungszeit von Friedrich II., des 18. chen wurde. nisthal aus. Die Rodung und Einebnung Jahrhunderts, gegründet worden. Ihre Be- des Geländes übernahmen Soldaten der wohner, überwiegend Zuwanderer aus Adlershof/Johannisthal im Sog der Königlich-Preußischen Eisenbahn-Brigade. Böhmen und Sachsen, lebten von der Land- Industrialisierung Die Arbeiten begannen im Juli 1909. wirtschaft und vom Kleingewerbe. Mit dieser Beschaulichkeit sollte es jedoch Gemeinsam mit von Tschudi und weiteren Eine neue Einkommensquelle bot sich Jo- nach dem Bau der Berlin-Görlitzer Eisen- Partnern gründete Müller unterdessen die hannisthal durch die im letzten Drittel des bahn (1866/67), der Vollendung der Ring- „Deutsche Flugplatzgesellschaft“, die aller- 19. Jahrhunderts rasch an Bedeutung ge- bahn (1877) und der Stadtbahn (1882) bald dings beträchtliche Schulden aufhäufte winnende Naherholung. Das Berlin der vorbei sein. Die Berliner Industrie begann und bald in der neu gegründeten „Flug- Gründerzeit war nicht nur Hauptstadt des an den Stadtrand zu wandern und erfasste und Sportplatz GmbH Berlin-Johannisthal“ noch jungen und sehr dynamischen Deut- nun auch Johannisthal und Adlershof. Da aufging. Deren Geschäftsführung übergab schen Reiches, sondern zugleich auch die der Platz für arbeitsintensive Industrien in Müller mit Wirkung vom 1. Januar 1910 an wichtigste deutsche Industriemetropole den verdichteten innerstädtischen Bezir- von Tschudi. Den Zuschlag für die Bauaus- mit rasant steigenden Produktionszahlen ken bald nicht mehr ausreichte, führung auf dem Gelände erhielt die „Ar- und einer sehr schnell wachsenden Bevöl- verlagerten viele Unternehmen ihre Pro- thur Müller Land- und Industriebauten kerung. In dieser Zeit verzeichnete Berlin duktionsstätten an den Stadtrand und in AG“, sodass Müller sich selbst diesen lu- ein in Europa beispielloses Größenwachs- das Umland, was dort zu einem erhebli- krativen Großauftrag zuschanzte. tum. Der Lebensrhythmus der Stadt verän- chen Anstieg der Grundstückspreise führte. Flugplatzplan aus dem Jahr 1913 – rechts die Rudower Chaussee, links der heutige Segelfliegerdamm. derte sich mit dem Bau zahlreicher Groß- Doch Müller ging es nicht in erster Linie betriebe und Mietskasernen sowie der Die Erben von Karl Trützschler von Falken- um Bauaufträge, sondern er sah im Motor- Entwicklung zum Verkehrsknotenpunkt stein veräußerten nach 1891 ihre Besitzan- straßen. Für den weiteren Aufschwung des bringung der Flugmaschinen errichtet. Die Verkehrsmitteln ausarbeiten werden, dass flug enorme Perspektiven: „Als Ende 1908 grundlegend. Immer mehr Berliner ver- teile. Die Bodengesellschaft Johannisthal südöstlichen Industriegebietes, zu dem Einweihung des ersten deutschen Flug- es sich immer nur, abgesehen von der Ver- die Brüder Wright die ersten erfolgreichen spürten das Bedürfnis, dieser Großstadt- begann nunmehr mit der Errichtung von nunmehr auch Johannisthal und Adlershof platzes fand am 26. September 1909 im wendung im Kriege, um eine Art von Sport Flugversuche in Frankreich ausgeführt hat- hektik wenigstens für ein paar Stunden zu Mietshäusern, die überwiegend von Fa- gehörten, war daher der Bau des Teltowka- Rahmen einer spektakulären Flugwoche handelt, welcher mehr Menschenleben ten, überfiel mich ein Fieber für das in der entfliehen und fuhren per Kutsche oder brikarbeitern bewohnt wurden. Der Traum nals (1906) von entscheidender Bedeutung. statt. Diese war extra um eine Woche vor- vernichtet hat als jede sonst bekannte Art Fliegerkunst gegebene neue Fortbewe- Bahn in die waldreiche Umgebung am vom Kurbad in Johannisthal/Adlershof war verlegt worden, um noch vor der auf der von Sport.“ gungsmittel und ich sagte mir, sind die Stadtrand. In diesem Trend erkannte der in Folge der ausgreifenden Industrialisie- Flugplatz Johannisthal, „Wiege der Internationalen Luftfahrtausstellung (ILA ) ersten Versuche gelungen, dann ist erwie- Johannisthaler Grundbesitzer Karl Trütz- rung zu Ende. deutschen Motorluftfahrt“ in Frankfurt/M. geplanten Schau für Hans Grade gewinnt 1909 den sen, dass geflogen werden kann und es schler von Falkenstein, Spross einer preußi- Schlagzeilen zu sorgen. Was dann auch mit „Lanz-Preis der Lüfte“ muss unaufhaltsam und mit Riesenschrit- schen Offiziersfamilie, eine vielverspre- Noch etwas rascher als Johannisthal wur- Der erste deutsche Flugplatz entstand den eingangs geschilderten Flugleistun- ten vorwärtsgehen.“ chende Geschäftsmöglichkeit. Er gründete de Adlershof von der Randwanderung der mehr oder weniger als ein Provisorium in- gen von Latham, Blériot und anderen ein- Von solchen Stimmen ließ sich allerdings eine Baugesellschaft und kaufte für eine Industrie erfasst. Bereits 1879 wurde das nerhalb weniger Wochen und umfasste drucksvoll gelang. Obwohl Deutschland der Mannheimer Industrielle Karl Lanz Eine Idylle bei Berlin beträchtliche Summe das Gut Johannis- Landgut aufgelöst und Adlershof zur städ- eine Fläche von rund 2,1 Quadratkilometer. mit Johannisthal nunmehr einen eigenen nicht abschrecken. Er setzte auf die neue thal. Außerdem setzte er sich erfolgreich tischen Gemeinde erklärt. Auf der östli- Das Rollfeld war zunächst 800 Meter Motorflugplatz, den zweiten in der Welt, Technik und da ihn wurmte, dass die Fran- Zum Zeitpunkt der Flugplatzeröffnung dafür ein, dass Johannisthal im Jahr 1874 chen Seiten der Görlitzer Bahn und entlang lang und 500 Meter breit. Um die Flugei- besaß und ungeachtet der wagemutigen zosen beim Motorsport einen großen Vor- 1909 war Johannisthal ein Berliner Vorort einen eigenen Eisenbahnhalt erhielt, so- des Adlergestells wurden große Baugrund- genschaften besser demonstrieren zu kön- Flugpioniere blieb die Zukunft der motori- sprung besaßen, stiftete er einen Preis in mit rund 2.700 Einwohnern. Das benach- dass die Berliner den Ort bequemer errei- stücke ausgewiesen, die vor allem von Un- nen, wurden auf dem Flugfeld vier Wende- sierten Luftfahrt nach dem Prinzip „schwe- Höhe von 40.000 Mark für den ersten barte Adlershof zählte etwa 8.000 Bewoh- chen konnten. Die Baugesellschaft wurde ternehmen der Elektroindustrie, des Ma- masten (Pylonen) aufgestellt, die eine Stre- rer als Luft“ noch einige Zeit umstritten. Deutschen, der mit einer deutschen Ma- ner. Beide Gemeinden hatten in den ver- allerdings rasch Opfer der Gründerkrise schinenbaus und der chemischen Industrie cke von 2,5 Kilometer markierten. Der Skeptiker wie der Geheime Regierungsrat schine eine „liegende Acht“ fliegt. Dies ge- gangenen drei Jahrzehnten im Zuge der von 1873. Trützschler gab jedoch nicht auf, genutzt wurden. Eine zweite Verlagerungs- Startplatz mit Zielrichterhäuschen lag Dietrich, Professor an der Technischen lang im August 1909 dem Flugpionier und Randwanderung der Berliner Industrie sondern erwarb das bereits parzellierte welle folgte mit deutlicher Bevorzugung im westlichen Teil des Geländes; dort wur- Hochschule Berlin, waren überzeugt, dass Konstrukteur Hans Grade in Bork (heute eine beachtliche Entwicklung genommen. Land und führte die Bauvorhaben nun- von Standorten in der Nähe der Wasser- den auch die ersten Schuppen zur Unter- „diese Apparate sich niemals zu sicheren Borkheide) bei Potsdam. Er flog dabei ei- 12 13

nen von ihm konstruierten Eindecker, der sollte. Der Forstfiskus gewährte die Kauf- eine unkomplizierte Bauweise mit hervor- option auf das Flugplatzgelände dem er- ragenden Flugeigenschaften verband. Gra- folgreichen Geschäftsmann Müller, aber de hatte bereits am 2. November 1908 in nicht der in permanenten finanziellen Eng- Magdeburg mit einem selbst entworfenen pässen steckenden Flugplatzgesellschaft. und produzierten Dreidecker mit 36-PS- Motor den ersten deutschen Motorflug Zu dieser Zeit zeichnete sich bereits ab, absolviert. Nach diesem Durchbruch war er dass der Ausbau des Flugplatzes zur weite- mit seiner Werkstatt nach Bork umgezogen. ren Bebauung von Johannisthal und Ad- lershof mit modernen Zweck- und Wohn- Die Mitglieder des „Berliner Vereins für bauten führen würde. Die Errichtung wei- Luftschiffahrt“ ärgerten sich indes, dass terer Wohnhäuser sollte entlang der Gör- Hans Grade in Bork bei Potsdam und nicht litzer Bahn zwischen Johannisthal und Ad- Hans Grade in Johannisthal die Preisbedingungen er- lershof erfolgen. Allerdings musste die füllt hatte. Sie ließen darum ihre guten Be- Tagafia knapp ein Drittel der Bodenfläche * 17. Mai 1879 in Köslin/ Pommern ziehungen spielen und brachten ihn dazu, kostenfrei für kommunale Bauten an die (heute Koszalin) + 22. Oktober 1946 in Borkheide seine Konstruktion in ein paar Kisten zu Gemeinden Adlershof und Johannisthal verpacken und nach Johannisthal zu trans- abtreten. Hans Grade flog als Erster einen Flugapparat schwerer als portieren. Dort wiederholte er am 30. Ok- Luft, dessen Material und Triebwerk ausschließlich aus tober 1909 den preiswürdigen Flug einer Ausbau mit Hindernissen deutscher Produktion stammten. Mit dieser Pioniertat ge- „liegenden Acht“ und trug sich damit als Die große Zuschauertribüne während einer Veranstaltung, im Hintergrund die von Arthur Müller errichtete Parseval-Luftschiffhalle. wann er 1909 den „Lanz-Preis der Lüfte“. erster deutscher Fliegerkonstrukteur blei- Mehrere von der Tagafia konsultierte Gut-

Noch während seines Studiums an der Technischen Hoch- bend in die deutsche Motorfluggeschichte achter stellten in dieser Anfangsphase sind, besonders bevorzugt ist, um so mehr, bleme. Die Gemeindeverwaltungen und über die Skandale der „Tagafia“ und schrieb schule Berlin- konstruierte Grade im Jahr ein. Und der „Berliner Verein für Luftschiff- sehr günstige Prognosen für die künftige als sich auf dem Flugplatz ein Zentrum für Baupolizei machten zahlreiche Auflagen. später vom „tollen Betrug“, den Müller an- 1903 sein erstes Motorrad. Von den Möglichkeiten des fahrt“ bekam die ersehnte Publicity. Entwicklung des Flugplatzes und der um- Aeronautik und Aviatik sicher entwickeln Zudem versuchten Müllers Gegner, ihn als geblich veranstaltet habe. Das war einer Motorflugs war er früh fasziniert. Während seiner Mili- liegenden Gemeinden. So konstatierte wird, wie es bisher nicht bestanden hat ... Spekulanten zu diskreditieren. Einige Zei- der Gründe dafür, dass später in der DDR tärdienstzeit im Magdeburger Pionier-Bataillon begann Im darauffolgenden Jahr erwarb Arthur etwa der königliche Baurat Jaffe: „Es ist Vielleicht dürfte eine völlige Umgestaltung tungen griffen die Vorwürfe auf und betei- kein Historiker sich getraute, die Leistun- Grade 1907 mit dem Bau seines ersten Flugapparates, eines Dreideckers. Müller das Flugplatzgelände in Johannis- selbstverständlich, dass ein derartiges In- des Verkehrs auf der ganzen Welt daraus ligten sich an der Rufschädigung von Mül- gen Müllers bei der Entstehung des ersten thal über die „Terrain AG“ (Tagafia), was dustrieland unter den führenden Firmen, resultieren.“ Die Umsetzung des Bebau- ler. Selbst der russische Revolutionsführer deutschen Motorflugplatzes in Johannis- Im Jahre 1909 zog Grade nach Bork in der Mark (heute sich als weitsichtiger Schachzug erweisen welche für die Aviatik und Aeronautik tätig ungsplans verlief jedoch nicht ohne Pro- Wladimir I. Lenin las damals Publikationen thal/ Adlershof angemessen zu würdigen. Borkheide), wo er mit seiner Neukonstruktion, dem Einde- cker „Libelle“, erste Probeflüge absolvierte. Mit dieser Konstruktion bewarb Hans Grade sich um den mit 40 000 Mark dotieren „Lanz-Preis der Lüfte“. Der flugbe- geisterte Mannheimer Industrielle Karl Lanz hatte diesen Preis für den ersten deutschen Aviatiker ausgelobt, der mit ausschließlich deutschem Material zwei 1 000 m vonein- ander entfernte Pylonen in Form einer liegenden Acht um- fliegt und dann zur 500 m entfernten Startlinie zurück- kehrt. Das gelang Hans Grade am 30. Oktober 1909 auf dem Flugfeld Johannisthal bei Berlin auf Anhieb. Im Sep- tember 1910 stellte er auch einen Rekord im Dauerflug auf, bei dem er mit seinem Eindecker 4 Std. 30 Min. in der Luft blieb.

Das Preisgeld steckte Grade in den Ausbau seines Flug- zeug-Werkes in Bork und eine eigene Flugschule. Nach- dem er sein Unternehmen 1917 veräußert hatte, fertigte Grade in einem Teil der Anlagen das so genannte Grade- Auto in einer Stückzahl von ca. 2.000 Fahrzeugen.

1927 musste das Werk schließen. Grade übernahm fortan vor allem Fremdaufträge im Forschungsbereich. Hans Grade mit seinem Eindecker während eines Wettbewerbs – mit einer Maschine gleichen Typs Das Fliegerheim von Franz Tolinski in der Johannisthaler Friedrichstraße, neben dem Café Senftleben einer der Treffpunkte der Aviatiker, berühmt wurde es erflog er am 30. Oktober 1909 den „Lanz-Preis der Lüfte“. auch durch seine Bruchsammlung. Haupteingang des Flugplatzes Johannisthal mit Kassenhäuschen, um 1912.

Flugwochen und Flugschauen Johannisthal landete. Dieser spektakuläre steigenden Besucherzahlen folgten. War- Tag war Johannisthal Ausgangspunkt für Flug knapp über den Dächern von Berlin um übrigens „Flugfeld Johannisthal“? We- eine der bislang größten Flugveranstaltun- Die aufwendige Infrastruktur eines Flug- er installiert. Die solide ausgeführten Um- Höhe umkreiste, am Reichstagsgebäude versetzte die Berliner Bevölkerung in Auf- gen der Assoziationsmöglichkeiten hätte gen, den „Deutschen Rundflug“, der eine platzes und die hohen Start- und Preisgel- bauten bewährten sich und gaben dem und dem Hohenzollern-Schloss vorbeiflog ruhr. Die Menschen liefen in Massen auf die Benennung nach dem Ortsteil „Ad- Gesamtstrecke von 1.854 Kilometer – ge- der für Flugschauen ließen sich allerdings Flugplatz eine neue Gestalt. und anschließend wieder wohlbehalten in die Straßen und Plätze, sodass im Zentrum lershof“ nahegelegen. Allerdings war die flogen in 13 Tagesetappen – umfasste. 25 nicht allein aus Eintrittsgeldern finanzie- der Verkehr zum Erliegen kam. Alfred Freys Zugfahrt von Berlin aus nach Johannisthal Flieger nahmen an dem Rundflug teil, der ren. Die Flugplatzgesellschaft schrieb da- Erster Rundflug über Berlin Stadt-Überflug hatte die Möglichkeiten um 10 Minuten kürzer und auch 10 Pfennig u. a. über Magdeburg, Schwerin, Hamburg, her bald tiefrote Zahlen. Zudem waren der der neuen Technik eindrucksvoll vor Augen billiger. Das galt es aus Marketing-Grün- Hannover, Köln, Dortmund, Halberstadt zu- Flugplatz und die dazugehörigen Baulich- Am 23. Mai 1910 vollbrachte der Württem- geführt. In der Folgezeit strömte das Berli- den zu beachten und so blieb es zunächst rück nach Johannisthal führte. Am Start- keiten noch in einem weitgehend proviso- berger Alfred Frey von Johannisthal aus ner Publikum in Scharen nach Johannis- bei der Benennung nach dem Ort Johan- tag für dieses spektakuläre Großereignis rischen Zustand. eine bemerkenswerte fliegerische Leistung thal, um Zeuge immer neuer Pionierleis- nisthal. strömten so viele Besucher wie nie zuvor und setzte damit einen weiteren Mark- tungen waghalsiger Flieger zu werden. So nach Johannisthal, nach einigen Schätzun- Flugplatzdirektor Georg von Tschudi mach- stein in der Entwicklung der deutschen herrschte während der „Nationalen Flug- Massenansturm in Johannisthal gen bis zu 600.000 Männer, Frauen und te sich deshalb ab 1910 energisch daran, Luftfahrt: Mit seinem Doppeldecker unter- woche“ im August 1910 ein enormer An- beim Deutschland-Flug 1911 Kinder. Bereits am frühen Morgen waren die baulichen Mängel zu beseitigen. Neue nahm er den ersten Rundflug über Berlin, drang, nachdem die internationale Flug- die Vorortzüge völlig überfüllt und so fuh- Startplätze und Eingänge wurden einge- bei dem er über das Tempelhofer Feld, die Hans Grade vor seinem Eindecker in Adlershof woche drei Monate zuvor nur auf geringe Am 11. Juni 1911 erlebte die Flugbegeiste- ren viele Besucher auf den Wagendächern – allerdings nicht 1909, sondern im Jahr 1934 in richtet, Tribünen und Verwaltungsgebäude Potsdamer Straße entlang zum Potsdamer Zuschauerresonanz gestoßen war. Zahlrei- rung der Berliner Bevölkerung einen noch und Trittbrettern mit. Vorbereitung für Dreharbeiten zu einem Film gebaut sowie Windmesser und Leuchtfeu- Platz flog, die Siegessäule in 300 Meter über seinen Flug um den Lanz-Preis. che weitere spektakuläre Flugwochen mit nie dagewesenen Höhepunkt. An diesem 16 17

So sah es aus, wenn die Zuschauer zu den spektakulären Flugveranstaltungen strömten (hier zu den Die Schiedsrichtertribüne beim Deutschen Rund- Pégoud bei einem Schraubenflug über dem Flugplatz Johannisthal. Der berühmte Spiral- oder Schraubenflug von Pé- Flugvorführungen von Adolphe Pégoud). flug 1911 – von Parseval (2. v.r.) , von Tschudi (r.). goud, eine beliebte Flugfigur der ersten Aviatiker.

