Jahrgang 32 Heft 1/2 2006 meteorologische fortbildung

Atmosphäre und Gebirge – Anregung von ausgeprägten Empfindlichkeiten Meteorologische Fortbildung 32. Jahrgang, Heft 1/2, 2006

Thema des Heftes: Herausgeber Atmosphäre und Gebirge – Deutscher Wetterdienst Anregung von ausgeprägten Empfindlichkeiten Hauptschriftleiter Dr. H. D. Behr (Hamburg) Fachliche Redaktion: Hans Volkert, Oberpfaffenhofen Fachliche Durchsicht: Joseph Egger, München Redaktionsausschuss Dipl.-Met. W. Kusch (Offenbach a. M.) Kapitel Seite Prof. Dr. G. Adrian (Offenbach a. M.) Zu diesem Heft 1-2 Prof. Dr. B. Brümmer (Hamburg) (a) Hauptsächlich Beobachtungen (hin zu kleineren Skalen) Prof. Dr. J. Egger (München) R. STEINACKER Prof. Dr. F. Fiedler (Karlsruhe) 1 Alpiner Föhn – eine neue Strophe zu einem alten Lied 3-10 Prof. Dr. G. Groß (Hannover) G. J. MAYR,A. GOHM Dr. J. Neisser (Lindenberg) 2 Schnelle Strömungen durch Gebirgseinschnitte 11-17 Prof. Dr. C.-D. Schönwiese (Frankfurt a.M.) Prof. Dr. P. Speth (Köln) A. DÖRNBRACK, R. HEISE, J. P. KUETTNER Prof. Dr. G. Tetzlaff (Leipzig) 3 Wellen und Rotoren 18-24 (b)Wirkung von Gebirgsketten (hin zu größeren Skalen) Zum Titelbild: C. KOTTMEIER, F. FIEDLER 4 Vertikaler Austausch über Mittelgebirgen 25-33 Wolken modifiziert durch Alpenüber- P.WINKLER, M. LUGAUER, O. REITEBUCH strömung 5 Alpines Pumpen 34-42 Oben: Blick aus dem Flugzeug: Cirrus- J. EGGER schicht über Altocumulus lenticularis 6 Thermische Zirkulation von Hochplateaus: und stratiformer Bewölkung unterhalb Messung und Modellierung 43-47 der Kammhöhe. J. EGGER, K.-P. HOINKA Foto: Samantha Smith, UK Met.Office, 7 Austausch von atmosphärischem Drehimpuls © British Crown Copyright 2002 an Gebirgen 48-53 (c) Experimente im atmosphärischen Labor Unten: Die gleiche Situation als Quer- H. VOLKERT schnitt: Rückstreukoeffizient von La- 8 Fortschritt durch Feldkampagnen – serlicht (farbig) und durch Gebirgswel- von ALPEX über PYREX zu MAP 54-60 len modifizierte Flughöhen dreier Flug- (d)Von der Dynamik zu physikalischen Prozessen – zeuge (schwarze Linien). wo der Regen fällt Aus: Smith et al., C. FREI, J. SCHMIDLI J. Atmos. Sci. 59, 2073-2092 9 Das Niederschlagsklima der Alpen: © American Meteorological Society 2002 Wo sich Extreme nahekommen 61-67 (e) Gebirge in Vorhersagemodellen Ausführlichere Erläuterung auf Seite 2 D. MAJEWSKI, B. RITTER unten 10 Gebirgseinflüsse in operationellen numerischen Wettervorhersagemodellen 68-74 promet erscheint im Selbstverlag des Blick nach draußen Deutschen Wetterdienstes – Kaiserlei- MeteoSchweiz 75-78 straße 29/35, 63067 Offenbach am Main. Institute stellen sich vor Bezugspreis pro Jahrgang (4 Hefte) im Die Forschungseinheit Maritime Meteorologie des Abonnement 22,50 €, Einzelheft 6,50 €, IFM-GEOMAR an der Universität Kiel 79-82 Doppelheft 13,– €, Dreifachheft 19,50 € L. BRIESE zuzüglich MwSt. und Versandkosten. EUMETSAT: Erdbeobachtungen für Wetter, Klima Für den Inhalt der Arbeiten sind die und Umweltschutz 83-86 Autoren verantwortlich. Alle Rechte bleiben vorbehalten. J. RAPP Auslösung von Starkschneefällen in Frankfurt/Main Technische Herausgabe: als mögliche Folge des Stadteffektes 87-90 Elke Roßkamp A. HENSE, H. BAUER Deutscher Wetterdienst, Hamburg Zur Entwicklung und zum Stand der gestuften Druck: Studiengänge Bachelor und Master 91-94 Weppert Print & Media GmbH Buchbesprechungen 94-95 97424 Schweinfurt Silbersteinstraße 7 Nachruf auf Friedrich Wippermann 96 ISSN 0340-4552 Anschriften der Autoren dieses Heftes 97 promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 1-2 (März 2006) 1 © Deutscher Wetterdienst 2006

Thema des Heftes: Atmosphäre und Gebirge – Anregung von ausgeprägten Empfindlichkeiten

Zu diesem Heft

„Our atmosphere is exceedingly sensitive to vertical motion“ Ronald B. Smith, 1979

Schon Felix Exner (1925) weist zu Beginn seines Lehrbuchs „Dynamische Meteorologie“ darauf hin, dass die Erde in guter Näherung eine Kugel von 6370 km Radius ist, wohingegen neun Zehntel der Atmosphärenmasse in einer Kugel- schale von nur 20 km Dicke darum herum enthalten sind. Daher „überzieht die Atmosphäre den Erdball wie eine ganz dünne Hülle, eine Vorstellung, die der naiven Anschauung zuwiderläuft.“ An ihr sei besonders festzuhalten, wenn man Luftströmungen über großen Gebirgen der Erde untersucht.

Gut fünfzig Jahre später nimmt Ronald Smith (1979) dieses Thema in der Einführung seiner Monographie „The in- fluence of on the atmosphere“ wieder auf. Zuerst weist er darauf hin, dass der Globus trotz ausgeprägter Hochgebirge in Relation zu einer Billardkugel deutlich glatter ist. Auch wenn die großen Gebirge von unten weit in den wetterwirksamen Teil des ,Luftmeers’ hineinragen, wird durch derlei rein geometrische Betrachtung der Gebirgs- einfluss auf die Atmosphäre unterschätzt. Die wesentliche physikalische Begründung für eine realistische Einschät- zung liegt in der Erkenntnis, dass die Atmosphäre auf von Gebirgen erzwungene Vertikalbewegungen äußerst emp- findlich reagiert – und dies aus zwei Gründen. Einmal widersetzt sich eine meist stabil geschichtete Atmosphäre ge- ringeren erzwungenen Vertikalbewegungen durch weit ausgreifende horizontale Umströmungen, wohingegen stärke- re Auslenkungen zur Überströmung und starken Fallwinden im Lee führen können. Zum anderen sorgt der oft hohe Feuchtigkeitsgehalt in bodennahen Schichten selbst bei geringer Anhebung zu Wolkenbildung oder gar orographi- schem Niederschlag.

Seit Mitte der 1990er Jahre stand die systematische Untersuchung der orographisch verursachten oder deutlich modifi- zierten Strömungsformen und Wetterereignisse im Zentrum der Forschungsarbeiten zahlreicher Arbeitsgruppen im deutschen Sprachraum. Dieses Heft hat zum Ziel, die Bandbreite über verschiedene Skalenbereiche, die wachsende Ver- bindung zwischen Messung und Simulation sowie die zunehmende Anwendungsorientierung dieser Arbeiten exem- plarisch darzustellen. Das wichtigste Untersuchungsgebiet sind die Alpen; dazu kommen auch Mittelgebirge wie der Schwarzwald oder außereuropäische Hochgebirge wie die Anden. Die Beiträge gruppieren sich zwanglos in die Ab- folge: a) Beobachtungen von atmosphärischen Phänomen an Gebirgen (hin zu kleineren Skalen)

Reinhold Steinacker ergänzt traditionelle Befunde zum alpinen Föhn mit Forschungsergebnissen aus dem letzten Jahrzehnt; Georg Mayr und Alexander Gohm konzentrieren sich auf den Spezialfall, wenn eine Föhnströmung ei- nen Einschnitt passiert, wie etwa am Brennerpass; Andreas Dörnbrack, René Heise und Joachim Kuettner beleuch- ten die gerade für die Fliegerei wichtigen Gebirgseffekte von Gebirgswellen und Rotoren, indem sie Beobachtungen aus 70 Jahren mit maßgeschneiderten Simulationen kombinieren; b) Wirkung von Gebirgsketten insgesamt (hin zu größeren Skalen)

Christoph Kottmeier und Franz Fiedler betrachten Vertikalzirkulationen über dem Schwarzwald, die in sommer- lichen Gewittern besonders stark ausgeprägt sind, und den dadurch bewirkten vertikalen Austausch; Peter Winkler, Matthias Lugauer und Oliver Reitebuch berichten über analoge Untersuchungen, die im alpinen Anteil der Mess- kampagne VERTIKATOR 2002 durchgeführt wurden und weisen auf die wichtige Rolle von Fernerkundungsme- thoden mit Lidargeräten hin; Joseph Egger schildert die Eigenheiten der Strömungsformen an ausgedehnten Hoch- plateaus in Tibet und Bolivien, wie sie kürzlich vermessen und anschließend modelliert wurden; Joseph Egger und Klaus-Peter Hoinka schließlich nehmen mit theoretischen Überlegungen und Analysen von Reanalysedaten den Ge- samteffekt unter die Lupe, den irdischen Gebirge auf die Bilanz des atmosphärischen Drehimpulses ausüben; 2 Thema des Heftes: Atmosphäre und Gebirge promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 c) ,Experimente’ im atmosphärischen Labor

Hans Volkert stellt heraus, welche Rolle international koordinierte Feldexperimente in der Umgebung von Gebirgen wie den Alpen und den Pyrenäen für den Fortschritt in der Atmosphärenphysik seit 1980 spielten; d) Von der Dynamik zu physikalischen Prozessen – wo der Regen fällt

Christoph Frei und Jürg Schmidli konzentrieren sich auf länderübergreifend homogenisierte Niederschlagsdaten und arbeiten die räumliche Nähe von Extremen der Niederschlagverteilung im Alpenraum heraus; e) Gebirgseinflüsse in operationellen Modellen für die Wettervorhersage

Detlev Majewski und Bodo Ritter erläutern, auf welche Weise Gebirge in den aktuellen Vorhersagemodellen des Deutschen Wetterdiensts berücksichtigt sind, und demonstrieren dabei die gewaltigen Skalenunterschiede zwischen dem Global-Modell und dem Lokal-Modell.

Naturgemäß können die zehn Artikel dieses Heftes nur Schlaglichter werfen auf einige Fragestellungen, die innerhalb der ‚Gebirgsmeteorologie’ während der letzten Jahre von Belang waren. Ein synoptischer Blick auf ihre Gesamtheit unterstreicht jedoch überzeugend, dass sich im deutschen Sprachraum (und darüber hinaus) eine effektive Zu- sammenarbeit zwischen Universitätsinstituten, Forschungslabors der Helmholtzgemeinschaft und Wetterdiensten her- ausgebildet hat, die den großen Bogen spannt von grundlegender Forschung in der Strömungsdynamik über den Ein- satz neuartiger Messgeräte bis zur Weiterentwicklung von Vorhersageverfahren für die tägliche Anwendung. Die für Sommer 2007 geplante und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Messkampagne COPS (Convec- tion and Orographically-induced Study) zwischen Vogesen, Schwarzwald und Schwäbischer Alb wird da- von von neuem profitieren können.

Die Wirkung von atmosphärischen Anregungen zeigt dieses Heft auch im übertragenen Sinn: alle Autoren kamen der Bitte um Mitwirkung bereitwillig und zügig nach. Dadurch manifestiert sich das Ansehen, das sich die Zeitschrift promet für die meteorologische Fortbildung über die Jahre erworben hat, nicht zuletzt durch die professionelle Be- treuung durch Hein Dieter Behr und Elke Roßkamp. Für die gute Zusammenarbeit bedanken sich

Hans Volkert und Joseph Egger

Erläuterung zum Titelblatt:

Bild oben: Menschliche Perspektive mit Blickrichtung Nordost im Lee des Mont Blanc während MAP-SOP am 2. November 1999 aus dem Cockpit des Forschungsflugzeugs C-130 in 7,5 km Höhe: Cirrusschicht über Altocumulus lenticularis und stratiformer Bewölkung unterhalb der Kammhöhe der Westalpen. Foto: Samantha Smith, © British Crown Copyright 2002

Bild unten: Die gleiche Situation als abstrakter Querschnitt durch die Alpen von Südwest (Mont Blanc Massiv; links) nach Nordost (rechts) in etwa 6-facher Überhöhung: dimensionsloser Rückstreukoeffizient von Laserlicht, das an Wol- kenschichten zurückgestreut wird (farbig), und durch Gebirgswellen modifizierte Flughöhen dreier Forschungsflug- zeuge vor, während und nach dem Zeitpunkt des Fotos (schwarze Linien). Bei 11,5 km flog die DLR-Falcon mit dem abwärts blickenden Lasersystem, bei 7,5 km die C-130 des UK Met.Office und zwischen 5,5 und 6,5 km die NCAR- Electra. Im Lee des Mont Blanc wurden stationäre Wellen unterschiedlicher Amplitude in allen drei Niveaus ge- funden, die durch zweidimensionale Laserschnitte und Modellrechungen eindrucksvoll bestätigt wurden. Aus: Smith et al., J. Atmos. Sci. 59, 2073-2092, © American Meteorological Society 2002

Siehe auch Artikel 8, Abschnitt 3.5 auf Seite 58. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 3-10 (März 2006) 3 © Deutscher Wetterdienst 2006

R. STEINACKER 1 Alpiner Föhn – eine neue Strophe zu einem alten Lied Alpine foehn – a new verse to an old song

Zusammenfassung Nach einer kurzen historischen Darstellung der Föhnforschung werden aktuelle Ergebnisse der Untersuchung dieses Phänomens, die im Zuge der Arbeiten von FORM (FOehn study in the Rhine valley during MAP) ent- standen, diskutiert. Zum Abschluss werden der heutige Kenntnisstand zusammengefasst und noch offene Pro- bleme erläutert.

Abstract A brief historical resume on foehn related research is followed by a presentation of recent findings concerning this phenomenon, which resulted from studies within project FORM (FOehn study in the Rhine valley during MAP). Finally the current state of our knowledge is summarised and still open problem are discussed.

1 Einleitung mosphäre. Dadurch bedingt gilt die Föhnforschung heute als nicht mehr prioritär. Um die noch offenen Die Föhnforschung gehört zu den traditionsreichsten Aspekte dieses Phänomens – z. B. das kleinräumige Themen der alpinen Meteorologie. Dieses Phänomen Strömungsverhalten, dessen Verständnis essentiell für bewirkt in manchen Gebieten der Alpen erhebliche die lokale Föhnvorhersage ist, die Skaleninteraktion, Auswirkungen auf das Leben der Bevölkerung: Neben die ausgeprägten Wellenregimes einschließlich Wellen- positiven Auswirkungen wie der Ermöglichung des brechen bei Föhn, u. a. m. – weiter mit materieller Anbaus von wärmeliebenden Pflanzen bis in höhere Unterstützung wissenschaftlich bearbeiten zu können, Tallagen der Nordalpen in Folge der Erhöhung der wird heute vielfach auf moderne neudeutsche Termini Mitteltemperatur durch den Föhn („Türkenröster“ = wie „gap-flow“, „trans-Alpine flow“, „downslope Maisröster, s. FLIRI 1975) gibt es auch negative Aus- windstorms“ usw. ausgewichen. wirkungen: Durch die hohen Windgeschwindigkeiten und die Trockenheit der Luft steigt bei Föhn die Ge- Im folgenden Abschnitt wird ein Überblick über die fahr von Bränden stark an, was in der Vergangenheit historischen Ergebnisse der Föhnforschung („das alte wiederholt zu Brandkatastrophen geführt hat, indem Lied“) gegeben, in Abschnitt 3 werden ausgewählte ganze Dörfer und große Waldflächen ein Raub der Ergebnisse aus der Föhnforschung im Rahmen von Flammen wurden (STIEGER und ZIMMERMANN MAP diskutiert und im abschließenden Abschnitt wird 1983). Auch die direkten Windeinwirkungen können eine Synthese („neue Strophe“) versucht und in einem gelegentlich zu großen Waldschäden führen, was be- Ausblick wird auf die in Zukunft noch zu klärenden sonders im Zusammenhang mit Schutzwäldern eine Fragen eingegangen. Bedrohung für den alpinen Lebensraum darstellt. Die physiologischen und psychologischen Auswirkungen des Föhns sind ein weiteres Kapitel, das breites Inte- 2 Überblick über historische Ergebnisse der resse und die sprichwörtlichen Reaktionen in der von Föhnforschung Föhn beeinflussten Bevölkerung hervorruft (RICH- NER 1983, LECHNER et al. 1981). In jüngerer Zeit Von Anbeginn der wissenschaftlichen Föhnforschung hat der Föhn auch in anderen Wirtschaftszweigen eine stand die Frage nach dem Ursprung der „Wärme“ bei gewisse Bedeutung erlangt, wie z. B. in der Luftfahrt, Föhn im Vordergrund (eine ausführliche Diskussion wo die Turbulenz der Föhnströmung und das Auftreten darüber findet sich bei KUTZBACH 1979), weil beim von extremen Windscherungen immer wieder kritische Föhn nördlich der Alpen (Südföhn) besonders im Win- Situationen hervorruft. terhalbjahr oft ungewöhnlich hohe Temperaturen auf- treten. Zuerst waren advektive Prozesse als Ursache Durch die grundlegenden frühen Erkenntnisse der angenommen worden – Wild, der führende Schweizer Föhnforschung war dieses meteorologische Phänomen Meteorologe dieser Zeit, vermutete den Ursprung der in weiten Zügen schon vor Jahrzehnten physikalisch Föhnluft in der Sahara, gestützt durch den Geologen erklärt. In kaum einem meteorologischen Lehrbuch Escher von der Linth. Letzterer stellte in seiner Eis- fehlt eine Darstellung des Föhns als klassisches Bei- zeittheorie die Advektion von Saharaluft ins Zentrum, spiel für einen thermodynamischen Prozess in der At- die zu Beginn und während der Eiszeit durch die hö- 4 R. Steinacker: Alpiner Föhn promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Abb. 1-3: Schematische Darstellung der turbulenten Erosion Abb. 1-1: Klassisches Bild der thermodynamischen Föhntheo- im Lee eines Gebirges (Aspirationstheorie nach rie nach HANN, mit beispielhaften Temperaturwer- STREIFF-BECKER (1931)). ten unter Annahme von feucht- und trocken-isentro- per Bewegung (HANN I, „Schweizer Föhntypus“). Wissen darüber seit weit über hundert Jahren vorliegt, kann man durch quantitative Auswertung von langzei- here Feuchte wesentlich mehr Niederschläge zu den tigen Datenreihen als verantwortlich für den wesent- Alpen bringen sollte und damit ein Anwachsen der lichen Anteil der Föhnerwärmung ansehen. Tatsächlich Gletscher erklären konnte. Dove, der damalige führen- ist in vielen Fällen eine Mischung beider Typen vorhan- de deutsche Meteorologe, vermutete den Ursprung der den, die Haupterwärmung ist dem Mechanismus II zu- Föhnluft hingegen in Westindien (Karibik), weil dies in zuschreiben, bei vorhandenem Niederschlag liefert Me- sein Konzept der Zwei-Strömungstheorie der Zyklo- chanismus I einen kleinen zusätzlichen Beitrag. nen passte. Kurz darauf publizierte HANN (1866) sei- ne „thermodynamische Theorie“ des Föhns. Interes- Gehörte um 1900 die Kenntnis von der thermodyna- santerweise gelang ihm die endgültige Überzeugung mischen Natur des Föhnprozesses zum meteorologi- seiner wissenschaftlichen Kontrahenten erst durch den schen Allgemeinwissen, so stellte sich nunmehr die Nachweis von Föhn in Grönland, wo eine Advektion Frage, warum die warme Luft denn überhaupt die lee- von subtropischer Warmluft als Erklärung ausge- seitigen Hänge bis in die Täler absteigt, obwohl sich schlossen werden konnte. Das klassische Bild (Föhn- doch stabil geschichtete Luft einem vertikalen Aus- typus I oder Schweizer Föhntypus) eines Berges mit tausch widersetzt. Die meisten Arbeiten zu dieser Fra- luvseitigem Aufsteigen, Kondensation und Ausregnen gestellung stammen aus der ersten Hälfte des vergan- und leeseitigem trockenem Absteigen findet sich seit- genen Jahrhunderts: her in den meisten meteorologischen Lehrbüchern (Abb. 1-1). In diesen und den folgenden Abbildungen • Vertikale Aspirationstheorie nach STREIFF-BE- ⌰ ⌰ bedeuten : potentielle Temperatur, e: äquivalentpo- CKER (1931). Hierbei wird angenommen, dass eine tentielle Temperatur. Höhenströmung, die über eine potentiell kältere Luft streicht, diese allmählich durch turbulente Erosion HANN, der die Beobachtungsdaten bei Föhn sehr sorg- entfernt, wodurch die wärmere Höhenluft sukzessive fältig auf beiden Seiten der Alpen betrachtete, entdeck- nach unten vordringt (Abb. 1-3). Die grundsätzliche te natürlich sehr bald, dass Südföhn auch ohne gleich- Idee dazu findet sich bereits um 1870 bei WILD. zeitigen Niederschlag im Luv auftreten kann. Während bei Föhn in den Schweizer Alpen Niederschlag im Luv • Horizontale Aspirationstheorie („passive Ersatz- typisch ist, fällt bei Südföhn über den österreichischen strömung“) nach von FICKER (1931). Hier wird ein Ostalpen zu weniger als 50 % der Fälle Niederschlag Absaugen der bodennahen Luft durch die Annähe- (SEIBERT 1990). Diesen zweiten Typus Föhn (Öster- rung eines Tiefs angenommen, wodurch sich sukzes- reichischer Föhntypus, s.Abb. 1-2), der vor allem in jün- geren Lehrbüchern nur selten aufscheint, obwohl das

Abb. 1-4: Schematische Darstellung des Absaugens von boden- naher Luft durch die Annäherung eines Tiefs (Aspi- Abb. 1-2: Alternatives Bild der thermodynamischen Föhntheo- rationstheorie nach v. Ficker). Die durchgezogenen rie nach HANN mit beispielhaften Temperaturwer- Linien repräsentieren Isentropen vor, die strichlier- ten unter Annahme von trocken-isentroper Bewe- ten nach der Wirkung der Aspiration (Pfeile). gung (HANN II, „Österreichischer Föhntypus“). W: Warmluft, K: Kaltluft. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 R. Steinacker: Alpiner Föhn 5

Abb. 1-5: Schematische Darstellung von Leewellen beim Über- strömen eines Gebirges. Die durchgezogenen Linien repräsentieren Isentropen. Abb. 1-7: Schematische Abbildung zur Solenoidtheorie.

sive die potentiell warme Höhenluft bis zum Boden durchsetzt (Abb. 1-4). Durch ein nach Norden wei- • Hydraulische Theorie des Föhns nach SCHWEI- sendes Druckgefälle kommt bodennah eine von den ZER 1953. Analog einer flachen Wasserströmung Alpen weg gerichtete ageostrophische Strömung über ein Wehr hat Schweizer die niedertroposphäri- auf. Eine diesbezügliche Idee geht schon auf BILL- sche Föhnströmung in ihrem leeseitigen Verhalten WILLER um 1900 zurück. als schießende Strömung mit der Möglichkeit eines hydraulischen Sprungs interpretiert (Abb. 1-8). • Leewellentheorie: Erstmalig wurde ein Wellenan- satz von LYRA 1940 und QUENEY 1948 ange- Die größer werdende Bedeutung der korrekten Re- wandt, um eine Gebirgsüberströmung zu beschrei- präsentation der Gebirge in numerischen Wetterprog- ben. Das leeseitige Absinken kann als Reaktion ei- nosemodellen brachte es mit sich, dass während des ner erzwungenen Auslenkung von Luft aus dem internationalen meteorologischen Alpinen Experi- Gleichgewichtszustand durch ein Hindernis erklärt ments 1982 (s. promet 3-4/1991 und 1/1992) der alpine werden (Abb.1-5). Somit wird dieser Vorgang auch Föhn wieder als ein Forschungsschwerpunkt aufgegrif- als erzwungenes leeseitiges Absteigen bezeichnet. fen wurde. Leider trat während der Feldphase von ALPEX kein einziger brauchbarer Föhnfall auf. Aller- • Wasserfalltheorie nach ROSSMANN 1950. Hier dings wurden kurz nach Ende der Feldphase mit be- wird angenommen, dass die Luft in der Föhnmauer achtlichem Erfolg mehrere exemplarische Südföhnfäl- kälter ist (eine höhere Dichte aufweist) als die wei- le mit zusätzlichem Instrumentarium untersucht. Da- ter leeseitige Luft und somit eine Abwärtsbeschleu- bei wurde klar, dass die alpine Föhnströmung nicht al- nigung erklärt (Abb. 1-6). lein als Überströmung des Massivs sondern auch in Form einer „Durchströmung“ besteht. Zahlreiche Päs- • Solenoidtheorie nach FREY 1944. Hierbei wird an- se im Alpenmassiv lassen die Höhe des Hauptkamms genommen, dass sich im Gebirgsraum ein isobar- mit einer beträchtlichen feinskaligen Varianz erschei- isentropes Solenoidfeld aufbaut, das nach dem Zir- nen (Abb. 1-9). kulationsgesetz eine beschleunigte Strömung in Gang setzt. In der gezeigten Abbildung wäre die Die rasante Entwicklung der numerischen Modellie- Zirkulationsbeschleunigung allerdings genau ge- rung der Atmosphäre einerseits und die Verfügbarkeit genläufig zur Föhnströmung. FREY zeigt, dass der von neuartigen in situ und Fernerkundungsmethoden Temperaturgradient über den Alpen und im un- zur dreidimensionalen Erfassung des hochaufgelösten mittelbaren Lee umgekehrt zur Abb. 1-7 auftritt, Massen- und Windfeldes gaben der Föhnforschung im analog Abb. 1-5, was zum richtigen Vorzeichen der Rahmen von MAP erneut eine Chance zur Beantwor- Zirkulationsbeschleunigung führt. tung einer Reihe noch offener Fragen:

Abb. 1-6: Schematische Abbildung der Wasserfalltheorie nach Abb. 1-8: Schematische Darstellung des Föhns als schießende ROSSMANN (1950). hydraulische Strömung mit hydraulischem Sprung. 6 R. Steinacker: Alpiner Föhn promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Abb. 1-9: Höhen-Profil längs des Alpenhauptkamms von den Seealpen (links) bis nach Wien (rechts). Die dicke Linie ist der tiefpassgefilterte Verlauf. Die Abkür- zungen geben markante Pässe an: CL: Col de Lar- che, CM: Col de Montgenevre, CE: Col de l’Echelle, MC: Mont Cenis, PB: Kleiner St. Bernhard, GB: Gro- ßer St. Berhard, SI: Simplon, G: St. Gotthard, L: Luk- Höhe in m NN manier, SB: San Berardino, M: Maloja, RS: Reschen- pass, B: Brennerpass, R: Radstätter Tauern,H: Hoher Tauernpass, S: Schoberpass. Markante Eintiefungen sind das Rheintalfenster (RW), das Engadiner Fen- Abstand in km ster (EW) und die Brennersenke (BG).

a) Welche Rolle spielt die turbulente Erosion der bo- nicht zuletzt Flugzeugmessungen erlaubten die Gewin- dennahen Kaltluft beim Föhndurchbruch? nung eines Datensatzes, der sowohl qualitativ als auch b) Lässt sich die bodennahe Föhnströmung mit der hy- quantitativ noch nie auch nur annähernd für die Föhn- draulischen Theorie (Flachwassergleichungen) hin- forschung zur Verfügung stand. reichend beschreiben? c) Was ist die Rolle der Passfurchen („gaps“) quer zum Um die Rolle der turbulenten Erosion (Frage a) zu Alpenkamm? untersuchen, wurden im Bereich des Kaltluftsees im d) Was ist die Rolle der Strömung in den Seitentälern nördlichen breiten Alpenrheintal südlich vom Boden- bei Föhn? see neben den Radiosonden und Fesselballonen ein e) Warum ist die bodennahe Föhnströmung so insta- RASS-System betrieben, Flugzeugprofile mit einem tionär, warum gibt es Föhnpausen? Motorsegler durchgeführt sowie numerische Modell- f) Wie organisiert sich die Föhnströmung bei signifi- rechnungen mit ultra hoher Auflösung erstellt. kanten Änderungen der Talrichtung oder bei Tal- Abb. 1-10 zeigt einen Vergleich eines Föhndurch- verzweigungen („flow splitting“)? bruchs, beobachtet mittels RASS und dem Ergebnis g) Wie gut sind die heutigen operationellen numeri- der Simulation mit dem MESO-NH Modell mit 625 m schen Prognosemodelle bzw. experimentelle hoch horizontaler Auflösung. Der Vergleich zeigt eine auflösende Modelle in der Lage, das lokale Föhn- außerordentlich gute Übereinstimmung beim Föhn- verhalten zu prognostizieren? durchbruch und selbst für die kurze Föhnpause. Aller- dings ist dieses Ergebnis nur dadurch so perfekt, weil Anhand von ausgewählten Ergebnissen soll im näch- der Kaltluftsee in der Anfangsbedingung bei der Mo- sten Abschnitt auf diese Fragen eingegangen werden. dellierung realistisch vorhanden ist, was bei Verwen-

3 Ausgewählte Ergebnisse der Föhnstudien im Rheintal während MAP

Die Fragestellungen zum gap-flow wurden hauptsächlich im Bereich Höhe in km Höhe in km Wipptal-Innsbruck durchgeführt, da dort die topographischen Ge- gebenheiten hinreichend einfach gestaltet sind. Im Rheintal wurden – bedingt durch die komplexe Topographie – zahlreiche zusätzli- che Messplattformen installiert. Neben einem Boden-Meso-Netz

operierten bis zu 9 zusätzliche Ra- Höhe in km Höhe in km diosondenstationen mit zum Teil dreistündigen Messintervallen. Mehrere SODAR und Windpro- fileranlagen sowie im Bereich des Potentielle Temperatur in K S- in m/s „Flow-splittings“ bei Sargans ein Abb. 1-10: Vergleich von Messungen (oben) mit Ergebnissen des Simulationsmodells Doppler-LIDAR, Fesselsonden, MESO-NH (unten) für die potentielle Temperatur (links) und die Südwind- Szintillometermessungen, ein ver- Komponente (rechts) vom 5. November 1999 00 UTC bis 6. November 12 UTC. tikal gerichtetes Raman LIDAR, Dargestellt sind die Bereiche zwischen Boden und 1500 m über Grund (nach mobile Messplattformen und VOGT und JAUBERT 2004). promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 R. Steinacker: Alpiner Föhn 7 dung allein des konventionellen Beobachtungsnetzes unmöglich gewesen wäre.

Bei diesem und anderen Fällen zeigt sich sehr deutlich, dass zwar die turbulente Erosion effektiv ist, jedoch advektive Prozesse im Kaltluftsee dominieren. Somit ist es äußerst wichtig, die Dynamik der leeseitigen

Kaltluftseen mit in die Betrachtung einzubeziehen. Höhe in m

Die Frage b) wurde schwerpunktmäßig im Wipptal untersucht (vgl. MAYR und GOHM; Kapitel 2 in die- in m/s Vertikalgeschwindigkeit sem Heft). Auch im Rheintal zeigt sich typischerweise eine signifikante thermische Schichtung, die zwischen der Strömung im Tal und der Strömung in der darüber befindlichen unteren Troposphäre unterscheiden lässt. Der Beginn einer Föhnepisode zeichnet sich durch ei- ne relativ flache im Tal kanalisierte Strömung (seichter Föhn) aus, die erst später in der Höhe eine Korrespon- denz findet. Speziell der seichte Föhn lässt sich in den Grundzügen mit der hydraulischen Theorie hinrei- Höhe in km chend genau beschreiben. Selbst das unterschiedliche Verhalten bezüglich der Massenaufteilung beim „flow- splitting“ scheint durch diesen Ansatz erklärbar. (DROBINSKI et al. 2001).

Passfurchen (Frage c) erlauben der relativ kühlen luv- m seitigen Luft bei Föhn ein Durchströmen in Richtung Abb. 1-11: Markante Leewelle im N-S Profil über dem Vorarl- Lee. Da das Rheintal zahlreiche Passübergänge auf- berger Brandnertal nach einer Modellsimulation mit weist, führt dies durch die beständige bodennahe Kalt- dem MESO-NH Modell. Gezeigt ist das Vertikalbe- luftadvektion zu relativ niedrigen (potentiellen) Tem- wegungsfeld in m/s (oben, rechte Skala). Auf der Ab- peraturen im oberen Alpenrheintal. Außerdem prägen szisse ist die Distanz in m vom südlichsten Punkt des die einzelnen Passübergänge die sehr spezifische Ausschnitts, auf der Ordinate ist die Höhe in m über dem Meer angegeben. Die rote Kurve (unten) zeigt räumliche Verteilung der Föhnstriche. den horizontalen Druckverlauf längs der von Süden nach Norden abfallenden Talsohle ausgedrückt als re- Neben den Seitentälern vom Alpenhauptkamm in lative geopotentielle Höhe einer Druckfläche bezo- Richtung Haupttal, die als Lieferanten für luvseitige gen auf einen Referenzpunkt. Dieser Druckverlauf Luft dienen, wurde beim Subprogramm FORM auch wurde durch die stückweise Zusammensetzung von ein weit leeseitig gelegenes Seitental näher untersucht auf die jeweils mittlere Höhe der Talsohle reduzierten (Frage d). Das Brandner Tal in Vorarlberg ist eines der Druckdifferenzen zweier Nachbarstationen erzeugt (nach STEINACKER et al. 2003). bekanntesten Föhntäler mit der Besonderheit, dass der lang gezogene Hauptort Brand vom Föhn sehr unter- schiedlich betroffen ist. Während der Südteil (Inner- brand) bei Südföhn üblicherweise von heftigem Wind lität/Geschwindigkeit mit einer Verschiebung von Wel- betroffen ist, ist im wenige km nördlich gelegenen len/hydraulischen Sprüngen reagiert. Die mehrfachen Ortsteil Ausserbrand davon nichts zu spüren. Die Richtungsänderungen des Rheintals führen weiter zu Untersuchung des Verlaufes des horizontalen Druck- raschen Änderungen der Dicke der relativ kühlen gradienten längs der Talsohle erbrachte bei Föhn prak- (seichten) Föhnluft, die über die Passsenken ins Rhein- tisch immer ein ausgeprägtes Minimum bei Innerbrand tal gelangt ist. Schließlich führt das obere Wellenregime (Abb. 1-11). Eine vergleichende Modellsimulation mit zu einer Modulation des bodennahen Druckfeldes mit MESO-NH zeigt genau an dieser Stelle eine ausge- entsprechender Auswirkung auf das Windfeld. prägte Leewelle, mit der eine entsprechende Störung im Druck- und Windfeld einhergeht. Der Föhnsturm in Durch das im Rheintal während MAP installierte Me- Innerbrand läuft weiter nördlich gegen das Druckge- so-Netz konnte das komplexe Druckfeld analysiert fälle an, wodurch sich auf kurze Distanz eine drasti- (Abb. 1-12) und mit Modellsimulationen verglichen sche Abbremsung der Luft ergibt. werden (Abb. 1-13). Das Druckbild bei Föhn (Abb. 1-12) spiegelt grob die Dickenverteilung der re- Die starke zeitliche Variabilität der Föhnströmung im lativ kühlen (seichten) Föhnluft wieder. Dem Vorder- Rheintal (Frage e) kann dadurch erklärt werden, dass rheintal folgend nimmt der Druck (die Dicke) bis Chur die Strömung im Tal mit ihrem hydraulischen Charak- ab, um vor dem Knick des Tales nach West ein sekun- ter sensitiv auf geringfügige Veränderung der Stabi- däres Druckpolster (D) aufzuweisen. Dieses Druck- 8 R. Steinacker: Alpiner Föhn promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

polster, das auch vom Innsbrucker Föhn bekannt ist (VERGEINER et al. 1982) ist notwendig, um die Strö- mung nach Westen umzulenken (Frage f). Er ist übri- gens auch verantwortlich dafür, dass der Föhn im Prät- tigau (P) nicht in Erscheinung tritt. Des Weiteren dürf- te dieses Druckpolster auch die Überströmung des Rä- tikons (R) mit der sekundären Föhnwelle im Brandner Tal (B) begünstigen. Der Vergleich mit einer hochauf- lösenden Simulation mit dem MM5-Modell (ZÄNGL et al. 2004) zeigt, dass das Druckfeld insgesamt recht gut getroffen wird. In Details, wie einem quer zum Tal liegendem Druckgefälle im Rheintal bei Liechtenstein geogr. Breite (L), das auch eine erhebliche Querkomponente der Föhnströmung in diesem Gebiet bewirkt (Abb. 1-13), sind jedoch Unterschiede feststellbar.

Bei der Beurteilung der Qualität der heute operatio- nellen mesoskaligen Prognosemodelle (Frage g) ist zu berücksichtigen, dass selbst die horizontale Auflösung von knapp 10 km bei weitem nicht ausreicht, alle De- tails und lokalen Eigenheiten des Föhns zu wiederzu- spiegeln. Erst ab einer Maschenweite von rund 1 km ist geogr. Länge die Topographie hinreichend aufgelöst, um realistische Abb. 1-12: Druckfeld in 550 m NN am 24. 10. 1999, 13 UTC, Details zu zeigen. Die Erhöhung der räumlichen Auf- Isobaren im 0,5 hPa Abstand und Windpfeile. Das lösung ist jedoch nicht das einzige Kriterium, um die Raster der untergelegten Topographie entspricht dem lokale Föhnprognose in Zukunft erfolgreich modellba- Analyseraster von etwa 2 km. Die Schattierung gibt siert in den Griff zu bekommen. Das Ergebnis ist in ho- die mittlere Höhe der Gitterzellen an. Die hellste hem Maß abhängig von der Qualität der Anfangsbe- Graustufe entspricht einer Höhe von unter 600 m, die dunkelste von über 2600 m (nach CHIMANI 2002). dingung, vor allem der richtigen Inkorporation der lee- seitigen Kaltluftseen. Des Weiteren ist die korrekte Wiedergabe des komplexen instationären dreidimen- sionalen oberen Wellenregimes mit der Möglichkeit von brechenden Wellen und seine Auswirkung auf die bodennahe Föhnströmung essentiell. In der Skala der Wellenbewegung bei Föhn ist auch die adäquate Aus- wertung von Daten sehr wichtig. Werden z. B. Radio- sondierungen konventionell als Vertikalprofil interpre- tiert, so kann sich das Bild deutlich von dem unter- scheiden, welches sich unter Berücksichtigung der Bal- londrift ergibt (Abb.1-14). geogr. Breite 4 Synthese und Ausblick

Betrachtet man die vielen frühen Beiträge zur Föhn- theorie, die in Abschnitt 2 dargestellt sind, so kann man im Lichte des heutigen Wissens eine Wertung versu- chen. Die turbulente Erosion der bodennahen Kaltluft ist ein durchaus relevanter Prozess beim Durchbruch geogr. Länge des Föhns, tritt allerdings gegenüber advektiven Pro- Abb. 1-13: Differenz zwischen analysiertem Druck in 550 m NN zessen im Kaltluftsee in den Hintergrund. Die hori- und simuliertem Druck mittels MM5-Modell am zontale Aspirationstheorie ist in vielen Fällen für den 24.10.1999 um 13 UTC. Die Farbabstufung wechselt Aufbau eines Temperatur- und damit auch Druckgefäl- in 0,5 hPa-Stufen (gelb: Modell 1-2 hPa höher als Be- les zwischen beiden Seiten des Gebirges verantwort- obachtung, grün-blau: Modell 1-2 hPa tiefer als Be- lich. Allerdings kann auch ein inverser Prozess, näm- obachtung; nach ZÄNGL et al. 2004). lich das Aufstauen von luvseitiger Luft für eben den- selben Effekt verantwortlich sein. Die Leewellentheo- rie ist für die bodennahe Föhnströmung nur in Aus- nahmefällen als Erklärung zutreffend. Hier muss ein Gebirgszug in passender Ausdehnung vorhanden sein, promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 R. Steinacker: Alpiner Föhn 9

kann in zweierlei Hinsicht bejaht werden: erstens konnte eindeutig gezeigt werden, dass der Föhn in all seiner räumlich-zeitlichen Komplexität mit hinrei- chend auflösenden Modellen erfolgreich prognosti- ziert werden kann, allerdings nur unter Berücksichti- gung der im vorigem Abschnitt erläuterten Vorausset- zungen. Zweitens konnte durch die dreidimensionale Erfassung des Massen- und Windfeldes sowohl im Wipp- als auch im Rheintal die hydraulische Natur des

Höhe in m NN Föhns in den unteren Schichten (seichter Föhn) klar belegt werden. Hydraulisch kann sich aber nur ein ver- gleichsweise dichteres Fluid (kältere Luft) verhalten, das leeseitig oder jenseits einer Engstelle der Schwere folgend nach unten strebt. Somit ist die Definition von Föhn als „warmer leeseitiger Wind“ oder gar „warmer Fallwind“ falsch oder zumindest irreführend. Meteoro- Entfernung von Masein nordwärts in km logisch korrekt handelt es sich beim Föhn um nichts anderes als eine Bora, die eine vorher vorhandene, noch kältere Luft (Kaltluftsee) im Tal ersetzt, also streng genommen um eine „maskierte Bora“ (Abb. 1-15). Diese kann natürlich auch wie die klassi- sche Bora, wo die Adria die Bildung eines Kaltluftsees verhindert, vom Wellenregime in den oberen Luft- schichten moduliert werden bzw. mit diesem in Wech- selwirkung treten. Auch wenn die alpine Bevölkerung wohl kaum – oder lediglich zu Karnevalszeiten – bereit sein dürfte, den Föhn in Hinkunft als „maskierte Bora“ zu benennen, so sollte zumindest in der meteorologi- Höhe in m NN schen Fachliteratur eine korrekte Darstellung dieses faszinierenden dynamisch-thermodynamischen Pro- zesses geboten werden.

Bietet die Föhnforschung auch in Zukunft noch ein wissenschaftliches Betätigungsfeld? Beträchtliche Wis- Entfernung von Masein nordwärts in km senslücken bestehen einerseits in der Kenntnis der kleinräumigen Föhnverteilung im Alpenraum. Bisher fokussieren die relevanten Arbeiten lediglich auf weni- Abb. 1-14: Vergleich einer Querschnittsanalyse der potentiellen ge ausgewählte Föhntäler, eine flächendeckende Temperatur im Rheintal bei Föhn ohne (oben) und Kenntnis dieses klimarelevanten Phänomens steht mit (unten) Berücksichtigung der Ballondrift (nach noch aus. Dasselbe gilt für die Erforschung von TSCHANNETT 2003). Föhn/Boraerscheinungen in anderen Gebirgszügen der Welt. Ein weiteres großes Betätigungsfeld gilt den Wellenerscheinungen im Zusammenhang mit Föhn. wie dies z. B. im Brandnertal der Fall ist. Hingegen ist Die von Segelfliegern geschätzten laminaren Wellen in den alpinen Föhntälern die hydraulische Theorie und von der Zivilluftfahrt gefürchteten Rotoren und meist gut in der Lage, die Wesenszüge der Föhnströ- brechenden Wellen mit schwerer Turbulenz sind bisher mung zu beschreiben. Die Wasserfalltheorie mag gele- gentlich ganz lokal bei zyklonalem Föhn mit Übergrei- fen des Niederschlags ins Lee einen Zusatzeffekt aus- machen, als isolierte Föhntheorie ist sie aber sicher nicht zutreffend. Schließlich ist zur Solenoidtheorie zu bemerken, dass dieser Ansatz, der sich bei thermisch direkt getriebenen Zirkulationen wie dem Talwind als Erklärung sehr bewährt, bei dynamischen Windsyste- men zu keiner kausalen Erklärung führt. Ist das Sole- noidfeld Ursache oder Folge der Föhnströmung?

Abschließend stellt sich die Frage, ob denn überhaupt neue und wesentliche Erkenntnisse durch die Föhnfor- Abb. 1-15: Schematisches Bild einer Föhnströmung in einem schung im Rahmen von MAP erzielt wurden. Dies von Pässen durchsetzten Gebirge. 10 R. Steinacker: Alpiner Föhn promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 weder diagnostisch noch prognostisch hinreichend er- LYRA, G., 1940: Über den Einfluß von Bodenerhebungen auf fasst. Vielleicht bleibt dies noch längere Zeit eine der die Strömung einer stabil geschichteten Atmosphäre. Beitr. Nischen, wo sich die Natur nur schwer in die Karten Phys. fr. Atmos. 26, 197-206. blicken lässt. QUENEY, P., 1948: The problem of the airflow over mountains: a summary of theoretical studies. Bull.Amer. Meteorol. Soc. 29, 16-26. Danksagung RICHNER, H., 1983: Neuere Erkenntnisse über die physikali- schen Ursachen der Föhnbeschwerden. Schweiz. Ges. f. Balne- Für die finanzielle Unterstützung von FORM sei an ologie u. Bioklimatologie, in KUHN, M. (Hrsg.), 1989: Föhn- dieser Stelle den nationalen und internationalen För- studien, Wiss. Buchges. Darmstadt, 484-496. derinstitutionen gedankt, in Österreich dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung im Rah- ROSSMANN, F., 1950: Über das Absteigen des Föhns in die Tä- men des Projekts P-12488-TEC. Ferner sei allen Mit- ler. Berichte des deutschen Wetterdienstes der US-Zone 12, S. 94- 98. gliedern der FORM Working Group aus der Schweiz, Frankreich, Deutschland und Österreich für die lang- SCHWEIZER, H., 1953: Versuch einer Erklärung des Föhns als jährige fruchtbringende wissenschaftliche Kooperation Luftströmung mit überkritischer Geschwindigkeit. Arch. Me- gedankt. teorol. Geophys. Biokl. A5, 350-371. SEIBERT, P., 1990: South foehn studies since the ALPEX expe- riment. Meteorol. Atmos. Phys. 43, 91-103. Literatur STEINACKER, R., M. SPATZIERER, M. DORNINGER, C. CHIMANI, B., 2002: Hochaufgelöste Analysen von Druck- und HAEBERLI, 2003: Selected results of the FORMAT field ex- Temperaturfeldern während Föhn im Rheintal. Diplomarbeit, periments. Österr. Beitr. Meteorol. Geophys. 29, 55-70. Univ. Wien, http:/www.univie.ac.at/IMG-Wien/dipldiss/dipl/ DA_Chimani.pdf. STIEGER, B, P.ZIMMERMANN, 1983: Föhnfieber. Unionsver- lag, Zürich 156 S. DROBINSKI, P., A. M. DABAS, C. HAEBERLI, P. H. FLA- MANT, 2001: On the small-scale dynamics of flow splitting in STREIFF-BECKER, R., 1931: Zur Dynamik des Föhns. Meteo- the Rhine valley during a shallow foehn event. Boundary- rol. Z. 48, 149-152. Layer Meteorol. 99, 277-296. TSCHANNETT, S., 2003: Objektive hochaufgelöste Quer- FICKER, H. v., 1931: Warum steigt der Föhn in die Täler herab? schnittsanalyse. Diplomarbeit, Univ.Wien, http:/www.univie.ac.at/ Meteorol. Z. 48, 227-229. IMG-Wien/dipldiss/dipl/DA_Tschannett.pdf. FLIRI, F., 1975: Das Klima der Alpen im Raume von Tirol. Uni- versitätsverlag Wagner, Innsbruck, 454 S. VERGEINER, I., R. STEINACKER, E. DREISEITL, 1982: Der Südföhn vom 4/5. Mai 1982: Feinanalysen von Druck und FREY, K., 1944: Zur Entwicklung des Föhns. Verh. Schweiz. Na- Wind im Inntal und Wipptal. GARP-ALPEX Publ. No. 7, in turforsch. Ges. Sils, S 90. KUHN, M. (Hrsg.), 1989: Föhnstudien, Wiss. Buchges. Darm- HANN, J., 1866: Zur Frage über den Ursprung des Föhns. Zeit- stadt, 52-74. schrift der österr. Gesell. für Meteorol. 1, 257-263. VOGT, S, G. JAUBERT, 2004: Foehn in the Rhine valley as seen KUTZBACH, G, 1979: The thermal theory of cyclones: A histo- by a wind-profiler-RASS system and comparison with the non- ry of meteorological thought in the nineteenth century, Amer. hydrostatic model Meso-NH. Meteorol. Z., N.F. 13, 165-174. Meteorol. Soc., Boston, 255 S. LECHNER, W., R. STEINACKER, R. OBERAIGNER, H. ZÄNGL, G., B. CHIMANI, C. HÄBERLI, 2004: Numerical si- HAUFFE, 1981: Föhn und Geburt, Gynäkol. Rdsch. 21, mulations of the foehn in the Rhine valley on 24 October 1999 177-178. (MAP IOP 10). Mon. Wea. Rev. 132, 368-389. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 11-17 (März 2006) 11 © Deutscher Wetterdienst 2006

G. J. MAYR,A. GOHM 2 Schnelle Strömungen durch Gebirgseinschnitte Fast flows through gaps

Zusammenfassung Gebirgseinschnitte ermöglichen Luft den direkten Weg von einer Seite eines Gebirges auf die andere. Häufig treten dabei hohe Windgeschwindigkeiten im Lee auf. Die Dynamik dieser kleinräumigen Strömungen wird mit einem einfachen Konzeptmodell erklärt und anhand von Messungen entlang der Brennersenke illustriert. Die synoptischen Voraussetzungen für das Auftreten solcher Winde und daraus resultierende Möglichkeiten der sub- jektiven und objektiven Vorhersage werden beschrieben.

Abstract Instead of having to go around or over a mountain range, gaps and passes provide the direct route for air to flow from one side to the other. Frequently strong are observed downstream of these gaps. A conceptual model explains the dynamics of these small-scale gap flows. Measurements along the Brenner Pass in the central exemplify a gap flow. The necessary larger-scale conditions for such gap winds to occur along with ensuing possibilities for forecasting them both subjectively and objectively are described.

1. Einleitung der Dinarischen Alpen liegen ebenso stromabwärts ei- nes Einschnitts (z. B. der Ort Senj im Lee des Vratnik Gebirgsketten sind selten glatte Rücken. Einschnitte Passes) wie die Orte mit starken Windstürmen am Ost- unterschiedlicher Tiefen durchfurchen sie. Dadurch abhang der Sierra Nevada, die in den 50er Jahren kann Luft von einer Seite auf die andere strömen, oh- Schauplatz des Sierra Wave Projekts waren und wo ne den Umweg über den Gebirgskamm oder um das jetzt wieder eine Feldmesskampagne durchgeführt wird Gebirge herum nehmen zu müssen. Die Strömung (vgl. DÖRNBRACK et al.; Kapitel 3 in diesem Heft). wird dabei stark von den topographischen Details der Gebirgslücken beeinflusst. Es kann zu asymmetrischen Im Folgenden beschränken wir uns auf die meteorolo- Strömungen kommen, mit einer langsam fließenden gisch interessanteren asymmetrischen Strömungen mit relativ dickeren Schicht im Luv, die im Lee beschleu- relativ hohen Windgeschwindigkeiten stromabwärts nigt und dabei dünner wird. Vielerorts weisen diese von Einschnitten. Diese Einschnitte können einen Ka- Strömungen Charakteristika von Föhn auf, wobei wir nal bilden, der nur seitliche Verengungen hat, dessen hier den Föhn entsprechend der WMO-Definition (WMO 1992) als starken böigen Wind bezeichnen, der durch das Herabsteigen im Lee eines Gebirges er- wärmt und relativ ausgetrocknet wird. Dadurch ändert sich der Wasserdampfgehalt nicht, aber durch die Tem- peraturerwärmung sinkt die relative Feuchte.

