Aberkennungen der Doktorwürde im "Dritten Reich"

ERLANGERFORSCHUNGEN Sonderreihe Band 12

ABERKENNUNGEN DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"

DEPROMOTIONEN AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT DER FRIEDRICH- ALEXANDER- UNIVERSITÄT ERLANGEN

von

RENATE WITTERN und ANDREAS FREWER

unter Mitarbeit von

BETTINA SCHOTTNERund AN NA THIEL

Erlangen 2008 Die wissenschaftliche Buchreihe der ERLANGERFORSCHUNGENwurde gegründet mit Mitteln der Jubiläumsspende der Siemens AG Erlangen

Das Projekt zur Aberkennung der Doktorwürde wurde freundlicher Weise gefördert durch die Hochschulleitung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und das Dekanat der Medizinischen Fakultät

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

NE:

Verlag: Auslieferung: Universitätsbund Erlangen-Nümberg e. V. Universitätsbibliothek Erlangen Kochstraße 4, 91054 Erlangen Universitätsstraße 4,91054 Erlangen

Lasersatz: Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, FAU Erlangen-Nümberg Druck: Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt/Aisch

ISBN: 978-3-930357-85-7 ISSN: 0940-4694 INHALT

GELEITWORT DES REKTORS 5

GELEITWORT DES DEKANS DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT 7

1. EINLEITUNG 9

2. DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH" 17

3. NATIONALSOZIALISMUS IN ERLANGEN 37

4. EINZELB10GRAPHIEN DER BETROFFENEN 47

4.1 ABERKENNUNG WEGEN AUSBÜRGERUNG 47

4.2 ABERKENNUNG AUF GRUND VON GERICHTSURTEILEN 135

4.3 VERFAHREN OHNE ABERKENNUNG 205

5. DIE ABERKENNUNGSPRAXIS AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT 235

6. DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN AN DER ERLANGER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT IN DER NACHKRIEGSZEIT 243

7. VERZEICHNIS DER BIOGRAPHISCH DARGESTELLTEN PERSONEN 269

8. ABBILDUNGSVERZEICHNIS 271

9. VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN QUELLEN UND DER ARCHIVE 275

10. LITERATURVERZEICHNIS ZUR ENTZIEHUNG DER DOKTORWÜRDE 279

GELEITWORT DES REKTORS

An den deutschen Hochschulen wurde in der Zeit des "Dritten Reichs" unter dem Schein der Legalität eine große Zahl rechtmäßig erworbener Doktortitel wieder entzogen, ohne dass die universitären Gremien diesem Einbruch der Politik in die Wissenschaft Widerstand entgegen gesetzt haben. Auch die Friedrich-Alexander-Universität hat Doktorinnen und Doktoren, die unter der Ägide ihrer Fakultäten aufgrund wissenschaft- licher Leistungen graduiert worden waren, aus politischen und ideo- logischen Gründen aus der akademischen Gemeinschaft ausgestoßen. Nach dem Krieg wurde über die Doktorgradentzüge zumeist ein Mantel des Schweigens und Vergessens gebreitet. Viel zu spät haben wir begon- nen, uns an die besondere Schuld zu erinnern, die Universitäten durch solche Vorgänge auf sich geladen haben. Abgesehen von einigen promi- nenten Einzelfällen wurden diese menschenrechtsverletzenden Maßnah- men erst seit den 1990er Jahren verstärkt ins Bewusstsein gehoben. In Erlangen haben sich die beiden Philosophischen Fakultäten aus Anlass eines aktuellen Falles Ende der neunziger Jahre mit den Hinter- gründen der Aberkennungspraxis ihrer Vorgängerinstitution beschäftigt und die Betroffenen in ihrer Promotionsfeier im Jahre 1999 gewürdigt. Darüber hinaus halten sie die Erinnerung an die Opfer und das ihnen zu- gefügte Unrecht durch den jährlich verliehenen Lilly-Bechmann-Rahn- Preis wach. Nachdem in den letzten Jahren grundlegende Studien zur Pro- blematik der Aberkennungen der Doktorwürde erschienen sind und mehrere Universitäten sich öffentlich zu ihrer Verantwortung bekannt haben, hat die Hochschulleitung der Universität Erlangen-Nürnberg ihre anderen Fakultäten gebeten, sich ebenfalls dieses besonderen Kapitels ihrer Geschichte anzunehmen. Ich danke der Medizinischen Fakultät, dass sie diese Anregung unmit- telbar aufgegriffen hat und im Rahmen der diesjährigen Promotionsfeier ihrer Absolventinnen und Absolventen, die vor vielen Jahrzehnten Opfer der nationalsozialistischen Politik geworden sind, gedenken wird. Und ich

5 GELEITWORT DES REKTORS

danke der Arbeitsgruppe des Instituts für Geschichte und Ethik der Medi- zin, dass sie mit der vorliegenden Studie die Schicksale der Betroffenen aufzuklären versucht und damit einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte unserer Universität während des Nationalsozialismus geleistet hat. Als Rektor der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg stehe ich in der Rechtsnachfolge der Rektoren, unter deren Führung die Aberkennungen vorgenommen worden sind. Ich kann das Unrecht nicht ungeschehen machen, ich kann es nur im Namen der Universität zutiefst bedauern und die Nachkommen der betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Verzeihung bitten. Trotz der langen Zeit, die in- zwischen vergangen ist, hat die Universität das Bedürfnis, sich zu der Mitverantwortung, die uns unsere Geschichte aufgebürdet hat, zu beken- nen und damit zugleich an die historische Schuld der deutschen Hoch- schulen zu erinnern.

Prof. Dr. Karl-Dieter Grüske Rektor der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

6 GELEITWORT DES DEKANS DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT

Während der Zeit des Nationalsozialismus sind in Deutschland ungeheu- erliche Verbrechen verübt worden. Gerade die Medizin hat über die Ent- wicklung von Eugenik und "Euthanasie" in besonderem Ausmaß zu einer Wissenschaft ohne Menschlichkeit beigetragen, die ein schweres Erbe der deutschen Universitäten ist. Ärztinnen und Ärzte waren an vielen unmenschlichen Taten beteiligt oder haben sich instrumentalisieren lassen. Auch an der Erlanger Medizinischen Fakultät haben Universitätsange- hörige an der Umsetzung von Menschen verachtenden und Menschen vernichtenden Aktionen mitgewirkt, beispielsweise durch die Umsetzung der Rassenhygiene bei Zwangssterilisierungen in der Frauenklinik, er- zwungene Abtreibungen bei "Ostarbeiterinnen" oder durch die Auslie- ferung von Kindern und Erwachsenen an den so genannten "Gnadentod" durch Pädiatrie und Psychiatrie. Dieser nationalsozialistischer Ideologie geschuldete Verrat der deutschen Medizin an ihrem ureigenen Auftrag des Heilens und Helfens stand nach dem Zweiten Weltkrieg, wenn auch mit großer Verzögerung, zunächst im Schwerpunkt der medizinhisto- rischen Aufarbeitung. Eine andere Form des Unrechts und der Verletzung von Menschen- rechten war die Aberkennung von Doktorgraden aus politischen und ideologischen Gründen. Auch hieran hat sich die Erlanger Medizinische Fakultät beteiligt, in dem sie willfährig die NS-Vorgaben gegenüber jüdi- schen und politisch anders denkenden Ärztinnen und Ärzten umgesetzt hat. Dieser Thematik hat sich die historische Forschung in den letzten Jahren verstärkt gewidmet. In der hier vorgelegten Studie hat die Arbeits- gruppe aus dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin dankens- werterweise trotz der schwierigen Quellenlage alle Verfahren der Aber- kennung der Doktorgrade auf Fakultätsebene untersucht. Durch die Wür- digung der Lebenswege und vielfach schweren Schicksale der Personen, die von der Erlanger Medizinischen Fakultät aufgrund ihrer wissenschaft-

7 GELEITWORT DES DEKANS DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT

lichen Leistungen die Doktorwürde erhalten hatten und diese dann in einem mit bürokratischer Routine und Kälte vorgenommenen Willkürakt wieder verloren, soll die Erinnerung an die Opfer - wenn auch sehr spät - erneuert und wach gehalten werden. Die Medizinische Fakultät bekennt sich mit Betroffenheit und Scham zur Mitverantwortung für die Diskriminierung und Ausgrenzung ihrer Angehörigen, die im Namen ihrer Vorgängerinstitution während des NS- Regimes vorgenommen worden sind. Eine Wiedergutmachung ist nicht möglich. Als Dekan kann ich nur mein Bedauern über das Unrecht und die Verletzung der Menschenwürde an unseren einstigen Promovenden ausdrücken und die Nachkommen um Verzeihung bitten. Zugleich soll uns die intensive Erforschung dieses dunklen Kapitels der deutschen Uni- versitäten eine Mahnung für die Zukunft sein. Die Medizinische Fakultät wird sich auch in Zukunft ihrer historischen und ethischen Verantwor- tung stellen.

Prof. Dr. med. Bernhard Fleckenstein Dekan der Medizinischen Fakultät der Friedrich- Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg

8 1. EINLEITUNG

An der Friedrich-Alexander-Universität Erlangenl sind in der Zeit des Nationalsozialismus über 160 rechtmäßig erworbene Doktortitel wieder entzogen worden.2 Ausgelöst wurden diese Verfahren nicht durch den Tatbestand der Täuschung oder des Plagiats, durch Gründe also, die im Promotionsverfahren selbst gelegen hätten, sondern durch Vorgaben und Gesetze der NS-Politik. Mit diesen Verfahren reihte sich die Erlanger Uni- versität ein in den Kreis der deutschen Hochschulen, an denen nach neu- esten Schätzungen während des "Dritten Reichs" deutlich über 2.000 Depromotionen unter dem Schein der Legalität in einem Akt der staatlich verordneten Routine vorgenommen worden sind.3 Die Fakultäten und Universitäten haben sich dieser Einflussnahme der Politik in ihren Zustän- digkeitsbereich nicht widersetzt, sondern wurden zu willfährigen Voll- zugsorganen des Staates und schlossen auf diese Weise Doktorinnen und Doktoren, die einst unter ihrer Ägide aufgrund wissenschaftlicher Lei- stungen graduiert worden waren, nachträglich aus der akademischen Gemeinschaft aus. Obwohl unmittelbar nach dem Krieg in Einzelfällen und zumeist nur auf Anfrage einige dieser Depromotionen widerrufen wurden, geriet das Problem bald in den Hintergrund. Erst seit den neunziger Jahren und verstärkt seit der Jahrtausendwende haben sich mehrere Universitäten und Fakultäten der Opfer dieser nationalsozialistischen Verfolgungspo-

1 Diesen Namen trug die Universität bis zum Jahre 1960. Erst seit der Eingliederung der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Nürnberg zum 1. Janu- ar 1961heißt sie "Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg". 2 Die genaue Zahl für die Erlanger Universität ist noch nicht bekannt. 3 Vgl. hierzu zuletzt Stefanie Harrecker: Degradierte Doktoren. Die Aberkennung der Doktorwürde an der Ludwig-Maximilians-Universität München während der Zeit des Nationalsozialismus. München 2007, S. 10. - Der Terminus "Depromotion" ist kein zeitgenössischer Begriff, sondern wird in der historischen Forschung für den Vorgang der Entziehung der Promotions titel verwendet.

9 EINLEITUNG

litik erinnert, durch verschiedene Initiativen und Forschungsprojekte die Namen und Schicksale der Betroffenen in das kollektive Gedächtnis zu- rückgerufen und sich zu ihrer Mitverantwortung an diesen Akten der Willkür und Menschenrechtsverletzung bekannt.4 An der Universität Erlangen-Nürnberg wurde dieses Problem zu- nächst im Bereich der Philosophischen Fakultäten bearbeitet. Ausgelöst durch den 1995 in der Öffentlichkeit breit diskutierten so genannten Fall Schneider/Schwerte, in dem es um die kontroverse Frage ging, ob dem Germanisten Hans Schwerte sein 1947 erworbener Doktortitel wegen seiner SS-Vergangenheit nachträglich aberkannt werden sollte,5hatten die beiden Fakultäten einen Arbeitskreis "Geschichte der Philosophischen Fakultät während des Nationalsozialismus und danach" gegründet, der die Hintergründe der in ihrem Bereich vollzogenen Doktorgradentziehun- gen untersuchen sollte. Das Ergebnis ihrer Recherchen wurde in einem eigenen Gedenkakt im Rahmen der Promotionsfeier der Fakultäten im Februar 1999 vorgestellt, auf der zugleich ein Promotionspreis für die jahr- gangsbeste Dissertation aus dem von ihnen vertretenen Bereich begründet wurde. Dieser Preis erhielt seinen Namen nach Frau Dr. Ulli Bechmann-

4 Vgl. zuletzt dazu Peter Chroust: Ärzte ohne Titel, Doktorgradentziehungen an der Medizinischen Fakultät der Universität Giessen. In: Die Medizinische Fakultät der Universität Gießen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit: Personen und Institutionen, Umbrüche und Kontinuitäten, hrsg. von Sigrid Oehler-Klein. Stuttgart 2007, S. 133-161;Thomas Henne (Hrsg.): Die Aberkennung von Doktorgraden an der Juristenfakultät der Universität Leipzig 1933-1945. Leipzig 2007; ferner Harrecker (Anm. 3). - Am Ende des vorliegenden Bandes ist eine Liste der neueren Publikatio- nen zusammengestellt, in denen die Titelaberkennungen an deutschen Universitäten untersucht worden sind. 5 Zum Fall Schneider/Schwerte vgl.: Ein Germanist und seine Wissenschaft. Der Fall Schneider/Schwerte. Einführung, Vorträge zum Symposium vom 15. Februar 1996, Dokumente, hrsg. vom Rektor der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nüm- berg. Erlanger Universitätsreden 3, 53. Erlangen 1996. Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultäten I und 11 der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nümberg beschloss am 11. Juli 1996einstimmig, Hans Schneider alias Hans Schwer- te den Doktorgrad nicht zu entziehen. Ebd., S. 120.

