72 INTERVIEW kicker, 12. Juni 2017 73

Fortsetzung von Seite 71 meister, das hätte natürlich meinem Abschied gab es ein paar unschöne Sie schossen sechs Tore, zogen sich um und fuhren einiges geändert. So war Worte von ihm, aber das ist längst bereinigt. nach Haus? Er war ziemlich unmenschlich. Er ließ uns sogar „Cajkovski sagte: Lasst uns ein bisschen es nur der Vize-Titel, der Warum gingen Sie vom FC weg? Die Tragweite war mir überhaupt nicht so be- mit Spikes trainieren. Das muss man sich mal fintieren, mit Baum. Da rief Overath: Du keinen mehr interessierte. Ich erzähle Ihnen was: Mit Rinus Michels, wusst. Wir spielten ja schon am Freitag wieder vorstellen. Es gab Verletzte, doch das interessier- Und dann kam die WM, es unserem damaligen Trainer Anfang der 80er, im Pokal, deshalb wurde an das Spiel schnell ein te Lorant nicht. Er war ziemlich arrogant, und Depp, was ist das denn für ein Mist.“ herrschte das absolute Cha- verstand ich mich sehr gut. Er war ein guter Haken gemacht. In der Kabine gab es den einen das mochte ich gar nicht. Er konnte mit jungen os. Bei aller Liebe zu Hel- Freund. Er sagte mir, Dieter, du hast so viele Tore oder anderen Spruch, „Müller, du bist unglaub- Spielern nicht so, und da mein Adoptivvater mut Schön: Er war ein toller geschossen. Die Erwartungshaltung kannst du lich“, im Geißbockheim zischte ich dann noch recht vermögend war, sagte er zu Manager Willy Wie war er sonst? Mensch, aber manchmal musste man den Ein- auf Dauer gar nicht mehr erfüllen. Du brauchst das eine oder andere Kölsch, das war’s. Konrad über mich mal: Ach, weißte Willy, hat er Er war ein Original, passte unheimlich gut zur druck bekommen, dass er überfordert war. Wir einen Tapetenwechsel, suche dir eine andere Ihr Abschiedsspiel 1989 hatte das Motto „Mensch Geld von zu Hause, kann er sich nicht quälen. So Kölner Mentalität, trank sehr gerne Kölsch und waren in einer Kaserne untergebracht, es gab ein Herausforderung. bleiben“. hat er die Menschen vorverurteilt. Ich war froh, hatte immer Stress mit den Journalisten. Weis- Telefon für 35 Spieler, und alle Journalisten wa- Und Sie gingen zum VfB Stuttgart. Es kamen viele Spieler, das Stadion in Offenbach dass ich wegging. Aber alles hat einen Sinn im weiler war ein außergewöhnlicher Trainer und ren mit im Trainingslager. Und so kam es auch zu Genau. war voll. Ich spürte an dem Tag, dass ich doch Leben. Wenn ich damals nicht nach Köln gegan- Mensch. Er brachte viele Neuerungen – auf dem Grüppchenbildungen. Unvorstellbar, wenn man Doch da lief es so gar nicht. ein paar Spuren hinterlassen habe und die Men- gen wäre, wer weiß, ob ich dann diese Karriere Platz, aber auch wie er die Spieler einbezog. Er sieht, wie sich die Nationalmannschaft heute auf Trotzdem schoss ich in 30 Spielen 14 Tore. Doch schen mich gernhaben. Es gibt ja viele andere, hingelegt hätte. hat taktisch viel gemacht, war eine Persönlich- die Turniere vorbereitet. die Saison war enttäuschend, dazu kam ich mit die missverstanden werden, für die man keine In Köln kamen Sie zu einem der deutschen Top-Teams keit und hatte eine Vision, wie er spielen lassen Ihre Karriere beim DFB kam nie richtig in Schwung. Trainer Jürgen Sundermann nicht so klar, und Sympathie aufbringt. Gerade zum Ende meiner mit etlichen Stars und trafen dort auch auf einen Trainer wollte. Deshalb hatte er auch große Probleme Das