Als Beispiel für die Durchfurchung der Alpen dient ein Schnitt entlang des Hauptkamms zwischen Nord- und Südtirol (Abb. 2-1). Die Brennersenke besteht aus einem etwa 20 km breiten Einschnitt in etwa 2,1 km Meereshöhe und einem engeren und tieferen (bis 1,4 km Meereshöhe) Einschnitt, durch den nur weniger als 10 % an Masse strömt. Das Wipptal, eine berühmte Föhnregion nördlich des Brenners, macht im unteren Drittel eine Kurve um etwa 20° und endet im querver- Abb. 2-1: Alpenhauptkamm zwischen Nord- und Südtirol mit laufenden Inntal am etwa 2,2 km hohen Gebirgszug den deutlich sichtbaren Einschnitten. Der tiefste ist der Nordkette (vgl.Abb. 2-4). Zusätzlich münden meh- die als Doppeleinschnitt ausgeformte Brennersenke. rere Seitentäler ein. Zwei Beispiele aus der Feldmessphase des Mesoska- ligen Alpinen Programms (MAP) zeigen die strom- aufwärtige Obergrenze einer reinen Einschnittströ- Auch andere bekannte alpine Föhngebiete wie das mung (20. Oktober 1999) bzw. einen Fall, wo die Strö- Reuss- und Rheintal liegen stromabwärts von Gebirgs- mung durch die Einschnitte und über den Haupt- einschnitten. Die Schneisen mit starker Bora am Fuß kamm ging (21. Oktober 1999). 12 G. Mayr, A. Gohm: Schnelle Strömungen durch Gebirgseinschnitte promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Boden also horizontal verläuft, einen gleichmäßig brei- dehnung der Einschnittströmung nimmt zu. Vorausset- ten Kanal, der in ein Gebirge eingeschnitten ist und zung für die Anwendbarkeit der hydraulischen Theorie daher von unten her eine vertikale Verengung erfährt, ist, dass die Horizontalausdehnung der Strömung viel oder (der häufigste Fall) eine Kombination aus seit- größer als deren Vertikalausdehnung ist und dass jede licher und vertikaler Verengung mit einem Gebirgs- Schicht von der darüber liegenden durch eine Stufe pass an der engsten und höchsten Stelle. Im Gegensatz der potentiellen Temperatur (z. B. durch eine Inver- zu den Strömungen über Hindernisse gibt es relativ sion) getrennt ist. wenige Untersuchungen zu Strömungen durch Ge- birgseinschnitte. PAN und SMITH (1999) geben eine Die hydraulische Theorie ist ein integraler, nichtlinea- Zusammenfassung der Studien vor dem Mesoscale Al- rer Ansatz. Die Atmosphäre wird in der Vertikalen in pine Programme (MAP), bei dem ein Schwerpunkt ge- jeweils homogene inkompressible Schichten (mit kon- nau solche Strömungen durch Einschnitte waren stanter potentieller Temperatur) geteilt, die voneinan- (MAYR et al. 2004). Eines der beiden Föhngebiete, in der durch stabile Grenzflächen (Zunahme der poten- dem intensiv gemessen und numerisch simuliert wur- tiellen Temperatur) getrennt sind. Die Vereinfachung de, ist die Brennersenke in den Zentralalpen. Beispie- liegt also darin, dass über die Vertikale pro Schicht nur le in diesem Artikel stammen aus diesen MAP-Unter- ein integraler Mittelwert genommen wird. Was im suchungen. Gegensatz zum linearisierten Schwerewellenansatz beibehalten wird, sind die nichtlinearen Terme, die bei den Einschnittströmungen eine zentrale Rolle spielen. 2. Strömungsdetails Auch die integrale Auswirkung der Turbulenz in den Sprüngen ist enthalten. Entlang der Grenzflächen zwi- Strömt Luft auf ein Gebirge zu, hängt das Verhalten in schen den Schichten breiten sich interne Schwerewel- erster Näherung von einer Kombination aus statischer len mit einer Phasengeschwindigkeit von Stabilität (ausgedrückt über die Brunt-Väisälä Fre- ∆Θ quenz N), Gebirgshöhe H und Windgeschwindigkeit c = hg (1) (quer zum Gebirge) U in der Form einer dimensions- Θ 0 losen Gebirgshöhe HN/U ab (z. B. SCHÄR 2002). Für niedrige Werte, d. h. niedrige Gebirge, geringe Stabi- in alle Richtungen aus. Je größer die Schichtdicke h, lität und/oder hohe Windgeschwindigkeit wird die Luft desto schneller die Welle; ebenso je stärker der poten- über das Gebirge strömen, für hohe dimensionslose tielle Temperatursprung ∆␪ am Oberrand der Schicht Gebirgshöhen um das Gebirge herum. Dabei können (g ist die Schwerebeschleunigung). Diese Schwerewel- im Lee, stromabwärts der Gebirgsflanken, Wirbel mit len werden hauptsächlich durch Unebenheiten im Ge- vertikaler Achse entstehen. Ein Einschnitt hat eine lände ausgelöst, die eine Verformung der Schicht be- niedrigere Höhe als der Gebirgskamm. Es wird also wirken. Ist die Phasengeschwindigkeit größer als die auch bei einer Situation, wo es für das Gebirge als Strömungsgeschwindigkeit der Schicht („unterkri- Ganzes gesehen zu einer Umströmung kommt, durch- tisch“), kann sich die Schwerewelle auch stromauf- aus möglich sein, dass die Luft über den Einschnitt und wärts ausbreiten und die Strömung von der weiter damit „durch“ das Gebirge fließt. stromabwärts liegenden Störung „informieren“. Ist hingegen die Strömungsgeschwindigkeit größer als die Phasengeschwindigkeit („überkritisch“), kann sich kei- 2.1 Hydraulisches Konzeptmodell ne Störungsinformation mehr stromaufwärts ausbrei- ten. Wird eine unterkritische Strömung überkritisch Konzeptmodelle für Gebirgsströmungen beruhen tra- und somit schneller, so muss aus Massenerhaltungs- ditionell auf den linearisierten Strömungsgleichungen. gründen die Schicht dünner werden. Die Stelle, wo die Schwerewellen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie Phasengeschwindigkeit gleich der Strömungsge- entstehen, wenn das Gebirge die Luft vertikal aus- schwindigkeit ist, liegt im Gebirge meist an Rücken lenkt. Ist die Atmosphäre stabil geschichtet, unter- oder Pässen. Diese Stelle kontrolliert die Strömung, scheidet sich die Dichte des ausgelenkten Luftpakets d. h. sie bestimmt die Menge an durchströmender Mas- von seiner neuen Umgebung und es wird zurück zur se für eine gegebene Schichtdicke am Kontrollpunkt. Ausgangshöhe gelenkt. Gleichzeitig mit dieser Vertika- Weiterhin kann gezeigt werden, dass die Strömung loszillation transportiert der Umgebungswind das über dem Pass (Kontrollpunkt) nur etwa 2/3 so dick ist Luftpaket auch horizontal weiter. wie weiter stromaufwärts. Am Boden fällt der Druck zufolge der Schichtdickenverringerung leicht. Wegen der Seichtheit der Einschnittströmung und dem Auftreten von abrupten Übergangszonen („Sprünge“) Ein Beispiel für den Brennereinschnitt möge das illus- bietet sich hingegen die Flachwasserapproximation trieren. Bei seichtem (Süd)föhn findet man typischer- („hydraulische Theorie“) zum konzeptionellen Ver- weise eine Inversion auf der Alpensüdseite in Kamm- ständnis an, siehe dazu auch Kapitel 1, Seite 5 sowie niveau: als Beispiel in der Höhe von 2700 m NN und Abb. 1-8. An diesen Sprüngen geht die Geschwindig- mit einem potentiellen Temperaturunterschied über keit abrupt und turbulent zurück und die Vertikalaus- die Dicke der Inversion (= Grenzschicht) von 3 K. Am promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 G. Mayr, A. Gohm: Schnelle Strömungen durch Gebirgseinschnitte 13

Kontrollpunkt Brennereinschnitt mit einer Höhe von Beispiel 2100 m NN liegt die Inversion dann in 2100 m + 2/3 Die hydraulische Theorie kann selbst beim Verständnis (2700–2100) m = 2500 m NN. Da die Geschwindigkeit einer komplexen Strömungssituation helfen. Messun- dort gleich der Phasengeschwindigkeit sein muss, kön- gen eines Forschungsflugzeugs, von Radiosonden an ∆␪ ␪ nen wir Gl. (1) mit h=600 m und =3 K, 0= 300 K be- drei Standorten, eines instrumentierten Autos, eines nutzen und erhalten für die Geschwindigkeit am Bren- Doppler-Sodars und mehrerer automatische Wetter- nerkamm knapp 8 m/s. stationen sind in Abb. 2-2 zu einem Querschnitt ent- lang der Wipptalachse vereint. Die stromaufwärtige Schießt die Strömung überkritisch leeseitig des Ein- Luft unterhalb der Höhe des breiten Einschnitts schnitts hinunter, beschleunigt sie weiter und wird dün- strömt nicht auf die andere Seite. Die Luft darüber ner. Der reduzierte Bodendruck entlang der Strömung steigt ins Lee hinab: etwa 5 km stromabwärts des Pas- wird geringer. Ein Übergang zurück in einen unterkri- ses erreicht Luft vom oberen Einschnitt erstmals den tischen Zustand erfolgt abrupt und turbulent in einem Talboden. Die Automessungen zeigen, dass die poten- „hydraulischen Sprung“, wodurch die Strömung wieder tielle Temperatur innerhalb eines Kilometers um nahe- dicker und langsamer wird. Wo der Sprung liegt, hängt zu 3 K steigt. Durch das Absinken löst sich die Strato- ab von der Luftmasse im Lee, den topographischen Ei- cumulusbewölkung auf. Vom Lee zum Luv hin schau- genheiten und Details der Strömung selbst. Das Kon- end ist eine „Föhnmauer“ sichtbar. zept des hydraulischen Sprungs kommt aus der Fluid- dynamik. Das Analogon dazu in einer stabil geschichte- Die stabile Grenzfläche zwischen der Einschnittströ- ten Atmosphäre möchten wir im weiteren als „Atmo- mung und der darüber liegenden Atmosphäre sinkt sphärensprung“ bezeichnen, mit den Identifikations- nach Norden hin ab. Dieses generelle Absinken wird merkmalen einer abrupten Verdickung und Verlangsa- moduliert von mehreren abrupten Anstiegen der Isen- mung der Schicht, eines Anstiegs des reduzierten Bo- tropen, die immer mit Variationen der lokalen Topo- dendrucks, von Turbulenz und (bei ausreichender graphie zusammenhängen (vgl. die fett ausgezogene Feuchte) Wolkenbänken, die sich vor allem an der mittlere Topographie): die Strömung schießt einen Rü- Unterseite und der stromaufwärtigen Seite rasch än- cken hinunter und springt dann wieder in einen lang- dern. sameren, vertikal ausgedehnteren Zustand zurück.

Der reduzierte Bodendruck (Abb. 2-2c) ist konstant bis etwa 5 km stromaufwärts vom Ein- schnitt. Wie die Grenzfläche und im Einklang mit der generellen Beschleunigung und dem Seichter- werden der Strömung fällt auch der reduzierte Bodendruck bis zum Inntal hin. Darüber moduliert gibt es leichte Druckanstiege im Bereich der Atmosphärensprünge, z. B. bei km 7-8 und 16.

Bei der Interpretation von Abb. 2-2 muss man berücksichti- gen, dass die Strömung auch quer zum Tal variiert und dass die Flug- zeug- und Radiosondenmessun- gen, aus denen der Vertikalschnitt hauptsächlich konstruiert wurde, nicht immer direkt über der Auto- messung (Abb. 2-2b und 2-2c) liegt. Nicht jeder Sprung im Verti- kalschnitt ist daher an genau der gleichen Stelle in der Bodenmes- sung auffindbar – und umgekehrt. Änderungen in der seitlich be- Abb. 2-2: (a) Vertikalschnitt entlang des tiefsten Teils der Brennersenke mit Isentropen grenzenden Topographie modifi- (ausgezogen in 2 K Abstand), Nordkomponente des Horizontalwindes (schat- zieren die Strömung ebenso wie tiert; siehe Balken und 2,5 m/s Isotache strichliert, Höhe der Autobahn (fett strichliert), Föhnmauer (weiße Wellenlinie) und der mittleren Topographie Änderungen des Unterrandes und über die Wipptalbreite (fett ausgezogen). (b) Potentieller Temperaturverlauf können gleichfalls Sprünge (auch aus der Automessung entlang der Autobahn und (c) der reduzierte Druck. in der Talmitte) verursachen. 14 G. Mayr, A. Gohm: Schnelle Strömungen durch Gebirgseinschnitte promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Vor dem quer zum Wipptal verlaufenden Ge- birgszug der Nordkette tritt noch ein weiterer Atmosphärensprung auf; der Bodendruck steigt zum Fuß der Nordkette hin wieder leicht an.

Dieser allgemeine Druckfall stromabwärts vom Einschnitt mit den kleinräumigen Mo- dulationen durch Atmosphärensprünge tritt bei allen schnellen Einschnittströmungen auf und taucht daher auch im Mittel in längeren Messreihen (Abb. 2-3a und 2-3b) auf. Der Sprung unmittelbar stromabwärts des Bren- nereinschnitts findet sich bei seichtem Föhn (Strömung nur durch die Einschnitte) und hochreichendem Föhn (Strömung auch über den Gebirgshauptkamm), ebenso wie der Sprung ungefähr in der Mitte des Wipptals. Der Betrag des Druckfalls ist bei hochrei- chendem Föhn größer, da die Luft weiter (und aus größeren) Höhen herabsteigt. Abb. 2-3: Mittlerer Verlauf des reduzierten Drucks, gemessen an automati- Das hydraulische Konzept scheint das Wesent- schen Wetterstationen entlang der Brennersenke während MAP liche der Strömung zu erfassen: numerische Si- für (a) seichten Föhn (=reine Einschnittströmung) und (b) hoch- mulationen mit einem hydraulischen Modell reichenden Föhn (Einschnittströmung und Strömung über den mit einer homogenen fließenden Schicht Hauptkamm); (c) und (d) enthalten die entsprechenden Ergeb- nisse von numerischen Simulationen der Höhenänderung der flie- (Abb. 2-3c und 2-3d) zeigen einen qualitativ ßenden Schicht in einem einschichtigen Flachwassermodell. Die ähnlichen Verlauf wie die Bodendruckbeob- strichlierten Balken überdecken eine Standardabweichung (aus achtungen. Dabei ist die Änderung der Ober- GOHM und MAYR 2004). grenze der fließenden Schicht im Modell pro- portional dem reduzierten Bodendruck.

Die hydraulischen Simulationen machen auch nochmals deutlich, wie sehr Topo- graphiedetails die Strömung bestimmen (Abb. 2-4). Die Strömung wird an vielen Lee- hängen der seitlich in das Wipptal hineinra- genden Rücken überkritisch, d. h. dünner und viel schneller. Und das für die unterschied- lichsten Dicken und Geschwindigkeiten der Schicht im Luv (und Lee). Je hochreichender die Luft über den Hauptkamm kommt, an desto größeren Bereichen der Leehänge des Hauptkamms und der seitliche ins Tal mün- denden Rücken kommt es zu überkritischer Strömung. Bevor das Gelände wieder an- Abb. 2-4: Häufigkeit, mit der die Strömung in einer Vielzahl von numeri- steigt bzw. enger wird, geht die Strömung in schen Simulationen mit unterschiedlichen Anfangsbedingungen von (a) seichtem und (b) hochreichenden Föhn in einem ein- einem Atmosphärensprung zurück in den schichtigen Flachwassermodell überkritisch wurde. Isolinien der langsameren und dickeren unterkritischen Häufigkeit: 25 %, 50 % und 75 %. Gebiete, in denen die Strömung Zustand. in mindestens 50 % aller Fälle überkritisch war, sind punktiert. Die Orte Innsbruck (I) und Brenner (B) sind markiert (aus GOHM Die Lage der Sprünge in den Simulationen und MAYR 2004). wird von Wolkenbeobachtungen bestätigt. Wenn die Luft abrupt wieder nach oben aus- gelenkt wird, erreicht sie bei typischen Feuch- 2.2 Auswirkungen von Reibung, Turbulenz und teverhältnissen im Wipptal das Hebungskon- Strömungsablösung densationsniveau. Besonders an der Wolken- basis und der stromaufwärtigen Wolkenseite Bodenreibung wirkt auf Einschnittströmungen nicht wird die Turbulenz sichtbar durch Wolkenele- nur von unten, sondern auch von den rauen seitlichen mente, die sich rasch verändern. Begrenzungen her. Die dadurch erzeugten turbulenten promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 G. Mayr, A. Gohm: Schnelle Strömungen durch Gebirgseinschnitte 15

Grenzschichten in Verbindung mit der Seichtheit der Strömung beeinflussen diese durch die Verringerung der kinetischen Energie wesentlich. Entlang der seit- lichen Ränder wird Vorticity von entgegengesetztem Vorzeichen erzeugt: zyklonale am (stromabwärts schauend) linken und antizyklonale am rechten Rand. Man erhält Streifen von potentieller Vorticity, deren Magnitude um ein Vielfaches höher ist als in der Stra- tosphäre und durchaus 50 PVU erreichen kann. Nicht Seehöhe in km nur die Grenzschicht, sondern auch die Atmosphären- Relative Rückstreuung sprünge sind turbulent und Quellgebiete von poten- (in dB bei 532 nm) tieller Vorticity.

Reibung spielt auch eine Rolle, wenn die Stromlinien Entfernung in km nicht mehr dem Gelände zu folgen vermögen und sich von diesem lösen („Strömungsablösung“). Schießt eine Strömung überkritisch einen (steilen) Hang hinunter, Breite/Länge in Grad liegt außerhalb dieser schießenden Schicht auf gleich- Abb. 2-5: Vertikalschnitt der Rückstreuintensität entlang des er Höhe etwas weiter stromabwärts (potentiell) kälte- östlichen Wipptalrandes vom 20.10.1999, 13:50 - 13:53 re Luft mit höherem Druck. Die daraus entstehende UTC, gemessen von einem flugzeuggestützten Aero- Druckgradientkraft trägt zur Strömungsablösung bei. sollidar. Die Strömung läuft dabei von links nach Je stärker die Reibung, desto weiter oben am Hang löst rechts. Rot: Einschnittströmung mit hohem Aerosol- sich die Strömung ab. Ein weiterer Faktor ist die im gehalt, blau: darüber liegenden Atmosphäre. Der wei- Lee in Bodennähe liegende Luftmasse. Ist sie sehr kalt, ße Balken kommt daher, dass dort der Laserstrahl z. B. durch nächtliche Auskühlung, so wird sich die von einer Wolke blockiert wurde. Weitere Einzelhei- ten im Text (aus GOHM und MAYR 2004). schießende Strömung auch vom Hang lösen und darü- ber hinweggleiten.

Durch Strömungsablösung ist es am Talboden oft ru- in den seltensten Fällen neutral, sondern kontinuier- hig, während etwas oberhalb der Föhn bläst. Abb. 2-5 lich stabil geschichtet ist, beeinträchtigt die Anwend- zeigt ein Beispiel am Ostrand des Wipptals (mit höhe- barkeit des Hydraulikkonzepts weniger. rer Topographie als über Talmitte) bei der Einmün- dung ins quergelegenen Inntal. Die Daten stammen Für Strömungen, die in der Vertikalen nicht weit über von einem flugzeuggetragenen Aerosollidar. Die Ein- den Gebirgskamm reichen, also hauptsächlich auf die schnittströmung (rot) hat im Gegensatz zur darüber Einschnitte beschränkt sind, funktioniert die hydrauli- liegenden Luft (blau) einen deutlich höheren Aerosol- sche Theorie gut. Ein Beispiel dafür ist der seichte gehalt. Die zuerst relativ dicke und langsame Strö- Föhn. Fließt Luft bis weit oberhalb des Gebirgskamms mung beschleunigt schon etwas vor dem Berggipfel über das Hindernis wie beim hochreichenden Föhn, ist (PAK) so stark, dass sie nur mehr wenige hundert Me- die hydraulische Theorie auch wegen des Fehlens der ter dünn den Leehang hinunter schießt und bei etwa stabilen Stufe am Oberrand nur mehr bedingt an- 9 km sich mit einem Atmosphärensprung vom Hang wendbar und als Konzeptmodell eignet sich die linea- ablöst. Die hohe Turbulenz im Sprung mischt darüber risierte Schwerewellentheorie besser. liegende Luft ein (gelbe und grüne Falschfarben). Die Luft mit dem hohen Aerosolgehalt im Inntal (IBK) ist Föhnluft aus dem Wipptal, die an der Nordkette (NK) 3 Vorhersage abgelenkt wurde. In den Alpen, aber auch in anderen Gebirgszügen sind Gebirgseinschnitte meist besiedelt. In Verbindung mit 2.3 Grenzen des Hydraulikkonzepts ihrem häufigen Auftreten stellen schnelle Strömungen durch Einschnitte eine kleinräumige Vorhersage- Für eine exakte Anwendbarkeit des hydraulischen herausforderung dar. Im Wipptal zum Beispiel gab es Konzepts muss die fließende Schicht homogen sein, während der 70tägigen Feldmesskampagne von MAP d. h. neutral geschichtet sein und nur einen Dichte- im Herbst 1999 an manchen Orten bis zu etwa 1/3 der bzw. potentiellen Temperaturwert aufweisen und von Zeit Föhn (= schnelle Einschnittströmungen). Für den der benachbarten Schicht durch eine Dichte“stufe“ ge- Meteorologen ist es wichtig zu erkennen, wann die Be- trennt sein. Das Fehlen dieser „Stufe“ in der potentiel- dingungen für eine Einschnittströmung gegeben sind. len Temperatur ist die häufigste Ursache, wieso das Die konkrete Beschreibung erfolgt zwar für die Bren- Hydraulikkonzept nicht angewandt werden kann, weil nersenke, lässt sich aber leicht an den jeweiligen Ein- dann keine Entkoppelung zur darüber liegenden At- schnitt in den Alpen bzw. anderen Gebirgszügen an- mosphäre gegeben ist. Dass eine Einschnittströmung passen. 16 G. Mayr, A. Gohm: Schnelle Strömungen durch Gebirgseinschnitte promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

3.1 Zeitliche Entwicklung der Einschnittströmung

Wie kommt es eigentlich zu einer schnellen Strömung durch einen Einschnitt? Einmal, wenn zwei verschie- dene Luftmassen auf beiden Seiten des Gebirges lie- gen, so dass hydrostatisch bedingt ein Druckunter- schied entsteht bzw. die Isentropen auf der einen Seite einen Kaltluftdom bilden und auf der anderen eine Warmluft„schüssel“. Ein Druckgradient ist auch dann vorhanden, wenn die synoptische (geostrophische) Strömung parallel zum Gebirge weht (im Fall der Brennersenke also aus Westen kommt). Da das Gebir- ge aber diese geostrophische Strömung modifiziert, kann je nach Gebirgsform und Lage des Einschnitts, der mesokalige Druckgradient ganz anders ausschau- en (ZÄNGL 2002). Und natürlich kommt es zu einer Einschnittströmung bei einer Anströmung auf das Ge- Abb. 2-6: Bedingte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von birge in Richtung des Einschnitts. Föhn am Wipptalboden aus einer 48stündigen Vor- hersage des ECMWF T511 Modells in Abhängigkeit Die typische synoptische Abfolge für die Strömung von der Differenz des reduzierten Drucks zwischen dem jeweils ersten Gitterpunkt südlich und nördlich durch die Brennersenke ist, dass zuerst eine Kaltfront des Modellhauptkamms und der potentiellen Tempe- vom Norden der Alpen über und um diese herum auf raturänderung entlang einer etwa 300 m über dem die Südseite gelangt, so dass auf der Nord- und Südsei- Modellgebirge gelegenen Modellfläche vom Haupt- te Kaltluft liegt. Um den nachfolgenden Keil herum kamm bis zum ersten nördlichen Gitterpunkt. Die ho- und auf der Vorderseite des nächsten Troges wird (re- rizontale Maschenweite ist etwa 40 km. lativ) warme Luft an der Westseite der Alpen vorbei nach Nordosten geführt, während auf der Südseite (in der Poebene) immer noch die Kaltluft liegt. Der sam im Luv, schnell und dünner im Lee) bedeutet, dass hydrostatisch bedingte Druckunterschied reicht aus, die Isentropen in der (Föhn)schicht absteigen und dass um eine Strömung durch die Brennersenke in Gang zu hoher Druck im Luv und niedrigerer im Lee herrscht. setzen, während oberhalb des Alpenhauptkamms die Durch die Berechnung bedingter Häufigkeitsvertei- Strömung noch nicht auf Süd, sondern ungefähr paral- lung des Druckunterschiedes zwischen den beiden Sei- lel zu den Alpen weht. Dieses Stadium wird als „seich- ten des Modellgebirges und des Absinkens der Isen- ter Föhn“ bezeichnet, wie Abb. 2-1 für das Beispiel des tropen vom Modellhauptkamm zum ersten leeseitigen 20. Oktobers 1999 zeigt. Erst wenn sich der Trog weiter Gitterpunkt bei Föhn für einen mehrjährigen Daten- annähert, reicht die Queranströmung über den Kamm satz können nun probabilistische Föhnvorhersagen bis in größere Höhen und die Luft fließt nicht mehr (Abb. 2-6) für das Wipptal gemacht werden (DRECH- nur durch die Alpenpässe, sondern auch über den SEL und MAYR 2005). Bei einem Druckunterschied Hauptkamm nach Norden: „hochreichender“ Föhn von über 3 hPa zum Beispiel ist eine Einschnittströ- (vgl. 21. Oktober in Abb. 2-1). mung sehr wahrscheinlich. Aber auch bei geringeren Druckdifferenzen kann eine Einschnittströmung vor- hergesagt werden, wenn die Isentropen im Modell ent- 3.2 Objektive Vorhersage sprechend stark absinken. Durch die bedingten Häu- figkeiten ist der Meteorologe imstande nicht nur eine Örtliche, mit dem Phänomen vertraute Meteorologen Ja/Nein-Aussage zu machen, sondern eine Eintritts- liefern gute subjektive Vorhersagen. Eine objektive wahrscheinlichkeit anzugeben. Vorhersage ist schwieriger, weil für globale Vorhersa- gemodelle ein Einschnitt wie die Brennersenke sub- Für eine direkte Vorhersage der Einschnittströmungen skalig ist. Dabei ist zu bedenken, dass selbst in Regio- muss sich noch die horizontale und vertikale Auflö- nalmodellen (typische Maschenweite 10 km) die Topo- sung der operationellen Vorhersagemodelle verfeinern graphie nur unzureichend aufgelöst ist. In der Modell- und Parameterisierungen und die Initialisierung muss topographie gibt es oft nicht einmal eine Andeutung verbessert werden. Forschungsmodelle wie z. B. MM5 eines solchen Einschnitts. Die direkte Verwendung des mit Gittermaschenweiten unter 1 km waren in Kombi- Modellwindes vom nächstgelegenen Gitterpunkt muss nation mit den Feldmessdaten essentiell zum Ver- also nicht aussagekräftig sein (und ist öfters so gar ent- ständnis von Einschnittströmungen (z. B. ZÄNGL gegen gerichtet). Die objektive Vorhersage könnte 2003, GOHM et al. 2004). Die Beobachtungen wäh- klassisch über Model Output Statistics (MOS) ge- rend MAP waren detailliert genug, um zu zeigen, dass macht werden. Ein reizvoller alternativer Weg ist, sich solch feinskalige Simulationen viele Details korrekt die zugrunde liegenden Mechanismen zunutze zu ma- wiedergeben, aber nicht perfekt sind. Nicht gut erfasst chen: Die Asymmetrie der Strömung (dick und lang- wurde die Inversion, welche die Föhnströmung nach promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 G. Mayr, A. Gohm: Schnelle Strömungen durch Gebirgseinschnitte 17 oben hin begrenzt. Das ist wahrscheinlich eine Frage MAYR,G. J., L. ARMI, S. ARNOLD, R. M. BANTA, L. S. DAR- der korrekten mesoskaligen Anfangsbedingungen. BY, D. R. DURRAN, C. FLAMANT, S. GABERSEK, A. Weiterhin braucht es verbesserte Turbulenzparamete- GOHM, R. MAYR, S. MOBBS, L. B. NANCE, I. VERGEI- NER, J. VERGEINER, C. D. WHITEMAN, 2004: Gap flow risierungen, die berücksichtigen, dass turbulente Rei- measurements during the Mesoscale Alpine Programme. Me- bung in einem Einschnitt auch auch durch die begren- teorol. Atmos. Phys. 86, 99-119. zenden Hänge verursacht wird. PAN, F., R. B. SMITH, 1999: Gap winds and wakes: SAR Ob- servations and numerical simulations. J. Atmos. Sci. 56, 905- 923. Literatur SCHÄR, C., 2002: Mesoscale mountains and the larger-scale atmospheric dynamics: A review. In: R. P. Pearce (Hrsg.), Me- DRECHSEL, S., G. J. MAYR, 2005: Objective forecasting of teorology at the Millenium, Academic Press, San Diego, 29-42. foehn for a subgrid-scale Alpine valley. Submitted to nd and Forecasting. WMO, 1992: International meteorological vocabulary, 2 edi- tion, WMO-Pub. 182, Genf, 784 S. GOHM, A., G. J. MAYR,2004: Hydraulic aspects of foehn winds ZÄNGL, G., 2002: Stratified flow over a mountain with a gap: Li- in an Alpine valley. Quart. J. R. Meteorol. Soc. 130, 449-480. near theory and numerical simulations. Quart. J. R. Meteorol. GOHM, A., G. ZÄNGL, G. J. MAYR, 2004: South foehn in the Soc. 128, 927-949. Wipp valley on 24 October 1999 (MAP IOP 10): Verification ZÄNGL, G., 2003: Deep and shallow south foehn in the region of high-resolution numerical simulations with observations. of Innsbruck: Typical features and semi-idelized numerical si- Mon. Wea. Rev. 132, 78-102. mulations. Meteorol. Atmos. Phys. 83, 237-262. 18 promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 18-24 (März 2006) © Deutscher Wetterdienst 2006

A. DÖRNBRACK, R. HEISE, J. P. KUETTNER 3 Wellen und Rotoren Waves and rotors

Zusammenfassung Die Strömung über Gebirgskämme regt regelmäßig Wellenbewegungen über dem Gebirge und in seinem Lee an, deren Kämme bei geeigneten Feuchtigkeitsverhältnissen durch stationäre Lenticularis-Wolken markiert sind. In Bodennähe können sich dabei auch Rotorströmungen mit einer horizontalen Achse parallel zum Ge- birgskamm ausbilden. Dieser Beitrag skizziert Meilensteine der Vermessung und numerischen Simulation dieser für die Fliegerei sehr relevanten Phänomene aus einem Zeitraum von nicht weniger als 70 Jahren.

Abstract Flow across mountain ridges regularly induces wave motions above the mountains and on their lee side, the crests of which are marked by lenticular clouds in suitable moisture conditions. Near the ground rotor flows around a horizontal axis parallel to the ridge are also possible. This contribution collects milestones for the measurement and numerical simulations of these phenomena with direct relevance for aviation from a period of no less than 70 years.

1 Einleitung hohe Schule des Segelfluges“ (Verlag Klasing & Co., Berlin 1933), aufgeschrieben von W. HIRTH nach dem Im Frühjahr 2006 wird in und über der Sierra Nevada Segelflug, der zur Entdeckung der Leewellen und der (USA) das Terrain-Induced Rotor Experiment Rotoren unter der Moazagotl-Wolke am Riesengebir- (T-REX) stattfinden. Diese Feldkampagne wird bo- ge (Abb. 3-1) führte: dengebundene Messsysteme und Forschungsflugzeuge „Als nach einer halben Stunde die Vorbereitungen beendet waren, zusammenführen, um die Struktur von Rotoren im folgte der aufregendste Schleppstart meines Lebens. Durch eine Lee der Sierra Nevada und die durch die Gebirgsüber- außerordentlich verwirbelte Luft ging es in niedriger Höhe über strömung angeregten Schwerewellen, deren Instabi- Baumwipfel, Hochspannungsleitungen und Schornsteine. Kaum hatten wir uns 50 m erkämpft, warf uns eine Bö wieder auf 20 m litäten und das Wellenbrechen bis hinein in die Strato- herab. Die Motormaschine vor mir tanzte wie ein wildgewordenes sphäre zu untersuchen. Der Ort im Owens Valley und Pferd. Wohl zehnmal war ich nahe daran, die Verbindung zu lö- die Jahreszeit von T-REX sind identisch mit den in den sen. Aber ein schwerer Sturz der Motormaschine, durch das her- 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts durchgeführten abhängende Seil verursacht, hätte die Folge sein können. Also Sierra Wave Project und dem Mountain-Wave Jet Stre- hieß es die Zähne zusammenbeißen und aushalten. Endlich, nach fünf schweren Minuten, waren 100 m Höhe gewonnen. Nun folg- am Project (GRUBIŠI und LEWIS 2004). Dieser Ar- te eine Periode schnellen Steigens bis in 800 m Höhe ... Die Unru- tikel versucht, die heutigen wissenschaftlichen Frage- he der Luft war auch in dieser Höhe außerordentlich, aber nicht stellungen von T-REX aus den Ergebnissen vergange- mehr so gefährlich wie in der Nähe des Bodens.“ ner Kampagnen und aktueller Anforderungen zu er- klären und dabei die Höhepunkte der Rotorforschung der vergangenen Jahrzehnte aufzuzeigen. Zuerst ein- mal gehen wir der Frage nach:

2 Was sind Rotoren?

Rotoren sind Wirbel mit horizontalen Rotationsachsen parallel zu einem Gebirgskamm, die sich in der unte- ren Atmosphäre bei der Überströmung im Lee von Gebirgen bilden. Rotoren, auch Wirbelwalzen ge- nannt, entwickeln sich nur, wenn die Anströmge- schwindigkeit senkrecht zum Hindernis hinreichend groß ist. Die Struktur und Entwicklung von Rotoren Abb. 3-1: Das Moazagotl des Riesengebirges, fotografiert am sind sowohl mit den über ihnen liegenden Leewellen 11. Dezember 1936. Blick von Grunau nach Süden als auch mit turbulenten Ablöseprozessen in der der Strömung entgegen (zur Orientierung siehe Abb. 3-8). Die mehrfache Schichtung und die lamina- Grenzschicht verbunden. re Wellenstruktur der Lenticularis-Wolke sind er- kennbar; darunter die Föhnmauer und die in der Wir- Eine erste anschauliche Schilderung dieses gekoppel- belwalze durch starke Turbulenz zerrissenen Cumuli ten Systems Welle-Rotor findet man in dem Buch „Die fracti (aus KÜTTNER 1938). promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 A. Dörnbrack et al.: Wellen und Rotoren 19

Diese Schilderung legt eine ausgeprägte vertikale (a) Zweiteilung der Atmosphäre nahe: eine bodennahe, turbulente Grenzschicht und darüber eine ruhigere, oft laminare Schicht, in der Wellenflüge möglich sind. Ba- sierend auf zahlreichen Beobachtungen und theoreti- schen Untersuchungen wissen wir, dass das Auftreten Höhe in km dieser Leewellen im wesentlichen durch zwei atmo- sphärische Parameter bestimmt wird: die thermische Schichtung der Atmosphäre, charakterisiert durch die 2 ⌰ ⌰ BRUNT-VÄISÄLÄ Frequenz N (N =g/ 0 d 0/dz, mit ⌰ Entfernung in km der potentiellen Temperatur 0), und die horizontale Windgeschwindigkeit U0, wobei der Index „0“ einen (b) ungestörten Zustand stromauf eines Hindernisses kennzeichnen soll.

Basierend auf der linearen Wellentheorie einer homo- gen Anströmung (konstantes N und U0) kleiner Berge leiteten QUENEY (auf der f-Ebene) und LYRA (für Höhe in km die nichtrotierende Atmosphäre) in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts Bedingungen ab, unter de- nen sich Wellen vertikal in die Atmosphäre ausbreiten können (GILL 1982). Für die nicht-rotierende Atmo- Entfernung in km π λ sphäre muss die Bedingung k< (k=2 / x ist die hori- Abb. 3-2: Potentielle Temperatur (∆⌰=1 K) nach 2 h Integra- ≈ zontale Wellenzahl des Hindernisses und N/U0 ist tionszeit für eine idealisierte, trockene 2D-Simulation der SCORER-Parameter) erfüllt sein; nur unter diesen der Überströmung eines 600 m hohen Berges ohne Bedingungen erlauben die linearisierten Bewegungs- (a) und mit (b) innerer Reibung. Die ungestörten An- ⌰ gleichungen vertikal propagierende Wellen (siehe fangsbedingungen U0 und 0 sind für beide Rechnun- auch: SMITH 1979). Schreibt man diese Bedingung gen identisch. Die thermische Schichtung ist durch schichtweise konstante Werte der BRUNT-VÄISÄ- k< (d. h. breitere Hindernisse, oder alternativ größere -1 LÄ Frequenz gegeben: NU=0,025 s für z < H=3 km Stabilität und geringere Windgeschwindigkeit) in der -1 und NO=0,01 s darüber; der Horizontalwind U0 be- Form U0k voll ist zu erkennen, dass die reibungsbehaftete Strö- π2/4H2, wobei H die Dicke der unteren Schicht ist. Ne- mung eine turbulente atmosphärische Grenzschicht ben dem Vorhandensein eines starken Horizontalwin- ausbildet, in der man vielleicht ähnliche Auf- und Ab- des ist das Auftreten von Leewellen also vor allem mit bewegungen erleben könnte, wie die von W. HIRTH einer Veränderung der Dichteschichtung als Funktion geschilderten. der Höhe verbunden, was sich in der Abnahme des SCORER-Parameters (z) mit der Höhe widerspie- In der Natur hängt die Entwicklung und Stärke von gelt. Rotoren u. a. sehr stark von der Bodenbeschaffenheit ab. DOYLE and DURRAN (2002) untersuchten sys- Die zweidimensionale Überströmung eines breiten tematisch die Stärke (charakterisiert durch den Betrag Hügels wird für diese idealisierte Situation in Abb. 3-2 der horizontalen Rückströmung) simulierter Rotoren dargestellt. Die Muster der Isentropen (Linien kon- für variierende Impuls- und Wärmeflüsse am Boden. stanter potentieller Temperatur ⌰) lassen auf Leewel- Die Stärke und Mächtigkeit des Rotors nimmt mit zu- len und Rotoren schließen. Die Rechnungen wurden nehmenden Impulsfluss (proportional der Oberflä- mit dem anelastischen, nichthydrostatischen Modell chenrauigkeit) ab, wohingegen eine Erhöhung des 20 A. Dörnbrack et al.: Wellen und Rotoren promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Abb. 3-3: Abhängigkeit der Rotorstärke (in m/s – durchgezogene Linie) und -mächtigkeit (in m – gestri- chelte Linie) als Funktion der

Oberflächenrauigkeit z0 und des Wärmeflusses am Boden. Die Ergebnisse stammen aus ideali- sierten 2D numerischen Simula- Rotorstärke in m/s Rotorstärke Rotorstärke in m/s Rotorstärke tionen von DOYLE und DUR- Rotormächtigkeit in m Rotormächtigkeit in m RAN (2002) mit ähnlicher Kon- figuration wie unsere Simulatio- nen in Abb. 3-2. 2 Oberflächenrauigkeit z0 in m Bodenwärmefluss in W/m

Wärmeflusses zwar die vertikale Erstreckung des Ro- tors ausdehnt, aber deutlich die horizontale Rückströ- mung verringert (Abb. 3-3).

Aber auch andere Faktoren beeinflussen die vertikale Erstreckung von Rotoren. Basierend auf realitätsna- hen Anströmprofilen aus dem Sierra Wave Project ha-

Höhe in m ben HERTENSTEIN und KUETTNER (2005) mittels idealisierter 2D numerischer Simulationen herausge- funden, dass die vertikale Scherung des Horizontal- windes in einer Inversionsschicht bestimmt, ob sich Rotoren ausbilden, die über die Höhe des Hindernis- ses hinausschießen oder unter der Gipfelhöhe bleiben Abstand in km (Abb. 3-4).

Numerische Simulationen von Rotoren sind sehr auf- wendig, da man die turbulenten Ablöseprozesse am Boden räumlich auflösen muss und die hohen Windge- schwindigkeiten durch das COURANT-FRIEDRICH- LEVY Kriterium einen kleinen Zeitschritt erzwingen. Eigene numerische Experimente während der Vorbe- Höhe in m reitung dieses Artikels zeigten zudem, dass die nume- rischen Lösungen sehr sensitiv auf minimale Änderun-

gen in den ungestörten Anfangsbedingungen U0 und ⌰ 0 reagieren; dies lässt die Vorhersage der Position, Stärke und Höhe von Rotoren zu einer großen He- Abstand in km rausforderung werden.

Abb. 3-4: Stromlinien aus einer idealisierten 2D-Simulation von Bei passenden Feuchteverhältnissen weist die Anwe- HERTENSTEIN und KUETTNER (2005), die die senheit von flachen Altocumuli lenticulares am Himmel Höhe von Rotoren in Abhängigkeit der vertikalen auf Wellen und Rotoren hin. Diese Wolken mit dem Windscherung dU /dz in der Inversionsschicht zwi- 0 glatten, abgerundeten oberen Rand und der konkaven schen 4,2 und 4,8 km zeigen. Oben: dU /dz=10-2 s-1,un- 0 Wolkenbasis sind quasi-stationäre Erscheinungen im ten: dU0/dz=0. Der Gipfel des Hindernisses liegt bei x=0 in einer Höhe von 4000 m. Lee des Gebirges. Die Wolkenpartikel bilden sich kon- tinuierlich an der meist glatten Einströmkante und die Tröpfchen oder Eiskristalle verdampfen an der stromab gelegenen Seite. Unterhalb dieser Wolken beobachtet man aber auch häufig Cumuli fracti, die durch die star- ken Turbulenzen zerrissen werden (siehe Abb. 3-1). Abb. 3-5 zeigt ein Beispiel von zusammenhängenden Wellenwolken, aufgenommen nach dem Durchgang ei- ner Kaltfront auf dem Flugplatz von Bilbao. Was es mit diesem Foto auf sich hat, beschreiben wir im nächsten Abschnitt, der die Frage zu beantworten sucht:

Abb. 3-5: Wellenwolken am 27. 10. 2004 um 10:30 UTC am Flughafen von Bilbao, Spanien, aufgenommen von Lufthansa-Pilot Schramme. Der Landeanflug der B737 erfolgte direkt durch die Rotorlinie und war durch extreme Turbulenz gekennzeichnet (siehe Text S. 21). promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 A. Dörnbrack et al.: Wellen und Rotoren 21

3 Welche Auswirkungen hat das System Welle- kritischen Flugzuständen führen. Schwach motorisier- Rotor auf die Luftfahrt? te Luftfahrzeuge können eine zugewiesene Flughöhe (eine Notwendigkeit im mittlerweile stark frequentier- In der kommerziellen und allgemeinen Luftfahrt sind ten Luftraum der mittleren Troposphäre) unter Um- die Turbulenzen durch Rotoren und brechende Lee- ständen überhaupt nicht halten. wellen grundsätzlich bekannt; in der Ausbildung von Piloten werden Rotoren jedoch nur kurz in der Rubrik Aber auch Turbulenzen in Rotoren können zu extre- Gebirgsmeteorologie erwähnt. Allerdings lassen zahl- mer Beeinflussung des Flugverkehres führen, wie fol- reiche Unfallberichte darauf schließen, dass das Auf- gendes jüngere Beispiel vom Lufthansa-Flug LH 4500 treten und die Auswirkungen von Rotoren auf Luft- von Frankfurt/Main nach Bilbao (Spanien) am fahrzeuge häufig unterschätzt werden. Erfahrungen 27. Oktober 2004 verdeutlicht. Auf der Rückseite einer aktiver Piloten, Ausbilder und Vorhersager für den Kaltfront (Abb. 3-7a) herrschte im Anflug der B737 Luftverkehr unterscheiden folgende Konsequenzen auf Bilbao eine straffe Südströmung mit 65–70 kn in des Systems Welle-Rotor für die kommerzielle, die all- 3000 ft. Der Sinkflug auf die Landebahn 12 (Ausrich- gemeine und die militärische Luftfahrt: tung auf 120°) erfolgte im Lee der umliegenden Berge direkt durch eine Rotorlinie (Abb. 3-7b). Am Boden Vertikal nach oben propagierende Wellen können im wurde ein böiger Südostwind mit einem Mittelwert oberen Luftraum (in großer Höhe über dem auslösen- den orographischen Hindernis) brechen (s. Abb. 3-6). Brechende Leewellen werden im fliegerischen Sprach- gebrauch der Clear Air Turbulence (CAT) gleichge- setzt. Ein spektakuläres Beispiel ist die Beschädigung des Tragflügels und der Verlust eines Triebwerks einer DC-8 Frachtmaschine im Lee der Rocky Mountains (CLARK et al. 2000). Intensive Leewellenaktivität kann unter Umständen den Überflug hochreichender Gebirge (z. B. Anden, Himalaja) durch extreme Verti- kalwinde (bis zu 20 m/s) und welleninduzierte Turbu- lenzen stark behindern oder sogar unmöglich machen.

Im Bereich zwischen der optimalen Reiseflughöhe und dem höchsten aerodynamisch möglichen Fluglevel verringert sich das „fliegbare“ Geschwindigkeitsband eines Flugzeuges. Für eine B737 mit 51 t Gewicht liegt in FL370 (37000 ft ≈ 11,1 km) der mögliche Geschwin- Abb. 3-7a: Hochaufgelöstes METEOSAT 8 Satellitenbild vom digkeitsbereich für den Geradeausflug zwischen 185 27. Oktober 2004 um 1430 UTC. Das Tief „Carolin“ lag südwestlich von Irland und die Nord-Süd ausge- und 260 kn. Diese „fliegbare“ Spanne von 75 kn richtete Kaltfront über Spanien in der Mitte des Bil- (~38 m/s) reduziert sich bei leichten Ausweichmanö- des führte zu einer starken Südströmung im postfron- vern (Kurven mit größerer Schräglage) weiter um talen Bereich.Am Unterrand des Bildes erkennt man 55 kn auf 20 kn. Bei starken vertikalen Auf- und Ab- den nordwestlichen Teil von Afrika (Bildbearbeitung winden der Leewellen ist dann ein korrektes Halten durch Waldemar Krebs, DLR Oberpfaffenhofen). der Flughöhe fliegerisch nicht möglich und kann zu

Abb. 3-7b: In diesem Ausschnitt von Abb. 3-7a erkennt man in der Nähe von Bilbao streifenförmig angeordnete Wolkenwalzen westlich des Cirrusschirmes (inner- Abb. 3-6: Turbulenzgefährdete Gebiete (⌳) im Lee eines Gebir- halb der gestrichelten Ellipse). Die Wolkenlücken ges: in brechenden Wellen in der Höhe und an Rotoren deuten auf welleninduzierte Absinkzonen im Lee des in Bodennähe. kantabrischen Gebirges hin. 22 A. Dörnbrack et al.: Wellen und Rotoren promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 von 25 kn und Windspitzen bis zu 50 kn beobachtet. pendeln (oszillierende Nickbewegungen) von Jets im Die Schwankungen der Fluggeschwindigkeit der B737 militärischen Tiefflug unter 1000 ft kann zu Bodenbe- betrugen 20 bis 30 kn und die vom Flugkapitän beob- rührungen mit fatalen Folgen führen. Verschiedene Ty- achtete Turbulenz wurde als extrem klassifiziert. pen von großen Transportflugzeugen verfügen über ei- ne herstellerbedingte Limitierung bei Flügen in mäßi- Der Pilot (er nahm das Photo in Abb. 3-5 auf) ist ein ger und starker Turbulenz. Eine Flugmission in Regio- rotorerfahrener Segelflieger. Er hat in seiner 30-jähri- nen mit vorhergesagter Turbulenz dieser Stärke ist gen Flugerfahrung diese ungewöhnlich starke Roto- flugausschließend, weil eine Veränderung des Schwer- renturbulenz bis zu diesem Ereignis noch nicht erlebt; punktes des Transporters durch nicht ausreichend be- ein eindrucksvolles Beispiel, dass heute Turbulenz in festigten Güter und Fahrzeuge im Frachtraum zum Rotoren eine unmittelbare Gefahr auch für die kom- Absturz führen kann. merzielle Luftfahrt mit großen Maschinen darstellen kann. Im nächsten Abschnitt wollen wir uns kurz vor Augen führen, wie die wissenschaftliche Erforschung von Ro- Viele Luftfahrzeugbesatzungen meiden im Normalfall toren und Wellen vor siebzig Jahren begann, deswegen bei solchen atmosphärischen Bedingungen exponierte ein: Flughäfen in der Nähe von Gebirgen. Kommt man je- doch ungewarnt in eine solches Gebiet, werden uner- fahrene Piloten vom akustischen „WIND SHEAR“- 4 Historischer Rückblick: Die Entdeckung der Hinweis im Cockpit gewarnt und versuchen gemäß Leewelle Flugbuchanweisung (windshear encounter) in niedri- ger Höhe ein „Durchstarten“ („GO AROUND“). Der 17. März 1933 war der Tag der Entdeckung der Diese Verfahrensweise ist jedoch bei Bedingungen wie Leewelle. Über dem Hirschberger Tal in Schlesien denen in Bilbao gefährlich, weil dort ein Weiterflug im steht die dort wohlbekannte Lenticularis-Wolke, die engen, ansteigenden Tal erfolgen müsste. Bei Ausfall man im Volksmund „Moazagotl“ nennt (Abb. 3-1). eines Triebwerks ist durch Leistungsverlust und die Trotz des starken Südwindes bewegt sie sich nicht. starken Abwinde der Rotoren ein Aufprall oder Flug- Wolf Hirth – ein inzwischen weltbekannter Segelflug- unfall sehr wahrscheinlich. Nur ein versierter, geschul- pionier – beobachtet sie aufmerksam vom Hirschber- ter und rotorerfahrender Pilot ist in der Lage, die Auf- ger Flugplatz (zur geographischen Orientierung, siehe windbereiche der Rotoren zu nutzen und den Leis- Abb. 3-8). Als er zu der 5 km entfernten Segelflug- tungsverlust des Flugzeugs zu kompensieren und somit schule Grunau, dessen Direktor er ist, hinüberblickt, das Risiko zu minimieren. sieht er ein Segelflugzeug in schier unglaublicher Hö- he über dem Südhang der Schule segeln. Zu dieser Zeit Neben den direkten Auswirkungen auf das Flugzeug galt (nach einer Faustregel), dass man im „Hangflug“ führen auch moderate Turbulenzen zu einer erschwer- höchstens die doppelte Hanghöhe erreichen könne, al- ten Ablesbarkeit von Bordinstrumenten und zu erheb- so über dem 200 m hohen Südhang höchstens 400 m. lichen Einschränkungen im Komfort der Passagiere, Dieses Segelflugzeug mit dem Piloten Hans Deutsch- die manchmal zu schweren Verletzungen von Passagie- mann aber flog weit über 1000 m hoch und schien noch ren und Kabinenpersonal führen. weiter zu steigen. Hirth sprang in sein Segelflugzeug und ließ sich vom Hirschberger Flugplatz hoch schlep- Für die allgemeine Luftfahrt, wo der Betrieb der Luft- pen. An diesem Tag entdeckte er nicht nur die Leewel- fahrzeuge vorwiegend nach Sichtflugregeln erfolgt, len, sondern auch die unter ihnen liegenden Rotoren. gilt: Bei Sonderlande- und kleineren Sportflugplätzen Er beschreibt seinen Schleppflug mit den eindrucks- führt die fehlende Kenntnis des Rotorstandortes zu vollen Worten, die wir im Abschnitt 2 zitierten, um den kritischen Landeanflügen oder sogar zum Absturz des Leser bildlich in das gekoppelte System Welle-Rotor Fluggerätes infolge Strömungsabriss. Für Gleitschirm- einzuführen. Die beiden Segelflugzeuge stiegen auf und Drachenflieger sowie für Ballonfahrer sind die 1400 m. Von dieser Höhe konnten sie das 25 km weiter Turbulenzen in den Rotoren fliegerisch kaum be- südlich vorgelagerte, etwas 1500 m hohe Riesengebir- herrschbar. Eine Belastung der Flugzeugzelle von ge klar sehen. Hirth zog die korrekte Schlussfolgerung, Ultraleicht- und Leichtflugzeugen oberhalb der Zulas- dass die Aufwinde nicht durch den kleinen Grunauer sungsgrenzen kann zu Verlust der Tragflächen und Hügel, sondern durch das Riesengebirge ausgelöst Steuerruder führen. wurden.

Im Bereich der militärischen Luftfahrt, insbesondere Nach diesem Flug wurde beschlossen, das Stromfeld im Tiefflug, ist bei Hubschraubern die starke vertikale zwischen Riesengebirge und Grunau auf folgende Windscherung in den Rotoren mit einer hohen mecha- Weise zu erforschen: Sollte bei einem zukünftigen nischen Belastung der Steuerelemente verbunden. Ein Segelflug-Wettbewerb (an dem gewöhnlich 20 bis 30 Abscheren der Aufhängung von Rotorblättern bei be- Segelflugzeuge teilnahmen) eine Moazagotl-Wolke er- stimmten Einsatzmustern kann dabei nicht ausge- scheinen, werden alle Piloten verpflichtet, einen Baro- schlossen werden. Das unkontrollierte Auf- und Ab- graphen mitzuführen und einen Flugbericht auszufül- promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 A. Dörnbrack et al.: Wellen und Rotoren 23 len, der Vertikal-Bewegung sowie Höhe und Position über Grund registriert. Das Ereig- nis fand nach langem Warten am 21. Mai 1937 statt. Es lie- ferte – ohne jegliche staatlich- finanzielle Unterstützung, die es damals für solche Zwecke noch nicht gab – ein umfas- sendes Material von 22 Flug- berichten und 66 Flugstunden im Stromfeld.

Die Kompression des Materi- als in einer maßstabsgetreuen Auf- und Seitensicht ohne die heute übliche graphischen Überhöhung (Abb. 3-8) zeig- te alternierende Auf- und Ab- windfelder von etwa 8 km Wellenlänge und Vertikalbe- wegungen von durchschnitt- lich 4 bis 5 m/s. Die Wolken- basis des Moazagotl’s lag bei 5 bis 6 km Höhe. Damit war die Wellennatur des Phäno- mens bewiesen. Nun galt es, seinen Höhenbereich zu be- stimmen und insbesondere der Frage nachzugehen, ob sich die Wellenstruktur bis zur Tropopause erstreckte. Diese Aufgabe nahm sich Abb. 3-8: Erste dokumentierte dreidimensionale Struktur des gekoppelten Systems Welle-Ro- KÜTTNER selbst vor. Am tor. Die Ergebnisse basieren auf simultan durchgeführten Messungen von 22 Segel- 14. September 1937 segelte er flugzeugen im Lee des Riesengebirges im Mai 1937 (KÜTTNER 1938). Der Quer- in der vordersten Welle des schnitt (oben) läuft längs der Strömungsrichtung von SSW (links) nach NNW (rechts) mit einem der Pilotenperspektive entlehnten Höhen-Längen-Verhältnis von 1:1. Riesengebirges auf knapp 7000 m Höhe, musste aber den Flug wegen Sauerstoff-Mangels und Kälte abbre- Buch von WHELAN (2000). In den meisten der nach- chen. Der mitgeführte Meteorograph registrierte Hö- folgenden Feldprogramme (z. B. ALPEX, MAP; vgl. he, Feuchtigkeit, Aufstieg-Geschwindigkeit und Tem- VOLKERT; Kapitel 8 in diesem Heft) standen zwar ge- peratur. In der Gipfelhöhe, die nur 2,5 km unterhalb birgsinduzierte Schwerewellen und deren Brechen mit der Tropopause lag, zeigte die Luft noch etwa 2 m/s im Blickpunkt, die Entstehung und Morphologie von Aufwind. Damit war angezeigt, dass das Leewellensys- Rotoren und deren Wechselwirkung mit den Leewellen tem sich bis zur Tropopause erstreckt und dass ein ver- wurde jedoch nicht weiter erforscht. Das zeigt sich auch hältnismäßig kleines Gebirge von 25 km Länge und in der recht geringen Anzahl von wissenschaftlichen 1,5 km Höhe die gesamte Troposphäre in Schwingung Publikationen, die sich den Rotoren widmen. versetzen kann, wobei das Wellensystem auf einer rol- lenlagerähnlichen Rotorschicht von höchster Turbu- lenz ruht. Diese – der heutige Leser würde sagen: „ex- 5 Wissenschaftliche Ziele von T-REX perimentellen“ – Ergebnisse veranlassten LYRA, ei- nen Schüler Ludwig PRANDTL’s, die erste Theorie Wie wir in den vorangegangenen Abschnitten gesehen der internen Leewellen zu entwickeln. haben, stellt das gekoppelte System Welle-Rotor noch heute große Herausforderungen sowohl an die nume- Nach dem 2. Weltkrieg wurde die phänomenologische rische Modellierung wie auch an eine akkurate Vor- Untersuchung der Rotoren und Wellen durch die le- hersage. Die Grunderkenntnisse über Wellen und Ro- gendären und wegweisenden Projekte in der Sierra toren und ihrer Eigenschaften wurden durch die ersten Nevada fortgeführt; einen guten Ein- und Überblick Flüge im Riesengebirge und bei den Feldmesskampag- bekommt man durch den umfassenden Artikel von nen in der Sierra Nevada gewonnen und dokumen- GRUBIŠI and LEWIS (2004) und das spannende tiert. MAP führte diese Tradition 1999 fort. Während 24 A. Dörnbrack et al.: Wellen und Rotoren promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

MAP allerdings waren die gemessenen und modellier- bei ihren Fachvorträgen und Seminaren, um auf die ten Wellen noch verwickelter aufgebaut und unmittel- unmittelbaren Gefahren durch Wellen und Rotoren bar beeinflusst durch das viel komplexere Alpenrelief. hinzuweisen. Basierend auf eigenen Erfahrungen emp- Die Ausbreitung von gebirgsinduzierten Wellen bis fehlen sie Alternativen und verweisen auf ihre routine- hinein in die mittlere Atmosphäre wird in einem der mäßig erstellte Turbulenzvorhersagen und die empiri- vorangegangenen promet-Hefte illustriert (siehe sche Rotorendatenbank. Die Einordnung und Klassifi- PREUSSE und DÖRNBRACK 2005). kation der Rotoren leistet somit einen unmittelbaren Beitrag zu Flugsicherheit. Der regelmäßigere Aufbau der Kämme der Sierra Ne- vada (Quasi-Zweidimensionalität) lässt einfachere Wellenstrukturen, Rotoren und Brechungsgebiete im Literatur Lee entstehen. Dies erlaubt nicht nur eine verbesserte Beobachtung, sondern auch einen genaueren Vergleich CLARK, T. L., W. D. HALL, R. M. KERR, D. MIDDLETON, L. der verschiedenen Modellvorhersagen. RADKE, F. M. RALPH, P.J. NEIMAN, D. LEVINSON, 2000: Origins of aircraft-damaging clear-air turbulence during the 9 December 1992 Colorado downslope windstorm: Numerical Das Ziel von T-REX ist eine umfassende Untersu- simulations and comparison with observations. J. Atmos. Sci. chung des gekoppelten Systems Leewelle-Rotor- 57, 1105-1131. Grenzschicht. Dazu sollen insbesondere Dynamik und DOYLE, J. D., D. R. DURRAN, 2002: The dynamics of moun- Struktur des Systems Welle-Rotor und ihrer Abhän- tain-wave induced rotors. J. Atmos. Sci. 59, 186-201. gigkeit von den Anströmbedingungen vermessen wer- GILL, A. E., 1982: Atmosphere-ocean dynamics. Academic den. In diesem Experiment möchte man die Entste- Press, 662 S. hung, interne Struktur und die zeitliche Entwicklung von Wellen und Rotoren mit den modernsten Messge- GRABOWSKI, W. W., P. K. SMOLARKIEWICZ, 2002: A mul- tiscale anelastic model for meteorological research. Mon.Wea. räten in der Natur studieren. Neben drei Forschungs- Rev. 130, 939-956. flugzeugen wird es ein umfangreiches Bodennetz ge- ben. Es sollen Doppler-LIDARsysteme zur Ver- GRUBIŠI , V., J. M. LEWIS, 2004: Sierra wave project revisited – 50 years later. Bull. Amer. Meteorol. Soc. 85, 1127-1142. messung der Aerosolrückstreuung und vor allem des dreidimensionalen Windfeldes eingesetzt werden. HERTENSTEIN, R. F., J. P. KUETTNER, 2005: Rotor types as- sociated with steep lee topography: Influence of the wind pro- Windprofiler und SODARs ergänzen die bodengebun- file. Tellus A 57, 117-135. denen Fernerkundungsgeräte. Und natürlich wird es ein umfangreiches meteorologisches Messnetz aus KÜTTNER, J., 1938: Moazagotl und Föhnwelle. Beitr. Phys. fr. Atmos. 25, 79-114. automatischen Wetterstationen, Mikrobarographen, Strahlungsmessungen und Flussmessungen geben. Die PREUSSE, P., A. DÖRNBRACK, 2005: Interne Schwerewellen Wind und Temperaturprofile stromauf werden mittels in der mittleren Atmosphäre. Promet 31, 53-55. Ballonmessungen bestimmt. SCORER, R. S., 1949: Theory of waves in the lee of mountains. Quart. J. R. Meteorol. Soc. 75, 41-56. Die modernen und leistungsfähigen Rechner ermög- SMITH, R. B., 1979: The influence of mountains on the atmos- lichen es heutzutage außerdem, die Rotoren mit hoher phere. Advances in Geophysics. 21, 87-230. räumlicher und zeitlicher Auflösung zu simulieren. In- WHELAN, R. F., 2000: Exploring the monster. Mountain lee wa- wiefern das im echtzeitnahen Vorhersagemodus mög- ves: The aerial elevator. Wind Canyon Books, Inc., Niceville, lich sein wird, ist eine der spannenden Fragen des Ex- Florida, USA, 196 S. perimentes T-REX.