10 EINLEITUNG

Rahn, die im Jahre 1934als letzte Doktorandin jüdischen Bekenntnisses an der Friedrich-Alexander-Universität während des "Dritten Reichs" pro- moviert und der dieser Titel sechs Jahre später aufgrund ihrer zwangswei- sen Ausbürgerung wieder entzogen worden war.6 Nachdem die Philosophischen Fakultäten das Problem der Depromo- tionen für ihren Bereich in dieser Weise aufgearbeitet hatten, regte die Hochschulleitung der Universität Erlangen-Nürnberg im Herbst 2006 die anderen Fakultäten an, sich ihrerseits mit diesem Kapitel ihrer Geschichte zu beschäftigen. Der Dekan der Medizinischen Fakultät nahm diese Anre- gung sogleich auf und bat das Institut für Geschichte und Ethik der Medi- zin, die Aberkennungen der medizinischen Doktorgrade während des "Dritten Reichs" zu untersuchen. Eine daraufhin gebildete Arbeitsgruppe, der neben den beiden Autoren der vorliegenden Untersuchung die beiden Studentinnen der Geschichtswissenschaft Bettina Schottner und Anna Thiel angehörten, hat in knapp 20 Monaten durch intensives Literatur- und Quellenstudium versucht, sämtliche Verfahren zu Depromotionen an der Medizinischen Fakultät so weit wie möglich aufzuklären. Das Ergeb- nis unserer Recherchen und Analysen legen wir mit diesem Band vor. Im Vordergrund der Arbeit stand zunächst das Bemühen, die Biogra- phien aller derjenigen Personen, denen im NS-Staat ihre medizinische Doktorwürde aberkannt worden ist, detailliert nachzuzeichnen und auf diese Weise den Opfern ihre Individualität und Würde wiederzugeben. Um aber das Phänomen der Doktorgradentziehungen an der Erlanger Medizinischen Fakultät möglichst umfassend zu dokumentieren, haben wir auch diejenigen Verfahren aufgenommen, in denen zwar Gerichtsur- teile gegen Ärzte vorlagen, der Dekan und die Universität jedoch nach Akteneinsicht von einem Titelentzug abgesehen haben. Die Präsentation auch dieser Vorgänge gibt den Blick auf den Ermessensspielraum der Fa-

6 Die Promotionsfeier mit der Verleihung des Preises wurde als Band 19 der Akade- mischen Reden und Kolloquien der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nümberg veröffentlicht, Hartmut Kugler (Hrsg.): Ulli Bechmann-Rahn-Preis. Erlan- gen 2000.

11 EINLEITUNG

kultät frei und kann damit, so hoffen wir, auch einen Beitrag für zukünfti- ge vergleichende Studien leisten. Der biographische Teil, der das Zentrum der Untersuchung bildet, ist in drei Abschnitte unterteilt: Im ersten und umfangreichsten sind die Lebensläufe derjenigen dargestellt, denen ihr Doktortitel aufgrund ihrer Ausbürgerung aberkannt worden ist. Darauf folgen diejenigen Personen, bei denen ein Gerichtsurteil die Grundlage für die Entziehung war. Da die Beurteilung dieser Fälle aus heutiger Sicht schwierig und nicht immer ein- deutig ist, haben wir in dieser Gruppe aus Gründen des Persönlichkeits- schutzes diejenigen Personen anonymisiert, deren gerichtliche Verurtei- lung vermutlich auch nach dem Ende des "Dritten Reichs" nicht in Frage gestellt worden wäre. Die anderen Personen dieser Gruppe sind dem- gegenüber, nach unserer Auffassung eindeutig auch als Opfer der Natio- nalsozialisten zu sehen und deshalb namentlich zu würdigen? In der drit- ten Gruppe schließlich sind, wiederum anonymisiert, diejenigen Lebens- läufe von Ärzten in aller Kürze geschildert, die trotz einer Verurteilung ihren Doktortitel weiterführen durften.8 Innerhalb der drei Abschnitte folgt die Reihenfolge jeweils der Chronologie der Geburtsdaten der Betreffenden. Die Darstellungen der Lebensläufe sind aufgrund der schwierigen und außerordentlich unterschiedlichen Quellenlage durchaus heterogen. Dies betrifft vor allem die Emigrantenschicksale, über die wir aber nicht nur manche unvermutete Informationen in der Sekundärliteratur gefun- den haben, sondern für die wir in einigen Fällen auch durch die Entschä- digungsverfahren Genaueres - und vielfach Erschütterndes - in Erfahrung bringen konnten. Um einen Eindruck von der Art dieser besonderen Quelle zu vermitteln, ist diese in der ersten Biographie ausführlicher und mit einer größeren Zahl an wörtlichen Zitationen vorgestellt. Alle Lebens- läufe sind jeweils von zwei Mitgliedern unserer Arbeitsgruppe verfasst

7 Zur Problematik der Beurteilung dieser Fälle vgl. unten S. 33-36. 8 Für die beiden letzten Gruppen ist zu berücksichtigen, dass möglicherweise nicht alle Fälle aktenrnäßig belegt sind.

12 EINLEITUNG

worden, deren Namenskürzel am Ende genannt sind; auch hieraus ergibt sich eine gewisse stilistische Heterogenität und Verschiedenartigkeit der Darstellung, die wir jedoch bewusst in Kauf genommen haben. Um die Aberkennungsverfahren der Erlanger Medizinischen Fakultät in ihrem Kontext verstehen zu können, sind dem biographischen Teil zwei Kapitel vorgeschaltet. Im ersten einführenden Abschnitt werden die politi- schen Vorgaben und die normativen Grundlagen sowie der Ablauf der Verfahren an den deutschen Universitäten während des "Dritten Reichs" beschrieben. Daran anschließend werden in einem kurzen Überblick die Anfänge des Nationalsozialismus in Erlangen, seine Ausbreitung inner- halb der Universität und deren Entscheidungsträger dargestellt. Nach den 31 Einzelbiographien wird dann in einem weiteren Kapitel die Praxis der Titelaberkennungen im Bereich der Erlanger Medizinischen Fakultät auf der Basis einiger statistischer Daten und allgemeiner Anmer- kungen zu den Verfahren zusammenfassend ausgewertet. Den Abschluss bildet ein längeres Kapitel über den Umgang der Medizinischen Fakultät und der Universität mit dem Problem der Titelab- erkennungen im Nationalsozialismus in der frühen Nachkriegszeit. Mit Hilfe der einschlägigen Akten aus der Fakultät und dem Rektorat werden die Überlegungen, aber auch Unschlüssigkeiten bezüglich der rechtlichen und moralischen Bewertung der Geschichte ausführlich dargelegt und damit ein weiterer Baustein zu der gerade für die Hochschulen so wich- tigen Thematik von Kontinuität und Wandel nach 1945beigesteuert. Verzeichnisse der biographisch dargestellten Personen, der Abbildun- gen, der ungedruckten Quellen und der Archive sowie eine Übersicht der rezenten Literatur speziell zu den Doktorgradentziehungen beschließen den Band. Alle Einzelkapitel sind so konzipiert, dass die für sie relevante Sekun- därliteratur bei ihrer ersten Erwähnung stets - trotz daraus resultierender Mehrfachnennungen derselben Titel im Buch - mit der vollen bibliogra- phischen Angabe erscheint. Mit diesem Verfahren sollte erreicht werden, dass jedes Kapitel jeweils aus sich heraus, ohne Rückgriff auf ein umfäng- liches Literaturverzeichnis am Ende des Buches, benutzt werden kann.

13 EINLEITUNG

Die wichtigste archivalische Quellengrundlage für die vorliegende Untersuchung bildeten die einschlägigen Aktenbestände des Erlanger Universitätsarchivs, wobei hier insbesondere die Depromotionsakten, die Promotionsakten und der Akt IIGeneralia/Promotionswesen" im Zentrum standen.9 Das Protokollbuch der Medizinischen Fakultät für die Zeit des Nationalsozialismus erwies sich als nicht besonders ergiebig. Akten über die Sitzungen des für die Aberkennungen zuständigen Ausschusses sind im Universitätsarchiv nicht vorhanden. Für die Möglichkeit, die für unser Thema einschlägigen Akten einsehen und auswerten zu können, für das Aufspüren weiterer Dokumente, für wichtige Hinweise zu Einzelaspekten und für die kritische Durchsicht des Rohmanuskripts danken wir dem Leiter des Universitätsarchivs, Herrn Dr. Clemens Wachter, sehr herzlich. Ohne seine nie ermüdende Hilfsbereitschaft hätten wir dieses Projekt nicht in der relativ kurzen Zeit zum Abschluss bringen können. Unser Dank gilt ebenso Frau Sigrid Kohlmann und Herrn Günther Baumüller von der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek für ihre vielfäl- tige Unterstützung sowie Frau Dr. Annette Pfeiffer und Frau Dr. Esther Schnetz vom Dekanat der Medizinischen Fakultät. Daneben schulden wir einer Reihe von Personen anderer Archive und Institutionen für ihre wertvolle Hilfe bei der Auffindung und Bearbeitung von Akten Dank. Es sind dies Michaela Fröhlich vom Archiv des Jüdi- schen Museums in Fürth, Christof Neidiger vom Stadtarchiv Nürnberg, Annemarie Müller vom Landeskirchlichen Archiv, Nürnberg, Archivrat Gerhard Fürmetz und Renate Herget vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv München sowie Herr Krause von dessen Außenstelle Lichtenau, Dr. Petra Ostenrieder vom Heimatmuseum Oettingen in Bayern und Archivdirektor Wolfgang Kramer vom Kreisarchiv Konstanz. Ferner danken wir den Damen und Herren folgender Institutionen für hilfreiche Informationen: Wolfgang Schneiderbanger (Stadtarchiv Bamberg), Thomas Lampe (Hoch- schulrektorenkonferenz), Frau Trautwein und Herrn Schäferling (Bay- erisches Landesentschädigungsamt München), Herrn Dr. Roland E. Hofer

9 Vgl. das Quellenverzeichnis am Ende des Bandes.

14 EINLEITUNG

(Staatsarchiv Schaffhausen) sowie den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs und des Niedersächsischen Landesamts für Bezüge und Versorgung, Hannover, des Landesamts für Besoldung und Versorgung, Wiedergutmachungsstelle in Fellbach, und des Stadtarchivs Coburg. Ganz besonderen Dank schulden wir den Nachkommen von Dr. Qtto Grosse-Wietfeld, Frau Astrid und Herrn Carl Michael Grosse-Wietfeld, sowie von Dr. Ernst Alfred Seckendorf, Herrn Ernst Seckendorf jun., die uns noch manche interessante Details aus dem Leben ihres Großvaters bzw. Vaters mitgeteilt und wichtige Dokumente aus dem Familienarchiv zur Verfügung gestellt haben. Der Hochschulleitung und der Medizinischen Fakultät danken wir für die finanzielle Unterstützung des Projekts, dem Rektor für die Übernahme der Druckkosten. Herrn Dr. Keunecke, dem Direktor der Universitäts- bibliothek Erlangen-Nürnberg, danken wir sehr herzlich für seine bereit- willige Unterstützung und seinen wertvollen Rat bei der Gestaltung des Bandes sowie für die Betreuung der Herstellung. Schließlich gilt unser Dank der Kommission der Erlanger Forschungen für die Aufnahme des Bandes in die Sonderreihe. Auf der Basis der Ergebnisse des vorliegenden Bandes werden am 12. Juli 2008 im Rahmen der Promotionsfeier der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg die von der Aberken- nung ihrer Doktorwürde Betroffenen in einem Gedenkakt gewürdigt.

Erlangen, im Renate Wittern Frühjahr 2008 Andreas Frewer

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2. DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"

Gesetzliche Grundlagen der Aberkennung

Die Aberkennung des Doktorgrades war auch schon vor 1933 möglich. Es war aber ein eher seltenes Ereignis und auch nur in wenigen Promotions- ordnungen an den deutschen Universitäten vorgesehen. Als Grund für eine Entziehung galt in diesen Fällen zumeist der Tatbestand der Täu- schung oder des Plagiats.l Das Kriterium der "Unwürdigkeit" wurde nur ausnahmsweise berücksichtigt. Ein besonders frühes Beispiel stellt hier die Universität München dar, wo sich die Medizinische Fakultät anlässlich eines mit Zuchthausstrafe geahndeten Verstoßes gegen den Abtreibungs- paragraphen (218 RStGB) durch einen in München promovierten Allge- meinarzt bereits im Jahre 1912 einstimmig dafür aussprach, dass ein in dieser Weise bestraftes Vergehen "zur Führung des Doktortitels unwürdig mache".2 Die Forderung der Fakultät, dem Betreffenden den Doktortitel abzuerkennen, zog eine längere Diskussion innerhalb der Universität nach sich, die schließlich drei Jahre später zur Formulierung eines neuen Abschnitts in der Promotionsordnung der Medizinischen Fakultät führte,

1 Zur Entziehung von Doktorgraden vor 1933und insbesondere in der Weimarer Zeit vgl. Stefanie Harrecker: Degradierte Doktoren. Die Aberkennung der Doktorwürde an der Ludwig-Maximilians-Universität München während der Zeit des National- sozialismus. München 2007, S. 19-31;Thomas Brix: Die normativen Grundlagen der Depromotionen und das Verfahren. In: Die Aberkennung von Doktorgraden an der Juristenfakultät der Universität Leipzig 1933-1945,hrsg. von Thomas Henne. Leipzig 2007, S. 51; Margit Szöllösi-Janze/Andreas Freitäger: "Doktorgrad entzogen!" Aber- kennungen akademischer Titel an der Universität Köln 1933 bis 1945. Nümbrecht 2005, S. 17-19;Werner Moritz: Die Aberkennung des Doktortitels an der Universität Heidelberg während der NS-Zeit. In: Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte, hrsg. von Armin Kohnle/Frank Engehausen. Stuttgart 2001, S. 540-562,hier: S. 540f. 2 Zit. nach Harrecker (Anm. 1), S. 24.