Die Preußischen Staatseisenbahnen hat- Aber nicht allein die Technikbegeisterung Johannisthal wird Zentrum der ten in Verkennung des Publikumsinteres- lockte seinerzeit die Menschen in so gro- deutschen Luftfahrt ses viel zu wenig Sonderzüge eingesetzt. ßer Zahl zu den Flugvorführungen. Eine Die „Vossische Zeitung“ schilderte das wichtige Rolle spielte auch der Nervenkit- Der Flugplatz Johannisthal erlebte vor dem Chaos: „In den (Zug-) Kupeés standen und zel aufgrund des hohen Unfallrisikos. Die Ersten Weltkrieg seine Blüte als Zentrum saßen, ja lagen in den Gepäcknetzen und Flieger agierten in gewisser Weise als eine des Motorfluges in Deutschland. Jede zwei- unter den Bänken 30 bis 36 Personen. Zahl- Art moderner Gladiatoren. Wie diese im te deutsche Motorflugveranstaltung fand reiche Frauen und Mädchen wurden ohn- alten Rom wurden sie als Helden gefeiert hier statt und in fast allen Wettbewerben mächtig und mussten auf den Zwischen- und riskierten dafür ihr Leben. Da die kom- siegten Flieger aus Johannisthal. stationen aus den Zügen herausgebracht plexe Flugtechnik noch ganz in den Anfän- werden.“ Auf den Zufahrtsstraßen stauten gen steckte, gingen nicht wenige Maschi- Für den durchschlagenden Erfolg des sich Fuhrwerke und Autos, sodass fast kein nen kurz nach dem Start zu Bruch. Kaum Standortes Johannisthal spielte eine Fortkommen mehr war. Die vorhandenen ein Flugtag verging ohne „Kleinholz“. Den ganze Reihe von Faktoren eine Rolle: die ca. 6.500 Tribünen- und 100.000 Stehplät- Fliegern war die Sensationsgier zuwider. Technikbegeisterung weiter Teile der wil- ze auf dem Flugfeld waren im Nu besetzt. Beispielsweise empörte sich Gerhard Sedl- helminischen Gesellschaft (was es in ähn- Pégouds Apparat am Startplatz, dahinter Reklame für Rumpler und für Carl Berg, den größten Alumini- Benno König, Urbild eines Aviatikers der Weitere rund 400.000 Menschen rissen mayr nach einem glücklich überstandenen licher Ausprägung auch in Frankreich und umfabrikanten der damaligen Zeit, Lieferant für die Luftschiffe des Grafen von Zeppelin (1913). Anfangsjahre der Fliegerei. die Umzäunung nieder und strömten an Absturz: „Uns armen Fliegern wird gestoh- Großbritannien gab), die Leidenschaft und den Ort des spektakulären Geschehens. len, was nicht niet und nagelfest ist. So sah der Mut der Flugpioniere und Konstrukteu- ich meine Mütze und Brille nicht wieder, re. Hinzu kam die Nähe zur dynamischen Waghalsige Flugmanöver Kapitän Engelhard fehlte seine wertvolle Metropole Berlin mit ihrer aufstrebenden, Krawattennadel. Ich meine, das ist gemeiner innovationsfreudigen Industrie, aber auch Die Berliner waren von der Flugbegeiste- Leichenraub, sonst nichts.“ Die Jagd nach im- eine geschickte Finanz- und Marketingstra- rung gepackt. Hunderttausende zog es mer neuen Rekorden ging dennoch weiter. tegie für den Flugplatz Johannisthal, wo- auch im Oktober 1913 nach Johannisthal, wo für vor allem Arthur Müller verantwortlich der französische Pilot Adolphe Pégoud wag- Im Frühjahr 1912 fanden von Johannisthal zeichnete, sowie die Internationalität der halsige Sturzflüge, Loopings, Spiralen und aus auch die ersten Funkflüge statt. Hier- Flugveranstaltungen. Johannisthal wurde Tiefflüge knapp über dem Boden vorführte. zu wurde ein Albatros-Doppeldecker von zu einem Treffpunkt der europäischen Pi- Längst war Johannisthal im In- und Ausland der Firma Telefunken mit einer Sende- und loten. Der erste deutsche Motorflugplatz zu einem Begriff für die aufstrebende Luft- Empfangsanlage ausgestattet. In einer entwickelte sich zum Kristallisationspunkt fahrt geworden. Die Zahl der Starts in Jo- Höhe von 500 m und einer Entfernung von für die im Entstehen begriffene Flugzeugin- hannisthal stieg zwischen 1911 und 1914 von 150 km konnten Funksignale an die Boden- dustrie. Die wichtigsten Flugzeughersteller Todessturz von Paul Engelhard am 29. September 1911 mit einem Wright-Flyer, der Schüler Sedlmayr Arbeiten am Zeitnehmerturm für die Flugwett- durchschnittlich 26 auf 138 pro Tag. station in Nauen übertragen werden. und Luftschiffbauer siedelten sich hier an. wird leicht verletzt. bewerbe. 18 19

Flugzeugtransport (Wright-Flyer) von der Fertigung zum Einfliegen, hier auf der Rudower Chaussee.

Orville Wright (3. v.r.) im September 1909 vor seinem Flyer, rechts neben Richard Schmidt auf einem Torpedo-Eindecker um 1912. ihm Hart O. Berg und Richard von Kehler (die Aufnahme entstand auf dem Tempelhofer Feld).

Alfred Friedrich. Er flog als erster Aviatiker im August/September 1913 Hermann Reichelt mit seinem Apparat (eigenhändige Unterschrift Blick auf den Startplatz mit der Schiedsrichtertribüne um 1911. die Strecke Berlin-Paris-London und zurück. vom 26. August 1913). 20 21

Die ersten 20 deutschen Flugpioniere, Eine neue Industrie entsteht die ersten der „Alten Adler“.

Zunächst waren es Laienkonstrukteure aus Bruno Hanuschke war erst 18 Jahre alt, als dem In- und Ausland, Abenteurer und sehr er 1910 in Johannisthal mit der Konstruk- kleine Firmen, die sich in Johannisthal die tion und Fertigung von Flugapparaten be- Schuppen am „alten Startplatz“ teilten. gann. Mit seinem Eindecker, ausgestattet Mit wenig Geld, aber viel Enthusiasmus mit einem 25-PS-Anzani-Motor, erzielte er wurden dort Flugapparate entworfen und einen ersten wirtschaftlichen Erfolg. Seine gebaut, mit zuweilen etwas abenteuerlich Flugzeuge konnte er auf dem deutschen anmutenden Ergebnissen. Die meisten wie dem europäischen Markt eine Zeitlang dieser Pioniere scheiterten jedoch bald an gut verkaufen, was u.a. an der sehr stabilen Bruno Hanuschke ihrer Kapitalschwäche oder ihren unaus- Stahlrohrkonstruktion der Flugzeugrümp- gereiften technischen Entwürfen. fe lag. * 12. März 1892 in Berlin +1922 Unternehmer und Tüftler Einem weiteren Unternehmen mit einem Bruno Hanuschke baute mit 15 Jahren gemeinsam mit großem Namen war kein dauerhafter Er- seinem Bruder Willi einen Gleit-Doppeldecker. Im Alter Gleichwohl gelangen einigen dieser Pio- folg in Johannisthal vergönnt, den „AGO von 18 Jahren versuchte er, sich in Johannisthal als Flug- niere des Flugapparatebaus, wie etwa Bru- Flugzeugwerken“ (Aviatiker Gustav Otto). zeugkonstrukteur auf eigene Füße zu stellen. no Hanuschke, Max Schüler, Hermann Dor- Gegründet wurde das Unternehmen 1911 ner und den Brüdern Otto und Paul Timm, in München vom Luftfahrtpionier und Mo- Nach gescheiterten Versuchen mit einem Doppeldecker brachte er einen selbstkonstruierten Eindecker in die Luft, Konstruktionen, die der weiteren Entwick- torenbauer Gustav Otto. Er war der Sohn den er mit einem 25-PS-Anzani-Dreizylinder ausrüstete. lung des Flugzeugbaus wertvolle Impulse des Erfinders des Viertaktmotors, Nikolaus Mit diesem Flugapparat erwarb er am 8. Oktober 1910 geben konnten. Otto. den Flugzeugführerschein Nr. 35.

So konstruierte Hermann Dorner 1912 das In Johannisthal gründete er eine Fliegerschule, die sich im Unterschied zu vielen anderen bis zum Ausbruch des Ers- erste zweimotorige Wasserflugzeug der ten Weltkriegs 1914 halten konnte. Hanuschke wurde Welt. Bereits 1907 hatte der diplomierte rasch zu einem der populärsten deutschen Flieger und Schiffbauingenieur einen Gleitapparat Flugzeugkonstrukteure mit einem beachtlichen Absatz sei- konstruiert und dessen Stabilität und ner Flugapparate im In- und Ausland. Ein Erfolgsfaktor Steuerungsfähigkeit umfassend erprobt. war dabei die Verwendung von aus Stahlrohr geschweißten Dorner war damit nach Otto Lilienthal der Flugzeugrümpfen. zweite Deutsche, der ein steuerbares Flug- Hanuschkes Popularität entsprang auch seinem eigenwilli- gerät nach dem Prinzip „schwerer als Luft“ gen Flugstil und der Tatsache, dass er sich auch bei sehr in die Lüfte zu bringen vermochte. Bei der schlechten Wetterverhältnissen in die Lüfte erhob. Er gilt epochemachenden Flugwoche in Johan- darum als erster der sogenannten Johannisthaler „Sturm- nisthal vom September 1909 war Dorner flieger“. mit seiner Konstruktion, einem Hochde- Bruno Hanuschke starb 1922 in einem Sanatorium an cker mit selbstgebautem 4-Zylinder-Motor, den Folgen einer Lungenentzündung. der einzige deutsche Teilnehmer.

Gustav Otto, der Sohn des Erfinders des Viertakt- 1910 gründete er die „Dorner-Flugzeug-Ge- Motors, gründete die Otto-Flugmaschinenwerke, aus denen später die Bayerischen Flugzeugwerke sellschaft mbh“ und erhielt als einer der (BFW) und danach die Bayerischen Motorenwer- ersten Luftfahrtpioniere finanzielle Un- ke (BMW) hervorgingen. terstützung durch das preußische Kriegs- ministerium. Seine Flugzeuge erwiesen Nur ein Jahr später eröffnete Otto in Jo- sich jedoch als für militärische Zwecke hannisthal eine Zweigniederlassung. Die nicht verwendungsfähig, was zur baldigen Produktion der AGO in Johannisthal blieb Schließung seines Unternehmens führte. allerdings unbedeutend. 22 23

Andere Gründungen waren dauerhafter ihrer legendären Doppeldecker. Es gelang als jene Pionierunternehmen und bildeten dem Unternehmen jedoch nicht, sich auf den Kern einer phasenweise florierenden Dauer zu etablieren. Hauptursache dafür Flugzeugindustrie in Johannisthal und war die Tatsache, dass ihre Fluggeräte, Adlershof. Dazu gehörten Unternehmen mit denen das Zeitalter des Motorflugs wie die Flugmaschine Wright GmbH, die 1903 begonnen hatte, technologisch nicht Albatros-Werke, Fokkers Aeroplanbau und mehr auf der Höhe der Zeit waren. Wäh- die Rumpler-Flugzeugwerke. rend nämlich die Konkurrenz zu einem geschlossenen Rumpf mit vorn liegen- Auch die Gebrüder Wright produ- dem Motor überging, wollten die Gebrü- zierten in Adlershof der Wright diesem Trend nicht folgen. Die Luftschrauben der Wright Maschinen wur- In Johannisthal/Adlershof siedelten sich den über eine gemeinsame Kette von der Wilbur und Orville Wright um 1910 einige der wichtigsten Flugzeug- Motorwelle angetrieben. Dies und andere Anton (Antony) Herman Gerard Fokker bauer im „neuen Startplatz“, am nördli- konstruktive Details machten die Maschi- Wilbur: * 6. April 1890 auf Java chen Rand des Flugfeldes an. Darunter wa- nen relativ anfällig. Eine „Fokker-Spinne“ über dem Schuppen von Anthony Fokker. * 16. April 1867 in Melville; Indiana + 23. Dezember 1939 in New York + 30. Mai 1912 in Dayton, Ohio ren die weltweit bedeutendsten Namen der Flugzeugproduktion, die dem gerade Als am 29. September 1911 der damals be- Fokker galt als einer fähigsten Flugzeugkonstrukteure Orville: eröffneten Flugplatz Johannisthal interna- kannteste Wright-Flieger, Paul Engelhard, und besten Piloten seiner Zeit. Der Niederländer begann * 19. August 1871 in Dayton, Ohio tionalen Glanz verliehen. So verlegten die über Johannisthal abstürzte und den Tod seine fliegerische Karriere in Deutschland, wo er zunächst + 30. Januar 1948 in Dayton, Ohio Fahrzeug- und Flugzeugkonstruktion in Bingen und Mainz Brüder Wright aus Dayton (Ohio), die seit fand, wuchsen die Zweifel an der techni- studierte. Sein Flugzeugführerpatent erwarb er mit der Nr. Ende 1909 eine Flugmaschinenfirma in schen Zuverlässigkeit der Wright-Maschi- Die Gebrüder Wright entstammten der Familie eines 88 am 7. Juni 1911 auf einer eigenen Konstruktion, der protestantischen Geistlichen. Aus Geldmangel konnten Berlin- betrieben, kurz nach nen. „Fokker-Spinne“. sie nicht studieren. Beide Brüder gründeten zunächst der Eröffnung des Motorflugplatzes ihr eine Druckerei. Eine von ihnen betriebene Fahrradfabrik Unternehmen nach Adlershof. Auch den niederländischen Flugzeugkon- Im Februar 1912 gründete er in Johannisthal bei Berlin wurde ein wirtschaftlicher Erfolg. Dabei machten sie strukteur Anthony Fokker zog es 1912 nach seine eigene Firma, die „A.H.G. Fokker Aeroplanbau“, in erste Erfahrungen mit stabilen und leichten mechanischen der er zunächst die „Spinne“ produzierte. Um leichter an Dies bedeutete einen enormen Prestige- Johannisthal, wo er eine Flugzeugwerk- Konstruktionen. Bald entdeckten sie ihre Begeisterung Heeresaufträge zu gelangen, verlegte Fokker seine Firma für das Fliegen und beschäftigten sich zunächst mit gewinn für den neuen Flugplatz, denn bei statt eröffnete und 25 Maschinen baute. im Sommer 1913 nach Schwerin. Großaufträge zum Bau dem Gleitflug. Ihr Ziel war aber die Möglichkeit des den beiden Amerikanern handelte es sich Binnen Jahresfrist siedelten die Fokker- von Militärflugzeugen brachten dort den wirtschaftlichen gesteuerten Motorflugs. Nach langen Versuchen war es am um die damals berühmtesten Flugpioniere Werke jedoch nach Schwerin um. Die Ma- Durchbruch. 17. Dezember 1903 soweit. Auf einem abgeschiedenen der Welt. Bis Ende 1913 baute die Flugma- schinen des „fliegenden Holländers“ er- Gelände bei Kitty Hawk am Atlantik gelangen ihnen vier Mit Kriegsbeginn expandierte die Firma rasant, neue schine Wright GmbH in Adlershof rund 60 langten bald einen legendären Ruf. Der berühmte Anthony Fokker, begnadeter Flieger und Konstrukteur, vor seinem Eindecker mit Um- Flüge mit dem „Flyer“ und einem 12-PS-Motor aus laufmotor. Aus diesem Muster entstand das erste deutsche Jagdflugzeug mit durch den Propellerkreis Zweigwerke entstanden in Schwerin und Berlin sowie eine eigener Fertigung. Der längste ging bei 59 Sekunden Dauer schießenden synchronisierten MG. Motorenfabrik in Oberursel im Taunus. über eine Strecke von 260 m. In den USA war die Resonanz zunächst verhalten, sodass Der von Fokker maßgeblich entwickelte Synchronisations- die Brüder Wright nach England und Frankreich gingen, mechanismus, der es ermöglichte, dass Maschinengewehre 1909 auch nach Deutschland. Die Schauflüge von Orville durch den Propellerkreis feuern konnten, brachte den Wright auf dem Tempelhofer Feld in Berlin begeisterten deutschen Militärfliegern zeitweilig einen deutlichen Zehntausende. 1909 gründete Orville die „Wright Vorteil gegenüber den Alliierten. Flugmaschine GmbH“, die 1910 von Reinickendorf nach Johannisthal umsiedelte. Dort wurden bald fast zwei Fokker, seit 1915 deutscher Staatsbürger, reiste häufig an die Drittel aller von Wright gebauten Apparate produziert. Front, um persönlich mit den Piloten über Verbesserungen Die in Johannisthal hergestellte Wright-Flyer wurde an den Flugzeugkonstruktionen zu sprechen. neben der „Rumpler Taube“ zum Standard-Flugapparat der Frühzeit der deutschen Fliegerei. Der langfristige Nach dem Ersten Weltkrieg verlegte Fokker wegen wirtschaftliche Erfolg blieb jedoch aus, da die Technologie der Rüstungsbeschränkungen aufgrund des Versailler der Wright-Doppeldecker bald nicht mehr dem neuesten Vertrages einen Großteil seiner Fertigungsanlagen in die Stand entsprach. 1913 ging die Firma in Konkurs. Niederlande. Dort gründete er die „N.V. Koninklijke Nederlandse Orville Wright konnte in den USA späte Anerkennung Vliegtuigenfabriek Fokker“. 1922 ging er in die USA und erringen. 1929 wurde er zum Mitglied der National gründete dort die „Fokker Aircraft Corporation“. Academy of Sciences berufen. Ein sogenanntes „Flieger-Denkmal“, diesmal allerdings nicht als Ergebnis einer missglückten Landung, Auch die Firma Wright bemühte sich, wenn auch erfolglos, um Aufträge des Militärs. sondern durch eine Windbö verursacht. 24 25

Flugschulen in Johannisthal und Adlershof

Oft an Konstruktionsbüros und Produk- blieb dabei mehr als acht Stunden in der provozierten sie beim Fliegen mit riskan- lichen Ausländerin. Lehr- und Geschäfts- tionsstätten gekoppelt wurden mehr als Luft. Doch die Freude über diesen Rekord ten Manövern. Selbst vor Manipulationen erlaubnis wurden ihr entzogen. Ihr durch ein Dutzend Fliegerschulen eröffnet. Den währte nicht lange. Reichelt verunglück- an ihrem Flugzeug schreckte man(n) nicht den Krieg zerstörtes Lebenswerk und die größten Bekanntheitsgrad erreichten die te im April 1914 bei einer Flugvorführung zurück. Bei ihrem ersten öffentlichen Flug- Trennung von ihrem Ehemann trieben sie Flugschulen des Dresdner Kunstmalers nahe Dresden tödlich. auftritt stellte Melli Beese zwei Rekorde im am 21. Dezember 1925 in den Selbstmord. Hermann Reichelt, die Melli Beese GmbH Höhen- und Dauerflug auf und eröffnete und die Sport-Flieger GmbH. Die erste Frau im Cockpit 1912 gemeinsam mit dem französischen 1911 wurde in Adlershof auch die erste Piloten Charles Boutard und Hermann deutsche Luftfahrerschule gegründet und Hermann Reichelt hatte sich bereits in Nicht weniger bekannt und beliebt wur- Reichelt ihre eigene Flugschule. Aber ihr in einem Flügel des Schulgebäudes an der Leipzig als Flugzeugkonstrukteur versucht, de Amelie Hedwig (Melli) Beese. Sie kam Leben endete tragisch. Adlershofer Radickestraße untergebracht. Amelie (Melli) Hedwig Beese bevor er 1912 nach Johannisthal kam. Seine aus einem wohlhabenden Elternhaus Zu den ersten Fluglehrern zählten der In- * 13. September 1886 in Dresden „Aero Flugzeugbau GmbH“ war eine kleine und erwarb im September 1911 allen Wi- Deutsch-französische Fliegerehe genieur Robert Thelen, der bekannte Luft- + 22. Dezember 1925 in Berlin Firma, die sich auf den Nachbau anderer derständen und gesellschaftlichen Kon- schiffkonstrukteur August von Parseval Modelle beschränkte. Im September 1913 ventionen zum Trotz als erste Frau einen Die Heirat mit Boutard machte sie 1913 zur und ab 1913 der Flugzeugkonstrukteur Her- Melli Beese wuchs als einzige Tochter wohlhabender Melli Beese – erste deutsche Motorfliegerin, at- flog Reichelt von Johannisthal über Brüssel „Luftfahrerschein“. Viele ihrer männlichen französischen Staatsbürgerin und damit mann Dorner. Eltern auf und erfuhr vielseitige Förderung. Von 1906 bis traktiv und selbstbewusst, mit ihrem tragischen 1.025 km weit bis in die Nähe von Paris. Er Kollegen wollten das nicht akzeptieren. Sie Schicksal ging sie in die Luftfahrtgeschichte ein. zu Beginn des Ersten Weltkriegs zur feind- 1909 studierte sie in Stockholm Bildhauerei. Früh begann sie sich für die noch junge Luftfahrt zu interessieren.