Internet-Links 6 Ausblick Druckversion des Selbstlern-Kurses „Mountain waves and Neben der wissenschaftlichen Erforschung des Phäno- downslope winds“: http://meted.ucar.edu/mesoprim/mtnwave/print.htm#1 mens Welle-Rotor bei T-REX und der daraus zu er- wartenden Verbesserung ihrer numerischen Modellie- Mountain-Wave Projekt Gruppe der OSTIV: rung und Vorhersage ist sicherlich die Verbreitung mo- http://www.mountain-wave-project.de derner Erkenntnisse über die Wellen und Rotoren von Das Perlan-Projekt: entscheidender Wichtigkeit. Die genaue Kenntnis des http://www.firnspiegel.com/perlan/ Strömungszustandes in der Nähe von Gebirgen ist not- NRL Mountain Wave Forecast Model: wendig, um Flugunfälle in der allgemeinen und kom- http://uap-www.nrl.navy.mil/dynamics/html/mwfm.html merziellen Luftfahrt zu vermeiden. Die Mountain-Wa- DLR Aktivitäten im Rahmen von T-REX: ve Projektgruppe der OSTIV (http://www.mountain- http://www.pa.op.dlr.de/arctic/projects.html wave-project.de), der erfahrene Sportpiloten und T-REX Seite Flugmeteorologen angehören, nutzen Lehrbeispiele http://www.joss.ucar.edu/trex promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 25-33 (März 2006) 25 © Deutscher Wetterdienst 2006

C. KOTTMEIER, F. FIEDLER 4 Vertikaler Austausch über Mittelgebirgen Vertikal exchange above low mountains

Zusammenfassung Der vertikale Austausch über Mittelgebirgen wird sowohl durch dynamische als auch thermisch induzierte Pro- zesse verursacht. Die dynamischen Vorgänge bei der Bergüberströmung werden kurz vorgestellt. Der konvekti- ve vertikale Austausch wurde bei zwei ausführlichen Messprogrammen (ESCOMPTE in Südfrankreich im Jahr 2001 und VERTIKATOR in Südwestdeutschland im Jahr 2002) untersucht. Von beiden Programmen stehen bo- dennahe Messungen der turbulenten Flüsse sowie aerologische wie auch flugzeuggebundene Messungen zur Verfügung. Der Einfluss des Berglands wirkt sich vor allem durch die intensivere Strahlungserwärmung höherer und exponierter Flächen mit der Folge aus, dass sich (a) sekundäre Windsysteme ausbilden, die zur Auslösung von Gewitterkonvektion beitragen, und (b) höhere konvektive Grenzschichten entwickeln. Die Modelldarstel- lung der Konvektionsauslösung und des konvektiven Niederschlags erfordert eine Maschenweite, die 3 km nicht überschreiten sollte.

Abstract The vertical exchange above low mountains is induced by both dynamical and thermo-dynamical processes. The dynamical mechanisms acting in flow across mountains are briefly introduced.The convective part of vertical ex- change was studied during two intensive measuring campaigns (ESCOMPTE in southern France in 2001 and VERTIKATOR in south-western Germany in 2002). Near surface measurements of the turbulent fluxes as well as aerological and airborne data are available from the campaigns. The influence of the mountainous terrain is mainly acting through more intense radiative heating of higher and more exposed surfaces. This leads (a) to the formation of secondary flow systems, which contribute to the generation of thunderstorms, and (b) to an increase of the boundary layer depth. Realistic simulations of the generation of convection and of convective precipitation requires horizontal grid sizes below 3 km.

1 Einleitung Der vertikale Austausch zwischen Erdoberfläche, Grenzschicht und der freien Troposphäre ist eine wich- Mittelgebirgsregionen mit Gipfelhöhen bis etwa tige Größe für den Wasserkreislauf, für das Regional- 1500 m stellen neben den Tief-/Flachländern und klima sowie für die Umverteilung von Spurenstoffen. Hochgebirgen eine typische Landschaftsform dar. In klimatologischen Niederschlagsverteilungen zeich- Trotz vielfältiger Unterschiede bezüglich Gebirgsfor- nen sich alle Mittelgebirge markant ab. Niederschlags- men, Gipfelhöhen, Landnutzung, Bodeneigenschaften radar- und Blitzortungsdaten zeigen, dass hochreichen- und makroklimatischer Einflüsse sind auch eine Reihe de Konvektion bevorzugt über Mittelgebirgen ausge- von Gemeinsamkeiten für Mittelgebirge gegeben. Die- löst wird. Die damit einhergehenden Ereignisse wie se machen sie zu interessanten Gebieten für meteoro- Sturm, Hagel und Blitze mit entsprechenden Folgen logische Studien mit dem Ziel einer systematischen Er- für Menschen und Sachwerte unterstreichen die Be- weiterung der Kenntnisse über die Wechselwirkung deutung der Konvektion über Mittelgebirgen. An Ber- zwischen Landoberflächen und der Atmosphäre, die gen induzierte konvektive Niederschläge machen den bislang weitgehend aus Untersuchungen über ausge- größten Teil des Sommerniederschlags aus und können dehnten ebenen Flächen stammen. So beeinflusst die lokal signifikant zur Auslösung von Hochwasser bei- Hangneigung und -orientierung in jeweils ähnlicher tragen. Hochreichende Konvektionssysteme können Weise die Verfügbarkeit solarer Strahlung für Energie- auch einen sehr effektiven vertikalen Austausch von umsetzungen an der Oberfläche. Die damit verbunde- Spurenstoffen innerhalb der Troposphäre verursachen. ne differentielle Erwärmung führt zur Ausbildung von Ein entlastender Einfluss hinsichtlich der bodennahen lokalen Hangwindsystemen oder Berg-/Talwindzirku- Schadstoffkonzentration kommt dem vertikalen Aus- lationen. Die Geländeform bedingt auch typische tausch in der atmosphärischen Grenzschicht zu. Landnutzungsunterschiede mit Siedlungs- und Indus- trieflächen sowie landwirtschaftlicher Nutzung in tie- Die Prozesse, die in Mittelgebirgsregionen einen verti- feren und flacheren Regionen und Waldbeständen in kalen Austausch bewirken, lassen sich grob in zwei Ka- höheren Lagen. Daraus ergeben sich systematisch tegorien unterteilen. Der dynamische Austausch steht unterschiedliche Auswirkungen auf die Verdunstung in enger Beziehung zur Strömungsmodifikation durch und den Strahlungshaushalt innerhalb einer Mittelge- die Orografie, bei der Auftriebseffekte nur modifizie- birgslandschaft gegenüber dem Flachland oder einer rend einwirken. Demgegenüber wird konvektiver Aus- Hochgebirgsregion. tausch meist über aufgeheizten Oberflächen durch in- 26 C. Kottmeier, F. Fiedler: Vertikaler Austausch über Mittelgebirgen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 duzierte Auftriebskräfte verursacht. Dieser Austausch Das Verhalten der Strömung über Bergen wird neben entwickelt sich auch ohne mittleren Grundstrom, steht der Hindernishöhe H und -breite L sowie der An- dann aber in Rückkopplung mit auftriebsinduzierten strömgeschwindigkeit U auch von der Dichteschich- Strömungseffekten, z. B. Hangwindsystemen (ADRI- tung der unteren Atmosphäre bestimmt. Das Verhältnis AN und FIEDLER 1991; BARTHLOTT et al. 2005). von Trägheitskräften zu Auftriebskräften bei stabiler Beide Typen sind mit unterschiedlichsten Phänomenen Schichtung lässt sich durch die sogenannte interne π verbunden, die von der orografischen Beinflussung der Froudezahl Fr1 = U / (N L) oder in modifizierter Form Mikroturbulenz bis zur Ausbildung von Gebirgszirku- Fr2 = U / (N H) ausdrücken. Dabei ist die Brunt-Väisä- lationen reichen. Solche Zirkulationen bewirken im lä-Frequenz N die natürliche Schwingungsfrequenz Mittel über Gebiete von etwa 100 km2 und mehr und ausgelenkter Luftvolumina bei eine stabilen Schich- Zeiträume von mehreren Stunden einen effektiven tung. Eine Verlagerung der Oszillation mit U führt zur Vertikaltransport von Eigenschaften der bodennahen Ausbreitung einer Welle mit der Wellenlänge 2πU/N.

Luftmassen in die mittlere und obere Troposphäre und Da die „Wellenlänge“ der Orografie 2 L ist, kann Fr1 umgekehrt. Der konvektive Vertikaltransport steht im als das Verhältnis der natürlichen Wellenlänge der Luft- folgenden im Vordergrund und wird anhand der Er- bewegung zur Wellenlänge der Orografie aufgefasst gebnisse der Feldexperimente ESCOMPTE im Jahr werden. Demzufolge kommt es froudezahlabhängig zu 2001 und VERTIKATOR im Jahr 2002 eingehender unterschiedlichen Strömungszuständen, wie sie auch behandelt. durch Messungen bestätigt wurden (z. B. DAVID und KOTTMEIER 1986; KUNZ und KOTTMEIER 2006). Für den Idealfall eines einzelnen Bergs dominiert bei

2 Dynamischer Austausch Froudezahlen Fr1 << 1 die Umströmung des Hindernis- ses mit Ausbildung eines Stagnationsbereichs und Strö- Bergiges Gelände lässt sich strömungsdynamisch als mungstrennung auf der Luvseite. Bei anwachsender eine Grenzfläche mit sehr großen Strömungshinder- Froudezahl (Fr1 ~ 0,4) werden Berge z. T. auch über- nissen in unregelmäßiger Größe und Abfolge auffas- strömt und auf der Leeseite bilden sich Wellen aus. Der sen. Bereits bei ebenem Gelände bilden sich stromab- Resonanzfall Fr1 ~ 1,0 ist mit der Bildung von stehen- wärts von Rauigkeitsänderungen interne Grenzschich- den Leewellen großer Amplitude verbunden, die sich ten aus, die mit anwachsender Schichtdicke den an die unter Umständen durch die ganze Troposphäre aus- neue Rauigkeit angepassten Bereich umfassen. Auch breiten können. So wurden von Segelfliegern über durch unterschiedlich warme Erdoberflächen entste- Mittelgebirgen von nur 350 m Höhe (Deister und Elm hen in ähnlicher Weise interne Grenzschichten, in de- in Niedersachsen) schon Höhen bis 8 km erreicht, was nen die Austauschintensität durch Auftriebsproduk- für den Segelflug ausreichende Vertikalwinde von 1 m/s tion von Turbulenzenergie an der Erdoberfläche ge- voraussetzt. Die Wellen zeigen oft eine luvwärtige Pha- kennzeichnet ist. Der mittlere turbulente Vertikaltran- senverschiebung mit der Höhe. Der Resonanzfall ist sport übertrifft dabei im allgemeinen den Wert über ei- gleichzeitig derjenige mit größtem Wellenwiderstand ner ausgedehnten homogenen Fläche der gleichen und damit verbundenem Entzug von mittlerem Impuls. mittleren Oberflächentemperatur oder Rauigkeit Abhängig von der aktuellen thermischen Schichtung (MAI et al. 1996; VON SALZEN et al. 1996). Es wur- und der vertikalen Windscherung kann es in bestimm- den verschiedene Verfahren entwickelt, um für ideali- ten Höhen zur Dämpfung oder zum Brechen von inter- sierte oder reale Inhomogenitäten mittlere Flüsse zu nen Wellen kommen, z. B. durch Kelvin-Helmholtz-In- berechnen (VON SALZEN et al. 1996; BALDAUF stabilität, so dass in diesen Höhen der turbulente Aus- und FIEDLER 2003). tausch erheblich verstärkt wird. Im Lee der Hinder-

nisse bilden sich bei Fr1 ~ 1,0 in niedrigen Höhen trans- Es ist schwierig abzuschätzen, wie groß der mittlere versale Rotoren mit heftiger Turbulenz (vgl. DÖRN- dynamische Austausch über einer bergigen Region ist. BRACK et al.; Kapitel 3 in diesem Heft). Bei noch län- Das Konzept der internen Grenzschichten ist nicht un- geren natürlichen Wellen bzw. größeren Froudezahlen begrenzt weiter anwendbar, da die Hebungsvorgänge kommt es leeseits der Gipfel u. U. zu einer Ablösung nicht mehr durch die Geschwindigkeitsskala turbulen- der Grenzschichtströmung über eine typische Entfer- ter Wirbel bestimmt werden, sondern durch die Über- nung von = L und einer bodennahen Rückströmung. strömung der Hindernisse. Für eine Folge von Hügeln Bei annähernd neutraler Schichtung bzw. sehr hohen konnte gezeigt werden (HUNT und SNYDER 1980), Windgeschwindigkeiten (Fr1 >> 1) wirken sich die Hin- dass das Windprofil sich dabei einem Profil annähert, dernisse nur über geringe Entfernungen von bis zu et- das über einer raueren Grenzfläche unter Berücksich- wa drei Hindernishöhen aus. Über dem Hindernis tigung einer Verdrängungsdicke zu beobachten ist. kommt es zu einer Geschwindigkeitserhöhung, hinter Falls die Vertikalauslenkungen über dem Hindernis dem Hindernis zunächst zu einer Ruhezone und weiter höher als die Grenzschichtdicke h selbst sind, folgt die stromab zu einer turbulenten Nachlaufströmung bis zu Grenzschicht deshalb mehr oder weniger den mittle- einer Entfernung von mehreren Hindernisbreiten. ren Geländehöhen H, was im Vergleich zum Flachland zu einem turbulenten Austausch bis zur Höhe h + H Auch bei komplexer Orografie lassen sich die Grund- führt. typen der Hindernisüberströmung oft wiederfinden. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 C. Kottmeier, F. Fiedler: Vertikaler Austausch über Mittelgebirgen 27

Hinzu kommen aber Phänomene, die durch Kanalisie- Erdoberfläche oder Hebung der entsprechenden Luft- rung in Längstälern und der Beschleunigung der Strö- masse, eine ausreichende Feuchte in der Atmosphäre mung bei Querschnittsverengung wie beispielsweise und eine Dichteschichtung in der freien Atmosphäre, über Sattellagen zwischen zwei Bergen geprägt sind. welche die Hebung bis in ausreichende Höhen zulässt. Die Querüberströmung von Tälern unterschiedlicher Die Bereitstellung der Feuchte und die Hebung von Geometrie kann sowohl talparallele Winde (WIPPER- Luftmassen erfolgt sowohl durch synoptische Systeme MANN 1984) wie auch Querzirkulationen hervorru- mit einer Ausdehnung von d ≈ 1000 km, durch regio- fen. Ist die Grenzschichtströmung durch eine Inver- nale Systeme (d ≈ 50 km) als auch durch kleinräumige sionsschicht in der Höhe hi nach oben begrenzt, wirken Austauschvorgänge auf der Skala von nur einigen Ki- sich die Hindernisse vor allem in der Grenzschicht lometern. Den regionalen und lokalen Systemen selbst aus und der vertikale Austausch ist höhenmäßig kommt bei konvektiven Wetterlagen häufig eine durch hi begrenzt. Anstelle der Berghöhe H kann jetzt Schlüsselrolle zu, da durch sie die Konvektion nur an die Schichtdicke der Strömung bis zur Inversionshöhe bestimmten Stellen ausgelöst wird, auch wenn die als charakteristisches Längenmass in die Froudezahl großräumigen Bedingungen für eine Konvektionsent- eingesetzt werden. Ähnlich wie bei einer Wasserströ- wicklung weitgehend ähnlich sind. mung mit geringer Dicke kommt es zu den Strömungs- zuständen fließender Strömung (Anströmfroudezahl Wichtig für die Auslösung, die zeitliche Entwicklung

Fran = U / (N (hi - H)) << 1) oder schießender Strö- und die Intensität der regionalen Systeme ist es, wie mung (Fran >> 1). Große Froudezahlen Fran bewirken sich die verfügbare Strahlungsenergie am Erdboden eine gleichmäßige Überströmung mit annähernd sym- auf den fühlbaren bzw. latenten Wärmestrom verteilt. metrischem Stromlinienbild ohne Bildung von Schwe- Ersterer führt zu einer Erhöhung der Lufttemperatur, rewellen. Bei luvseitigen Froudezahlen Fran < 1 wird der zweite zu einer Erhöhung der Feuchte in der At- die Strömung stromab des Gipfels beim Übergang mosphäre. Die Aufteilung der Strahlungsenergie vom unterkritischen zum überkritischen Zustand stark wiederum hängt von den Erdboden- und Oberflächen- beschleunigt und schießt mit hoher Geschwindigkeit eigenschaften ab. Regionale, thermisch induzierte (Fr > 1) in geringer Schichtdicke bis zu einem stromab Windsysteme entstehen besonders in Verbindung mit gelegenen hydraulischen Sprung. Hier erfolgt abrupt der Orografie. Dabei kommt es häufig über den Berg- eine Zunahme der Schichtdicke und Abnahme der Ge- rücken zu Konvergenz mit starken Aufwinden und zur schwindigkeit und damit ein Übergang in den unter- Auslösung von Konvektion. kritischen Zustand. Sehr flache Grenzschichten

(hi < H) sind mit Hindernisumströmung und Ausbil- Zwei umfangreiche Messprogramme, die sich u. a. mit dung von ablösenden Wirbeln auf der Leeseite ver- dem konvektiven Vertikaltransport über Mittelgebir- bunden. gen befassten, waren die Vorhaben ESCOMPTE (Ex- périence sur site pour contraindre les modèles de pol- Die Bedeutung der Froudezahl für den Strömungszu- lution atmosphérique et de transport d' émissions; stand hat, wie KUNZ und KOTTMEIER (2006) zei- CROS et al. 2004) und VERTIKATOR (Vertikaler gen konnten, auch für die orografisch beeinflusste Austausch und Orografie im Atmosphärenforschungs- Niederschlagsbildung bei der Bergüberströmung einen programm des BMBF AFO 2000; FIEDLER et al. wichtigen Einfluss. Für niedrige Froudezahlen Fr ≈ 1 2005). Beide Projekte gaben die Möglichkeit, den kon- ist demnach aufgrund der dominierenden Bergumströ- vektiven Vertikaltransport durch boden- und flugzeug- mung die orografisch bedingte Niederschlagszunahme gestützte Messungen detailliert zu untersuchen. erheblich geringer als im Fall hoher Froudezahlen. Da Niederschlag ebenfalls mit einer vertikalen Umvertei- lung von Wasser in verschiedenen Phasen verbunden 3.1 Konvektiver Austausch von Spurenstoffen über ist, folgt hieraus ein weiterer Mechanismus des verti- Mittelgebirgen bei ESCOMPTE 2001 kalen Austauschs mit deutlichen Unterschieden zu ebenem Gelände. Das unter französischer Koordination durchgeführte Forschungsvorhaben ESCOMPTE diente der Gewin- nung eines geeigneten Datensatzes zur Überprüfung 3 Konvektiver Austausch und Verbesserung von Modellen, mit denen der Trans- port und die chemischen Umwandlungen von Luft- Konvektiver Austausch ist im allgemeinen deutlich ef- schadstoffen über komplexer Orografie in Küstenre- fizienter als dynamischer Austausch und erstreckt sich gionen realistisch dargestellt werden können. Es war bei Wolkenbildung und insbesondere hochreichender Ziel des Programms, die dreidimensionalen Verteilun- Konvektion auch bis in die mittlere und obere Tropo- gen atmosphärischer und chemischer Größen sowie sphäre. deren zeitliche Variationen zu erfassen. Das Messpro- gramm fand unter Beteiligung des Instituts für Meteo- Für die Entwicklung von Konvektion und konvektiven rologie und Klimaforschung (IMK) Karlsruhe im Juni Niederschlägen sind drei wesentliche Voraussetzungen und Juli 2001 im Großraum Marseille statt. In diesem notwendig: ein Auslöseprozess durch Erhitzung der Gebiet treten in den Sommermonaten regelmäßig Si- 28 C. Kottmeier, F. Fiedler: Vertikaler Austausch über Mittelgebirgen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 Höhe in m über Grimd

Juni Juli Zeit Abb. 4-2: Grenzschichthöhen über dem Rhônedelta (St. Remy, Aix-les Milles) und dem Bergland (Vinon) während der Intensivmessphasen (grau hinterlegt) des Abb. 4-1: Vertikalgeschwindigkeiten auf den Flugabschnitten ESCOMPTE-Experiments. Die Festlegung erfolgt I bis IV (dick ausgezogen) in einer Höhe von 950 m anhand von Temperatur- und Feuchteprofilen aus Ra- am Nachmittag des 17. Juni 2001. diosondenaufstiegen an den Stationen. tuationen mit großer Belastung der Atmosphäre mit ten Stoffe aufwärts transportierten (HASEL et al. Spurenstoffen auf, die ihre Ursache in den Emissionen 2005). Dagegen waren die ebenfalls sehr heftigen Ab- der Millionenstadt Marseille und ihrer industrialisier- winde trockener als die Umgebungsluft, was auf die ten Umgebung haben. Die turbulente Diffusion und Einmischung trockener Luft aus Höhen oberhalb von der Transport erfolgen in dieser Region unter dem 2 bis 3 km zu erklären ist. Einfluss verschiedener komplexer Windsysteme: der regionalen Strömungskanalisierung im Rhônetal (Mis- Eine Photosmogsituation war während ESCOMPTE tral) (CORSMEIER et al. 2005), dem tagesperiodi- zwischen dem 24. und 27. Juni 2001 gegeben.Am 25. Ju- schen Land-Seewindsystem und einem überlagerten ni 2001 setzte in den Vormittagsstunden an der Küste Gebirgswindsystem über den französischen Seealpen. der Seewind ein, der die von Marseille und seinen um- Das IMK (Bereich Troposphäre) beteiligte sich unter gebenden Industriegebieten emittierten Stoffe landein- anderem mit dem Forschungsflugzeug DO-128, zwei wärts transportierte. Gleichzeitig erfolgte bei zuneh- Radiosondenstationen und verschiedenen Boden- mender Sonneneinstrahlung photochemische Ozonbil- messstationen an ESCOMPTE. Insgesamt kamen sie- dung, durch die die Stickoxidkonzentration in der be- ben Flugzeuge, 23 Bodenstationen, 20 Fernerkun- lasteten Luftmasse reduziert wurde. Während an die- dungssysteme und zwei Schiffe zum Einsatz. sem Tag an den Küstenstationen maximale Konzentra- tionen von knapp 140 µg/m3 gemessen wurden, traten Ein Ziel war es, den Vertikalaustausch von Spurenstof- 50 km landeinwärts über den Mittelgebirgen am Alpen- fen durch Konvektion in der Region zu untersuchen. rand fast 300 µg/m3 auf. Die aus Radiosondendaten ab- Aufgrund der hohen Sonneneinstrahlung und der rela- geleiteten Durchmischungstiefen (Abb. 4-2) differieren tiv trockenen Erdoberfläche entwickelt sich an Som- um bis zu +1000 m zwischen den Randbergen der Al- mertagen über den voralpinen Mittelgebirgen des pen (Vinon) und dem Rhônetal (St. Remy und Aix-les ESCOMPTE-Gebietes regelmäßig intensive Konvek- Milles). Die Unterschiede sind im Wesentlichen auf die tion. Die Messungen am 17. Juni 2001 dokumentieren stärkere Erwärmung und die verstärkte Konvektion im eine solche Situation bei nordwestlichem Wind und Bergland zurückzuführen. Die größere Durchmi- Grenzschichthöhen von 2000 m. In diesem Fall traten schungstiefe bewirkt einen Verdünnungseffekt für die keine hohen Spurenstoffkonzentrationen auf, da die advehierten und lokal emittierten Schadstoffe. emittierten Spurenstoffe über das Mittelmeer ver- frachtet wurden. Die Messungen eignen sich aber sehr Am 25.6.2001 wurden mit mehreren Messflugzeugen gut für Untersuchungen der Turbulenzstruktur und der zu verschiedenen Zeiten auf jeweils ähnlichen Flug- Grenzschichtentwicklung (HASEL et al. 2005). Bei ei- mustern die räumlichen Verteilungen der Spurenstoffe nem Messflug über dem Randbereich der Alpen am und meteorologischen Größen erfasst. Der Flug der Nachmittag wurden in Höhen von etwa 950 m, 1700 m DO-128 in einer Höhe von 800 m bis 900 m zeigt, dass und 3000 m identische Flugmuster geflogen. Dabei tra- die bodennah gemessenen Ozonwerte den Werten in ten sehr intensive Auf- und Abwinde mit bis zu 8 m/s der Grenzschicht in erster Näherung entsprechen über den Gebirgszügen des Mt. St. Victoire (1011 m) (Abb. 4-3; KALTHOFF et al. 2005a). Dies dokumen- und Luberon (1125 m) sowie dem Durancetal auf tiert ebenfalls die Vermischungsvorgänge, die durch (Abb. 4-1). Die Aufwinde waren mit deutlich erhöhten konvektive Wirbel erfolgen und tagsüber effizient die

NO2-Werten verbunden, da sie die bodennah emittier- gesamte Grenzschicht beeinflussen. Hierbei erreicht in promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 C. Kottmeier, F. Fiedler: Vertikaler Austausch über Mittelgebirgen 29

Hierbei erfolgten an Bodenstationen Mes- sungen aller Komponenten der Energiebi- lanz am Erdboden (Abb. 4-4). Mit Ferner- kundungssystemen (Dopplersodar, Wind- Temperatur-Radar) wurde die Vertikal- struktur der regionalen Windsysteme ver- messen. Um die zeitliche Entwicklung und räumliche Struktur konvektiver Elemente zu verfolgen, wurden Fallsonden von oben in die Konvektionszellen (Cumuluswolken) abgeworfen. Die Messungen der fünf einge- setzten Messflugzeuge erfassten die räumli- che Verteilung von Wind, Temperatur und Feuchte im gesamten Messgebiet sowie innerhalb und außerhalb konvektiver Zel- len. Mit Hilfe von Radiosonden wurde der Abb. 4-3: Verteilung der Ozonkonzentration aus bodennahen Messungen des Vertikalaufbau der Troposphäre erfasst. In- AIRMARAIX-Messnetzes und aus Messungen der DO-128 mit den frarotmessungen der Satelliten METEO- gemessenen Windvektoren (Referenzpfeil 5 m/s) am Nachmittag des SAT und NOAA wurden genutzt, um Ta- 25. Juni 2001 in 920 m Flughöhe. Die Einzelpunkte geben die am Bo- gesgänge der Landoberflächentemperatur den gemessenen Stundenmittelwerte von Ozon an. (LST) für das gesamte Messgebiet zu be- stimmen (SCHROEDTER et al. 2003). Aufwindgebieten bodennahe stickoxidbelastete Luft innerhalb von wenigen Minuten die obere Grenz- Während der Messkampagne im Nordschwarzwald schicht. Bei den hier untersuchten Photosmogsituatio- konnte ein breites Spektrum unterschiedlicher kon- nen dominieren aufwärtsgerichtete turbulente Stick- vektiver Wettersituationen von flacher Kumuluskon- oxidflüsse. Der konvektive Ozontransport ist dagegen vektion (z. B. 31. Mai, 1. und 3. Juni 2002) bis zu hoch- teils aufwärts und teils abwärts gerichtet. Dies ist durch reichender Konvektion (19. und 20. Juni 2002) vermes- die quellferne Bildung von Ozon aus den Vorläufer- sen werden. Die Unterschiedlichkeit der Fälle lässt gasen zu erklären. Das Maximum des Ozons liegt da- sich durch die Werte der „konvektiv verfügbaren po- bei abgehoben vom Boden innerhalb der Grenzschicht tentiellen Energie“ (CAPE) kennzeichnen. Die CAPE und der sich ausbildende Vertikalgradient des Ozons ist ein Konvektionsindex, der durch die Temperatur- führt zu einem konvektiven Abwärtstransport des Ga- ses zur Erdoberfläche. Die Abwinde dagegen beziehen oft Luft aus der schadstoffarmen Luft oberhalb der Grenzschicht mit ein. Die verstärkte Konvektion be- wirkt infolgedessen auf zweifache Weise eine Reduk- tion der hohen Schadgaskonzentrationen in Bodennä- he durch Ausdehnung des Durchmischungsraums und durch Entrainment unbelasteter Luft aus der freien Atmosphäre. Auch in 800 m sind noch deutlich klein- räumige Variationen zu erkennen, da die Aufwinde sehr unterschiedlich mit bodennah emittierten Stoffen, vor allem durch Verkehrsemissionen, beladen sind. Dagegen bleibt die Atmosphäre in 2800 m Höhe unbe- einflusst.

3.2 Auslösung flacher und hochreichender Konvek- tion über Mittelgebirgen bei VERTIKATOR

Das Messprogramm VERTIKATOR wurde im Mai und Juni 2002 im Schwarzwald und unmittelbar daran anschließend am nördlichen Alpenrand durchgeführt. Abb. 4-4: VERTIKATOR-Messgebiet (ca. 100 km x 70 km, rot Ziele war es dabei, den orografischen Einfluss auf die gestrichelte Linie) und projizierter Flugweg des For- Auslösung von Konvektion und die mit ihr verbunde- schungsflugzeugs DO128 (blaue Linie). Die Boden-, Radiosonden- und Fernerkundungsstationen waren nen Vertikaltransporte von Energie und Wasser zu überwiegend entlang der Linie 1-4-7 installiert. Die untersuchen. Die Messungen sollen vor allem zur ver- Flugmuster zweier weiterer Messflugzeuge sind in besserten Darstellung der Prozesse in numerischen grün (Hornisgrindegebiet) und violett (Murgtalaus- Modellen genutzt werden. gang zum Rheintal) eingezeichnet. 30 C. Kottmeier, F. Fiedler: Vertikaler Austausch über Mittelgebirgen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 und Feuchtestruktur der Troposphäre bestimmt wird und die Bereitschaft zu hochreichender Konvektion angibt, nachdem die Auslösetemperatur am Boden er- reicht ist. Die CAPE liegt beispielsweise am 19. Juni deutlich über den Werten am Anfang des Monats (Abb. 4-5). Die räumlichen Unterschiede zwischen dem Rheingraben (Freistett, 120 m NN) und dem öst- lichen Nordschwarzwald (Horb, 515 m NN) an den ein- zelnen Tagen sind aber vergleichsweise gering. Kon- vektion trat dann allerdings fast ausschließlich über dem Nord- und Südschwarzwald und über den Voge- sen auf (Abb. 4-6; KALTHOFF et al. 2005b). Am Nachmittag des 19. Juni entstand über dem oberen Abb. 4-5: Konvektiv verfügbare potentielle Energie (CAPE) Murgtal eine Gewitterzelle mit Niederschlägen bis 20 an verschiedenen VERTIKATOR-Messtagen im mm, wie das Radarbild (Abb. 4-7) des Karlsruher Rheingraben (Freistett, 120 m NN) und im östlichen Niederschlagsradars zeigt (BERTRAM et al. 2004). Im Schwarzwald (Horb, 515 m NN). Rheingraben fiel dagegen bis zum späten Abend kein Niederschlag.

Mit Hilfe der umfassenden VERTIKATOR-Daten wurde eine Detailanalyse vorgenommen, die die Ursa- chen für die Auslösung der Konvektion über dem Schwarzwald liefert. Konvektion kann dadurch ausge- löst werden, dass die bodennahe Lufttemperatur die so genannte Auslösetemperatur erreicht oder überschrei- tet, so dass bodennahe Luftmassen aufsteigen können. Mit Satellitenmessungen lassen sich die Temperatur- verhältnisse kontinuierlich und flächendeckend über- wachen und räumliche Strukturen quantitativ erfassen. Temperaturunterschiede von mehr als 5 °C sind häufig schon über unterschiedlicher Landnutzung anzutref- fen (Abb. 4-8). Für den 19. Juni wurde die Differenz zwischen der bodennahen Temperatur und der Auslö- setemperatur, ∆T, zu verschiedenen Zeiten als Funk- tion der Stationshöhe berechnet (Abb. 4-9).

Diese Bedingung für die Auslösung von Konvektion ist um 10 und 12 UTC nur an Stationen oberhalb von et- Abb. 4-6: NOAA-Satellitenaufnahme vom Oberrheingraben wa 850 m NN erfüllt. Außerdem zeigt die räumliche am 19. Juni 2002 um 12:26 UTC. Der rote Kreis kenn- Verteilung von ∆T um 12 UTC, dass dieses Gebiet im zeichnet den Bereich, in dem sich am Nachmittag eine Wesentlichen die Hornisgrinde und das obere Murgtal Gewitterzelle mit Niederschlag bildete (s. Abb. 4-7). umfasste (Abb. 4-4). Für die Auslösung von Konvek- tion stellte sich die Kombination mehrerer fördernder Einflüsse als wesentlich heraus. Die frühere Erwär- mung in den Hochlagen ist auch dadurch zu erklären, dass die nachts gebildete Kaltluft durch die Täler in die tieferen Lagen abfließen konnte. Die nächtlichen Bergwinde sind im Schwarzwald sehr typisch und ha- ben zum Teil eigene Namen erhalten, z. B. als „Höllen- täler“ im Südschwarzwald bei Freiburg.

Am späten Vormittag des 19. Juni traten im Bereich des mittleren Nordschwarzwaldes über dem Gipfel der Hornisgrinde und ostwärts davon auf Teilabschnitten des Flugweges der DO-128 sehr hohe vertikale Feuch- tetransporte auf (Abb. 4-10), was zu einer Anreiche- rung von Feuchte in der Grenzschicht führte. Im Rheingraben dagegen waren die vertikalen Feuchte- Abb. 4-7: Niederschlagssumme von 0 bis 15 UTC am 19. Juni transporte in der entsprechenden Höhe über Grund 2002, gemessen mit dem Niederschlagsradar am For- nahezu vernachlässigbar. schungszentrum Karlsruhe. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 C. Kottmeier, F. Fiedler: Vertikaler Austausch über Mittelgebirgen 31 Oberflächentemperatur in °C Oberflächentemperatur Nord in km UTM

Zeit in UTC Abb. 4-8: Verlauf der Oberflächentemperatur über Agrarland (blau) und Wald (rot) am 31. Mai und 1. Juni 2002 im Rheingraben; abgeleitet aus METEOSAT-Daten.

Ost in km UTM

Abb. 4-11: Windvektoren am 19.6.2002, 12 UTC an den Boden- stationen des erweiterten VERTIKATOR-Boden- messnetzes im Bereich des Nordschwarzwaldes. Die rote Linie kennzeichnet eine bodennahe Konvergenz westlich des Murgtals.

Des Weiteren resultierten aus höheren Temperaturen über hochgelegenen Flächen im Vergleich zu den Tem- peraturen in der freien Atmosphäre thermisch indu- zierte Windsysteme wie Hang- und Talwinde. Diese Höhe in m NN sind am 19. Juni im Bereich des Schwarzwaldes deut- lich nachweisbar (Abb. 4-11). Dabei kommt es über Abb. 4-9: Differenz der bodennahen Temperatur (T2m) und der Auslösetemperatur (∆T) zu verschiedenen Zeiten am dem Schwarzwaldkamm zur Bergventilation; sie kann, 19. Juni 2002 an Messstationen in unterschiedlicher bei ausreichender Feuchte in der Atmosphäre, hoch Geländehöhe im VERTIKATOR-Messgebiet. reichende Konvektion über den Bergkämmen auslö- sen. Der Bereich starker Bergventilation ist in Abb. 4-11 durch die rote Linie (Konvergenzlinie) ge- kennzeichnet. Zusätzlich zu diesen Hangaufwinden werden außerdem über die Talwinde des südlich gele- genen Kinzigtals und des nördlich gelegenen Murgtals feuchtwarme Luftmassen in das Zentrum des Nord- schwarzwaldes geführt. Die Messungen erlauben eine Berechnung der mit dem Windsystem verbundenen Feuchte- und Wärmeflüsse und einen Vergleich mit ho- rizontal homogenen Regionen wie dem Rheingraben. Die Windsysteme bilden den Nachschub für die verti- kalen turbulenten Feuchtetransporte, die über dem Schwarzwald beobachtet werden (Abb. 4-10).

4 Modellrechnungen zur Konvektion Abb. 4-10: Turbulente Feuchteflüsse (Pfeile) über dem Nord- schwarzwald am späten Vormittag des 19.06.2002. Modellrechnungen für die VERTIKATOR-Messkam- Dargestellt ist eine Ansicht von Südwesten auf den pagne wurden mit dem operationellen Lokal-Modell Nordschwarzwald. Die turbulenten Flüsse latenter LM des Deutschen Wetterdienstes durchgeführt Wärme sind für Teilabschnitte der überflogenen Oro- (MEISSNER et al. 2005). Da aus den Beobachtungen grafie dargestellt. Die Maximalwerte bis 607 W/m2 (orange und rot) treten über der Hornisgrinde und hervorgeht, dass die Bedingungen für die Auslösung ostwärts davon bis Horb auf. Im Rheingraben und von Konvektion nur in den Hochlagen des Schwarz- Kinzigtal (grün) sind die Feuchteflüsse dagegen sehr waldes (> 850 m NN) gegeben sind (Abb. 4-9), wurde gering. zunächst die im LM verwendete Orografie mit der 32 C. Kottmeier, F. Fiedler: Vertikaler Austausch über Mittelgebirgen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 nördliche Breite in ° nördliche Breite in °

östliche Länge in °

Abb. 4-12: Differenz zwischen der Modellorografie des LM östliche Länge in ° (7 km Auflösung) und der realen Orografie. Maxima- le Unterschiede mit bis zu 300 m treten speziell im Be- Abb. 4-13: Überschreiten der Auslösetemperatur im LM (7 km) reich des Nordschwarzwaldes auf. Das LM bewirkt in als Indikator für Konvektionsauslösung am 19. Juni dieser Auflösung eine deutliche Glättung des hier 2002 um 11 UTC innerhalb der roten Isolinie. Es wird stark strukturierten Geländes. zwar Konvektionsauslösung prognostiziert, jedoch im Vergleich zur Beobachtung 1 bis 2 Stunden zu früh und für das Gebiet des gesamten Nordschwarzwalds. realen Orografie verglichen. Abb. 4-12 zeigt die Diffe- renz zwischen der realen Orografie und der Modell- orografie des LM in 7 km Auflösung. Die markanten Danksagung Geländestrukturen des Nordschwarzwaldes, die als entscheidend für die Auslösung von Konvektion iden- Der Beitrag wurde unter Mitwirkung oder Nutzung tifiziert worden sind, werden durch Verwendung einer von Ergebnissen von Dr. C. Barthlott, Dr. F. Braun, Auflösung von 7 km stark eingeebnet. Die Auslöse- Dr. U. Corsmeier, Dipl.-Met. M. Hasel, Dr. N. Kalthoff, mechanismen für Konvektion (Strahlungsmodifika- Dr. M. Kunz, Dipl.-Met. C. Meissner und Dipl.-Met. tion, lokale Windsysteme und Bergventilation) können J. Thuerauf verfasst. Hierfür ist ihnen ebenso zu dan- sich somit im Modell nicht oder zumindest nicht zur ken wie allen Beteiligten an den Messprogrammen richtigen Zeit an den richtigen Stellen entwickeln. Im ESCOMPTE 2001 und VERTIKATOR 2002. Modell wird die Auslösung von Konvektion in diesem Fall für einen großen Teil der Gesamtfläche des Nord- schwarzwalds oberhalb der Modellgeländehöhe von Literatur 600 bis 700 m nach 10 UTC prognostiziert (Abb. 4-13). In der Realität entwickelte sich gegen 14 UTC jedoch ADRIAN, G., F. FIEDLER, 1991: Simulation of unstationary nur eine einzige eng begrenzte Konvektionszelle über wind and fields over complex terrain and compa- dem oberen Murgtal mit einer Lebensdauer von etwa rison with observations. Beitr. Phys. Atmos. 64, 27-48. 90 Minuten (Abb. 4-7). BALDAUF, M., F. FIEDLER, 2003: A parameterisation of the effective roughness length over inhomogeneous, flat terrain. Eine Verbesserung der Vorhersagemodelle kann außer Boundary-Layer Meteorol. 106 189-216. durch Verwendung eines höher aufgelösten Modellgit- BARTHLOTT, C., U. CORSMEIER, C. MEISSNER, F. ters nur durch systematische Vergleiche von Beobach- BRAUN, C. KOTTMEIER, 2005: The influence of mesoscale tungen und Modellvorhersagen erfolgen, um die Bei- circulation systems on triggering convective cells over com- plex terrain. Atmos. Res., zur Veröffentlichung angenommen. träge der Prozesse zu bestimmen, die im Modell für ei- ne Fehlvorhersage verantwortlich sind. Dies umfasst BERTRAM, I., A. SEIFERT, K.-D. BEHENG, 2004: The evolu- die Energieumsetzung am Boden, die Parameterisie- tion of liquid water/ content of a mid-latitude convective storm derived from radar data and numerical results. Meteo- rung der kleinskaligen Konvektionsprozesse und die rol. Z., N. F. 13, 221-232. Erfassung der höchst inhomogenen Verteilung der at- CORSMEIER, U., R. BEHRENDT, P.DROBINSKI, C. KOTT- mosphärischen Parameter Temperatur, Feuchte und MEIER, 2005: The MISTRAL and its effect on air pollution Wind sowie die turbulenten Flüsse im Bereich der un- transport and vertical mixing. Atmos. Res. 74, 275-302. teren Troposphäre. Diese Untersuchungen und Ver- CROS, B., P. DURAND, H. CACHIER, P. DROBINSKI, E. gleiche sind das Ziel der weiteren VERTIKATOR- FREJAFON, C. KOTTMEIER, P. E. PERROS, J. L. PON- Auswertungen und geplanter zukünftiger Forschungs- CHE, D. ROBIN, F. SAID, G. TOUPANCE, H. WORTHAM, programme, vor allem des Messprogramms COPS 2004:The ESCOMPTE program:An overview. Atmos. Res. 69, (Convective and Orographically induced Precipitation 241-279. Study) als Teil des 2004 von der Deutschen For- DAVID, F., C. KOTTMEIER, 1986: Ein Beispiel für eine Hügel- schungsgemeinschaft eingerichteten Schwerpunktpro- überströmung mit nahezu kritischer Froudezahl. Meteorol. gramms „Quantitative Niederschlagsvorhersage“. Rdsch. 39, 133-138. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 C. Kottmeier, F. Fiedler: Vertikaler Austausch über Mittelgebirgen 33

FIEDLER, F., U. CORSMEIER, C. KOTTMEIER, K-D. BE- KUNZ, M., C. KOTTMEIER, 2006: Orographic enhancement of HENG, N. KALTHOFF, P. WINKLER, G. ADRIAN, S. EM- precipitation over low mountain ranges, Part II: Simulations of EIS, J. EGGER, H. HÖLLER, 2005: Vertical transport and heavy precipitation events. J. Appl. Meteorol., zur Veröffentli- orography (VERTIKATOR). In: Results of the German chung angenommen. Atmospheric Research Programme AFO 2000. BMBF, Bonn, MAI, S., C. WAMSER, C. KOTTMEIER, 1996: Geometric and 91-95; online verfügbar unter http://www.bmbf.de/pub/ Aerodynamic Roughness of Sea Ice. Boundary-Layer Meteo- AFO_2000_Abschlussbericht.pdf rol. 77, 233-248. HASEL, M., C. KOTTMEIER, U. CORSMEIER, A. WIESER, MEISSNER, C., N. KALTHOFF, M. KUNZ, U. CORSMEIER, 2005: Airborne measurements of turbulent trace gas fluxes G. ADRIAN, 2005: Initialisation of deep convection over low and analysis of eddy structure in the convective boundary lay- mountain ranges. Atmos. Res., eingereicht. er over complex terrain. Atmos. Res. 74, 1-4, 381-402. SCHROEDTER, M., F.-S. OLESEN, H. FISCHER, 2003: Deter- HUNT, J. C. R., W. H. SNYDER, 1980: Experiments on stable mination of land surface temperature distributions from single and neutrally stratified flow over a model three-dimensional channel IR measurements: An effective spatial interpolation hill. J. Fluid Mech. 96, 671-704. method for the use of TOVS, ECMWF and radiosonde profi- KALTHOFF, N., C. KOTTMEIER, J. THÜRAUF, U. CORS- les in the atmospheric correction scheme. International Jour- MEIER, F. SAID, E. FREJAFON, P. E. PERROS, 2005a: Me- nal of Remote Sensing 24, 1189-1196. soscale circulation systems and ozone concentrations during VON SALZEN, K., M. CLAUSSEN, K. H. SCHLÜNZEN, 1996: ESCOMPTE: a case study from IOP 2b. Atmos. Res. 74, 1-4, Application of the concept of blending height to the calcula- 355-380. tion of surface fluxes in a mesoscale model. Meteorol. Z., N.F. KALTHOFF, N., C. MEISSNER, C., G. ADRIAN, M. KUNZ, 5, 60-66. 2005b: Initiation of shallow convection in the Black Forest WIPPERMANN, F., 1984: Air flow over and in broad valleys: mountains. Atmos. Res., eingereicht. Channelling and counter-current. Beitr. Phys.Atmos. 57, 92-105. 34 promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 34-42 (März 2006) © Deutscher Wetterdienst 2006

P.WINKLER, M. LUGAUER, O. REITEBUCH 5 Alpines Pumpen Alpine Pumping

Zusammenfassung „Alpines Pumpen“ ist ein regionales Zirkulationsphänomen, das sich tagsüber zwischen Gebirge und Vorland bei hoher Sonneneinstrahlung und schwachen Druckgradienten ausbildet. Die Luft im Alpenraum erwärmt sich tagsüber rascher als im Vorland, es bildet sich ein Hitzetief und die bodennahe Luft wird konvektiv nach oben verfrachtet. Aus dem Alpenvorland strömt Luft in einer Einströmschicht zu den Alpen und ersetzt die dort kon- vektiv gehobene Luft. Luftbeimengungen in der Einströmschicht gelangen so vom Alpenvorland in die freie Tro- posphäre bis über die Alpengipfel. Semivolatile Luftbeimengungen rekondensieren bei den niedrigen Tempera- turen in den Hochalpen und reichern sich dort an. Für dieses häufige Transportphänomens, das durch intensive- ren Vertikalaustausch über dem Hochgebirge ausgelöst wird, wurde die Bezeichnung „Alpines Pumpen“ ge- wählt. Es wird in diesem Beitrag näher beschrieben.

Abstract „Alpine Pumping“ designates a regional circulation pattern which is generated during day time between a moun- tain range and its foreland in conditions of high solar radiation and weak synoptic pressure gradients. The air above the Alps is heated quicker during the day than above the foreland. A heat low is generated and near-sur- face air gets convectively transported to higher levels. Air constituents can therefore be transported from the in- flow boundary layer above the foreland right into the free troposphere high above the summits. Semi-volatile pollutants may re-condense at the low there and get enriched. This frequent transport phenome- non, which is induced by the more intense vertical exchange above high mountains, was termed „Alpine pum- ping“ and is described in this contribution.

1 Einleitung Thermisch angetriebene Zirkulationen beschränken sich also nicht nur auf Hangzirkulationen, sondern be- Die tageszeitliche Entwicklung der Strömungen zwi- wirken regionale Zirkulationsphänomene. Globale schen Gebirgsregionen und dem Umland ist vergleich- Zirkulationsmodelle, die den Vertikalaustausch para- bar zur Land-Seewind-Zirkulation. Während bei letz- meterisieren, unterschätzen wegen der großen Gitter- terer die thermischen Unterschiede aufgrund der abstände Phänomene wie das Alpine Pumpen und die unterschiedlichen Wärmekapazitäten von Land und damit einhergehenden Transporte. Hochauflösende Wasser entstehen, treten in Hochgebirgsräumen ande- Modelle geben die Phänomene besser wieder (GANT- re Effekte auf: NER et al. 2003). Der Transport von Luftbeimengun- 1. im Vergleich zur vorgelagerten Ebene hat die zu er- gen aus urbanen Regionen im Alpenvorland führt zu wärmende Luftsäule in den Gebirgstälern ein gerin- einer Zusatzbelastung für die empfindlichen alpinen geres Volumen und erwärmt sich bei gleicher Ener- Ökosysteme. Im Rahmen der VOTALP (Vertical Ozo- giezufuhr durch Sonnenstrahlung rascher (STEIN- ne Transports in the Alps)-Studie wurde die Ozonbe- ACKER 1984); lastung auf der Alpensüdseite durch Luftmassen aus 2. die geneigten, zur Sonne exponierten Hänge erwär- der Po-Ebene untersucht (PREVOT et al. 2000, WO- men sich und die angrenzende Luft rascher wegen TAWA et al. 2000). des günstigeren Einfallswinkels; 3. der geringere Luftdruck in höher gelegenen Regio- Untersuchungen zur räumlichen Verteilung der Kon- nen bewirkt ebenfalls eine raschere Erwärmung der vektionsbewölkung (KÄSTNER und KRIEBEL 2001, darüber befindlichen Luft, da bei gleicher Energie- KÄSTNER et al. 2004) und der Blitzhäufigkeit (FIN- zufuhr eine geringere Masse erwärmt werden muss KE und HAUF 1996) weisen den Alpennordrand als (hochgelegene Heizfläche); besonders gewitterträchtig aus – auch im Vergleich mit 4. in der Nacht kühlt sich die Luft im Alpenraum ra- dem inneralpinen Raum. Es ist naheliegend, dass dem scher ab, es bildet sich ein Kältehoch, welches einen Alpinen Pumpen bei der Entwicklung konvektiver nächtlichen Abfluss von Luft ins Umland bewirkt. Zellen eine Schlüsselrolle zukommt. Eine bessere Be- urteilung bedarf jedoch Kenntnisse über folgende Zu- Die in Abb. 5-1 gezeigten Geländeschnitte veranschau- sammenhänge: lichen die Unterschiede zwischen Alpen und Vorland. • Häufigkeit des Alpinen Pumpens und jahreszeitli- Übersichten zu klassischen und neueren Arbeiten ge- che Verteilung, ben WHITEMAN (2000) und EGGER (1990) zur • Kenntnis der Antriebe des Alpinen Pumpens in Ab- Theorie thermischer Störungen. hängigkeit von der solaren Einstrahlung, promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 P.Winkler et al.: Alpines Pumpen 35

• mittlere Ausformung des Bodenwindfeldes in der 2 Untersuchungsgebiet und Datenmaterial Einströmschicht in Abhängigkeit von der Großwet- terlage (Höhenströmung), Untersuchungen liegen für das Gebiet zwischen Do- • tageszeitliche Entwicklung und Erstreckung vom nau und Nordalpen und in Ost-West-Richtung vom Alpenrand und Entwicklung der Bewölkung, Bodensee bis Passau vor (LUGAUER und WINK- • Abschätzung von Massenströmen und den damit LER 2002, 2005). Dieses Gebiet (Abb. 5-1) weist ne- verbundenen Spurenstofftransporten. ben dem allmählichen Geländeanstieg von der Donau zum Alpenrand auch Neigungen in Ost-Westrichtung Es ist unmittelbar einleuchtend, dass das Phänomen auf mit einem Höhenmaximum im Allgäu, welches die des Alpinen Pumpens zahlreiche Modifikationen je europäische Wasserscheide zwischen Rhein und Do- nach Wetterlage erfährt, wobei weitere meteorologi- nau bildet. Das der Untersuchung zugrunde liegende sche Parameter wie atmosphärische Stabilität, Jahres- Datenmaterial umfasst den Zeitraum 1996–2000. gang der Bodentemperatur, Schneebedeckung in hö- heren Lagen und synoptischer Druckgradient hinein- Als wichtige Voraussetzung wurde nachgewiesen, dass spielen. Die thermischen Antriebskräfte zwischen bei Wetterlagen mit Alpinem Pumpen das Strahlungs- Alpen und Alpenvorland konkurrieren und überla- feld großräumig weitgehend homogen ist, abgesehen gern sich mit diesen anderen Antriebskräften, was in- von der verstärkten Konvektionsbewölkung über den folge der komplexen Wechselwirkungen zu vielfältigen Alpen. In diesem Gebiet ist außer im Winter der Wol- Detailausprägungen führt. kenbedeckungsgrad um 10–20 % höher als im Vorland.

Eine jahreszeitliche Analyse der Häufigkeit der Strah- lungsklassen ergab, dass in der Zeit April bis August Ta- gessummen mit einer Einstrahlung von mehr als 20 MJ/m2 etwa konstant häufig an 42 % der Tage auftre- ten. Wettersituationen mit geringerer Einstrahlung (10–20 MJ/m2) kommen von Februar bis Oktober vor mit einer mittleren Häufigkeit von 45 %. Die Vorausset- zung für das Entstehen von Alpinem Pumpen im Gebiet von Oberbayern für April - August ist also an 42 % der Tage sehr günstig und im Zeitraum März bis Oktober an weiteren 45 % der Tage noch günstig. Das Phänomen Al- pines Pumpen tritt demnach relativ häufig auf.

2.1 Tagesgänge der horizontalen Druckgradienten

Nach WHITEMAN (1990) sind die horizontalen Druckgradienten ausschlaggebend für die Ausprägung des oberflächennahen Windfeldes. NICKUS und VERGEINER (1984) zeigten für sonnige Tage, dass, abgesehen vom Winter, zu allen Jahreszeiten eine re- gelmäßige tägliche Umkehr des Druckgradienten München – Innsbruck auftritt. Legt man die Tagessum- me der eingestrahlten Sonnenenergie als Antrieb zu- grunde, dann ergeben sich die in Abb. 5-2 dargestellten täglichen Druckvariationen (normiert auf NN) für die Abb. 5-1: Schematische Darstellung der Strömung bei Alpinem Stationspaare Innsbruck–München (97 km) und Gar- Pumpen im Alpenvorland für zwei Großwetterlagen misch–München (80 km). im 500 hPa Niveau: Südlagen (durchgezogene Linien) und Nordlagen (gepunktete Linien). Nord-Süd- Schnitt (oben) etwa auf der Linie Garmisch - Augs- (a) (b) burg und Ost-West-Schnitt (unten) parallel zum

Alpenrand; man beachte die großräumigen Neigun- hPa/m -5 gen im Vorland. Man beachte die unterschiedliche Überhöhung beider Schnitte.