17 DIE ABERKENNUNGDERDOKTORWÜRDEIM"DRmEN REICH"

durch den diese sich das Recht für künftige Fälle vorbehielt, diesen Titel nach rechtskräftiger Verurteilung eines von ihr Promovierten wieder zu entziehen.3 In Erlangen wies die Promotionsordnung für die Humanmedizin von 1901bzw. 1917keinen entsprechenden Passus auf,4 dagegen enthielten die "Bedingungen für die Erteilung der Würde eines Doktors der Zahnheil- kunde" von 1920 im Paragraphen 10 Bestimmungen über die Entziehung des Doktortitels, die sowohl Täuschung und Plagiat als auch den Aspekt der Unwürdigkeit in der weniger eindeutigen Terminologie der "ehren- rührigen Handlung"5 enthielten: "Die erworbene Doktorwürde kann durch Fakultätsbeschluß entzogen werden, 1. wenn sich herausstellt, dass die Bewerbung sich auf unwahre Angaben gestützt hat, insbesondere dass die Dissertation auf Plagiat beruht, 2. wenn der Promovierte wegen einer ehrenrührigen Handlung rechtskräftig verurteilt wird. Der Promovierte soll vor der Entziehung gehört werden."6 Die Gesetzeslage änderte sich grundlegend 1933 mit dem am 14. Juli 1933 erlassenen "Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aber- kennung der deutschen Staatsangehörigkeit". Dessen zweiter Paragraph besagte:

3 Zu Einzelheiten dieser Diskussion, in der die Forderung der Medizinischen Fakultät letztlich vom Senat zurückgewiesen wurde, und zu den Stellungnahmen der ande- ren Münchener Fakultäten hierzu vgl. Harrecker (Anm. I), S. 24-29. 4 Die "Bedingungen für die Erteilung des Doktorgrades von Seiten der Medizinischen Fakultät zu Erlangen" mit Ergänzungen vom 28.Juni 1917galten bis zum November 1933. 5 Diese Formulierung hatte auch die Münchener Juristische Fakultät 1917 nach dem Vorstoß der Mediziner gewählt. Brix (Anm. I), S. 51 und 66, nennt weitere Pro- motionsordnungen Juristischer Fakultäten aus der Weimarer Zeit, in denen jeweils die Verurteilung wegen ehrenrühriger Handlungen als möglicher Entzugsgrund ge- nannt ist. 6 Die Bedingungen für die Erteilung der Würde eines Doktors der Zahnheilkunde (Doctor medicinae dentariae) von Seiten der medizinischen Fakultät zu Erlangen, Februar 1920.Erlangen 1920,S.4.

18 DIE ABERKENNUNGDERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"

"Reichsangehörige, die sich im Ausland aufhalten, können der deutschen Staatsan- gehörigkeit für verlustig erklärt werden, sofern sie durch ein Verhalten, das gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk verstößt, die deutschen Belange geschä- digt haben. [...] Die Aberkennung der Staatsangehörigkeit wird mit der Verkün- dung der Entscheidung im Reichsanzeiger wirksam."7 Die entsprechende Durchführungsverordnung, die nur wenige Tage spä- ter erlassen wurde, konkretisierte den Verstoß gegen die Treuepflicht gegen Reich und Volk durch "feindselige Propaganda" und Herabwürdi- gung des deutschen Ansehens oder der nationalen Regierung.8 Gesetz und Durchführungsverordnung wurden danach zur Grund- lage weit reichender Aktionen gegen alle diejenigen, die der Verfolgung durch die Nationalsozialisten durch Flucht oder Emigration ins Ausland zu entkommen versuchten.9 Das Gesetz traf also in erster Linie die Juden und die politischen Gegner. Eine seiner so genannten Nebenfolgen war die Entziehung der akademischen Titel. Ausgelöst wurde das fortan gül- tige Junktim von Aberkennung der Staatsbürgerschaft und Aberkennung der Doktorwürde durch ein Schreiben von Karl ,1° des Leiters des Kreises Bayern der Deutschen Studentenschaft, mit dem dieser sich

7 Das Gesetz wurde am 15. Juli 1933 im Reichsgesetzblatt (RGBl.) 1933, Teil I, S. 480 veröffentlicht. 8 Durchführungsverordnung vom 26.Juli 1933. RGBl.Teil I, S. 538. 9 Für die Emigranten war die mit der Aberkennung der Staatsangehörigkeit einher- gehende Beschlagnahme des Vermögens eine der schwersten Folgen, weil sie zu- meist - jedenfalls galt dies für die emigrierten Ärztinnen und Ärzte - erst nach erneutem Studium und der Ablegung des landesüblichen Examens wieder in ihrem Beruf arbeiten konnten. Vgl. z.B. unten S. 106 (Biographie Josef Schreiner). 10 Zu Karl Gengenbach, seinen nationalsozialistischen Aktivitäten in München und seiner weiteren Karriere im NS-Herrschaftsapparat vgl. Harrecker (Anm. I), S. 35-40. - Zur Rolle der Deutschen Studentenschaft, die bereits seit 1931 von den Natio- nalsozialisten beherrscht wurde, für die "Umgestaltung der Universität" vgl. Paul Egon Hübinger: Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte. Drei Kapitel deutscher Vergangenheit aus dem Leben des Dichters 1905-1955. München, Wien 1974, S. 108-110; Michael Grüttner: Studenten im Dritten Reich. Paderborn 1995.

19 DIE ABERKENNUNGDERDOKTORWÜRDEIM"DRITTEN REICH"

am 18. September 1933 an den Bayerischen Kultusminister Hans Schemm wandte.ll Gengenbach forderte hierin den Minister im Namen der Studen- tenschaft auf, den bayerischen Hochschulen Weisung zu erteilen, "bei den der deutschen Staatsangehörigkeit verlustig erklärten Verrätern" von der Möglichkeit der Entziehung der Doktorwürde Gebrauch zu machen, und bat um Mitteilung dieser Anweisung an die Hochschulen der anderen Länder, damit diese ebenfalls die entsprechenden Maßnahmen einleiten könnten.12 Der Bayerische Minister für Unterricht und Kultus reagierte auf diesen Brief am 3. Oktober 1933 mit dem folgenden Schreiben, das sowohl an die Rektoren der bayerischen Landesuniversitäten als auch, der Anregung Gengenbachs folgend, zugleich an die anderen deutschen Universitäten ging: ,,(...] Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass Personen, denen unter diesen Vor- aussetzungen ihre Reichsangehörigkeit aberkannt worden ist, auch nicht würdig sind, den Doktortitel einer deutschen Hochschule zu führen. Nach der gegenwär- tigen Fassung der meisten Promotionsordnungen besteht jedoch nicht die Möglich- keit, die Doktorwürde in diesen Fällen zu entziehen. Die Promotionsordnungen werden daher durch eine Bestimmung des Inhalts zu ergänzen sein, dass die Doktorwürde auch entzogen werden kann, wenn der Promovierte nach dem Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14.7.1933 (RGB1.I S. 480) der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt wurde. Die hiernach beschlosse- nen Änderungen der einzelnen Promotionsordnungen wollen hierher mitgeteilt werden."13

11 Zu Hans Schemm siehe Winfried Müller: Gauleiter als Minister. Die Gauleiter Hans Schemm, Adolf Wagner, Paul Giesler und das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1933-1945. Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 60 (1997), S. 973-1021. 12 Schreiben von Karl Gengenbach an Minister Schemm, 18. September 1933. Bayeri- sches Hauptstaatsarchiv (BayHStA):MK 70708, siehe Abb. 1 und Schutzumschlag. 13 Schemm an die Rektorate der drei Landesuniversitäten, 3. Oktober 1933: Universi- tätsarchiv Erlangen (UAE): Dek. Med. Fak. Nr. 18/1, BI. 28. Vg1.auch Ralf Forsbach:

20 DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"

Abbildung 1: Schreiben von Karl Gengenbach ("Die Deutsche Studentenschaft, Kreis Bayern") vom 18.09.1933 an Kultusminister Hans Schemm. BayHStA: MK 70708.

Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im "Dritten Reich". München 2006, S. 412-437, hier: S. 412f.

21 DIE ABERKENNUNGDERDOKTORWÜRDEIM"DRITTEN REICH"

Der bayerische Vorstoß machte tatsächlich Schule, und so forderten die anderen Kultusministerien in den folgenden Wochen die Universitäten ihres Zuständigkeitsbereichs auf, ihre Promotionsordnungen nach der Empfehlung Schemms zu ändern.14 Die Medizinische Fakultät der Erlan- ger Universität folgte der Aufforderung Schemms sehr rasch. Schon am 9. November 1933 teilte ihr Dekan Friedrich Jamin dem Rektor mit, dass die Fakultät ihre Promotionsordnungen für die Zahn- und Humanmedizin im Sinne der Ministerialentschliessung vom 3. Oktober ergänzt habe, und bat ihn, die Änderungen dem Ministerium mitzuteilen.15 Auch die Münchener

14 Der entsprechende Erlass vom Hessischen Staatsministerium mit der Forderung nach Änderung der Promotionsordnung stammte vom 18. Oktober 1933 (vgI. Margret Lemberg: " ... eines deutschen akademischen Grades unwürdig". Die Ent- ziehung des Doktortitels an der Philipps-Universität Marburg 1933-1945.Marburg 2002, S. 16); der Preußische Kultusminister übernahm die Forderung aus Schemms Rundschreiben am 2. November 1933;der Badische Minister des Kultus, Unterrichts und der Justiz stellte am 9. November 1933 die Unvereinbarkeit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft mit dem Führen des Doktortitels einer deutschen Hochschule fest (vgI. Volker Schupp: Zur Aberkennung der akademischen Grade an der Uni- versität Freiburg. Bericht aus den Akten. Freiburger Universitätsblätter 23, 1984, S. 9); das Sächsische Ministerium forderte die Änderung der Promotionsordnungen am 7. Dezember 1933 (vgI.Brix, Anm. I, S. 55). 15 Schreiben von Jamin an das Rektorat vom 9. November 1933. UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1, BI. 31. Die für die Humanmedizin beschlossene Ergänzung lautete folgen- dermaßen: ,,§ 17. Die erworbene Doktorwürde kann durch Fakultätsbeschluss entzo- gen werden, 1. wenn sich herausstellt, dass die Bewerbung sich auf unwahre An- gaben gestützt hat, insbesondere dass die Dissertation auf Plagiat beruht; 2. wenn der Promovierte wegen einer ehrenrührigen Handlung rechtskräftig verurteilt ist; 3. wenn der Promovierte nach dem Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14.7.33 (RGBI.I. S. 480) der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt wurde." - In der Ord- nung für die Zahnmedizin sollte künftig der abschließende Satz des Paragraphen 10, mit dem das Recht des Promovierten zur Anhörung eingeräumt worden war, ersatz- los gestrichen werden. - Mit Ausnahme der Philosophischen hatten alle Erlanger Fakultäten ihre Promotionsordnungen bis zum 27. November 1933 geändert, vgI. das Schreiben des Bayerischen Kultusministeriums an den Rektor vom 29. Januar

22 DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"

Fakultäten kamen, teilweise sogar noch im Oktober, der Aufforderung des Ministers nach.16 Parallel zu den Depromotionsaktivitäten im Zusammenhang mit dem Gesetz über die Aberkennung der Staatsbürgerschaft gab es Anfang Okto- ber 1933 eine Initiative des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erzie- hung und Volksbildung, mit der er den preußischen Hochschulen nahe legte, auch allen denjenigen Doktoren, die "wegen einer ehrenrührigen Handlung rechtskräftig verurteilt"17werden, ihren akademischen Titel zu entziehen. Da es bis zu diesem Zeitpunkt noch keine routinemäßige Infor- mation zwischen den Gerichten und Hochschulen über Straftaten und deren Ahndung von Promovierten gab, die Justizbehörden aber nach An- sicht des Ministeriums bereits durch unterschiedlichste Mitteilungspflich- ten überlastet waren, forderte der Minister die Hochschulen auf, zukünftig jede erfolgte Promotion der jeweils für den Promovierten zuständigen Polizeibehörde zu melden.l8 Schon im Laufe des ersten Jahres nach der Machtübernahme wurde also auf verschiedenen Wegen versucht, auch über das Mittel der Promotionsordnungen die Autonomie der Universi- täten und Fakultäten zu beschneiden. Die meisten Universitäten hatten allerdings keine besondere Eile, ihre Statuten für die Promotionen zu verändern. Deshalb ergingen in den fol- genden Jahren etliche Erlasse des Preußischen Kultusministers Bernhard

1934, mit dem die Ergänzungen genehmigt wurden. UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1, BI. 36. Zur einschlägigen Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät vg1. Hartrnut Kugler (Hrsg.): Ulli Bechmann-Rahn-Preis. Akademische Reden und Kollo- quien, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nümberg, 19. Erlangen 2000, S. 12. 16 Vg1.Harrecker (Anm. 1), S. 42f. 17 Zit. nach Brix (Anm. 1), S. 53. 18 Diese Verfügung wurde mit Erlass vorn 17. November 1941 wegen des unangemes- senen bürokratischen Aufwandes wieder aufgehoben. BayHStA: MK 70708. Vg1.zu diesem Vorgang auch Jens Blecher: Vorn Promotionsprivileg zum Promotionsrecht: Das Leipziger Promotionsrecht zwischen 1409 und 1945 als konstitutives und prä- gendes Element der akademischen Selbstverwaltung. Diss. phi1. Halle-Wittenberg 2006, S. 290f. Dazu auch Forsbach (Anm. 13), S. 419.