Verhältnis zu Helmut Schön war nicht das in meinem Privatleben stimmte auch nicht Karriere und auch danach spürte ich aber, wie namens Tschik Cajkovski. mit , den er abservierte. Das allerbeste. Ich hatte mich mal öffentlich be- alles. Eines Tages saß dann der Manager von sehr man mich mag. Ich bin ein Menschen- Er war ein guter Mensch. Trainingslehre oder hatte Wolfgang in dieser Art und Weise nicht schwert, dass ich nicht spielte, und das hat er mir Girondins Bordeaux in Stuttgart auf der Tribü- freund, und das merken die Leute. Dann kommt so kannte er aber nicht. Kreis und Spielchen, verdient. nicht mehr so richtig verziehen. Seitdem war ein ne. Wir spielten gegen Bielefeld, und Bordeaux auch immer was zurück. Das ist eine Kunst. Zu das war alles, was wir so machten. Eine Episode Zwischen 1976 und 1978 hatten Sie Ihre beste Zeit, Bruch da. Ich hatte aber auch eine große Kon- wollte eigentlich Ewald Lienen verpflichten. In lieben und geliebt zu werden, das hat nichts mit dazu: Wir waren in London, spielten im Euro- schossen als junger Kerl in zwei Spielzeiten 58 Bun- kurrenz mit und . diesem Spiel machte ich aber pacup. Tschik hatte keinen Trainingsplan, das desligatore, holten zweimal den DFB-Pokal und wurden Die waren schon außergewöhnlich. Bei der WM zwei Tore, und Bordeaux gab es nie. Wir gingen also in den Hyde Park Deutscher Meister. Heute wären Sie 50, 60 Millionen in Argentinien wollte er ja eigentlich mit der war plötzlich heiß auf und haben uns ein wenig zwischen den Bäumen Euro wert. Doppelspitze Fischer/Müller ins Rennen gehen, mich. Ich konnte mir das „Ich erinnere mich, wie Walter Frosch vor bewegt. Dann sagte er: Lasst uns jetzt mal ein Das stimmt. Aber damit habe ich keine Proble- doch dann hat er sich für Fischer entschieden. erst nicht so vorstellen, dem Spiel im Gang stand und eine rauchte. bisschen fintieren, mit Baum. Da rief Overath: me. Es war früher eben eine andere Zeit. Auch Nachfolger war offenbar kein Fan wollte eher nach Itali- Du Depp, was ist das denn für ein Mist? Bereite Erinnern Sie sich noch an das dramatische - von Ihnen. en. Doch dann haben sie Da wusste ich: Hoch verlieren wir nicht.“ dich doch mal richtig vor. Heute ist das unvor- finale 1978, als Köln mit Gladbach punktgleich war und Nein, das war alles ein wenig unglücklich. Aber mich überzeugt, vor allem stellbar. Die Jungs hatten den Trainer im Griff. es für Sie bei St. Pauli um die Tordifferenz ging? so war es nun mal. Mit ein paar Länderspielen als ich hörte, welch großartige Mit Weisweiler änderte sich das. Aber Ihr großes Problem Ich war nicht ganz fit, wurde gespritzt. St. Pauli mehr hätte sich mein Leben auch nicht stark Spieler dort waren: Tigana, Giresse, Lacombe, Geld zu tun. Ich habe mich deshalb auch immer mit ihm war die fehlende Wertschätzung. war schon abgestiegen, und ich erinnere mich, verändert. Ich ärgere mich nur, dass wir 1976 Tresor. Ich entschied mich, einen Neuanfang zu wieder neu für Kickers Offenbach engagiert, als Das war überhaupt das große Problem in Köln. wie ein Spieler damals, ich glau- starten. Es war eine tolle Erfahrung. Ich bin dort Spieler oder dann auch als Präsident. Ich konnte Wenn man sieht, was ich für Tore gemacht habe, be, er hieß Walter Frosch, richtig aufgeblüht. nur schwer Nein sagen. das ist ja Wahnsinn. Um die 400 Tore in allen vor dem Spiel im Gang Wegen der zwei