Abb. 5-2: Mittlere horizontale Druckgradienten (a) Innsbruck – Mün- chen (97 km), (b) Garmisch–München (80 km), für drei in 10 Druckgradient Strahlungsklassen (Tagessummen der Globalstrahlung, Gebietsmittel). MEZ MEZ 36 P.Winkler et al.: Alpines Pumpen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Nachts ist der Druck in den Alpen höher als im Vor- die Stationen Augsburg, Vilgertshofen, Hohenpeißen- land, tagsüber dagegen niedriger und zwar für alle berg und Zugspitze dargestellt, die ungefähr auf einer Strahlungsklassen. Tagsüber nimmt der Druckgra- Nord-Süd-Linie senkrecht zum Alpenrand liegen. Der dient mit steigender Strahlungsenergie zu. Bemer- Hohenpeißenberg überragt als Inselberg das umgeben- kenswert ist, dass am Nachmittag sich über den Nord- de Hügelgelände um 300–400 m, die Zugspitze mit alpentälern ein schwaches bodennahes Hitzetief ent- 2960 m liegt oberhalb der Einströmschicht. wickelt, selbst unter Bedingungen mit geringer Strah- lung (<10 MJ m-2 Tag -1), was Winterbedingungen ent- An den Flachlandstationen Augsburg und Vilgertshofen spricht. In Garmisch wird das Druckminimum etwa ist nachts die skalare Windgeschwindigkeit gering, da 2 Stunden früher erreicht als in Innsbruck. Der Grund beide unter der Bodeninversion liegen. Die Bergstatio- dürfte auf den Volumeneffekt (STEINACKER 1984) nen Hohenpeißenberg (977 m) und Zugspitze (2960 m) zurückzuführen sein, da im Loisachtal ein geringeres weisen nachts höhere Windgeschwindigkeiten auf als Volumen zu erwärmen ist als im breiteren Inntal. Am tags, da sie über der Bodeninversion liegen und rei- Nachmittag besteht zwischen München und Garmisch bungsentkoppelt sind. Ab etwa 9 Uhr MEZ gleichen ein deutlich höherer Druckgradient als zwischen Gar- sich die Windgeschwindigkeiten von Hohenpeißenberg, misch und Innsbruck. Der Druckgradient zwischen Vilgertshofen und Augsburg bis 18 Uhr MEZ weitge- Alpenvorland und den Nordalpen ist also größer als hend an, da nun alle 3 Stationen in der konvektiv ge- der Druckgradient in den Alpen, was bedeutet, dass mischten Einströmschicht des Alpinen Pumpens liegen. die Luft tags zu den Alpen strömt, aber innerhalb der Mit dem Aufbrechen der Bodeninversion und dem Ein- Alpen selbst nur schwache, druckbedingte Strömun- setzen stärkeren Vertikalaustausches beginnt an der gen zu finden sind. Zugspitze die Windgeschwindigkeit abzunehmen, um am Nachmittag zur Zeit der stärksten Entwicklung des Impulsaustausches ein Minimum zu erreichen. 2.2 Analyse des Windfeldes bei Alpinem Pumpen Für Tage mit geringerer Strahlung (10–20 MJ/m2 und Die mittlere thermisch induzierte Strömung im Alpen- <10 MJ/m2) ist der Tagesgang der Windgeschwindig- vorland wurde für 340 Tage des Zeitraumes 1996–2000 keit weniger ausgeprägt als bei hoher Einstrahlung, be- anhand stündlicher Werte des Windes ausgewertet, und sonders an den höheren Stationen Hohenpeißenberg zwar für Tage mit hoher Einstrahlung (>20 MJ m-2 Tag -1). und Zugspitze, wo die Windgeschwindigkeit ganztägig In Abb. 5-3 ist die mittlere skalare Windgeschwindig- höher bleibt. An diesen Tagen ist der vertikale Impuls- keit und mittlere N-S-Komponente im Tagesgang für austausch schwächer ausgebildet.

An der Zugspitze ist die dominante Windrichtung West, an den tiefen Stationen der Einströmschicht nimmt die Nordkomponente mit wachsendem Ab- stand vom Alpenrand ab. Mit zunehmender Einstrah- lung, d. h. Verstärkung des inneralpinen Hitzetiefs wei- tet sich die Einströmschicht weiter nach Norden aus. in m/s Oberhalb der Einströmschicht mit einer Nordkompo- nente tritt an der Zugspitze eine Südkomponente auf, die sich dem synoptischen Wind aufprägt. Die thermi-

skalare Windgeschwindigkeit sche Zirkulation mit einer bodennahen Einström- schicht und einer kompensierenden Gegenströmung in der Höhe ist daran gut erkennbar.

Es sei angemerkt, dass die Rückströmung in der Höhe keine geschlossene Zirkulationslinie bedeutet, sondern dass die Luft wegen der hohen zonalen Windkompo- nente im und oberhalb des Gipfelniveaus wegen der

Windes in m/s dort höheren Windgeschwindigkeit in Hauptwindrich- tung weggeführt wird. Meridionalkomponente des Meridionalkomponente

Abb. 5-3: Mittlere Tagesgänge der Windgeschwindigkeit und 2.3 Mittleres Strömungsfeld in der Einströmschicht der meridionalen Windkomponente für die 4 Statio- nen Augsburg (82 km nördlich vom Alpenrand), Vil- Abb. 5-4 zeigt mittlere Windvektoren in der bodenna- gertshofen (30 km), Hohenpeißenberg (13 km) und Zugspitze (32 km südlich von einer als nördlicher hen Schicht an Tagen mit ausgeprägtem Alpinem Pum- Alpenrand gedachten Linie). Mittel über 340 Tage pen. Dabei wurde für die Einströmphase von des Zeitraumes 1996–2000 mit einer Tagessumme der 8–20 MEZ gemittelt und für die Ausströmphase von Globalstrahlung ≥ 20 MJ/m2. 20–8 MEZ. Die Stationen 20, 23, 29 und 35 liegen auf promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 P.Winkler et al.: Alpines Pumpen 37

In der Nacht fließt die in den Alpen sich bildende Kalt- luft aus. Die Strömung ist schwächer als am Tag und komplexer, da Kaltluftbildung überall stattfindet, der Kaltluftabfluss der lokalen Geländeneigung folgt und sich auch örtlich Kaltluftseen in Senken oder an Strö- mungsbarrieren bilden. Trotzdem ist die Strömung zur Donau hin klar erkennbar, wo sich die Kaltluft letztlich sammelt.

Das Windfeld weist in den Talöffnungen des Alpen- nordrandes wie Isartal, Loisachtal oder dem Oberst- dorfer Taleinschnitt hohe Werte auf, da die Talrichtung eine Windführung vorgibt und sich besonders am Tag durch den Bernoulli-Effekt eine zusätzliche Beschleu- nigung ergibt.

Die Bedeutung der schwachen Hangneigungen im Vorland wird wiederum im Allgäu deutlich, in dessen Westen die Luft nachts zum Bodensee drainiert. Der Bodensee selbst entwickelt in Ufernähe vom Land- Seewind geprägte Zirkulationsmuster.

3 Modifikation der bodennahen Strömung durch die großräumige Höhenwetterlage

Wie eingangs erwähnt, spielen andere Luftmassen- eigenschaften wie Stabilität und Wasserdampfgehalt (Wolkenbildung) eine Rolle bei der Ausprägung des Alpinen Pumpens. Aus Norden großräumig anströ- mende Luft dürfte z. B. eine vergleichsweise höhere Stabilität der Schichtung als Luftmassen bei anderen Abb. 5-4: Mittleres Windfeld an Tagen mit Alpinem Pumpen (340 Fälle). Oben: Windvektor für die Einströmpha- Wetterlagen aufweisen, damit hohe Einstrahlungssum- se 8–20 MEZ; unten: mittlere Windvektoren für die men erreicht werden können. Manchmal können auch Ausströmphase von 20–8 MEZ. Der Wind an der Luv- und Leeeffekte entstehen, die bei hinreichend Zugspitze ist durch ein ausgefülltes Dreieck hervor- starken synoptischen Druckgradienten zu geschlosse- gehoben. ner Staubewölkung oder zu Föhn (HOINKA 1980) führen. Bergen, die aber im Tagesverlauf noch von der nach oben wachsenden Einströmschicht erfasst werden. Zwischen großräumiger Wetterlage und thermisch ge- triebenen Phänomenen wie dem Alpinen Pumpen tre- Das Windfeld im gesamten Alpenvorland ist im Mittel ten immer Überlagerungen und Wechselwirkungen durch eine nordöstliche Strömung gekennzeichnet, auf. Zur Veranschaulichung derartiger Wechselwirkun- wobei die Nordkomponente mit zunehmender Nähe gen wurden mit Hilfe der Schweizer Alpenwettersta- zum Alpenrand größer wird. Die Mittelgebirge nörd- tistik (SCHÜEPP 1979, METEOSCHWEIZ 1985) Si- lich der Donau entwickeln eigene, schwächer ausgebil- tuationen der Klassen Nord und Süd ausgewählt und dete lokale Windsysteme. Die tagsüber im Alpenvor- mittlere Bodenwindfelder dargestellt (Abb. 5-5). land vorherrschende Nordostkomponente entsteht aus der Überlagerung der Druckgradienten, die aus den Nordwind in 500 hPa: Die Nordlage prägt sich auch Wärmetiefs der Nordalpen und über dem Allgäu ent- dem bodennahen Windfeld auf. Bemerkenswert ist, stehen. So zeigen Stationen westlich der Linie Mem- dass sich sogar eine divergente Strömung ausbildet, bei mingen-Kempten eine Nordwestkomponente, d. h. der westlich von 11,5° E die Strömung eine einheitli- über dem Allgäu entsteht tags eine Konvergenz, ent- che NE-Komponente trägt; östlich dieser Linie ent- lang der die Luft aufsteigen muss. Damit findet auch steht eine NW-Komponente, d. h. infolge einer Strö- die häufigere Entstehung von Gewittern im Allgäu ei- mungsdivergenz werden die Alpen in Bodennähe ne Erklärung, wie sie anhand von Blitzstatistiken von westlich bzw. östlich umströmt. FINKE und HAUFF (1996) dokumentiert wurden. Die schwachen Geländeneigungen im Alpenvorland Südwind in 500 hPa: Das bodennahe Windfeld ist sind also ausreichend zur Bildung solcher lokaler Kon- schwächer ausgebildet als bei der Nordlage, da die süd- vergenzen. liche Grundströmung von der thermisch induzierten 38 P.Winkler et al.: Alpines Pumpen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

500 hPa: Nordwind 500 hPa: Südwind

MEZ MEZ Abb. 5-6: Mittlere Tagesgänge der Quellbewölkung (Bede- ckungsgrad in % bis 2000 m ü. G.) an Tagen mit Alpi- nem Pumpen (hohen Tagessumme der Einstrahlung) der Stationen Augsburg, Hohenpeißenberg und Zug- spitze. Linke Säule: Nordlagen in 500 hPa (61 Fälle); rechte Säule: Südlagen in 500 hPa (86 Fälle).

Abb. 5-5: Mittleres Bodenwindfeld bei Alpinem Pumpen für die Einströmphase 8–20 MEZ für Bedingungen mit Vorland und die Windströmung schert auch Konvek- hoher Einstrahlung ≥ 20 MJ/m2. Oben: Nordlage im tionsblasen ab, wodurch die Organisation größerer 500 hPa-Niveau über den Alpen (Mittel über 61 Ta- Wolkenkomplexe behindert wird. ge). Unten: Süd (Mittel über 86 Tage). Die Stations- nummern sind mit Abb. 5-4 identisch. Eine Analyse der tiefen Bewölkung (bis etwa 2000 m über Grund) für Augsburg, Hohenpeißenberg und Zugspitze an Tagen mit hoher Einstrahlung ergibt die Strömung kompensiert bzw. überkompensiert werden in Abb. 5-6 dargestellten Tagesgänge. Die Stationen lie- muss. Die Zugspitze und Bergstationen wie Wank oder gen wieder auf einer Nord-Südlinie, wobei Augsburg Wendelstein weisen bereits eine starke Südwindkompo- etwa am Nordrand und Hohenpeißenberg im Zentrum nente auf, da sie noch überwiegend von der synopti- der Einströmschicht liegt und die Zugspitze in der schen Strömung in der Höhe erfasst werden. Im Allgäu Hauptkonvektionszone. bildet sich bei der Südlage eine deutliche Konvergenz- linie aus. Bei diesen Wetterlagen treten Gewitter häufi- Unabhängig von der Großwetterlage ist an der Zug- ger auf, da der Feuchtigkeitsgehalt der Luft höher ist als spitze ein klarer Tagesgang der Bewölkung mit einem bei Nordlagen. FINKE und HAUFF (1996) zeigten, ausgeprägten Nachmittagsmaximum (16–17 MEZ) dass sich im Allgäu ein Häufigkeitsmaximum in der festzustellen, wie für Strahlungstage zu erwarten ist. Blitzaktivität befindet. Schwache Geländeneigungen Zu dieser Zeit hat sich die tiefe Bewölkung gegenüber (wie in Abb. 5-1 in O-W-Richtung) regen bei bestimm- dem Vormittag verdoppelt bis verdreifacht. Die beiden ten Bedingungen Sekundärzirkulationen an, die sich der anderen Stationen weisen keinen so deutlichen Tages- Hauptzirkulation des Alpinen Pumpens überlagern. gang auf. Mit beginnendem Einströmen muss gleich- zeitig Absinken einsetzen, was die Wolkenbildung in Vorland hemmt. Am Nachmittag ist das Absinken am 4 Alpines Pumpen und Konvektionsbewölkung stärksten, wenn die Konvektionsanregung am größten ist. Bei den Südlagen kommt ein gewisser Leeeffekt Hohe Einstrahlung, die Alpines Pumpen auslöst, führt oder ein geringer Föhneffekt hinzu, da die Luft nach zur Bildung von Konvektionsbewölkung. Alpines dem Überströmen der Alpen ebenfalls absinken muss. Pumpen bewirkt aber kompensierendes Absinken im Die Unterdrückung der Konvektionswolken scheint promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 P.Winkler et al.: Alpines Pumpen 39 am Hohenpeißenberg ausgeprägter als in Augsburg, da Abb. 5-7 zeigt im oberen Teil den Tagesgang der Tem- Hohenpeißenberg im Zentrum der Einströmschicht peraturdifferenz zwischen Isartal und Oberschleiß- liegt und das kompensierende Absinken hier stärker heim als Funktion der Höhe, abgeleitet aus Radioson- sein muss als am Nordrand der Einströmschicht. Die- dierungen. Unterhalb von 100 bis 1300 m über Grund ses Zusammenspiel erklärt das häufige Auftreten des ist das Isartal während der Einströmphase wärmer als oft weiß-blauen Himmels in Oberbayern. die weit vom Alpenrand entfernte Station Ober- schleißheim. Oberhalb dieser Grenze ist es nachts über den Alpen wärmer als im Vorland, tagsüber dagegen 5 Fallstudie zum Alpinen Pumpen am 8.7.2002 etwas kühler. Man erkennt außerdem, dass die Erwär- mung morgens unmittelbar am Talboden einsetzt und Für eine Abschätzung der mit Alpinem Pumpen ver- dann rasch vertikal fortschreitet. Am Abend beginnt bundenen Massenflüsse wurden Daten eines Feldex- die Auskühlung am Talboden ebenfalls früher als in perimentes ausgewertet, in dem Sondierungen, Fern- der Höhe. messverfahren, luftchemische Messungen sowie Flug- zeuge eingesetzt waren. An dem Tag herrschte eine Im unteren Teil von Abb. 5-7 ist die vertikale Windver- Hochdrucklage mit schwachem Wind am Boden und teilung an der Messstation Isartal aufgetragen. Man er- Südwind in der Höhe. Um 00 UTC lag ein Höhen- kennt das Anwachsen der Einströmschicht mit der Hö- hochkeil über dem Untersuchungsgebiet, doch hatte he und das Maximum der Nordkomponente am späten sich um 12 UTC zwischen dem Hochkeil und dem Trog Nachmittag. Das Windmaximum ist in einigen 100 m im Westen eine SW-Strömung mit massiver Warmluft- Höhe zu finden. Das Umschlagen der Meridionalkom- advektion entwickelt. Alpines Pumpen konnte sich gut ponente erfolgt am Vormittag um 10 Uhr MEZ und am ausbilden. Abend um 20–21 Uhr MEZ.

Aus dem Vergleich beider Teilbilder ist weiter ersicht- lich, dass die Windrichtung im Isartal am Vormittag zu diesem Zeitpunkt von Süd auf Nord wechselt, kurz nachdem (etwa eine Stunde) die Temperaturdifferenz Isartal - Oberschleißheim das Vorzeichen gewechselt hat. Es sind demnach keine sehr großen Temperatur- differenzen erforderlich, um in den größeren Talöff- nungen des Alpenrandes das Einströmen zu bewirken.

Höhe in m über Grund Eine wichtige Frage ist, in welchem Gebiet die Luft der Einströmschicht konvektiv nach oben gemischt wird: Umfasst dieses Gebiet den ganzen Raum bis zum Al- penhauptkamm oder nur die Nordalpenkette bis zum Zeit in MEZ Inntal? Obwohl diese Frage nur durch Messungen nicht gut beantwortet werden kann, sprechen viele Ar- gumente für das Inntal als Südgrenze, zumindest für die Situation des 8.7.2002: • die Nordflanke des Inntales wird von der Sonnen- strahlung sehr gut erwärmt und erzeugt daher star- ken Vertikalaustausch; • die inneralpinen Druckgradienten sind schwach gegenüber dem Gradienten im Vorland; • Horizontalschnitte der LM-Simulation (BRAUN 2003, persönliche Mitteilung) zeigen, dass die

Höhe in m über Grund Hauptkonvektionszone nur die Nordalpen umfasst.

Südlich vom Inntal bis zum Alpenhauptkamm dürfte sich ein zweites, aber schwächeres thermisches Zirku- Zeit in MEZ lationsmuster ausbilden, das vom Zirkulationsmuster des Alpinen Pumpens getrennt ist.

Die große horizontale Erstreckung des Alpinen Pum- Abb. 5-7: Oben:Tagesgang der Temperaturdifferenz Isartal-Ober- pens wird deutlich an einem 200 km langen Ost-West schleißheim: die zweigeschichtete Temperaturstruktur Schnitt des Horizontalwindes bis 6 km Höhe vom Bo- bei Alpinem Pumpen ist gut zu erkennen. Unten: Ta- geszeitliche und vertikale Entwicklung des Talwindsys- densee bis zum Chiemsee südlich des Hohenpeißen- tems im Isartal: Talaufwind in roter und Talabwind in berg parallel zum Alpenrand (Abb. 5-8). Die Messun- blauer Tönung, Einströmphase von 10–21 MEZ. gen wurden am frühen Nachmittag des 8.7.2002 mit ei- 40 P.Winkler et al.: Alpines Pumpen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

dem Allgäu ausbilden. Eine derartige labile Situation war am Folgetag, den 9.7.2002 gegeben, bei der sich am Ausgang des Loisachtals ein kräftiges Gewitter bildete.

6 Transporte von Luftbeimengungen am 8.7.2002 Höhe in km NN Zur Abschätzung von Spurenstofftransporten dient ein Boxmodell (Abb. 5-9). Schicht 1 repräsentiert da- bei den mittleren Massenfluss, wie er sich aus den Mes- Entfernung in km sungen an verschiedenen Punkten im Alpenvorland ergab. Der in Abb. 5-9 angegebene Fluss stellt den Mittelwert für die gesamte Dauer der Einströmphase dar, also für den Zeitraum 12–20 Uhr MEZ. Dieses Vo- lumen wird konvektiv in die Box 2 (Mischungsbox) zu- gemischt, deren südliche Begrenzung im Inntal und de- ren Nordrand an den Beginn der Alpen gelegt wurde, wo die Berggipfel eine Höhe von ~1800 m überschrei- Höhe in km NN ten. Die Obergrenze von Box 2 konnte anhand von Flugzeugmessungen festgelegt werden. Der nordwärts gerichtete Massenstrom in der Höhe ergab sich aus Entfernung in km den Windmessungen an der Zugspitze und von Flug- zeugen aus. Über dem Wetterstein- bzw. dem Karwen- Abb. 5-8: West-Ost-Schnitt parallel zum Alpenrand vom Bo- delmassiv ist der Massenfluss wegen der Überströ- densee bis Chiemsee mit Messungen der horizontalen mung am höchsten und nimmt nach Norden hin wegen Windgeschwindigkeit (oben) und -richtung (unten) des Absinkens ab. Verschiedene Abschätzungen haben mit einem flugzeuggetragenen Doppler-Lidar am ergeben, dass das Volumen der Einströmschicht am 8.7.2002, 13:10–13:27 MEZ. Tag komplett ersetzt wird.

Vergleicht man die mit dem Boxmodell berechneten nem neuartigen Doppler-LIDAR (Light Detection Konzentrationen mit vom Flugzeug gemessenen Wer- and Ranging, ein optisches Laser-Fernerkundungsin- ten, so ergibt sich gute Übereinstimmung anhand von strument) an Bord des Forschungsflugzeuges DLR Benzol- und Toluoldaten. Die Messungen in der Mi- Falcon 20 vorgenommen (REITEBUCH et al. 2003a, schungszone bestätigten die berechneten Werte gut, das 2003b, 2004). Die Windgeschwindigkeit entlang dieses Boxmodell erweist sich daher als brauchbarer Ansatz. Schnittes weist nur sehr geringe Werte bis 4 m/s (Abb. 5-8 oben, blaue Farbkodierung) mit einer deut- Vom Hochgebirge gibt es eine Reihe von Berichten lichen Nordkomponente (Abb. 5-8 unten, gelbe Farb- über eine Zunahme der Schadstoffbelastung von Seen kodierung) in einer Schicht bis etwa 2 km NN auf. Ins- besondere in der Windrichtung ist eine Einström- Schicht von etwa 1 km vertikaler Mächtigkeit über Grund mit einer nördlichen Windkomponente und da- rüber liegendem südwestlichem Wind deutlich zu er- kennen. Die Höhe dieser Schicht nimmt zum Osten im Bereich des Inntals und Chiemsees leicht ab. Die Ab- nahme der vertikalen Mächtigkeit mit größerer Entfer- nung zu den Alpen in Nord-Süd-Richtung konnte an anderen Tagen mit flugzeuggetragenen Doppler-Lidar Messungen gezeigt werden (WEISSMANN et al. 2005). Eine Abschätzung des Massenflusses aus diesen Mes- sungen ergab, dass innerhalb eines Tages das komplette Luftvolumen der Ansaugschicht bis aus einer Entfer- nung von 100 km zu den Alpen transportiert wird.

Bei labiler Schichtung können leicht hochreichende Quellwolken entstehen, die Tagessumme der Einstrah- lung ist dann geringer. Bei genügend hohem Grad der Labilität entwickeln sich auch Schauer oder Gewitter. Abb. 5-9: Boxmodell zur Abschätzung der Massenströme und Das Auslösen kann dabei durch schwache Konvergen- konvektiven Mischungsvorgänge. Ausführliche Er- zen erfolgen, wie sie sich am Alpennordrand oder über klärung siehe Text. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 P.Winkler et al.: Alpines Pumpen 41 und Böden mit Zunahme der Höhe. Dabei handelt es Mit dem Alpinen Pumpen werden Luftbeimengungen sich um semivolatile Substanzen wie polyzyklische aro- aus bodennahen Emissionsgebieten in den Alpenraum matische Kohlenwasserstoffe (PAH) oder persistente verfrachtet. Insbesondere semivolatile, toxische Sub- organische Schadstoffe (POP’s; WEISS 2002) oder stanzen können bei niedrigen Temperaturen in den Quecksilber. Von diesen Substanzen nimmt man an, Hochlagen wieder kondensieren und tragen hier zur dass sie in Gebieten mit niedriger Temperatur stärker Belastung des Ökosystems bei. Solche Substanzen ak- kondensieren und sich anreichern, wofür die Voraus- kumulieren sich in den Hochlagen und bewirken daher setzungen in polaren Breiten oder in den Hochalpen oft eine Zunahme der Belastung mit zunehmender bestehen. So wurde in kalten Alpenseen eine hundert- Höhe. fache Anreicherung von PCB-180 gegenüber warmen Seen nachgewiesen (GRIMALD et al. 2001). Auch Fichtennadeln oder Waldböden zeigen eine Höhenzu- Literatur nahme vieler Schadstoffe. Ähnliche Beobachtungen zur Höhenzunahme liegen auch aus Kanada vor BANIC, C. M., S. T. BEAUCHAMP, R. J. TORDON, W. H. (BLAIS et al. 1998; BANIC et al. 2003). SCHROEDER, A. STEFFEN, K. A. ANLAUF, H. K. T. WONG, 2003: Vertical distribution of gaseous elemental mer- cury in Canada. J. Geophys. Res. 108, 61-613. Alpines Pumpen ist als einer der Prozesse zu verste- hen, die den Stoffeintrag in die Hochlagen von Gebir- BLAIS, J. M., D. W. SCHINGLER, D. C. G. MUIR, D. B. DO- gen erheblich verstärken. Während für viele Substan- NALD, B. ROSENBERG, 1998: Accumulation of persistent zen Alpines Pumpen nur einen verstärkten Vertikal- organochlorines in mountains of western Canada. Nature 395, 585-588. transport bedeutet, kondensieren und akkumulieren sich semivolatile Substanzen über diesen Mecha- EGGER, J., 1990: Thermally forced flows: theory. In: BLUMEN, nismus in den Hochlagen. W. (Hrsg.): Atmospheric processes over complex terrain. Me- teorol. Monographs 23, 43-58. FINKE, U., T. HAUF, 1996: The characteristics of lightning oc- 7 Schlussfolgerungen currence in southern Germany. Beitr. Phys.Atmos. 69, 361-374. GANTNER, L., M. HORNSTEINER, J. EGGER, G. HART- An Tagen mit hoher Einstrahlung entwickelt sich eine JENSTEIN, 2003: The diurnal circulation of Zugspitzplatt: thermisch angetriebene Zirkulation zwischen Alpen Observations and modelling. Meteorol. Z., N. F. 12, 95-102. und Alpenvorland. Das Phänomen tritt von April bis GRIMALD, J. O., P. FERNANDEZ, L. BERDIE, R. VILANO- August an 42 % der Tage in ausgeprägter Form und an VA, J. CATALAN, R. PSENNER, R. HOFER, P. G. APPLE- weiteren 45 % der Tage von März bis Oktober in mä- BY, B. O. ROSSELAND, L. LIEN, J. C. MASSABUAU, R. W. ßiger Ausprägung auf. Die angesaugte Luft wird über BATTARBEE, 2001: Selective trapping of organochloric com- den Nordalpen (zwischen Alpenrand und Inntal) kon- pounds in mountain lakes of temperate areas. Envir. Sci. Technol. 35, 2690-2697. vektiv nach oben gemischt und von der synoptischen Strömung der freien Troposphäre weiter verfrachtet. HOINKA, K. P., 1980: Synoptic-scale atmospheric features and Alpines Pumpen erfasst auch Gebiete wie die hochin- Föhn. Beitr. Phys. Atmos. 53, 485-507. dustrialisierte Po-Ebene, deren Emissionen somit KÄSTNER, M., K. T. KRIEBEL, 2001: Alpine cloud climatolo- ebenfalls verstärkt in die freie Troposphäre gelangen. gy using long-term NOAA-AVHRR satellite data. Theor. Globale Chemie-Transport-Modelle, die eine Gitter- Appl. Climatol. 68, 175-195. weite von etwa 300 km haben, unterschätzen diese Ver- KÄSTNER, M., P.BISSOLLI, K. HÖPPNER, 2004: Comparison stärkung des Vertikalaustausches durch Gebirgsräume, of a satellite based Alpine cloud climatology with observations weshalb die globalen Budgets von Spurenstoffen im- of synoptic stations. Meteorol. Z., N. F. 13, 233-243. mer noch unbefriedigend sind (SCHULZ und BEY LUGAUER, M., P.WINKLER, 2002:Alpines Pumpen – Thermi- 2004). sche Zirkulation zwischen Alpen und bayerischem Alpenvor- land. DWD-FE-Arbeitsergeb. Nr. 72, Selbstverlag des DWD, Die mit Alpinem Pumpen entstehenden Druckgra- Offenbach/Main, 39 S. dienten sind im Prinzip geeignet, die numerischen Wet- LUGAUER, M., P. WINKLER, 2005: Thermal circulation in terprognosemodelle zu verbessern. In diesen Modellen South Bavaria – climatology and synoptic aspects. Meteorol. ist die Orographie stark geglättet, Erwärmungseffekte Z., N. F. 14, 15-30. auf das in alpinen Tälern reduzierte Luftvolumen wer- METEOSCHWEIZ, 1985: Alpenwetterstatisitk – Witterungska- den damit zwangsläufig unterschätzt. Dies wirkt sich lender – Beschreibung der einzelnen Parameter. Selbstverlag auch auf Flüsse von Impuls, Feuchte und Wärme und Meteoschweiz, Zürich, 26 S. somit auf den Vertikalaustausch aus, mit entsprechen- NICKUS, U., I. VERGEINER, 1984: The thermal structure of den Folgen in der Wolkenbildung und für die Strah- the Inn valley atmosphere. Arch. Meteorol. Geophys. Biokl. lungsumsetzung in der Atmosphäre. Diesbezügliche A33, 199-215. Parameterisierungen im Modell können mittels der PREVOT, A., S. H. J. DOMMEN, M. BÄUMLE, M. FURGER, hier bestimmten Druckgradienten so modifiziert wer- 2000: Diurnal variations of volatile organic compounds and den, dass eine bessere Übereinstimmung mit den be- local circulation systems in an Alpine valley. Atmos. Environ. obachteten Gradienten erreicht wird. 34, 1413-1423. 42 P.Winkler et al.: Alpines Pumpen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

REITEBUCH, O., A. DABAS, P. DELVILLE, P. DROBINSKI, SCHULZ, M. G., I. BEY,2004: Numerical modelling of long-ran- L. GANTNER, 2003a: Characterization of Alpine pumping by ge pollution transport. In: The handbook of environmental airborne Doppler lidar and numerical simulations. Int. Conf. chemistry, 4, Part G. Springer-Verlag, Heidelberg und Berlin, Alp. Meteorol., Brig 2003, Publications of MeteoSwiss No. 66, 197-223. 134-137; online unter http://www.map.meteoswiss.ch/map-doc/ STEINACKER, R., 1984: Area – height distribution of a valley icam2003/396.pdf and its relation to the valley wind. Beitr. Phys.Atmos. 57, 64-71.

REITEBUCH, O., H. VOLKERT, C. WERNER, A. DABAS, P. WHITEMAN, C. D., 1990: Observation of thermally developed DELVILLE, P. DROBINSKI, P. H. FLAMANT, E. RI- wind systems in mountainous terrain. In: BLUMEN, W. CHARD, 2003b: Determination of airflow across the Alpine (Hrsg.): Atmospheric processes over complex terrain. Meteo- ridge by a combination of airborne Doppler lidar, routine ra- rological Monographs 23, 5-42. diosonding and numerical simulations. Quart. J. R. Meteorol. WHITEMAN, C. D., 2000: Mountain Meteorology. Oxford Uni- Soc. 129, 715-727. versity Press, New York, 376 S. WEISS, P., 2002: Organische Schadstoffe an entlegenen Wald- REITEBUCH, O., A. DABAS, P. DELVILLE, P. DROBINSKI, standorten Sloweniens und Kärntens. Selbstverlag Umwelt- L. GANTNER, S. RAHM, M. WEISSMANN, 2004: The Alpi- bundesamt, Wien, 121 S., ISBN 3-85457-616-1. ne mountain- circulation „Alpine pumping“: Airborne Doppler Lidar Observations at 2µm and 10.6µm and MM5 WEISSMANN, M., F. J. BRAUN, L. GANTNER, G. MAYR, S. simulations. Reviewed and Revised Papers at 22th Int. Laser RAHM, O. REITEBUCH, 2005: The Alpine mountain-plain Radar Conference, ESA spec. Publ. 561, 747-750. circulation: Airborne Doppler lidar measurements and nume- rical simulations. Mon. Wea. Rev. 133, 3095-3109. SCHÜEPP,M., 1979: Witterungsklimatologie, - Klimatologie der WOTAWA, G., H. KRÖGER, A. STOHL, 2000: Transport of Schweiz, Band 3. – Beiheft zu den Annal. der Schweizer. Mete- ozone towards the Alps – results from trajectory analyses and orol. Anstalt (Jahrgang 1978), 93 S. photochemical model studies. Atmos. Environ. 34, 1367-1377. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 43-47 (März 2006) 43 © Deutscher Wetterdienst 2006

J. EGGER 6 Thermische Zirkulation von Hochplateaus: Messung und Modellierung

Thermal circulation of grand plateaus: Observations and modelling

Zusammenfassung An den großen Hochplateaus der Erde bildet sich nahezu täglich eine thermische Zirkulation. Der Zustrom während des Tages erfolgt vor allem durch die Pässe, die das Hochland mit dem umgehenden Tiefland verbin- den. Beobachtungen dieser Zirkulation werden beschrieben ebenso wie die Ergebnisse entsprechender numeri- scher Rechnungen.

Abstract At the grand mountain plateaus of the earth thermal circulation patterns form almost daily. The inflow during the day occurs through passes which link the plateau with the surrounding low-lands. In this contribution obser- vations of such circulations are described as well as accompanying calculations.

1 Einleitung Flohn auch auf die Rolle der Pässe hingewiesen hat. Der Zustrom von außen erfolgt auch unterhalb des Wer sich den großen Hochplateaus der Erde, dem Plateaus über die „Hänge“. Der Rückstrom findet sich tibetischen Hochland oder dem Altiplano der Anden, in der Höhe. Gegen Abend dreht die Strömungsrich- durch die zuführenden Täler nähert, wird fast immer tung um. Flohn war sich bewusst, dass Radiosondenda- durch die Intensität der Talwinde beeindruckt sein, die ten für diese Aufgabe nur bedingt geeignet sind, wie sich untertags entwickeln und zu den Hochebenen ge- denn auch das Resultat in Abb. 6-1 der Erfahrung nicht richtet sind. Nachts ist der gegenläufige Talauswind nur so recht entspricht. Man würde ja eher Ausströmen am schwach ausgeprägt. Eine naheliegende Erklärung für Morgen und Einströmen gegen Abend erwarten. Den- dieses Phänomen ergibt sich aus der Einsicht (z. B. noch hat Flohn hier als erster die Zirkulation von Tibet FLOHN 1953), dass diese Hochebenen den Tag über anhand von Daten abgeschätzt. als hochgelegene Wärmequellen fungieren. Folglich sollten sie dann relativ niedrigen Bodendruck haben, Erstaunlicherweise hat sich an der Datenlage seit der solches Einströmen begünstigt. FLOHN (1968) hat Flohn’s Tagen bis in die 1990er Jahre nur wenig geän- Radiosondendaten und Talwindbeobachtungen heran- dert. Die seitdem vorliegenden Analysen und Reanaly- gezogen, um diese Idee zu quantifizieren (Abb. 6-1). In sen bringen bezüglich dieser Thematik nur bedingt ei- seiner schematischen Darstellung in Abb. 6-1 geben nen Fortschritt, da ihnen keine Messungen vor Ort zu- die Pfeile die Differenz der Windrichtung zwischen grunde liegen und ihre räumliche Auflösung für die Er- 6:00 h und 18:00 h Ortszeit an. Demnach müsste am fassung von Tal- und Passwinden nicht ausreicht. Fel- Morgen Einströmen zum Plateau herrschen, wobei der, wie sie MURAKAMI (1981) für Tibet produziert hat, geben sicherlich Aufschluß über die großräumige Umströmung von Tibet, aber kaum über deren Tages- gang. Andererseits liegen jetzt immerhin relativ detail- lierte Messungen für das Tal des Kali Gandaki vor, ei- nes Flusses, der auf der Südseite des Hochlands von Ti- bet entspringt, südwärts strömend die Himalayakette durchbricht und schließlich das Tiefland von Nepal er- reicht (EGGER et al. 2002). Dieses Tal zeichnet sich Druck in hPa Druck durch besonders starke Taleinwinde aus. Ferner wurde 2003 eine Messkampagne im bolivianischen Altiplano unternommen, bei der der Tagesgang der Winde an sechs Pässen und in einem Tal untersucht wurde Abb. 6-1: Anhand von Beobachtungen geschätzte thermische (EGGER et al. 2005). Die Ergebnisse dieser Unterneh- Zirkulation des Hochlands von Tibet. Die Pfeile sind mungen werden im folgenden dargestellt und mit den als Differenz der Strömung zwischen 06:00 h und 18:00 h in cm/s zu verstehen. Die strichlierten Pfeile Resultaten von Modellrechnungen verglichen, die pa- deuten Strömungen durch Pässe an (nach FLOHN rallel zu den Messungen durchgeführt wurden 1968). (ZÄNGL et al. 2001; ZÄNGL und EGGER 2005). 44 J. Egger: Thermische Zirkulation von Hochplateaus promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Entscheidend für den Erfolg dieser Messkampagnen 2 Messungen im Kali Gandaki war der Einsatz von ferngesteuerten Modellflugzeugen, die von W. Schäper und S. Lämmlein eigens für die Das Tal des Kali Gandaki (schwarzer Fluß) verbindet, Situation im Hochgebirge mit Starthöhen von mehr als Tibet mit dem tiefer gelegenen Teil von Nepal (Abb. 6- 4000 m über NN entwickelt worden waren. Geringer 3). Der Fluß durchströmt zunächst das Becken von Mus- Energiebedarf, bzw. geringer Bedarf an Füllgas und ge- tang, einen Einbruchgraben von 15–20 km Breite und ringes Gewicht sind Grundvoraussetzungen für Mess- geringer Neigung, und trifft bei Marpha auf die Kette systeme, die unter so extremen Bedingungen eingesetzt des Himalaya, die er in einer gut begehbaren Schlucht werden sollen. Radiosonden oder Fesselballone schei- durchquert. Der Taleinwind setzt am späten Vormittag den damit aus. Dagegen haben sich die batteriebetrie- sowohl in der Schlucht als auch in Marpha und Jomsom benen Flugzeuge mit ~1,30 m Länge und 2,10 m Spann- ein. Messungen mit Pilotballonen zeigen (Abb. 6-4), dass weite und einem Gewicht von 3 kg ausgezeichnet be- sich die Winde zunächst in Bodennähe entwickeln, dann währt (Abb. 6-2). Sie können Sensoren für Druck,Tem- stärker werden und eine immer tiefere Schicht erfassen. peratur und Feuchte tragen, steigen im Durchschnitt bis Am Nachmittag sind Geschwindigkeiten von 15 m/s die zu 2000 m Höhe über den Startplatz und kommen nach Regel. Durch das Aufstellen von Dauerstationen längs 15 min zurück. Damit sind stündliche Sondierungen gut des Tals gelang es nachzuweisen, dass das Talwindregime möglich. Eine gewisse Einschränkung besteht darin, umso später einsetzt, je näher man sich bei Tibet befin- dass der Flugbetrieb im Hochgebirge hohe Anforde- det. Die zugehörige Geschwindigkeit des Vormarsches rungen an die Piloten stellt. Bei der Energieversorgung des Talwindregimes beträgt ~5 m/s. Dieser Befund liefert über Windgeneratoren kann es gelegentlich zu Engpäs- bereits einen Hinweis darauf, dass diese Talwinde primär sen kommen. Diese geringen Nachteile werden mehr nicht durch etwaigen tiefen Druck über Tibet hervorge- als wettgemacht durch die hohe Mobilität und Verläss- rufen werden, das ~100 km weiter im Norden liegt. In lichkeit dieses Messträgers. diesem Falle wäre eine südwärts gerichtete Ausbreitung des Talwindsystems zu erwarten.

Die erste Messkampagnen von 1998 musste ohne Messflugzeuge auskommen, so dass nur Windprofile vermessen werden konnten (EGGER et al. 2000). Abstand in km

Abstand in km Abb. 6-3: Karte des Kali-Gandaki-Tals mit Höhenlinien (m). Abb. 6-2: Der Prototyp Kali mit dem Konstrukteur W. Schäper Flugzeugaufstiege wurden bei den schwarzen Punk- (oben). Der Pilot benutzt während des Fluges spe- ten durchgeführt. Dauerstationen waren bei den zielle Ferngläser, um das Flugzeug bei Höhen von Kreuzen eingerichtet. Die Grenze zu Tibet befindet mehr als 1000 m gut verfolgen zu können (unten). sich nahe dem nördlichen Kartenrand. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 J. Egger: Thermische Zirkulation von Hochplateaus 45

Mischungsverhältnis in g/kg Höhe in m über Grund Höhe in m über Grund

Talwind in m/s

Abb. 6-4: Profile des Taleinwindes v (in m/s) in Marpha zu ver- schiedenen Zeiten am 25.9.1998.

potentielle Temperatur in K

Abb. 6-6: Profile der potentiellen Temperatur (K;Aufstieg dun- kle Linie; Abstieg punktiert) und des Mischungsver- hältnisses (g/kg; Dreiecke mit Spitze nach oben/un- ten) am 19.3.2001 um 14:00 h in Jomsom.

ihr ist die Talwindschicht stabil geschichtet. Eine ent- sprechende Vertikalsondierung vor Ort ist in Abb. 6-6

Höhe in km zu sehen, die Profile der potentiellen Temperatur und der spezifischen Feuchte für einen Nachmittagstermin in Jomsom zeigt, der sich gut mit Abb. 6-4 vergleichen lässt. Die Talwindschicht ist den untersten 1000 m na- hezu neutral geschichtet. Von einer Inversion ist nichts zu sehen, wiewohl in Jomsom auch Profile mit ausge- prägter Inversion gefunden wurden. Die Windmessun- Abstand in km gen ergaben ähnliche Profile wie in Abb. 6-4. Auch Abb. 6-5: Isentropen (Isolinienabstand 1 K) und Windvektoren zeigte sich, dass die Windgeschwindigkeit in der in einem von Südwesten nach Nordosten orientierten Schlucht deutlich geringer ist als in Marpha und Jom- Querschnitt längs des Kali-Gandaki-Tals um 15:00 h som. Insofern wird Abb. 6-5 durch die Messungen in einer numerischen Simulation von ZÄNGL et al. halbwegs bestätigt, auch wenn die Simulation der (2001). Schattierung: Windgeschwindigkeit in Schrit- Struktur des Temperaturfeldes zu wünschen übrig ten von 5 m/s, wobei das dunkle Feld Geschwindig- lässt. Doch ergibt sich klar, dass die Hauptbeschleuni- keiten > 20 m/s beinhaltet. Zur Lage der Ortschaften gung der Talwinde beim Übergang aus der Schlucht in vgl. Abb. 6-3. das Mustangbecken entsteht. Entsprechend muss der durch die Erwärmung des Mustangbeckens hervorge- rufene Druckunterschied etwa zwischen Jomsom und Simulationen mit dem Modell MM5 (ZÄNGL et al. der freien Atmosphäre südlich der Schlucht ein 2001) ergaben eine erstaunlich gute Übereinstimmung Hauptgrund für das Einsetzen der Talwinde sein. Ganz der Rechenergebnisse mit diesen Messungen. Ferner reicht diese Erklärung aber nicht hin, da die Simula- legten die Simulationen nahe, dass man am Taleingang tionen gezeigt haben, dass für gute Rechenergebnisse bei Marpha mit einer schießenden Strömung zu rech- die Berücksichtigung der Feuchte südlich des Hima- nen hat. Abb. 6-5 zeigt die Situation am Nachmittag, layas wichtig ist. wo sich bei Jomsom ein bodennahes Starkwindband bildet. Die Isentropen verlaufen in der Schlucht (Tu- Insgesamt folgt aus der Messkampagne, dass die star- kuche-Marpha) halbwegs bodenparallel und steigen ken Taleinwinde zwar Teil des thermischen Zirkula- dann ab mit entsprechenden Beschleunigungen. In der tionssystems des riesigen Gebirgskomplexes von Tibet Schlucht ist eine Art Inversion zu finden, nördlich von samt angrenzender Regionen sind, sich aber nicht der 46 J. Egger: Thermische Zirkulation von Hochplateaus promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Existenz der Hochebene selbst verdanken. Dieses Er- gebnis wird durch weitere Rechnungen gestützt (ZÄNGL et al. 2001), in denen die Topographie bis zur Grenze von Tibet realistisch vorgegeben, die Hochebe- ne von Tibet selbst aber entfernt wurde. Diese drasti- sche Änderung hatte fast keinen Einfluss auf die Tal- winde bei Marpha und Jomsom.

3 Messungen im Altiplano Entfernung in km Entfernung Anders als beim Kali Gandaki haben sich im Altiplano die Messungen auf Passwinde konzentriert, um so die thermische Zirkulation einer Hochebene zu erfassen und nicht die von zuführenden Tälern. Auch wenn die- se Messungen nicht immer unter einem günstigen Stern standen – Schneefälle, politische Unruhen und starke Überströmung haben die Messungen an drei Pässen behindert – so gelang es doch, erstmalig diese Entfernung in km Zirkulation direkt nachzuweisen. Abb. 6-7 zeigt das Abb. 6-7: Terrainhöhe (m über NN) und Theodolitenbasis Gelände an einem Pass im Süden Boliviens, jenseits T1 - T2 in der Nähe des Laguna Ramadita (LR) im dessen das Gelände nach Westen um gut 2000 Meter südwestlichen Teil des Altiplano. Die Punkte geben zur Atacamawüste abfällt. Der Startpunkt des Ballons die Trajektorie eines Ballons an, der am 8. August um ebenso wie die nördlich gelegene Laguna Ramadita 14:56 Lokalzeit gestartet wurde. Der Stern bezeichnet liegen auf dem Altiplano, einer erstaunlich flachen den Endpunkt in 8126 m Höhe über dem Startpunkt. Hochebene von etwa 200 km Ost-Westerstreckung und einer Ausdehnung von etwa 1000 km in nordsüd- licher Richtung. Die Geländehöhe liegt durchweg über 4000 m. Am Morgen befand sich eine ausgeprägte In- version über dem Becken. Am Vormittag des Messta- ges entwickelte sich zunächst östlicher Hangaufwind in Richtung des Passes zwischen den Vulkanen. Am Nachmittag setzte sich die thermische Zirkulation des Altiplano durch mit Westwinden bis in eine Höhe von etwa 800 m über Grund. Die Hangwinde werden durch das Einströmen vom Pass her unterdrückt. Der Ballon geriet über dieser Westwindschicht in eine Zone öst- licher Winde, die vermutlich dem auswärts gerichteten Ast der thermischen Zirkulation der Hochebene (sie-

he Abb. 6-1) zuzuordnen ist. Darüber traf der Ballon Höhe über Grund in km erneut auf eine westliche Strömung, die dem schwa- chen großräumigen Windfeld angehört.

Das Profil der potentiellen Temperatur zeigt, dass die konvektive Grenzschicht mehr als 2000 m mächtig ist und somit die das Altiplano begrenzenden Bergketten übersteigt. Die begleitenden Rechnungen haben erge- ben, dass die thermische Zirkulation des Altiplano an Massenfluss in kg m2 s-1 den Pässen ihren Ausgang nimmt und der Zustrom von Abb. 6-8: Massenfluss in das Altiplano als Funktion der Höhe außen, nicht unähnlich einem Land-Seewind-System, über Grund für verschiedene Tageszeiten. Die Mas- allmählich ins Innere der Hochebene fortschreitet. Es senflüsse in kg m2 s-1 sind mittlere Werte, die für die zeigt sich aber auch, dass die Hangwindzirkulationen Höhe des Altiplano mit einem Faktor 0,8 auf Ge- an den Abhängen des Altiplano sowohl nach Osten als schwindigkeiten in m/s umgerechnet werden können nach Westen auf den Zustrom in die Hochebene fast (nach ZÄNGL und EGGER 2005). keinen Einfluss haben. Dies entspricht dem Befund, dass die Winde im Tal des Kali Gandaki durch die Exis- tenz des Plateaus von Tibet kaum beeinflusst werden. angesichts der komplizierten Topographie des Altipla- no kaum möglich, doch bieten die Simulationen von Die Erstellung von Massenbilanzen aufgrund von ZÄNGL und EGGER (2005) einen gewissen Ersatz. Messungen, wie sie FLOHN (1968) vorschwebte, ist Die errechneten Windprofile für die einzelnen Pässe promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 J. Egger: Thermische Zirkulation von Hochplateaus 47 liegen immerhin so nahe an der gemessenen, dass eine sprechender Versuch in Kagbeni vor etwa 15 Jahren ist Massenbilanz für das Altiplano aufgrund der numeri- zwar fehlgeschlagen, wohl wegen der extremen Ver- schen Resultate als vernünftige Schätzung der wahren hältnisse in puncto Böigkeit und Staub. Doch darf man gelten kann. Abb. 6-8 zeigt den Zustrom in den bolivi- vermuten, dass die Gewinnung von Windenergie in anischen Teil des Altiplano als Funktion der Höhe Bolivien bald etabliert sein wird. über dem Altiplano und der Tageszeit. Man sieht, dass um 9:00 h morgens, also drei Stunden nach Sonnenauf- gang, leichtes Ausströmen in Bodennähe zu finden ist. Literatur Gegen Mittag wird das Einströmen in einer etwa 1 km mächtigen Schicht deutlich, wobei, was aus Abb. 6-8 EGGER, J., S. BAJRACHAYA, U. EGGER, R. HEINRICH, nicht direkt zu ersehen ist, das Gros des Zustroms J. REUDER, P. SHAYKA, H. WENDT, V. WIRTH, 2000: durch die Pässe erfolgt. Um 15:00 h ist auch der Rück- Diurnal winds in the Himalayan Kali Gandaki valley. Part I. Observations. Mon. Wea. Rev. 128, 1106-1122. strom gut entwickelt. Der Zustrom ist nicht mehr auf die Pässe beschränkt. Der abendliche Abbau der Zir- EGGER, J., R. HEINRICH, P. KOLB, M. MECH, J. REUDER, kulation schreitet zügig voran. J. SCHWEEN, H. WENDT, S. BAJRACHAYA, P. SHAYKA, S. LÄMLEIN, W. SCHÄPER, 2002: Diurnal winds in the Hi- malayan Kali Gandaki valley. Part III: Remotely piloted air- craft soundings. Mon. Wea. Rev. 130, 2042-2058. 4 Schlussbemerkung EGGER, J., R. HEINRICH, P. KOLB, M. LEEB, S. MAYER, J. REUDER, J. SCHWEEN, L. BLACUTT, F. GHEZZI, Die thermische Zirkulation der großen Hochebenen E. PALENQUE, R. TORREZ, F. ZARATTI, S. LÄMLEIN, ist mit dem Phänomen des alpinen Pumpens (WINK- W. SCHÄPER, 2005: Diurnal circulation of the Bolivian Alti- LER et al; Kapitel 5 in diesem Heft) verwandt, bei dem plano, Part I: Oberservations. Mon. Wea. Rev. 133, 911-924. man ja auch am Tage Einströmen in die Gebirgsregion FLOHN, H., 1953: Hochgebirge und allgemeine Zirkulation II. hat, wobei die Täler bevorzugte Pforten des Zustroms Die Gebirge als Wärmequellen. Arch. Meteorol. Geophys. sind. Doch sieht man den entscheidenden Unterschied Biokl. A5, 265-279. sofort anhand eines Gedankenexperiments. Man ver- FLOHN, H., 1968: Contributions to a meteorology at the Tibetan setze das Altiplano samt seinen Randgebirgen und Highlands. Atmos. Sci. Pap. 130, Ft. Collins, Col State Univ., Pässen auf Meereshöhe und lasse es von einer großen 1-120. Ebene umgeben sein. Diese Struktur würde tagsüber MURAKAMI,T., 1981: Orographic influence of the Tibetan Pla- keinerlei großräumige thermische Zirkulation auslö- tau on the Asiatic Winter Monsoon Circulation. Part II: Diur- sen, während das Alpine Pumpen auch in der Poebene nal variations. J. Meteorol. Soc. Jap. 59, 66-84. seine Wirkung zeigt, die fast auf Meereshöhe liegt. ZÄNGL, G., J. EGGER, V. WIRTH, 2001: Diurnal winds in the Himalayan Kali Gandaki valley. Part I. Mon. Wea. Rev. 129, Die Erforschung des Tagesgangs der thermischen Zir- 1062-1080. kulation von Hochebenen hat auch ihre angewandte ZÄNGL, G., J. EGGER, 2005: The diurnal circulation of the Bo- Seite. Verlässliche und kräftige Windsysteme eignen livian Altiplano. Part II. Theoretical aspects. Mon. Wea. Rev. sich für den Einsatz von Windgeneratoren. Ein ent- 133, 3624-3643. 48 promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 48-53 (März 2006) © Deutscher Wetterdienst 2006

J. EGGER, K.-P. HOINKA 7 Austausch von atmosphärischem Drehimpuls an Gebirgen

Mountain-induced transfer of atmospheric angular momentum

Zusammenfassung An Gebirgen tauscht die Atmosphäre Drehimpuls mit der Erde aus. Die zugehörigen Prozesse werden an einem einfachen Beispiel diskutiert und anhand von Beobachtungen illustriert. Weiter wird die Bedeutung dieses Aus- tauschs für die globale Zirkulation kurz beleuchtet.

Abstract Along mountain ranges the atmosphere exchanges angular momentum with the solid earth. The acting mecha- nisms are discussed for a simple example and become illustrated through observations. Furthermore the rele- vance of the exchange for the global atmospheric circulation is mentioned.

1 Das Problem Breite Dx = 200 km, das gemäß Abb. 7-1 den Berg ein- schließt, liefert Die Atmosphäre tauscht an Gebirgen Drehimpuls mit der Erde aus. Dieser Austausch spiegelt sich nicht nur dU = {}()()− − − in der Um- und Überströmung der Gebirge, sondern M L po pw p1 p2 h Dy , (3) beeinflusst auch die globale Zirkulation. Dabei ist dt

ρ ⍀ ␸ ␸ m = ( u + a cos ) a cos (1) wobei p1 (p2) der Druck am rechten (linken) Gebiets- rand ist. Die Druckdifferenz (p1 - p2) verschwinde der Beitrag einer Volumeneinheit zur axialen Kompo- oberhalb des Gebirges und hänge unterhalb nicht von nente des Drehimpulses, wobei ρ die Dichte, u die der Höhe ab. Wir schätzen die Masse der Luft in V auf 4 15 Windgeschwindigkeit in zonaler Richtung, a der Erd- M L ~10 Dx Dy ~2x10 kg. Somit wird über den radius, ␸ die Breite und ⍀ =2␲/Tag. Ein Austausch Druckunterschied am Berg eine Kraft von 1012 N auf von atmosphärischem Drehimpuls mit der Erde kann diese Masse ausgeübt, der einer Abbremsung als Änderung von u zu Buche schlagen, also als Be- dU ~–5x10-4 m/s2 entspricht. Diese würde in einem schleunigung oder Abbremsung der Zonalwinde, mag dt aber auch zu Änderungen der Massenverteilung füh- ren.

Zur Einführung in die Austauschvorgänge betrachten wir einen meridional orientierten Berg der Höhe h = 1000 m, der Länge Dy = 1000 km und der Breite 100 km, dessen Wände senkrecht von einer Hochebe- ne nach allen Seiten abfallen (Abb. 7-1). Der Berg wird von Westen mit der Geschwindigkeit U angeströmt.