23 DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"

Rust, in denen von den Hochschulen mit zunehmender Dringlichkeit Vorschriften zur Entziehung des Doktortitels eingefordert wurden. So gab Rust, der im April 1934 zum Reichsminister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung ernannt worden war, am 17. Juli 1934 sogar die genaue For- mulierung vor, die "in sämtlichen Promotionsordnungen unter Streichung der bisher über die Entziehung des Doktortitels enthaltenen Einzelbestim- mungen"19 eingefügt werden sollte. Der entsprechende Vorschlag lautete folgendermaßen: "Die Doktorwürde kann wieder entzogen werden: a) Wenn sich herausstellt, dass der Inhaber des Titels die Doktorwürde unter Täuschung der Fakultät erworben hat. Als solche Täuschung kommen insbesondere in Betracht: Fälschung der Reifezeug- nisse oder der Studienzeugnisse, Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versiche- rung über die selbständige Anfertigung der Dissertation oder Verschweigung erheb- licher Vorstrafen. b) Wenn der Inhaber des Titels sich durch sein Verhalten des Tra- gens einer deutschen akademischen Würde unwürdig erweist. Über die Entziehung entscheidet ein aus dem Rektor und den Dekanen zusammengesetzter Ausschuss. Soweit es tunlieh erscheint, ist dem Inhaber des Titels vor der Beschlussfassung des Ausschusses Gelegenheit zur Äusserung zu geben. Gegen die getroffene Entschei- dung steht dem Betroffenen innerhalb eines Monats die Beschwerde an den Preussi-

schen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung ZU."20 Die Entziehung des Doktortitels infolge der Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit brauchte dem Erlass zufolge nicht eigens erwähnt zu werden, weil die Unwürdigkeit der Ausgebürgerten als erwiesen betrach- tet werden könne und diese Fälle somit keiner besonderen Regelung bedürften.21 Bedeutsam an diesen Vorgaben war, dass die Depromotion nach der Ausbürgerung nunmehr zwingend sein sollte, dass die "Unwür- digkeit" des Titelinhabers nicht an eine "Verurteilung wegen einer ehren- rührigen Handlung" gekoppelt war, wie es die Ergänzung in der Promo-

19 Zit. nach Szöllösi-Janze/Freitäger (Anm. I), S. 22; vgl. dazu auch Forsbach (Anm. 13), S.413f. 20 Zit. nach Szöllösi-Janze/Freitäger (Anm. I), S. 22f. 21 Ebd., S. 23.

24 DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"

tionsordnung der Medizinischen Fakultät vorgesehen hatte,22 und dass schließlich für die Entscheidung über die Aberkennung des Doktortitels ein Ausschuss aus dem Rektor und den Dekanen eingesetzt werden sollte. Nachdem auch der Erlass vom Juli 1934 keine durchgreifende Wir- kung an den Hochschulen hatte, wiederholte der Reichsminister im Febru- ar 1936 die Forderung nach unverzüglicher Anpassung aller reichsdeut- schen Promotionsordnungen an seine Vorgaben23und legte im Dezember 1936 umfangreiche "Änderungen der Promotionsordnungen" vor,24in de- nen insbesondere die Entziehung der Doktorwürde aufgrund der Ausbür- gerung ausführlicher erörtert wurde.25Wie schon im Erlass vom Februar 1936 wurde hier betont, dass "die Tatsache der jüdischen Abstammung allein nicht die Entziehung der Doktorwürde" rechtfertige.26 Zugleich wurde darauf verwiesen, dass eine "gesetzliche Regelung der Frage der Entziehung akademischer Grade" in Aussicht genommen sei.27 Dieses angekündigte "Gesetz über die Führung akademischer Grade" wurde schließlich am 7. Juni 1939 erlassen und bildete zusammen mit der Ersten Durchführungsverordnung vom 21. Juli 193928 die reichseinheitliche Grundlage für die Aberkennung des Doktortitels. Der wesentliche, nun verbindliche Passus des Paragraphen 4 lautete wie folgt: ,,(1) Der von einer deutschen staatlichen Hochschule verliehene akademische Grad kann wieder entzogen werden, a) wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist, oder wenn wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung irrigerweise als gegeben angenommen worden sind, b) wenn sich nach- träglich herausstellt, dass der Inhaber der Verleihung eines akademischen Grades

22 Vgl. oben S. 22 mit Anm. 15. 23 Vgl. Lemberg (Anm. 14), S. 19. 24 UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1, BI. 81: Der Reichs- und Preußische Minister für Wis- senschaft, Erziehung und Volksbildung, 16. Dezember 1936, Betr.: Änderungen der Promotions ordnungen. 25 Ebd., S. 5. 26 Vgl. hierzu Szöllösi-Janze/Freitäger (Anm. 1), S. 25f. 27 UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1, BI.81 (Anm. 24). 28 RGBl.Teil I, S. 1326.

25 DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"

unwürdig war, c) wenn sich der Inhaber durch sein späteres Verhalten der Führung eines akademischen Grades unwürdig erwiesen hat. Über die Entziehung entscheidet diejenige Hochschule, die den akademischen Grad verliehen hat. (2) Gegen die Entscheidung der Hochschule steht dem Betroffenen innerhalb eines Monats nach Zustellung die Beschwerde an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zu. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wir- kung."29 Die Medizinische Fakultät übernahm diese Formulierung 1940 nahezu wortgleich in ihre Promotionsordnung.3o Die Zweite Durchführungsver- ordnung zum Gesetz über die Führung akademischer Grade wurde am 29. März 1943 erlassen und verfügte im ersten Abschnitt, dass die Aber- kennung der deutschen Staatsbürgerschaft gleichsam automatisch den Verlust des Doktorgrades nach sich zog,31womit die Arbeit der Depromo- tionsausschüsse in diesen Fällen überflüssig wurde. Es genügte künftig ein entsprechender Vermerk in den Promotionsakten.

29 RGBl.Teil I, S. 985. 30 Bedingungen für die Erteilung des Doktorgrades von Seiten der Medizinischen Fa- kultät zu Erlangen. (Genehmigt durch Erlaß des Reichserziehungsministers vom 5. 10. 1940, W A 2194). Erlangen 1940, S. 6. 31 RGBl.Teil I, S. 168.

26 DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"

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Abbildung 2: Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939. Reichsgesetzblatt Nr. 102 vom 9. Juni 1939, S. 985.

27 DIE ABERKENNUNGDERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"

Entziehungsgründe

Innerhalb weniger Jahre hatte die nationalsozialistische Regierung durch den stufenweise verschärften Eingriff in die Promotionsordnungen die Grundlage dafür geschaffen, dass ein Vorgang, der vor 1933 an den deut- schen Universitäten selten gewesen war, nunmehr einen großen Personen- kreis traf, der im Deutschen Reich nach den Forschungen der letzten Jahre deutlich die Zahl 2.000 übertraf.32 Obwohl aber die Kultusminister der Länder und der Reichsminister bereits seit Herbst 1933 den Entzug der Doktortitel in den Promotionsordnungen verankert wissen wollten, wurde er bis 1937 an den meisten Universitäten nur in einzelnen Fällen prakti- ziert. Erst 1938 stieg die Zahl an, erreichte in den Jahren 1939 bis 1941 ihren Höhepunkt und ging dann bis 1944 wieder zurück.33 Der weitaus

32 In der Datenbank, die Sabine Happ im Jahre 2004 auf der Grundlage der Rund- schreiben der Universitäten erstellt hat, sind 1.702 Depromotionen gelistet; siehe Sabine Happ: Politisch und nicht politisch motivierte Aberkennung von akademi- schen Graden. Eine Auswertung der Rundschreiben deutscher Universitäten in der NS-Zeit. In: Vielfalt der Geschichte. Lernen, Lehren und Erforschen vergangener Zeiten, hrsg. von Sabine Happ/Ulrich Nonn. Berlin 2004, S. 283-296,hier: S. 284-289. Diese Zahl ist aber, wie Happ selbst betont hat, mit Sicherheit zu niedrig: Schon für die Universität Erlangen ist die von ihr angegebene Zahl von 79 (ebd., S. 287) auf mindestens 160 zu erhöhen, und allein an der Juristischen Fakultät der Universität Leipzig wurden 73 Aberkennungen des Doktortitels vorgenommen, während Happ (S. 288) für die gesamte Universität nur vier angibt, vgl. Ralf Oberndörfer: Berufs- verlust und Entwürdigung - einige Anmerkungen zu 73 sehr unterschiedlichen Doktortitelträgern. In: Henne (Anm. 1), S. 73; zum Ausmaß der Degraduierungen allgemein vgl. jüngst auch Peter Chroust: Ärzte ohne Titel. Doktorgradentziehungen an der Medizinischen Fakultät der Universität Giessen 1933-1945.In: Die Medizini- sche Fakultät der Universität im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit: Personen und Institutionen, Umbrüche und Kontinuitäten, hrsg. von Sigrid Oehler- Klein. Stuttgart 2007, S. 133-161,hier: S. 133-135. 33 Die Universität Erlangen hatte die höchste Zahl an Depromotionen im Jahre 1940 mit insgesamt 65, 1939und 1941 waren es 22 bzw. 21. Zur Verteilung in der Medizi- nischen Fakultät siehe unten KapitelS. - Zu den Zahlen von Heidelberg vgl. Moritz (Anm. 1), S. 544f; zu Göttingen vgl. Kerstin Thieler: " ... des Tragens eines deutschen

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größte Anteil aller Doktorgradentziehungen - reichsweit etwa zwei Drittel - entfiel auf diejenigen Personen, denen die Staatsbürgerschaft entzogen worden war. Das übrige Drittel betraf Doktorinnen und Doktoren, denen der Titel aufgrund von Gerichtsurteilen aberkannt wurde.34 Die Entschei- dung für alle Aberkennungen lag nicht bei den Fakultäten, sondern bei einern eigens zu diesem Zweck eingerichteten Ausschuss, der aus dem Rektor und allen Dekanen bestand.35 Dieser hatte im Falle der Ausbür- gerung lediglich die Funktion der Bestätigung des Tatbestands, im Falle der Titelentziehung aufgrund von Gerichtsurteilen blieb ihm jedoch ein geringer Ermessensspielraum.36

Entziehungen aufgrund von Ausbürgerung

Mit dem Gesetz über die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vorn Juli 1933 hatte die NS-Regierung ein Instrument geschaffen, das sich zunächst vornehmlich gegen ihre politischen Gegner richtete, in den spä- ten dreißiger und den Kriegsjahren jedoch vor allem die emigrierten Juden betraf. Es war darauf ausgerichtet, die davon Betroffenen nicht nur der Staatenlosigkeit auszuliefern, sondern sie auch nach der Ausbürgerung lebenslang zu schädigen.37 Hierauf vor allem zielten die mit der Strafex- patriation verbundenen gravierenden Nebenfolgen, die den ausgebürger-

akademischen Grades unwürdig." Die Entziehung von Doktortiteln an der Georg- August-Universität Göttingen im "Dritten Reich". 2. erw. Auflage. Göttingen 2006, S. 38; zu Leipzig vgl. Blecher (Anm. 18), S. 289. 34 Vgl. Happ (Anm. 32), S. 289. 35 Hübinger (Anm.10), S. 112, verweist zu Recht darauf, dass dieser Ausschuss dem Führerprinzip widersprach. 36 Zur Situation an der Erlanger Medizinischen Fakultät siehe unten KapitelS. 37 Vgl. hierzu Hans Georg Lehmann: Acht und Ächtung politischer Gegner im Dritten Reich. Die Ausbürgerung deutscher Emigranten 1933-45. In: Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933-45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, hrsg. von Michael Hepp. 3 Bde. München u.a. 1985-1988,Bd. 1, S. IX-XXIII.