Als sie 1910 nach Deutschland zurückkehrte, ging sie nach Johannisthal, um den Pilotenschein zu erwerben, was für eine Frau nicht ohne Probleme war. Mehrfach wurde sie abgewiesen, bevor sie 1911 bei Hellmuth Hirth von den „Rumpler-Werken“ die Ausbildung abschließen konnte. Es dauerte jedoch einige Zeit – und kostete Melli Beese viel Kraft –, bevor sie sich gegen männliche Vorurteile durchsetzen konnte.

1913 heiratete sie den französischen Flieger Charles Boutard und nahm die französische Staatsbürgerschaft an. Im Jahr zuvor hatte Melli Beese zusammen mit Hermann Reichelt in Johannisthal die „Flugschule Melli Beese GmbH“ gegründet, die rasch großen Zulauf hatte. Melli Beese versuchte sich auch mit Erfolg als Konstruk- teurin, u.a. bei der Modifizierung der „Rumpler-Taube“ zur „Beese-Taube“ und beim Bau eines Flugbootes.

Die Ehe mit einem Franzosen und Annahme der franzö- sischen Staatsbürgerschaft brachte Melli Beese nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs in große Schwierigkeiten. Ihr Unternehmen wurde konfisziert, sie selbst zeitweilig interniert.

Nach 1918 verhinderte das Flugrüstungsverbot aufgrund des Versailler Vertrages einen Neuanfang ihres Unterneh- mens. Melli Beese kämpfte lange um eine Entschädigung für die Verluste im Krieg, die sie schließlich auch erhielt. In den folgenden Jahren scheiterten mehrere Versuche, wieder ins Fluggeschäft einzusteigen. Die Trennung von ihrem Mann schien der morphiumsüchtigen Melli Besse schließlich vollends den Lebensmut genommen zu haben. Im Dezember 1925 beging sie Selbstmord.

Der deutsche Flugschein des französischen Aviatikers Charles Boutard. Er und Melli Beese heirateten im Januar 1913. Melli Beese mit ihrem Mechaniker an einer „Taube“. 26 27

Die Doppelhalle von Zeppelin (links) und die Parseval-Halle (rechts).

Die kurze Ära der Luftschiffe in Johannisthal sagier- und Lichtreklamefahrten eingesetzt. Wie ein Riesenlampion schimmerte es über den Straßen. Das Geschäft rentierte sich Lange Zeit hatte das Luftschiff – ein Flug- und eleganten Luftschiffen außerordent- hafen am Bodensee erfolgreich gestartet. dennoch nicht, da das Luftschiff technisch apparat nach dem Prinzip „leichter als Luft“ lich stark beeindrucken. Wobei zwei adlige Parsevals Entwürfe für ein nicht starres zu anfällig war und oft ausfiel. Die LVG ent- – in Deutschland die Entwicklung der Luft- Luftschiffpioniere um die leistungsstärkste Prall-Luftschiff wurden von der 1908 in ging nur durch den Umstieg auf den Flug- fahrt dominiert. Das hing nicht zuletzt mit und zuverlässigste Konstruktion und auch Berlin gegründeten Luftfahrzeug-Gesell- zeugbau dem Bankrott. Das ehemalige der Unterstützung durch „höchste Kreise“, um die Gunst des Kaisers konkurrierten: schaft m. b. H. (LFG) umgesetzt. Von dieser Verwaltungsgebäude der LVG steht noch insbesondere durch Kaiser Wilhelm II., und der ehemalige württembergische General Firma kaufte die in Johannisthal ansässige heute am Segelfliegerdamm. Direkt neben der geschickten Lobbyarbeit von Graf Ferdi- Ferdinand Graf von Zeppelin und Major a. Luft-Verkehrs-Gesellschaft AG (LVG), an der Parseval-Halle in Johannisthal ließ die nand von Zeppelin zusammen. Hinzu kam, D. Graf August von Parseval. der Arthur Müller maßgeblich beteiligt „Luftschiffbau Zeppelin GmbH“ 1911 eine dass das kaiserliche Militär zunächst weit war, ein Luftschiff. Müller baute auch eine eigene, doppelt so große Halle bauen. Doch stärker auf den „Zeppelin“ als auf die sehr „Schwerer als Luft“ oder große Luftschiffhalle an der Nordseite des auch die Zeppelin-Luftschiffe blieben nicht störungsanfälligen Flugapparate nach „Leichter als Luft“? Flugplatzes. Eigentlich sollte der „Parseval“ lange in Johannisthal, nachdem es dort zu dem Prinzip „schwerer als Luft“ setzte. als erstes Luftschiff über Berlin kreuzen. einer folgenschweren Katastrophe gekom- Zeppelin, zu Beginn des 20. Jahrhunderts Da das Luftschiff aber erst im Frühsommer men war. Am 17. Oktober 1913 geriet das In Johannisthal gaben die Luftschiffbau- der wohl berühmteste Deutsche, hatte 1910 fertig wurde, stahl Graf Zeppelin der Marineluftschiff L 2 direkt über Johannis- er jedoch nur ein Intermezzo. Gleichwohl bereits im Juli 1900 das erste wirklich LFG die Schau. Das 70 Meter lange „Parse- thal in Brand und stürzte ab. 28 Menschen Die Parseval-Luftschiffhalle am westlichen Rand des Flugfeldes (die Zigarettenindustrie war schon ließ sich das Publikum von den riesigen brauchbare Starr-Luftschiff in Friedrichs- val“ –Luftschiff wurde überwiegend zu Pas- fanden bei dieser Katastrophe den Tod. damals ein attraktiver Werbekunde). 28 29

Flugzeugbau in Johannisthal und Adlershof

Es waren aber letztlich nicht die klang- die Firmeninhaber waren es gewiss nicht vollen Namen aus dem Luftschiff- und mehr. Mit Haken und Ösen rangelten sie Motorenbau der Anfangsjahre, die ent- um Aufträge und Einfluss und kamen sich scheidend zur Blüte der Standortes Johan- dabei immer wieder in die Quere. nisthal beitrugen, sondern mehrere junge Firmen, wie Albatros und Rumpler, die sich Albatros und „Rumpler-Taube“ voll Wagemut und Einfallsreichtum in der Konstruktion und im Bau von Flugappa- Nachdem bei Albatros zunächst nur Li- raten engagierten. Die Albatros-Flugzeug- zenzbauten französischer Antoinette- werke GmbH wurde im Dezember 1909 Flugzeuge entstanden, wurden ab 1913 von Dr. Walter Huth gegründet. Anfangs leistungsfähige Eigenkonstruktionen ent- ließ Huth ausländische Modelle nachbau- wickelt. Dabei verdiente sich Ernst Hein- en und betrieb außerdem eine Piloten- kel bei den Albatros-Werken seine ersten schule. Beide Firmen konnten sich aber in Sporen als Konstrukteur und trug bis zu dieser Pionierzeit nur mit Mühe halten. seinem Ausscheiden 1915 viel zum Unter- So war 1913 in der Zeitschrift „Der Kritiker“ nehmenserfolg bei. Eine Reihe von Alba- zu lesen: „Der Laie kann nicht recht unter- tros-Flugzeugen konnte eindrucksvolle scheiden zwischen (der Firma) ‚Albatros‘ Wettbewerbsrekorde aufstellen. Die Al- und der (Flugschule) ‚Pilot‘. Erst wenn ein batros-Flugzeugwerke entwickelten sich Gläubiger von einer Gesellschaft etwas zu noch vor 1914 zum größten deutschen fordern hat, lernt er aus unanbringlichen Flugzeugwerk. Pfändungen, dass je nach Bedarf bald die eine, bald die andere Firma nichts besitzt.“ Etwas später als Huth kam der Maschi- nenbauingenieur Edmund Rumpler nach Den Umschwung brachten erst Aufträge Johannisthal. Er hatte 1906 in Berlin ein des Militärs, wodurch dringend benötigtes technisches Büro gegründet, dem er 1908 Kapital und längerfristige Absatzmöglich- eine Abteilung für Flugzeugbau anglieder- keiten die Situation der jungen Unterneh- te. Seine Bemühungen zur Konstruktion men verbesserten. Albatros wurde denn eines eigenen Flugzeugmotors verliefen auch der erste Lieferant von Flugzeugen jedoch nicht sonderlich erfolgreich. Der für das deutsche Heer. Die Albatros-Flug- aus einer begüterten jüdischen Wiener Fa- schule übernahm zudem die Ausbildung milie stammende Rumpler war dennoch von Offizieren zu Piloten. eine Ausnahmeerscheinung unter den Pi- onieren der Luftfahrt, nicht zuletzt weil er Ende 1912 übergab Huth die Leitung der mehr unternehmerischen Sachverstand Fabrik an Otto Wiener und übernahm den besaß als die meisten seiner Konkurrenten. Vorsitz des Aufsichtsrates. Otto Wiener Rumpler ging es nicht allein darum, immer wurde übrigens schon bald zu einem er- neue Flugzeugkonstruktionen zu entwer- bitterten Konkurrenten von Arthur Müller fen und diese dann auf ihre Tauglichkeit zu und wandte sich sogar an den Reichskanz- testen – er besaß keinen Flugschein –, son- ler, um Müller wegen angeblicher finanzi- dern auch vor allem um den wirtschaftli- eller Machenschaften anzugreifen und in chen Erfolg. Daher konzentrierte er sich auf ein schlechtes Licht zu rücken. Die Flug- die Umsetzung bewährter Konstruktions- pioniere mochten eine noch mehr oder und Produktionsprinzipien. In Deutschland, weniger solidarische Gemeinschaft von so schrieb er im Rückblick, „wurde zu viel er- Blick in die Fertigungshalle für die „Tauben“ technischen Enthusiasten gewesen sein, funden, aber zu wenig fabriziert.“ der Rumpler-Werke. 30 31

Rumpler verlegte sich vor allem auf den aus so ziemlich allen großen Flugwettbe- tage erfolgte dann in Johannisthal. Diese Die moderne Wirtschaftswissenschaft lichen Effekte der neuen Branche für die Nachbau und die Weiterentwicklung ei- werben als strahlender Sieger hervor. Er genormte Fertigungsweise senkte die Pro- spricht heute in solchen Fällen von „Clus- Metropole Berlin positiv auswirkten, ging nes vom Wiener Konstrukteur Ingo Etrich avancierte damit zum erfolgreichsten und duktionskosten. Rumpler war von einem terbildung“. Damit bezeichnet werden das Geschehen auf dem Flugplatz an den entwickelten Flugzeugmodells. Die „Etrich- bekanntesten Johannisthaler Motorflieger. euphorischen Fortschrittsglauben beseelt. Netzwerke von Produzenten, Zulieferern, Gemeinden Johannisthal und Adlershof an- Edmund Rumpler Taube“ verfügte über einen 60-PS-Flugmo- Im Frühjahr 1913 wechselte er den Arbeit- Nicht zuletzt war er mit seinem Credo, Forschungseinrichtungen und Dienstleis- fangs nahezu komplett vorbei. Das örtliche * 4. Januar 1872 in Wien tor, den Ferdinand Porsche, damals Direktor geber und wurde technischer Direktor der wonach technologischer Fortschritt nicht tungsunternehmen, die sich in einem be- Gewerbe wurde bei der Auftragsvergabe der +7. September 1940 in Neu Tollow bei der Daimler-Werke in der Wiener Neustadt, Albatros-Werke. allein auf Erfindungen, sondern vor allem stimmten Umkreis befinden und sich über am Flugplatz ansässigen Firmen zumeist Wismar konstruiert hatte. Später nutzte Rumpler auf deren konstruktiver Perfektionierung gemeinsame Austauschbeziehungen ent- übergangen. Nicht nur die Gewerbetreiben- einen Patentstreit, um die „Etrich-Taube“ Industrielle Serienproduktion in und einer Verbilligung der Produktion be- lang einer Wertschöpfungskette bilden. den klagten über diese Vernachlässigung Nach seinem Maschinenbaustudium in Wien und unter der Bezeichnung „Rumpler-Taube“ den Rumpler-Werken ruht, den meisten Flugpionieren voraus. Damit aber eine derartige Ansammlung des unmittelbaren Umfelds, sondern auch Berlin-Charlottenburg von 1890 bis 1895 arbeitete Edmund Rumpler als Konstrukteur in verschiedenen herstellen und vermarkten zu können. Die produktiver Akteure, ein „Cluster“, entsteht, die Gemeindevertreter. Etwas polemisch äu- deutschen Unternehmen der Fahrzeugbranche. 1900 trat „Tauben“ erwarben sich einen legendären Nachdem die Albatros-Werke als erstes deut- Seine Gegner kritisierten allerdings bald muss eine kritische Masse von Firmen exis- ßerten diese, dass ihre Gemeinden von der er als Konstrukteur in die Daimler-Motoren-Gesellschaft Ruf. Es waren die sichersten und besten sches Flugzeugunternehmen Militärliefe- sein aggressives Geschäftsgebaren und tieren. Dies war etwa ab dem Jahr 1912 in sich rasant entwickelnden Flugzeugindust- Berlin ein, wechselte zwei Jahre später zu den Adler- Flugzeuge ihrer Zeit. Kein anderer Flugap- rant geworden waren, hing auch Rumplers die angeblich skrupellose Ausbeutung sei- Johannisthal im Bereich der Flugzeugindus- rie nicht viel mehr als erheblich gewachsene Werken in Frankfurt/Main und gründete 1906 in parat erreichte eine solche Volkstümlich- weiterer Erfolg entscheidend von der Erlan- ner Mitarbeiter. Nach 1933 war Rumpler trie gegeben. Während sich die wirtschaft- Verkehrsprobleme hätten. Berlin sein erstes eigenes Ingenieurbüro. 1908 begann er mit der Konstruktion von Flugapparaten und errichtete in keit wie die „Rumpler-Taube“. Deren Popu- gung von Heeresaufträgen ab. Das Kriegs- aufgrund seiner jüdischen Abstammung Johannisthal eine Flugzeugfabrik. zunehmender Drangsalierung durch das

nationalsozialistische Regime ausgesetzt. 1910 gelang ihm der Durchbruch, für den er auf die Der einst hoch dekorierte Unternehmer erfolgreichen Vorarbeiten seines Landsmannes Ingo verlor sein gesamtes Vermögen und ver- Etrich zurückgriff. Von diesem erwarb Rumpler nach starb am 7. September 1940. langwierigen Verhandlungen die Nachbaurechte für die „Etrich-Taube“, welche unter dem Namen „Rumpler- Taube“ große Berühmtheit erlangen sollte. Es handelte Rumplers Konkurrenten kamen nicht um- sich dabei um einen Eindecker mit einer bis dahin hin, noch vor dem Ersten Weltkrieg seinem unerreichten Flugstabilität, mit dem deutsche Piloten Beispiel zu folgen und ebenfalls zur indus- erfolgreich in Konkurrenz zu den anderen europäischen triellen Flugzeugfertigung überzugehen. Nationen treten konnten. Dabei war es von großem Vorteil, dass sie Im Ersten Weltkrieg entstand in seinen Werken, neben in Johannisthal fast alles vorfanden, was sie Johannisthal auch die Bayerischen-Rumplerwerke dazu brauchten: freie Flächen für den Bau Augsburg, eine ganze Reihe von Flugzeugtypen für das von Werkstätten und Hallen, ein eingespiel- Kaiserliche Heer und die Marine. Nach dem Ersten tes Standortmanagement sowie öffentliche Weltkrieg musste auch Rumpler seine Produktion auf Aufmerksamkeit. Qualifiziertes Personal zivile Erzeugnisse umstellen und wandte sich zeitweise dem Automobilbau zu. So konstruierte und fertigte konnte in Berlin, das über eine angesehene Am Startplatz, links der Uhrenturm, dahinter die Rumpler-Flugzeugwerke um 1912. er eines der ersten Automobile mit stromlinienförmig Hellmut Hirth, Flugpionier und Chefingenieur bei Rumpler, Technischer Direktor bei Albatros, Gründer Technische Hochschule und andere hervor- verkleideter Karosserie, das er 1921 vorstellte. Dieser der „Hirth-Motorenwerke“ (auf dem Foto ist der Vorname falsch geschrieben). ragende Ausbildungsstätten für Techniker technisch sehr innovative „Rumpler-Tropfenwagen“ und Ingenieure verfügte, rekrutiert werden. war aber wirtschaftlich ein Misserfolg. Während der larität kam sogar in Schlagern wie „Flieg ministerium gab bei Rumpler den Bau nationalsozialistischen Herrschaft wurde Rumpler wegen seiner jüdischen Herkunft immer stärker behindert du kleine Rumpler-Taube, flieg in meine seiner berühmten „Taube“ als Aufklärungs- Frühe Zusammenarbeit von Flug- und drangsaliert. Er starb 1940 in Neu -Tollow (heute Wolkenlaube“ und „Ich glaube, ich glau- und Schulungsflugzeug in Auftrag. Die zeugindustrie und Wissenschaft Züsow) bei Wismar. be, da oben fliegt ‘ne Taube“ – beide aus Gewinne aus dem Verkauf von Flugzeugen der Feder Paul Linckes – zum Ausdruck. investierte Rumpler in den Ausbau seiner Im Südwesten von Berlin bildete sich damals Ein Star der Rumpler-Werke wurde bald Werke. Indem Rumpler 1912 den Übergang um das Gelände des Flughafens Johannis- ihr Chefpilot Hellmuth Hirth. Mit ihm an zum Serienbau von Flugzeugen vollzog, be- thal/ Adlershof ein Geflecht von Unterneh- der Spitze entwickelte sich auch Rumplers gründete er faktisch die Flugzeugfertigung men, Konstruktionsbüros, Wissenschaftlern Fliegerschule zu einer der erfolgreichsten in Deutschland im industriellen Maßstab. und anderen, die auf ihrem je eigenen Feld an Lehranstalten. Bleibenden Ruhm erwarb Dazu gehörte beispielsweise das Prinzip, einer gemeinsamen Sache arbeiteten – die sich Hirth im Juni 1911 durch einen Flug von einzelne Arbeitsschritte auszulagern. So Anfänge der deutschen Luftfahrt, speziell der München nach Berlin. Unzählige Glück- wurden die Hauptbauteile der „Rumpler deutschen Luftfahrtindustrie. wunschtelegramme trafen daraufhin in Taube“ in den Lichtenberger Werkstätten Johannisthal ein. Im Jahr 1912 ging Hirth des Unternehmens gefertigt. Die Endmon- Der Komplex der Rumpler-Werke am nördlichen Platzrand, der Kiefernwald erstreckte sich bis zur Eisenbahnlinie Berlin-Cottbus am . 32 33

Die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL)

In einer Holzwerkstatt der DVL (im Ersten Weltkrieg als Prüfanstalt und Werft der Fliegertruppe (P&W) bezeichnet). Max Schüler auf AGO-Doppeldecker mit Boot vor einem „Sturmflug“ zum Militärflugplatz Döberitz.