Der Luftdruck pw an der Westwand sei um 10 hPa hö- her als der an der Ostwand po. Die Atmosphäre sucht somit den Berg nach Osten zu beschleunigen und soll- te umgekehrt eine Beschleunigung nach Westen erfah- ren. Um diese zu bestimmen, ziehen wir zunächst die verstümmelte Gleichung für zonalen Impuls dU ∂p ρ = − (2) S dt ∂x Abb. 7-1: Schematische Darstellung zur Entstehung von oro- graphischen Drehmomenten. Gezeigt ist ein kubi- heran, wo ρ = 1 kg/m3 als konstant angenommen sei. S sches Hindernis in einem Kontrollvolumen (gestri- Die Erdrotation ist in Gl. (2) vernachlässigt. Integra- chelt). Der Druck beträgt po, pw an den Bergwänden tion von Gl. (2) über ein Kontrollvolumen V und p1, p2 an der Berandung des Kontrollvolumens, (V = HDx Dy; H = 10 km; Höhe der Atmosphäre) der das bis in die Stratosphäre reicht. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 J. Egger, K.-P. Hoinka: Austausch von atmosphärischem Drehimpuls an Gebirgen 49

Tag eine Verminderung von U um 43 m/s im Kontroll- Kontrollgebiet hinein transportiert und ebenso auch gebiet hervorrufen. Dies ist ein enorm hoher Wert, heraus. Dieser Transport kann mit Massenflüssen ver- wiewohl der angenommene Druckunterschied von bunden sein, doch können auch Wellen Impuls trans- 10 hPa keineswegs unrealistisch ist. Man mag einwen- portieren. Die Flüsse können sowohl die seitlichen Be- den, dass der Druckunterschied (p1 - p2) an der Beran- randungen nutzen als auch den Deckel des Kontroll- dung von V diesen Effekt zumindest teilweise aufhe- volumens. So zielen viele der Arbeiten zum Impul- ben kann. Doch auch dann können erstaunlich starke stransport durch Schwerewellen auf vertikale Wellen- Abbremsungen übrig bleiben, Grund genug, um sich ausbreitung (BOUGEAULT et al. 1993). um den Einfluss von Druckunterschieden an Bergen auf den Impuls der Atmosphäre zu kümmern. In der Regel ist auch die Erdrotation zu berücksichti- gen. Im rotierenden Koordinatensystem wird der Das genannte Beispiel wirft sofort folgende Fragen Kraftvektor durch den Drehmomentvektor („torque“) auf: ersetzt und der Impulsvektor geht entsprechend in den 1. Ist die Berechnung des Bergeffekts gemäß Gl. (3) Drehimpulsvektor („angular momentum“) über. Ins- allgemein richtig? besondere bietet Gl. (1) den Beitrag eines Einheitsvo- 2. Ist Gl. (2) adäquat? Darf man die Erddrehung ver- lumens zur axialen Komponente des Drehimpulses in nachlässigen? Spielen Impulsflüsse eine Rolle? Richtung der Erdachse. 3. Wodurch entstehen die Druckunterschiede am Berg? In Gl. (1) ist (u + ⍀ a cos ␸) die Zonalgeschwindigkeit 4. Ist die Wahl des Kontrollgebiets wichtig? in einem nicht rotierenden Absolutsystem und der Faktor (a cos ␸) gibt den Abstand zur Erdachse an. Es Auch wenn eine eingehende Behandlung dieser Punk- gilt te im Rahmen dieses Hefts unmöglich ist, so wird doch ∂ ∂p im folgenden Abschnitt versucht auf die Fragen 1 bis 4 m + ∇ ⋅()vm = − (6) zu antworten. Diese Antworten werden im dritten Ab- ∂t 3 ∂λ schnitt anhand von Beobachtungen illustriert. Der ٌ letzte Abschnitt behandelt die globale Bedeutung der ( 3 Nablaoperator auf der Kugel; v Geschwindigkeits- Gebirgseffekte. vektor), wobei auf die Repräsentation subskaliger Tur- bulenz- und Reibungseffekte verzichtet sei. Der ver- traute Coriolisterm – f v, mit f =2⍀ sin ␸, ist in Gl. (6) 2 Antworten enthalten.

Zur ersten Frage lässt sich sagen, dass die vorgenom- Die Gl. (6) bildet die Grundlage für alle Studien zur mene Berechnung des Druckeffekts auch bei realisti- axialen Komponente der globalen Drehimpulsbilanz. schen Berghöhen h(x, y) halbwegs richtig ist. Man hat Die Form des Terms Tλ in Gl. (4) ändert sich beim den Druckgradienten über das Volumen des Kontroll- Übergang zur Gl. (6) nur geringfügig, indem die gebiets zu integrieren und erhält anstelle des Aus- ∂p drucks {(p0 - pw) hDy} in Gl. (3) die Kraft Druckableitung durch ∂λ zu ersetzen und die Flä- ∂p = B chenintegration auf der Kugel auszuführen ist. Dieser Tλ ∫ hdxdy (4) ∂ gegenüber Tλ modifizierte Term ist dann ein Drehmo- S x ment und wird gewöhnlich mit der Einheit Had- 18 2 -2 18 mit Bodendruck pB und S als Bodenfläche des Kon- ley = 10 kg m s =10 J angegeben. Setzt man für trollvolumens. Fällt der Bodendruck über den Bergen das Beispiel in Abb. 7-1 Verhältnisse in mittleren Brei- nach Osten hin ab, so wird einer nicht rotierenden At- ten an, so ergibt sich nach Multiplikation von Tλ mit mosphäre zonaler Impuls entzogen. Analog kann man dem Abstand (a cos ␸) von der Erdachse ein Drehmo- die zweite Bewegungsgleichung heranziehen. Dann ist ment von 4 bis 5 Hadley. Tλ durch eine Kraft Es gibt noch zwei weitere Komponenten des Dre- ∂p = B himpulsvektors, die in der Äquatorialebene einge- Tϕ ∫ hdxdy (5) ∂ bettet sind, die sog. „äquatorialen“ Komponenten. S y Diese erfassen den Drehimpuls von Meridionalbe- zu ersetzen, die in die meridionale Richtung weist. wegungen und haben Bilanzgleichungen, die etwas Auch Meridionalimpuls kann an Bergen ausgetauscht komplizierter sind als Gl. (6). Sie werden im Folgen- werden. den nur streifend behandelt, da ihre Diskussion nicht ergiebig ist. Die zweite Frage ist zu verneinen. Man mag die Erdro- tation vernachlässigen, wenn es sich um Hügel oder Die Frage nach der Herkunft der Druckunterschiede kleine Gebirgsstöcke handelt, doch spielen Impulsflüs- am Berg (Frage 3) ist einerseits trivial. Das Boden- se in der Bilanz immer eine Rolle. Impuls wird in das druckfeld weist überall auf der Welt Gradienten auf 50 J. Egger, K.-P. Hoinka: Austausch von atmosphärischem Drehimpuls an Gebirgen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 und so auch in Bergregionen. Damit hat man automa- tisch Drehmomente. Doch können Berge Schwerewel- len, Trägheitsschwerewellen und Rossbywellen anre- gen, die ihrerseits das Druckfeld beeinflussen und Drehimpuls durch die Ränder des Kontrollgebiets transportieren. Obendrein erzwingen die Berge eine Umströmung, die nahezu automatisch Drehimpuls- transporte vollführt. Entsprechend spiegelt sich in den beobachteten Werten der Drehmomente auch die Um- Druckwiderstand in Pa Druckwiderstand strömung der Berge.

Die Wahl des Kontrollgebietes (Frage 4) ist frei. Aller- dings muss man, um die Tendenz des Drehimpulses ab- Tage zuschätzen, die Flüsse durch die Berandung ebenso Abb. 7-2: Abschätzung des durch den östlichen Teil der Pyre- kennen, wie die Druckverteilung an der Berandung näen ausgeübten meridionalen Drehmoments. Die des Integrationsgebiets. Das war bei unserer anfäng- angegebenen Werte in Pa müssen mit der Grundflä- lichen Abschätzung nicht der Fall. Die errechnete star- che multipliziert werden, um T␸ zu erhalten. Die ein- ke Impulsentnahme aus dem Kontrollvolumen ist Fol- zelnen Punkte repräsentieren die Schätzung, die sich ge der Vernachlässigung der Flüsse über die Beran- ausschließlich auf Messungen des Bodendrucks in dung des Kontrollvolumens und der Drücke p , p . Für Pau (Frankreich) und Zaragossa (Spanien) stützen 1 2 (aus BOUGEAULT et al. 1993). die Wahl eines globalen Kontrollgebiets spricht, dass man dann die Transporte nicht zu kennen braucht.

Auch ist dann p1 = p2. lich überraschend. Erweitert man Gl. (2) um den Co- riolisterm zu

3 Beobachtungen dU ∂p ρ − ρ f v = − (7) S dt S ∂x Die vielleicht genaueste und umfassendste Impulsbi- lanz wurde im Rahmen des Projekts PYREX (BOU- und spaltet GEAULT et al. 1993; vgl. auch VOLKERT; Kapitel 8 in v = v + v diesem Heft) erstellt für ein Kontrollvolumen, das den g ag östlichen Teil der Pyrenäen überdeckt. Die Pyrenäen in einen geostrophischen und einen ageostrophischen sind west-östlich orientiert. Entsprechend beeinflussen Anteil auf, so liefert eine angenäherte Integration der sie den Impuls der meridionalen Windkomponente Definitionsgleichung mehr als den der zonalen, so dass Gl. (5) heranzuziehen ist. An sich müsste sich eine Bilanzierung dann auf die ∂p ρ f v = − (8) Erhaltungsgleichungen für die äquatorialen Kompo- S g ∂x nenten des Drehimpulses stützen. Doch sind die Ab- messungen der Pyrenäen so geartet, dass eine lokale über das Kontrollvolumen die Beziehung Betrachtungsweise ausreicht und Gl. (5) herangezogen ρ = {}()()− − − werden kann. Abb. 7-2 zeigt eine Schätzung von T␸,die ∫ S vg f dv po pw p1 p2 hDy , (9) auf Druckmessungen längs einer nord-südlich orien- tierten Mess-Strecke beruht. Die Werte sind in Pa an- wobei wieder angenommen wird, dass oberhalb des gegeben und müssten mit der Gesamtfläche der Pyre- Berges die Druckdifferenz (p1 – p2 ) verschwindet und näen multipliziert werden, um T␸ gemäß Gl. (5) zu ent- unterhalb nicht von der Höhe abhängt. Wenn die Dif- sprechen. Das führt bei Spitzenereignissen auf Werte, ferenz der Randdrücke relativ klein ist, so gleicht der die etwa ein Zehntel des im Zusammenhang mit Coriolisterm allein schon fast das orographische Dreh- Abb. 7-1 genannten Beispielwerts betragen. Positive moment aus. BOUGEAULT et al. (1993) haben somit Werte in Abb. 7-2 zeigen an, dass positiver meridiona- nachgewiesen, dass ein großer Anteil des orographi- ler Drehimpuls auf die Atmosphäre übertragen wird. schen Drehmoments durch Transporte von Drehimpuls Diese Übertragungsraten schwanken mit der synopti- mit der synoptischen Strömung ausgeglichen wird. Die schen Entwicklung. Relativer Tiefdruck in Spanien verbleibende Tendenz der meridionalen Windkompo- gegenüber Frankreich entspricht positiven Werten. nente ist relativ klein. Es konnte ferner gezeigt werden, dass durch die Pyrenäen angeregte Schwerewellen bei Die Impulsbilanzierung für die Pyrenäen wurde von einzelnen Ereignissen Meridionalimpuls zu den Pyre- BOUGEAULT et al. (1993) nicht in Drehimpulsform näen heruntertransportieren. Insgesamt unterstützen vorgenommen, sondern für die meridionale Impuls- die Ergebnisse von PYREX die Sicht, dass sich der gleichung. Dies führt dazu, dass in der Bilanz das oro- Transfer von Drehimpuls an Gebirgen nur bedingt in graphische Drehmoment fast ausschließlich durch den Änderungen der Windgeschwindigkeit niederschlägt Coriolisterm ausgeglichen wird. Das ist nicht sonder- und hauptsächlich durch Transporte aufgefangen wird. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 J. Egger, K.-P. Hoinka: Austausch von atmosphärischem Drehimpuls an Gebirgen 51

Die Entstehung von Situationen mit orographischen ben also gerade die mit in Abb. 7-1 angesprochene Si- Drehmomenten wird gut durch Abb. 7-3 (c, d) beleuch- tuation, wo der Druckgradient über dem Gebirge ne- tet, wo die berechnete Regression des Bodendrucks in gativ ist. Nach weiteren drei Tagen ist das Tief nach der Umgebung von Grönland auf das zonale Drehmo- Südosten abgezogen, das Hoch hat sich aufgespalten. ment von Grönland für zwei zeitliche Verschiebungen ␶ In der 200 hPa-Fläche zieht eine zyklonale Störung gezeigt ist. Ist ␶ = 0 wie in Abb. 7-3c, so sieht man ein über Tibet hinweg, die zunächst mit dem Bodentief ge- Bodendruckmuster, das typisch ist für gleichzeitigen koppelt zu sein scheint, dann sich aber davon trennt. positiven Drehimpulsaustausch an Grönland. Es findet Man muss die gezeigte Entwicklung wohl auch hier so sich ein Tief in der Nähe der Südspitze und ein Hoch deuten, dass barokline Rossbywellen über Tibet hin- im Nordosten. Nach Gl. (4) ist klar, dass bei dieser wegziehen. Druckverteilung Drehimpuls auf die Atmosphäre übertragen wird. Zwei Tage nach dem Austauschereig- nis (␶ = 2 Tage) hat sich das Hoch nach Osten verlagert 4 Globale Effekte und befindet sich über dem Nordatlantik, aber mit ver- ringerter Stärke. Der Austausch von Drehimpuls hat Mögen die oben gezeigten Beispiele für sich auch ganz fast aufgehört. Die entsprechenden Druckfelder in ei- eindrucksvoll sein, so werfen sie doch die Frage auf, wo ner Höhe von 5,5 km (Abb. 7-3a, b) zeigen bei Ver- denn der übertragene Drehimpuls geblieben ist. Ein schiebung ␶ = 0 einen Hochkeil über Grönland, der Großteil, so zeigen es die Analysen, wird ja aus dem gegenüber dem Bodenhoch in Abb. 7-3c nach Westen Gebiet heraustransportiert, doch muss er der globalen verschoben ist. Zwei Tage später findet sich der Keil Zirkulation erhalten bleiben. Dies lässt sich durch Bil- ebenfalls weiter im Osten. anzierung des globalen Drehimpulses nachweisen, wo- bei hier wieder nur die axiale Komponente betrachtet Die Bilanzierung des Drehimpulses für das in Abb. 7-3 werden soll gezeigte Kontrollgebiet ergibt, dass der Drehimpuls bei Verschiebung 0 ein Minimum hat. Der bis dahin M = ∫ m dV , (10) übertragene Drehimpuls ist aus dem Kontrollgebiet Vv heraus transportiert worden. WEICKMANN (2003) hat ähnliche Analysen schon früher durchgeführt. Er mit V als Volumen der Erdatmosphäre. Da Transporte hat Bodendruckfelder und Höhenkarten mit täglichen in der globalen Bilanz keine Rolle spielen, gilt Daten des durch den eurasischen Gebirgsstock ausge- übten Drehmoments korreliert. Drei Tage vor dem Er- dM = + Tλ Fλ , (11) eignis eines negativen Drehmoments findet man nie- dt deren Druck nördlich von Tibet und hohen Druck nördlich des Kaspischen Meeres. Zum Termin selbst wobei wir das durch Bodenreibung erzeugte zonale hat sich das Bodentief auf die Ostseite des Plateaus Drehmoment Fλ weiter nicht diskutieren wollen. Wel- verlagert und das Hoch findet sich im Westen. Wir ha- che Bedeutung hat nun Gl (11) in der globalen Bi- lanz? In den obigen Betrachtungen haben wir uns auf

die axiale Komponente Mz (vereinfacht M) des Dreh- impulsvektors M beschränkt. Eine Variation der axia- len Komponente in Gl. (11) ist verbunden mit einer Änderung der Rotationsgeschwindigkeit der Erde und damit einer Schwankung der Tageslänge, die um 10-3 s betragen kann. Eine zonale Überströmung von Grönland, wie im Abschnitt 3 diskutiert, kann dazu beitragen. Variationen der äquatorialen Komponen- ten von M sind an Polbewegungen geknüpft. Ereig- nisse, wie die oben geschilderte Überströmung der Py- renäen und die von Grönland tragen zu Polbewegun- gen bei.

Im Folgenden wird die Entwicklung des globalen Drehimpulses und dessen Abhängigkeit vom globalen Abb. 7-3: Regression in hPa zwischen dem Druck auf Meeres- orographischen Drehmoment betrachtet. Die Auto- höhe (c, d) sowie in 5,5 km Höhe (a, b) und zonalem korrelation des Drehmoments M, also die Korrelation orographischem Drehmoment von Grönland für Ver- der Zeitreihe des Drehmoments mit sich selbst, aber ␶ ␶ schiebungen von = 0 (a, c) und = 2 Tagen (b, d); eine Zeitreihe um das Zeitintervall ␶ verschoben, gibt Isolinienabstand 1 hPa. Die Regression wurde mit Hilfe von ERA40-Daten für alle Wintertage (DJF) Auskunft, wie lange das Drehmoment im Durchschnitt der Periode 1958–2001 bestimmt. Gebiete mit Höhen wirkt. Die Kreuzkorrelation zwischen Drehmoment M über 500 m sind schwarz gezeichnet. Die grauen Zo- und Drehimpuls Tλ beschreibt das gegenseitige Wech- nen enthalten negative Werte. selspiel. 52 J. Egger, K.-P. Hoinka: Austausch von atmosphärischem Drehimpuls an Gebirgen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 Höhe in km

τ (Tage)

Abb. 7-5: Darstellung der Reaktion der globalen Atmosphäre auf orographische Drehmomente T als Funktion der Höhe (km) und der Verschiebung τ (Tage). Die hori- Verschiebung in Tagen zontale Komponente eines Vektors bezeichnet die Ko- Abb. 7-4: Autokorrelationsfunktion des globalen orographi- varianz von T mit dem Drehimpuls in der angegebe- schen Drehmoments in Hadley2 als Funktion der po- nen Höhe. Die Vertikalkomponente steht für den ver- sitiven Verschiebung (␶) in Tagen und Kreuzkorrela- tikalen Fluss (nach EGGER und HOINKA 2004). tionsfunktion von globalem orographischem Drehmo- ment und globalem Drehimpuls für – 20 ≤ ␶ ≤ 20 Tage in Hadley2 s1 (nach EGGER und HOINKA 2002). misst die Kovarianz des globalen orographischen Drehmoments mit dem globalen Drehimpuls für eine Schicht von 1000 m Tiefe in der angegebenen Höhe. Die in Abb. 7-4 vorgestellte Autokorrelationsfunktion Die Vertikalkomponente gibt die Kovarianz des Verti- von Tλ zeigt, dass globale orographische Drehmomen- kalflusses von Drehimpuls mit dem Drehmoment. Die te rasch zerfallen. Das ist nicht überraschend, da ja Abszisse gibt die Verschiebung τ an, wie sie in den Ko- Abb. 7-2 bis 7-4 schon belegen, dass das Drehmoment varianzfunktionen auftritt. Dann sagt Abb. 7-5 zum einzelner Gebirgsstöcke nach ein paar Tagen stark ab- Beispiel, dass 5 Tage vor dem Ereignis eines Drehim- geklungen ist. Die Kreuzkovarianzfunktion von Dreh- pulseintrags die Störung des globalen Drehimpulses in moment (Tλ) und Drehimpuls (M) zeigt dann deutlich, der unteren Troposphäre negativ ist, man weniger dass der globale Drehimpuls nach der Aktion eines po- Drehimpuls hat als normal. Ferner ist der Vertikalfluss sitiven orographischen Drehmoments zunimmt, um schwach, da ja der Vektor nahezu exakt nach links ge- nach etwa drei Tagen ein Maximum zu erreichen. Et- richtet ist. Wir nehmen an, dass für die Verschiebung was verblüffend sind die doch recht deutlichen negati- τ = 0 positiver Drehimpuls übertragen wird. Man sieht ven Werte der Korrelation für negative Verschiebun- dann sehr gut, dass nahe τ = 0 deutlich positive Flüsse gen. Demnach hat der globale Drehimpuls etwas ge- einsetzen, die den Impuls nach oben tragen und min- ringere Werte als normal ein paar Tage vor einem Er- destens bis zu Höhen von 15 km für Zunahmen des eignis mit positivem orographischem Drehmoment. Drehimpulses sorgen, wie sie dort durch die Drehung Eine schlüssige Erklärung für dieses Phänomen gibt es nach rechts angezeigt werden. Für diesen Transport- bisher nicht. vorgang können wohl nur Rossbywellen die Hauptver- antwortung tragen. Anschließend zerfällt dieser Effekt Was lokal unmöglich war, nämlich die Änderungen des wieder. Die Pfeillängen nehmen mit zunehmendem τ lokalen Impulses aus den Drehmomenten zu bestim- ab. Die Pfeile bekommen eine abwärts gerichtete men, das ist global möglich. Dabei gilt die Regel, dass Richtung. Die Dynamik dieser Zerfallsvorgänge wur- der Großteil der Drehmomente auf Änderungen der de bisher kaum untersucht. zonalen Windfelder entfällt. Wirkt ein Drehmoment von 10 Hadley für zehn Tage auf die Atmosphäre und Ein gewisses Gefühl für die Horizontaltransporte, die ␸ hat man dort das zonale Windprofil uo cos , so ändert mit orographischen Drehmomenten verbunden sind, sich uo um 1 m/s. Typische Ereignisse von globalem wird durch Abb. 7-6 vermittelt. Dieses Bild wurde Drehimpuls haben Werte von ~ 20 Hadley, dauern aber mittels Drehimpulsbilanzen von zonalen Gürteln einer gemäß Abb. 7-3 nur ein paar Tage. Dementsprechend Nord-Süd-Erstreckung von 1000 km gewonnen. Für je-

würde sich uo bei so einem Ereignis um etwa ± 0,5 m/s den dieser Gürtel gibt Abb. 7-6 die Kreuzkovarianz- ändern. funktion zwischen orographischem Drehmoment und dem Drehimpuls in diesem Gürtel wieder. Wenn hori- Schließlich sei noch auf die Frage eingegangen, bis zu zontale Flüsse keine Rolle spielen würden, dann müs- welchen Höhen der Einfluss der Gebirge zu spüren ist. sten alle Kovarianzfunktionen parallel zu der globalen Die Darstellung in Abb. 7-5 gibt dazu eine Antwort in in Abb. 7-4 verlaufen, d. h. nach einer negativen Phase Vektorform. Die Horizontalkomponente eines Vektors für τ < 0 müsste es zu einem raschen Anstieg für τ >0 promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 J. Egger, K.-P. Hoinka: Austausch von atmosphärischem Drehimpuls an Gebirgen 53

5 Schlussbemerkungen

Es hat sich gezeigt, dass der Drehimpulsaustausch an Gebirgen normalerweise nicht zu dramatischen Im- pulsänderungen in der Gebirgsregion führt. Dem ste- hen die Drehimpulstransporte entgegen, die im Rah- men der synoptischen Strömungsentwicklung stattfin- τ (Tage) den. Durch sie wird der am Gebirge gewonnene Dreh- impuls verteilt, so dass sich der Gewinn gut an globa- len Drehimpulsänderungen ablesen lässt. Das Auftre- ten der Rossbywellen etwa bei Grönland weist ja schon darauf hin, dass die Umverteilung des Drehim- pulses in der Atmosphäre ein Vorgang von globaler Dimension ist.

Literatur

BOUGEAULT, P. und 30 Co-Autoren, 1993: The atmospheric Abb. 7-6: Kovarianzfunktion von orographischem Drehmo- momentum budget over a major mountain range: First results ment und dem Drehimpuls je in zonalen Gürteln von of the PYREX field experiment. Ann. Geophys. 11, 395-418. 1000 km. Isolinienabstand 5 x 105 Hadley2 s1.Wiewohl die Werte diskret nur pro Gürtel gelten, wird hier ei- EGGER, J., K.-P. HOINKA, 2002: Covariance analysis of the ne Darstellung mit Isolinien vorgezogen (nach global atmospheric axial angular momentum budget. Mon. EGGER und HOINKA 2005). Wea. Rev. 130, 1063-1070.

EGGER, J., K.-P. HOINKA, 2004: Axial angular momentum: Vertical fluxes and response to torques. Mon. Wea. Rev. 132, kommen mit einem Maximum bei 3–4 Tagen. Die deut- 1294-1305. lichste Abweichung von diesem Muster findet sich in den mittleren Breiten der Nordhemisphäre, wo der An- EGGER, J., K.-P.HOINKA, 2005: Torques and the related meri- stieg des Drehimpulses zu positiven Werten für τ >0 dional and vertical fluxes of angular momentum. Mon. Wea. teilweise ganz entfällt. Das ist nur möglich, wenn die Rev. 133, 621-633. Flüsse den über das Gebirge gewonnenen Drehimpuls WEICKMANN, K., 2003: Mountains, the global friction torque in andere Gürtel schaffen. So belegt Abb. 7-4 die große and the circulation over the Pacific-North American region. Bedeutung der meridionalen Flüsse des Drehimpulses. Mon. Wea. Rev. 131, 2608-2622. 54 promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 54-60 (März 2006) © Deutscher Wetterdienst 2006

H. VOLKERT 8 Fortschritt durch Feldkampagnen – von ALPEX über PYREX zu MAP

Progress by help of field campaigns – from ALPEX via PYREX to MAP

Zusammenfassung Große Feldkampagnen nutzen die reale Atmosphäre als natürliches Labor, in dem eine Vielzahl gleichzeitig ab- laufender Prozesse möglichst umfassend vermessen werden. Strömungsformen und Wetterereignisse über den Alpen wurden 1982 im Rahmen von ALPEX detailliert untersucht, die Überströmung der Pyrenäen 1990 wäh- rend PYREX. Die neueste Generation von Messmethoden und Simulationsmodellen kam während und nach der Feldphase von MAP im Herbst 1999 zum Einsatz. Dieser Beitrag stellt typische Ergebnisse vor und versucht die allgemeinere Frage zu beleuchten, wie derartige Unternehmungen zum Fortschritt in der Atmosphärenphy- sik und zur Verbesserung der täglichen Wettervorhersage beitragen.

Abstract Large field campaigns use the real atmosphere as natural laboratory to quantify the multitude of simultaneous processes as well as possible. Flow patterns and weather events around the Alps were studied in 1982 during the conduct of ALPEX, the flow across the Pyrenees in 1990 during PYREX. The latest generation of measuring techniques and simulations systems was applied during and after the special observing period of MAP in the au- tumn of 1999. This contribution presents exemplary results and addresses the question how and to what extent such undertakings contribute to progress in atmospheric science and the improvement of the day-to-day weather prediction.

1 Einleitung Schon BERGERON (1928) zeigte in seiner umfang- reichen Monographie zur dreidimensionalen Wetter- Die moderne Meteorologie betrachtet sich als eine analyse die starke Beeinflussung, die die mitteleuropä- Physik der Atmosphäre. Da sich die zahlreichen dort ischen Gebirgsstöcke als Ganzes auf atmosphärische gleichzeitig ablaufenden Prozesse nicht im Labor Störungen ausüben können. So werden bei Westwet- nachstellen und isoliert untersuchen lassen, wird im- terlagen Kaltfronten am Boden an den Pyrenäen, den mer wieder versucht, die reale Atmosphäre zeitlich Alpen und den weiter östlich liegenden Gebirgen zu- und räumlich dichter zu vermessen als es routinemäßig rückgehalten, während sie zwischen den Gebirgen zü- möglich ist. Die Atmosphärenphysiker begeben sich gig nach Südosten vorstoßen. (Abb. 8-1). ins Freie und führen Feldkampagnen durch, die in den letzten Jahrzehnten sehr umfangreich wurden und lan- Dieser Beitrag streift zuerst die Gebirgskampagnen ge Vorbereitung erforderten. ALPEX und PYREX und zeigt dann ausführlicher Ar- beitsweise und Ergebnisse zu MAP. Einige grundsätzliche Erwägungen schließen ihn ab.

2 Die Kampagnen ALPEX und PYREX

Das Alpine Experiment (ALPEX) war das letzte in einer Reihe interna- tionaler Feldkampagnen im Rahmen des Global Atmospheric Research Programme. Innerhalb einer allge- meinen Beobachtungsperiode über ein Jahr wurden März und April 1982 als besonderer Messzeitraum defi- niert, innerhalb dessen zwölf Inten- Abb. 8-1: Störungen durch mitteleuropäische Gebirge im Bodendruck- und Strö- sivphasen ausgerufen wurden, die mungsfeld sowie auf eine lange Kaltfront bei Westwetterlage (BERGE- sich über 35 Tage erstreckten. Die La- RON 1928, S. 27). ge der Alpen zwischen 5º und 16º E promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 H. Volkert: Fortschritt durch Feldkampagnen 55 sowie 44º und 48º N mit dem gekrümmten, etwa atmosphäre und die damit einhergehende Überschät- 1000 km langen Hauptkamm von San Remo bis kurz zung von Wellenamplituden bei Gebirgsüberströmung vor Wien und dem komplizierten Nebeneinander von (GEORGELIN et al. 2000). Details zur Durchführung Gebirgsstöcken und langen Tälern macht eine detail- von PYREX mit einer zusammenfassenden Wertung lierte Satellitenaufnahme ohne Wolken plastisch an- der Kampagne und der Datenauswertung geben BOU- schaulich (Abb. 8-2). GEAULT et al. (1997).

Die Bildung und Entwicklung von Zyklonen im Golf von Genua bei Nordwestanströmung war ein Schwer- 3 MAP-Feldphase und typische Ergebnisse punkt der Untersuchungen. Dazu kamen Messung und Modellierung von Föhn- und Borasituationen und Im Herbst 1994 organisierten Schweizer Wissenschaft- Versuche den Strömungswiderstand der Alpen als ler aus Wetterdienst und Universität eine Bestandsauf- Ganzes zu bestimmen. Einzelheiten sind in WMO nahme zu Kenntnissen und Wissenslücken beim Al- (1986) ausführlich dargelegt und in den promet-Ausga- penwetter und den es steuernden Prozessen. Besonde- ben ALPEX I und II (Hefte Nr. 3/4, 1991 und Nr. 1, res Augenmerk schenkte man dem unteren Teil der 1992) auch in deutscher Sprache zugänglich. Mesoskala, die Erscheinungen mit 2 bis 200 km Aus- dehnung enthält, wie Föhnstürme, große Gewitterzel- Inspiriert durch ALPEX begannen Forschungsgruppen len oder Starkregengebiete. Man kam überein, das Me- der Wetterdienste in Frankreich und Spanien 1987 mit soscale Alpine Programme (MAP) durchzuführen. Es der Planung einer internationalen Messkampagne über baute auf den Erfahrungen von ALPEX und PYREX den Pyrenäen, dem ziemlich linienförmig angeordneten auf und sollte eine neue große Feldkampagne enthal- Hochgebirge zwischen den beiden Ländern (Abb. 8-3). ten. Wesentlich war dabei die enge Verzahnung der ex- Die wesentliche Aufgabe bestand in der experimentel- perimentellen Möglichkeiten mit realitätsnahen und len Bestimmung der Impulsbilanz über einem Gebirge auch idealisierten Modellrechnungen, die letztlich auf als Ganzem, die sich für eine zuverlässige Berechnung die Verbesserung der regionalen Wettervorhersage der Strömungsvorgänge in Wettervorhersage- und Kli- zielten. Der organisatorische Kern lag von Beginn an mamodellen als sehr wesentlich erwiesen hatte (vgl. in Zürich mit dem Programme Office bei Meteo- EGGER und HOINKA; Kapitel 7 in diesem Heft). Da- Schweiz und dem MAP Data Centre an der ETH. Dort zu kam die Untersuchung der atmosphärischen Grenz- sind auch die 20 Ausgaben des newsletter abrufbar schicht am Gebirgsfuß und die sich dort häufig ausbil- (http://www.map.meteoswiss.ch/map-doc/newsletter.htm), denden regionalen Windsysteme wie Tramontana und die den Ablauf von Planungsphase (1995–1998), Feld- Autan in Frankreich sowie Cierzo in Spanien. phase (1999; mit special observing period [SOP] von September bis November) und Auswertephase Die Kampagne PYREX fand im Oktober und Novem- (2000–2005) begleiten. ber 1990 statt und umfasste zehn Intensivphasen, die sich zusammen über 15 Tage erstreckten. Ihre systema- Das umfangreiche Spektrum an relevanten Aspekten tische Nachrechnung mit verschiedenen mesoskaligen wurde in acht Teilprojekte einsortiert: P1 – Mechanis- Wettervorhersagemodellen gehörte zu den weiteren men bei orographischem Niederschlag; P2 – Obertro- Zielen des Projekts. Ein großangelegtes Vergleichs- posphärische Anomalien; P3 – Hydrologische Messun- rechnen mit 15 verschiedenen, teilweise operationellen gen zur Überschwemmungsvorhersage; P4 – Strömung Modellen ergab klare Indizien für systematische Mo- durch Pässe; P5 – Föhn im Hochrheintal; P6 – Dreidi- dellfehler, wie die durchwegs zu kleine Bremswirkung mensionale Gebirgswellen; P7 – Niedertroposphäri- der diskretisierten Modellorographie auf die Modell- sche Windscherungszonen (PV banners); P8 – Grenz- schichtstruktur über steilem Gelände. Die Teilprojekte P4–P8 betreffen im Wesentlichen Wettersituationen

Abb. 8-2: Komplexe Struktur der Alpen mit verschneiten Mas- Abb. 8-3: Die Pyrenäen als einigermaßen linienförmige Barrie- siven und schneefreien Tälern am 02.02.2002; Satelli- re zwischen Frankreich und Spanien; Satellitenbild tenbild vom MODIS-Sensor in Wetterkartenprojek- (12.02.2004; MODIS) mit frischem Schnee als tion; geographisches Gradnetz schwach punktiert. Kontrastmittel. 56 H. Volkert: Fortschritt durch Feldkampagnen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 Geogr. Länge Radarreflektivität in dBZ

Geogr. Breite Abb. 8-4: Windvektoren und Radarreflektivität im 2,5 km Hö- he aus flugzeuggetragenen Dual-Doppler-Messungen Niederschlagssumme in mm am 21.10.1999, 0917–0954 UTC über dem Lago Mag- giore-Gebiet; jeder 4. Vektor ist dargestellt; blaue Li- Abb. 8-5: 27-std. Niederschlagsmenge während MAP IOP-2b. nie: Flugzeugkurs; rote Linie: Grenze Italien-Schweiz; Modellrechnung mit Meso-NH in 2 km x 2 km-Gitter grau unterlegt: Topographie über 500 m in 1000 m- und Messung an Regenmessern (Rauten) sind mit Intervallen dunkler werdend [aus BOUSQUET und den gleichen 50 mm-Farbabstufungen dargestellt; SMULL in BOUGEAULT et al. (2003; S. 395)]. Landesgrenzen zwischen F, I, CH schematisch; detail- lierte Linie: Einzugsgebiet des Toce; L: Radar Monte Lema; R, S: Forschungsradare Ronsard und S-Pol. ohne Regen (dry MAP); sie erweitern Messungen bei Bild: E. Richard, Toulouse. ALPEX und PYREX. Die Untersuchung von starkem Niederschlag und möglichen Überflutungen (wet und die räumliche Ausdehnung des heftigen Regens MAP) wurde durch die südalpinen Überschwemmun- während Messperiode IOP-2b (über 200 mm in 27 h) gen im Herbst der Jahre 1991, 1992 und 1994 nachhal- und gleichzeitig den farbkodierten Vergleich mit Mes- tig motiviert.Aus allen Projekten erwähnen wir im Fol- sungen an routinemäßigen Regenmessern. genden einige Befunde, die der Fülle von bislang über 160 Artikeln in begutachteten Fachzeitschriften (VOL- KERT 2005) entnommen sind. 3.2 Obertroposphärische Anomalien

Die synoptische Erfahrung, dass starke Niederschläge 3.1 Orographischer Niederschlag besonders an der Vorderseite von aus (Nord-)Westen in Richtung die Alpen ziehenden Trögen im Höhen- Die klimatologischen Niederschlagsmaxima im Herbst druckfeld auftreten, und der neuere Befund, dass in liegen auf der Alpensüdseite (vgl. FREI und SCHMID- diesen Bereichen die Tropopause stark abgesenkt ist, LI; Kapitel 9 in diesem Heft). Im Bereich des Lago legte die detaillierte Vermessung des bandartigen Ein- Maggiore wurden zwei Wetterradare installiert, die dingens stratosphärischer Luft in die obere Troposphä- über die Dopplerverschiebung den Wind in Regenge- re nahe. Einzelheiten im Feuchtefeld und seinen Gra- bieten und über polarimetrische Messungen die Art des dienten sowie Bänder mit erhöhten Werten der poten- Niederschlags zu bestimmen gestatten. Der Einsatz ei- tiellen Vorticity (PV streamer) sollten dokumentiert nes flugzeuggetragenen Radars ergänzte die experi- werden. Als neuartige Beobachtungssysteme standen mentelle Ausstattung. Die Struktur der Strömung von ein nach unten schauendes, in ein Flugzeug montiertes Südosten gegen des Gebirge unterhalb der Kammhöhe DIAL-Gerät bereit in Kombination mit Fallsonden zur lässt sich damit erfassen (Abb. 8-4), ebenso wie das Ein- konventionellen Messung von Druck, Temperatur, dringen in die Täler in niedrigeren Niveaus. Feuchte und Horizontalwind (über die Verdriftung der Sonde während des Falls). Während neun der insgesamt 18 Intensivmessperioden wurden innerhalb des Alpenraums Niederschlags- Ein Querschnitt entlang des 45. Breitengrads von Bor- ereignisse genauer untersucht (BOUGEAULT et al. deaux über die Westalpen bis Venedig am Nachmittag 2001) und anschließend mit hochauflösenden Model- des 6. November 1999 ist Abb. 8-6 dargestellt. Die ge- len nachgerechnet. Zu diesen neu entwickelten For- messenen geringen Feuchten zwischen 5 und 200 ppmv schungsinstrumenten zählt das nichthydrostatische Si- (unteres Bild), für höhere Werte ist der Laser bei den mulationssystem Meso-NH, dessen Entwicklung in gewählten Laserwellenlängen nicht energiereich ge- Frankreich von mehreren Institutionen seit 1995 be- nug, treten auch in einer mesoskaligen Episodensimu- trieben wird. Abb. 8-5 zeigt die berechnete Intensität lation auf, wenn auch weniger ausgeprägt. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 H. Volkert: Fortschritt durch Feldkampagnen 57 /s 3 Höhe in km NN Abfluss in m

Zeit in UTC Flächenmittel der Regenintensität in mm/h Wasserdampfanomalie in ppmv Wasserdampfanomalie Abb. 8-7: Flächenmittel der Regenintensität (Säulen von oben; Höhe in km NN rechte Achse) und Abfluss (Punkte; linke Achse) je- weils gemessen (orange) und berechnet (blau) für ei- ne 60 h-Periode im Einzugsbereich des Toce oberhalb Geogr. Länge von Candoglia [aus RANZI et al. in BOUGEAULT Abb. 8-6: Querschnitt durch eine Zone deutlicher reduzierter et al. (2003; S. 664)]. Wasserdampfwerte im Bereich einer stratosphäri- schen Intrusion am 06.11.1999. Simulation mit Meso- NH (oben), Messung mit flugzeuggetragenem Laser Hochrheintal zwischen Chur und dem Bodensee (vgl. unten; Farbstufen in Volumenanteilen pro Million STEINACKER; Kapitel 1 in diesem Heft) und zum (ppmv). Schwarze Isolinien für stratosphärische Wer- anderen auf kleinräumige Ausgleichsströmungen te der potentiellen Vorticity [aus HOINKA et al. in durch die Brennerlücke im Alpenhauptkamm und BOUGEAULT et al. (2003; S. 618)]. durch das Wipptal hinunter nach Innsbruck (gap flow; vgl. MAYR und GOHM; Kapitel 2 in diesem Heft). 3.3 Hydrologische Messungen Wie in den anderen MAP-Projekten gelang eine enge Interdisziplinäre Pionierleistungen erbrachte MAP- Kopplung zwischen einer Vielzahl von Messträgern und SOP bei der Kombination von Niederschlagserfassung, hochaufgelösten, realitätsnahen Simulationen mit einer gemessen oder vorausberechnet, und nachgeschalteter horizontalen Maschenweite bis zum einem Kilometer. Wasserstandsvorhersage für das mittelgroße Einzugs- gebiet des südalpinen Flusses Toce oberhalb des Pegels Längs eines Querschnitts von Innsbruck nach Verona Candoglia (1532 km2). Diese gekoppelten Rechnungen und zurück kam bei MAP-SOP erstmals die Flugzeug- wurden echtzeitnah durchgeführt. version eines rotierenden Aerosol-Lidars zum Einsatz, das es erlaubt, vertikale Profile des Horizontalwindes Abb. 8-7 fasst die Ergebnisse für die 60-stündige Peri- abzuleiten.Abb. 8-8 zeigt für die Schwachwindlage vom ode vom 19.–21. September 1999 zusammen, in deren 11. Oktober 1999 eine systematische Zunahme des ersten Hälfte es anhaltend geregnet hat. Die Wasser- Windes einmal mit der Höhe und andererseits von Süd standsberechnung mit vorausgerechneten Regendaten nach Nord. Ein Vergleich mit einer Simulation mit pas- zeigt den beobachteten klaren Anstieg des Abflusses, sender horizontaler (10 km) und vertikaler Auflösung jedoch etwas überschätzt und um 6 Stunden verfrüht (250 m) bestätigt auch das lokale Windmaximum in Bo- gegenüber dem beobachteten Wert. Systematische dennähe bei Bozen. Eine verbesserte Version des Ge- Tests mit verschiedenen Atmosphären- und Flussmo- räts kam knapp 3 Jahre später während der Kampagne dellen erhärteten die Machbarkeit derartiger gekop- VERTIKATOR auch nördlich der Alpen zum Einsatz pelter atmosphärisch-hydrologischer Vorhersagen, be- (vgl. WINKLER et al.; Kapitel 5 in diesem Heft, S. 40). sonders jedoch für größere Flusseinzugsbereiche. Bis zu einer routinemäßigen Anwendung ist es jedoch noch ein längerer Weg. 3.5 Dreidimensionale Gebirgswellen

Wie DÖRNBRACK et al. (Kapitel 3 in diesem Heft) 3.4 Föhn und Strömung durch Pässe darlegen, erzeugt eine hinreichend kräftige Strömung über ein Gebirge in der meist stabil geschichteten At- Der alpine Föhn kann auf eine sehr lange Forschungs- mosphäre darüber und im Lee die regelmäßige Abfol- geschichte zurückblicken; trotzdem wird er häufig ge von Auf- und Abwindzonen, die etwa Segelflieger nach einem allzu vereinfachten Schema erklärt, das beim Wellenflug ausnutzen und die in starker Ausprä- einmal die Alpen als einheitlichen Gebirgsblock be- gung eine Gefährdung für den Flugverkehr darstellen trachtet und weiterhin Strömungsformen voraussetzt, können. Die Dokumentation des mehrstündigen Le- die im Luv, über dem Kamm und im Lee stets nahe der benszyklus’ solcher Gebirgswellen bis hin zu ihrem Erdoberfläche liegen. Während MAP-SOP richtete Brechen mit starker turbulenter Vermischung gehörte sich das besondere Interesse einmal auf das komplexe auch zu den Zielen für die MAP-SOP. 58 H. Volkert: Fortschritt durch Feldkampagnen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Sieben Wellen-Situationen verteilt zwischen West-, Zentral- und Ostalpen wurden mit bis zu drei For- schungsflugzeugen vermessen, die meist koordiniert in unterschiedlichen, doch für mehrere Traversen festge- haltenen Flugniveaus längs der Hauptwindrichtung hin- und herpendelten (S1.1 in GRISOGONO et al., 2005).

Die Situation im Lee des Mont Blanc am 2. November 1999 ist auf der Titelseite dargestellt. Abb. 8-9 zeigt in 33-facher Überhöhung die Überströmung der Hohen Tauern von Süden (links). Die stärkste Welle liegt in Strömungsrichtung direkt hinter dem Hauptkamm; sie

Höhe in km NN ist in allen Flugtraversen, die nacheinander erflogen wurden, enthalten; dies belegt die Stationarität des Wel- Horizontalwind in m/s lenereignisses. In der Umgebung des Großglockner hindern teilweise Wolken das Durchdringen der gepul- sten Lidarenergie bis zum Boden. Die sehr regelmäßi- gen Wellenmuster bilden sich im kohärenten Band der hohen Aerosolrückstreuung ab (Bereich schwarz bis rot). Begleitende Simulationen mit genesteten Model- len mit Maschenweiten bis unter einen Kilometer er- leichtern die Interpretation der Situation zum besseren Abstand in km Verständnis des Zusammenspiels von Grenzschicht- effekten am Boden und Wellenausbreitung darüber. Abb. 8-8: Querschnitt des Horizontalwinds zwischen Innsbruck (I) und Verona (V) am 11.10.1999 um 14 UTC: ge- messen mit einem nach unten blickenden, von einem Flugzeug getragenen Doppler-Lidar (oben: Hinflug; 3.6 Niedertroposphärische Windscherungszonen Mitte: Rückflug) und berechnet (Meso-NH Modell) [aus REITEBUCH et al. in BOUGEAULT et al. Während der Planung von MAP fielen in zahlreichen (2003; S. 721)]. detaillierten Simulationen ausgeprägte Bänder ins Au- ge, die von Gebirgsstöcken aus stromab liegen und an deren Grenzen der Horizontalwind auf kurze Strecke in Stärke und Richtung stark variiert. Es blieb unklar, inwieweit solche Windscherungszonen, die sehr unter- schiedliche Werte der potentiellen Vorticity (PV) auf- weisen – daher der englische Name PV banner – in der realen Atmosphäre auftreten.

Während fünf Intensivmessphasen wurden die Nach- laufströmungen von Teilen der Alpen mit mehreren Flugzeugen vermessen; je nach Strömungslage über Höhe in km dem Ligurischen Meer südlich von Nizza (Westalpen), über der Poebene (Zentralalpen bei Strömung von Norden), über dem deutschen Alpenvorland (Zentral- alpen bei Strömung von Süden) und über der Adria (dinarische Alpen bei Strömung von Nordosten). Die Auswertung der Daten in Flugniveau, meist unterhalb der Kammhöhe, und von Fallsonden ergab eine Hie- Abstand in km rarchie von primären und sekundären Bannern, die sich durch Vergleich mit hochaufgelösten Simulatio- Abb. 8-9: Süd-Nord-Schnitt der atmosphärischen Rückstreu- nen auf größere Gebirgsstöcke beziehungsweise mar- ung über dem Großglockner am 20.09.1999, kante Einzelgipfel zurückführen lassen. Auf diese 1330–1400 UTC (in Farbe) und Stromlinien aus Flug- traversen in 4 Höhen (schwarze Linien). Der Kasten Weise fanden umfangreiche theoretische Vorarbeiten in der Mitte ist rechts unten vergrößert dargestellt zur Entstehung und Umverteilung der potentiellen [aus DOYLE und SMITH in BOUGEAULT et al. Vorticitiy, einer strömungsdynamischen Erhaltungs- (2003; S. 806)]. größe, ihre experimentelle Bestätigung. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 H. Volkert: Fortschritt durch Feldkampagnen 59

3.7 Grenzschicht in steilem Gelände Feldkampagne im natürlichen Labor der Atmosphäre in der Umgebung eines Hochgebirges gewonnen wer- Ein nahezu gerader Abschnitt des tiefen Tals nördlich den können. In Europa erwies sich die Folge ALPEX- von Bellinzona mit ziemlich gleichförmigen Hängen, PYREX-MAP als besonders fruchtbar, auch weil an die so genannte Tessiner Riviera, wurde mit mehreren ihr teilweise dieselben Institutionen und Personen be- Transsekten von Bodeninstrumenten bestückt und bei teiligt waren. LEMONE (2003) zeichnet nach 30-jäh- Strahlungswetterlagen mit einem Motorsegler syste- riger allgemeiner Kampagnenerfahrung und mit matisch in Längs und Querrichtung erflogen. reichlich Selbstironie den typischen Ablauf derartiger Messunternehmungen mit einer umfangreichen Pla- Die Datenanalyse legte eine Modifikation der üb- nungsphase, der vergleichsweise kurzen Durchfüh- lichen Skalierungsmethoden nahe, mit deren Hilfe die rung und einer oft nicht ausreichend koordinierten Höhenprofile verschiedener Größen an unterschied- Auswertephase. ALPEX dient als Beispiel für den lichen Positionen im Tal vergleichbar gemacht werden Widerstreit zwischen den Interessen Einzelner und ei- können. Auch in diesem Teilprojekt erwiesen sich sehr nem erhofften gemeinsamen Vorgehen (Abb. 8-10). hochaufgelöste Simulationen, die als realitätsnahe Lar- Zusammenfassende Darstellungen in einigem Ab- ge-Eddy-Rechnungen zu bezeichnen sind, als nützlich stand nach Feldkampagnen können dieses Dilemma und notwendig für eine konsistente Interpretation der lindern. Für PYREX liegt eine Veröffentlichung vor, verschiedene Messungen. die den Stand der Forschung sechs Jahre nach der Feldphase darlegt (BOUGEAULT et al. 1997). Für MAP wurde eine umfangreiche Dokumentation der 4 Fortschritt durch Feldkampagnen Feldphase als Sonderheft im Quarterly Journal der Royal Meteorological Society erstellt (BOUGEAULT Der momentane Stand der Ernte aus dem Mesoscale et al. 2003); VOLKERT (2005) gibt eine erste Zu- Alpine Programme ist in den Übersichtsartikeln (S1.1, sammenstellung dessen, was unter Kollegen locker als S1.2, S4.1, S4.2, S5.1, S8.1, S8.2, S9.1, S14.1, S14.2, MAP harvest bezeichnet und derzeit abgeschlossen S15.1) des auch online verfügbaren Tagungsbands der wird. Wenn wir uns in einigen Jahren daran gewöhnt ICAM-MAP Konferenz im Mai 2005 enthalten (GRI- haben werden, Wetterberichte zu bekommen, die für SOGONO et al. 2005). Hier wird nun versucht, einige Regionen der Alpen drei Tage im Voraus etwa Vor- allgemeine Befunde zum Beitrag von Feldkampagnen mittag und Nachmittag deutlich unterscheiden kön- zum Fortschritt in der Meteorologie aufzuzeigen. nen oder die verlässliche Warnungen vor Starkregen geben, dann haben die skizzierten Feldkampagnen da- Die vorhergehende Abschnitte verdeutlichen die Fül- bei ihren Anteil. le von Einzelbefunden, die während einer großen An anderer Stelle in diesem Heft sind weitere Feldex- perimente erwähnt. KOTTMEIER und FIEDLER (Kapitel 4) und WINKLER et al. (Kapitel 5) erläutern Ergebnisse der international organisierten Kampag- nen ESCOMPTE (2001) und VERTIKATOR (2002), die neben anderen Fragen den orographisch modifi- zierten Transport von Luftbeimengungen untersuch- ten. Aber auch weniger umfangreiche Experimente bringen oft wichtige Erkenntnisse wie der Segelflug- wettbewerb 1937 am Riesengebirge (vgl. DÖRN- BRACK et al.; Kapitel 3) oder die meteorologischen Expeditionen eines Universitätsinstituts nach Nepal und Bolivien (vgl. EGGER; Kapitel 6).

Zusammenfassend macht ein langer Blick über ein Jahrhundert Atmosphärenforschung folgende Punkte deutlich, die leider nicht ausreichend im allgemeinen Bewusstsein verankert scheinen: 1) die chaotisch erscheinenden, durch Gebirge massiv gestörten hydro-thermodynamischen Strömungen Abb. 8-10: Nach der ALPEX-Feldphase: der Programmkoordi- enthalten ein gerüttelt Maß an Vorhersagbarkeit; nator wird irre bei dem Versuch, die principal investi- gators davon abzuhalten, Datenhäppchen zur persön- 2) langer Atem und ein fernes Ziel, wie die Sterne nach lichen Verwendung zu erbeuten [aus LEMONE denen man navigieren kann, ohne sie erreichen zu (2003); nach einer Anregung von Joachim Kuettner]. wollen, erleichtern die Arbeit (BJERKNES 1938); 60 H. Volkert: Fortschritt durch Feldkampagnen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

3) Feldkampagnen sind ein wichtiger Baustein für die BOUGEAULT, P., P.BINDER,A. BUZZI, R. DIRKS, R. HOU- Gewinnung von Eichdatensätzen zur Erprobung ZE, J. KUETTNER, R.B. SMITH, R. STEINACKER, H. verbesserter Generationen von Vorhersagemodellen VOLKERT, 2001: The MAP special observing period. Bull. Amer. Meteorol. Soc. 82, 433-462. (vgl. MAJEWSKI und RITTER; Kapitel 10, S. 69); 4) der Einsatz neuartiger Messverfahren bringt regel- BOUGEAULT, P., R.A. HOUZE, R. ROTUNNO, H.VOLKERT mäßig vereinigenden Schwung in Kampagnen; (Hrsg.), 2003: Sonderheft mit 25 Arbeiten zum Mesoscale Alpi- ne Programme. Quart. J. R. Meteorol. Soc. 129, 341-895; Inhalts- 5) der Fortschritt geschieht meist allmählich und nur verzeichnis online unter http://www.ingentaconnect.com/ selten durch eine überraschende Entdeckung (vgl. content/0035-9009 DAHLSTRÖM 1981); DAHLSTRÖM, B., 1981: Insight into the nature of precipitation – 6) ohne enge Verzahnung mit Modellrechnungen bei Some achievements by T. Bergeron in retrospect. Pure Appl. Planung und Auswertung bleiben Feldmessungen Geophys. 119 (Bergeron Memor.Vol.), 548-557 (plus 3 Karten). nur Stückwerk; und GEORGELIN, M., P. BOUGEAULT und 24 Koautoren, 2000: 7) die Wirkung von partnerschaftlicher Zusammenar- The second COMPARE exercise: A model intercomparison beit und ausreichend Humor (LEMONE 2003) ist using a case of typical mesoscale orographic flow, the PYREX auch im ernsten Wissenschaftsbetrieb kaum zu IOP 3. Quart. J. R. Meteorol. Soc. 126, 991-1029. überschätzen. GRISOGONO, B, H. VOLKERT, B. IVANCAN-PICEK, A. BAJIC (Hrsg.), 2005: Proceedings of the 28th International Conference on Alpine Meteorology and the annual MAP Literatur meeting. Croat. Meteorol. J. 40, Zagreb, ISSN 1330-0083, 721 S.; online unter: http://meteo.hr/ICAM2005/proceedings.html BERGERON, T., 1928: Über die dreidimensional verknüpfende LEMONE, M. A., 2003: What we have learned about field pro- Wetteranalyse. Erster Teil: Prinzipielle Einführung in das Pro- grams. In: W.K. Tao (ed.), Cloud Systems, Hurricanes, and the blem der Luftmassen- und Frontenbildung. Geof. Publ. 5, Tropical Rainfall Measuring Mission (TRMM). Meteorol. no. 6, 111 S. Monogr. 29, no. 51,Amer. Meteorol. Soc., ISBN 1-878220-54-3, 25-35. BJERKNES, V., 1938: Leipzig-Bergen. Festvortrag zur 25-Jahr- VOLKERT, H., 2005: The Mesoscale Alpine Programme feier des Geophysikalischen Instituts der Universität Leipzig. (MAP): A multi-facetted success story. Croat. Meteorol. J. 40, Zeitschrift für Geophysik 14, Heft 3/4, 49-62. Zagreb, ISSN 1330-0083, 226-230; online verfügbar unter BOUGEAULT, P., B. BENECH, P. BESSEMOULIN, B. CA- http://meteo.hr/ICAM2005/pdf/sesion-15/S15-01.pdf RISSIMO, A. JANSA CLAR, J. PELON, M. PETITDIDIER, WMO, 1986: Scientific results of the Alpine Experiment (AL- E. RICHARD, 1997: PYREX: A summary of findings. Bull. PEX). Genf, WMO Technical Document No. 108 (2 volumes), Amer. Meteorol. Soc. 78, 637-650. 710 S. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 61-67 (März 2006) 61 © Deutscher Wetterdienst 2006

C. FREI, J. SCHMIDLI 9 Das Niederschlagsklima der Alpen: Wo sich Extreme nahe kommen

The precipitation of the Alps: Where extremes come close

Zusammenfassung Die komplexen Einflüsse der Topographie hinterlassen in den Alpen einen vielfältigen Charakter im Nieder- schlagsklima. Hier treffen sich extreme Bedingungen über kurze Distanzen. Wir illustrieren diese Vielfalt mit Analysen von Daten der operationellen Niederschlagsmessnetze der Alpenländer. Der mittlere Niederschlag und die Häufigkeit von Starkniederschlägen und Trockenperioden weisen markante mesoskalige Strukturen auf, die mit dem hier angewendeten gesamtalpinen Blickwinkel gut sichtbar werden. Rekonstruktionen und Trend- analysen zeigen zudem, dass sich gewisse Größen des alpinen Niederschlagsklimas im Verlauf des 20. Jahrhun- derts markant verändert haben.