29 DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"

ten Emigranten nicht nur durch Beschlagnahme des Vermögens und Aus- schluss aus den Versicherungssystemen ihre materielle Existenzgrundlage nahmen, sondern sie darüber hinaus kriminalisierten und ihrer persön- lichen Integrität und Würde beraubten. Eine nicht unerhebliche Maßnahme dieser Entwürdigung und Diskre- ditierung war die Aberkennung der akademischen Titel, die nach dem verhängnisvollen Vorstoß aus der Deutschen Studentenschaft38 bereits im Juli 1934 vom Kultusministerium mit Verweis auf die "Unwürdigkeit" der Expatriierten verfügt wurde. Die näheren Bestimmungen zum Verfahren wurden in dem Runderlass vom 16. Dezember 1936 festgelegt:39 Danach hatte der Reichsinnenminister dem Reichswissenschaftsminister Mittei- lung über alle Fälle vollzogener Ausbürgerung von Personen zu machen, die Inhaber eines akademischen Grades waren. Der Reichswissenschafts- minister übermittelte daraufhin der Universität die Namen der Betreffen- den mit der Maßgabe, hinsichtlich der Entziehung das Weitere zu veran- lassen. Eine vorherige Anhörung der Betroffenen erübrigte sich nach Auf- fassung des Ministers in diesen Fällen, und ebenso sollte auch von einer Zustellung des Entziehungsbescheides abgesehen werden.40 Die Aufgabe der Universität bestand in diesen Fällen lediglich in der Prüfung und Bestätigung der übermittelten Daten sowie in der Herbei- führung eines Feststellungsbeschlusses der Aberkennungskommission, der in Erlangen jeweils im Umlaufverfahren erfolgte. Danach musste der

38 Siehe oben S. 19-22. 39 Der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbil- dung, 16.Dezember 1936,Betr.: Änderungen der Promotionsordnungen, S. 5. 40 Zur Frage, ob die ausgebürgerten Doktoren von der Aberkennung ihres akademi- schen Grades erfahren haben, vgl. Harrecker (Anm. I), S. 103-106, die darauf ver- weist, dass bisher kein Fall eines Emigranten bekannt sei, bei dem die Arbeitser- laubnis im Exil mit Hinweis auf die Depromotion verweigert worden wäre.

30 DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"

Rektor die Entziehung im Deutschen Reichsanzeiger veröffentlichen41 und seine Amtskollegen im Reich darüber informieren.42

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Abbildung 3: Anzeigentext zu Ludwig Morgenthau (1877-1948). Ausschnitt aus der Ersten Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staats anzeiger Nr. 38 vom 14. Februar 1939. UAE: A1/3a Nr. 946f.

41 Die Formulierung des Textes für die Anzeige wurde im April 1937 vom Reichs- ministerium festgelegt, vgl. Blecher (Anm. 18), S. 283. 42 Nach Happ (Anm. 32), S. 290, wurden trotz des bürokratischen Verfahrens offen- kundig bei weitem nicht alle promovierten Emigranten für die Depromotion erfasst, vgl. zu Erlangen unten S. 226 mit Anm. 2; zu München siehe Harrecker (Anm. 1), 5.78-80.

31 DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM IIDRITIEN REICH"

Im Promotionsbuch der jeweiligen Fakultät sollte die Aberkennung unter dem entsprechenden Namen mit roter Tinte vermerkt werden.

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Abbildung 4: UAE: Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1856/57-1899/00. Eintrag der Aberkennung bei Emil Fröhlich, 31. August 1940. Ergänzung "Jude [... ] Dr. Titel entzogen" [Original rot].

Dieses Verfahren blieb bis zum Jahre 1943 gültig. Mit der Zweiten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 29. März 1943 trat mit der Aberkennung der Staatsbürger- schaft zugleich der Verlust der akademischen Grade ein, so dass es auch des Feststellungsbeschlusses der Hochschule nicht mehr bedurfte. Von nun an genügte ein Vermerk in den Promotionsakten.43

43 RGBl. Teil I, S. 168.

32 DIE ABERKENNUNGDERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"

Entziehungen au/grund von Gerichtsurteilen

Während die Strafexpatriation als staatlich sanktionierter Rechtsbruch an- zusehen ist44 und damit auch die daraus folgende Aberkennung der Doktorgrade einen eindeutigen Unrechtsakt darstellte, ist der Entzug des Titels im Zusammenhang mit einem Gerichtsbeschluss schwerer zu be- werten; denn unter diese Rubrik fallen die unterschiedlichsten Delikte, bei denen jeweils im einzelnen zu fragen ist, ob nach den herkömmlichen Maßstäben der Rechtsprechung tatsächlich eine strafbare Handlung vor- lag oder ob es sich um Tatbestände handelte, deren Verurteilung den NS- Machthabern zur Ausschaltung ihrer Gegner und zur "Reinigung der ,Volksgemeinschaft' von rassischen und sozialen ,Volksschädlingenlf'45 diente. Was Letzteres angeht, so wurden etliche Depromotionen allein aufgrund spezifischer NS-Gesetze ausgesprochen; hierzu zählten bei- spielsweise das Heimtückegesetz, die "Rassenschande" oder das Abhören von Feindsendern.46 Doch auch bei denjenigen Delikten, die schon vor 1933 und nach 1945 strafbar waren, wie es etwa bei der Abtreibung und bei der Homosexualität der Fall war, gab es eine drastische Verschärfung der Strafen, die deutlich politische Züge trug.47 Wenn das Gerichtsurteil als Nebenfolge den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte vorsah, dann musste der Ausschuss bzw. die Universität - ebenso wie bei der Ausbürgerung - die Aberkennung der Doktorwürde, unabhängig von der eigenen Einschätzung der Straftat, aussprechen.48 In

44 So Lehrnann (Anm. 37), S. XII. 45 Vg1. Ralph Angermund: "Recht ist, was dem Volke nutzt". Zum Niedergang von Recht und Justiz im Dritten Reich. In: Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, hrsg. von K,-D. Bracher et a1. 2. Auflage. Bonn 1993, S. 57-75, hier: S. 58. 46 Eine Liste aller Delikte, die zu Depromotionen führen konnten, findet sich bei Happ (Anm. 32), S. 291. 47 Vg1.hierzu unten KapitelS; ferner Happ (Anm. 32), S. 292-294. 48 Vg1.den Rundbrief des Reichswissenschaftsministeriums an die Rektoren der Uni- versitäten vom 27. Dezember 1937. UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1, BI. 112: "Der

33 DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"

allen anderen Fällen hatten die Universitäten immerhin einen gewissen Ermessensspielraum, der im "Gesetz über die Führung akademischer Grade" von 1939 ausdrücklich festgehalten war49 und von ihnen offenkun- dig durchaus unterschiedlich genutzt wurde.50 Das Verfahren zur Aberkennung aufgrund von Gerichtsurteilen war im Runderlass vom Dezember 1936 festgelegt und im Gesetz von 1939 sowie der Ersten Durchführungsordnung ergänzt worden. In ihnen wurde angeordnet, dass "die Ausfertigung des Beschlusses über die Entziehung [...] dem Betroffenen durch Postzustellungsurkunde zuzustellen"51 sei. Zugleich sollte er über seine Rechtsmittel und die Frist zur möglichen Einlegung einer Beschwerde, die einen Monat betrug, belehrt werden. In der entsprechenden Mitteilung an den Wissenschaftsminister hatte die Universität außerdem die Gründe darzulegen, die zu der Entziehung geführt hatten. Wenn die Rechtskraft des Beschlusses vom Minister bestä- tigt war, musste die Universität die zuständige Ortspolizeibehörde über die erfolgte Doktorgradentziehung informieren.

Verlust des akademischen Grades tritt, wenn durch rechtskräftiges Strafurteil dem Inhaber die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt worden sind, gemäß § 33 StGB. kraft Gesetzes ein. In solchen Fällen bedarf es seitens der zuständigen Hochschule lediglich eines Beschlusses, der diese Tatsache feststellt. Ein Rechtsmittel dagegen ist nicht gegeben." 49 Die beiden entscheidenden Sätze lauten: "Der von einer deutschen staatlichen Hoch- schule verliehende Grad kann wieder entzogen werden" und" Über die Entziehung entscheidet diejenige Hochschule, die den akademischen Grad verliehen hat", vgI. RGBI.Teil I, S. 985. 50 VgI. z.B. Thieler (Anm. 33), S. 41-45; Robert Fuchs: Aberkennung aufgrund Verur- teilung wegen Wirtschaftsvergehens. In: Szöllösi-]anze/Freitäger (Anm. 1), S. 6lf; Forsbach (Anm. 13), S. 425-432.- Zum Umgang der Münchner Medizinischen Fakul- tät mit der Frage der Degraduierung nach Gerichtsurteilen vgI. Harrecker (Anm. 1), S.107-115. 51 UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1, BI.81: Der Reichs- und Preußische Minister für Wis- senschaft, Erziehung und Volksbildung, 16. Dezember 1936, Betr.: Änderungen der Promotionsordnungen, S. 5.

34 DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"

Unter allen Depromotionen aufgrund eines Strafurteils war das Delikt der Schwangerschaftsunterbrechung an den Medizinischen Fakultäten am häufigsten. Die Abtreibung war bereits vor 1933 strafbar und hatte auch damals schon in Einzelfällen zur Aberkennung des Doktortitels geführt.52 Nach der Machtübernahme wurde sie jedoch als ein bevölkerungspoli- tisches Instrument eingesetzt, das in zweierlei Richtung wirken sollte: Zum einen wurden die Strafen für Abtreibung an "arischen" Kindern drastisch erhöht, um die "Lebenskraft des deutschen Volkes"53zu schüt- zen, zum andern wurde sie nicht nur gefördert, sondern als eugenische Zwangsmaßnahme angeordnet und eingesetzt. Letzteres betraf vor allem die Zwangsarbeiterinnen in Deutschland, an denen im Verlaufe des Krie- ges eine Vielzahl von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärztinnen und Ärzte durchgeführt wurde.54Es ging den NS-Machthabern bei der Bestra- fung der Abtreibung also nicht um den grundsätzlichen Schutz des ungeborenen Lebens, sondern um die Durchsetzung ihrer Rassen- und Bevölkerungspolitik.55 Vor diesem spezifischen Hintergrund müssen dem- zufolge auch diejenigen Aberkennungen gesehen und bewertet werden, die aufgrund entsprechender, teilweise drastischer Strafurteile ausgespro- chen wurden, wobei sich die Situation der Angeklagten noch erheblich

52 Vgl. oben S. 17; vgl. auch Jens Kullik: Der Entziehungsgrund Unwürdigkeit bei akademischen Graden und öffentlichen Ehrungen. Diss. jur. Kiel 1996. 53 Vgl. Gerhard Werle: Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich. Berlin, New York 1989,S. 421. 54 In der Erlanger Universitäts-Frauenklinik wurden in den Jahren 1943 bis 1945 min- destens 136 Abtreibungen an "Ostarbeiterinnen" vorgenommen, vgl. hierzu Wolf- gang Frobenius: Abtreibungen bei "Ostarbeiterinnen" in Erlangen. Hochschulmedi- ziner als Helfershelfer des NS-Regimes. In: Medizin und Zwangsarbeit im National- sozialismus. Einsatz und Behandlung von "Ausländern" im Gesundheitswesen, hrsg. von Andreas Frewer/Günther Siedbürger. Frankfurt am Main, New York 2004, S.283-307. 55 Vgl. Wilm Huygen et al.: Entziehung aufgrund "gewerbsmäßiger Abtreibung". In: Szöllösi-Janze/Freitäger (Anm. 1), S. 55-59.

35 DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"

verschärfte, wenn es sich um einen jüdischen Arzt oder eine jüdische Ärztin handelte.56 Bevor nun die von der Aberkennung ihrer Doktortitel Betroffenen mit ihren Biographien in Erinnerung gerufen und gewürdigt werden, soll zunächst noch in einem kurzen Überblick der zeitspezifische Hintergrund in der Stadt Erlangen und an der Erlanger Universität beleuchtet werden.

56 Zu den Erlanger "Fällen" von Abtreibung vgl. unten Kapitel 4.2 und Kapitel 5.

36 3. NATIONALSOZIALISMUS IN ERLANGEN

In der Stadt Erlangen begann die "offizielle" Geschichte des National- sozialismus spätestens am 31. Mai 1922 mit der Gründung einer NSDAP- Ortsgruppe als Keimzelle der "Hitler-Bewegung".l Als ein Jahr später Adolf Hitler zu einer Kundgebung in die fränkische Universitätsstadt kam, die damals 28.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählte, sprach er im Kolosseumssaal vor 2.000Zuhörern.2 Die Ortsgruppe machte in diesem Krisenjahr immer wieder von sich reden durch Massenkundgebungen und gewaltsame Auseinandersetzungen mit den Sozialdemokraten, die 1919 im Erlanger Stadtrat mit 36,9% (= 11 von 30 Sitzen) die stärkste Fraktion stellten.3

1 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Erlangen im Nationalsozialismus. Begleitband zur Ausstellung im Stadtmuseum Erlangen vom 16.10.1983 bis 19.02.1984, hrsg. vom Stadtmuseum Erlangen. Erlangen o. J. S. 12; ferner Siegfried Ziegler: Erlangen und der Aufstieg des Nationalsozialismus. Gedenkvortrag am 27. April 1983 aus Anlaß des 50. Jahrestages der Gleichschaltung des Erlanger Stadtrats. Erlanger Materialien 5. Erlangen 1984, S. 9. 2 Dass diese Veranstaltung von Professoren besucht und positiv aufgenommen wur- de, zeigt ein Bericht des Pädiaters und Poliklinikers Friedrich Jamin: "Ich hatte (... ) noch nie einen solchen Redner gehört. Es mag die unerschütterliche Selbstsicherheit gewesen sein, die so gewinnenden Eindruck machte." Zit. nach Udo Baudler et al. (Hrsg.): Briefe und Betrachtungen eines Arztes. Erlangen 1986, S. 121; vgl. hierzu auch Manuela Zapf: Friedrich Jamins (1872-1951)Leben und Werk unter besonderer Berücksichtigung seiner Bedeutung für die Neurologie und Pädiatrie Erlangens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diss. med. Erlangen-Nürnberg 2003, S. 45 und 48. 3 Vgl. Manfred Franze: Erlangen im Umbruch von 1918/19. In: Erlangen - Von der Strumpfer- zur Siemens-Stadt. Beiträge zur Geschichte Erlangens vom 18. zum 20. Jahrhundert, hrsg. von Jürgen Sandweg. Erlangen 1982, S. 495-540,hier: S. 534. - Zu den frühen Aktivitäten der NSDAP und ihrer Anhänger in Franken, die maßgeblich von Julius Streicher angetrieben wurden, vgl. Rainer Hambrecht: Der Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken (1925-1933).Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte, 17. Nürnberg 1976.