Unterdessen schritt die Entwicklung des statt. Publikumswirksam rief Prinz Hein- Millionen Goldmark an Spenden für die Produkte handelte. Zwar musste man ein- Wilhelm II. bei den Kaisermanövern 1911 Charlottenburg bei Berlin für die Standort- Flugplatzes und des Industriestandorts Jo- rich von Preußen am Eröffnungstag zu Förderung der Luftfahrt zusammen. Der räumen, dass die von Anthony Fokker kon- mit eigenen Augen von den Vorteilen des wahl ausschlaggebend waren. Als Verein hannisthal und Adlershof zügig voran. einer „Nationalen Flugspende“ auf. Prinz Kaiser stiftete außerdem noch einen Preis struierten und gefertigten Flugzeuge her- Motorflugzeugs überzeugt hatte – nicht organisiert entwickelte sich die DVL zur Heinrich favorisierte seit Langem den Flug- von 50.000 Mark für den besten deut- vorragende Flugeigenschaften besaßen, zuletzt im Vergleich zu den etwas schwer- Zentralstelle für die Klärung wissenschaft- Im März 1911 wurde der „Verein Deutscher zeugbau im Gegensatz zu seinem Bruder schen Flugmotor. die „Freude ist (aber) nur eine halbe, da der fälligen Zeppelinen –, kam es zu einem licher Probleme bei der Entwicklung der Flugzeugindustrieller“ unter maßgeblicher Kaiser Wilhelm II., der Anhänger der Zep- tüchtige Flieger Holländer ist.“ Stimmungsumschwung. Luftfahrttechnik. Sie wurde vom Reichs- Beteiligung der in Johannisthal ansässigen pelintechnik war. Schon im Fall der Flot- Das Militär fördert durch Rüstungs- schatzamt, der Industrie und der Kaiser- Firmen sowie Berliner Industrieller und tenrüstung – unter anderem beim Neubau aufträge die Luftfahrtindustrie Allerdings wurde die Entwicklung der Eine zentrale Institution für die Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Bankiers gegründet. Die Lobbyarbeit des von Großkampfschiffen (Schlachtschiffe, deutschen Luftfahrt durch den damaligen deutsche Luftfahrtforschung Wissenschaften e. V. (KWG) finanziert. Die Vereins sollte sich alsbald auszahlen. All- Schlachtkreuzer), um der traditionellen Während viele Luftfahrtpioniere in Johan- Mangel an entsprechenden Forschungs- Rechtsform eines Vereins wurde gewählt, mählich von den strategischen Möglich- Seemacht Großbritannien Paroli bieten zu nisthal auf eine Förderung ihrer zivilen Un- und Versuchseinrichtungen stark ge- Das Projekt einer „Deutschen Versuchsan- um der DVL größere Freiheiten bei der keiten des Flugzeugs überzeugt und aus können –, und dem Projekt der ersten in ternehmungen hofften, floss der Löwen- hemmt. Um dem abzuhelfen, hatte Graf stalt für Luftfahrt“ (DVL) wurde nunmehr Wahl ihrer Forschungsschwerpunkte und Sorge vor einer militärischen Unterlegen- Europa nur für Autos zugelassenen Straße, anteil des Geldes direkt in die Luftrüstung Zeppelin bereits 1909 die Errichtung einer energisch in Angriff genommen. Am 20. der inneren Verwaltung ihrer Angelegen- heit beschloss das Kriegsministerium am (der 1921 in Betrieb genommenen Automo- und kam nur wenigen, bereits etablierten vom Reich finanzierten Versuchsanstalt in April 1912 erfolgte schließlich deren Grün- heiten zu gewährleisten. Da es sich beim 10. Januar 1912 den weiteren Ausbau der bil-Verkehrs- und Übungs-Straße, Avus in Unternehmen, wie Albatros und Rumpler, Friedrichshafen angeregt. Die Reichsminis- dung im Reichsamt des Innern. Ihr erster Thema Luftfahrt um ein überaus komple- Fliegertruppe. Berlin) hatte der Appell an den Patriotis- zugute. Die Proteste kleinerer Firmen ver- terien bremsten diese Pläne jedoch ange- Direktor wurde Dr. Friedrich Bendemann. xes Forschungsgebiet handelte, forderte es mus Früchte getragen. Zu Wasser, zu Lande hallten wirkungslos. sichts der angespannten Kassenlage des Angesiedelt wurde die DVL in Adlershof, zahlreiches hochqualifiziertes Forschungs- Im April 1912 fand in den Berliner Ausstel- und in der Luft wollte das Kaiserreich an Deutschen Reichs, die nicht zuletzt auf- wobei die unmittelbare Nähe zum Flug- personal und eine umfassende materielle lungshallen am Zoolischen Garten die All- der Spitze des (militärischen) Fortschritts Das Kriegsministerium legte dabei gro- grund der ehrgeizigen Flottenrüstungs- platz Johannisthal, ein Bahnanschluss und Ausstattung. gemeine Luftfahrzeug-Ausstellung (ALA) stehen. Bis Jahresende kamen mehr als 7,5 ßen Wert darauf, dass es sich um deutsche pläne entstanden war. Erst als sich Kaiser die Nähe der Technischen Hochschule in 34 35

Allerdings scheiterte später der Versuch der Eingliederung in die KWG und damit in die akademische Welt.

Die erste große Aufgabe der DVL in ihren neu errichteten Anlagen an der Rudower Chaussee auf der Adlershofer Seite des Flugplatzes bestand in der Prüfung von Flugmotoren, die zum Wettbewerb um den „Kaiserpreis für den besten deutschen Flugmotor“ zugelassen waren.

Flugzeugmotorentests und Festigkeitsprüfungen

Neben der Motorenabteilung gab es eine Flugzeugabteilung, die sich überwiegend mit Festigkeitsuntersuchungen an Flug- zeugbauteilen befasste, und eine phy- sikalische Abteilung, die u.a. den ersten Windkanal in Adlershof konstruierte. Ein technischer Ausschuss legte jeweils den Arbeitsplan fest, der dann aber nur mit Genehmigung des Reichskanzlers in Kraft treten konnte.

Damit markierte das Jahr 1912 einen Wen- depunkt in der Geschichte des Standortes Johannisthal/Adlershof wie der deutschen Luftfahrt überhaupt. Die großen Hersteller gingen zur Serienfertigung über und pro- duzierten von nun an nahezu ausschließ- lich fürs Militär.

In dieser Zeit nahm der Standort einen rasanten Aufschwung. Mitte 1914 beher- bergte der Flugplatz Johannisthal bereits 57 Konstruktionswerkstätten und Flieger- schulen, 15 mittelständische Flugzeugbe- triebe, neun größere Flugzeugfabriken, 40 Schuppen und zwei große Hallen für Luftschiffe, die Zeppelin-Halle und gleich daneben die Parseval-Halle.

Der „Manoli-Turm“ (benannt nach einer Zigaretten- marke), auf der Spitze das elektrische Leuchtfeuer für Nachtlandungen. 36 37

• Richard-Goetze-Flugzeugwerke KG • Siemens Schuckert Werke, Abteilung Flugzeugbau • Mercur Motorenbau GmbH • Benz Motorenbau GmbH

Technische Höchstleistungen

Das deutsche Militär drängte mit Macht auf die Bereitstellung neuartiger und leistungsstarker Flugzeuge, an denen in Johannisthal und Adlershof unter Hoch- druck gearbeitet wurde. Dies hatte zur Folge, dass die technische Entwicklung auf dem Gebiet des deutschen Flugzeugbaus während des Krieges einem Quanten- sprung gleichkam. In allen Sektoren des Flugzeugbaus, von der Konstruktion des Rumpfes und der Tragflächen bis hin zum Motorenbau, wurden mit hohem Einsatz an ingenieurtechnischer Kompetenz und Material enorme Fortschritte erzielt.

Beispielsweise entstand in Johannisthal mit der Albatros D VII das leistungsfähigs- te Militärflugzeug des Ersten Weltkriegs.

Allerdings zwang die zahlenmäßige Über- Die AGO-Flugzeugwerke, rechts der „Manoli-Turm“. legenheit der gegnerischen Streitkräfte die Deutschen vor allem auf die techni- sche Weiterentwicklung der Flugzeuge zu Rüstungsproduktion im Ersten Weltkrieg setzen. Das bedeutete umfangreiche Ent- wicklungs- und Erprobungsarbeiten. Ins- besondere auf den Gebieten der Funk- und Der preußisch-deutsche Generalstabschef reich und Großbritannien einen erheb- reich-Ungarn, auf der anderen die Entente Fototechnik gelang es, einen Vorsprung zu Helmuth von Moltke hatte noch im Jahr lichen Vorsprung gegenüber dem Deut- mit Frankreich, England und Russland erzielen und diesen auch zu halten. 1912 mit Bestimmtheit erklärt: „Wir be- schen Reich. – entwickelten eine verhängnisvolle Dyna- Flugpionier Otto Reichardt in Uniform. sitzen in den neuesten Zeppelinschiffen mik. Seit August 1914 standen die europäi- Im Verlaufe des Krieges expandierte die ein Kriegswerkszeug, das allen ähnlichen Als am 28. Juni 1914 der österreichische schen Großmächte in einem verheerenden Der Flugplatz Johannisthal wurde unter von Kampfflugzeugen weichen. Es blieben Flugzeugproduktion in Johannisthal au- unserer Gegner weit überlegen ist ...“ In Thronfolger Franz Ferdinand und seine Ge- Krieg, der in den folgenden vier Jahren eine militärische Bewachung gestellt. Kleine in Johannisthal elf leistungsstarke Unter- ßerordentlich und es entstanden verschie- der Tat verfügte das deutsche Kaiserreich mahlin in der bosnisch-herzegowinischen bis dahin nicht gesehene Vernichtungskraft Flugschulen und Werkstätten mussten nehmen des Flugzeug- und Motorenbaus dene Zweigniederlassungen in anderen damals über mehr und bessere Luftschiffe Stadt Sarajevo ermordet wurden, war das entfesselte. Mit vollem Recht wird darum schließen. Die Befugnisse der Flugplatzge- bestehen: Städten. Größter Produzent in Johannis- als seine europäischen Nachbarn (und po- der Auslöser für einen militärischen Kon- der Erste Weltkrieg als „Urkatastrophe des sellschaft wurden aufgehoben. thal waren die Albatros-Werke, gefolgt von tenziellen Gegnern einer militärischen Aus- flikt, der sich binnen Kurzem zu einem 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. • Albatros Flugzeugwerke GmbH Rumpler und der LVG. einandersetzung). Doch das Luftkriegsin- Weltkrieg auswachsen sollte. Österreich- An der Nordseite des Flugplatzes fand die • AGO Flugzeugwerke GmbH strument, auf das der Generalstab schwor, Ungarn erklärte mit deutscher Rücken- Das Militär bestimmt die Richtung Ausbildung von Militärfliegern statt. Die • Emil Jeannin Flugzeugbau GmbH (LFG) Die Albatros-Werke erhöhten ihre Beleg- hatte schon vor 1914 an Bedeutung einge- deckung Anfang August 1914 Serbien den zahlreichen Schuppen und die oft ingeni- • Luftfverkehrsgesellschaft (LVG) schaft am Standort von 560 im Jahr 1914 büßt angesichts der rapiden Fortschritte, Krieg. Die in Europa bestehenden feindli- Nach Ausbruch des Krieges erreichte auch ösen, zuweilen auch abenteuerlichen Kon- • Lufttorpedo Gesellschaft (LTG) auf knapp 2.300 Arbeiter sowie 350 An- die das Flugzeug in diesen Jahren machte. chen Bündnissysteme – auf der einen Seite die Militarisierung der „Wiege der deut- struktionen der Tüftler und Bastler muss- • Rumpler Flugzeugwerke GmbH gestellte im Jahr 1918. Außerdem errich- Und in der Flugzeugtechnik hatten Frank- die Mittelmächte Deutschland und Öster- schen Motorluftfahrt“ einen Höhepunkt. ten nun der industriemäßigen Fertigung • Sablatnig Flugzeugbau GmbH tete Albatros Zweigwerke in Friedrichsha- 38 39

gen, Warschau und im westpreußischen duziert (einschließlich der in Zweigwerken nach Adlershof zurückzuholen und ihre Offensive Mitte 1918 musste eine eilig neu Schneidemühl (heute Pila). gefertigten Maschinen). Forschungsarbeit wieder mit vollen Kräf- gebildete deutsche Reichsregierung an- ten aufzunehmen. In den Kriegsjahren ex- gesichts der unvermeidlichen Niederlage Ähnlich rasant verlief während des Krieges Die in Johannisthal beschäftigten Wissen- pandierte die Versuchsanstalt allerdings um einen Waffenstillstand ersuchen. Ab die Entwicklung bei den Rumpler-Werken. schaftler, Techniker und Ingenieure gehör- kräftig. Es wurden mehrere neue Gebäude 11. November 1918 schwiegen die Waffen. Die Zahl die Mitarbeiter wuchs von rund ten zu den bestausgebildeten Vertretern und Versuchsvorrichtungen gebaut. Die militärische Niederlage der deutschen 400 auf über 2.300, wovon mehr als die ihrer Berufe. Die Deutsche Versuchsanstalt Truppen führte mittelbar auch zum Sturz Hälfte in Johannisthal tätig war. Schon bald für Luftfahrt (DVL) wurde vom Ausbruch Militärische Niederlage und der Monarchie. Am 9. November 1918 wur- reichte das Gelände des Flugplatzes für die des Krieges 1914 mitten in der Aufbau- Novemberrevolution 1918 de in Berlin von dem sozialdemokratischen expandierende Rüstungsproduktion nicht phase überrascht. Ihre Forschungs- und Politiker Philipp Scheidemann die Republik mehr aus. Die Rumpler-Werke mussten Versuchsarbeiten kamen sogar vorüberge- Trotz aller Anstrengungen zur Steigerung ausgerufen. In Johannisthal hatten wäh- zusätzliche Produktionsstätten in Parkres- hend zum Erliegen, da wichtige Mitarbei- der Rüstungsproduktion konnten das renddessen die Angehörigen einer Mari- taurants einrichten. Der Materialwert ihrer ter zum Militärdienst eingezogen und Teile Deutsche Reich und seine Verbündeten neeinheit das Gelände unter ihre Kontrolle Produktion stieg von 1,7 Millionen Mark im des Geländes anderweitig genutzt wur- dem überlegenen wirtschaftlichen Po- gebracht. Von hier zogen in den folgenden Jahr 1914 auf rund 14 Millionen Mark im den, etwa zum Bau einer Reparaturwerft tenzial ihrer Kriegsgegner (Entente) auf Tagen revolutionäre Matrosen ins Berli- Jahr 1918. und der Einrichtung von Ersatzteillagern Dauer nicht standhalten. Von entschei- ner Zentrum, um auf Seiten linksradikaler und Abwrackstellen. Erst in der zweiten dender Bedeutung war der Kriegseintritt Gruppen für die Errichtung einer deut- Die LVG beschäftigte 1918 sogar rund 3.600 Jahreshälfte 1915 gelang es der DVL, den der USA aufseiten der Entente im April schen Räterepublik zu kämpfen. Mitarbeiter, erreichte allerdings nicht die größten Teil ihrer Experten von der Front 1917. Nach dem Scheitern einer letzten hohe Produktivität und damit die Stück- zahlen der Rumpler-Werke.

Die Flugtechnische Abteilung der AEG, die Anfang 1918 die Produktionsstätte der AGO Flugzeugwerke in Johannisthal aufgekauft hatte, spezialisierte sich auf die Fertigung von großen Bombenflugzeugen. Weniger bekannt ist, dass Johannisthal auch eine Marine-Fliegerabteilung in der Stärke von ca. 500 Mann als Ausbildungseinheit beherbergte. Aus ihr rekrutierte sich während der Revolution von 1918 Vom Aufklärungs- zum Jagd- und und der Kämpfe 1919 ein Großteil der Volksmarine-Division. Auch der erste Kommandeur der Division, Maat Paul Wieczorek, kam aus Johannisthal. Bombenflugzeug

Während in der ersten Kriegsphase in Jo- hannisthal vor allem Aufklärungs- und Ar- tillerieflugzeuge produziert wurden – meist einmotorige, zweisitzige Doppeldecker ohne Bewaffnung –, änderte sich ab 1915 der Pro- duktionsschwerpunkt. Auf Verlangen des Militärs wurden zunehmend leichtere und auch schwerere Jagdflugzeuge, Erdkampf- Maschinen und mehrmotorige Bomben- flugzeuge gebaut.

Nach 1914 wurde Johannisthal zum wich- tigsten Zentrum der deutschen Luftrüs- tung. Ungefähr jede dritte deutsche Mi- litärmaschine wurde zwischen 1914 und 1918 von den Johannisthaler Firmen und ihren Zweigwerken gefertigt. Insgesamt wurden in Johannisthal während des Ers- Bereits frühzeitig wurde das Flugzeug für amtliche Aufgaben eingesetzt. Hier eine Rumpler C VI (D 54), die einen Luftbildvermessungstrupp an Bord nimmt. ten Weltriegs rund 16.500 Flugzeuge pro- Ein AGO-Doppeldecker mit Boot (verkleideter Führersitz) vor dem Schuppen, auch hier wieder Zigarettenreklame. 40 41

Foto der Montagehalle der Albatros-Werke um 1922/23. Umbauten aus ehemaligen Militärflugzeugen stehen nach Lockerung der Bestimmungen des Versail- Das typische Bild nach Inkrafttreten des Versailler Vertrages – militärische Flugtechnik zerstört in einer Ecke einer Johannisthaler Flugzeughalle. ler Vertrages für eine zivile Verwendung zur Verfügung.

Konsequenz aus der Niederlage 1918: Umstellung auf zivile Produktion

Unmittelbar nach dem Ende des Ersten militärischen unmittelbar zur zivilen Luft- waren die Risiken für den Übergang zur ten gekennzeichneten Transformationspha- dustriewerke“. Mitte der Zwanzigerjahre zeug-Hallen der AEG und von Rumpler Weltkrieges gerieten der Flugplatz und fahrt übergehen und weiterhin Flugzeuge zivilen Luftfahrt groß und ohne staatliche se von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft sollte daraus der größte Stahlblech-Press- übernommen. Schon während des Krieges die Flugzeugindustrie in Johannisthal in herstellen, wenn auch in kleineren Stück- Zuschüsse nicht zu bewältigen. sollte dem Standort schließlich auch sein betrieb in Deutschland mit Sitz in Johan- hatte Müller begonnen, sein Firmengelän- eine Existenzkrise. Seit 1914 waren nahezu zahlen. In diesem Zusammenhang gab es internationales Renommee zugute kom- nisthal hervorgehen, der an fast alle gro- de an das Eisenbahnnetz anzuschließen. die gesamten Kapazitäten der ansässigen auch Planungen, einen regelmäßigen Per- Filmateliers in ehemaligen men. Arthur Müller, der mit seinem Kapital ßen Automobilhersteller lieferte. Als nächster Schritt erfolgte eine Gleisan- Flugzeugfirmen durch die Fertigung von sonen- und Postflugverkehr aufzunehmen. Flugzeughallen schon einmal für das Überleben der Flug- bindung an den Teltowkanal. In späteren Militärflugzeugen gebunden. Nun wurde Das größte Problem für die Umsetzung platzgesellschaft gesorgt hatte, spielte bei Ausbau der Infrastruktur Jahren wurde das Müllersche Terrain nach aus dem Flugplatz ein Flugzeugfriedhof. derartiger Konzepte bestand allerdings in Andere Firmen setzten darauf, einen völlig der Sicherung des Standortes Johannis- Norden und Süden ausgedehnt und mit Wie sollte es weitergehen, wenn das Mili- den noch ungeklärten außenpolitischen neuen Verwendungszweck für ihre Hal- thal/Adlershof erneut eine herausragende Auch US-amerikanische Autoproduzenten, den Gemeinden Johannisthal, Adlershof tär als Aufraggeber ausfiel? Rahmenbedingungen. Solange nicht klar len, Werkstätten und die übrige techni- Rolle. Das Luftfahrtgeschäft gab er aller- an erster Stelle Chrysler, investierten in und verbunden. Im Zuge die- war, welche Beschränkungen die Sieger- sche Infrastruktur zu finden. Vor allem die dings auf. Im Sommer 1919 fasste er seine Johannisthal. Zunächst konzentrierten ses Umbaus und weiterer Investitionen In dieser Situation wurden mehrere Kon- mächte dem deutschen Luftverkehr und Filmindustrie und die Reichsbahn schätzten Gesellschaften zu einem neuen Konzern, sich die Ambi-Werke auf die Reparatur entstand ein neues industrielles Konglo- versionsstrategien erwogen. Einige Johan- der Flugzeugproduktion im Rahmen ei- weitläufige Areale mit geräumigen Hallen den Ambi-Werken, zusammen. Der Name von Eisenbahnwaggons der Reichsbahn. merat der Metallverarbeitung und des Ma- nisthaler Unternehmen wollten von der nes Friedensvertrages auferlegen würden, und Schuppen. In dieser von Unsicherhei- stand für „Arthur Müller Bauten- und In- Zu diesem Zweck wurden die großen Flug- schinenbaus in Johannisthal/Adlershof. 42 43