Abstract The complex influence of topography results in a highly diverse character of the Alpine precipitation climate. Different extremes are met over short distances. Here we illustrate the manifold patterns by means of analyses of data from operational precipitation ( gauge) networks of Alpine countries. Mean precipitation and the fre- quency of heavy precipitation and dry spells exhibit pronounced mesoscale structures, which become particular- ly evident with the Alpine-wide viewpoint. Moreover, reconstructions and trend analyses show that certain cha- racteristics of the Alpine precipitation climate have undergone remarkable changes during the 20th century.

1 Einleitung Starkniederschlägen, die sich in den letzten Jahren in einer Reihe schadenreicher Überschwemmungsereig- In kontinentalskaligen Klimakarten des Niederschlags nisse manifestiert hat (Vaison-la-Romaine 1992; Brig erscheinen die Alpen als „Halbmond“ mit Jahresnie- 1993; Piemont 1994; Aare, Rhein, Donau 1999; Wallis, derschlagsmengen, die mehr als doppelt so groß sind Tessin, Aostatal 2000, Zentralschweiz, Arlberg und wie im umgebenden Flachland. Die Alpen werden des- Bayern 2005, usw.). Viele dieser Ereignisse haben sich halb oft als „Wasserschloss Mitteleuropas“ bezeichnet. in bekanntermaßen sonnenreichen Gegenden entlang Tatsächlich sind sie die Quellregion von vier großen dem Alpensüdrand zugetragen. Dies ist nur scheinbar Flusssystemen, die alle einen überproportionalen Ab- ein Widerspruch. flussbeitrag aus den Alpen bekommen. An der Mün- dung des Rheins zum Beispiel stammen etwa 44 % des Die Vielfalt des alpinen Klimas ist ein Abbild der kom- langjährigen mittleren Abflusses aus den Alpen, einem plexen Wettersysteme und Niederschlagsprozesse in Gebiet, das nur 15 % der Einzugsgebietsfläche aus- dieser Gegend (siehe z. B. SCHÄR et al. 1998). Sie ist macht (VIVIROLI und WEINGARTNER 2004). Das mitverantwortlich für die landschaftliche und die öko- Wasserschloss Alpen trägt damit überregional zur Si- logische Vielfalt der Alpen, aber sie stellt auch eine cherung von Wasserressourcen bei. Zudem wirken sei- Randbedingung dar für die Nutzung dieses Gebiets als ne hochgelegenen Schneefelder und Gletscher als tem- Lebens- und Wirtschaftsraum. poräre Wasserspeicher, die die jahreszeitlichen Varia- tionen im Abfluss der Flusssysteme ausgleichen. Dieser Artikel illustriert die Vielfalt des alpinen Niederschlagsklimas anhand von verschiedenen Ana- Aber die Sicht der Alpen als verlässlichen Wasserspen- lysen aus den Daten der operationellen Pluviometer- der greift zu kurz für eine Beschreibung ihrer hydrolo- Messnetze im Alpenraum. Unser Blick auf den gesam- gischen und klimatologischen Vielfalt. Man trifft nicht ten Alpenraum macht interessante mesoskalige Struk- nur große mittlere Niederschlagsmengen an, vielmehr turen sichtbar, die aus den verschiedenen nationalen treffen sich hier die Extreme. Im Jungfraumassiv in der Klimatologien allein nur schwer erkennbar sind. Die Schweiz, zum Beispiel, werden im Mittel mehr als Analysen umfassen verschiedene Klimagrößen vom 4000 mm Jahresniederschlag gemessen, während Brig mittleren Niederschlag bis zur Häufigkeit von Stark- im Wallis nur 750 mm aufweist. Eine Distanz von we- niederschlägen und Trockenperioden. Am Ende des niger als 30 km umspannt hier das Spektrum zwischen Artikels werden wir schließlich die im Alpenraum be- der Westküste von Schottland und dem Peloponnes. obachteten Veränderungen des Niederschlags im Dazu kommt eine besonders große Häufigkeit von 20. Jahrhundert diskutieren. 62 C. Frei, J. Schmidli: Das Niederschlagsklima der Alpen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

2 Daten Zentren der Alpenländer zur Verfügung gestellt. Um- fassende Angaben über Beobachtungsstrategien, die Die Alpenländer unterhalten umfangreiche Nieder- Datenquellen sowie eine ausführliche Beschreibung schlags-Messnetze konventioneller Pluviometer-Sta- des Datensatzes und der angewendeten Qualitätsprü- tionen (Abb. 9-1a). Mit einem typischen Stationsab- fung sind in FREI und SCHÄR (1998) zu finden. Die stand von 10–20 km gehören diese Netze zu den dich- Analysen in diesem Artikel beruhen auf Pluviometer- testen weltweit, und es gibt unseres Wissens kein messungen, die nicht für systematische Messfehler kor- Hochgebirge von der Größe der Alpen mit einer ver- rigiert wurden. gleichbaren Beobachtungsdichte.

In den vergangenen Jahren hat die ETH Zürich einen 3 Mittlere saisonale Niederschläge länderübergreifenden Datensatz für den gesamten Al- penraum zusammengetragen, der die Pluviometerda- Abb. 9-2 stellt die Verteilung des mittleren Nieder- ten aus den operationellen hochauflösenden Messnet- schlags in den vier klimatologischen Jahreszeiten dar. zen vereint. Heute enthält dieser Datensatz mehr als Die Analysen beruhen auf einer hochaufgelösten 7500 Zeitreihen in Tages-Auflösung, die mindestens ei- Interpolation der Stationswerte mit dem PRISM Cli- nen Teil des Zeitraums 1966–2000 abdecken. Die im mate Mapping Verfahren von DALY et al. (2002). Stichjahr 1973 verfügbaren Stationen sind in Abb. 9-1a PRISM schätzt regionale Beziehungen zwischen dem dargestellt. Zum Vergleich zeigt Abb. 9-1b die Vertei- Niederschlagsklima und verschiedenen lokalen Eigen- lung der im Alpenraum betriebenen rund 270 SYNOP- schaften der Topographie (Meereshöhe, Neigung, Ex- Stationen, deren Daten automatisch über GTS inter- position) und nutzt diese für die Interpolation mit ei- national ausgetauscht werden. In vielen Gebirgsregio- nem digitalen Höhenmodell. PRISM wurde speziell nen der Erde wird nicht einmal diese äußerst grobe für den Alpenraum kalibriert und hochauflösende Stationsdichte erreicht. Die ausgezeichnete Beobach- Analysen (auf einem 2 x 2 km Gitter) sind großforma- tungsdichte in den Alpen erlaubt also eine Beschrei- tig im Hydrologischen Atlas der Schweiz publiziert bung des Niederschlagsklimas, wie dies wohl für kein (SCHWARB et al. 2001). Für die Verteilungen in anderes Hochgebirge der Erde möglich ist. Abb. 9-2 wurden die Originalanalysen auf ein Gitter von etwa 15 x 15 km aggregiert. Die Daten für den länderübergreifenden Datensatz wurden uns freundlicherweise von neun nationalen Das räumliche Muster des mittleren Niederschlags und regionalen Wetterdiensten und hydrologischen (Abb. 9-2) lässt sich grob beschreiben als zwei langge- zogene Feuchtzonen, die sich entlang dem nördlichen und dem südlichen Alpenrand erstrecken. In den inneralpinen Gebieten dazwischen findet man trocke- nere Bedingungen. Das allgemeine Muster stimmt gut mit früheren grob aufgelösten gesamtalpinen Klimato- logien überein (z. B. FLIRI 1974). Die einzelnen Ele- mente der allgemeinen Struktur sind je nach Jahreszeit unterschiedlich ausgeprägt. Im Winter findet man feuchte Bedingungen entlang dem Alpennordrand und vor allem im Westen, währendem im Sommer sich das Niederschlagsgeschehen in die zentralen und östlichen Bereiche der Alpen verschiebt. Die feuchte Anomalie entlang dem Südhang ist in zwei Zentren aufgeteilt (Südschweiz/nördlicher Piemont und Julische/Karni- sche Alpen nördlich der Adria), die sich vor allem in den Übergangsjahreszeiten von ihrer Umgebung deut- lich abheben. Die beiden Zentren lassen sich plausibel durch den kanalisierenden Effekt der topographischen Einbuchtungen bei Südanströmung und mit der Nähe zur Küste verstehen.

Die Alpine Klimatologie zeigt auf, wie die Nieder- schlagsverstärkung durch die Topographie offenbar stark von den Dimensionen des Gebirges abhängt. Bei Gebirgen größerer Skala wie den Alpen (auch sichtbar am Zentralmassiv) wirkt die Verstärkung vor allem Abb. 9-1: a) Stationen im länderübergreifenden, alpinen Niederschlagsdatensatz (Stichjahr 1973, FREI und entlang dem Gebirgsrand (jeweils den Strömungsrich- SCHÄR 1998). b) Verteilung der rund 270 SYNOP- tungen zugewandt). In den Ostalpen (siehe Nord-Süd- Stationen im Alpenraum. Querschnitt in Abb.9-3a) kommen die größten mittle- promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 C. Frei, J. Schmidli: Das Niederschlagsklima der Alpen 63

geogr. Breite Höhe in m Niederschlag in mm/d

geogr. Länge

Abb. 9-3: Querschnitte des mittleren Niederschlags (blau: Win- ter, rot: Sommer): a) in Nord-Süd Richtung durch die Alpen um 12° E, b) in West-Ost Richtung durch Vo- gesen, Rheinebene und Schwarzwald um 48° N. Da- ten aus der 2 x 2 km-Klimatologie von SCHWARB et al. (2001). Ausgezogene Linien zeigen das Mittel, ver- tikale Linien das Inter-Quartil der Variationen über einen Bereich von 50 km senkrecht zur Querschnitts- achse. Mittlere Meereshöhe in schwarz.

burtsstätte an den Alpen ins Vorland zurückgehen. Im Gegensatz zu den Alpen findet man bei den Mittelge- birgen (Schwarzwald, Vogesen und Jura) die Nieder- schlagsmaxima etwa über der maximalen Erhebung (siehe West-Ost-Querschnitt in Abb. 9-3b). Aber es gibt auch hier (zumindest bei den Vogesen) eine leich- te Asymmetrie mit feuchteren Bedingungen stromauf- wärts (nach Westen) und starker Abschattung in der Rheinebene, besonders im Winter.

Die grundlegenden Unterschiede in der Struktur des Niederschlagsklimas zwischen dem alpinen Hochge- birge und den Mittelgebirgen können zum Teil mit Unterschieden in den vorherrschenden Niederschlags- prozessen erklärt werden (siehe dazu SMITH 1979). Abb. 9-2: Mittlerer saisonaler Niederschlag (in mm pro Tag) für die Am Hochgebirge dürften Strömungssituationen mit vier klimatologischen Jahreszeiten. Nach SCHWARB et blockierten bodennahen Luftmassen und damit einer al. (2001), aber in einer Auflösung von 15 km. weiter stromaufwärts reichenden Niederschlagsver- stärkung häufiger vorkommen als an den Mittelgebir- gen. Kommt dazu, dass die Geburtsstätten von größe- ren Niederschläge bereits auf einer Meereshöhe von ren Gewittern eher am Rand der Alpen vorgefunden etwa 1000 m vor und nehmen danach gegen die inne- werden, wo das atmosphärische Feuchtereservoir des ren Alpen trotz zunehmender Meereshöhe ab. Im Vorlandes zur Verfügung steht. Bei den niedrigeren Sommer reicht die nordalpine Feuchtzone weiter ins Mittelgebirgen dürfte dagegen die Niederschlagsver- Gebirgsinnere und weiter ins nördliche Vorland als im stärkung durch den Seeder-Feeder Mechanismus Winter. Letzteres dürfte insbesondere auf die häufig (Tropfenwachstum beim Fallen durch eine Wolke) mit beobachtete Bewegung von Gewittern aus ihrer Ge- einer über dem Gebirge (Hügel) zentrierten Nieder- 64 C. Frei, J. Schmidli: Das Niederschlagsklima der Alpen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 schlagsverstärkung eine Rolle spielen. Auch wenn die- nördlichen Alpenraum vor (Abb. 9-4b). Sie treten vor- se klassischen Vorstellungen gewisse Muster des alpi- wiegend im Winterhalbjahr (Winter und Frühling) auf. nen Niederschlagsklimas plausibel machen können, so Am zentralen und östlichen Alpenrand gibt es aber ist die Wirkung der Alpen auf die mesoskalige Dyna- auch im Sommer kontinuierliche Regenperioden von mik und damit auf die Niederschlagsprozesse im All- 10 und mehr Tagen. Deutlich weniger häufig als im gemeinen wesentlich komplexer. Im Mesoscale Alpine Norden sind langandauernde Niederschlagsphasen im Programme wurde diese Komplexität an Fallbeispielen südlichen Rhônetal, in der Po-Ebene, im Osten von intensiv untersucht (vgl. VOLKERT; Kapitel 8 in die- Österreich, und in inneralpinen Tälern (Südtirol, En- sem Heft, S. 56/57). Die Niederschlagsverteilung in den gadin, Aostatal). Alpen dürfte deshalb das Resultat vieler Einflussfak- toren sein, von den großskaligen Klimaregimen, über Die durchschnittliche Länge der längsten jährlichen die dynamischen Effekte des Gebirges auf die Wetter- Trockenperiode (Abb. 9-4c) variiert zwischen etwa 20 systeme, bis zur Geographie des Gebirges und der Tagen nördlich des Alpenhauptkamms und über 40 Ta- Land-Meer Verteilung in der Region.

4 Starkniederschläge und Trockenperioden

Im Alpenraum treten Starkniederschläge hauptsäch- lich in Verbindung mit Gewittern (Konvektion) oder im Zusammenhang mit quasi-stationären Wetterlagen mit Staueffekten auf. Die Zeitauflösung der konven- tionellen Messnetze (1 Tag) ist sicher zu grob für eine aussagekräftige Klimatologie über konvektive Stark- niederschläge. Aber Analysen der täglichen Nieder- schlagsvariationen erlauben trotzdem interessante Einblicke in die Verteilung von Starkniederschlägen im Alpenraum. Abb. 9-4 zeigt drei statistische Größen dieser Variationen, welche die Häufigkeit von starken Tagesniederschlägen, von langandauernden Nieder- schlagsepisoden und von Trockenperioden charakteri- sieren. Diese Analysen (auf einem Gitter von 15 x 15 km) wurden mit einer modifizierten Form des Shepard Algorithmus aus den entsprechenden Statisti- ken der Stationen hergeleitet (Details in FREI und SCHÄR 1998).

Intensive Tagesniederschläge (Abb. 9-4a) kommen vor allem im südlichen Alpenraum vor. Vier Gebiete an den Cevennen (Zentralmassiv), an der Ligurischen Küste, in der Südschweiz/Norditalien sowie nördlich der Adria sind besonders ausgeprägt. Der maximale 40-tägige Eintagesniederschlag ist hier mehr als drei- mal größer als über dem deutschen Flachland. In die- sen Gebieten treten Starkniederschläge vor allem im Herbst auf, wenn feuchtwarme Luftmassen aus dem Mittelmeerraum gegen die Alpen geführt werden. Oft sind diese Wetterlagen mit charakteristischen Höhen- strukturen verbunden und der Niederschlag kann stra- tiform oder konvektiv sein (z. B. MASSACAND et al. 1998). Neben diesen ausgezeichneten Starknieder- schlagszonen weist der gesamte Alpenbogen und die Abb. 9-4: Starkniederschläge und Trockenperioden im Alpen- Mittelgebirge eine gegenüber dem Flachland höhere raum 1971–1990: (a) Das 95 %-Quantil (in mm pro Starkniederschlagshäufigkeit auf, allerdings zu je nach Tag) der Tagesniederschläge (Niederschlagstage mit Region unterschiedlichen Jahreszeiten. Entlang dem mindestens 1 mm pro Tag); dies entspricht etwa ei- nördlichen Alpenrand und in Süddeutschland findet nem Niederschlag, der im Mittel alle 40 Tage über- schritten wird. (b) Die durchschnittliche Länge (Me- man die größten Häufigkeiten im Sommer. dian in Tagen) der längsten ununterbrochenen Niederschlagsepisode im Jahr. (c) Die durchschnittli- Im Gegensatz zu den intensiven Tagesniederschlägen che Länge (Median in Tagen) der längsten ununter- kommen langandauernde Regenfälle vor allem im brochenen Trockenperiode im Jahr. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 C. Frei, J. Schmidli: Das Niederschlagsklima der Alpen 65 gen entlang der Mittelmeerküste. Der ausgeprägte und im Herbst gefunden. Im Winter hat der Nieder- Gradient über die Alpen und das Zentralmassiv zeigt schlag über einem größeren zusammenhängenden Ge- die Abschirmung des unteren Rhônetals und der Po- biet im Norden und Westen des Alpenraums zugenom- ebene von den synoptischen Wettersystemen im Nor- men. Die Zunahme beträgt zwischen 20 und 30 % und den. Lange Trockenperioden können im Norden in al- ist statistisch signifikant. In derselben Jahreszeit wird len Jahreszeiten auftreten, im Süden (Mittelmeerküste eine Niederschlagsabnahme im Südosten der Alpen und Poebene) dagegen bevorzugt im Sommer.

Es ist interessant, dass die klassischen Starknieder- schlagsgebiete im Süden der Alpen gleichzeitig auch von längeren Trockenperioden betroffen sind. Im Nor- den dagegen korrelieren Starkniederschlagshäufigkeit, lange Regenphasen und kurze Trockenperioden sogar auf der Skala einzelner Gebirgsmassive. Dies demon- striert die Komplexität der Niederschlagsstatistik im Alpenraum.

5 Trends

Verschiedene Untersuchungen der letzten Jahre haben für Europa langfristige Niederschlagstrends festge- stellt (z. B. SCHÖNWIESE et al. 1994). Zwar existie- ren heute wertvolle länderübergreifende Langzeit-Da- tensätze für Trendanalysen (z. B. Klein Tank et al. 2002), aber eine Beschreibung der regionalen Struktur der Trends im Alpenraum wird erschwert durch die im Vergleich zur Topographiestruktur sehr groben Sta- tionsdichte in diesen Datensätzen.

Eine Rekonstruktion von regionalen Strukturen ist aber möglich, wenn die vorhandenen Langzeitreihen mit Information aus den dichten aktuellen Messnetzen verknüpft werden. Eine Methode für diese Kombina- tion wurde von SCHMIDLI et al. (2002) für monatli- che Niederschläge in den Alpen entwickelt, ähnlich zu den Verfahren bei der Rekonstruktion von Meeres- oberflächentemperaturen. Dabei wird aus dem dichten aktuellen Messnetz der letzten Jahrzehnte eine statisti- sche Beschreibung der raumzeitlichen Kovarianz im Niederschlagsfeld gewonnen, die schließlich mit den Langzeitreihen kombiniert wird. Gegenüber einer Analyse aus Langzeitreihen allein weisen diese Re- konstruktionen wesentlich realistischere Feinstruktu- ren auf. Bedingung für dieses Verfahren ist, dass sich die Kovarianzstruktur im Laufe der Zeit nicht verän- dert hat. In den Alpen, wo räumliche Kovarianz haupt- sächlich von der Topographie bestimmt ist, ist diese Annahme gut erfüllt.

Mit Hilfe von 140 Langzeitreihen im gesamten Alpen- raum haben SCHMIDLI et al. (2002) monatliche me- soskalige Niederschlagsfelder für den gesamten Al- penraum rekonstruiert. Die Rekonstruktion erstreckt sich über das 20. Jahrhundert und erlaubt deshalb die bisher räumlich detaillierteste Beschreibung der Abb. 9-5: Trends des mittleren saisonalen Niederschlags Niederschlagstrends in den Alpen. Die Trends der 1901–1990 (in % pro 100 Jahren). Ausgezogene mittleren saisonalen Niederschläge sind in Abb. 9-5 Strich-Punkt Linien bezeichnen Gebiete in denen der dargestellt. Die markantesten Signale einer Nieder- Trend auf dem 90 %-Niveau statistisch signifikant ist schlagsänderung im 20. Jahrhundert werden im Winter (aus SCHMIDLI et al. 2002). 66 C. Frei, J. Schmidli: Das Niederschlagsklima der Alpen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 gefunden, welche allerdings nicht statistisch signifikant 6 Schlussbemerkungen ist. Schließlich, im Herbst wird für ein größeres Gebiet im Südwesten und Südosten der Alpen eine markante Das Beispiel der Alpen macht deutlich, wie komplex Niederschlagsabnahme ebenfalls im Bereich von die räumlichen und jahreszeitlichen Muster des 20–30 % gefunden. Die Veränderungen in den anderen Niederschlagsklimas in komplexer Topographie sein Jahreszeiten sind geringer, weniger kohärent und meist können. Die zum Teil verbreitete Vorstellung einer statistisch nicht signifikant. Niederschlagszunahme mit der Meereshöhe liefert, zu- mindest für den Alpenraum, ein mangelhaftes Bild der Die beobachtete Niederschlagszunahme im Winter ist Verhältnisse. Zudem weichen die räumlichen und jah- konsistent mit verschiedenen nationalen und konti- reszeitlichen Verteilungen von Extremereignissen zum nentalskaligen Untersuchungen und sie scheint Teil ei- Teil wesentlich von der Verteilung des mittleren ner größerskaligen systematischen Veränderung über Niederschlags ab. Mittel- und Nordeuropa zu sein. In weitergehenden Analysen von täglichen Niederschlagsreihen zeigt sich Im Zuge der Erforschung von regionalen Auswirkun- zudem, dass die Zunahme im Mittel das Resultat einer gen der erwarteten globalen Klimaänderung bekom- Zunahme sowohl der Niederschlagshäufigkeit als auch men mesoskalige Klimaanalysen wie die hier vorge- der Niederschlagsintensität ist, und dass parallel dazu stellte eine zunehmende Bedeutung. Die mesoskaligen die Häufigkeit von intensiven Niederschlägen deutlich Prozesse und die damit verbundenen Muster im Klima zugenommen hat (Abb.9-6). Mehr intensive Nieder- können in globalen Klimamodellen nicht repräsentiert schläge werden auch im Herbst beobachtet und in Re- werden. Hier müssen Methoden der Klimaregionali- gionen, wo der mittlere Niederschlag keinen Trend sierung wie regionale Klimamodelle oder statistische aufweist. Regionalisierungsmethoden angewendet werden. Zu deren Validierung und Kalibrierung braucht es Kli- Zur Zeit kann nicht abschließend beurteilt werden, ob maanalysen, die diese feinen Skalen auflösen. Für er- die beobachteten Veränderungen des Niederschlags im steres hat die außergewöhnliche Datendichte im Al- Alpenraum eine Folge der anthropogenen Klimaände- penraum bereits wertvolle Dienste geleistet (FREI et rung sind. Dies ist aber denkbar. So wird erwartet, dass al. 2003). Trotzdem sind weitere Entwicklungen not- die globale Erwärmung zu einer Intensivierung des wendig. Zur Kalibrierung von statistischen Methoden Wasserkreislaufs führen könnte, die sich in einer Zu- sowie für Untersuchungen der Klimavariationen sind nahme der mittleren Niederschläge und der Häufigkeit weiter zurückreichende und möglichst homogene Ana- von Starkniederschlägen äußern könnte, insbesondere lysen in Tagesauflösung notwendig. Wie gut sich tägli- in mittleren und hohen geographischen Breiten (IPCC che Analysen mit statistischen Rekonstruktionsverfah- 2001). Viele Klimaszenarien mit globalen und regiona- ren aus den weniger dichten Beobachtungen erstellen len Klimamodellen zeigen in diese Richtung. Es kom- lassen, ist nicht klar. men aber auch natürliche Langzeit-Klimavariationen als mögliche Ursache für die Trends in Frage. Zum Bei- spiel könnten sie eine Folge der Änderungen in der Danksagung großskaligen atmosphärischen Strömung über dem Nordatlantik sein (WANNER et al. 2001), deren Ursa- Diese Arbeit entstand am Institut für Atmosphäre und che im Moment nicht geklärt ist. Klima der ETH Zürich, Forschungsgruppe Prof. C. Schär. Wir bedanken uns bei den nationalen und re- gionalen Diensten für die Benützung von Nieder- schlagsdaten: Deutscher Wetterdienst Offenbach, Mé- téoFrance Toulouse, Ufficio Centrale di Ecologia Agraria Rom, Servizio Idrografico e Mareografico Na- zionale Rome, ARPA Bologna, Meteorologischer und Hydrologischer Dienst Zagreb, Hydrographisches Zentralbüro Wien, Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz Zürich, das Slovenische Hydrometeorologische Institut Ljubljana.

Literatur

DALY, C., W. P. GIBSON, G. H. TAYLOR, G. L. JOHNSON, P. PASTERIS, 2002: A knowledge-based approach to the statis- Abb. 9-6: Änderung in der Häufigkeit intensiver Winter- tical mapping of climate. Climate Res. 22, 99-113. Niederschläge (Überschreitungen des 90 %-Quanti- les) in der Schweiz 1901–2000 (aus SCHMIDLI und FLIRI, F., 1974: Niederschlag und Lufttemperatur im Alpen- FREI 2005). raum. Wissensch. Alpenvereinshefte 24, 110 S. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 C. Frei, J. Schmidli: Das Niederschlagsklima der Alpen 67

FREI, C., C. SCHÄR, 1998: A precipitation climatology of the SCHMIDLI, J., C. FREI, 2005: Trends of heavy precipitation and Alps from high-resolution rain-gauge observations. Int. J. Cli- wet and dry spells in Switzerland during the 20th century. Int. matol. 18, 873-900. J. Climatol. 25, 753-771.

FREI, C., J. H. CHRISTENSEN, M. DÉQUÉ, D. JACOB, R. G. SCHMIDLI, J., C. SCHMUTZ, C. FREI, H. WANNER, C. JONES, P. L. VIDALE, 2003: Daily precipitation statistics in SCHÄR, 2002: Mesoscale precipitation in the Alps during the regional climate models: Evaluation and intercomparison for 20th century. Int. J. Climatol. 22, 1049-1074. the European Alps. J. Geophys. Res. 108 (D3), 4124 doi:10.1029/2002JD002287. SCHÖNWIESE C.-D., J. RAPP, T. FUCHS, M. DENHARD, 1994: Observed climate trends in 1891-1990. Meteorol. IPCC, 2001: Climate Change 2001: The scientific basis. Third As- Z., N.F. 3, 22-28. sessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Houghton J.T. et al. (Hrsg.), 881 S. SCHWARB, M., C. DALY, C. FREI, C. SCHÄR, 2001: Mean an- KLEIN TANK A.M.G. und 39 Co-Autoren, 2002: Daily dataset nual (and seasonal) precipitation in the European Alps 1971- of 20th-century surface air temperature and precipitation se- 1990. Hydrologischer Atlas der Schweiz, Bundesamt für Was- ries for the European Climate Assessment. Int. J. Climatol. 22, ser und Geologie, Bern, Blätter 2.6 und 2.7. 1441-1453. SMITH, R. B., 1979: The influence of mountains on the atmos- MASSACAND,A. C., H. WERNLI, H. C. DAVIES, 1998: Heavy phere. Adv. Geophys. 21, 87-230. precipitation on the Alpine southside: An upper-level precur- sor. Geophys. Res. Lett. 25, 1435-1438. VIVIROLI, D., R. WEINGARNER, 2004: Hydrologische Be- deutung des europäischen Alpenraums. Hydrologischer Atlas SCHÄR, C., T. D. DAVIES, C. FREI, H. WANNER, M. WID- der Schweiz, Tafel 6.4. MANN, M. WILD, H. C. DAVIES, 1998: Current Alpine cli- mate. In: A view from the Alps: Regional perspectives on cli- WANNER, H., S. BRÖNNIMANN, C. CASTY, D. GYALIS- mate change, Herausgegeben von: P. Cebon, U. Dahinden, TRAS, J. LUTERBACHER, C. SCHMUTZ, D. B. STE- H.C. Davies, D. Imboden, C.C. Jaeger, The MIT Press, ISBN PHENSON, E. XOPLAKI, 2001: North Atlantic oscillation – 0-262-03252-X, 21-72. Concepts and studies. Surveys in Geophysics 22, 321-382. 68 promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 68-74 (März 2006) © Deutscher Wetterdienst 2006

D. MAJEWSKI, B. RITTER 10 Gebirgseinflüsse in operationellen numerischen Wettervorhersagemodellen On the influence of orography in operational numerical weather prediction models

Zusammenfassung Gebirge beeinflussen die Atmosphäre auf allen Zeit- und Raumskalen: Die großskaligen stationären Stö- rungen (Wellen) der Westwindzone der mittleren Breiten wie auch die räumlichen Details der mittleren Niederschlagsverteilung im Schwarzwald sind wesentlich durch den orographischen Antrieb erklärbar. Nu- merische Wettervorhersagemodelle müssen deshalb die Wirkung der Orographie auf die Strömung (Form- und Wellenwiderstand, Oberflächenreibung) beinhalten. Dabei wird zwischen dem explizit auflösbaren Ein- fluss, der der raum-zeitlichen Skala des betreffenden Modells entspricht, und den subskaligen Prozessen, die parameterisiert werden müssen, unterschieden.

Abstract Mountain ranges influence the atmosphere on all temporal and spatial scales. Large-scale stationary distur- bances (waves) within the mid-latitude westerlies are determined to a large degree by orographic forcing just like the regional details of the mean precipitation distribution around a low mountain chain like the Black Forest. Numerical weather prediction models must therefore contain the orographic influence on the atmospheric flow (like form drag, wave drag and surface friction). In this context we have to distinguish be- tween influences that can be explicitly resolved, i.e. which fit to the spatio-temporal scale of the model in question, and subscale processes, which need to be parameterized.

1 Einleitung widerstand ist deshalb in der Lage, die Winde im Be- reich der Strahlströme (jet streams) wirksam abzu- Die Atmosphäre erhält ihre kinetische Energie durch bremsen. Am Boden manifestiert sich auch der Wel- die Freisetzung verfügbarer potentieller Energie und lenwiderstand durch einen höheren Luftdruck auf der verliert sie hauptsächlich durch den Reibungs- oder Luvseite des Hindernisses. Oberflächenwiderstand. Die Energiedissipation wird durch einen Druckgradienten an der Erdoberfläche Der Druckunterschied zwischen Luv und Lee eines bewirkt, der dann entsteht, wenn der Druck auf gleich- Berges bewirkt eine Beschleunigung des Berges (und er Höhe im Luv und Lee eines Berges oder Hügels damit natürlich der ganzen Erde) in die Richtung des verschieden ist. Dieser Druck- oder Formwiderstand niedrigeren Druckes, und der dazu notwendige Impuls kann durch drei niedertroposphärische Prozesse wird der Atmosphäre im Niveau der maximalen Im- (LOTT 1995) erzeugt werden: Erstens durch das Auf- pulsflussdivergenz entnommen (vgl. EGGER und treten eines starken Fallwindes (z. B. Föhn, Bora) im HOINKA; Kapitel 7 in diesem Heft). Lee des Gebirges; zweitens durch eine luvseitige Blo- ckierung von bodennaher Kaltluft; drittens durch die Numerische Wettervorhersagemodelle (NWV-Model- Erzeugung von Nachlaufwirbeln. Alle drei Prozesse le) müssen die Wirkung der Orographie (Abb. 10-1) führen dazu, dass im Luv des Berges höherer Druck auf allen räumlichen Skalen, seien sie vom Modell ex- herrscht als im Lee. plizit erfasst oder seien sie subskalig, beinhalten. Dabei stellt die Orographie zunächst einmal nur die untere Werden zum anderen durch die Berge Schwerewellen Berandung des Modellgebietes dar. Hier gilt die physi- in der Atmosphäre angeregt, die sich vertikal ausbrei- kalische Randbedingung, dass kein Transport von tro- ten, so bewirken diese Wellen einen sehr effizienten ckener Luft über die Grenzfläche Boden - Atmosphä- vertikalen Impulstransport. Dieser Prozess wird Wel- re stattfinden soll. In den meisten NWV-Modellen, so lenwiderstand genannt. Im Unterschied zur Oberflä- auch im Globalmodell GME (MAJEWSKI et al. 2002) chenreibung in der atmosphärischen Grenzschicht, bei und Lokalmodell LM (DOMS und SCHÄTTLER der die Impulsflussdivergenz (und damit die Abbrem- 2003) des DWD, werden die Modellgleichungen in ein sung der Strömung) üblicherweise auf die untersten geländefolgendes Koordinatensystem transformiert. 1000 m über Grund beschränkt ist, kann beim Wellen- widerstand die Impulsflussdivergenz in 10 bis 15 km Wie alle Eingangsgrößen eines NWV-Modells muss über Grund ihren Extremwert erreichen. Der Wellen- auch die Orographie als räumlicher Mittelwert hoch- promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 D. Majewski, B. Ritter: Gebirgseinflüsse in Wettervorhersagemodellen 69

Im Rahmen von MAP lenkte besonders der Teil ‚wet MAP’ den Blick verstärkt auf den Einfluss, den die Orographie auf die detaillierte Niederschlagsverteilung im Gebirgsbereich hat (vgl. VOLKERT; Kapitel 8 in diesem Heft). Selbst bei sehr hoch auflösenden NWV- Modellen wie dem LM besteht hier einiges Verbesse- rungspotential, das noch nicht völlig ausgeschöpft ist.

2 Geländefolgendes Koordinatensystem

Der Einfluss der Orographie als unterer Berandung der Modellatmosphäre lässt sich in den Gleichungen besonders einfach berücksichtigen, wenn die Orogra- Abb. 10-1: Subskalige orographische Effekte in NWV-Modellen: phie mit einer Koordinatenfläche des Modells zu- Blockierung der Strömung und vertikaler Impuls- sammenfällt. Dazu wird die geometrische Höhe (z) in transport durch Wellen (Form- und Wellenwider- den Modellgleichungen durch eine neue, von den drei stand). Ortkoordinaten (x, y, z) und der Zeit (t) abhängigen Vertikalkoordinate η(x, y, z, t) ersetzt. PHILLIPS aufgelöster Daten über die Gitterelemente des Mo- (1957) schlug die so genannte σ-Koordinate vor. dells bestimmt werden. Aus numerischen Gründen η σ werden die Flächenmittelwerte der Orographie häufig = = p/ps (1) noch einer räumlichen Filterung unterzogen, um sehr kleinräumige Strukturen, deren Wellenlänge nur der mit dem Druck p und dem (unreduzierten) Boden- zwei- bis dreifachen Gitterweite des NWV-Modells druck ps. entspricht, zu entfernen. Die gefilterten Flächenmittel- werte der Orographie sind der wichtigste orographi- Am Oberrand des Modells (d. h. für p = 0) ist σ =0, sche Eingangsparameter für ein NWV-Modell. Je nach und es gilt dort die Randbedingung für die Vertikalbe- Auflösung (Maschenweite) stellt die Modellorogra- wegung im σ-System dσ/dt = 0, weil die Atmosphäre phie aber nur eine sehr grobe Beschreibung der wirk- keine Masse mit dem Weltraum austauscht.Am Unter- σ lichen Berge und Täler dar, so dass lokal große Hö- rand (für p = ps) ist = 1, und es gilt dort ebenfalls hendifferenzen zwischen realer und flächengemittelter dσ/dt = 0, weil kein Transport von trockener Luft über Orographie bestehen können. Diese Differenzen müs- die Grenzfläche Boden - Atmosphäre stattfindet. Der sen bei der Interpretation der Modellvorhersagen Vorteil eines solchen geländefolgenden Koordinaten- durch den Synoptiker oder bei statistischen Anschluss- systems liegt also in der einfachen Berücksichtigung verfahren natürlich berücksichtigt werden. der Orographie als unterer Berandung des Modellge- bietes, die über die mathematische Randbedingung für Die Parameterisierung der durch die subskalige (d. h. die Vertikalbewegung erfolgt. vom NWV-Modell nicht explizit „skalig“ erfassten) Orographie bedingten turbulenten Oberflächenrei- Allerdings haben solche geländefolgenden Koordina- bung in der atmosphärischen Grenzschicht erfordert tensysteme einen Nachteil: Der Druckgradientterm die Bestimmung einer orographischen Rauigkeitslän- besteht im Unterschied zum z-System aus zwei Antei- ge. Sie wird in GME und LM aus der Varianz der sub- len, die im Gebirgsbereich groß sind und entgegenge- skaligen Orographie berechnet. setzte Vorzeichen haben.

Wenn die Auflösung des NWV-Modells ausreichend 1 ∇ p = ∇ φ + ∇ ln p (2) hoch ist, so dass der durch die Orographie erzeugte ρ z σ RT v σ s Form- und Wellenwiderstand explizit erfasst wird, kann ρ ∇ ∇ – wie im LM – auf eine Parameterisierung dieser Pro- mit der Dichte , den Gradientoperatoren ( z, σ) auf zesse verzichtet werden. Reicht dagegen die Modellauf- z- bzw. σ-Flächen, dem Geopotential φ, der Gaskon- lösung – wie im GME – nicht aus, so werden Form- und stante R und der virtuellen Temperatur Tv. Wellenwiderstand mittels einer SSO-Parameterisie- ∇ ≠ rung (subgrid scale orography) berücksichtigt. Im Wenn σ ln ps 0 ist, so wird ein Anteil des vertikalen GME basiert die SSO-Parameterisierung auf LOTT Druckgradienten auf jeden der beiden Terme auf der und MILLER (1997). Internationale Feldexperimente rechten Seite von Gl. 2 abgebildet. Dieser vertikale wie PYREX (Pyrenean Experiment; BOUGEAULT et Anteil kompensiert sich wegen unvermeidbarer Dis- al. 1990) und MAP (Mesoscale Alpine Programme; kretisierungsfehler nicht exakt zwischen beiden Ter- BOUGEAULT et al. 2001) trugen in den letzten Jahren men. Deshalb kann das fehlerhafte Residuum in der sehr wesentlich zur Weiterentwicklung der SSO-Para- Größenordnung des wahren horizontalen Druckgra- meterisierungen in NWV- und Klimamodellen bei. dienten liegen, weil in der Atmosphäre der vertikale 70 D. Majewski, B. Ritter: Gebirgseinflüsse in Wettervorhersagemodellen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Druckgradient viel größer als der horizontale ist. Wird ren zwar (z. B. der sogenannte DTED-1 Datensatz der – wie im GME – ein hybrides Koordinatensystem Defense Mapping Agency der USA mit einer Auflö- (BURRIDGE 1981) verwendet, bei dem ein gelände- sung von 90 m), stehen der Allgemeinheit aber nicht folgendes σ-System in Bodennähe mit einem quasi-ho- zur Verfügung. Im DWD wird daher der GLOBE-Da- rizontalen p-System darüber kombiniert (Abb. 10-2) tensatz (GLOBE task team 1999), der in einem regu- wird, so kann der Fehler bei der Berechnung des lären geographischen Gitter eine nominelle Auflösung Druckgradientterms in der oberen Atmosphäre deut- von 1 km aufweist, zur Bestimmung der Modellorogra- lich reduziert werden. phie verwendet. Die mittlere Höhe der Modellgitter- punkte wird durch einfache arithmetische Mittelung Die SLEVE-Koordinate (SCHÄR et al. 2002) stellt ei- aller Rohdatenpunkte, die innerhalb des jeweiligen nen alternativen Ansatz zur Reduktion dieses Fehlers Gitterelements liegen, bestimmt. Zusätzlich zu den dar. Bei diesem geländefolgenden Koordinatensystem Mittelwerten werden subskalige Eigenschaften (u. a. ist die Transformation durch einen skalenabhängigen, mittlere Standardabweichung der Höhen innerhalb exponentiellen vertikalen Abfall der Geländestruktu- der Gitterelemente) als Eingangsgrößen für verschie- ren charakterisiert. Das Orographiefeld des Modells dene Parameterisierungsverfahren gespeichert, die die wird dazu in zwei Komponenten zerlegt, die die grö- Wirkung der nicht explizit erfassbaren orographischen ßer- und kleinerskaligen Variationen der Höhenwerte Strukturen auf die Atmosphäre beschreiben. beschreiben. Der Einfluss der kleinerskaligen Kompo- nente auf die Höhenlage der Koordinatenflächen soll möglichst rasch abfallen, so dass höher gelegene Mo- 4 Orographische Rauigkeitslänge und dellschichten nur die großskalige Orographie wider- Oberflächenreibung spiegeln. Testrechnungen mit dem LM (LEUENBER- GER 2002) belegen, dass mit der SLEVE-Koordinate In den Grenzschichtparameterisierungen von GME kleinskaliger numerischer Lärm im Alpenbereich und LM wird der Einfluss der subskaligen Orographie deutlich verringert werden kann. auf die Oberflächenreibung durch eine orographische

Rauigkeitslänge z0, oro berücksichtigt. Sie berechnet sich aus der Varianz der subskaligen Orographie und 3 Orographiedatensätze und Flächenmittelwerte erreicht in den Alpen beim GME fast 10 m der Orographie (Abb. 10-3). Rauigkeitslängen dieser Größenordnung führen in der Turbulenzparameterisierung zu einer Zur Bestimmung der Modellorographie als unterem deutlichen Abbremsung der Strömung in Bodennähe. Rand des atmosphärischen Modells müssen hochauf- Beträgt bei neutraler Temperaturschichtung beispiels- gelöste Datensätze der orographischen Höhenvertei- weise die Windgeschwindigkeit in 60 m über Grund lung aufbereitet und auf die Modellgitterelemente pro- 20 m/s, so wird sie im Niveau 10 m für z0, oro =0,05m jiziert werden. Derartige Rohdatensätze stehen sowohl auf 14,9 m/s, für z0, oro = 0,5 m auf 12,5 m/s und für für globale als auch regionale Gebiete in verschiede- z0, oro = 5 m sogar auf 5,6 m/s abgebremst. Durch die nen Auflösungen zur Verfügung. Extrem hochauflö- Oberflächenreibung in der atmosphärischen Grenz- sende Datensätze mit globaler Überdeckung existie- schicht kann es also in stark gegliedertem Gelände zu einer drastischen Reduktion der bodennahen Windge- schwindigkeit im NWV-Modell kommen.

Vergleicht man den vom Modell vorhergesagten Wind in 10 m über Grund mit Messungen von nahe gelege- nen Bergstationen, so stellt man häufig fest, dass das Modell die beobachtete Windgeschwindigkeit deutlich unterschätzt. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist aber zu beachten, dass die Modellvorhersage als Rauigkeitslänge in m Druck in hPa Druck

Abb. 10-2: Das hybride Vertikalkoordinatensystem des GME mit 40 Schichten vom Erdboden bis zur Obergrenze Abb. 10-3: Orographische Rauigkeitslänge (Einheit: m) für das der Atmosphäre. GME im Bereich der Alpen. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 D. Majewski, B. Ritter: Gebirgseinflüsse in Wettervorhersagemodellen 71

Flächenmittelwert über ein Gitterelement des NWV- Modells definiert ist, während die Beobachtung eine lokale Messung darstellt, deren räumliche Repräsenta- tivität im Gebirgsbereich sehr gering ist. Deshalb kön- nen sich die Rauigkeitslänge im Modell, die für das Gitterelement repräsentativ sein soll, und der lokale Wert am Ort der Beobachtung durchaus um eine Grö- Höhe in m ßenordnung (z. B. von 5 m auf 0,5 m) unterscheiden, so dass große Differenzen in der bodennahen Windge- schwindigkeit zwischen Modellvorhersage und Be- obachtung zu erwarten sind.

geogr. Breite 5 Subskalige Orographie-Parameterisierung im GME geogr. Länge Der von Gebirgen auf die Strömung ausgeübte Druck- und Wellenwiderstand (LOTT 1995) kann von der ska- Abb. 10-4: Rohdaten der Orographie (Einheit: m) mit einer Auf- lösung von 1 km2 in der Nachbarschaft des Mont lig in operationellen globalen NWV-Modellen aufge- Blanc (schwarzes Dreieck). lösten Orographie nicht vollständig erfasst werden. Abb. 10-4 illustriert die Feinstruktur der orographi- schen Höhe in der Nachbarschaft des Mont Blanc auf der Basis des für die Bestimmung der mittleren Mo- dellorographie benutzten Rohdatensatzes. Die Dar- stellung ist auf den GME-Gitterpunkt, der den Mont Blanc enthält, und seine Nachbargitterpunkte be- schränkt. Innerhalb dieses Kollektivs von Gitterpunk- ten treten auf der 1 km-Skala des Rohdatensatzes Hö- Höhe in m henwerte von 428 bis 4570 m auf; die Standardabwei- chung der Höhen liegt bei 743 m.

Durch die Projektion (Mittelung) der Rohdaten auf die horizontale Skala des GME (Flächenelemente von 2 etwa 1384 km , Abb. 10-5) geht die Feinstruktur voll- geogr. Breite kommen verloren, so dass das GME im Wesentlichen nur noch den in dieser Region vorhandenen Anstieg der mittleren Höhen von Nordwest nach Südost expli- geogr. Länge zit erfasst. Das LM mit Gitterflächenelementen von nur 49 km2 (Abb. 10-6) beschreibt dagegen näherungs- Abb. 10-5: Wie Abb. 10-4, aber Mittelwerte für GME-Gitterele- mente der Grundfläche von 1384 km2. weise die wesentlichen Höhenkämme und Täler in die- sem Gebiet.

Folglich kann das GME nur einen Teil des durch Ge- birge ausgeübten Strömungswiderstandes explizit er- fassen. Die Wirkung der nicht explizit beschriebenen subskaligen (mesoskaligen) orographischen Hinder- nisse, die noch nicht in der Rauigkeitslänge berück- sichtigt wurden, muss durch eine geeignete Paramete- risierung beschrieben werden. Im GME wird zu die- Höhe in m sem Zweck das Verfahren von LOTT und MILLER (1997) verwendet. Dieses berücksichtigt zwei Mecha- nismen der Wirkung der subskaligen orographischen Hindernisse. Zum einen ist dies die blockierende Wir- kung auf die Strömung in bodennahen Modellschich- ten (Gl. 3), die von den subskaligen Hindernissen ganz geogr. Breite oder teilweise durchdrungen werden. Zum anderen er- fasst das Schema die bei geeigneter Anströmung und geogr. Länge vertikaler Schichtung der Atmosphäre stattfindende Anregung von Schwerewellen und deren Dissipation Abb. 10-6: Wie Abb. 10-5, aber Mittelwerte für LM-Gitterele- in höheren atmosphärischen Schichten (Gl. 4): mente der Grundfläche von 49 km2. 72 D. Majewski, B. Ritter: Gebirgseinflüsse in Wettervorhersagemodellen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

U U σ ⎛ 1 ⎞ piefaktor und die mittlere Ausrichtung der subskaligen ()z = ρ max⎜2− ,0⎟ и orographischen Hindernisse verwendet. Die beiden Dblk C d µ ⎝ ⎠ 2 2 r letztgenannten Größen erlauben eine grobe Beschrei- 1 (3) ⎛ − z ⎞ 2 bung der Abhängigkeit der orographischen Einflüsse ⎜ Z blk ⎟ ()B cos 2 ψ +C sin 2 ψ von der Anströmungsrichtung relativ zur Orientierung ⎜ + µ ⎟ ⎝ z ⎠ der Hindernisse. Die grundsätzlich dominierenden Kenngrößen sind jedoch die Varianz der Höhen und mit dem Widerstand durch die Blockierung Dblk als die charakteristische Hangneigung. Funktion der Windgeschwindigkeit U, der Höhe z, der Brunt-Väisälä-Frequenz (stabilitätsabhängig) σ,dem Die Bedeutung der Parameterisierung subskaliger Winkel ψ zwischen Anströmrichtung und der Orogra- orographischer (SSO) Effekte für die Gesamtqualität phieausrichtung, der Höhe Zblk, bis zu welcher Blo- der Vorhersage wird durch Abb. 10-9 verdeutlicht. Sie ckierung auftritt und den Parametern B und C, die zeigt die Anomaliekorrelation des vorhergesagten Funktionen der Anisotropie γ der subskaligen orogra- Geopotentials 500 hPa für die operationelle GME- phischen Hindernisse sind, sowie Vorhersage (mit SSO-Parameterisierung) vom 24.11.2004 12 UTC im Vergleich mit einer experimen- ()= ρ U N G µσ tellen Vorhersage ohne SSO-Parameterisierung. Ohne τ 1,τ 2 и (4) die Berücksichtigung der Wirkung subskaliger Hinder- {B cos 2 ψ + C sin 2 ψ ,()B − C sinψ cosψ } nisse im Vorhersagemodell tritt schon nach zwei bis drei Vorhersagetagen ein deutlicher Qualitätsverlust τ τ mit dem Impulsfluss ( 1, 2) durch Schwerewellen, der auf. Standardabweichung der subskaligen Orographie µ, der mittleren Hangneigung σ und der geographischen Da die Wirkung subskaliger Effekte u. a. von der at- Orientierung ␺. mosphärischen Situation abhängt, ist der Einfluss auf die Modellprognose sowohl räumlich als auch zeitlich Für die Aktivierung und Wirkung des Schemas sind sehr variabel. Dies erschwert die optimale Anpassung neben den atmosphärischen Gegebenheiten (Anströ- der freien Parameter des Parameterisierungsverfah- mungsgeschwindigkeit und -richtung; vertikale Schich- rens, die zusätzlich von der Auflösung des skaligen Mo- tung) natürlich auch die Eigenschaften der subskaligen dells abhängen können. Mit zunehmender Verfeine- Orographieelemente relevant. Dazu wird für jeden rung der horizontalen Maschenweite der NWV-Mo- Gitterpunkt des Modells die Standardabweichung der delle ist allerdings für die Zukunft grundsätzlich eine subskaligen Orographie (Abb. 10-7), eine mittlere Minderung der Bedeutung subskaliger orographischer Hangneigung (Abb. 10-8), ein horizontaler Anisotro- Prozesse zu erwarten. Zur Zeit kann auf ihre Parame- terisierung in operationellen globalen Wettervorhersa- gemodellen mit Maschenweiten von 40 bis 100 km je- Standardabweichung in m doch nicht verzichtet werden.

Hochauflösende Regionalmodelle wie das LM mit Ma- schenweiten von 5 bis 10 km sind dagegen in der Lage, den orographisch induzierten, mesoskaligen Druck- und Wellenwiderstand weitgehend explizit aufzulösen, wie die Simulation einer idealisierten Leewelle (Abb. 10-10) belegt.

Abb. 10-7: Subskalige Standardabweichung der Orographie innerhalb der GME-Gitterelemente im Bereich der Alpen. Hangneidung in Radian

Abb. 10-9: Anomaliekorrelation der Vorhersage des Geopoten- tials 500 hPa in der Nordhemisphäre als Funktion der Abb. 10-8: Mittlere subskalige Hangneigung der Orographie Vorhersagezeit mit (schwarz) und ohne (rot) Parame- innerhalb der GME-Gitterelemente im Bereich der terisierung subskaliger orographischer Effekte. Start- Alpen. zeitpunkt der Vorhersage: 24.11.2004 12 UTC. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 D. Majewski, B. Ritter: Gebirgseinflüsse in Wettervorhersagemodellen 73 Höhe über Grund in m Vertikalbewegung in m/s Vertikalbewegung

Horizontale Entfernung x in km

Abb. 10-10: Idealisierte Simulation einer Leewelle im LM bei Anströmung eines 100 m hohen Berges der Halb- wertsbreite 15 km bei x = 100 km.Vertikalbewegung (Farbflächen, Einheit: m/s) und Windpfeile.

24-stündiger Niederschlag in l/m2

Abb. 10-12: a) Beobachteter Niederschlag (Einheit: l/m2 in 24 Stunden) in Baden-Württemberg für den Zeitbe- reich 20. bis 21.02.2002 06 UTC. b) Vorhergesagter Niederschlag mit dem LM, Maschenweite 28 km, Abb. 10-11: Mechanismen des orographisch bedingten Nieder- Starttermin der Vorhersage: 20.02.2002 00 UTC. schlags nach SMITH (1979). c) wie Abb. 10-12 b), aber Maschenweite 7 km. d) wie Abb. 10-12 c), aber mit prognostischer Be- handlung der Hydrometeore, die u. a. die horizonta- 6 Niederschlagsverteilung im Gebirgsbereich le Verdriftung von Regen und Schnee berücksichtigt.

Die hochauflösenden operationellen NWV-Modelle der Wetterdienste haben den Anspruch, für die Hydro- schlagsereignis mit westlicher Anströmung zeigt ein logie detaillierte Niederschlagsvorhersagen bereitzu- sehr ernüchterndes Ergebnis. Mit einer Reduktion der stellen, die als Eingabefelder für hydrologische Model- Maschenweite im LM von 28 auf 7 km (Abb. 10-12 b le dienen können. Da im Gebirgsbereich die Flussein- und c) wird nicht die erwartete Verbesserung der vor- zugsgebiete häufig eng begrenzt sind und heftiger hergesagten Niederschlagsverteilung erzielt, sondern Niederschlag rasch zu einem starken Anstieg der im Gegenteil, eine deutliche Verschlechterung. Drei Flusspegel in engen Tälern führen kann, stellt die Mo- charakteristische Fehler in der räumlichen Verteilung difikation der Niederschlagsfelder durch die Orogra- im hochauflösenden LM sind offensichtlich: Die phie eine besondere Herausforderung an die Model- Niederschlagsmaxima sind deutlich zu hoch und lierung dar. SMITH (1979) unterscheidet drei wesent- stromauf verschoben, und im Lee der Berge bildet sich liche Einflüsse der Orographie auf Bewölkung und eine unrealistische Trockenzone, in der kaum Nieder- Niederschlag (Abb. 10-11): Verstärkung des Nieder- schlag fällt. Die Defizite in der modellierten Nieder- schlags auf der Luvseite und am Gipfel durch großska- schlagsverteilung sind aber nicht hauptsächlich auf liges Aufgleiten und das „Impfen“ von niedrigen Wol- Probleme des LM bei der Simulation der orographisch ken über dem Berg durch Niederschlagspartikel, die bedingten Modifikation der Strömung zurückzufüh- aus höheren Wolken fallen („Seeder-Feeder“-Mecha- ren, sondern auf die für diese Auflösung fehlerhafte nismus), sowie die Auslösung von hochreichender Kon- Modellannahme, dass der Niederschlag in der vertika- vektion durch orographisch induzierte Windsysteme. len Säule ausfällt, in der er erzeugt wurde. Vor allem Schnee kann wegen der geringen Fallgeschwindigkeit Ein Vergleich (Abb. 10-12a) der gemessenen mit den (1 bis 2 m/s) um bis zu 40 km horizontal verdriftet wer- modellierten Niederschlägen im Bereich Schwarzwald den, bis er den Boden erreicht. Deshalb wurde das LM und Schwäbische Alb für ein winterliches Starknieder- um eine prognostische Behandlung der Hydrometeore 74 D. Majewski, B. Ritter: Gebirgseinflüsse in Wettervorhersagemodellen promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

(Regen und Schnee), die den dreidimensionalen Trans- BOUGEAULT, P., P. BINDER, A. BUZZI, R. DIRKS, R. port dieser Größen einschließt, erweitert. Die Vorher- HOUZE, J. KUETTNER, R. B. SMITH, R. STEINACKER, sage des Niederschlags mit dieser verbesserten LM- H. VOLKERT, 2001: The MAP special observing period. Bull. Amer. Meteorol. Soc. 82, 433-462. Version (Abb. 10-12d) zeigt mit einer Maschenweite von 7 km eine fast perfekte Vorhersage für diese win- BURRIDGE, D. M., 1981: An energy and angular-momentum terliche Wetterlage. Diese Modellversion ist seit dem conserving vertical finite-difference scheme and hybrid verti- 19. April 2004 im operationellen Einsatz und führte zu cal coordinates. Mon. Wea. Rev. 109, 758-766. einer deutlichen Verbesserung der räumlichen Vertei- DOMS, G., U. SCHÄTTLER, 2003: LM – Documentation 2nd lung der Niederschläge in orographisch gegliedertem version; online unter: http://cosmo-model.cscs.ch/public/docu- Gelände. mentation.htm

GLOBE task team, 1999: The global land one-kilometer base elevation (GLOBE) digital elevation model, version 1.0. Na- 7 Ausblick tional Geophysical Data Center, Boulder, USA; online unter: http://www.ngdc.noaa.gov/mgg/topo/globe.html Die Modellentwicklung beim DWD (LM-Kürzestfrist: LMK) und anderen Wetterdiensten in Europa konzen- LEUENBERGER, D., 2002: The SLEVE Coordinate in LM. COSMO Newsletter 2, 105-110; online unter: http://cosmo-mo- triert sich in den nächsten Jahren auf sehr hochauflö- del.cscs.ch/public/newsLetters.htm sende Regionalmodelle mit Maschenweiten von 2 bis 3 km. Ziel dieser Modellentwicklung ist es vor allem, LOTT, F., 1995: Comparison between the orographic response of hochreichende Konvektion in den NWV-Modellen ex- the ECMWF model and the PYREX 1990 data. Quart. J. R. plizit zu beschreiben, um so die Organisation der Zel- Meteorol. Soc. 121, 1323-1348. len zu Gewitterkomplexen oder Böenlinien vorher- LOTT, F., M. J. MILLER, 1997: A new subgrid-scale orographic zusagen. Der DWD wird dabei von begleitenden For- drag parametrization: Its formulation and testing. Quart. J. R. schungsprogrammen, vor allem dem Schwerpunktpro- Meteorol. Soc. 123, 101-127. gramm SPP1167 „Quantitative Niederschlagsvorher- MAJEWSKI, D., D. LIERMANN, P. PROHL, B. RITTER, M. sage“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft, profi- BUCHHOLD, T. HANISCH, G. PAUL, W. WERGEN, J. tieren können. Im Rahmen des SPP1167 wird im Jahr BAUMGARDNER, 2002: The operational global icosahe- 2007 ein großangelegtes Messexperiment in Süd- dral-hexagonal grid point model GME: Description and high deutschland (COPS: Convection and Orographic Pre- resolution tests. Mon. Wea. Rev. 130, 319-338. cipitation Study) stattfinden, um die Wirkung der PHILLIPS, N., 1957: A coordinate system having some special Mittelgebirge auf konvektive Zellen zu erforschen. advantages for numerical forecasting. J. Meteor. 14, 184-185.