37 NATIONALSOZIALISMUSIN ERLANGEN

Seit 1924 verfügten die Nationalsozialisten über vier Sitze im Erlanger Stadtrat.4 Einen von ihnen hatte Prof. Dr. Ernst Friedrich Weinland (1869- 1932) inne, der seit 1913 Ordinarius für Physiologie war.5 Er war ein typischer Vertreter des universitären Milieus, in dem die feindliche Hal- tung gegen die neue Staatsform der Weimarer Republik wie auch an vielen anderen Universitäten des Reiches6 dominierte? So war in Erlangen die Initiative zur Gründung der DNVP (Deutschnationale Volkspartei) im Dezember 1918 ausschließlich von Universitätsprofessoren ausgegangen, drei Professoren vertraten sie sogar im Bayerischen Landtag und im Reichstag, unter ihnen auch der Erlanger Ordinarius für Histologie und Entwicklungsgeschichte Amold Spuler (1869-1937).8 In der Erlanger Studentenschaft waren ebenfalls eine ausgeprägte republikfeindliche Haltung und völkischer Geist verbreitet, die insbeson- dere von den starken Korporationen getragen wurden.9 Im Sommer 1920 wurde eine Ortsgruppe des IIHochschulrings Deutscher Art" gegründet,

4 Siehe Jürgen Sandweg: Geschichte in Schichten: 1686-1986. In: Erlangen 1686-1986. Kulturhistorisches Lesebuch, hrsg. von Inge Meidinger-Geise. Erlangen 1986, S. 5-16, hier: S. 12. 5 Vgl. Renate Wittern (Hrsg.): Die Professoren und Dozenten der Friedrich-Alexander- Universität. Erlangen 1743-1960. Teil 2: Medizinische Fakultät. Erlanger Forschun- gen, Sonderreihe 9. Erlangen 1999, S. 212; ferner Jürgen Sandweg: "Erlangen ist eine Universität". In: Meidinger-Geise (Anm. 4), S. 17-101,hier: S. 77. 6 Vgl. Hans Peter Bleuel: Deutschlands Bekenner. Professoren zwischen Kaiserreich und Diktatur. Bern, München, Wien 1968,bes. S. 100-122. 7 Vgl. z.B. den Ausspruch von Johannes Reinmöller, des nachmaligen Rektors der Universität aus dem Jahre 1922: "Ich war Monarchist, ich bin Monarchist, ich bleibe Monarchist!" Erlanger Tagblatt vom 17. Juni 1922, zit. nach Manfred Franze: Die Erlanger Studentenschaft 1918-1945. Würzburg 1972, S. 49, Anm. 8, der hier noch andere einschlägige Zitate von Erlanger Professoren referiert; siehe außerdem Alfred Wendehorst: Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nümberg 1743-1993.München 1993, S. 161-168. 8 Vgl. Franze (Anm. 7), S. 55, und ders. (Anm. 3), S. 516. 9 Zur Entwicklung der Erlanger studentischen Aktivitäten in der Weimarer Republik und im "Dritten Reich" vgl. Franze (Anm. 7).

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der sich als "völkisches Gewissen" verstand, "Internationalismus, Mehr- heitsherrschaft, Pazifismus und jüdische Führung für volksschädlich" hieltlO und sich sehr rasch der parteipolitischen Linie der DNVP annä- herte.ll Im Oktober 1923 konstituierte sich erstmals eine "Nationalsozia- listische Studentengruppe" mit ca. 120 Mitgliedern, die zwar schon weni- ge Tage danach, im Anschluss an das Scheitern des "Hitlerputsches", wie- der aufgelöst, aber im März des folgenden Jahres erneut, unter anderem Namen, zugelassen wurde.12 Für die Erlanger Studentenschaft wurde in der Folge der 20. Novem- ber 1929 das vorerst wichtigste Datum, als bei den Wahlen zum AStA erstmals in Deutschland der Nationalsozialistische Deutsche Studenten- verbund mit 14 von 25 Sitzen die absolute Mehrheit errang - ein Ergebnis, das in der Bayern-Ausgabe des Völkischen Beobachters als einer "der glänzendsten nationalsozialistischen Siege der letzten Monate" gefeiert wurde.J3 Und es war nicht zuletzt dieser Wahlerfolg der Nationalso- zialisten, der dazu führte, dass Erlangen bereits in der Selbstwahrneh- mung der Zeit als "braune Universität" und als "die erste nationalsozia- listische Hochschule des Reiches" bezeichnet wurde.I4 Schon vor diesem Wahlerfolg hatte der Erlanger NSDStB auf Flugblättern bekannt, dass

10 Ebd., S. 61-63. - Zur Frühgeschichte des Antisemitismus in der deutschen Studenten- schaft vgl. Norbert Kampe: Studenten und "Judenfrage" im Deutschen Kaiserreich. Die Entstehung einer akademischen Trägerschicht des Antisemitismus. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 76. Göttingen 1988. 11 Franze (Anm. 7), S. 76f. 12 Ebd., S. 81-85; diese Gruppierung trug den Namen "Deutschvölkische Studentenbe- wegung". 13 Zit. nach Claudia Schorcht: Philosophie an den bayerischen Universitäten 1933-1945. Erlangen 1990, S. 79. 14 So Rektor Wintz in einem Schreiben an Hitler vom 12. Oktober 1943 aus Anlass des 200. Jahrestages der Universität. Universitäts archiv Erlangen (UAE): Sonderakte Universitätsjubiläum 1943, zit. nach Gotthard Jasper: Die Universität in der Weima- rer Republik und im Dritten Reich. In: 250 Jahre Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Festschrift, hrsg. von Henning Kössler. Erlanger Forschungen, Sonderreihe 4. Erlangen 1993,S. 793-838,hier: S. 795.

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seine Mitglieder fanatische Antisemiten seien, und die Einführung des Numerus clausus für Nichtdeutsche und im Besonderen für jüdische Studenten gefordert,15Diese Initiative gewinnt noch an Schärfe, wenn man bedenkt, dass der Anteil der jüdischen Studenten in Erlangen während der Weimarer Zeit weit unter dem Reichsdurchschnitt lag.16Von den Erlanger Professoren und auf Seiten der Hochschulleitung wurden die politischen Aktivitäten des NSDStB billigend bis wohlwollend begleitet, da diese in hohem Maße deren eigenen Überzeugungen entsprachen,17 Die Machtübernahme der Nationalsozialisten stieß somit in Erlangen auf vorbereiteten Boden und erzeugte eine "geradezu euphorische Auf- bruchstimmung"18 mit pathetischen Grußadressen an den Führer und enthusiastischen Ansprachen, wie sie aus dem ganzen Reich bekannt sind. Gleichwohl unterschied sich die Erlanger Situation von der an den meisten anderen deutschen Universitäten in einer Hinsicht grundlegend: Das im April 1933 erlassene "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufs- beamtenturns" blieb in Erlangen praktisch folgenlos. Aufgrund der antise- mitischen Grundstimmung an der Universität hatte nämlich bei Berufun- gen "die arische Abstammung" schon in der Weimarer Zeit eine Aus- schlag gebende Rolle gespielt,19so dass der Lehrkörper bei der Machtüber- nahme durch die Nationalsozialisten bereits "judenfrei" war. Es gab also keine rassisch oder politisch begründete personelle Umstrukturierung und damit auch keine Vakanzen, in die jüngere radikale nationalsoziali- stische Aktivisten hätten nachrücken und die Universität zu einem aus- drücklichen "Hort des Nationalsozialismus" machen können.2o Im Laufe des Sommers 1933 wurde im Zuge der "Gleichschaltung" auch an den deutschen Universitäten das Führerprinzip eingeführt. Für

15 Vgl. Franze (Anm. 7), S. 104-111. 16 Ebd., S. 58 m. Anm. 59. 17 Vgl. Ziegler (Anm. 1), S. 9. 18 So Jasper (Anm. 14), S. 815. 19 Briefliche Äußerung von Dekan Schwemmle vom 2. Januar 1934, zit. nach Jasper (Anm. 14),S. 801. 20 Vgl. Jasper (Anm. 14),S. 829 und 833;Schorcht (Anm. 13),S. 84f.

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Bayern wurden zunächst die "Vorläufigen Vorschriften zur Vereinfa- chung der Hochschulverwaltung" maßgeblich, die der Kultusminister am 28. August 1933 erließ. Danach wurde der Rektor nun aus einem entspre- chenden Senatsvorsch1ag vom Staatsminister für Unterricht und Kultus ernannt und damit zum "Führer der Universität" mit weit reichenden Machtbefugnissen erhoben. Er erhielt das Recht zur Ernennung der Senatsmitglieder und der Dekane, und alle bisherigen Zuständigkeiten des Senats gingen auf ihn über.21 In Erlangen wurde die Funktion des "Führer-Rektors" von 1933 bis 1944 ohne Unterbrechung von Medizinern ausgeübt - dies unterstreicht sowohl die Bedeutung der Medizin für das nationalsozialistische Weltbild als auch die überproportional starke Unter- stützung der Mediziner für den Nationalsozialismus.22 Der erste Rektor, der in Erlangen auf diese Weise ins Amt kam, war der Zahnmediziner Prof. Dr. Johannes Reinmöller (1877-1955),23 der vor seiner Berufung an die Friedrich-Alexander-Universität, also bis 1921, Abgeordneter der Deutschnationalen Partei im Mecklenburgischen Land- tag gewesen war und - obwohl kein Parteigenosse - in seiner Antrittsrede im November 1933 am Dies academicus die "Deutsche Festversammlung" darauf einschwor, "unserem Volkskanzler Adolf Hitler ohne jedes ,Wenn und Aber' in germanischer Treue Gefolgschaft" zu leisten.24 Da Reinmöller es während seines Erlanger Rektorates verstanden hatte, "die Hochschule

21 Vgl. Jasper (Anm. 14), S. 822f. - Ab 1934 wurde der Rektor vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ernannt, vgl. Wendehorst (Anm. 7), 5.189f. 22 50 waren von den sechs Erlanger Professoren, die den Aufruf, bei der Wahl am 5. März 1933 für Adolf Hitler und die NSDAP zu stimmen, unterschrieben, vier Medi- ziner. Ebd., 5. 180f. 23 Zu Reinmöller vgl. Hans Jürgen Müller: Biographie und Bibliographie von Johannes Reinmöller (1877-1955).Würzburger medizinhistorische Forschungen, 54. Würzburg 1994. 24 Die Rede ist abgedruckt in Wendehorst (Anm. 7), S. 190-193;das Zitat findet sich auf 5. 192; vgl. auch oben 5. 38, Anm. 7. - Zu Reinmöllers Rolle als Erlanger Rektor vgl. Jasper (Anm. 14),5.820-825.

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zielbewusst im Sinne des nationalsozialistischen Staates zu leitenJ/25und da es in Würzburg nach Ansicht der NS-Führung im Jahre 1935 keinen geeigneten Kandidaten für dieses Amt gab, wurde Reinmöller zum 1. April 1935 vom Reichserziehungsminister in dieser Funktion nach Würz- burg versetzt. Der bayerische Kultusminister, von dem dieser Vorschlag stammte, war der Überzeugung, dass Reinmöller angesichts seines hohen Ansehens sowohl in Hochschulkreisen als auch in der Partei die unter- fränkische Universität erfolgreich auf den gewünschten Kurs bringen würde.26 Reinmöllers Nachfolger wurde Prof. Dr. Fritz Specht (1890-1972), der erst ein Jahr zuvor nach Erlangen gekommen war. Er vertrat hier zunächst den Lehrstuhl für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfheilkunde, den er dann ab 1. April 1935 als Ordinarius erhielt,27 Zeitgleich damit wurde er zum Rektor der Universität Erlangen ernannt. Specht war bereits 1932 in die NSDAP eingetreten, von 1933 bis 1937 war er förderndes, ab 1938 aktives Mitglied der SS und galt als "Alter KämpferJ/.28Er war überzeugter Nationalsozialist und forderte in seiner Antrittsrede mit Nachdruck die "völkisch-politische Hochschule". In der Folgezeit scheint er dann aller- dings gewisse Vorbehalte gegenüber dem uneingeschränkten Führerprin-

25 Schreiben des Bayerischen Kultusministeriums an den Reichserziehungsminister, zit. nach Jasper (Anm. 14), S. 824. 26 Vgl. Jasper (ebd.) und Wendehorst (Anm. 7), S. 201. - Zum Wechsel in den akade- mischen Ämtern nach 1933, der nunmehr ausschließlich nach politischen Motiven und ohne den vorher üblichen regelmäßigen Turnus vollzogen wurde, vgl. Paul Egon Hübinger: Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte. Mün- chen, Wien 1974, S.106. 27 Zu Specht vgl. Wittern (Anm. 5), S. 186. 28 Wendehorst (Anm. 7), S. 195. Vor allem dieser Tatsache hatte Specht auch offen- kundig seine Berufung auf das Ordinariat zu verdanken, vgl. Jasper (Anm. 14), S. 825. - Zum Rektorat Spechts vgl. auch Jürgen Sandweg: Der Verrat des Geistes: der Fall der Erlanger Universität im "Dritten Reich". In: Die Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg 1743-1993,hrsg. von Christoph Friederich. Veröf- fentlichungen des Stadtmuseums Erlangen, 43. Erlangen 1993, S. 99-126,hier: S. 110- 112.