Ziviler Luftverkehr in Adlershof

In gewisser Weise erwies sich der Erste Das Ministerium verkaufte die Flugzeuge Weltkrieg auch als Katalysator für den zivi- für zivile Zwecke, zumal sich die Verhand- len Luftverkehr, vor allem in technischer, lungen über einen Friedensvertrag noch aber auch in mentaler Hinsicht. Der tech- hinzogen. Kein gegnerischer Soldat stand nische Aspekt bestand vor allem in einer auf deutschem Boden, was der Reichsre- kurzfristigen enormen Leistungssteige- gierung, so hoffte man zumindest, noch rung. Der mentale Aspekt hing mit der Spielräume bot. In der Zeit der völkerrecht- deutschen Niederlage zusammen. Denn lichen Grauzonen bis zum Inkrafttreten nicht zuletzt auf dem Gebiet der nunmehr des Friedensvertrages von Versailles am 10. zivilen Luftfahrt wollte die geschlagene Januar 1920 wurden fast 600 ehemalige Nation ihr lädiertes Selbstbewusstsein Militärmaschinen für den Luftverkehr zu- aufpolieren. Zudem spielten gewisse Krei- gelassen. Allein in Berlin gab es mittlerwei- se in Deutschland von vornherein mit dem le sieben Luftverkehrsgesellschaften. Gedanken, dass von der zivilen Luftfahrt eines Tages wieder Impulse für das Militär Produktion von Zivilflugzeugen für ausgehen könnten. Ein Kalkül, das sich die „Friedenswirtschaft“ knapp zwei Jahrzehnte später als richtig erweisen sollte, mit letztendlich fatalen Auch drei in Johannisthal ansässige Her- Folgen. steller versuchten den Einstieg in den zivi- len Luftverkehr: AEG, Sablatnig und Rump- Unmittelbar nach Inkrafttreten des Waf- ler. Die AEG verfolgte dabei besonders fenstillstands am 11. November 1918 war ambitionierte Pläne. Die Flugtechnische das militärische Flugmaterial an das Abteilung des Elektrokonzerns hatte schon Reichsschatzministerium übergegangen. im Dezember 1917 gemeinsam mit dem

Noch ein Blick auf die Ausrüstung der ersten Passagiere: Hier ist es eine Familie, die 1919 mit dem Rumpler-Luftverkehr im sogenannten Seebäderverkehr fliegt. Sablatnig stellt mit fünf Passagieren in Johannisthal einen Höhenweltrekord auf. 44 45

Zeppelin-Konzern die „Deutsche Luft-Ree- Seine Firma baute in Johannisthal eins der te zunächst auf vielfältigen Wegen, diese Hinzu kamen 1922/23 die katastrophalen Konkurrenz durch den Flughafen derei“ (DLR) gegründet, um sich auf die neben der Junkers F13 ersten Verkehrs- Auflagen zu unterlaufen. Daraufhin schlu- Folgen der Hyperinflation. Bis November „Rückkehr zur Friedenswirtschaft“, so die flugzeuge nach rein verkehrstechnischen gen die Alliierten eine härtere Gangart ein 1923 verfiel die deutsche Währung infolge Maßgabe von Firmenchef Walther Rathe- Grundsätzen. und verboten gänzlich die Herstellung und der Kriegsschulden und Reparationslasten Der Bestand des Flugplatzes Johannisthal nau, und den Einstieg in die zivile Luftfahrt Einfuhr von Flugzeugteilen. in rasanter Geschwindigkeit. Während ein war nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur vorzubereiten. Wie die Sablatnig-Flugzeugbau GmbH kleinerer Bevölkerungsteil vom Währungs- durch die Bestimmungen des Versailler Ver- kam auch Rumpler im zivilen Flugverkehr Im Mai 1922 wurde dieses totale Produkti- verfall profitierte, darunter Immobilienbe- trages, sondern auch durch verkehrspoliti- Beginn des Linienflugverkehrs nicht über die Anfänge hinaus. Immerhin onsverbot zwar wieder aufgehoben, die sitzer und Unternehmer, die ihre Schulden sche Entscheidungen akut bedroht. Im Jahr bleibt es sein Verdienst, im März 1919 den meisten anderen Restriktionen blieben al- loswurden, verlor die Masse der Bevölke- 1920 war Berlin durch Eingemeindungen Am Morgen des 5. Februar 1919 war es Luftverkehr zwischen Preußen und Bayern lerdings bestehen. rung ihre gesamten Ersparnisse. erheblich gewachsen. Auch die Gemeinden dann soweit. Ein Flugzeug vom Typ AEG J II aufgenommen zu haben. der Deutschen Luftreederei hob vom Jo- hannisthaler Boden ab. Sein Ziel: Weimar, Passagiere mit Wagemut und Joseph Sablatnig der Tagungsort der deutschen National- warmer Kleidung versammlung. Die Eröffnung des zivilen * 9. Februar 1886 in Klagenfurt Linienverkehrs zwischen der Reichshaupt- Allerdings erwies es sich als sehr schwie- + 1945 (vermisst) stadt und Weimar hing unmittelbar mit rig, in dieser Anfangszeit eine zivile Flug- Joseph Sablatnig studierte in Graz und Brünn der politischen Lage in Deutschland zu- gesellschaft rentabel zu betreiben, trotz Maschinenbau und Elektrotechnik. 1909 machte er bei der sammen. Angesichts der politischen Unru- erheblicher staatlicher Subventionen und Firma Flugmaschine Wright GmbH in Johannisthal eine hen und Streiks, welche die Eisenbahn hoher Preise für die Flugtickets. Und über Pilotenausbildung. häufig lahmlegten, war das Flugzeug das einen längeren Zeitraum blieb das Fliegen sicherste Verkehrsmittel. für die Reisenden eine abenteuerliche Un- Sablatnig, der auch als erster Nachtflieger der Welt gilt, stellte in Johannisthal im September 1913 mehrere ternehmung. „Die Passagiere waren Hel- Höhenflugrekorde auf. Sodann beteiligte er sich an der In der Folgezeit entwickelte sich zwischen den im Oktavformat. Sie bekamen Sonder- Gründung der „Union-Flugzeugwerke GmbH“ in Teltow Berlin und Weimar ein reger Linienverkehr, bekleidung, sogar einen Sturzhelm (man bei Berlin, wo er als technischer Leiter an der Konstruktion den mehr und mehr auch führende Politi- kann nie wissen!), sie wurden in Leder und neuer Flugzeugtypen mitwirkte. ker aller Parteien nutzten. Zwei Monate Wolle eingewickelt in die Maschine ge-

Im August 1914 meldete sich Sablatnig freiwillig zur später nahm die DLR auch den Post- und wuchtet. Vorher ließen sie sich in bewusst Blick auf die Anlagen der Deutschen Luft-Reederei DLR (der Hangar steht noch heute), davor G- und R-Flugzeuge, die 1919 recht undurchsichtigen Flügen nach Kaiserlichen Marine und kam als Seeflieger an der Personenverkehr auf. Technische Basis und stolzer Haltung vor dem Flugzeug fotogra- Osten dienten. Westfront zum Einsatz. 1915 wurde er von der Front Heimathafen ihrer insgesamt 71 Post- und fieren.“ beurlaubt, um eine Reihe sehr erfolgreicher Schwimmflug- Verkehrsflugzeuge war Johannisthal. zeuge zu konstruieren. 1916 erwarb er Teile der „Richard- Durch den Versailler Vertrag von 1920 wur- Goetze-Flugzeugwerke KG“ in Berlin-, in denen er Die AEG musste ihre Luftfahrtpläne aller- den dem Deutschen Reich äußerst harte in großem Umfang See-, Kampf- und Schulungsflugzeuge produzierte. Nach dem Ersten Weltkrieg verlegte sich dings aus Rentabilitätsgründen rasch wie- Friedensbedingungen auferlegt, was in der Sablatnig rasch auf den Umbau von Militär- in zivile der aufgeben. Die Beteiligung an der AGO gesamten Bevölkerung ungeachtet ihrer Passagierflugzeuge und auf die Neukonstruktion von wurde noch 1919 liquidiert. Die DLR verleg- sonstigen politischen Ausrichtung fast Verkehrsflugzeugen. Wegweisend für den Flugzeugbau te ihren Flugbetrieb im Jahr 1920 von Jo- einheilige Empörung auslöste. Diese rich- wurden Sablatnigs Neukonstruktionen SAB P 1, P 2 und hannisthal nach , was für die Wie- tete sich vor allem gegen den sog. Kriegs- P 3, die zuerst auf der Linie Berlin-Warnemünde und ab 21. April 1919 auf den ersten deutschen Auslands- ge der deutschen Luftfahrt ein herber schuldparagrafen, der Deutschland die Al- verbindungen nach Kopenhagen und Stockholm eingesetzt Verlust war. Wenig später wurde die DLR in leinschuld am Ausbruch des Ersten wurden. Seine Fluglinie „Lloyd Luftverkehr-Sablatnig- die Aero-Union eingebracht, die wiederum Weltkriegs gab, und den damit begründe- Gesellschaft“ mit Sitz in Johannisthal fusionierte 1923 mit der Aero-Lloyd AG fusionierte. Aus die- ten extrem hohen Reparationen von 132 mit der Deutschen Luft-Reederei und der Deruluft zum sem Gemeinschaftsunternehmen ging Milliarden Goldmark. Der Versailler Vertrag Deutschen Aero Lloyd, aus der 1926 im Zusammenschluss 1926 die Deutsche Luft Hansa hervor. zwang Deutschland zudem zu einer strik- mit Junkers die Luft Hansa hervorging. ten Beschränkung der Streitkräfte auf max. In den 30er- und 40er-Jahren war Sablatnig an techni- Noch vor der DLR hatte der seit 1910 in Jo- 100.000 Mann und untersagte den Unter- schen Entwicklungen auf dem Gebiet der Akustik und des hannisthal aktive Konstrukteur und Flug- halt von Luftstreitkräften. Die bestehenden Lautsprecherbaus beteiligt. Nach der deutschen Kapitula- pionier Dr. Joseph Sablatnig den zivilen Einheiten mussten aufgelöst und das Flug- tion im Mai 1945 wurde Sablatnig von den Sowjets in- Johannisthal war im Februar 1919 der Geburtsort des ersten Passagier-Linienverkehrs auf der Strecke Berlin – Weimar (für die Abgeordneten der Nationalver- Flugbetrieb begonnen und Anfang 1919 die material den Siegern übergeben bzw. ver- haftiert. Seine Spur verliert sich in einem sowjetischen Lager. sammlung). Die Deutsche Luft-Reederei DLR startete ihn mit ehemaligen Militärflugzeugen, die Bekleidung der ersten Passagiere entsprach den Fluggeräten Fluglinie Berlin-Warnemünde eröffnet. nichtet werden. Die deutsche Seite versuch- und den Wetterverhältnissen (der Einsteigende ist ein Herr Abgeordneter). Bemerkenswert, dass immer noch das Balkenkreuz am Rumpf gezeigt wird. 46 47

Gerhard Sedlmayr

* 2. Juli 1891 in Straßburg + 31.08.1952 in Goslar

Gerhard Sedlmayr machte seinen Pilotenschein 1912 auf einem Wright-Doppeldecker in Johannisthal. Sein Lehrer war Paul Engelhard, Chefpilot der „Wright Flugmaschine GmbH“. Bereits im März 1911 war Sedlmayr als Volontär in dieses Unternehmen eingetreten.

Im Sommer 1912 ging er als Schul- und Abnahmepilot zu den in Johannisthal ansässigen Albatros-Werken. Außerdem war Sedlmayr u.a. Fluglehrer für Militärpiloten. Die erfolgreiche Teilnahme an Wettbewerben und mehrere Die Firma „Autoflug“ um das jahr 1930. Im Hintegrund die Rudower Chaussee. Flugrekorde verschafften ihm ein stattliches Einkommen.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 meldete sich Sedlmayr zu den Fliegertruppen und wurde Johannisthal und Adlershof gehörten nun- Vom ersten Zentrum der deutschen Luft- als Zivilflieger an die Westfront versetzt. Später tat er als mehr zur Reichshauptstadt, deren Bevölke- fahrt mit innovativen Flugzeugfabriken und Ausbildungspilot Dienst. Noch während des Krieges ging rung sich durch die Erweiterung von 1,9 auf wegweisenden Forschungseinrichtungen Sedlmayr als Abnahmepilot wieder zu Albatros, später zu 3,8 Millionen Einwohner verdoppelt hatte. verblieben ab Mitte der Zwanzigerjahre in den Ago Flugzeugwerken in Johannisthal. Der Verkehrsdezernent von Berlin, Stadt- Johannisthal und Adlershof lediglich die

Mit der Demobilisierung 1918 und der Einstellung baurat Leonard Adler, setzte sich vehement Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt des Flugbetriebes musste sich Sedlmayr – wie auch viele für den Ausbau von Tempelhof als zentralen (DVL) und eine Handvoll kleinerer Konstruk- andere ehemalige Militär- und Zivilpiloten – eine neue Flughafen von Groß-Berlin ein. Sein tions- und Fertigungseinrichtungen für Beschäftigung suchen. Hauptargument war die innerstädtische Leichtflugzeuge und Zubehör. Darunter war Lage von Tempelhof. Johannisthal hingegen auch die 1919 vom Flugpionier Gerhard Im Oktober 1919 gründete er in Johannisthal die Firma „Autoflug – Spezialhaus für das Automobil- lag 12 km vom Stadtzentrum entfernt. Für Sedlmayr gegründete Firma „Autoflug“, die und Luftfahrtwesen, Gerhard Sedlmayr“. In den den Ausbau des Flugplatzes Tempelhof ge- Sicherheitssysteme für die Luftfahrt- und folgenden Jahrzehnten war die Firma erfolgreich in der wann Adler auch die Unterstützung der Autoindustrie entwickelte und produzierte. Entwicklung und Produktion von Bauteilen vor allem beiden seinerzeit wichtigsten Luftfahrtun- für die Automobil- und Luftfahrtindustrie. 1945 wurden ternehmen in Deutschland, Junkers Luft- Das Unternehmen wurde 1955 vom Sohn seine Unternehmensteile, die alle in der sowjetischen verkehrsgesellschaft und Aero Lloyd. Damit des Gründers, Dr. Gerhard Sedlmayr, in Ham- Besatzungszone lagen, enteignet. Luftfahrt und Flugzeugbau waren bis 1955 in Deutschland verboten, waren die Würfel gefallen. Ab 1923 wurde burg wiedergegründet und erwarb sich in- sodass für Sedlmayrs „Autoflug“ kein Betätigungsfeld Tempelhof zum innerstädtischen Flugha- ternationales Ansehen, als es Mitte der mehr bestand. fen ausgebaut. In Johannisthal ging der Sechzigerjahre einen verbesserten Schleu- Flugbetrieb immer weiter zurück, bis er im dersitz für das Kampfflugzeug „Starfighter“ Ab 1955 schafften Sedlmayrs Söhne und Enkel den Jahr 1925 fast vollständig zum Erliegen der Bundesluftwaffe entwickelte, dem zahl- erfolgreichen Wiederaufbau des Unternehmens ihres verstorbenen Vaters bzw. Großvaters. kam. reiche Piloten ihr Leben verdanken. Sieger im Deutschen Rundflug 1925, rechts Ernst Udet mit Carl Hochmuth vor dem siegreichen Udet-Eindecker. 48 49

Anfänge der Filmindustrie in Adlershof

Nach Ende des Ersten Weltkriegs gab es buchautoren begründeten damals den gu- auch Versuche, das Gelände in Johnnisthal ten Ruf der Johannisthaler Ateliers. Johan- anders als für Zwecke der Luftfahrt zu nut- nisthal/Adlershof hatte sich damit auch zen. So hatte Walther Huth die Idee, einige zu einem Medienstandort entwickelt. Werkhallen seiner Albatros-Flugzeugwer- ke in ein Filmatelier umzubauen. Etwas Wandlung des Standortes Johan- großspurig verkündete er, mit den „Johan- nisthal/Adlershof nisthaler Filmanstalten“ (Jofa) das „größte Filmatelier der Welt“ zu besitzen. Tatsäch- Nach dem Ersten Weltkrieg musste der lich verfügte die Jofa über zwei eindrucks- Standort Johannisthal/Adlershof unter volle glasverdachte Ateliers mit rund 2.900 anderem wegen der Rüstungsbeschrän- m2 Nutzfläche. Durch die Ateliers führte kungen aufgrund des Versailler Vertrages sogar ein Normalspurgleis, sodass ein Ei- einen tiefgreifenden Anpassungsprozess senbahnzug bequem in die Halle hinein- durchlaufen. Der Fluglatz Johannisthal, fahren konnte, um etwa sperrige Kulissen der vor 1914 innerhalb von nur fünf Jahren zu transportieren. einen rasanten Aufschwung genommen hatte, war Geschichte. Ein Zentrum des deutschen Films Von der Flugzeugindustrie blieben nur Mindestens ebenso wichtig wie die tech- noch Rudimente übrig. Die wichtigsten in nische Infrastruktur dürfte für den Erfolg Johannisthal ansässigen Flugzeugfirmen der Filmstudios das unternehmerische – Albatros, Rumpler, LVG und die Flugtech- Geschick von Hans Otto gewesen sein, der nische Abteilung der AEG – mussten auf- 1921 die Leitung übernahm. geben bzw. ihr Profil verändern. Hingegen blieb die Deutsche Versuchsanstalt für Bis Anfang der dreißiger Jahre wurden in Jo- Luftfahrt in Adlershof bestehen und zehrte hannisthal fast 400 Filme gedreht, darunter von den in den Kriegsjahren vorgenomme- so erfolgreiche Streifen wie „Danton“ (1921, nen Investitionen. Mit der DVL blieb Johan- Regie: Dimitri Buchowetzki) mit Emil Jan- nisthal/Adlershof auch nach 1920 ein zen- nings in der Titelrolle, „Nosferatu“ (1921/22, traler Standort für die Luftfahrtforschung. Regie: Friedrich Wilhelm Murnau), „Friederi- cus Rex“ (1927) und „Mutter Krausens Fahrt Der Konversion vom Standort der Luftrüs- ins Glück“ (1929, Regie: Phil Jutzi). tung zum Industrie- und Medienstandort war allen Problemen zum Trotz mittelfris- Im Jahr 1929 erfolgte in Johannisthal auch tig Erfolg beschieden. Ausschlaggebend die Umstellung auf Tonfilm. Der Atelier- dafür waren das Vorhandensein eines gro- komplex wurde umgebaut und in drei ßen Potenzials qualifizierter Arbeitskräfte Gruppen mit je einem großen und einem und die gute Infrastruktur. Dieser struktu- kleineren Atelier unterteilt. Miteigentümer relle Wandel manifestierte sich unter an- wurden die Tobis und die Klangfilm GmbH. derem in der Entwicklung der Ambi-Werke Nach der Auflösung der Albatros GmbH und Jofa-Ateliers. übernahm die Tobis die Ateliers komplett.

Der Vampirfilm „Nosferatu. Eine Sinfonie des Grau- Großzügige Hallen, modernste Film- und ens“, ein Meilenstein der Filmgeschichte, wurde 1921/22 u. a. in den Karpaten und in den Studios Tontechnik sowie qualifizierte Mitarbeiter der Johannisthaler Filmanstalt GmbH (Jofa) und kreative Regisseure, Schauspieler, Dreh- gedreht. 50 51

Das erste Modell des BMW „Dixie“ verließ im Jahr 1929 die Werkshalle in Johannisthal. Montage der ersten BMW-Automobile vom Typ 3/15 PS DA 2 Limousine in Johannisthal , 1929.