SCHÄR, C., D. LEUENBERGER, O. FUHRER, D. LÜTHI, C. Literatur GIRARD, 2002: A new terrain-following vertical coordinate formulation for atmospheric prediction models. Mon. Wea. Rev. 130, 2459-2480. BOUGEAULT, P.et al., 1990: Momentum budget over Pyrenees: the PYREX experiment. Bull. Amer. Meteorol. Soc. 71, SMITH, R. B., 1979: The influence of mountains on the atmo- 806-818. sphere. Adv. Geophys. 21, 87-220. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 75-78 (März 2006) 75 © Deutscher Wetterdienst 2006

Blick nach draußen

MeteoSchweiz – mitten in Europa Wettervorhersage und Klimabeobachtung im alpinen Umfeld

Man schreibt den 28. Januar 2005. die Zertifizierung ISO 9001:2000. Ein Expertenteam unter der Lei- Am Alpensüdhang der Schweiz Damit wurde auch eine wesentliche tung von Prof. Hartmut Graßl vom schneit es seit zwei Tagen praktisch Voraussetzung erfüllt, dass sie im Max-Planck-Institut für Meteorolo- ununterbrochen. Der Verkehr ist internationalen Wettbewerb (im gie in Hamburg hat den Schweizer lahm gelegt, und selbst in tief gele- Rahmen von Single European Sky) Beitrag zum GAW (Global Atmos- genen Städten wie Lugano liegt der um die Vergabe von Flugwetter- phere Watch) Programm der WMO Schnee bis 90 cm hoch. Derweil diensten mithalten kann. 2005 mit Bestnoten bedacht. Die herrscht auf der Alpennordseite ei- Prüfer erwähnten speziell die welt- ne typische Inversionslage. Im dicht Wie sieht ihre Zukunftsvision aus? weit längste Ozonmessreihe in Aro- bevölkerten Schweizer Mittelland MeteoSchweiz will ihr Engagement sa sowie das Weltstrahlungszentrum bewegen sich die Menschen unter für eine sichere, prosperierende in Davos. Ebenfalls 2005 wurde die einer kalten Hochnebeldecke; die Gesellschaft pflegen und ihre hohe hochalpine Forschungsstation Jung- kleineren Seen gefrieren. Der Fein- Kompetenz in Fragen der alpinen fraujoch in den Kreis der globalen staub erreicht in den Zentren hohe Meteorologie und Klimatologie GAW- Stationen aufgenommen. Konzentrationen. Glück haben die- weiter steigern. jenigen, die über der Nebeldecke den strahlenden Sonnenschein und 125 Jahre MeteoSchweiz milde Temperaturen genießen. 2006 feiert der nationale Wetter- Den Prognostikern im täglichen dienst MeteoSchweiz sein 125jähri- Einsatz stellt sich die Aufgabe, die ges Bestehen. Was im Mai 1881 in Wetterentwicklung in einem flä- einigen Räumen der Sternwarte in chenmäßig kleinen, aber topogra- Zürich begann, hatte bereits eine phisch komplexen Land zu überbli- Vorgeschichte. Ein Messnetz von 88 cken. Wie ein gewaltiger Riegel Wetterbeobachtungsstationen exis- schieben sich die Alpen diagonal tierte seit 1863, regelmäßige Wet- durch die Schweiz. Der Wetterchar- terberichte in der Presse seit 1878. akter kann sich von Nord nach Süd, Abb. 1: Prognostiker in der Wetterzen- von Ost nach West an ein und dem- trale Zürich diskutieren die Mo- selben Tag vollkommen unter- dellvorhersagen. schiedlich präsentieren. Als Vertreterin eines Landes, das außerhalb der Europäischen Union Der nationale Wetterdienst ist steht, aber doch mitten in Europa international vernetzt liegt, bemüht sich MeteoSchweiz besonders um die internationale MeteoSchweiz steht heute, wie viele Zusammenarbeit der Wetterdien- nationale Wetterdienste, im Span- ste. Zurzeit präsidiert der Direktor nungsfeld zwischen hoheitlichen der MeteoSchweiz die Regionalve- Aufgaben, Spardruck und Markt- reinigung Europa der WMO und ist öffnung. Die Antwort darauf ist ei- Mitglied im Exekutivrat der WMO. ne hohe Flexibilität, die konsequen- MeteoSchweiz setzt sich in ver- te Orientierung an den Bedürfnis- schiedenen Gremien und Arbeits- sen der Kunden, die Ausrichtung al- gruppen der WMO ein, sie liefert ler Prozesse auf hohe Qualität und signifikante Beiträge zu den COST- Abb. 2: Die hochalpine Forschungssta- Effizienz. 2004 erhielt Meteo- und EUMETNET Programmen, tion Jungfraujoch ist seit 2005 Schweiz als Gesamtunternehmen um nur einige zu nennen. globale GAW-Station. 76 MeteoSchweiz – mitten in Europa promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

schung und eben auch die Meteoro- Kunden gehalten und neue Märkte logie und Klimatologie unter sei- erschlossen werden. nem Dach vereint. MeteoSchweiz zählt heute rund 290 Mitarbeiten- Die Kooperation mit Hochschulen de. Sie schließt mit der Landesre- ist eng. Durch die Nähe zur Univer- gierung alle vier Jahre einen Leis- sität und zur ETH Zürich ergeben tungsauftrag ab, der Art und Um- sich manche Berührungspunkte fang der hoheitlichen Leistungen fachlicher und personeller Art: so umschreibt, die MeteoSchweiz in wirken Mitarbeitende der Meteo- diesem Zeitraum erbringen muss. Schweiz als Dozenten am Lehrbe- Innerhalb dieses Rahmens hat sie trieb mit, und Absolventen der unternehmerische Freiheiten, da sie Hochschulen schreiben bei uns ihre mit einem Globalbudget operieren Doktorarbeit oder belegen eine kann. Rund 55 % des Budgets von PostDoc-Stelle. rund 70 Mio. CHF (entspricht un- gefähr 46 Mio. €) werden durch die öffentliche Hand gedeckt, 45 % Verschiedene Standorte und ihre durch Einnahmen aus Gebühren „Spezialitäten“ und durch die Vermarktung kom- merzieller Produkte. Die Schweiz ist bekannt für ihre ausgeprägten föderalistischen Abb. 3: Erster Wetterbericht in der Neu- Strukturen. Dies spiegelt sich auch en Zürcher Zeitung, 1. Juni 1878. Kundenbedürfnisse und Partner- in der relativ großen Autonomie schaften der verschiedenen Regionalzentren Mit der Gründung der damaligen von MeteoSchweiz wider. An drei „Meteorologischen Centralanstalt“ Laut Rangliste gehört die Webpage Standorten werden die Wettervor- schuf die Landesregierung eine trag- von MeteoSchweiz zu den zehn hersagen für den jeweiligen Lan- fähige Struktur, um den wachsenden meistbesuchten im Land. Mit der desteil erstellt: In Zürich für die Anforderungen der Industriegesell- Erneuerung ihrer Website Ende Deutschschweiz, in Genf für die schaft genügen zu können. Eine der 2005 wurde das Internet nicht nur französischsprachige Westschweiz ersten Einrichtungen, welche der als Haupt-Informationskanal für und in Locarno für die italienisch- junge Wetterdienst schuf, war das das ganze Spektrum der Aktivitä- sprachige Südschweiz sowie für die Berg-Observatorium auf dem Sän- ten aufbereitet, sondern auch mit Südtäler Graubündens. In Payerne tis. Dieses liefert ununterbrochen einem elektronischen Shop verse- befindet sich die einzige aerologi- seit 1887 Beobachtungsdaten. hen, mit dem die verschiedensten sche Station der Schweiz. Kundengruppen die von ihnen be- Ein weiterer Meilenstein war die nötigten Dienstleistungen einfach Auf den Flughäfen Zürich-Kloten Gründung eines Flugwetterdienstes und schnell beziehen können. Me- und Genf-Cointrin ist Meteo- in den 20er Jahren – für unsere deut- teoSchweiz hat auch eine ganze Pa- Schweiz mit Beobachtungsposten schen Leser vielleicht interessant zu lette von Produkten geschaffen, und Beratungsdienst anwesend. wissen, dass dort 1935 die Nachtar- welche über die Mobiltelefonie ab- Neben ihren operativen Tätigkei- beit eingeführt wurde, da die Luft- rufbar sind. Dazu gehören 5-Tages- ten haben alle Standorte auch spe- hansa begonnen hatte, die Schweiz Wetterprognosen für die ganze zifisches Know-how entwickelt. So auf ihrer Strecke nach Rio de Janei- Schweiz oder bestimmte Regionen, ist in Locarno seit 40 Jahren ein ro zu überfliegen. Ende der 1960er Radar- und Satellitenanimationen. hoch qualifiziertes Radar-Team am Jahre wurde der erste Rechner für Werk, während in Payerne Spezia- Forschungszwecke angeschafft. Das Die zentrale Marketingabteilung Informationszeitalter war angebro- der MeteoSchweiz kümmert sich chen. zusammen mit den zuständigen Produktionseinheiten um große Kunden, für die maßgeschneiderte Arbeiten mit Leistungsauftrag Produkte geschaffen werden: zu nennen sind hier etwa verschiedene Seit ihrer Gründung im Jahr 1881 Medien, die Telekommunikation, ist MeteoSchweiz organisatorisch die Bahn, der Flugverkehr, Stra- dem Eidgenössischen Departement ßenwetterdienste, Tourismus, der des Innern zugeteilt, einem Minis- Agrarsektor, die Energiewirtschaft, terium, das so unterschiedliche Ge- das Militär. Innovation ist der Abb. 4: Tag der offenen Tür an der aero- biete wie Gesundheit, Sozialversi- Schlüssel zu einer erfolgreichen logischen Station in Payerne, cherung, Kultur, Bildung und For- Marktbearbeitung – damit können September 2002. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 MeteoSchweiz – mitten in Europa 77 listen für Messtechnik arbeiten. Natürlich will auch die breite Öf- Ebenfalls in Payerne, wie auch in fentlichkeit informiert sein. Das ge- Zürich, wirken Bio- und Umwelt- schieht über die Medien; zudem ist meteorologen, welche sich mit den auf unserer Website jederzeit eine Themenkreisen Phänologie, Pollen- aktuelle Landkarte aufgeschaltet, erfassung, UV- und Ozonmessun- die mögliche Wettergefahren mit gen befassen. In Zürich konzen- einem Farbcode detailliert aufzeigt triert sind die klimatologischen und Verhaltensempfehlungen ab- Dienstleistungen, das Aufbereiten gibt. und Publizieren von Klimadaten, das Erstellen von Expertisen und Dank neusten Entwicklungen in Abb. 5: Das Radargerät auf dem Monte vielem mehr. der Radartechnologie hat das Now- Lema erfasst die Alpensüdseite casting in den letzten Jahren große bis weit nach Norditalien. Fortschritte erzielt. So kann das Alpen(rand)gebiete: anfällig für ex- System TRT (Thunderstorm Radar treme Wetterereignisse Tracking) aufgrund von Radar- von Starkniederschlägen und Ge- daten konvektive Zellen automa- witterzellen im Blick. Unter ande- Die stark besiedelten Gebiete am tisch aufspüren und ihre Zugbahn rem werden diese im Programm Alpenrand bieten viele Angriffsflä- extrapolieren. Auf dieser Basis be- MAP D-PHASE (siehe weiter un- chen für wetterbedingte Schaden- ruht das Produkt für Gewitterwar- ten) getestet. ereignisse wie Überschwemmun- nungen, Gewitterflash genannt, der gen, Erdrutsche und Schlammlawi- seit dem Sommer 2005 in der gan- nen. Eine kritische Zeit ist der Win- zen Schweiz operationell verwen- Modellvorhersage für das Alpenge- ter, der in hohen Lagen lange dau- det wird. biet ert; auch kann es auf der Höhe der Passübergänge das ganze Jahr zu Das Prognostikerteam der Meteo- „Wintereinbrüchen“ kommen. Die Radar im schwierigen Gelände Schweiz verwendet für die mittel- Situation in den Alpentälern mit fristige Vorhersage die Produkte sehr unterschiedlichen Schneefäl- MeteoSchweiz betreibt drei Dopp- des EZMW in Reading, das GFS len und Schneehöhen, Schneever- lerradargeräte, welche zuverlässige (USA) und das GME (DWD). frachtungen durch Wind oder Tau- Aussagen über das Niederschlags- wetter muss aufmerksam beobach- geschehen erlauben. Das gebirgige Die Kurzfristwetterprognosen (1–3 tet werden. Auch Föhnwinde mit Gelände verlangt nach besonderen Tage) basieren hauptsächlich auf Sturmstärke können sehr plötzlich Strategien, um nicht-meteorologi- dem Modell aLMo (Alpine Model) einsetzen; sie sind eine Gefahr für sche Echos wie zum Beispiel Refle- sowie auf den Ensemble-Vorhersa- den sicheren Betrieb von Seilbah- xionen von Bergen zu vermeiden. gen LEPS und PEPS. aLMo ist die nen oder für die Schiffe und Was- Schon 1993 wurde ein Algorithmus schweizerische Variante des Lokal- sersportler auf den Alpenrandseen. implementiert, der 93 % der Stör- Modells, das unter Führung des Umso wichtiger ist der wachsame signale eliminierte, ein Prozentsatz, DWD und im Rahmen der interna- Umgang mit kritischen Wetterent- der mit weiteren Verbesserungen tionalen Zusammenarbeit COSMO wicklungen. MeteoSchweiz arbeitet und Filtern heute annähernd 100 % (Consortium for Small-Scale Mo- im 24-Stunden-Betrieb, im engen beträgt. Die schweizerischen Ra- delling) entwickelt wurde. COSMO Kontakt mit den Behörden, welche dargeräte wenden ein Verfahren ist eine Partnerschaft der Wetter- entsprechende Maßnahmen ergrei- mit 20 Elevationen in fünf Minuten dienste von Deutschland, Griechen- fen, so etwa mit der Landeshydro- an: Durch diese Abtaststrategie land, Italien, Polen und der Schweiz. logie, dem Amt für Umwelt und kommen trotz der räumlichen Hin- dem Institut für Schnee- und Lawi- dernisse aussagekräftigen Informa- Das Modellgebiet von aLMo um- nenforschung. tionen zustande. Zurzeit arbeiten fasst ganz West- und Mitteleuropa die Entwickler an einer Methode, mit einer horizontalen Maschen- Nach dem Wintersturm „Lothar“, welche die Erzeugung eines En- weite von 7 km und 45 Höhen- der Ende 1999 großflächige Ver- sembles (Schwarm) von Radarbil- schichten. Es wird zweimal täglich wüstungen anrichtete, wurde das dern ermöglicht. Das Ensemble ist auf einem Hochleistungscomputer Konzept für die Alarmierung der eine elegante Lösung, um die kom- des Schweizer Zentrums für wis- zuständigen Stellen grundsätzlich plexe Fehlerstruktur in der Mes- senschaftliches Rechnen (CSCS) überarbeitet und optimiert. Heute sung einfach verständlich zu kom- der ETH Zürich gerechnet und as- verbreitet MeteoSchweiz Wetter- munizieren. Es soll beim Risk-Ma- similiert Daten kontinuierlich mit warnungen flächendeckend und nagement, insbesondere bei hydro- einem Nudging-Relaxationsverfah- rund um die Uhr über geschützte logischen Fragen, zur Anwendung ren. Zahlreiche Produkte werden elektronische Kanäle an die Ein- kommen. Weitere Entwicklungen auch von Kunden der Meteo- satzbehörden. haben die Kürzestfristvorhersagen Schweiz genutzt, so etwa von der 78 MeteoSchweiz – mitten in Europa promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Landeshydrologie und -geologie, Das umfangreichste Projekt, das Jahr 1999. Während 10 Wochen, dem Institut für Schnee- und Lawi- MeteoSchweiz zurzeit vorantreibt, vom 7. September bis zum 15. No- nenforschung, der Schweizerischen ist eine vollständige Erneuerung der vember, setzte das Programmteam Flugsicherung (skyguide) und ver- Messstationen. Aus dem ANETZ zusätzliche Beobachtungsgeräte schiedenen Unternehmen im Ener- und dem ENET wird das SwissMet- (Radiosonden, Lidar, Windprofiler, giesektor. Zusammen mit der For- Net. Die historisch gewachsene In- Forschungsflugzeuge) ein. Auf die- schergruppe von COSMO wird das frastruktur der Messnetze ist sehr se Weise gelangte es zu umfangrei- Modell ständig weiter entwickelt. unterschiedlich aufgebaut und da- chen Datensätzen über die Vertei- Die nächste Modell-Generation her zeit- und kostenintensiv im lung von Niederschlägen, über die mit einer noch höheren Auflösung Unterhalt. Bis im Jahr 2010 wird ein räumliche Struktur des Föhns, über (ungefähr 2,2 km, 60 Höhenschich- modernes, standardisiertes meteoro- das Verhalten der bodennahen ten) ist in Vorbereitung und wird logisches Bodenmessnetz mit 130 Grenzschicht im komplexen Gelän- 2008 operationell. Es wird mehr Stationen fertig gestellt sein. Es um- de und über das Brechen der durch Daten assimilieren und detaillierte- fasst drei Stationstypen: klimatolo- das Gebirge verursachten Schwere- re Wetterprognosen im Kürzest- gisches Basisnetz, Ergänzungsnetz wellen (vgl. Kapitel 8, S. 55-59). Seit fristbereich (bis 18 h) im komple- und kostengünstige Stationen mit 2005 beherbergt MeteoSchweiz die xen alpinen Terrain ermöglichen. einer kleinen Anzahl Sensoren für MAP-Datenbank. Mittlerweile be- die Prognose. Ein Augenbeobach- findet sich das MAP-Programm in Auf einer engen Zusammenarbeit tungsnetz mit 60 Standorten sowie seiner vierten Phase, der MAP mit dem DWD beruht die Entwick- ein automatisches Kameranetz mit D-PHASE (Demonstration of Pro- lung eines leistungsfähigen Visuali- 25 Stationen liefern zusätzlich wert- babilistic Hydrological and Atmo- sierungstools für Prognostiker: volle Informationen. spheric Simulations of flood Events NinJo. Diese in Java geschriebene in the Alps). Dabei handelt es sich Software erlaubt den gleichzeitigen Ein Beispiel für die Kooperation mit um ein so genanntes Forecast De- Einsatz und die Überlagerung von Partnern im Bereich der meteorolo- monstration Project der WMO, das mehreren Darstellungsebenen, gischen Messungen ist die Installa- den Nutzen von MAP für die Vor- auch von Animationen. Die Dar- tion eines neuen Messnetzes für hersage von intensiven Niederschlä- stellungsform ist nahezu völlig frei Kernkraftwerke. Zusammen mit den gen und den damit verbundenen konfigurierbar. Behörden, die für die Sicherheit der Gefahren wie Erdrutsche und Bevölkerung bei radioaktiven Zwi- Überschwemmungen aufzeigen schenfällen zuständig sind, entwi- soll. Die Federführung in diesem Erneuerung der Infrastruktur ckelt MeteoSchweiz ein Verfahren Projekt liegt bei MeteoSchweiz. zur Wind- und Temperaturerhebung Die Datenbanksysteme erfuhren in mittels Profilern. Die so gewonne- den letzten Jahren eine grundlegen- nen Daten werden direkt in das Pro- Eine Verpflichtung de Modernisierung: Ein meteorolo- gnosemodell aLMo eingespeist. gisches Echtzeit-Data Warehouse Die WMO hat ihren Sitz in Genf. löste Mitte 2004 das 30jährige Die Schweiz beherbergt somit die Computer-System METEOR ab. Forschungstätigkeit rund um alpi- weltweit höchste Instanz für Wetter Etwa sechs Milliarden digitale Da- nes Wetter und Klima und Klima auf ihrem Boden. Das ist ten bis zurück ins Jahr 1864 sind ge- für MeteoSchweiz Verpflichtung. speichert. Das System unterstützt – Das alpine Klima mit seinen Be- Sie sieht die Zusammenarbeit auf basierend auf einem unterneh- sonderheiten ist der Ausgangs- allen Ebenen als eine Investition in mensweiten Bauplan – sämtliche punkt für mehrere Forschungspro- die Zukunft, bei der alle Beteiligten Aufgaben vom Empfang über die jekte bei MeteoSchweiz. Ziel ist es, nur gewinnen können. Dem Aus- Aufbereitung bis zur Abfrage der die meteorologischen Bedingungen tausch mit den benachbarten Al- Daten und ist offen für den laufen- im Alpenraum noch besser zu ver- penländern kommt dabei eine zen- den weiteren Ausbau. stehen und für die Wetterprognose trale Bedeutung zu. sowie für die Klimaanalyse nutzbar zu machen (vgl. Kapitel 9). Anschrift der Autorin: Stellvertretend für die verschiede- nen Vorhaben sei hier die führende Brigitta Klingler Rolle im internationalen Mesoscale MeteoSchweiz Alpine Programme (MAP) er- Information und Kommunikation wähnt. Dieses nahm vor rund zehn Stab U Jahren als erstes Projekt des Welt- Krähbühlstraße 58 wetterforschungsprogramms der CH - 8044 Zürich WMO seinen Anfang. Höhepunkt Tel. +41 44 256 91 11 Abb. 6: SwissMetNet-Station in Glarus. war ein großes Feldexperiment im http://www.meteoschweiz.ch promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 79-82 (März 2006) 79 © Deutscher Wetterdienst 2006

Institute stellen sich vor

Die Forschungseinheit Maritime Meteorologie des Leibniz- Instituts für Meereswissenschaften IFM-GEOMAR an der Universität Kiel

The Research Unit Marine Meteorology at the Leibniz Institute of Marine Sciences at the University of Kiel (IFM-GEOMAR)

Zusammenfassung Die aktuelle thematische Ausrichtung der Maritimen Meteorologie trägt dem Sachverhalt Rechnung, dass der Zustand der Atmosphäre durch komplexe Wechselwirkungen mit dem Ozean, Land, Meereis und der Vegeta- tion sowie durch den Einfluss äußerer Faktoren bestimmt wird. Zu letzteren gehören u.a. die Vulkane, die Son- ne, aber auch anthropogene Faktoren wie etwa der Ausstoß von Treibhausgasen in die Atmosphäre. Die Inten- sität der Wechselwirkungen hängt stark von den betrachteten zeitlichen und räumlichen Skalen ab. Die Klima- modellierung unter Leitung von Mojib Latif bildet den Rahmen für die weiteren interagierenden Themenberei- che, die in der Maritimen Meteorologie bearbeitet werden. Hierzu gehören der globale und regionale Energie- und Wasserkreislauf (Andreas Macke), die Analyse der Klimavariabiliät aus Modell und Beobachtung (Eber- hard Ruprecht, Dietmar Dommenget) sowie die Rolle der ozeanischen Deckschicht (Dietmar Dommenget) und der mittleren Atmosphäre (Kirstin Krüger) im Wechselspiel mit Ozean und Atmosphäre.

Abstract

Present fields of research are based on the recognition that the current state of the atmosphere is a result of com- plex interactions with ocean, land surface, vegetation, and external influences such as volcanoes, the or an-

thropogenic factors, like the increasing atmospheric content of CO2, on all temporal and spatial scales. Climate modelling, headed by Mojib Latif, links all the Marine Meteorology research areas together. Andreas Macke is leading the working group of energy and water cycle, which comprises both, global and regional aspects. Clima- te variability is investigated on the basis of analyses and observations (Eberhard Ruprecht and Dietmar Dom- menget).The role of the ocean’s mixed layer (Dietmar Dommenget) and of the middle atmosphere (Kirstin Krü- ger) on air-sea interaction are also subjects of research.

1 Geschichte der Maritimen gründet. Die Abteilung „Maritime gerichtete zweite Professur der Ab- Meteorologie in Kiel Meteorologie“ wurde 1961 unter teilung gewonnen werden und er- Leitung von Friedrich Defant (sie- schloss das Gebiet der Fernerkun- Die „Maritime Meteorologie“ ist he Abb. 1), Sohn des bekannten dung. Eberhard Ruprecht erweiter- eine Forschungseinheit im For- Ozeanographen und Meteorologen te seit 1985 diese Thematik in Rich- schungsbereich „Ozeanzirkulation Albert Defant, eingerichtet und be- tung Mikrowellenfernerkundung und Klimadynamik“ des Leibniz- schäftigte sich hauptsächlich mit und widmete sich später der statis- Instituts für Meereswissenschaften Fragen der Energetik der großräu- (IFM-GEOMAR). Traditionell be- migen Zirkulation. 1980 übernahm schäftigt sich die Maritime Meteo- Lutz Hasse die Abteilung und rich- rologie in Kiel mit den Austausch- tete die wissenschaftlichen Arbei- prozessen zwischen Ozean und At- ten auf die Wechselwirkungspro- mosphäre. Während früher die Zu- zesse zwischen Ozean und Atmo- sammenarbeit mit den ozeanogra- sphäre aus. Später kam als weiterer phischen Abteilungen im Vorder- Schwerpunkt die Erfassung des grund stand, werden heute ver- Niederschlags hinzu. Hartmut mehrt meereschemische, meeres- Graßl konnte 1981 für die neu ein- biologische und paläoozeanogra- phische Aspekte mit eingebunden. Abb. 1: Friedrich Defant übernahm die er- Das Institut für Meereskunde (heu- ste Meteorologie-Professur am da- te IFM-GEOMAR) wurde 1937 ge- maligen Institut für Meereskunde. 80 Die Forschungseinheit Maritime Meteorologie des Instituts für Meereswissenschaften an der Universität Kiel promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 tischen Analyse des Klimasystems. geeignete Werkzeuge dar, die noch selwirkungen von Ozean und At- Dessen Nachfolge trat 2004 Andre- offenen Fragen in einer systemati- mosphäre zurückzuführen ist. Die as Macke an, der die Rolle der Be- schen Art und Weise zu untersu- meisten Modelle haben Schwierig- wölkung im gekoppelten System chen. Die Modellgüte bzw. ihre keiten diesen Jahresgang zu simu- Ozean/Atmosphäre untersucht. Sensitivität kann an Hand von Be- lieren. Das KCM aber bildet den 1995 übernahm Peter Lemke die obachtungen überprüft werden. In Jahresgang gut ab, da hier Wechsel- Leitung der Abteilung von Lutz der Arbeitsgruppe Klimamodellie- wirkungsprozesse realistischer dar- Hasse und brachte die Modellie- rung wird ein großes Spektrum von gestellt sind. rung und Beobachtung des Meer- Klimaschwankungen untersucht, eises ein. Seit 2003 leitet dessen das von interannualen bis zu paläo- Nachfolger Mojib Latif das Ar- klimatologischen Zeitskalen von 3 Energie- und Wasserkreislauf beitsgebiet Klimamodellierung. Jahrtausenden reicht. Die zwei früheren Assistenturen Die bewölkte Atmosphäre beein- konnten in Juniorprofessuren um- Das Hauptaugenmerk liegt auf der flusst über Strahlungsflüsse, Flüsse gewidmet werden und sind seit Wechselwirkung Ozean-Atmo- latenter und fühlbarer Wärme so- 2003 von Dietmar Dommenget sphäre.Als Beispiel ist in Abb. 2 die wie Frischwassertransporte maß- (Klimadynamik) und seit 2005 von Simulation der Anomalien des Jah- geblich den Energie- und Wasser- Kirstin Krüger (Mittlere Atmo- resganges der Meeresoberflächent- haushalt unseres Planeten. Zentra- sphäre) besetzt. emperatur (engl.: sea surface tem- le Arbeitsgebiete sind die Simula- perature, SST) längs des Äquators tion des Strahlungstransports, die im Pazifik mit dem Kieler Klima- Wolkenfernerkundung, die Erfas- 2 Klimamodellierung modell (KCM, Kiel Climate Mo- sung der Energie- und Massenflüs- del) gezeigt. Längs des Äquators se an der Grenzfläche Ozean/At- Die Rückkopplungen zwischen den erwartet man eigentlich keinen Jah- mosphäre sowie die Analyse von verschiedenen Klimasubsystemen resgang, da die Sonne den Äquator Wolkenprozessen im gekoppelten und die Variabilität des Klimas auf zweimal im Jahr überstreicht. Die Klimasystem Ozean/Atmosphäre. verschiedenen Zeitskalen sind im- Beobachtungen zeigen aber die mer noch nicht hinreichend gut ver- Existenz eines ausgeprägten Jah- Monte-Carlo Strahlungstransport- standen. Hier stellen Klimamodelle resganges, der auf komplexe Wech- modelle dienen der Berücksichti- gung möglichst realistischer Wol- kenstrukturen in der Berechnung Beobachtungen Modell des Strahlungshaushaltes am Bo- den und am Oberrand der Atmo- sphäre sowie der Entwicklung von Algorithmen zur satellitengetrage- nen Fernerkundung von Wolkenpa- rametern. Boden- bzw. schiffsge- bundene Langzeitmessungen der abwärts gerichteten solaren und thermischen Strahlung sowie des Bewölkungszustandes (s. Abb. 3) werden gemeinsam mit satelliten- gestützten Messungen der Strah- lungsbilanz am Oberrand der At- mosphäre zur Entwicklung moder- ner Strahlungstransport-Parametri- sierungen für den Einsatz in Klima- modellen genutzt.

Die Messung der Niederschläge er- Anomalie der Meeresoberflächentemperatur in K Anomalie der Meeresoberflächentemperatur in K Anomalie der Meeresoberflächentemperatur folgt mit Schiffsregenmessern und optischen Disdrometern, die eigens für den Einsatz auf fahrenden Schiffen entwickelt wurden. Diese haben im Rahmen verschiedener Projekte einzigartige Messreihen geogr. Länge geogr. Länge des Niederschlags über der Ostsee Abb. 2: Ausbreitung hoher Temperaturanomalien (in K), nach Westen. Beobachtungs- geliefert und werden unter ande- zeitraum ist 1975–2000 (links). Im Modell (rechts) wurde über 70 Jahre ge- rem zur Validierung von numeri- mittelt. schen Modellen genutzt. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 Die Forschungseinheit Maritime Meteorologie des Instituts für Meereswissenschaften an der Universität Kiel 81

führen könnte. Die mittleren Atmosphäre, wie regel- Auswirkung dieser mäßige Beobachtungen seit den Muster auf die At- späten 1950er Jahren zeigen. Deut- mosphäre ist Ge- lich wird dies am Beispiel des stra- genstand zahlrei- tosphärischen Ozons. Neben dem cher Untersuchun- antarktischen Ozonloch, das seit gen innerhalb der Mitte der 1980er Jahre regelmäßig Kieler Meteorolo- auftritt, und dem winterlichen che- gie. mischen Ozonverlust über der Ark- tis ist seitdem auch ein globaler Das Verhalten des Rückgang zu verzeichnen. Klimasystems steht im engen Zusam- Die zukünftige Entwicklung der menhang mit den stratosphärischen Ozonschicht ist meridionalen Ener- weltweit ein aktueller Forschungs- gietransporten in schwerpunkt. Durch die Tempera- der Atmosphäre turabhängigkeit des chemischen und dem Ozean. Ozonabbaus ist das Verständnis der Abb. 3: Kameras erfassen den Zustand des bewölkten Für Änderungen Variabilität der Temperatur in der Himmels zur Interpretation der Strahlungsmes- auf der interdekadi- Stratosphäre eine wichtige Voraus- sungen. schen Skala zeich- setzung für die Zuverlässigkeit der nen vor allem der Ozonprognose. So genannte gekop- Ozean und speziell pelte Klima-Chemie-Modelle un- Ergänzt werden die Arbeiten zum für die letzten 100 Jahre die Indus- tersuchen diese komplexen Vor- Energie- und Wasserkreislauf trialisierung verantwortlich. Mit gänge. Am unteren Rand dieser durch Messungen der Flüsse fühl- der Analyse dieser Schwankungen Modelle werden bisher jedoch die barer und latenter Wärme auf See. wurden Einflüsse auf den europä- Meeresoberflächentemperaturen, Diese Arbeiten liefern einen wich- isch-asiatischen Kontinent und auf die für die Variabilität in der Win- tigen Beitrag zur Bestimmung der die Bahnen der Tiefdruckgebiete terstratosphäre eine entscheidende Energie- und Wasserbilanz der nachgewiesen. Rolle spielen, vorgeschrieben. Ziel Ostsee. dieser neu gegründeten Arbeits- gruppe am IFM-GEOMAR soll 5 Die mittlere Atmosphäre sein, die komplexen Wechselwir- 4 Dynamik des Klimasystems kungen des Ozeans mit der Mittle- Änderungen des troposphärischen ren Atmosphäre zu untersuchen Klimaschwankungen auf Zeitskalen Klimas und der chemischen Zu- um Unsicherheiten in der Strato- von Monaten bis Jahrhunderten ent- sammensetzung der Erdatmosphä- sphären-Variabilität besser ein- stehen aus der Wechselwirkung zwi- re beeinflussen auch das Klima der grenzen zu können. schen unterschiedlichen Klimasub- systemen und organisieren sich oft- mals in bestimmten räumlichen oder zeitlichen Mustern, wie etwa im Falle der Nordatlantischen Oszil- lation (NAO), der El Niño-Southern Oscillation (ENSO) im tropischen Pazifik (siehe Abb. 4), oder der Qua- si Biennial Oscillation (QBO) der tropischen Stratosphäre.

Interessanterweise sind alle diese Muster zuerst aus statistischen Analysen von Beobachtungsdaten entdeckt und nicht aus Analysen von dynamischen Modellen vor- hergesagt worden. Des Weiteren gibt es für die meisten Klimamo- den oft nur eine unzureichende dy- namische Beschreibung, die man Abb. 4: Muster des El Niño Klimamodes in der Meeresoberflächentemperatur. Darge- direkt auf den elementaren Grund- stellt ist die Korrelation der Meeresoberflächentemperatur im äquatorialen Ost- gleichungen der Systeme zurück- pazifik mit der in allen anderen Meeresregionen. 82 Die Forschungseinheit Maritime Meteorologie des Instituts für Meereswissenschaften an der Universität Kiel promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

(a) mit dem Forschungsschiff ALKOR zur Messung und Beobachtung der Wechselwirkung Ozean-Atmo- sphäre. In der Regel beginnen in Kiel jedes Jahr zwischen 10 und 20

geogr. Breite Erstsemester das Studium der Me- teorologie. Hinzu kommen noch

Lufttemperatur in K Lufttemperatur Studenten der Geographie, Physik und weiterer Fachrichtungen, die geogr. Länge Meteorologie als Nebenfach bele- (b) gen.

Im Rahmen der Umwandlung von Diplom- in Bachelor/Masterstu- diengänge ist für die Universität

geogr. Breite Kiel ein gemeinsamer Bachelor in Meteorologie, Ozeanographie und Lufttemperatur in K Lufttemperatur Geophysik (voraussichtlicher Na- geogr. Länge me: Physik des Erdsystems) ge- plant. Hieran werden sich Master- Abb. 5: Eintragungsort und Auftreten von Minimumtemperaturen (K) in der TTL, die bzw. Promotions-Studiengänge der die Luftpartikel während ihrer 3-monatigen Rückwärtsreise vom 1. März bis einzelnen Disziplinen anschließen. zum 1. Dezember für die Winter (a) 1997/98: El Niño und (b) 1998/99: La Niña durchlaufen haben. Die Trajektorienberechnungen basieren auf ERA40 Daten und wurden am AWI Potsdam durchgeführt. Anschrift der Autoren:

Als ein Beispiel für Kopplungen Professuren, zwei Juniorprofessu- Dr. Karl Bumke, zwischen Ozean und mittlerer At- ren und mit Beteiligung festange- Prof. Dr. Dietmar Dommenget, mosphäre zeigt Abb. 5 die Mini- stellter Wissenschaftler getragen. Dr. Noel Keenlyside, mumtemperatur (als Maß für den Zusätzlich gibt es gemeinsame Ver- Prof. Dr. Kirstin Krüger, stratosphärischen Wasserdampfge- anstaltungen mit dem Diplomstu- Prof. Dr. Mojib Latif, halt) in der tropischen Tropopaus- diengang Ozeanographie. Bis zum Prof. Dr. Andreas Macke, enregion (engl.: tropical tropopau- Vordiplom werden in Kiel die Stu- Dr. Thomas Martin, se layer, TTL). Zum Vergleich ist diengänge Meteorologie, Physik, Prof. Dr. Eberhard Ruprecht hier der Einfluss von ENSO auf das Geophysik und Ozeanographie als Leibniz-Institut für Meereswissen- Transportverhalten in der TTL dar- gleichwertig anerkannt. Im Haupt- schaften (IFM-GEOMAR) gestellt. studium bietet Kiel die Besonder- FB1 - Maritime Meteorologie heit, dass als 1. Nebenfach an Stelle Düsternbrooker Weg 20 / Dienst- der Physik auch die Ozeanographie gebäude Westufer 6 Lehre belegt werden kann, was die Aus- 24105 Kiel richtung des Institutes auf die Mee- Tel. (0431) 600-4051 Die Forschungseinheit Maritime reswissenschaften unterstreicht. Fax (0431) 600-4052 Meteorologie bietet in Kiel den Di- Zum Studium gehört auch das Me- E-Mail (Sekretariat): plom-Studiengang Meteorologie teorologische Fortgeschrittenen- [email protected] an. Dieser wird zur Zeit von zwei praktikum, eine 5-tägige Ausfahrt www.ifm-geomar.de promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 83-86 (März 2006) 83 © Deutscher Wetterdienst 2006

L. BRIESE EUMETSAT: Erdbeobachtungen für Wetter, Klima und Umweltschutz

EUMETSAT: Monitoring Weather, Climate and the Environment

Zusammenfassung EUMETSATs zuverlässiger meteorologischer Satellitenservice liefert eine der Grundvoraussetzungen für unser Leben heute in Europa. Besonders im Kontext von extremen Wettersituationen oder wetterbedingten Natur- katastrophen sind die von EUMETSAT gelieferten Bilder und Daten unentbehrlich. Das EUMETSAT Daten- material ermöglicht es Meteorologen, extreme Wettersituationen zeitgenau zu überwachen und gegebenenfalls Warnungen herauszugeben. Diese Warnungen sind wiederum wichtig, um Menschenleben wie auch Besitz im Kontext solcher Ereignisse schützen zu können. Aber selbst unter ,normalen’ Wetterbedingungen sind die von den europäischen Wettersatelliten gelieferten Informationen unerläßlich für den modernen Flug-, Schiffs- und Straßenverkehr, und auch die Land- und Bauwirtschaft sowie zahlreiche andere Industriezweige stützen sich in ihrem Tagesgeschäft auf die von EUMETSAT gelieferten Satellitendaten.

Abstract Modern life as we know it would be almost unthinkable without the reliable operational service delivered by the EUMETSAT system of satellites. The high-quality data and images are especially relevant in the context of se- vere weather situations and weather related natural disasters. Based on the input that EUMETSAT satellites provide, forecasters have the capability to monitor situations of severe weather and can subsequently issue war- nings, which in turn can help to save lives and property. But even in more ,normal’ conditions the information gathered by EUMETSAT satellites is critical for the safety of air, shipping and road traffic – also farming, con- struction and many other industries heavily rely on them as they go about their daily business.

Einleitung chung, beziehungsweise der Entdeckung von globalen Klimaänderungen. Da die Bedeutung von und der Be- EUMETSAT (European Organisation for the Exploi- darf an Daten zur Unterstützung von sowohl Wetter- tation of Meteorological Satellites), eine 1986 gegrün- als auch Klimabeobachtung ständig zunimmt, arbeitet dete internationale Organisation mit Sitz in Darmstdt EUMETSAT fortlaufend an der Verbesserung ihrer (Abb. 1), hat den Auftrag, europäische operationelle Satellitensysteme und deren Anwendungen. meteorologische Satellitensysteme zu entwickeln, zu unterhalten und zu nutzen. Sie liefert den europäischen In der Darmstädter Zentrale sind außer dem Satelli- Beitrag zum globalen System meteorologischer Satelli- tenbetriebszentrum, auch Kontrollzentrum genannt, ten und hat europäischen Wetterdiensten seit ihrer die Bereiche Projektmanagement und Entwicklung Gründung eine Fülle zuverlässiger Daten hoher Qua- neuer Satellitenprogramme (Programme Develop- lität für Wetterbeobachtungen aus dem All zur Verfü- ment) sowie die Erstellung neuer meteorologischer gung gestellt. EUMETSATs zweiter Auftrag beinhaltet Dienste und Produkte (Operations) untergebracht. die Unterstützung von Anwendungen in der Klimabe- Hinzu kommen die Service- und Verwaltungsabteilun- obachtung mit dem Ziel der globalen Klimaüberwa- gen der Organisation (Administration). Derzeit sind rund 219 (Jan. 06) feste Mitarbeiter und etwa gleich- viele Consultants aus verschiedenen europäischen Ländern tätig, dabei stellt Deutschland mit 28 % den größten Anteil. Derzeitiger Direktor ist Dr. Lars Prahm, ehemaliger Präsident des Dänischen Meteoro- logischen Instituts.

An der Gründung von EUMETSAT waren 16 Mit- gliedsstaaten beteiligt: Belgien, Dänemark, Deutsch- land, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritan- nien, Irland, Italien, die Niederlande, Norwegen, Portu- gal, die Schweiz, Spanien, Schweden und die Türkei. Heute sind es 19 Mitgliedsstaaten und 11 Koopera- tionsstaaten. Die aktuelle Liste der Mitgliedsstaaten Abb. 1: Hauptquartier von EUMETSAT in Darmstadt. kann dem Punkt „Member States“ auf der Homepage 84 EUMETSAT promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 von EUMETSAT entnommen werden. Das heutige (ESA, European Space Agency und CNES, Centre Na- Management Board setzt sich zusammen aus: Dr. Lars tional d’ Etudes Spatiales), entwickelt, zum anderen Prahm (Generaldirektor, Dänemark), Ernst Koene- teilen sich EUMETSAT und NOAA (National Ocea- mann (Director of Programme Development, nic and Atmospheric Administration), die US-ameri- Deutschland), Mikael Rattenborg (Director Opera- kanische Agentur, die Aufgabe, die Abdeckung der po- tions, Dänemark) und Angiolo Rolli (Director Admi- laren Umlaufbahn zu gewährleisten. nistration, Italien). EUMETSAT leistet auch Unterstützung für Partner, Die Aufgabe von EUMETSAT hat sich von der reinen die noch an der Entwicklung ihrer meteorologischen Unterstützung der operationellen Wettervorhersage Kapazitäten arbeiten. Die von der EU und der WMO entsprechend den politischen Forderungen gewandelt unterstützte PUMA-Initiative (Preparation for Use of und umfasst nunmehr ein weiteres Gebiet, das zuneh- Meteosat Second Generation in Africa), die im Sep- mend an Bedeutung gewinnt: Erforschung des Klimas tember 2005 zu Ende geführt wurde, gewährt einem und dessen Veränderung sowie deren Anwendungen, Netz von 53 afrikanischen Staaten und vier regionalen beispielsweise im Bereich der Ozeanographie und der Zentren Unterstützung auf den Zugriff zu Meteosat- Hydrologie. EUMETSAT unterstützt zudem das soge- Daten. Damit werden afrikanische Wetterdienste erst- nannte „Global Monitoring for the Environment and mals in der Lage sein, Anwendungen zu entwickeln, Security“ (GMES) Projekt, eine Initiative der Europä- die von Überschwemmungsvorhersagen über Früh- ischen Gemeinschaft und der ESA zur Einrichtung ei- warnungen bei Extrem-Wetterlagen bis hin zur Nah- nes Erdbeobachtungssystems mit dem Ziel, innerhalb rungssicherung und Pestüberwachung reichen. Europas das Verständnis verschiedener Umweltphä- nomene, besonders im Kontext gefährlicher Wettersi- tuationen, voranzutreiben. Programme

Wetter und Klima kennen keine Grenzen: Erfolgrei- Das Meteosat-Programm ist Europas operationelles che Klimaüberwachung erfordert demzufolge nicht System geostationärer meteorologischer Satelliten und nur ein globales System, sondern auch internationale hat seit seinem Beginn im Jahre 1977 sehr zuverlässig Zusammenarbeit. EUMETSAT und damit auch der wertvolle Daten geliefert. Bislang waren sieben nahe- Deutsche Wetterdienst – als eines seiner ersten Mit- zu baugleiche Satelliten aus der ersten Meteosat-Rei- glieder (1986) und Hauptförderer (knapp 23 % des he im Umlauf. Meteosat-5, -6 und 7 dieser Reihe sind Haushalts von EUMETSAT werden vom DWD getra- weiterhin in Betrieb. Dabei ist zu beachten, dass gen) ist ein ,global player’ in der meteorologischen Ge- Meteosat-5 bereits 1991 gestartet wurde. Mit der Inbe- meinschaft. Mit dem erfolgreichen Start von MSG-2 triebnahme von Meteosat-8 im Januar 2004 nahm der am 21. Dezember 2005 steht nun ein weiterer Satellit erste einer beträchtlich verbesserten Generation von der zweiten Generation zur Verfügung. Sein operatio- Meteosat-Satelliten die Arbeit auf (Abb. 2). Doppelt neller Betrieb ist für den Sommer 2006 vorgesehen. so schnell wie seine Vorgänger der ersten Generation, Die Meteosat-Programme (erster und zweiter Genera- übermittelt Meteosat-8 alle 15 min Bilder von überra- tion) sind Teil eines weltweiten Systems, das die Be- gender Qualität (erstellt aus 12 statt bislang 3 Spek- reitstellung wichtiger Daten auf globaler Basis sicher- tralkanälen) an Nutzer in Europa, Afrika und Latein- stellt. Der wesentliche Unterschied zwischen den Sa- amerika. Sowohl die verbesserte Genauigkeit als auch telliten der ersten und der zweiten Generation besteht die Vielfalt der nunmehr gelieferten Daten ist unver- in der technischen Leistungsfähigkeit der mitgeführten zichtbar für die Weiterentwicklung der Wettervorher- Instrumente: GERB (http://www.ssd.rl.ac.uk/ gerb/) sagen wie auch für die Entwicklung neuer meteorolo- und SEVIRI (http://www.astrium.eads.net/corp/prod/ gischer Produkte und Anwendungen. 00000842.htm). Ferner trägt die neue Satellitengenera- tion zu internationalen Projekten wie dem Globalen Für die Zukunft hat EUMETSAT noch ehrgeizigere Beobachtungssystem der WMO und dem von der Pläne. Die Vorbereitungen für eine Beteiligung an dem CGMS (Co-ordination Group for Meteorological Sa- weltweiten System von polarumlaufenden Satelliten, tellites, http://www.wmo.int/web/sat/CGMShome. html) die bislang nur von den USA, Russland und China be- geleiteten Globalen Meteorologischen Satellitenbeob- trieben werden, sind im vollen Gange. Anders als bei achtungssystem bei. den Meteosat-Satelliten, die in ihrer geostationären Umlaufbahn 36 000 km über der Erde wachen, umkrei- EUMETSATs derzeit entstehendes Polares System sen diese Satelliten auf einer polarer Umlaufbahn die (EPS) – der Start des ersten Metop-Satelliten (Métop: Erde in einer Höhe von etwa 850 km. Damit sind sie satellite opérationnel météorologique, http://www.esa.int/ viel näher am Wettergeschehen und können somit we- esaME/) dieser Dreier-Serie ist für Juni 2006 geplant – sentlich genauere Daten sammeln als geostationäre Sa- ist ein Zeichen für die wachsende internationale Zu- telliten, die wiederum den globalen Überblick liefern. sammenarbeit. Zum einen wurden die Satelliten und deren Instrumente in Zusammenarbeit mit der euro- Die Metop-Satelliten (Abb. 3) des EUMETSAT Polar päischen und der französischen Raumfahrtagentur Systems (EPS) werden als Teil eines polarumlaufenden promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 EUMETSAT 85

Abb. 2 (links): Satellit der zweiten Generation Meteosat: MSG – Das von EADS Astrium gebaute Radiometer SEVIRI (Spinning En- hanced Visible and Infra- Imager) an Bord von MSG, Erststart 2002, liefert Daten für Wettervorhersagen mit bisher unerreichter Genauigkeit.

Abb. 3 (Mitte): Der Wettersatellit Metop wird von einem Konsortium europäischer Industrieunternehmen unter Leitung des Hauptauf- tragnehmers EADS Astrium entwickelt. Astrium übernimmt die Gesamtverantwortung für die abschließende Integra- tion und Vorbereitung des Starts der drei Metop-Satelliten.

Abb. 4 (rechts): Der Satellit Jason-2 (Skizze), © CNES – Juni 2003, Autor: D. Ducros. europäischen Satellitensystems sehr präzise Informatio- Die Jason-2 Mission kam im November 2005 mit der nen für mittelfristige Wettervorhersagen und langfristi- Installation des Radoms und der Antenne in der Bo- ge Klima- und Umweltforschung liefern, beispielsweise denstation in Usingen/Deutschland einen Schritt vo- die Ozonverteilung in der Atmosphäre messen sowie ran. Usingen wurde als Standort für die Jason-2-Bo- die Konzentration anderer Atmosphärenbestandteile, denstation von EUMETSAT ausgewählt, da dort eine die zur Klimaüberwachung genutzt werden können. Ih- hervorragende Telekommunikations-Infrastruktur zur re Daten und Bilder leiten eine neue Dimension globa- Verfügung steht und auch die primäre Bodenstation ler meteorologischen Beobachtungen ein. Der erste für die Satelliten der Meteosat Zweiten Generation Metop-Satellitenstart ist für Juni 2006 vorgesehen. (MSG) beherbergt ist.