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zip in der Universität entwickelt zu haben, die nicht zuletzt auch zu verschiedenen Konflikten mit der Gauleitung führten.29 Specht blieb bis 1938 im Amt.30 Ihm folgte zum Sommersemester Prof. Dr. Hermann Wintz, der seit 1921 Direktor der Erlanger Frauenklinik war und dessen besondere wissenschaftliche und klinische Leistungen auf dem Gebiet der Gynäkoradiologie lagen.31 Wintz war 1935 in die Partei eingetreten und galt als eher gemäßigt, wurde aber von der Gauleitung favorisiert, während sowohl sein Vorgänger als auch das Bayerische Kultusministerium Bedenken bezüglich seiner Bereitschaft äußerten, sich uneingeschränkt für die Ziele des Nationalsozialismus einzusetzen.32 In den ersten Jahren seiner Amtsführung gelang es Wintz auch offenkundig, sich bei seinen Bemühungen, die unterschiedlichen Interessen von Univer- sität, Gauleitung und Ministerium auszugleichen, einen gewissen Spiel- raum zu bewahren, wobei er von dem Ordinarius für Systematische Philo- sophie, Prof. Dr. Eugen Herrigel (1884-1955), den er sich als Prorektor gewählt hatte, wirkungsvoll unterstützt wurde.33 So wurde ihm nach dem Krieg sogar von einem Gegner der Nationalsozialisten bescheinigt, dass er durch seine Haltung "manches Unheil von der Universität abwenden ll 34 konnte • Gleichwohl wurden in der von ihm geleiteten Klinik seit 1934 Zwangssterilisationen nach dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken

29 Vgl. Jasper (Anm. 14), S. 826f. - Zum Gauleiter Streicher und dessen verhängnis- voller Rolle in Franken vgl. Thomas Greif: Julius Streicher (1885-1946). Fränkische Lebensbilder 21 (2006), S. 327-348;ferner Hambrecht (Anm. 3). 30 Er wurde nach dem Kriege drei Jahre von den Amerikanern interniert; zum 1. Juli 1955 erfolgte seine Wiederernennung zum ordentlichen Professor in Erlangen bei gleichzeitiger Emeritierung, vgl. Wittern (Anm. 5), S. 186. 31 Vgl. hierzu die ausführliche Arbeit von Wolfgang Frobenius: Röntgenstrahlen statt Skalpell. Die Universitäts-Frauenklinik Erlangen und die Geschichte der gynäkologi- schen Radiologie von 1914-1945.Erlangen 2003. 32 Vgl. Jasper (Anm. 14), S. 827f. 33 Vgl. Sandweg (Anm. 28), S. 113. 34 Vgl. den Nachruf des Sozialdemokraten und Nachkriegsoberbürgermeisters Michael Poeschke, zit. nach Frobenius (Anm. 31), S. 395, siehe außerdem S. 414.

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Nachwuchses" und seit 1943 Schwangerschaftsabbrüche an "Ostarbeite- rinnen" vorgenommen.35 Und unter seinem Rektorat wurden auch aus den Erlanger Kliniken Patientinnen und Patienten unter dem beschöni- genden Begriff der "Euthanasie" deportiert und getötet, ohne dass es von Seiten der Universität und ihrer Leitung Widerstand gegeben hätte.36 Hermann Wintz blieb bis Ende Oktober 1944 im Amt. Ihm folgte sein langjähriger Prorektor Eugen Herrigel, der als Vertreter von Wintz schon viele Rektoratsaufgaben erledigt hatte. Herrigel war zwar erst im Mai 1938 in die NSDAP eingetreten, hatte aber in den ersten Jahren nach der Macht- übernahme offenkundig durchaus eine gewisse Affinität zum Nationalso- zialismus.37 Nach 1940 scheint er sich jedoch mehr und mehr von ihm distanziert zu haben.38 Sein besonderes Verdienst für Erlangen bestand darin, dass er sich bei Kriegsende für die kampflose Übergabe der Stadt einsetzte. Da die weitaus meisten Aberkennungen der Erlanger medizinischen Doktortitel im Zeitraum zwischen 1939 und 1942 erfolgten, fanden diese Verfahren fast alle während des Rektorats von Hermann Wintz und des Prorektorats von Eugen Herrigel statt. Der in diesen Jahren amtierende Dekan der Medizinischen Fakultät war der 1936 nach Erlangen berufene Internist Richard Wilhelm Greving (1887-1966).39Grevingwar am 1. April

35 Zu den Zwangssterilisierungen an der Erlanger Frauenklinik vgl. Dorothea Krüger: Zwangssterilisationen im Nationalsozialismus: Das "Gesetz zur Verhütung erb- kranken Nachwuchses" vom 14.Juli 1933und seine Durchführung an der Universi- täts-Frauenklinik. Diss. med. Erlangen-Nürnberg 2007; zu den Abtreibungen an "Ostarbeiterinnen" vgl. Wolfgang Frobenius: Abtreibungen an Ostarbeiterinnen 1943-1945in Erlangen. Wie angesehene Hochschulmediziner zu Helfershelfern des NS-Regimes wurden. In: Zwangsarbeit in Erlangen während des Zweiten Welt- kriegs, hrsg. von Christoph Friederich. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Erlan- gen, 6. Nürnberg 2007, 5.191-213. 36 Vgl. Hans Ludwig Siemen: Menschen blieben auf der Strecke... Psychiatrie zwischen Reform und NS. Gütersloh 1987. 37 Zu Herrigel vgl. Schorcht (Anm. 13),S. 90-95und 328-333. 38 Ebd., S. 93. 39 Zu Grevings akademischer Karriere vgl. Wittern (Anm. 5), S. 58f.

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1933 in die SA und einen Monat später in die NSDAP eingetreten. Er fungierte 1939 bis 1941 als Stellvertreter des Gaudozentenbundführers und galt als ausgesprochen nationalsozialistischer Medizinprofessor . Hier- für spricht nicht zuletzt auch die Tatsache, dass er 1939 an der Tür zur Anmeldung in der von ihm geleiteten Klinik ein Schild mit der Aufschrift "Juden unerwünscht" anbringen ließ40und dass auch auf sein Gutachten hin 1943 ein Gesuch um Behandlung von jüdischen Kranken in den Erlan- ger Universitätskliniken abgelehnt wurde.41 Dies ist der stadtgeschichtliche und universitätshistorische Rahmen, in dem sich die Erlanger Aberkennungen der medizinischen Doktortitel ab- spielten.

40 Vgl. Wendehorst (Anm. 7), S. 203 und 219. 41 Vgl. Friederich (Anm. 28), S. 348.

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4. EINZELBIOGRAPHIEN DER BETROFFENEN

4.1 ABERKENNUNG WEGEN AUSBÜRGERUNG

EMIL FRÖHLICH * 20. Oktober 1864, Dr. med. 12. Mai 1891

Der Arzt Emil FröWich stammte aus der kleinen Gemeinde Kauthen, die zum damals preußischen Kreis Ratibor gehörte, wurde am 20. Oktober 1864 geboren und war jüdischen Bekenntnisses.1 Zum Medizinstudium ging FröWich an die Universitäten in Breslau, München und Erlangen. Nach der ärztlichen Approbation war er als Mili- tärarzt in Flensburg tätig und brachte es bis zum Stabsarzt. Seine medizi- nische Dissertation mit dem Titel "Über Erscheinungen während der Inkubationszeit der Masern" wurde 1891 in Erlangen eingereicht, in Flens- burg wurde sie gedruckt.2 1892 ließ sich Dr. Emil Fröhlich in Chemnitz als Arzt nieder und war neben seiner privatärztlichen Tätigkeit auch als Kas- senarzt zugelassen. Im Jahr 1897 heiratete er die am 21. Juli 1873 in Prenz- lau geborene Betty Gorzelanszyk. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, zwei Söhne und eine Tochter: 1898 wurde Alisa geboren, ein gutes Jahr später folgte Helmut und 1904 kam Walter Fröhlich auf die Welt. Dr. Emil Fröhlich war in Chemnitz3 als Arzt erfolgreich tätig und behandelte Kassen- und Privatpatienten, den größten Teil seiner Einnah- men bezog Fröhlich aus seiner kassenärztlichen Tätigkeit.4

1 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministe- rium des Inneren an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbil- dung (REM), abschriftlich von diesem an den Rektor der Universität Erlangen am 21. August 1940. Dort heißt es: "Gegen den Juden Emil Israel Fröhlich [...]", vgl. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): Al/3a Nr. 946b. 2 Die meisten Lebensdaten sind den Akten des Universitätsarchivs Erlangen und des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs Hannover (HStAH) entnommen worden. In der Dissertation ist keine Vita enthalten, als Druckort ist dort Flensburg angegeben, siehe UAE: C3/3 Nr. 1890/91-43. 3 Die letzte bekannte Meldeadresse in Chernnitz war "Germaniastr. 8", vgl. Schreiben des Reichsführers-SS (Anm. 1). 4 Sein Einkommen in den Jahren 1930-1932belief sich auf etwa 30.000,- RM jährlich. HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8 (Fröhlich, Emil, Dr.).

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Nach der Machtübernahme im Jahr 1933 wurde auch Fröhlich sehr schnell Opfer der Ausgrenzungsmaßnahmen gegen die Juden. So wurde seine Arztpraxis in Zusammenhang mit dem allgemeinen Judenboykott, zu dem die NSDAP am 29. März 1933 aufgerufen hatte, am 1. April von zwei Posten bewacht; diese sollten Patienten daran hindern, Dr. Fröhlich zu konsultieren.5 Wegen der massiven Bestrebungen, die Zulassung jüdischer Ärzte zu den Krankenkassen zu widerrufen, gab Fröhlich seine Praxis im April 1933 im Alter von 68 Jahren auf - auch wenn er gerne weiter gearbeitet hätte und auch gesundheitlich keine Einschränkungen hatte - und musste danach mangels anderer Verdienstmöglichkeiten zu- sammen mit seiner Ehefrau von seinen Ersparnissen leben. Infolge des im Laufe der dreißiger Jahre immer stärker werdenden Verfolgungsdrucks gegen die noch im Reichsgebiet lebenden jüdischen Bürger sah sich Emil Fröhlich schließlich im Februar 1940 im Alter von 75 Jahren gezwungen, zusammen mit seiner Ehefrau doch auszuwandern: Über Genua konnten sie gerade noch nach Brasilien emigrieren Wegen der allgemeinen Repressalien und des Krieges war es Dr. Fröh- lich und seiner Frau nicht mehr möglich, Wertsachen, Möbel oder andere Bestände aus dem Haushalt mitzunehmen bzw. diese zu veräußern. Dies erkannten sogar die bundesdeutschen Behörden später an, wie es in einem Schreiben aus den 1950er Jahren heißt:

,,[...) amtsbekannt ist, dass Juden im Jahre 1940 kaum noch ihre Wohnungseinrich- tung verkaufen konnten. Die Angst, als ,Judenknecht' gebrandmarkt zu werden, hielt die Bevölkerung zu dieser Zeit ab, irgend welche Gegenstände von Juden im Falle der Auswanderung zu erwerben."6

Der NS-Staat ließ sich die erzwungene Emigration des langjährigen Arztes teuer bezahlen mit verschiedenartigen Gebührenforderungen in enormer

5 Vgl. Wemer F. Kümmel: Die Ausschaltung rassisch und politisch missliebiger Ärzte. In: Ärzte im Nationalsozialismus, hrsg. von Fridolf Kudlien. Köln 1985, S. 56-81, hier: S. 65f. 6 Der Regierungspräsident der Entschädigungsbehörde Hildesheim, in einem inter- nen Schreiben vorn 18. April 1958.Ebd.

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Höhe: So hatte er zunächst als "Sonderabgaben" die so genannte "Reichs- fluchtsteuer", die "Judenvermögensabgabe"7 sowie auch noch eine "Aus- wandererabgabe" an die "Reichsvereinigung der Juden" zu leisten.8 Darüber hinaus wurde sein Bankguthaben beschlagnahmt, so dass sich der gesamte Vermögensschaden für Dr. Fröhlich letztlich auf eine knapp sechsstellige Summe belief.9 Nach Ankunft in Rio de Janeiro wurde der Familie Fröhlich im Deutschen Konsulat eröffnet, dass sie ausgebürgert sowie das gesamte Vermögen in Deutschland zu Gunsten des Deutschen Reiches eingezogen worden sei. Bereits am 10. August 1940 war gegen "den Juden Emil Israel Fröh- lich", wie der Betroffene diskriminierend von den nationalsozialistischen Behörden genannt wurde, ein Verfahren auf Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit eingeleitet worden. Dr. Fröhlich hielt sich zu dieser Zeit auch nach Kenntnisstand des Ministeriums des Inneren in Rio de Ja- neiro (Brasilien) auf. Über dieses Verfahren wurde der Rektor der Univer- sität Erlangen durch ein Schreiben des Reichsführers-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung mit Datum vom 21. Au-

7 Die "Reichsfluchtsteuer" von 25 % des Gesamtvermögens war bereits während der Weimarer Republik (1931)eingeführt worden; die "Judenvermögensabgabe" musste 1938 auf Anregung Hermann Görings als "Sühne für die feindliche Haltung des jüdischen Volkes" nach der Pogromnacht geleistet werden. Zur Situation in Bayern siehe insbesondere Hans Günter Hockerts et al. (Hrsg.): Die Finanzverwaltung und die Verfolgung der Juden in Bayern. München 2004. 8 Vgl. hierzu Esriel Hildesheimer: Jüdische Selbstverwaltung unter dem NS-Regime. Der Existenzkampf der Reichsvertretung und Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Wissenschaftliche Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts, 50 (zugleich Univ. Diss. Jerusalem 1982).Tübingen 1994,S. 148-153. 9 Die Fröhlich entstandenen Auswanderungskosten und der zurückgelassene Hausrat sind dabei noch nicht mitgerechnet. HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8.