Meisterschaften? Im Jahr 1992 gab es die Episode bei Dynamo Dresden, Spielen. Weisweiler war trotzdem nie zufrieden. stand und eine rauchte. Da „Helmut Schön war ein toller Mensch, Nein, vor allem wegen der Art zu leben. Der dort waren Sie ein halbes Jahr lang Manager in der Das hatte zwar den Vorteil, dass er mich immer wusste ich: Hoch verlieren aber manchmal musste man den Eindruck Genuss beim Essen, das herzliche Miteinan- Bundesliga. antrieb, aber als Mensch ging es mir nicht gut. werden wir heute nicht. der, das Wetter und die Landschaft. Einfach ein Eine Firma, die sich in Dresden engagierte, ver- Ich musste immer sehr viel nach hinten arbeiten, Wir siegten mit 5:0, und es bekommen, dass er überfordert war.“ Traum. Man lebte dort intensiver. Ich bin heute mittelte damals den Job. Es gab drei Kandidaten, er schimpfte deshalb immer mit mir. reichte, obwohl Gladbach noch oft da, unternehme Weinreisen und kenne Karlheinz Förster, Hansi Müller und mich. Dy- 12:0 gegen Dortmund gewann. dort immer noch viele Menschen. Mit Bernard namo entschied sich für mich, doch es passte Müllers Titel, Tore und Rekorde Diese Mannschaft von 1978, das war die beste nicht Europameister wurden und die WM in Lacombe (zuletzt Berater des Präsidiums von nicht. Es ging drunter und drüber wegen diverser Mannschaft, die der FC je hatte: Cullmann, Zim- Argentinien so katastrophal organisiert war. Olympique Lyon, Anm. der Red.) telefoniere ich Skandale. Ich sagte, was ich dachte, aber das Double schaffte Dieter Müller (*1.4.1954 in Offen- mermann, Flohe oder Neumann. Und mit Schu- Sie waren mehrmals nah dran, einen Europacuptitel zu noch regelmäßig. Ich hatte dort überragende passte nicht so ganz. Über eines bin ich heute 1bach). Se2ine Titel: Deutscher Meister 1978, DFB- macher stand der beste Keeper der Welt im Tor. holen. Es hat nie geklappt. Jahre. Der Trainer hieß Aimé Jacquet, mit ihm dennoch froh: Ich lernte ken- Pokalsieger 1977, 1978, Französischer Meister 1984, Wie ist es möglich, dass einer der besten Stürmer Zweimal stand ich im Halbfinale des Landes- kam ich gut aus. nen, der damals dort Trainer war, und bis heute 1985, Torschützenkönig der EM 1976 (4 Tore) sowie der damaligen Jahre in der Nationalelf parallel kaum meistercups. Gegen Nottingham hatten wir 1979 Die Trainerfigur war für Sie extrem wichtig. verbindet uns eine enge Freundschaft. der Bundesliga 1977 (34 Tore) und 1978 (24 Tore). gebraucht wurde, obwohl Sie zum Einstand 1976 nach viel Pech mit dem FC. Nachdem das Hinspiel Ja, immer. Ich brauchte den Zuspruch. Aber Wieso wurden Sie eigentlich nie Trainer? einer Einwechslung drei Tore erzielten – und das in auswärts mit 3:3 endete, dachte jeder, das war’s. sind wir mal ehrlich: Wer braucht den nicht? Ich hatte nicht die Besessenheit dafür. Ich hatte Turniere stehen in seiner Vita: Die WM 1978 einem EM-Halbfinale! Aber die Engländer waren zäh, dann musste ich Alle tun immer so hart und eisern, innerlich zwar den A-Schein, aber nach meiner ersten Sta- 2(4 Spiele, 2 Tore) und die EM 1976 (2/4) Ja, wenn Uli (Hoeneß, Anm. der Red.) den Elfer im Rückspiel verletzt raus. Wir verloren 0:1. Das geht es vielen Menschen jedoch ganz anders. tion in der Oberliga merkte ich, dass das nichts Tore für den 1. FC Köln im Spiel gegen Werder reinhaut, dann sind wir, dann bin ich Europa- andere Mal war mit Bordeaux gegen Juventus Nur sagen dürfen