Die Palette der EUMETSAT-Satellitenprogramme EUMETSAT ist einer von vier Partnern im Jason-2- wird seit Sommer 2003 noch um ein weiteres ergänzt: Programm zur Gewinnung globaler Meeresoberflä- Jason-2 (Abb. 4). Für die Entwicklung des Klimas spie- chendaten, mit deren Hilfe Wissenschaftler die Kräfte, len vor allem die großen Wasseroberflächen der Ozea- die zum globalen Klimawandel führen, besser verste- ne eine wesentliche Rolle: 71 % der Erdoberfläche ist hen lernen und saisonale Wetteränderungen präziser von Ozeanen bedeckt. Um Meeresstömungen und vorhersagen können. Die anderen Partner der Jason-2- Phänomene wie El Niño deuten zu können, ist es not- wendig, die Ursachen des allgemeinen Klimawandels besser zu verstehen. Abb. 5 zeigt beispielhaft eine Kar- te der signifikanten Wellenhöhen. Der Jason-1 Satellit – eine Zusammenarbeit der französischen Raumfahrt- behörde CNES mit der amerikanischen NASA – ist hier bereits im Einsatz. Sein Nachfolger Jason-2 wird die notwendige Mission zur Überwachung der Topo- graphie der Ozeanoberflächen erfüllen. Gemeinsam mit NOAA übernimmt EUMETSAT die Verantwor- tung für den Betrieb von Jason-2, dem Eckpfeiler in ei- nem wachsenden System globaler Meeresüberwa- chung. EUMETSAT und NOAA werden als die bei- den operationellen Organisationen Bodenstationen bereitstellen und unterhalten sowie operationelle Da- Abb. 5: Signifikante Wellenhöhen der Zeitspanne 13.11. bis ten erzeugen und verbreiten. Die Standorte der Bo- 23.11.2005, gewonnen mit Jason-1, Quelle: denstationen sind Usingen, Wallops Island/Virginia http://www.jason.oceanobs.com/html/calval/validation_ und Fairbanks/Alaska. report/j1/j1_calval_bulletin_142_fr.html 86 EUMETSAT promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Mission sind das französische Raumfahrtforschungs- • Verbesserte Informationen über Landnutzung, zentrum Centre National d’Etudes Spatiales (CNES), Ökologie, Katastrophen-Monitoring und Vorhersa- die US-amerikanische Wetterbehörde NOAA sowie gen für die Landwirtschaft, die US-amerikanische Weltraumbehörde National • Nutzen für die Seeschifffahrt, die Fischereiwirt- Aeronautics and Space Administration (NASA). schaft und die Offshore-Industrie, • Verbesserte Eingangsdaten für die numerische Wet- tervorhersage und die Verfügbarkeit von Software- Das SAF Netzwerk Modulen für operationelle Anwendungen, • Verbesserte Software-Module und Echtzeit- sowie Das Konzept der Satelliten-Auswertezentren (SAF – Offline-Produkte. Satellite Application Facilities) wurde 1992 entwickelt, als die Mitgliedsstaaten von EUMETSAT beschlossen, EUMETSAT ist verantwortlich für die Entwicklung den Bedarf an speziellen meteorologischen Anwen- und Koordination des SAF-Netzwerks und entscheidet dungsbereichen mit den Daten der neuen Satelliten zu über die politischen und finanziellen Angelegenheiten. decken. Sie stellen ein neues Konzept für die Betrach- Die Organisation leitet und koordiniert die Schnittstel- tung der meteorologischen Satellitendaten dar. Für die len zwischen den einzelnen SAFs sowie zwischen den erste Generation der Meteosat-Satelliten legte SAFs und anderen EUMETSAT-Systemen. Ferner EUMETSAT noch die meteorologischen Produkte überwacht EUMETSAT die Integration der SAFs in (wie beispielsweise Wind, Wolkenbewegungen oder die Infrastruktur des gesamten Anwendungs-Boden- Temperaturen der Wolkenobergrenzen) fest. Im segments, zu dem auch die zentralen Verarbeitungs- Gegensatz hierzu werden mit den zusätzlichen Mög- und Archivierungssysteme in Darmstadt gehören. lichkeiten der EUMETSAT-Satellitensysteme Produk- te aus den SAFs auch für andere spezielle Anwen- Jedes SAF wird von dem nationalen Wetterdienst ei- dungsbereiche wichtig. Damit entsteht ein Freiraum, nes Mitgliedsstaats in Zusammenarbeit mit einem den die Forschung für innovative und kreative Ansät- Konsortium von angeschlossenen Institutionen aus ze in der Datenforschung nutzen kann. Mitglieds- und Kooperationsstaaten verwaltet. Da- durch, dass die Stränge des gesamten Netzwerks bei SAFs sind spezialisierte Zentren für die Verarbeitung EUMETSAT zusammenlaufen, können Dienste kos- anwendungsspezifischer Satellitendaten. Als Teil von teneffektiv und effizient bereitgestellt werden. Dies EUMETSATs dezentralem Anwendungs-Bodenseg- gilt gleichermaßen für zentrale wie auch für verschie- ment wird jedes SAF von einem anderen nationalen dene von den SAFs verteilte Dienste. Wetterdienst in Europa geleitet und ist auf ein eigenes Thema spezialisiert. Gegenwärtig konzentrieren sich Das CM-SAF, dessen mehrjährige Entwicklungsphase sieben SAFs auf Klimaüberwachung, Nowcasting und im Dezember 2003 abgeschlossen wurde, wird Nutzern äußerst kurzfristige Vorhersage, Meeres- und Treibeis, eine Reihe von Datensätze liefern, welche langfristig Ozonüberwachung, Numerische Wettervorhersage, homogene Langzeitreihen bilden und somit Wissen- GRAS-Meteorologie und Landoberflächenanalyse. schaftler bei der Untersuchung von Klimaveränderun- Ein neues SAF Thema „Operationelle Hydrologie“ gen unterstützen. wurde im Sommer 2005 ins Leben gerufen. Das CM-SAF, welches unter der Leitung des Deut- Satelliten sind für Meteorologie und Forschung bei der schen Wetterdienstes (DWD) steht, ist eine Einrich- gegebenen spärlichen Verteilung der Stationen für die tung von EUMETSAT, deren Ziel es ist, Wissenschaft- Bodenbeobachtung unverzichtbar. SAFs wirken als ler aus allen europäischen Mitgliedsstaaten einzubin- Multiplikatoren, da sie Hunderten von Wissenschaft- den und der Klimatologie weltweit wichtige Produkte lern den Zugang zu wichtigen Daten ermöglichen und an die Hand zu geben. Weitere Informationen dazu: eine neue Nutzung dieser Daten stimulieren. SAFs http://www.cmsaf.dwd.de. nutzen die Informationen sowohl der geostationären als auch der polarumlaufenden meteorologischen Sa- telliten und bieten unter anderem folgende Nutzungs- Anschrift der Autorin: möglichkeiten: Livia Briese • Verbesserung der Kurzfristvorhersage von Unwet- EUMETSAT Communications and Information terereignissen, Division • Nutzen für die Luftfahrt, die Landwirtschaft, die Communications Manager Bauwirtschaft, die Energie- und Wasserwirtschaft, Am Kavalleriesand 31 • Besseres Verständnis für die Ursachen und Auswir- 64295 Darmstadt kungen der Luftverschmutzung in der oberen At- Tel.: 06151/807 839 mosphäre und des Ozonabbaus, Fax: 06151/807 7221 • Frühwarnung vor Katastrophen, E-Mail: [email protected] • Bessere Daten für die Klimaüberwachung, http://www.eumetsat.int promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 87-90 (März 2006) 87 © Deutscher Wetterdienst 2006

J. RAPP Auslösung von Starkschneefällen in Frankfurt/Main als mögliche Folge des Stadteffektes

Triggering of heavy snowfall in Frankfurt/Main as a possible result of urban effects

Zusammenfassung Radaraufnahmen vom 23. Februar 2005 zeigen, beschränkt auf das unmittelbare Stadtgebiet von Frankfurt/Main, ungewöhnlich starke und einige Stunden andauernde Schneefälle. Sie zeigen die mögliche Wir- kung des sogenannten „städtischen Wärmeinseleffektes“ auf das Wetter, wie sie bisher selten in der Literatur do- kumentiert wurde.

Abstract Radar images from February 23rd, 2005, show heavy and continuous snowfall in Frankfurt/Main, a phenomenon, which was restricted to the urban area only. Probably, the situation illustrates the effect of urban-enhanced pre- cipitation resulted from increased heating, which was rarely described in the meteorological literature so far.

1 Einführung 2 Synoptische Situation

Während sich die meteorologische Forschung in den Die Großwettersituation am 23. Februar 2005 wurde vergangenen Jahrzehnten bei weitem stärker mit dem von einem ausgedehnten Höhentief bestimmt, das fast Einfluss von Stadtgebieten auf die Lufttemperatur und ganz Europa überdeckte und das Wetter zyklonal ge- andere meteorologische Elemente beschäftigte (zu staltete. Korrespondierend hierzu lag ein Hoch über Is- den Gründen siehe LOWRY 1998), wurde die Wirkung land und Nordskandinavien. Das Zentrum des Höhen- urbaner Verdichtungsräume auf die Niederschläge, tiefs (Maximum der Vorticity) befand sich im 500 hPa- wohl aufgrund ihrer schwieriger zu fassenden zeit- Niveau mittags recht exakt über dem Rhein-Main-Ge- lichen und räumlichen Variabilität, deutlich seltener biet (Abb. 1). Die Temperatur betrug in diesem Niveau untersucht. Dabei beschäftigten sich Forschungspro- hier nur –38 °C. Die untere Troposphäre (700 hPa) jekte (insbesondere METROMEX, siehe CHAN- wies gleichzeitig ein klar abgegrenztes Feuchtemaxi- GNON 1980) oder Einzelanalysen (zum Beispiel SHE- mum auf, mit einem Betrag der relativen Luftfeuchtig- PHERD et al. 2002; MÖLDERS und OLSON 2004) keit über 90 % (Abb. 2). Nennenswerte synoptische meist nur mit konvektiven Niederschlagsprozessen im Sommerhalbjahr, während Studien für das Winterhalb- jahr die Ausnahme blieben (CHANGNON et al. 1991). In einer früheren Arbeit (CHANGNON 1973) er- wähnt der Autor eine mittlere Zunahme des winter- lichen Niederschlages in ausgewählten US-amerikani- schen Städten von 10 % (Schneefall) bzw. 13 % (Re- gen) im Vergleich zu ihrem Umland.

Dieser Trend wird von einer bemerkenswerten Wetter- situation, die am 23. Februar 2005 im mittleren Deutschland auftrat, beispielhaft veranschaulicht. Sie führte sehr wahrscheinlich zu einem Starkschneefall auslösenden bzw. verstärkenden Effekt im Stadtgebiet von Frankfurt am Main, während es im ganzen Um- land der Stadt keine derartigen Niederschläge gab. Zu- nächst als Artefakte gedeutete Radaraufnahmen konnten bei genauerer Analyse als wichtiges Indiz für Abb. 1: Radiosondenaufstiege (Stationssymbol mit Windpfeil, ein Resultat dieses „Stadteffektes“ herangezogen wer- Temperatur, Windrichtung und Taupunkt in °C) sowie den, wenn auch die Ursachenfrage nicht abschließend vom GME-Modell assimilierte Temperatur in 500 hPa beantwortet werden kann. (Isolinien 2 zu 2 °C) am 23.02.2005, 12 UTC. 88 J. Rapp: Starkschneefälle in Frankfurt/Main promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Antriebe für Niederschlag (großskalige Hebung) gab nächst nur leicht, ab etwa 14 UTC verstärkt zu es allerdings nicht. schneien. Bei Temperaturen, die etwas unter dem Ge- frierpunkt lagen, blieb der Schnee auf den Straßen lie- Zum Höhentief korrespondierte ein Tiefdruckgebiet gen. Die mäßigen bis starken Schneefälle dauerten ei- am Boden, das sich vom östlichen Mitteleuropa bis nige Stunden an und ließen erst zwischen 17 und nach Italien erstreckte (Abb. 3). Auf seiner Nord- und 18 UTC spürbar nach. Sie lieferten Neuschneehöhen Westseite wurde kalte und relativ feuchte Luft heran- zwischen 3 (Bergen-Enkheim, nordöstlicher Stadt- geführt. Zeit- und gebietsweise schneite es, jedoch rand) und 7 cm (Eschersheim, Stadtteil im Norden meist nur mit geringer Intensität. Die Temperaturen Frankfurts). Im unmittelbaren Umland gab es dage- stiegen tagsüber auf maximal –3 bis 0 °C.Aufgrund der gen nur wenig Schneefall, so zum Beispiel am Flugha- Nähe zum Tiefdruckzentrum herrschte über dem fen 1 cm. Die gemessenen Niederschlagshöhen betru- Rhein-Main-Gebiet zu Beginn der Starkschneefälle gen im Taunus, Spessart und Odenwald meist nur we- nur schwache Luftbewegung, sowohl in unmittelbarer nige Zehntel Millimeter, in Ausnahmefällen bis zu Bodennähe (nördliche Winde mit einer Geschwindig- 1 mm. keit von 1 bis 3 m/s), als auch in größerer Höhe. Die Radarbilder zeigen dieses, sich offenbar auf das Frankfurter Stadtgebiet beschränkende, stationäre 3 Beschreibung des Phänomens Schneefallgebiet sehr deutlich (Abb. 4a und 4b). So- wohl auf dem 15 UTC- als auch auf dem 16.30 UTC- Bei starker Bewölkung begann es in den Mittagsstun- Bild sind die stärksten Echos (blaue Farbe) über den des 23. Februar im Frankfurter Stadtgebiet zu- Frankfurt zu erkennen. Im weiteren Verlauf wurde dann das Niederschlagsgebiet langsam nordostwärts

(a)

Abb. 2: Vom GME assimilierte relative Luftfeuchte in % (Iso- linien alle 15 %) in 700 hPa vom 23.02.2005, 12 UTC.

(b)

Abb. 4: Radarreflektivitäten im Rhein-Main-Gebiet vom Abb. 3: Bodenanalyse des DWD vom 23.02.2005, 12 UTC. 23.02.2005, (a) 15 UTC und (b) 16.30 UTC. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 J. Rapp: Starkschneefälle in Frankfurt/Main 89 verdriftet, wobei es sich gleichzeitig abschwächte. Ins- doch nicht vor (siehe Radiosondenaufstieg in Abb. 5a gesamt hatte dieses mesoskalige Phänomen eine Le- und b); Industrieschneefall (siehe HARLFINGER et bensdauer von rund fünf Stunden. al. 2000) war es daher nicht. Auch ein möglicher Effekt durch ein mesoskaliges Tief im Lee des Taunus ist Mit Einsetzen der Starkschneefälle drehte der Wind wegen der generell schwachen Strömungsdynamik, im Osten Frankfurts von Nord (360°) auf Südsüdwest aber auch aufgrund der gemessenen Luftdruckwerte (200°), im Westen der Stadt dagegen von Nord auf (HLUG-Messnetz) eher unwahrscheinlich. West (260°; Messwerte der Hessischen Landesanstalt für Umwelt und Geologie, HLUG 2005). Zusammen Neben dem Wärmeinseleffekt lieferte die dargestellte mit den nachmittags am Flughafen (im Südwesten), großräumig-synoptische Konstellation die notwendi- auf dem Kleinen Feldberg/Taunus (im Nordwesten) gen Voraussetzungen für die Bildung von konvektiv in- und in Hanau (im Osten des Rhein-Main-Gebiets ge- itiierten Starkschneefällen: legenen Stationen) registrierten Windrichtungen wur- • Höhenkalte Luft im Bereich eines über Deutsch- de eine zwar nur schwache, aber offensichtlich konver- land befindlichen Höhentiefs, die zu einer Labilisie- gente, zur Stadt bzw. zum Schneefallgebiet hin gerich- rung der entsprechenden Luftschicht führte, die je- tete Luftströmung erkennbar. doch allein noch nicht ausreichte, um Nieder- schlagsprozesse zu initiieren. • Zufuhr ausreichender Feuchte in der entscheiden- 4 Interpretationsversuch den, niederschlagsbildenden Luftschicht (etwa 1 bis 3 Kilometer Höhe). Die Radiosondenaufstiege von 12 Ganz allgemein sind niederschlagsverändernde Fakto- und 18 UTC der Station Idar-Oberstein zeigen eine ren durch Stadtgebiete nach SCHÜTZ (1996) im We- Feuchtezunahme in 1 bis 2 km Höhe (Abb. 5a und b). sentlichen: • Schwacher Boden- und Höhenwind, um Quasista- • die Beeinflussung der Wolkendynamik durch den tionarität und damit räumliche Konzentration des Wärmeinseleffekt und die städtische Oberflächen- Niederschlagsprozesses zu gewährleisten. rauigkeit, • Eingriffe in wolkenphysikalische Prozesse durch (a) Partikelemission aus verschiedenen Quellen und • die Modifizierung der Grenzschichtprozesse durch rauhigkeitsbedingte Tropfenablenkung im bodenna- hen Windfeld.

Der angesprochene Wärmeinseleffekt, der vermutlich ein wichtiger Grund für die Auslösung der Nieder- schläge war, ist in den vorliegenden Messdaten gut aus- zumachen. Mit Beginn der Starkschneefälle lag die bo- dennahe Temperatur im Stadtbereich von Frankfurt noch rund 1 K über der Umlandtemperatur, während sie sich im weiteren Verlauf den Temperaturverhältnis- sen im übrigen Rhein-Main-Gebiet annäherte (Tab. 1). Diese Temperaturerhöhung führte zu einer zusätz- lichen Labilisierung der unteren Atmosphäre. Sie war vermutlich groß genug, konvektive Niederschlagsbil- (b) dung in Gang zu bringen, solange die Temperatur in der mittleren Troposphäre (500 hPa, siehe oben) nie- drig genug und genügend Feuchte vorhanden war. Für die Niederschlagsentstehung können daneben natür- lich auch wolkenphysikalische Prozesse bzw. modifi- zierte Grenzschichtprozesse nicht ausgeschlossen wer- den. Eine signifikante, tief liegende Inversion lag je-

UTC 12 13 14 15 16 Frankfurt-Höchst - Wiesbaden Süd 0,6 0,7 1,1 0,3 0,2 Frankfurt-Ost - Riedstadt 1,1 0,9 1,2 0,3 -0,8

Tab. 1: Differenz der Lufttemperatur in °C am 23.02.2005 zwi- schen Frankfurter Stadt- und Umland-Messstationen Abb. 5: Radiosondenaufstiege von Idar-Oberstein vom (Daten: HLUG, 2005). 23.02.2005, (a) 12 UTC und (b) 18 UTC. 90 J. Rapp: Starkschneefälle in Frankfurt/Main promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Literatur: MÖLDERS, N., M. A. OLSON, 2004: Impact of urban effects on precipitation in high latitudes. J. Hydrometeorol. 5, 409-429. CHANGNON, S. A., 1973: Urban-industrial effects on clouds SCHÜTZ, M. , 1996: Anthropogene Niederschlagsmodifikatio- and precipitation. In: Wooldridge, G. L., Peterson, D. F.: Inad- nen im komplex-urbanen Raum. Geowissenschaften 14, vertent weather modification, a workshop. Utah State Univ., 249-252. 111-139. SHEPHERD, J. M., H. PIERCE, A. J. NEGRI, 2002: Rainfall CHANGNON, S. A., Hrsg., 1980: METROMEX. A review and modification by major urban areas: Observations from space- summary. Meteor. Monogr. 40, 181 S. borne rain radar on the TRMM satellite. J. Appl. Meteorol. 41, 689-701. CHANGNON, S. A., T. R. SHEALY, R. W. SCOTT, 1991: Preci- pitation changes in fall, winter, and spring caused by St. Louis. J. Appl. Meteorol. 30, 126-134. HARLFINGER O., W. KOBINGER, G. FISCHER, H. PIL- Anschrift des Autors: GER, 2000: Industrieschneefälle – ein anthropogenes Phäno- men. Meteorol. Z., N. F. 9 (4), 231-236. Dr. Jörg Rapp HLUG (2005): Messwerte im Internet. Fachgebiet Luftreinhal- Deutscher Wetterdienst tung, Hessische Landesanstalt für Umwelt und Geologie, Vorhersage- und Beratungszentrale Wiesbaden, http://www.hlug.de/medien/luft/messnetz/index.htm Kaiserleistr. 42 LOWRY, W. P., 1998: Urban effects on precipitation amount. 63067 Offenbach am Main Prog. Phys. Geog. 22 (4), 477-520. E-Mail: [email protected] promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 91-94 (März 2006) 91 © Deutscher Wetterdienst 2006

Zur Entwicklung und zum Stand der gestuften Studiengänge Bachelor und Master

A. HENSE

Studienfach Meteorologie an den deutschen Universitäten

1 Einleitung Studiengänge auf der Basis des Bologna-Prozesses haben die bislang mit der Durchführung der Diplomstudiengän- Ende der 1990er Jahre wurde eine Initiative gestartet, das ge betrauten Organisationseinheiten an deutschen Hoch- Hochschulwesen in Europa zu harmonisieren. Auf der schulen (hier kurz meteorologische Institute genannt) in Grundlage einer Vereinbarung des Jahre 1998 (Sorbonne- Kooperation mit der Deutschen Meteorologischen Ge- Erklärung) zwischen den Bildungsministern Frankreichs, sellschaft (DMG) im Sommer 2004 eine Gruppe (die Deutschlands, Italiens und Großbritanniens erwuchs ein Konferenz der für den Diplom-Studiengang in Meteoro- Jahr später die Erklärung der Bildungsminister, die von logie ausbildenden Hochschulinstitute, KFM) beauftragt, Vertretern aus 29 europäischen Ländern am 19. Juni 1999 Empfehlungen für die Umstrukturierung und das ge- in Bologna unterzeichnet wurde. Die Vorbereitung und meinsame Vorgehen zu erarbeiten. Der Deutsche Wetter- Umsetzung dieser Erklärung wird als Bologna-Prozess dienst wurde stellvertretend für die Arbeitgeberseite be- bezeichnet. ratend hinzugezogen. Zur gleichen Zeit wurde eine ent- sprechende Empfehlung der Deutschen Physikalischen Die Ziele des Bologna-Prozesses lassen sich in drei große Gesellschaft DPG mit dem gleichen Ansinnen veröffent- Themen zusammenfassen: Die Förderung von (1) Mobi- licht. lität, (2) internationaler Wettbewerbsfähigkeit und (3) Beschäftigungsfähigkeit. Dies umfasst als Unterziele un- Zweck der Empfehlungen ist es, das Wegfallen der Rah- ter anderem: menprüfungsordnung im Diplomstudiengang Meteorolo- • die Schaffung eines Systems leicht verständlicher und gie zu kompensieren. Im Rahmen des Bologna Prozesses vergleichbarer Abschlüsse, auch durch die Einführung muss jeder neue Studiengang durch ein Akkreditierungs- des Diplomzusatzes (Diploma Supplement); verfahren einen gewissen inhaltlichen Standard erfüllen, • die Schaffung eines zweistufigen Systems von Stu- die zuständigen Akkreditierungsagenturen sind jedoch dienabschlüssen (konsekutive Studiengänge, under- auf die Zuarbeit der entsprechenden wissenschaftlichen graduate/graduate, derzeit insbesondere Bachelor Gesellschaften angewiesen, diese Standards vorher fest- und Master); zulegen. Konsequenterweise sind deshalb die Deutsche • die Einführung eines Leistungspunktesystems, dem Meteorologische Gesellschaft und der Deutsche Wetter- European Credit Transfer System (ECTS), und einer dienst seit 2005 Mitglieder der bundesweit größten Ak- Modularisierung; kreditierungsagentur ASIIN (http://www.asiin.de) in Düs- • die Förderung der Mobilität durch Beseitigung von seldorf, wobei die Studiengänge Meteorologie im Fach- Mobilitätshemmnissen; dies meint nicht nur räumliche ausschuss 11 Geowissenschaften angesiedelt sind. Ge- Mobilität, sondern auch kulturelle Kompetenzen, Mo- meinsamer Vertreter von DMG und DWD in diesem Aus- bilität zwischen Hochschulen und Bildungsgängen schuss ist der Autor. oder lebenslanges und lebensbegleitendes Lernen; • Qualitätsentwicklung der Hochschulausbildung durch Fakultätsentwicklung, Akkreditierung der Studiengän- 2 Übergeordnetes Ziel gestufter Studiengänge in ge, Förderung der europäischen Zusammenarbeit bei Meteorologie der Qualitätsentwicklung; • die Förderung der europäischen Dimension in der Ziel des Studiums im Fach Meteorologie ist die Erlan- Hochschulausbildung; gung von Kenntnissen und Fertigkeiten, die zur Ausübung • das lebenslange bzw. lebensbegleitende Lernen; des Berufs des Meteorologen befähigen. Diese umfassen • die studentische Beteiligung; im weitesten Sinne die Fähigkeit zu einer mathematisch- • die Förderung der Attraktivität des europäischen naturwissenschaftlichen Betrachtung, Analyse und Vor- Hochschulraumes; hersage von Umweltveränderlichkeiten, die in oder mit • die Verzahnung des europäischen Hochschulraumes der Atmosphäre einhergehen. In der Ausbildung müssen mit dem europäischen Forschungsraum, insbesondere besonders die Fähigkeit zur selbstständigen Lösung stets durch die Eingliederung von Promotionsstudiengän- wechselnder Probleme und zur flexiblen Reaktion auf gen in den Bologna Prozess. veränderte Herausforderungen und zur Innovation ver- mittelt werden. Das kann nur erfolgreich geschehen, Auf Grund der somit anstehenden Umstrukturierungen wenn einerseits umfangreiche, spezielle Kenntnisse über der Diplomstudiengänge für Meteorologie in gestufte die vielfältigen Phänomene in der Atmosphäre erworben 92 Zur Entwicklung und zum Stand der gestuften Studiengänge Bachelor und Master promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 werden, andererseits die Methoden beherrscht werden, Folgenden Studienbereiche und Fächer sollen im BSc- mit denen im Atmosphärensystem zukünftige Entwick- Studiengang Meteorologie enthalten sein: lungen prognostiziert werden können. Besonders hervor- - Grundlagen der Meteorologie, zuheben ist das Erwerben der Fähigkeit zur Weiterent- - theoretische Meteorologie, wicklung von Methoden und Verfahren zur Beobachtung - Synoptik und Wettervorhersage, und Prognose. - angewandte Meteorologie, - meteorologische Beobachtungssysteme und -verfahren, Die Meteorologieausbildung an deutschen Universitäten - experimentelle Physik, ist international auf höchstem Niveau. Die Absolventen - theoretische Physik, haben nachweislich bei nationalen und internationalen - Mathematik. Forschungseinrichtungen sowie bei einem breiten Spek- trum von sonstigen Arbeitgebern, das von den staatlichen Es wird empfohlen, Module und Studienplan so zu gestal- und so genannten privaten Wetterdiensten in verschiede- ten, dass bis zum Ende des dritten Semesters die Durch- nen europäischen Ländern über Organisationen zur Um- lässigkeit zwischen der Meteorologie und anderen physi- weltüberwachung und Versicherungen bis zur Industrie kalischen Fachrichtungen wie Physik, Geophysik und reicht, beste Einstiegschancen.Auf der Grundlage der ho- Ozeanographie zumindest grundsätzlich erhalten bleibt, hen Qualität der vermittelten Qualifikationen findet ein um Fachwechsel ohne großen Zeitverlust zu ermöglichen. großer Teil der Absolventen forschungsnahe Arbeitsplät- Weitere Ausführungen zu den Ausbildungsinhalten sind ze. Das Spezifikum der Meteorologieausbildung besteht dem Anhang zu entnehmen, der auch Angaben zu den in der Fähigkeit zur umfassenden Systembehandlung auf ECTS-Punkten enthält. Die Bachelor-Arbeit soll zeigen, rigoroser mathematisch-physikalischer Grundlage und dass der Studierende bei entsprechender Anleitung wis- unter Verwendung exakter Methoden. senschaftliche Methoden sicher anwenden kann. Sie hat eine Dauer von maximal 2,5 Monaten und soll eine the- matische Präsentation einschließen. 3 Empfehlungen für den Bachelor-Studiengang Meteorologie Nach sechs Semestern wird den Studierenden mit der Verleihung des Grads ,Bachelor of Science’ der Erwerb Der BSc-Studiengang (Bachelor of Science) vermittelt der meteorologischen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie die Grundlagen der Meteorologie, gleichzeitig aber auch der dafür erforderlichen mathematisch-naturwissen- die Anwendung und Umsetzung wissenschaftlicher Er- schaftlichen Grundkenntnisse bestätigt. Aus dem mit der kenntnisse. Die Meteorologie ist eine hoch spezialisierte Urkunde ausgehändigten „Supplement“ mit Nennung Fachrichtung, mit einer starken Ausrichtung auf For- der abgeprüften Fächer und der Zensuren gehen die De- schungsaspekte. Um in einem zweistufigen System den tails der erbrachten Studienleistungen hervor. dafür erforderlichen und auch nachgefragten Qualitäts- standard zu erreichen, muss der BSc-Studiengang zentra- le meteorologische Inhalte und Befähigungen in mindes- 4 Empfehlungen für den Master-Studiengang tens 50 % der Studienleistungen vermitteln. Komplemen- Meteorologie tär ist es erforderlich, die benötigten allgemeinen mathe- matischen und physikalischen Grundlagen zu vermitteln. Der Master-Studiengang führt die Studierenden an mo- Dies erfolgt durch Lehrimport aus diesen beiden Fä- derne Methoden der Forschung heran. Zentrales Ziel ist chern. neben der Vertiefung des meteorologischen Fachwis- sens, die durch das wissenschaftliche Profil der Univer- Der BSc-Studiengang legt im Fach Meteorologie die the- sität und/oder des jeweiligen meteorologischen Instituts oretischen und experimentellen Grundlagen und stellt mitbestimmt wird, die Befähigung zur wissenschaft- den Erwerb der erforderlichen mathematisch-physikali- lichen Tätigkeit. Diese Qualifikation wird formal durch schen Grundlagen für das nachfolgende MA-Studium si- das erfolgreiche Absolvieren des MSc-Abschlusses, in- cher. Die im BSc-Studiengang erworbenen Kenntnisse haltlich durch die MSc-Arbeit, nachgewiesen. Eingangs- und Fähigkeiten zielen nicht auf die Qualifikation zu wis- voraussetzung ist ein abgeschlossenes BSc-Studium in senschaftlicher Tätigkeit. Der BSc-Studiengang bietet Meteorologie oder ein gleichwertiger Abschluss. Die aber eine hinreichend breite, fachliche Grundlage und er- Zulassung von Bewerbern mit anderen mathematisch- laubt es so, die erforderliche Berufsbefähigung zu errei- naturwissenschaftlichen Abschlüssen bzw. Qualifikatio- chen. nen wird durch die MSc-Prüfungsordnung, die Eig- nungsprüfungen enthalten kann, geregelt. Es muss si- Die Ausbildungsinhalte werden in Module zusammenge- chergestellt sein, dass BSc-Absolventen mit anderer fasst werden, die sich jeweils über ein bis zwei Semester fachlicher Ausrichtung das für den MSc-Abschluss er- erstrecken und die studienbegleitend geprüft werden. Die forderliche meteorologische Wissen erwerben; im Inhalte der Module bauen grundsätzlich aufeinander auf. Gegenzug sollen ihnen dafür Teile des bisherigen Studi- In der Prüfung können deshalb auch Kenntnisse abge- ums als Nebenfach anerkannt werden. Entsprechendes fragt werden, die Voraussetzung für die Teilnahme am je- gilt für die Anerkennung von Studienleistungen aus Di- weiligen Modul sind. plom-Studiengängen. promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 Zur Entwicklung und zum Stand der gestuften Studiengänge Bachelor und Master 93

Der MSc-Studiengang gliedert sich in zwei jeweils etwa startet. Um den gegenwärtigen Stand der Einführung zu einjährige Abschnitte, die fachliche Vertiefungsphase und dokumentieren, ist danach eine Einteilung in drei Kateg- die Forschungsphase. In der fachlichen Vertiefungsphase orien möglich: wird meteorologisches Spezialwissen vermittelt, das auf den in der BSc-Phase gelegten Grundlagen aufbaut. Hin- (1) Vorbereitungsphase: Erstellung der Studienpläne in zu kommt ein weiteres, das Meteorologiestudium sinnvoll Form von Modulen (Abprüfbare Lehrveranstaltun- ergänzendes Modul, das der Studierende in Absprache gen), Formulierung der Anforderung an die Studie- mit dem Studienfachberater wählt (Nebenfach). Die For- renden gemäß des ECTS, Erstellung von Modulbe- schungsphase dient dem Erlernen selbständigen wissen- schreibungen, Prüfungsordnungen, Studienordnun- schaftlichen Arbeitens. Neben der Bearbeitung eines Pro- gen, Koordination mit Nachbarfächern; jektes im Rahmen eines Forschungspraktikums ist ihr (2) Akkreditierungsphase: Erstellung der Antrags auf zentrales Element die MSc-Arbeit im Umfang von sechs Akkreditierung, Antrag bei einer Akkreditierungs- Monaten. In der MSc-Arbeit ist der Nachweis zur Befähi- agentur, Begehung des Fachbereichs durch eine Gut- gung zu wissenschaftlicher Forschung untrennbar verbun- achterkommission der Agentur, Akkreditierung mit den mit dem Erwerb von Schlüsselqualifikationen wie oder ohne Auflagen; zum Beispiel Projektmanagement,Teamarbeit sowie Dar- (3) Beginn der Studiengänge (dies kann u. U. auch be- stellung und Präsentation wissenschaftlicher Ergebnisse. reits vor der Akkreditierung erfolgen). Weitere Ausführungen zu den Ausbildungsinhalten sind dem Anhang zu entnehmen, der auch Angaben zu den Die folgende Tabelle gibt nun den Stand an den entspre- ECTS-Punkten enthält. chenden Universitätsstandorten wieder:

Nach vier Semestern wird mit der Verleihung des Grads Freie Universität Berlin Beginn des BSc-Studiengangs ,Master of Science in Meteorology’ bestätigt, dass die Stu- (seit WS 05/06), vor Akkreditierung dierenden mathematisch-naturwissenschaftliche Grund- Universität Hannover Akkreditierungsphase kenntnisse sowie meteorologische Spezialkenntnisse er- (Beginn Studiengänge WS 06/07) worben haben und zur selbständigen Anwendung wissen- Universität Leipzig Akkreditierungsphase schaftlicher Methoden auf dem Gebiet der Meteorologie (Beginn Studiengänge WS 06/07) befähigt sind. Aus dem mit der Urkunde ausgehändigten Universität Bonn Vorbereitungsphase „Supplement“ gehen die abgeprüften Fächer und die Universität zu Köln Vorbereitungsphase Zensuren hervor. Ferner wird der Titel der MSc-Arbeit Universität Kiel Vorbereitungsphase (mit aufgeführt und damit ein Hinweis auf die im Masterstu- Ozeanographie und Geophysik) dium erfolgte Spezialisierung gegeben. Universität München Vorbereitungsphase (mit Physik, Beginn WS 06/07) Universität Mainz Vorbereitungsphase 5 Empfehlungen für den Promotionsstudiengang Universität Karlsruhe Vorbereitungsphase Meteorologie Universität Hamburg Vorbereitungsphase Universität Frankfurt Vorbereitungsphase (mit Physik) Das Ziel der Promotion ist der Nachweis der Befähi- gung zum selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten durch die eigenständige und erfolgreiche Bearbeitung einer wissenschaftlichen Fragestellung. Die Promotion Literatur ist in der Regel die Voraussetzung für eine Anstellung im akademischen Bereich und in anderen leitenden wis- Die Einleitung zitiert aus: senschaftlichen Arbeitsbereichen. In der Vergangenheit hat stets ein erheblicher Anteil der Diplomabsolventen Artikel Bologna-Prozess. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. in Meteorologie promoviert. Daher ist die Promotions- Bearbeitungsstand: 5. Februar 2006, 00:34 UTC. URL: phase integraler Bestandteil der Lehre an meteorologi- http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Bologna-Prozess& oldid=13387463 (Abgerufen: 7. Februar 2006, 10:13 UTC) schen Hochschulinstituten und sollte als dritte Stufe bei neuen gestuften Studiengängen berücksichtigt werden. Abschnitte 2 bis 5 wurden durch die KFM zusammen- Einschlägige MSc-Abschlüsse qualifizieren grundsätz- gestellt unter Federführung von Prof. Clemens Sim- lich zur Promotion im Fach Meteorologie. Die Zulas- mer, Meteorologisches Institut Universität Bonn. sung zum Promotionsstudium wird in einer Promotions- ordung geregelt. Anschrift des Autors:

6. Der gegenwärtige Stand der Einführung gestufter Prof. Dr. Andreas Hense Studiengänge Meteorologisches Institut der Universität Bonn Auf dem Hügel 20 Im Februar 2006 wurde eine Anfrage bei allen Fachberei- 53121 Bonn chen Meteorologie an den deutschen Universitäten ge- E-Mail: [email protected] 94 Zur Entwicklung und zum Stand der gestuften Studiengänge Bachelor und Master promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

H. BAUER

Bachelorstudiengänge an der Fachhochschule des Bundes

Seit 1979 bildet die Fachhochschule des Bundes für öf- wahrgenommenen Aufgaben auf den gehobenen Wetter- fentliche Verwaltung (kurz „FH Bund“) Beamtennach- dienst vor. Dem wird die Einstellungspraxis des DWD wuchs des gehobenen nichttechnischen Dienstes aus. In künftig verstärkt Rechnung tragen müssen. 10 Fachbereichen werden die zur Erfüllung ihrer Aufga- ben erforderlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Für spezielle Fachaufgaben in Verwaltung, IT und For- Methoden, aber vor allem berufspraktische Fähigkeiten schung können die Bewerber gezielt aufgrund der neuen und Kenntnisse vermittelt. Professoren und hauptamt- universitären Bachelor (BSc)- und Master (MSc)- Ab- lich Lehrende des Deutschen Wetterdienstes (DWD) schlüsse eingestellt werden. Die auch im Hinblick auf und des Geoinformationsdienstes der Bundeswehr mögliche Organisationsänderungen benötigte große Ver- (GeoInfoDBw) unterrichten gemeinsam im Fachbereich wendungsbreite der Beamten des gehobenen Wetter- „Wetterdienst“. dienstes spricht jedoch auch für die Beibehaltung des be- währten dreijährigen FH Bund-Studiums. Obwohl grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, wird an der FH Bund derzeit intensiv über die durch den Bologna- Bei Einführung eines Bachelor-Studienganges an der Prozess geforderte Umstrukturierung der Studiengänge Fachhochschule des Bundes stünde weiterhin ein eigen- nachgedacht. Eine erste Weichenstellung wird von der Ku- ständiger berufsqualifizierender Bildungsweg zur Verfü- ratoriumssitzung im Mai 2006 erwartet. gung, den der DWD zur bedarfsorientierten Ausbildung seines Nachwuchses weitgehend selbst gestalten kann Das einsemestrige Grundstudium der insgesamt dreijäh- und der die Fortführung der gemeinsamen Ausbildung rigen Ausbildung soll künftig aus fünf interdisziplinären mit dem GeoInfoDBw ermöglicht. Modulen der Fachgebiete Dienstrecht, Verwaltungsrecht, Zivilrecht, Staatsrecht, BWL, Öffentliche Finanzen und PSP (Pädagogik-Soziologie-Psychologie) bestehen. Hin- Literatur zu kommen allgemeine Fertigkeiten wie Sprachen („Internationalisierung der Lehre und des Lernens“), Eckpunkte zur Einführung modularisierter Bachelorstudiengän- Verwaltungsinformatik und die sog. Schlüsselkompeten- ge der FH-Bund, Empfehlungen der Studienplankommission, zen (Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz), für die 23.11.2005 Leistungspunkte im Optionalbereich der „Zentralen Einrichtung“ (Brühl) erworben werden können. Weitergehende Informationen können der Homepage der FH-Bund entnommen werden: Anzahl und Inhalte der Module des sich anschließenden http://www.fhbund.de fünfsemestrigen Hauptstudiums (einschließlich der Ba- chelor-Arbeit) legt der Fachbereich Wetterdienst fest. Die Module sollen zum großen Teil denjenigen der meteoro- Anschrift des Autors: logischen Institute entsprechen (s. Beitrag von Prof. Dr. Hense), jedoch mit sehr viel stärkerer Praxisorientierung Dipl.-Met. Hans Bauer und vorrangiger Ausrichtung auf das Berufsbild des Wet- Deutscher Wetterdienst terberaters im DWD. Bildungs- und Tagungszentrum Am DFS-Campus 4 Die Strategie des DWD sieht die Übertragung einiger der 63225 Langen derzeit noch von Beamten des höheren Wetterdienstes E-Mail: [email protected]

Buchbesprechungen

Rundgespräche der Kommission für Öko- Pfeil, ISSN 0938-5851, ISBN 3-89937- „Wir hoffen, einen Beitrag zur Versachli- logie, Band 28: Klimawandel im 20. 051-1, 2005, 136 Seiten, 22 Farb- und chung der Diskussion zum Thema »Kli- und 21. Jahrhundert: Welche Rolle 36 Schwarzweiß-Abbildungen, 6 Ta- mawandel und Klimamodellierung« zu spielen Kohlendioxid, Wasser und bellen, 24 x 17 cm. Buchausgabe in- leisten.“ Das haben sich die Organisato- Treibhausgase wirklich? Herausge- zwischen vergriffen, aber als CD- ren eines am 17. Mai 2004 in München ber: Bayerische Akademie der Wis- ROM bzw. pdf-Datei weiterhin er- durchgeführten Rundgesprächs der Baye- senschaften, Verlag Dr. Friedrich hältlich. rischen Akademie der Wissenschaften promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006 Buchbesprechungen 95

(Kommission für Ökologie) gewünscht. gionalplanung. Die früher verwendeten der Lufttemperatur an drei Messpunkten Und in der Tat leistete es einen nennens- Verfahren der Abschätzung dieser Grö- zeigt sich, dass die berechneten Kaltluft- werten Beitrag hierzu, zumal es einige ßen mittels Informationen über die topo- höhen eine für die planerische Anwen- führende Vertreter der deutschsprachigen graphische Struktur des Beratungsraums dung ausreichende Genauigkeit aufwei- Klimaforschung, unter anderem Prof. Dr. und empirisch gefundener Beziehung zwi- sen. In einer Fallstudie wurde die simu- Hartmut Graßl, Prof. Dr. Jost Heintzen- schen Hangneigung, Rauigkeit der Ober- lierte Stärke und Richtung von nächt- berg, Prof. Dr. Heinz Wanner und Prof. fläche und meteorologischer Situation, lichen Kaltluftabflüssen mit Messungen Dr. C.-D. Schönwiese, an den „runden wie sie in der Arbeit von King 1973 be- des bodennahen Windes während Strah- Tisch“ zu einem Gedankenaustausch reitgestellt wurden, ist inzwischen durch lungsnächten in einer Mittelgebirgsregion führte. Schließlich galt es dabei auch, die entsprechende numerische Modelle abge- verglichen. Auch hier zeigte sich eine be- Folgerungen zu diskutieren, die sich aus löst worden. friedigende Übereinstimmung. In einem dem aktuellen Kenntnisstand für die Poli- weiteren Experiment wurden anhand von tik wie für jeden Einzelnen ergeben. Da- Das hier vorgestellte KLAM_21 ist ein visualisierten Rauchverlagerungen die bei standen auch die kritischen Stimmen, zweidimensionales mathematisch-physi- mit dem KLAM_21 flächendeckend be- die einen Zusammenhang der derzeit ab- kalisches Simulationsmodell zur Berech- rechneten Strömungs- und Konzentra- laufenden Klimaänderung mit dem An- nung von Kaltluftflüssen und Kaltluftan- tionsfelder überprüft. Abschließend folgt stieg der Treibhausgase negieren, nicht sammlungen, das auch die Strömungsge- eine Studie zur Modellierung einer Kom- außen vor. schwindigkeit und die Mächtigkeit abströ- bination von lokalen Kaltluftabfluss-Sys- mender Kaltluft abzuschätzen gestattet. temen mit gleichzeitig auftretenden ther- Nun dokumentiert ein neu erschienenes misch induzierten Windsystemen wie Buch aus dem Pfeil-Verlag in München In den ersten drei Kapiteln wird das Mo- Flurwinden und Landwinden. In einer Si- diesen überaus interessanten Meinungs- dell in seinen theoretischen Grundlagen mulationsrechnung in der Region der austausch. Von besonderem Reiz und in übersichtlich vorgestellt. Es basiert auf neuseeländischen Stadt Christchurch dieser Ausführlichkeit eher ungewöhnlich den Bewegungsgleichungen in der atmo- wurde diese Wechselwirkung ausführlich ist die Dokumentation der Diskussions- sphärischen Bodenschicht einschließlich untersucht. Im Ergebnis zeigt sich, dass beiträge zu den einzelnen Vorträgen. Die- der Einflüsse der Bodenreibung und der die Möglichkeit des Modells KLAM_21 se sind mit Literaturzitaten und durch den lokalen Energiebilanz. Die numerische zum Nesting eine solche Kombination Abdruck der Abschlussdiskussion sowie Lösung dieses Modells erfolgt für ein von Windsystemen in unterschiedlichen einer lesenswerten Zusammenfassung des rechteckiges Modellgebiet, in dem die Skalenbereichen gut zu modellieren ge- Rundgesprächs angereichert. Die Aus- Bodenparameter wie Bodenhöhe, Rauig- stattet. stattung der Einzelbeiträge mit Abbildun- keitslänge, die Schichtdicke und der gen ist meist instruktiv und ausgewogen. Kälteinhalt der vertikalen Kaltluftsäule Abschließend wird in einem als Sonder- Bedauerlicherweise sind die Beiträge zur sowie die horizontalen Geschwindigkeits- kapitel bezeichneten Abschnitt das Hand- regionalen Klimamodellierung und zu komponenten u und v berechnet werden. buch zur „Handhabung des Modells den gesellschaftlichen Aspekten des Kli- Für jede Gitterzelle sind Bodenparameter KLAM_21“ vorgestellt, das im Einzelnen mawandels sehr kurz geblieben, so dass anzugeben, die zur Bestimmung der dem potentiellen Anwender Antwort auf der Leser prinzipiell keine umfassende Energiebilanz der Erdoberfläche verwen- die praktischen Fragen der Anwendung Wiedergabe der rezenten Klimadiskus- det werden. Die räumliche Auflösung des des Modells gibt. Dabei erfährt man nun sion hierzu erwarten darf. Modells und die Zeitschritte sind am näher, mit welchem Betrag z. B. die nächt- CFL-Kriterium orientiert. Für die seit- liche langwellige Strahlungsbilanz als Dennoch: Der Band bietet einen gelunge- lichen Randbedingungen werden modell- Funktion von Landnutzung, Bedeckungs- nen, insbesondere für den nichtmeteorolo- typische Randbedingungen definiert. In grad mit Wolken und Bebauungsdichte in gischen Fachmann und den interessierten Kapitel 4 und 5 folgt die Beschreibung die Rechnung eingeht. Diese Angaben so- Laien geeigneten Überblick über wichtige des Modellablauf und der Modellerweite- wie auch eine Diskussion der Abhängig- Bereiche der aktuellen Klimadiskussion. rung hinsichtlich wandartiger Hinder- keit der effektiven Ausstrahlung von der Bedauerlicherweise ist der Papierdruck nisse, die die Ausbreitungsbedingungen Jahreszeit, von den Bodeneigenschaften vergriffen. Immerhin hat sich der Verlag und Strömungsverhältnisse signifikant und von der Anwesenheit einer Schnee- dazu entschlossen, eine elektronische Ver- beeinflussen und des Nesting. Die Leis- decke hätte man bereits in den ersten Ka- sion der Rundgespräche zu veröffent- tungsfähigkeit des aus der einfacheren piteln erwartet, die auch dort kaum Ver- lichen (http://www.pfeil-verlag.de). Version KLAM weiterentwickelten Mo- weise auf die entsprechende Literatur dells KLAM_21 zeigt der Autor im sech- enthalten. J. Rapp, Offenbach/Main sten Kapitel (unter Mitwirkung vom M. Kossmann). Das in der gutachterlichen Praxis des Deutschen Wetterdienstes verwendete Weil die Größenordnungen der berechne- Modell ermöglicht, wie an den zahlrei- SIEVERS, U.: Das Kaltluftabfluss-Mo- ten Kaltlufthöhen sowohl für den Antrieb chen Beispielen gezeigt, die Simulation dell KLAM_21. Theoretische Grund- der simulierten Kaltluftabflüsse als auch von Kaltluftabflüssen im komplexen Ge- lagen, Anwendung und Handhabung für die Überströmungen von Geländeer- lände mit einer für die Anwendung aus- des PC-Modells. Berichte des Deut- hebungen, Gebäuden und anderen Strö- reichenden Genauigkeit. schen Wetterdienstes 227, 2005, 101 S. mungshindernissen von entscheidender In der Anlage: CD „Das Kaltluftab- Bedeutung sind, werden die berechneten Der Publikation liegt eine Demonstra- fluss-Modell KLAM_21. PC-Demon- Kaltlufthöhen mit Beobachtungsdaten tionsversion mit zahlreichen Beispielen strationsversion“, Preis: 30,-- € zuzüg- verglichen. In den ersten Stunden nach auf CD bei, die gegenüber der Vollversion lich MwSt u. Versandkosten. Beginn eines Kaltluftabflusses zeigen sich eine eingeschränkte Funktionalität be- gute Übereinstimmungen, während nach sitzt. Zur Demonstration der Arbeits- Die Bewertung von Kaltluftflüssen und längerer Simulationszeit sich deutlich nie- weise des Modells sind beispielhafte Ein- Kaltluftansammlungen in orographisch drigere simulierte Kaltlufthöhen ergeben. gabedateien und Simulationsresultate auf gegliedertem Gelände gehört zu den re- Im Verglich von mit Radiosonden gemes- der CD vorhanden. gelmäßigen Bestandteilen amtlicher Gut- senen und mit den vom KLAM_21 be- achten für die Standort-, Stadt- und Re- rechneten, normierten Vertikalprofilen A. Helbig, Trier 96 promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 96 (März 2006) © Deutscher Wetterdienst 2006

Nachruf auf Friedrich Wippermann

Im letzten Jahr, am 22. Mai 2005, ist Professor Dr. Friedrich Wippermann am Beginn seines 84. Lebensjahres gestorben. Mit ihm hat die Meteorologie in unserem Land einen der herausragendsten Kollegen verloren, der in einem weiten Feld, in der Forschung, in der Lehre, in der Forschungspolitik, im Bereich der Meteorologischen Gesellschaft, die Geschicke über viele Jahre entschei- dend mit beeinflusst und vorangetrieben hat. Sein Lebenswerk wurde bereits an anderer Stelle gewürdigt (Günter Groß und Die- ter Etling, Mitteilungen der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft, Heft 3/4, 2005, S. 42). Die Zeitschrift promet ist jedoch oh- ne Friedrich Wippermann nicht zu denken, so dass eine kurze Würdigung hier besonders angebracht ist.

Geboren wurde Friedrich Wippermann in Stotzheim (21. April 1922) in der Eifel und somit fiel seine Studienzeit mit den ersten Kriegsjahren zusammen. Sein Studium der Meteorologie absolvierte er im Rahmen der damals durchgeführten „Kurzaktion“, zu der die Studierenden in Gruppen zusammen gezogen und von den besten Lehrern in kürzester Zeit im Rahmen von drei Jahren zum Studienabschluss geführt wurden. So hat Fritz Wippermann bereits mit 21 Jahren, nach Studienjahren in Prag und Leipzig, im Jahr 1944 sein Diplom erworben. Der enge Kontakt der Beteiligten während dieser Studienjahre untereinander hat dazu ge- führt, dass der Kreis der „Jungmeteorologen“ bis ins Pensionärsalter kameradschaftlich eng verbunden blieb. Die Jüngeren konn- ten von Fritz Wippermann beim abendlichen Glas Wein manch lustige Geschichte aus dieser Zeit hören.

Wie etliche seiner Kollegen (u. a. Karlheinz Hinkelmann und Günther Hollmann) hat er nach dem Kriegsdienst das Studium er- neut aufgenommen bzw. hat sich der wissenschaftlichen Weiterbildung gewidmet. So hat er neben der Tätigkeit als Wetterdienst- techniker im Wetterdienst der „französischen Zone“ bei Fritz Möller, der zu dieser Zeit noch als Dozent an der Universität Frank- furt/M. tätig war, seine Promotion 1948 abgeschlossen.

Anschließend wechselte er nach Bad Kissingen, wo der Wetterdienst in der „US-Zone“ seinen zentralen Sitz hatte. Hier erlebte er in der Forschungsabteilung gemeinsam mit anderen, die dann einen ähnlichen Weg wie er aus dem Wetterdienst zurück zur Universität als Hochschullehrer fanden, eine sehr fruchtbare Zeit der Beschäftigung mit den Grundlagen der Numerischen Wet- tervorhersage.

Fritz Wippermann gehörte noch zu jenen Lehrstuhlinhabern, die zunächst im praktischen Dienst mit der täglichen Wettervor- hersage, anschließend in der Forschungsabteilung mit der Schaffung der Grundlagen für die numerische Wettervorhersage reiche Erfahrung mit den Phänomenen des aktuellen Wetters sich erworben haben, bevor sie dann als Hochschullehrer tätig wurden. Diese Grunderfahrung spiegelte sich besonders im Wirken seiner späteren Forschungsarbeiten wieder, die für ihn nicht reine aka- demische Übungen waren, sondern das Streben, möglichst frühzeitig auch Lösungen für die Anwendung bereitzustellen, stand im Vordergrund. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass er, nachdem er im Jahr 1963 den Lehrstuhl für Meteorologie an der Tech- nischen Hochschule Darmstadt übernommen hatte, ein sehr erfolgreiches Verfahren für die Behandlung der turbulenten Aus- breitung von Luftverunreinigungen ausarbeitete, das bei der Bemessung von Schornsteinhöhen in seinen Grundzügen bis heute im Bereich der Luftreinhaltung angewandt wird.

Das Bemühen der Verknüpfung von Forschung, akademischer Lehre und Anwendung stand auch Pate bei der Gründung einer neuen Zeitschrift für Meteorologen. Als Leitbild stand ihm eine Zeitschrift vor Augen, die nicht zu sehr überfrachtet ist von lan- gen theoretischen Ableitungen oder von zu sehr ins einzelne gehenden technischen Details, die aber dennoch Beiträge auf der Höhe des Wissensstandes aus den einzelnen, sich rasch entwickelnden Teilgebieten bereitstellt. Es sollte, wie er es gelegentlich formulierte, eine Zeitschrift sein, die ein im Beruf stehender und interessierter Meteorologe abends im Fernsehsessel mit Begei- sterung liest und die ihn anregt zu eigener Beschäftigung mit der Thematik. So hat er in der Zeit, als er Vorsitzender des Zweig- vereins Frankfurt der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft war, zuerst ein „Nullheft“ unter dem Titel Meteo herausge- bracht. Nach der Schaffung der finanziellen Voraussetzungen für die Herausgabe dieser Schriftenreihe im Deutschen Wetter- dienst hat er dann unter Mitwirkung anderer – von ihm vorwiegend aus dem Hochschulbereich – angesprochener Autoren das erste Heft unter dem Namen promet zum Thema Turbulenz veröffentlicht. Seit dieser Zeit dient dieses Heft als Leitschnur für die Art der Behandlung unterschiedlichster Themen der Meteorologie in dieser als Fortbildung gedachten Zeitschrift.

Sich mit Fritz Wippermann unterhalten zu können, war stets ein großer Gewinn. Er hatte klare Vorstellungen zu den wissen- schaftlichen Themen, die vor allem aus dem Bereich der atmosphärischen Grenzschicht, der Turbulenz, der großräumigen Dyna- mik und der Wettervorhersage stammten. Er war ein hochgebildeter Mann, dessen reiches Wissen jeden Abend nach den Sitzun- gen des Wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Wetterdienstes, nach mancher Zusammenkunft zur Vorbereitung von For- schungsprojekten oder bei Tagungen immer zu einem Genuss werden ließen.

Friedrich Wippermann gebührt Dank, dass er so viel zum Ansehen und zur Förderung unserer Wissenschaft beigetragen hat.

F. Fiedler, Karlsruhe promet, Jahrg. 32, Nr. 1/2, 2006

Anschriften der Autoren dieses Heftes DR. MATTHIAS LUGAUER Deutscher Wetterdienst DR. ANDREAS DÖRNBRACK GB Forschung und Entwicklung Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Meteorologisches Observatorium Hohenpeißenberg DLR Oberpfaffenhofen Albin-Schwaiger-Weg 10 Institut für Physik der Atmosphäre 82383 Hohenpeißenberg 82234 Weßling jetzt: E-Mail: [email protected] Maria-Ward-Realschule Mindelheim Luxenhoferstraße 3 87719 Mindelheim PROF. DR. JOSEF EGGER E-Mail: [email protected] Universität München Meteorologisches Institut DIPL.-MET. DETLEV MAJEWSKI Theresienstraße 37 Deutscher Wetterdienst 80333 München GB Forschung und Entwicklung E-Mail: [email protected] Postfach 10 04 65 63004 Offenbach/Main PROF. DR. FRANZ FIEDLER E-Mail: [email protected] Universität Karlsruhe Institut für Meteorologie und Klimaforschung PROF. DR. GEORG MAYR Kaiserstrasse 12 Universität Innsbruck 76128 Karlsruhe Institut für Meteorologie und Geophysik E-Mail: [email protected] Innrain 52 A-6020 Innsbruck PD DR. CHRISTOPH FREI E-Mail: [email protected] Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie DR. OLIVER REITEBUCH MeteoSchweiz, Klimadienste Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Postfach 514 DLR Oberpfaffenhofen CH-8044 Zürich Institut für Physik der Atmosphäre E-Mail: [email protected] 82234 Weßling E-Mail: [email protected] DR. ALEXANDER GOHM Universität Innsbruck DIPL.-MET. BODO RITTER Institut für Meteorologie und Geophysik Deutscher Wetterdienst Innrain 52 GB Forschung und Entwicklung A-6020 Innsbruck Postfach 10 04 65 E-Mail: [email protected] 63004 Offenbach/Main E-Mail: [email protected]

DIPL.-MET. RENÉ HEISE DR. JÜRG SCHMIDLI Einsatzführungskommando der Bundeswehr ETH Zürich Dezernat Geoinformationsdienst Institut für Atmosphäre und Klima Postfach 60 09 55 Universitätsstraße 16 14409 Potsdam CH-8052 Zürich E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected]

DR. KLAUS-PETER HOINKA PROF. DR. REINHOLD STEINACKER Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Universität Wien DLR Oberpfaffenhofen Institut für Meteorologie und Geophysik Institut für Physik der Atmosphäre Althanstraße 14 82234 Weßling A-1090 Wien E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] DR. HANS VOLKERT PROF. DR. CHRISTOPH KOTTMEIER Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Universität Karlsruhe DLR Oberpfaffenhofen Institut für Meteorologie und Klimaforschung Institut für Physik der Atmosphäre sowie 82234 Weßling Forschungszentrum Karlsruhe/IMK E-Mail: [email protected] Postfach 3640 76021 Karlsruhe DR. PETER WINKLER E-Mail: Christoph.Kottmeier @imk.uka.de Deutscher Wetterdienst GB Forschung und Entwicklung DR. JOACHIM P. KUETTNER Meteorologisches Observatorium Hohenpeißenberg University Corporation for Atmospheric Research (UCAR) Albin-Schwaiger-Weg 10 Joint Office for Science Support (JOSS) 82383 Hohenpeißenberg Distinguished Chair for Atmos. Sciences and Internat. Research jetzt: Boulder, CO 80307-3000 Hechenbergstraße 9 USA 82362 Weilheim E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected]

Beilagenhinweis: Diesem Heft ist ein Korrekturblatt für folgende Ausgabe von promet beigefügt: Jahrg. 29, Nr. 1-4, S. 77. Bitte tauschen Sie die fehlerhafte Seite aus.