Luftfahrt und Autobau: Adlershof in den Zwanzigerjahren

Das Verbot deutscher Flugzeugproduktion mehr auf einen Ausbau der Versuchsan- flugsportler machten sich umgehend an Internationale Unternehmen pro- nisthaler Werkshallen vor allem Karosse- land ein, wo bis dahin eine gemischte Bau- und die Verlagerung des Linienflugver- stalt für Luftfahrt DVL. Müllers Siedlungs- die Vorbereitung einer großen Flugschau, duzieren in Adlershof rien und Bauteile für den Automobilbau weise aus Holzrahmen mit Blechbespan- kehrs an andere Standorte, insbesondere pläne wurden verworfen. die im August 1930 in Anlehnung an die fertigten. AMBI-Budd, ein Kooperations- nung vorherrschte. Auch die „Bayerischen nach Tempelhof, machten um 1925 für spektakulären Flugschauen vor dem Ers- Das Bild von Johannisthal bestimmten unternehmen der US-Firma Budd und der Motorenwerke“ (BMW) errichteten in Jo- Johannisthal/Adlershof neue Konzepte Karosseriebau und BMW „Dixie“ ten Weltkrieg stattfinden sollte. Doch zeit- nach dem Auslaufen der Flugzeugproduk- AMBI Artur Müllers, produzierte ab 1926 hannisthal eine Produktionsstätte, wo un- notwendig. So plante beispielsweise die gleich wurde in Tempelhof mit großem tion vor allem Firmen der Automobilbran- in den Hallen der früheren Rumpler-Werke ter anderem das erfolgreiche Modell BMW von Arthur Müller gegründete Terrain-Ge- Mitte 1929 rückte eine Wiederbelebung Werbeaufwand eine Flugschau veranstal- che und des Maschinenbaus. Darunter vorwiegend Karosserien für eine Vielzahl „Dixi“ (BMW 3/15 DA) montiert wurde. Die sellschaft die Umwidmung des Flugfeldes, des Flugfeldes in greifbare Nähe, als die tet, welche die Zuschauermassen anzog. waren so klangvolle Namen von – häufig deutscher und europäischer Automobil- Karosserie stammte praktischerweise aus um dort eine ausgedehnte Wohnsiedlung Berliner Stadtverwaltung das Gelände er- Der Berliner Magistrat untersagte darauf- amerikanischen – Weltfirmen wie „Chrysler hersteller. Die US-Firma war Pionier bei der dem benachbarten AMBI-Budd-Werk. errichten zu lassen. Doch die Politik stellte warb, um es als Reserveflugplatz und für hin für Johannisthal jegliche flugsportli- Company“, „Graham-Paige“, „Willys Over- Herstellung von Ganzstahl-Karosserien sich gegen diese Pläne. Sie drängte viel- den Motorflugsport zu nutzen. Motor- chen Aktivitäten. land“ und „AMBI-Budd“, die in ihren Johan- und führte diese Technik nach Deutsch- 52 53

Neubeginn nach 1933 im Zeichen der Luftrüstung

Nach der Machtübernahme der National- sozialisten im Januar 1933 wurde das Ge- lände des Flugplatzes wieder militärisch gesichert und in den folgenden Jahren zu einem zentralen Ort der deutschen Luft- rüstung ausgebaut. Mehrere deutsche Un- ternehmen eröffneten in Johannisthal/Ad- lershof Produktionsstätten zur Fertigung von Flugzeugen, darunter die „Henschel- Flugzeugwerke AG“ (1934 nach Schönefeld verlagert). Die „Focke-Wulf-Flugzeugbau AG“ hatte sich bereits 1932 in Johannisthal angesiedelt und die ehemaligen Albatros- Werke übernommen.

Kurierflugzeuge und Hubschrauber

Im Oktober 1934 gründete Carl Clemens Bücker in Johannisthal die „Bücker-Flug- 1935 ist der Flugplatz kaum noch wiederzuerkennen – u. a. produzieren hier die Bücker-Werke ihre bekannten Schulflugzeuge (auf dem Bild eine Staffel (drei Ketten) Bü 131 A „Jungmann“ fertig zur zeugbau GmbH“, die sich bald zu einem Auslieferung). der größten Hersteller von Sportflugzeu- gen entwickeln sollte. Auf dem Weltmarkt besonders erfolgreich war Bücker mit sei- nen Flugzeugen Bü 131 „Jungmann“, Bü 133 „Jungmeister“ und Bü 138 „Bestmann“. Die Bücker Maschine Bü 181 wurde von der deutschen Luftwaffe in den Dreißiger – und Vierzigerjahren als Standard-Schul- flugzeug eingesetzt. Zahlreiche Bücker- Maschinen waren als militärische Kurier- flugzeuge im Einsatz. 1935 verlegte Bücker wegen notwendiger Kapazitätserweite- rungen sein Unternehmen nach Rangsdorf südlich von Berlin.

Auch ein damals noch etwas exotisches Unternehmen, der Hubschrauberprodu- zent „Flettner-Flugzeugbau“, siedelte sich in Johannisthal an. Der Konstrukteur Anton Flettner hatte frühzeitig die Vielseitigkeit dieses Fluggerätes erkannt und bahnbre- chende Entwicklungen vorgelegt. Besonders erfolgreich war sein kompakt konstruierter Hubschrauber Fl 282, der bei der Kriegsma- In Johannisthal entstand ab 1941 bei Flettner der erste Serienhubschrauber der Welt, die Fl 282 „Kolibri“. rine bevorzugt als Beobachtungs- und Auf- Insgesamt wurden in Berlin 24 Stück gebaut, die bei der Kriegsmarine in der Ostsee und im Mittelmeer klärungshubschrauber eingesetzt wurde. zum Einsatz kamen. Die Produktionslinie der Bü 131 in Johannisthal, 1935 musste das Unternehmen wegen Platzmangels in Rangsdorf einen neuen Fertigungsstandort aufbauen.

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Ausbau der DVL in den Dreißigerjahren

Dass Johannisthal /Adlershof nach 1933, sche Experimente und Prüfungen bedurfte kanal sowie der schallgedämpfte Moto- massiv gefördert durch das nationalsozi- es aber oft aufwendiger Anlagen, wie zum renprüfstand und der Höhenprüfstand für alistische Regime, wieder zu einem zen- Beispiel Windkanäle, um die es anfangs bei Motoren. Im 1935 in Betrieb genommenen tralen Standort der deutschen Luftfahrt- der DVL nicht allzu gut bestellt war. schallgedämpften Motorenprüfstand mit industrie wurde, hing wesentlich mit den seinen beiden charakteristischen, 15 Meter Aktivitäten und Leistungen der Deutschen 1932 änderte sich diese Situation entschei- hohen Stahlbetontürmen wurden unter Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) zusam- dend, als auf dem Adlershofer Gelände der anderem Flugmotoren mit Luftschrau- men. Diese hatte die schwere Krise nach Kleine Windkanal als erster voll leistungs- ben und das Leistungs- und Betriebsver- dem Waffenstillstand von 1918 auf- fähiger Windkanal errichtet wurde. Im Klei- halten von Triebwerken untersucht. Der grund der Bestimmungen des Versailler nen Windkanal mit einem Düsendurch- 1936 fertiggestellte Trudelwindkanal, die Vertrages (Rüstungsbeschränkung, Verbot messer von 1,2 Metern wurden vor allem seinerzeit weltweit einzige Anlage dieser der deutschen Luftfahrtindustrie) und der Untersuchungen an Einzelkomponenten Art und Größe, diente der Untersuchung Inflation zwar auch schwer getroffen, doch des Flugzeugbaus sowie an Flugzeugmo- gefährlicher Flugzustände, vor allem beim war sie in ihrer Substanz erhalten geblie- dellen vorgenommen. Zudem untersuchte Trudeln. Dieses Phänomen hatte immer ben. man dort auch allgemeine aerodynami- wieder zu gefährlichen Flugsituationen sche Probleme, beispielsweise den Luftwi- und zu zahlreichen Abstürzen geführt. Die Ab 1924 wurde sie kontinuierlich ausge- derstand von Kugeln, und machte Mess- an Modellen vorgenommenen Untersu- baut. So konnte die Zahl der Mitarbeiter reihen zur Druckverteilung an Tragflügeln chungen sollten wesentlich zur Klärung von 23 im Jahr 1923 auf 114 (1925) und 543 oder zur Wechselwirkung von Luftschrau- der aoerodynamischen Vorgänge und zu im Jahr 1928 erhöht werden. In diesen be und Tragflügel im Luftstrom. konstruktiven Verbesserungen beitragen, Jahren gab es auch immer wieder Diskus- um diese gefährlichen Phänome beim Flug sionen über eine mögliche Verlegung der Großer Windkanal, Trudelwindka- zu vermeiden. DVL, z.B. nach Berlin- oder Stuttgart. nal und Motorenprüfstand Man entschied sich schließlich aber doch, Auf dem Südgelände wurde zwischen 1936 Ein Wandbild, welches die DVL im Jahr 1932 zeigt, also den Zustand unmittelbar vor Beginn des erneuten Ausbaus dieser Forschungsstätte. am Standort Adlershof festzuhalten. In 1934 wurde der Große Windkanal in Be- und 1938 nach Plänen der Architekten Her- diesem Zusammenhang wurde auch der trieb genommen, der mit seiner Größe mann Brenner und Werner Deutschmann seit 1929 brachliegende Flugplatz Johan- und seinem Leistungsprofil einer der da- das Hauptgebäude der DVL errichtet (heu- nisthal ab 1931 wieder instandgesetzt und mals modernsten Niedergeschwindigkeits- te WISTA-Gebäude). Dort befanden sich ne- von der DVL für ihre Flugversuche genutzt. windkanäle der Welt war. ben der Direktion und Verwaltung der DVL Zwischen 1929 und 1931 war die DVL fast auch technische Büros und Laboratorien. ausschließlich vom Flughafen Tempelhof Da die Geschwindigkeit besonders von neu aus geflogen. konstruierten Militärmaschinen immer hö- DVL als eines der weltweit führen- her wurde, wuchsen ab Mitte der dreißiger den Luftfahrt-Forschungsinstitute Übrigens war die DVL seinerzeit auch Teil Jahre auch die technischen Anforderun- der Versuche Deutschlands, den Versailler gen an Experimentier- und Prüfanlagen. Seit Mitte der Dreißigerjahre mit moderns- Vertrag durch geheime Aufrüstung – nicht Aus diesem Grund wurde zwischen 1936 ten Versuchsanlagen ausgestattet, gelan- zuletzt in Zusammenarbeit mit der Sow- und 1938 in Adlershof ein eigener Hoch- gen der DVL in Adlershof in den folgenden jetunion – zu unterlaufen. Diese „schwar- geschwindigkeitswindkanal errichtet, der Jahren auf dem Gebiet der Flugzeug- und ze Reichswehr“ wurde 1929 von linksge- Strömungsgeschwindigkeiten bis nahe an Motorenentwicklung einige bahnbrechen- richteten Publizisten, darunter Carl von Os- die Schallgeschwindigkeit (Mach 1) erziel- de Entwicklungen. Adlershof wurde zu sietzky, bekanntgemacht, was zu schweren te. Die Luftführung hatte einen maxima- einer der weltweit führenden Forschungs- innenpolitischen Kontroversen führte. len Durchmesser von rund 7,5 Metern und einrichtungen in der Luftfahrt. Allerdings wies eine besonders glatte Innenoberflä- hatten die Forschungen der DVL nach 1933 Die Luftfahrtforschung basierte von Beginn che auf. Technisch und wissenschaftlich vornehmlich der nationalsozialistischen an sowohl auf theoretischen als auch auf ex- auf dem seinerzeit modernsten Stand Rüstungspolitik zu dienen. perimentellen Untersuchungen. Für techni- waren auch der Adlershofer Trudel-Wind- Wissenschaftler vor dem Rotor des 1934 fertiggestellten „Großen Windkanals“. 56 57

Ein Forschungsschwerpunkt der DVL lag dabei auf der Verringerung des Luftwider- stands von Fluggeräten, einem zentralen Problem der Luftfahrt, von dem insbeson- dere der Treibstoffverbrauch und die er- reichbare Fluggeschwindigkeit abhängen. Der reibungsarmen Oberflächengestal- tung von Rumpf und Tragflächen kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. So wurde 1937 von der DVL eine Oberflä- chenstruktur mit längsgespannten dünnen Drähten entwickelt, mit der turbulente Rei- bungen in Oberflächennähe stark verringert werden konnten. Diese konkrete Konstrukti- on erwies sich zwar als nicht praxistauglich, Direktor Carl Clemens Bücker (links) und der DVL-Testpilot Joachim von Der Luftschrauben-Schleuderprüfstand der DVL. doch war das zugrunde liegende Prinzip Köppen vor dem Prototyp V-1 der Bü 131 „Jungmann“. wegweisend für reibungsarme Oberflä- chenstrukturen für den Flugzeugbau.

Auch auf dem Feld der Motorenkonstruk- tion wurde in Adlershof in den Dreißiger- und Vierzigerjahren erfolgreiche Grundla- genforschung betrieben, nicht zuletzt zum Problem der Kraftstoffeinspritzung. Um möglichst große Leistungssteigerungen bei Einspritzmotoren zu erzielen, war eine Klärung der physikalischen Prozesse von entscheidender Bedeutung. Dazu wurden bei der DVL u.a. optische Messmethoden entwickelt, mittels derer die Struktur und das Verhalten von Kraftstoffstrahlen be- stimmt wurden. Dabei mussten sehr kurze Blick in die Messhalle des Großen Windkanals mit der Austrittsdüse und Luftaufnahme des DVL-Geländes, Mitte der Dreißigerjahre. Belichtungszeiten und hohe Lichtintensitä- der Sechskomponentenwaage im Obergeschoss. ten erzielt werden, was durch die Entladung gekoppelter Kondensatoren über eine Fun- kenkette erreicht wurde.

Verfeinerte Messtechnologie

Pionierarbeit wurde bei der DVL in Adlershof auch auf dem Gebiet der Messtechnik so- wie der Datenerfassung und –auswertung geleistet. So wurde in Adlershof 1936 für die Sechskomponentenwaage des Großen Windkanals ein Verfahren zur elektrischen Messwerte-Erfassung in einer zentralen „Messwarte“ entwickelt. Zeitweise war das wissenschaftliche Berichtswesen für die gesamte deutsche Luftfahrtforschung in Antriebseinheit des „Großen Windkanals“, der Durchmesser beträgt 8,50 Meter. Tandem-Triebwerk eines Dornier-Flugbootes auf dem Motorenprüfstand. Eingang zum Hauptgebäude der DVL, Mitte der Dreißigerjahre (Architekten Adlershof konzentriert. Der Antriebsmotor entwickelte 2.200 Kilowatt Leistung. Hermann Brenner und Werner Deutschmann). 58 59

Im Jahr 1935 fertig: links ein Teil des Großen Windkanals, daneben der Trudel-Windkanal, die Montagehalle für die Windkanalversuche und die Kühltürme für den schallgedämpften Motorenprüfstand (rechts).

Adlershof im Zweiten Weltkrieg Die meisten Mitarbeiter trugen in diesen ßen Institute und Anstalten der Luftfahrt- debahnen, wie damals üblich, unbefestigt Jahren unter ihren Laborkitteln Luftwaf- forschung in Deutschland miteinander waren, rapide verschlechterte. Lediglich ein fenuniformen und es herrschte auf dem vergleicht. Im Kriegsjahr 1942 hatten diese Oktogon mit sogenannten Startnasen und Bis 1943 war Berlin und damit auch Ad- Test- und Erprobungsanlagen der Deut- neuesten Forschungs- und Prüfergebnisse durch die Rudower Chaussee getrennten Forschungseinrichtungen zusammenge- die Aufsetzplatte für Landungen waren as- lershof vom Bombenkrieg noch weitge- schen Versuchsanstalt für Luftfahrt im für den Bau immer leistungsfähigerer Mi- Gelände der Forschungsanstalt ein emsi- nommen rund 7.500 Beschäftigte, wovon phaltiert. Von Anfang an hatte es Probleme hend verschont geblieben. Zwar gab es Dienste der Luftrüstung auf Hochtouren. litärflugzeuge zu nutzen. Im neu errichte- ges Treiben. Auf den Verkehr mussten die allein in der DVL fast 30 Prozent tätig waren. mit dem sandigen Untergrund gegeben. bereits Ende August 1940 die ersten bri- ten Hochgeschwindigkeitswindkanal der Mitarbeiter beim Wechsel vom Süd- zum Rasensoden mussten an zum Teil 30 Kilo- tischen Bombenangriffe auf die Reichs- Zentraler Standort für deutsche DVL, der über ein eigens verlegtes Öldruck- Nordgelände übrigens nicht achten, da sie Wieder massenhaft Starts und meter entfernten Orten abgehoben,nach hauptstadt und es folgten weitere, aber Luftfahrtforschung kabel vom Kraftwerk Klingenberg ange- einen noch vor Kriegsbeginn angelegten Landungen in Johannisthal Johannisthal transportiert und auf dem ihre Wirkungen waren noch verhältnis- trieben wurde, liefen beispielsweise nach Verbindungstunnel unter der Chaussee Flugplatz ausgerollt werden. Zur Unter- mäßig gering. Trotz vieler Fliegeralarme Das Forschungs- und Entwicklungsperso- 1940 bahnbrechende und systematische benutzen konnten. Welche Größe die DVL Auf dem Flugplatz Johannisthal herrsch- haltung und Pflege stand eine ständige herrschten in den ersten Kriegsjahren in nal der großen Flugzeugfirmen wie Jun- Grundlagenuntersuchungen zur Pfeilflü- im Zweiten Weltkrieg erreichte, wird be- te während des Krieges Hochbetrieb, was Arbeitskolonne zur Verfügung, die in der Berlin fast noch „friedensähnliche Verhält- kers, Heinkel, Henschel oder Messerschmitt gelentwicklung für Flugkörper im Schall- sonders deutlich erkennbar, wenn man die wiederum zur Folge hatte, dass sich der Kriegszeit zudem das als künftiges Bauland nisse“. In Adlershof liefen in dieser Zeit die kam in großer Zahl nach Adlershof, um die und Überschallbereich. damaligen Personalstärken der acht gro- Zustand des Platzes, dessen Start- und Lan- vorgesehene Brachland der DVL landwirt- 60 61