sie das nicht. Für mich war es für mich ist. Du musst als Trainer auch verrückt 6Bremen (7:2) am 17.8.1977 bedeuten bis heute Turin. Wir verloren in Italien 0:3, gewannen das immer sehr wichtig, dass man im Verein zu 100 sein – und das war ich nicht. Bundesligarekord mit den meisten Toren in einer Partie. Rückspiel 2:0, ich schoss ein Tor, und dennoch Prozent hinter mir steht. Dafür entwickelten Sie in den 90ern eine Leidenschaft, Vereine hatte er: SG Götzenhain (1964–69), K. Of- waren wir raus. Lassen Sie uns über diese eine Begegnung reden, die mit Kindern zu arbeiten. 7fenbach (1969–73, 1986–91), 1. FC Köln (1973– Zum Abschied sagten Sie 1981, das Klima in Köln sei Sie bis heute zu einer historischen Person macht. Sechs Ja, ich habe irgendwann gemerkt, dass Kinder 81), VfB Stuttgart (1981/82), Gir. Bordeaux (1982– „verpestet“. Tore in einem Bundesligaspiel gegen Bremen im August mich mögen, egal, wo ich hinkomme. Also habe 85), GC Zürich (1985), 1. FC Saarbrücken (1985/86) Ich war nicht so zufrieden, und manchmal sagt 1977, das ist unerreicht. ich mir überlegt, in diese Richtung was zu ma- Länderspiele, neun Tore – bei seinem Debüt im man Sachen, die nicht so bedacht sind. Da bin ich schon stolz drauf. Es gab bislang so chen, und gründete sehr früh eine Fußballschu- 12EM-Halbfinale am 17.6.1976 gegen Jugoslawi- Fehlte der Teamgeist in Köln? viele Spiele in der Bundesliga, aber nur einem ist le. Kindern etwas beizubringen, das ist nach wie en traf er dreimal. Dieses Kunststück schafften außer Es gab schon einen ziemlichen Konkurrenz- dieses Kunststück gelungen. vor meine Berufung. Das hat mir auch geholfen, ihm nur Otto Dumke, Josef Pöttinger, Fritz Walter, Heinz kampf, aber als wir Meister wurden, war der Wie war das damals? den Tod meines Sohns besser zu verarbeiten. Ich Strehl und Serge Gnabry. Teamgeist da. Danach ging er ein wenig verloren. Das war wie im Rausch. Ich erinnere mich gut an liebe Kinder und mache das mittlerweile schon Europapokaltore gelangen Müller in 39 Spielen Wie war das Verhältnis zu ? meinen Gegenspieler, den Höttges. Der hatte an über 20 Jahre. 31für den 1. FC Köln, damit ist er der Rekordtor- Ich habe ihn nach der üblen Geschichte bei der diesem Tag bunte Schuhe an, für mich war es ein Sind Sie glücklich mit der Karriere? schütze des FC im Europapokal. WM 1982 mit Patrick Battiston, meinem späteren Genuss, gegen ihn sechsmal zu treffen. Es gibt Ich bin zufrieden mit meinem Leben, und das Tore für seine Klubs und den DFB in 663 Mitspieler aus Bordeaux, zusammengebracht. jedoch leider nur Fotos von dem Spiel, keine will etwas heißen. Ob ich Sieger des Landes- 400 Spielen, das Gros entfällt auf diese Wett- Ich meine, Toni war schon immer so, wie er war. Filmaufnahmen. meistercups geworden wäre oder nicht, ist nicht bewerbe: Bundesliga (177/303), DFB-Pokal (48/44), Er hat manchmal nicht so nachgedacht, was er Ein Drama. so wichtig. Viel schöner ist, dass ich mich als 1. Liga Frankreich (43/92) und Europapokal (38/52). Hut ab: Im Kölner Dress gewann Dieter Müller sagte oder machte. Ich hatte mit ihm ständig Es war ein Spiel unter der Woche, da schien es Mensch immer weiterentwickelt habe.

1977 und 1978 die kicker-Torjägerkanone. meine Probleme. Ich lief ihm nicht genug. Bei (3) kicker imago/Werek, Fotos: Harder (6), nicht nötig, dass die Sender vor Ort waren. INTERVIEW: MOUNIR ZITOUNI