re Schätzungen gehen sogar von mehr als ruflichen oder sonstigen Gründen in Berlin Kriegsende im Mai 1945 nur noch rund 60 3.500 Lagern aus. bleiben mussten, aufgefordert wurden, Mitarbeiter in Adlershof. sich in weniger „luftgefährdete Gebiete“ Von Januar 1943 an intensivierten Briten zu begeben. Das waren schwierig zu orga- Weiterarbeit mit „Rumpfbesat- und Amerikaner ihre Luftangriffe auf deut- nisierende Aktionen, da sich in Adlershof zung“ bis zum Kriegsende sche Städte erheblich. Die DVL in Adlershof eine Vielzahl von Instituten befand: Aero- war davon zunächst noch nicht betroffen, dynamik, Arbeitsmaschinen, Bord- und Na- Diese wenigen verbliebenen DVL-Mitar- das änderte sich, als vom 18. November vigationsgeräte, Erd- und Astronavigation, beiter setzten ihre Arbeiten trotz der in- 1943 an die Reichshauptstadt Ziel von 16 Elektrophysik, Flugzeugfestigkeit, Gasdy- folge des Bombenkriegs und der näher Großangriffen wurde. Im Dezember 1943 namik, Luftfahrtmedizin, Luftbildaufnah- rückenden Front immer schwierigeren Ver- und auch bei den weiteren Luftangriffen men, Materialforschung, Materialprüfung, hältnisse bis kurz vor Kriegsende fort. Ein bis Kriegsende wurden die Versuchs- und Motorenbau, Regeltechnik, Thermodyna- Teil der umfangreichen Dokumentationen, Prüfanlagen sowie andere Gebäude der mik und Triebwerksmechanik. Insgesamt Forschungsberichte und Patentschriften DVL in Adlershof immer wieder von Bom- wurden während des Krieges acht Institute wurden in den letzten Tagen und Wochen ben getroffen. Die neu errichteten Ver- vollständig oder zum Teil in kleinere Städte des Krieges in den Wänden der Luftschutz- suchsanlagen mit ihren Stahlbeton- und im Westen Deutschlands bzw. unter die bunker eingemauert bzw. an anderen Or- Stahlkonstruktionen waren aber erstaun- Erde verlagert. Lediglich einige Werkstät- ten versteckt. Weitere Unterlagen wurden lich widerstandsfähig und zeigten meist ten und das Wissenschaftliche Sekretariat eilends in Kisten verpackt, die für eine Ver- nur leichte oder mittlere Schäden, die rela- zogen in Richtung Osten, nach Schwiebus lagerung bereit standen. Zugleich liefen in tiv schnell wieder behoben werden konn- in Schlesien. Die „Herzstücke“ der DVL – die Adlershof aber auch die Testreihen weiter. ten. Dagegen richteten die Spreng- und Institute für Aerodynamik und Triebwerks- Laut Laborbericht arbeitete beispielswei- Brandbomben bei den in Holz- und Leicht- mechanik – verblieben in Adlershof, wobei se der Große Windkanal noch am 20. April bauweise errichteten Gebäuden schwere einige Abteilungen dieser Institute wenige 1945. Anschließend wurden alle Tätigkei- Schäden an. Von den insgesamt 106 Ge- Wochen vor Kriegsende, im Februar und ten eingestellt. Den noch verbliebenen bäuden der DVL in Adlershof waren bei März 1945, in der Luftfahrtforschungsan- Mitarbeitern wurde angeboten, das nahe Kriegsende 31 Bauten durch Bombenab- stalt Völkenrode bei Braunschweig unter- Kriegsende gemeinsam mit ihren Famili- Blick in die große Werfthalle der DVL, in der die JU 52 montiert wird, Ende der 30er-Jahre. würfe vollständig und zehn Gebäude zum gebracht wurden. Mit den Instituten und en in einem der Luftschutzbunker der DVL Teil zerstört worden. Forschungsausrüstungen verließen auch abzuwarten. Im Stadtzentrum von Berlin schaftlich nutzte. So weideten bis in den massive Schutzanlagen. Schwerpunktfir- beiter kam in Adlershof auch bei der Pro- die dort beschäftigten Fachkräfte Berlin. schlugen die ersten Granaten sowjetischer Krieg hinein ständig rund 300 Schafe auf men wie die Mannesmann Stahlblech AG duktion von Raketenteilen, Flugzeugen Bombenschäden und umfangreiche Von den im Jahr 1944 mehr als 2.100 Be- Ferngeschütze ein. dem Flugplatz. In der Nachbarschaft von oder die Schering AG erhielten eigene Bun- und Flugmotoren zum Einsatz, etwa bei Evakuierungen schäftigten der DVL befanden sich bei Windkanälen, Prüfständen und Flugzeug- keranlagen für ihre Belegschaften. Auf dem der „Ambi-Budd-Presswerk GmbH“, am hallen verfügte die DVL in Adlershof über nördlichen und westlichen Teilgelände der Flugplatz Johannisthal, wo in großer Stück- Die hochmodernen, massiven Luftschutz- einen Gutsbetrieb zur Selbstversorgung. Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt zahl verschiedene Formteile für die Flug- anlagen der DVL in Adlershof erwiesen wurde je ein Luftschutzturm errichtet. Die- zeug- und Raketenfertigung hergestellt sich allerdings als vergleichsweise sehr Im Frühjahr 1942 führte die britische Ro- se Türme waren unabhängig von den Ver- wurden. Weitere Zwangsarbeiterlager effizient. Dennoch gab es auch dort Zer- yal Air Force mit Luftangriffen auf Lübeck sorgungsleitungen der Forschungsanstalt gab es in Adlershof unter anderem für die störungen, die unter anderem dazu führ- und Köln den Deutschen drastisch vor Au- und mit allen erforderlichen Einrichtun- Deutsche Reichsbahn, die Unternehmen ten, dass die Prüf- und Testeinrichtungen gen, welche verherenden Auswirkungen gen versehen. Schering, Mannesmann und eine Reihe an- durch Glasbruch und Verschmutzungen der Bombenkrieg haben konnte. In Berlin derer Rüstungsproduktionen. Diese Lager empfindlichen Störungen ausgesetzt wa- wurde schon seit 1940 der Luftschutz mit Einsatz von Zwangsarbeitern und befanden sich am heutigen Büchnerweg, ren. Messreihen mussten zudem infolge allen zur Verfügung stehenden Kräften KZ-Häftlingen in der Dörpfeldstraße (vormals Bismarck- der immer häufigeren Luftangriffe, die ab und Mitteln vorangetrieben. Nach den Pla- straße), in der Oppenstraße (heute Otto- Anfang März 1944 von US-amerikanischen nungen sollte Berlin mit mehr als 2.000 Beim Bau dieser Schutzräume wurden vor Francke-Straße), am Glienicker Weg, in der Bombern immer öfter auch am Tag geflo- bombensicheren Schutzbauten „verbun- allem Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und Köpenicker Straße sowie in der Köllnischen gen wurden, unterbrochen werden, was kert“ werden. Etwa die Hälfte davon wurde Zwangsarbeiter eingesetzt. In der unmit- Heide. Die genaue Zahl der Zwangsarbei- sich mehr und mehr störend auf die Ar- bis 1943 fertig gestellt, darunter drei große telbaren Nachbarschaft zur DVL und zum terlager in Adlershof bzw. in ganz Berlin beit der DVL auszuwirken begann. Deshalb Flaktürme im Stadtzentrum mit jeweils ei- Flugplatz Johannisthal befand sich nicht lässt sich nicht mehr exakt feststellen; mit wurden zahlreiche Institute und Abteilun- ner Aufnahmekapazität von bis zu 30.000 zufällig eines der größten Berliner Zwangs- Sicherheit dürften es in Berlin insgesamt gen der DVL aus Berlin verlagert. Generell Menschen. Auch in Adlershof entstanden arbeiterlager. Eine große Zahl Zwangsar- weit mehr als 1.000 gewesen sein. Ande- galt, dass alle Mitarbeiter, die nicht aus be- Versuchsgebäude auf dem Motorenprüfstandsgelände. 62 63

Kriegsende und sowjetische Besatzung

Der Flugplatz Johannisthal und Teile von Adlershof in einer Luftaufnahme der Alliierten von 1943.

Eine Angehörige der Roten Armee regelt im Sommer 1945 in der Nähe des Reichstags den Verkehr.

In der Nacht zum 23. April 1945 stießen Teltowkanal in Stellung gegangen. Auf daten an der Tür der Bunkeranlage. Diese Vorausabteilungen der 1. Sowjetischen dem Flugplatz Johannisthal wurden inner- erste Begegnung lief ohne große Konflikte Gardepanzerarmee der 1. Belorussischen halb weniger Stunden 3.000 Geschütze ab. Die Insassen wurden lediglich aufge- Front zum Flugplatz Johannisthal vor. und schwere Granatwerfer in Stellung ge- fordert, den Bunker zu räumen. Um mögli- Gegen drei Uhr wurde der Armeestab in bracht, um das Stadtzentrum zu beschie- chen Übergriffen vorzubeugen, bildeten Schöneiche über Funk darüber in Kenntnis ßen. Am Morgen des 24. April begannen die Bunkerinsassen einen geschlossenen gesetzt, dass der Flughafen besetzt sei und Tausende Geschütze und Werfer zu feuern. Zug und verließen die nun von sowjeti- dabei siebzig Flugzeuge zerstört wurden. Der Artillerieschlag dauerte vierzig Minuten. schen Truppen besetzte Forschungsanstalt in Richtung Adlershof. Dort verabschiede- Von deutscher Seite gab es anfangs hef- Eroberung durch sowjetische ten sich die Deutschen voneinander und tigen Widerstand und die sowjetischen Truppenverbände jeder versuchte unversehrt nach Hause zu Vorausabteilungen gerieten am Flugplatz gelangen. Doch schon wenige Tage später zeitweilig in starke Bedrängnis, aber nach- Auf dem Südgelände der DVL hatten sich machten sich sowjetische Spürkomman- rückende Panzerabteilungen zwangen die am Abend des 21. April 1945 die verbliebe- dos auf die Suche und brachten die DVL- Wehrmachtsverbände schließlich zum Rück- nen Mitarbeiter und ihre Familien, insge- Mitarbeiter wieder auf das Adlershofer zug in den Wald der Königsheide. Von Ma- samt etwa 150 Personen, in den Luftschutz- Gelände zurück. rienfelde kommend waren inzwischen turm zurückgezogen. Am Morgen des 24. Die Luftaufnahme von 1945 zeigt deutlich die Kriegszerstörungen auf dem Gelände des Flugplatzes und der angrenzenden Forschungseinrichtungen. die Truppen der 1. Ukrainischen Front am April erschienen die ersten russischen Sol- 64 65

In Moskau gab es im Hinblick auf die DVL in gebracht. Nach eingehender Befragung Messdaten und Patentschriften als Adlershof als „Know-how-Drehscheibe“ 1945-1948 Adlershof schon seit mehr als fünf Jahren wurde er von Berlin aus in das sowjetische sowjetische Kriegsbeute recht konkrete Vorstellungen darüber, was Speziallager Buchenwald bei Weimar über- für die sowjetische Luftfahrtforschung von stellt. Dort liefen die Befragungen weiter, Das Interesse der Sowjets an den For- besonderem Interesse sein könnte. Denn und Bock legte im September 1945 einen schungsergebnissen aus Adlershof war im Oktober 1939, zwei Monate nach Ab- umfassenden Bericht über den Stand der sehr verständlich, hatte die DVL doch im schluss des deutsch-sowjetischen Nichtan- deutschen Luftfahrtforschung vor. Gegen Bereich der Luftfahrt zu den weltweit füh- griffspaktes, hatte sich schon einmal eine Ende des Jahres 1945 wurde Günther Bock renden Forschungseinrichtungen gezählt sowjetische Expertengruppe eingehend nach Moskau verbracht, wo er weitere acht und zahlreiche Entwicklungen durch ihre mit der DVL bekannt machen können. Monate im berüchtigten Lubjanka-Gefäng- bahnbrechenden Untersuchungen vor- nis des sowjetischen Geheimdienstes saß. angetrieben. So wurden von der DVL die Das in Deutschland Gesehene erfuhr bei Im Juli 1946 wurde er aus dem Gefängnis Grundlagen für den Bau von Maschinen sowjetischen Experten und der politischen entlassen und ins ZAGI gebracht, wo er bis mit großer Steig- und Flughöhe geschaffen Führung höchste Wertschätzung. Im De- 1953 als „Einzelforscher“ bzw. „Konsultant“ und so innovative Flugmotorkomponenten zember 1939 erklärten einige Teilnehmer arbeitete. wie Abgasturbolader, Leichtmetallkühler der zurückgekehrten Besuchsdelegation oder ein schiebergesteuerter Flugmotor in einer Ratssitzung des Volkskommissa- Während seiner Zeit dort befasste sich konstruiert. riats der Luftfahrtindustrie über die DVL, Bock mit verschiedenen aerodynamischen Hendionsequat praessecte dunt autet vel eratue dolobore dass dort mit einem erheblichen zeitlichen Themen und beriet das ZAGI bei der Mo- In der DVL waren auch eine einzigarti- Vorlauf und mit den modernsten Anlagen dernisierung der Windkanäle. Günter Bock ge Sammlung geheimer Patentschriften sowohl Grundlagenforschung als auch kehrte im Juni 1954 wieder nach Deutsch- der deutschen Luftfahrtforschung und angewandte Forschung für die Flugzeug- land – in die DDR – zurück. Dort wurde ihm Flugzeugindustrie sowie Tausende von industrie auf höchstem Niveau betrieben die Position des Leiters der Luftfahrtfor- Forschungsdokumentationen vorhanden, wurde. schung der im Entstehen begriffenen DDR- die kurz vor Kriegsende versteckt worden Flugzeugindustrie angeboten. Bock schlug waren. Nach der sowjetischen Übernahme Die Eindrücke wurden mit den Verhält- in diesem Zusammenhang vor, die DVL in fand eine intensive Suche danach statt. Bis Das Ende im April 1945: In Johannisthal stehen nicht mehr fertiggestellte Jagdflugzeuge Messerschmitt Me 109 G auf dem Flugfeld. nissen in den sowjetischen Forschungs- Adlershof wiederzubeleben. Doch sein Vor- Mitte Mai 1945 hatten die sowjetischen anstalten – dem Zentralen Aero- und Hy- schlag stieß auf Ablehnung. Damit war der Experten alle Verstecke entdeckt. Auch Die Deutsche Versuchsanstalt für Luft- vor auf einer speziellen Liste aufgeführten dezu begeistert von den bei der DVL in Ad- drodynamischen Institut (ZAGI) und dem Versuch gescheitert, Adlershof wieder zu die in der DVL erarbeiteten Methoden der fahrt DVL wurde von der sowjetischen Objekte. Entdeckte man interessante For- lershof gefundenen „Schätzen“ sowie von Zentralen Institut für Luftfahrtausrüstung einem Standort der Luftfahrtforschung zu wissenschaftlichen Dokumentation und Siegermacht als ein besonderes wichtiges schungseinrichtungen oder Anlagen, die dem, was aus anderen Teilen Berlins und (ZIAM) – verglichen, wobei es heftige Kritik machen. Auswertung wurden von der Besatzungs- und interessantes Objekt sofort unter Be- noch nicht auf dieser Liste standen, wurden der sowjetischen Besatzungszone später an den sowjetischen Einrichtungen hagelte. macht genutzt. In diesem Zusammenhang wachung gestellt. Bereits am 29. April 1945 neue Gruppen gebildet. Die Aufgabe dieser an Unterlagen, Materialien und Objekten Die SED-Führung verwies in diesem Zu- fungierte die DVL 1945/46 als zentrales so- traf dort eine erste sowjetische Experten- Kommissionen bestand in der Sicherung auf dem Gelände der DVL eintraf. Nach dem Sieg über das nationalsozialis- sammenhang auf sicherheitspolitische wjetisches Luftfahrtdokumentationszen- gruppe ein, die sogleich mit der Inspizierung und Überführung aller neuartigen deut- tische Deutschland hatte die sowjetische Aspekte und den fortgeschrittenen Stand trum. Hier wurde alles Material gesichtet, der Forschungsanstalt begann. Die sieben schen Flugzeuge, Triebwerke, Flugzeugaus- In den folgenden Wochen und Monaten Führung ein großes Interesse, sich den beim Ausbau von neuen Luftfahrtfor- ausgewählt und über den Flugplatz Johan- sowjetischen Fachleute gehörten wieder- rüstungen, Aggregate sowie Materialien, die entwickelte sich die DVL sowohl zur wich- technologischen Vorsprung der deutschen schungsstrukturen der Flugzeugindustrie nisthal nach Moskau geschickt. um zu einer großen Begutachtungskom- zu deren Herstellung notwendig waren. tigsten Befragungsstelle für deutsche Fach- Luftfahrtforschung und -produktion zu- in Dresden und Pirna. Kurze Zeit später mission des Volkskommissariats für Luft- leute als auch zur zentralen sowjetischen nutze zu machen. ging Günther Bock mit seiner Familie in Großes Interesse weckte auf sowjetischer fahrtindustrie, die erst Anfang April 1945 Der Auftrag beinhaltete darüber hinaus, Sammelstelle für die modernen deutschen den Westen. Seite beispielsweise die im Hochgeschwin- in Moskau gebildet worden war und fast alle Laborausrüstungen, Experimentalein- Luftfahrt- und Raketentechnologien. In Ad- Fahndung nach Experten digkeitskanal der DVL gefundene vollstän- 100 besonders ausgewählte Fachleute der richtungen und Forschungsdokumenta- lershof wurden die gefundenen Objekte, Bis Ende Juli 1945 lagen insgesamt 130 For- dige Sammlung an Laborberichten und sowjetischen Flugzeugindustrie und Luft- tionen, also unter anderem Windkanäle, wie Triebwerke, Flugzeuge, Ausrüstungen Die sowjetische Begutachtungsgruppe schungsberichte zur Begutachtung vor. So Testdokumentationen seit 1939. Aufgrund fahrtforschung umfasste. Teststände, Materialsammlungen, Biblio- oder Waffenmuster zum, Teil auch noch schickte darum im Mai 1945 umgehend erhielt die sowjetische Seite grundlegende der Vollständigkeit des Materials konnte theken und wissenschaftliche Archive in einmal erprobt und dann erst zum Ab- mehrere Kommandos los, die nach den Daten über neuartige deutsche Flugzeug- es nach der Übersetzung problemlos und Systematische Erfassung und Aus- die Sowjetunion zu verbringen, wo sie für transport in die Sowjetunion vorbereitet. noch in Berlin verbliebenen Mitarbeitern entwicklungen, Triebwerke und bahnbre- erfolgreich im ZAGI genutzt werden. Die wertung von Forschungsergebnissen die sowjetische Forschung und Entwick- In diesen Wochen und Monaten wurde auf der DVL fahnden sollten. Als einer der ers- chende Forschungsprojekte. Die Berichte Sammlung wurde in Moskau als „außeror- lung insbesondere in der Rüstung nutzbar diese Weise Adlershof zu einer regelrech- ten wurde der wissenschaftliche Leiter der wurden noch vor Ort ausgewertet, im Be- dentlich brauchbar“ und „wertvolles Mate- In Deutschland operierte die Kommission gemacht werden sollten. Die sowjetischen ten „Know-how-Drehscheibe“. Forschungsanstalt, der Aerodynamiker Pro- darfsfall überarbeitet und dann zur weite- rial“ eingestuft. in kleinen Gruppen und evaluierte die zu- Experten waren in der Anfangszeit gera- fessor Günther Bock, zurück nach Adlershof ren Verwertung nach Moskau geschickt. 66 67

Ein weiterer Schwerpunkt war das Stu- zur Demilitarisierung Deutschlands zu DDR-Flugzeugindustrie ließ solche Überle- rin der Sowjetischen Militäradministration dium der Labor- und Testeinrichtungen. umfassender Forschungskontrolle waren gungen aber schnell hinfällig werden, zu- in Deutschland (SMAD), kam der Vorschlag, Im Falle der DVL demontierte die sowje- Gründe genug, das System der SKB und die mal die inzwischen vorhandenen Einrich- den Flughafen Johannisthal für deutsche tische Besatzungsmacht nicht nach dem „Know-how-Drehscheibe“ Adlershof auf- tungen der DDR-Luftfahrtforschung ein Zwecke nutzbar zu machen. Doch ein Flug- üblichen Muster der „Tonnenideologie“, zulösen. In der Nacht zum 22. Oktober 1946 anderes Profil erhalten mussten und man hafen unter deutscher Verwaltung in Ost- sondern ging weit besonnener vor, als es wurden im Rahmen einer groß angelegten darum Überkapazitäten befürchtete. Berlin hätte die Lufthoheit der Besatzungs- im Bereich Reparationen, etwa bei der De- Aktion mit dem Codenamen „Ossawakim“ mächte verletzt, was die drei Westalliierten montage von Industrieanlagen, zumeist in Ost-Berlin und der SBZ etwa 2.400 deut- Sowjetische Luftbasis USA, Großbritannien und Frankreich nie üblich war. So fand vor einer geplanten De- sche Fachleute und ihre Familien innerhalb zugelassen hätten. Der Vorschlag wurde montage gemeinsam mit den deutschen kürzester Zeit zum Packen ihrer Sachen ge- Schon vor der Verbringungsaktion vom Ok- schnell verworfen. Fachleuten eine gründliche Analyse und zwungen und mit Eisenbahnzügen in die tober 1946 hatte der Flugplatz Johannis- Beurteilung statt. Dazu wurde die volle Sowjetunion verbracht. In der Bevölkerung thal für die sowjetische Besatzungsmacht Die vorerst letzten Starts und Landungen Arbeitsfähigkeit aller Windkanäle, Prüf- registrierte man diese Aktion mit erschro- stark an Bedeutung verloren. In den ersten fanden in Johannisthal am 2. Mai 1954 stände und Testeinrichtungen wieder her- ckener Aufmerksamkeit, zumal sich der Monaten nach Kriegsende war der Flugplatz statt. Aus Anlass eines Jugendtreffens auf gestellt. Anschließend fanden ausgiebige Abtransport in aller Öffentlichkeit abspiel- zum einen wichtig für den Technologie- dem Gelände hoben Gerhard Braunstein Probeläufe statt, bei denen zum einen die te. Als beispielsweise die deutschen Fach- transfer, zum anderen diente Johannisthal und Manfred Kandzia auf einem SG-38- Arbeitsweise der Anlage und die Methodik leute aus dem unweit von Adlershof gele- als eine wichtige Basis für die sowjetischen Schulgleiter zu einem Demonstrationsflug der Testläufe ergründet wurden. Zum an- genen Oberspreewerk mit ihren Familien Flugverbindungen von und nach Berlin. ab. Dieser musste jedoch sehr kurz ausfal- deren liefen in den Windkanälen, auf den Hendionsequat praessecte dunt autet vel eratue dolobore dui esenim il iustin ut vel iriustrud do odit zum Bahnhof Köpenick gefahren wurden, len, da der Luftverkehr in Berlin ausschließ- wis alit vel do ex et volorem in hent irit accum Motorenprüfständen und im Trudelkanal bildete die Bevölkerung ein dichtes Spalier Der erste Präsident der DDR, der Vorsit- lich den vier Siegermächten vorbehalten auch neue Messreihen, die sich aus den Be- bis zum Bahnhof. Zwischen 1945 und 1947 zende der Kommunistischen Partei, Wil- war. Über dem Johannisthaler Flugfeld, richten der deutschen Forscher vor Ort, den Der Motorenprüfstand überstand den Krieg ohne größere Schäden. wurden insgesamt rund 3.000 deutsche helm Pieck, soll am 1. Juli 1945 aus Moskau einst die „Wiege der deutschen Motorluft- vorgefundenen Dokumentationen und der Spezialisten zur Arbeit in der Sowjetuni- kommend noch in Johannisthal gelandet fahrt“, zog Stille ein. Entwicklungsarbeit der inzwischen auf räume. Das zweite, auf dem Südgelände onsbüros wurden die modernen deutschen on verpflichtet. Mehr als die Hälfte dieser sein. Die sowjetische Luftwaffe verlagerte dem Gebiet der sowjetischen Besatzungs- gelegene Gebäude hatte neben Labor- und Luftfahrt- und Raketentechnologien re- Fachleute arbeitete in der Flugzeug-, Trieb- jedoch ihren Flugbetrieb mehr und mehr Historische Flugschau 1995 zone gegründeten Sonderkonstruktions- Büroräumen mehrere große Arbeitssäle. konstruiert und an die russischen Bedürf- werks- oder Raketenentwicklung. nach Schönefeld. Der Hintergrund hierfür büros (SKB) ergaben. Erster Nutzer wurde das „Heinrich-Hertz- nisse angepasst. Insgesamt entstanden waren vermutlich die alliierten Festlegun- Doch rund vier Jahrzehnte später gab es Institut für Schwingungsforschung“. in diesem Rahmen neben einer Vielzahl Von 1950 an kehrten die Luftfahrtspezia- gen über die Errichtung von Luftkorridoren noch einmal Starts und Landungen in Jo- „Akademie der Wissenschaften“ Wissenschaftlich-Technischer Büros (WTB) listen und auch fast alle Spezialisten aus Ende November 1945. Im Verlauf der fol- hannisthal. Im September 1995 fand dort zieht nach Adlershof In den folgenden Jahrzehnten entwickelte vier große sowjetische Sonderkonstrukti- dem Bereich der Raketenentwicklung bis genden Monate wurden weitere Bestim- eine von Luftfahrthistorikern zusammen sich die „Akademie der Wissenschaften“ onsbüros. Im Mai 1946 arbeiteten allein in 1954 wieder aus der Sowjetunion zurück. mungen über den alliierten Luftverkehr mit der Entwicklungsgesellschaft für Ad- Die Wiedererrichtung der traditionsreichen mit ihren Standorten in Berlin-Mitte und diesen vier SKB insgesamt mehr als 5.000 Die DDR-Führung bemühte sich, die Mehr- von und nach Berlin erlassen. Am 22. Okto- lershof organisierte Flugwoche statt. Dazu Akademie der Wissenschaften unter dem Adlershof zur führenden Forschungsein- Menschen. Ein halbes Jahr später hatte sich zahl der zurückkehrenden Luftfahrt-, Trieb- ber 1946 kam es schließlich zur Gründung musste das jahrzehntelang ungenutzte Namen „Deutsche Akademie der Wissen- richtung der DDR, deren Institute sich die Zahl auf mehr als 8.000 Beschäftigte werks- und Raketenfachleute in der seit einer alliierten „Luftsicherheitszentrale“, Gelände mit einigem Aufwand wieder schaften zu Berlin“ (ab 1972 „Akademie der um besondere Praxisnähe bemühten. Als erhöht. Für die Raketentechnologie grün- 1954 entstehenden zivilen Flugzeugindus- dem Berlin Air Saftey Center (BASC), mit hergerichtet, u.a. eine 400 Meter lange Wissenschaften der DDR“, AdW) auf Befehl besonders leistungsfähig – auch im in- dete die sowjetische Besatzungsmacht ein trie der DDR unterzubringen. Jedoch wur- Sitz im Alliierten Kontrollratsgebäude in Start- und Landepiste aus Rollrasen ange- der Sowjetischen Militäradministration ternationalen Vergleich – zeigte sich u.a. SKB in Bleicherode bei Nordhausen, in dem den die DDR-Aktivitäten im Bereich ziviler Berlin-Schöneberg. Wahrscheinlich stan- legt und Rollbahnen auf dem hügeligen (SMAD) vom 1. Juli 1946 leitete ein neues das „Zentrum für wissenschaftlichen Ge- im Oktober 1946 rund 7.000 Personen tä- Luftfahrtindustrie 1961 wieder eingestellt. den dem Ausbau des Flugbetriebes in Jo- Boden planiert werden. Den Zuschauern Kapitel in der Wissenschaftsgeschichte rätebau“ mit seinen rund 1.700 Mitarbei- tig waren. Von den insgesamt rund 15.000 hannisthal (west-) alliierte Bedenken hin- wurden während der Flugschau zahlreiche der SBZ/DDR wie auch des Standorts Ad- tern. 1989/90 waren in den in Adlershof Mitarbeitern waren im Durchschnitt 10 Versuchter Neuanfang für die DVL sichtlich der Flugsicherheit und der alliier- historische Flugzeuge präsentiert, die die lershof ein. Denn im April 1949 wurde der angesiedelten Forschungseinrichtungen Prozent sowjetische Ingenieure und Techni- ten Lufthoheitsrechte entgegen. Geschichte des Flugplatzes Johannisthal Akademie das Gelände der früheren DVL in der Akademie insgesamt rund 5.600 Men- ker, die bei ihren deutschen Kollegen „in die Ende der Fünfzigerjahre wurde in der mitgeprägt hatten, darunter die Bleriot XI Adlershof zur Verfügung gestellt. schen beschäftigt. Lehre“ gingen. Deutschen Akademie der Wissenschaften Im Mai 1954 gelangte der Flugplatz Jo- (1909), mehrere Fokker-Flugzeuge aus der der DDR, die wichtige Einrichtungen in hannisthal allerdings noch einmal in die Zeit des Ersten Weltkriegs, die Bücker 133c Die Akademie bezog zunächst zwei ehema- Sowjetische Raketen nach Experten-Verbringung in die UdSSR Adlershof unterhielt, noch einmal über die Diskussion. Die DDR suchte im Zusam- „Jungmeister“ (1934) und auch der origi- lige DVL-Gebäude, die den Bombenkrieg deutschen Plänen Reaktivierung der DVL-Traditionen nachge- menhang mit der Gründung einer eigenen nalgetreue Nachbau eines Doppeldeckers ohne größere Schäden überstanden hat- Doch die große Nähe der DVL und SKB zu dacht. Es sollte in diesem Zusammenhang Fluggesellschaft dringend nach einem der Gebrüder Wright. ten. Das eine befand sich auf dem Nordge- Ab Sommer 1945 entstand parallel zur DVL den alliierten Westmächten, der aufzie- ein Institut für Strömungsforschung in Ad- zentralen Verkehrsflugplatz und setzte da- lände neben dem großen Windkanal und in Adlershof ein ganzes System von SKB hende Kalte Krieg und grundlegende Be- lershof etabliert werden. Die von der SED bei auf Schönefeld. Von der Sowjetischen verfügte über rund 120 Labor- und Büro- (russ. OKB) in der SBZ. In diesen Konstrukti- schlüsse der Alliierten vom Frühjahr 1946 im Frühjahr 1961 verfügte Schließung der Kontrollkommission (SKK), der Nachfolge- 68 69

Das Cassini-Raumschiff schwenkt in einen Orbit um Saturn ein. Blick auf das DLR-Gelände in Berlin Adlershof.

Anknüpfen an die Tradition – das DLR in Adlershof

Ein Rückblick stände und Labore schufen die wissen- Schwingungsforschung in der Deutschen waren die Fernerkundung der Erde und Temperaturmessungen des Atlantiks. Die Forschungseinrichtungen konzentriert, in schaftliche Basis für die Luftfahrt vor den Akademie der Wissenschaften. Im Jahr die Materialforschung unter Weltraumbe- in Adlershof entwickelte Multispektralka- denen rund 5.600 Mitarbeiter tätig waren, Der Technologiestandort Adlershof war ab Toren Berlins. Mit dem Ende des Zweiten 1969 wurde dann das Zentralinstitut für dingungen. Wissenschaftler des Instituts mera MKF-6 – die Endfertigung erfolgte darunter 4.400 hoch qualifizierte Wissen- 1909 fast vier Jahrzehnte lang geprägt von Weltkrieges wurde die Luftfahrtforschung Solar-Terrestrische Physik gegründet, das waren unter anderem an den Starts der im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena – wurde schaftler. Nach Öffnung der Berliner Mauer der Luftfahrt und ihrer Forschung. Aviati- am Standort Adlershof eingestellt. 1981 den Namen “Institut für Kosmosfor- sowjetischen Satelliten „Interkosmos“ 1–4 1976 im sowjetischen Raumschiff „Sojus und der innerdeutschen Grenze am 9 .No- ker wie Hans Grade und Melli Beese, aber schung der Akademie der Wissenschaften und an der Entwicklung von vier Satelliten 22“ eingesetzt und lieferte hochaufgelöste vember 1989 zeichnete sich innerhalb we- auch die Gebrüder Wright gaben sich auf In den 50er-Jahren des vorigen Jahr- der DDR“ erhielt. Das Institut widmete für meteorologische Beobachtungen be- Bilder, die u.a. im Bergbau und in der Land- niger Monate ab, dass es zu einem Beitritt dem Flugfeld Johannisthal die Ehre und hunderts entstanden Einrichtungen für sich der Grundlagen- und der anwen- teiligt. Der wissenschaftliche Gerätebau wirtschaft genutzt wurden. der wieder gegründeten ostdeutschen flogen ihre Eigenentwicklungen. Der Auf- die Hochfrequenzforschung und Ende dungsorientierten Forschung sowie der der DDR steuerte zu diesen Missionen Länder zur Bundesrepublik Deutschland bau umfangreicher Testeinrichtungen, wie der 1960er Jahre hielt die Weltraumfor- Entwicklung technischer Komponenten, leistungsfähige Bord-Apparaturen bei, wie Im Jahr 1989 hatte die Akademie der Wis- kommen würde, der schließlich am 3. Ok- der einmalige und heute noch existierende schung in Adlershof Einzug. Den Anfang zum Beispiel von Sensoren für die Höhen- ein Infrarot-Fourier-Spektrometer (IFS) zur senschaften der DDR in Berlin-Adlershof tober 1990 vollzogen wurde. Die Wieder- Trudelwindkanal, sowie die Motorenprüf- machte das Heinrich-Hertz-Institut für und Planetenforschung. Schwerpunkte Fernerkundung der Erdatmosphäre und zwei Drittel ihrer naturwissenschaftlichen vereinigung Deutschlands brachte für den 70 71

Technologiestandort Adlershof die wohl Planetenerkundung. Das DLR kehrte da- Kölner DLR-Institutes für Strömungsme- schärfste Zäsur seiner Geschichte, denn die mit an einen seiner Ursprungsorte zurück, chanik. Akademie der Wissenschaften passte nicht war doch die Deutsche Versuchsanstalt für in die föderale Wissenschaftslandschaft Luftfahrt (DVL), eine der Vorgängerorga- Adlershof ist heute einer von insgesamt 13 der alten Bundesrepublik. Ab Oktober 1990 nisationen des DLR, 1912 in Adlershof ge- Standorten, an denen das DLR mit seinen wurden sämtliche Forschungseinrichtun- gründet worden. zusammen 28 Forschungsinstituten und gen der Akademie vom Wissenschaftsrat, wissenschaftlich-technischen Einrichtun- dem höchsten deutschen Beratungsor- Nach strukturellen Veränderungen arbei- gen tätig ist. Das DLR ist in Adlershof mit gan auf diesem Feld, einer Begutachtung ten heute am Standort Berlin-Adlershof die rund 350 Mitarbeitern an allen wichtigen unterzogen. Bis Mitte 1991 war ein „erhal- Institute für Planetenforschung und Ver- Missionen im Bereich der Planetenfor- tenswertes Potenzial“ von etwa 1.500 ehe- kehrsforschung sowie die Einrichtung für schung beteiligt: „Cassini-Huygens“ zum maligen Akademie-Beschäftigten ermit- Optische Informationssysteme des Institu- Saturn, Kometenmission „Rosetta“ und telt worden, die in neue Forschungsstruk- tes für Robotik und Mechatronik und eine „Corot“, Suche nach extrasolaren Planeten. turen überführt werden sollten. Abteilung für Gewässerfernerkundung Vor allem die bei der Erkundung von Mars, des Institutes für Methodik der Fernerkun- Merkur, Saturn und anderen Planeten ver- Das Institut für Kosmosforschung hatte dung. Zum Standort gehört ebenfalls die wendeten optischen Instrumente, wie bereits am 20. April 1990 eine Vereinbarung Außenstelle in Berlin-Charlottenburg mit Hochleistungskameras und Spektrome- mit der damaligen Deutschen Forschungs- der Abteilung für Turbulenzforschung des ter, werden in Adlershof entwickelt. Spek- Luftaufnahme des DLR - Berlin-Adlershof. Wassereis und Staub am Nordpol des Mars, anstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) un- perspektivische Farbansicht. terzeichnet, um die wissenschaftlichen takulärstes Produkt ist derzeit die HRSC men entwickelt und fertigt u.a. integrale Arbeiten beider Einrichtungen aufeinan- (High Resolution Stereo Camera), die an Bauteile für Kleinsatelliten mit einem Ge- der abzustimmen. Dies bezog sich seitens Bord der europäischen Raumsonde „Mars wicht bis zu 100 Kilogramm. In der Tradi- des IKF vor allem auf die extraterrestrische Express“ den roten Planeten seit mehr als tion des Luftfahrtstandorts steht auch Physik und die spektrometrische Ferner- fünf Jahren systematisch „scannt“, und die „Gesellschaft für Entwicklung und kundung, aber auch auf die Entwicklung zwar so genau, das heißt dreidimensional, Versuch Adlershof mbH“ (Geva), die sich optoelektronischer Sensorsysteme und die in Farbe und mit einer Auflösung von zehn mit der Prüfung von Bauteilen und gan- Entwicklung sowie die Prüfung von Nutz- Metern, dass der Mars in absehbarer Zeit zen Baugruppen für die Luftfahrt- und die lasten für sowjetische Forschungsraketen. fast genauer topographisch kartiert sein Automobilindustrie befasst. Dabei nutzt Zusätzlich in den Vertrag aufgenommen wird als die Erde. Das Schwestermodell sie u. a. einen 3.000 Quadratmeter großen wurde der Ausbau und Betrieb der Satel- HRSC-AX, als Flugzeugkamera ausgelegt, Flugzeughangar, der früher der Deutschen litenbodenstation in Neustrelitz als nati- liefert ebenso dreidimensionale, auf zehn Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) gehörte. onales Bodensegment. Das wissenschaft- Zentimeter genaue Daten der Erdoberflä- Die Geva prüft Komponenten für Flugzeug- liche und technische Know-how sowie die che, die unter anderem Mobilfunkunter- triebwerke – darunter auch für den Airbus Kompetenz des ehemaligen IKF konnten nehmen zur Optimierung ihrer Funknetze A380 – auf Festigkeit und Zuverlässigkeit. damit erhalten werden und wurden in die nutzen. Auch der Risikoeinschätzung von neuen Strukturen der gesamtdeutschen Traffic Tower – in der ersten virtuellen Verkehrsmanagement-Zentrale Deutschlands im Überschwemmungs- oder Erdrutschge- An der „Wiege der deutschen Motorluft- Forschungslandschaft eingebracht. DLR Berlin-Adlershof. bieten dient die Hochleistungskamera aus fahrt“ gibt es zwar keine Starts und Lan- Adlershof. Aber nicht allein Komponenten, dungen mehr, und es werden auch längst Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner, Im März 1991 wurde in Berlin-Adlershof auf sondern auch einen eigenen Satelliten hat keine Flugzeuge mehr in Adlershof/Johan- Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). dem Akademiegelände mit dem Aufbau das DLR in den Weltraum gebracht, den nisthal gebaut wie in den Pionierjahren. einer „integrierten Landschaft aus Wis- 2001 gestarteten Kleinsatelliten BIRD, der Doch auch 100 Jahre nach den ersten er- senschaft und Wirtschaft“ begonnen. Die mit seiner Infrarotkamera insbesondere folgreichen Flugversuchen ist Adlershof Basis dieses Wissenschafts- und Techno- zum frühzeitigen Aufspüren von Wald- ein international renommierter und aner- senschaftlicher Leistungen ist die logische logieparks waren zwölf außeruniversitäre und Buschbränden dient. kannter Standort für Forschungsinstitute Fortsetzung der Arbeiten und des Erbes der Forschungseinrichtungen, von denen acht und Unternehmen, die auf dem Gebiet der frühen Aviatiker. In diesem Sinne sieht sich aus der ehemaligen Akademie der Wis- Neben dem DLR befassen sich heute auch Raumfahrt und des Flugzeugbaus Spitzen- das DLR als integraler Bestandteil der Tra- senschaften hervorgingen – darunter die andere Unternehmen in Adlershof mit leistungen erbringen. ditionen des Standortes Berlin-Adlershof beiden am 1. Januar 1992 aus dem Institut der Luft- und Raumfahrt. Hierzu zählt u. a. und seiner heutigen Strukturen. für Kosmosforschung hervorgegangenen die Astro- und Feinwerktechnik Adlershof Die heutige Verbindung von Lehre, For- DLR-Institute für Weltraumsensorik und HRSC - High Resolution Stereo Camera. GmbH. Das 1993 gegründete Unterneh- schung und kommerzieller Nutzung wis- Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner 72

Ausgewählte Literatur

Ahlbrecht, Bernd-Rüdiger, Die Geschichte des Flugfeldes Johannisthal, Ms, 2000

Ahlbrecht, Bernd-Rüdiger, Der Einfluss der Gebrüder Wright auf die Entwicklung der deutschen Luftfahrt in den Pionierjahren (Schriftenreihe zur Luftfahrtgeschichte, Heft 7), Berlin 2003

Budraß, Lutz, Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918-1945, Düsseldorf 1998

Graichen, Kurt, Die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) – eine Adlershofer Institution, Ms, 2000

Graichen, Kurt / Heinzerling, Werner / Seifert, Karl-Dieter / Ahlbrecht, Bernd-Rüdiger, Technische Denkmale der Luftfahrtforschung in Berlin-Adlershof (Schriftenreihe zur Luftfahrtgeschichte, Heft 3), 2. überarbeitete Auflage, Berlin 2004

Hinte, Rudi, Adlershof. Vom Colonistendorf Sueszen Grundt zum Zentrum für Wissenschaft, Wirtschaft und Medien, 2 Teile, Berlin 2003

Schmitt, Günter, Als die Oldtimer flogen – Die Geschichte des Flugplatzes Johannisthal, 3. bearb. Auflage, Oberhaching 1995

Spitzer, Barbara, Melli Beese. Bildhauerin, Pilotin – eine ungewöhnliche Frau, Berlin 1992

Tatzkow, Monika / Henicke, Hartmut, Arthur Müller. Leben, Werk, Vermächtnis. Ein jüdisches Familienschicksal, Berlin 2000 Bildnachweise:

Sofern nicht mit Einzelnachweisen versehen, stammen die Abbildungen aus dem Archiv der Gesellschaft zur Bewahrung von Stätten deutscher Luftfahrtgeschichte e. V.– GBSL bzw. aus dem Privatarchiv Ahlbrecht.

Archiv Autoflug Rellingen: 9, 14, 17, 41, 46 Archiv Deutsche Lufthansa AG: 42, 45, 47 Adlershof Projekt GmbH, WISTA-MANAGEMENT GMBH: 2, 57 Bildarchiv Preussischer Kulturbesitz (bpk): 63 BMW Group Archiv: 50, 51 DLR: 55 o., 57, 60, 61; 69, 70, 71 ESA/DLR/FU Berlin (G. Neukum): 71 Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung: 48, 49 Heimatmuseum Treptow-Köpenick: 1, 8, 24, 25, 55, 56 NASA: 68 Privatarchiv König: 52, 53, 56 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: 62 Impressum

Redaktion: Dr. Bernd-Rüdiger Ahlbrecht, Dr. Peter Strunk Gesamtherstellung: art core GmbH Layout: art core GmbH Druck: COMgraph

Berlin, Juni 2009