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gust 1940 informiert,t° dem die Aufforderung angefügt war, alles Weitere bezüglich der Entziehung der Doktorwürde zu veranlassen. Der Dekan der Medizinischen Fakultät erklärte auf Anfrage des Rektors zunächst, dass die Entziehung auf der Grundlage des Erlasses vom 16. Dezember 1936sowie des Erlasses vom 15.April 1937rechtmäßig sei.ll Dieses Schrei- ben wurde dann im Umlaufverfahren den anderen Dekanen vorgelegt. Dekan Liermann von der Juristischen Fakultät notierte auf dem Rundlauf- schreiben, in dem um Äußerung sämtlicher Dekane der Universität er- sucht wurde, zunächst noch folgenden Einwand: ,,(... ] das Verfahren ist erst eingeleitet, nach dem oben genannten Erlaß ist aber der Doktortitel erst dann zu entziehen, wenn der Betreffende der deutschen Staatsange- hörigkeit für verlustig(t) erklärt worden ist. 9.9.40Juristische Fakultät: Liermann."12 Liermann revidierte jedoch sein zunächst abwartendes Vorgehen und stimmte bereits drei Tage später der Aberkennung der Doktorwürde zu: "Da aus der Notiz von Herrn Regierungsrat Zinner hervorgeht, dass die Entziehung des Doktortitels erst dann formell ausgesprochen wird, wenn der Beschluß über die Entziehung der Staatsangehörigkeit im Reichsanzeiger veröffentlicht ist, entfallen die am 9.9. geäußerten Bedenken. Ich stimme mit dem Herrn Dekan der Medizini- schen Fakultät für Entziehung. 12.9.1940.Juristische Fakultät: Liermann."13 Das entsprechende Schreiben von Regierungsrat Zinner ist in den Akten nicht vorhanden. Liermann stellte zwar die Rechtmäßigkeit der Depromo- tion vor dem erfolgten Entzug der Staatsangehörigkeit in Frage, ließ sich

10 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministe- rium des Inneren an das Reichswissenschaftsministerium, abschriftlich von diesem an den Rektor der Universität Erlangen am 21. August 1940.UAE: A1/3a Nr. 946b. 11 Anfrage des Rektors der Universität an den Dekan der Medizinischen Fakultät zur Person und der Frage der Entziehung vorn 27. August 1940, beantwortet am 31. August und weitergeleitet an die anderen Dekane. Ebd. 12 HStAH: Nds. 110 W Acc. 8/90 Nr. 183/8.Kursive Stellen im Original unterstrichen. 13 Ebd.

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dann aber offensichtlich durch den Dekan der Medizinischen Fakultät von dem geplanten Vorgehen überzeugen. Ende Oktober 1940 erhielt die Universitätsverwaltung schließlich eine Ausbürgerungsliste zugesandt, auf der sich auch der Name Emil Fröhlich befand. Nun informierte die Erlanger Universität umgehend in einem Rundschreiben die Rektoren der anderen deutschen Universitäten über den erfolgten Titelentzug. Im Januar 1941 wurde der Entzug des Doktor- titels im Reichsanzeiger veröffentlicht und die Depromotion durch Bericht an das Bayerische Ministerium für Unterricht und Kultus und das Reichs- wissenschaftsministeriums formal beendet. Emil Fröhlich war zu diesem Zeitpunkt bereits 76 Jahre alt. Der Ras- senwahn des NS-Staates hatte verfügt, dass der Arzt, der über Jahrzehnte in Deutschland gearbeitet und im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, sich mittlerweile "Ernil Israel Fröhlich" nennen und durch Zwang seine Hei- mat verlassen musste. In Brasilien konnte er wegen der fehlenden Sprach- kenntnisse keine berufliche Tätigkeit ausüben, zumal Fröhlich "als auslän- discher Arzt in Brasilien als Arzt nicht hätte arbeiten können, da zu dieser Zeit nur geborenen Brasilianern die Ausübung eines freien Berufs erlaubt war."14 Die Lebenswege der fünfköpfigen Familie Fröhlich sollten sich in der Folge trennen, nur der Sohn Walter blieb in Rio de Janeiro. Dr. Hans Fröhlich wird später mit dem Wohnort Masterton in Neuseeland geführt, während der Vater Emil Fröhlich - zusammen mit seiner Frau Betty oder evtl. auch erst nach deren Tod (24. Oktober 1954) - zur Tochter Alisa nach Israel ging. Diese hatte den Juristen Dr. Heinrich Wulfsohn geheiratet und war in die Nähe von Tel Aviv gezogen.15 Über die weitere Geschichte in der Nachkriegszeit geben umfangrei- chere Aktenbestände im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv in Hanno- ver Auskunft.16 Nominell heißt der dortige Bestand "Wiedergutmachungs-

14 Ebd. 15 Ramot Haschawim. Alisa Wulfsohn, geb. Fröhlich; laut späteren Angaben gab es in ihrer Familie noch zwei Kinder, also Enkel von Emil Fröhlich. Ebd. 16 HstAH: Nds. 110 W Ace. 8/90, Nr. 183/8.Der Umfang beträgt etwa 130 Seiten.

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akte". Er bringt nicht nur weitere Facetten zur Lebensgeschichte Fröhlichs, sondern auch wichtige Informationen zum Umgang mit dem Thema "Entschädigung" durch den Antrag eines NS-Opfers.

Die Entwicklung der "Entschädigung" von Dr. Fröhlich

Der Berliner Rechtsanwalt und Notar Dr. M. wurde nach der Verabschie- dung des Entschädigungsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland von Emil Fröhlich mit der Wahrnehmung der Entschädigungsansprüche betraut. Mit Bescheid vom 26. September 1956 wurde Dr. Fröhlich zunächst insbesondere wegen "Schäden im beruflichen Fortkommen (selbständiger Beruf)" eine Überweisung von Entschädigungsleistungen aufgrund des Bundesgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG)vom 29. Juni 1956 zugebilligt. Dort wurde in der Beur- teilung des NS-Unrechts klargestellt: ,,1. Der Antragsteller ist aus Gründen der Rasse im Sinne des § 1 BEG verfolgt wor- den. 2. Dem Antragsteller steht eine Rente ab 1. 11. 1953in Höhe von monatlich [...] und eine Kapitalabfindung [...] zu [... ]."17 Als Gründe für die Berechtigung wurden dort nach einer Zusammenfas- sung der Umstände der Ausbürgerung nochmals zusammengestellt: "In Brasilien konnte der Antragsteller wegen seiner mangelnden Sprachkenntnisse keine gewinnbringende Tätigkeit ausüben, zumal der Antragsteller als ausländi- scher Arzt in Brasilien als Arzt nicht hätte arbeiten können, da zu dieser Zeit nur

17 Dieser Bescheid enthielt noch einen weiteren Punkt: ,,[3.] Die Entschädigungsberech- nung kann rückwirkend geändert werden, wenn sich auf Grund der Neufassung der 3. DV-BEGeine andere Entschädigung errechnet. Ergibt sich bei der Neuberechnung eine Überzahlung, so kann der überzahlte Betrag zurückgefordert werden oder auf andere Entschädigungsansprüche angerechnet werden. Der Anspruch ist sofort fäl- lig. Die Entscheidung ergeht gebühren- und auslagenfrei." Ebd. Die genauen Anga- ben zu den Summen sind aus archivrechtlichen Gründen nicht wiedergegeben.

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geborenen Brasilianern die Ausübung eines freien Berufs erlaubt war. Nach seiner Ankunft in Rio de Janeiro wurde dem Antragsteller im Deutschen Konsulat eröffnet, dass er ausgebürgert und sein gesamtes Vermögen in Deutschland zu Gunsten des Deutschen Reiches eingezogen worden sei."18 Die Beurteilung durch die Hildesheimer Entschädigungsbehörde stützte sich in der Argumentation auf die folgenden Unterlagen und Dokumente: "Dieser Sachverhalt, der auf den glaubhaften Angaben des Antragstellers beruht, wird durch folgende, in der Entschädigungsakte befindliche Unterlagen bestätigt: 1. Eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom 17.4.1956. 2. Judenvermögensabgabe-Bescheide des Finanzamtes Chemnitz vom 15.12.38 und 9.11.39,aus der sich ein Vermögen des Antragstellers von [... ] ergibt. 3. Vermögenssteuer-Bescheid des Finanzamtes Chemnitz vom 23.3.39, aus dem sich noch ein Vermögen der Eheleute per 1.1.1939in Höhe von [... ] ergibt. 4. Entwurf der Vermögenserklärung des Antragstellers für das Jahr 1940." Die formale Vorgehensweise wurde wie folgt geschildert: "Der Antragsteller hat mit Antrag vom 1.5.1956(BI.6 u. 7/1)nach dem BEG Entschä- digungsansprüche an Eigentum, an Vermögen, durch Zahlung von Sonderabgaben pp. und für Schaden im beruflichen Fortkommen geltend gemacht. Das Rentenwahl- recht hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs für Schaden im beruflichen Fort- kommen hat der Antragsteller H. Mitteilung des Bevollmächtigten vom 29.1.1957 (BI. 15/11). Die Zuständigkeit der erkennenden Entschädigungsbehörde folgt aus § 185 Abs. 2 Ziff. 3b BEG i.V.m. § 2 Abs. 1 Ziff. 4 ZVO-BEG vom 23.7.1956 (Nds. GVBL. S. 98), weil der Antragsteller vor seiner Auswanderung seinen letzten inländischen Wohn- sitz in Chemnitz gehabt hat.19 Auf Grund der glaubhaften Angaben des Antragstellers und der von ihm beige- brachten Unterlagen steht fest, daß er durch die nat. soz. Boykottmaßnahmen veran- laßt wurde, am 1.4.1933 seine Praxis als Arzt niederzulegen und wegen des in der Folgezeit immer stärker werdenden allgemeinen Verfolgungsdrucks gegen die noch im Reichsgebiet lebenden Juden zusammen mit seiner Ehefrau im Jahre 1940 nach

18 Ebd. 19 Hier ist zu bemerken, dass dieses Entschädigungsverfahren für Ostdeutschland von Niedersachsen übernommen wurde.

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Brasilien ausgewandert ist. Es bestehen daher auch keine Bedenken, ihn als aus Gründen der Rasse Verfolgten im Sinne des § 1 BEGanzuerkennen. [...]."20 Neben diesem Anspruch lief auf juristischer Ebene noch ein weiterer Vor- gang, der mit einem Vergleich zwischen Dr. Emil Fröhlich und dem Ent- schädigungsamt endete. Dieser kam jedoch auch erst voran und zustande nach mehreren Schriftwechseln und besonders nachdrücklichem Verweis des Anwalts auf das hohe Alter von Emil Fröhlich. Am 11. September 1956 schrieb er etwa: "Die jüdische Öffentlichkeit des In- und Auslandes würde es mit großer Genugtuung begrüssen, wenn einem Manne dieses Alters schnell geholfen werden könnte."21 Am 1. November 1957 wandte sich der Vertreter Fröhlichs erneut an die Behörde: "In obiger Sache bitte ich, den Vermögensschaden zu bearbeiten, unter Offenlassung einer Entschädigung für den so gen. good will. Da der Antragsteller bereits 93 Jahre alt ist, kann ich leider nicht mehr darauf warten, bis das Innenministerium über die Frage des good will sich schlüssig wird."22 Mit Schreiben vom 22. Mai 1958 wurde in der "Entschädigungssache des Arztes Dr. Emil Fröhlich [...]" zwischen dem Land Niedersachsen - vertre- ten durch den Regierungspräsidenten Hildesheim für die Entschädigungs- behörde - und dem Antragsteller folgender Vergleich23 geschlossen:

,,1. Der Antragsteller hat mit Antrag vom 1.5.1956 Entschädigungsansprüche für Schaden am Eigentum, Schaden am Vermögen, Schaden durch Zahlung von Sonder- abgaben, Schaden im beruflichen Fortkommen angemeldet." Das Dokument verzeichnet nachfolgend die Details der schwierigen Aus- handlung der Summen:

,,2. Über den Anspruch für Schaden im beruflichen Fortkommen ist mit Teilbescheid vom 19.3.1957 entschieden worden. Zur Abgeltung der übrigen Ansprüche gewährt die Entschädigungsbehörde dem Antragsteller eine Entschädigung von [... ]. 3. Der

20 HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8. 21 Ebd. 22 Ebd. 23 Im Originaldokument gesperrt gedruckt und unterstrichen.

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dem Antragsteller mit Verfügung vom 4.12.1957 - I EB - 213096 - gewährte Vor- schuss in Höhe von [... ] ist auf die Vergleichssumme anzurechnen. 4. Damit sind alle von dem Antragsteller angemeldeten und nach dem BEG zulässi-

gen Entschädigungsansprüche unwiderruflich abgegolten. "24

Von der Universität wurde Emil Fröhlich bezüglich der Aberkennung der Doktorwürde nicht offiziell rehabilitiert, aber wenigstens konnte er neben den Einmalzahlungen eine monatliche Rente des Staates erhalten. Diese wurde in den nächsten Jahren sukzessive angehoben.25 Dass Emil Fröhlich nach diesen Problemen und unter den Umständen der Emigration noch ein so hohes Alter erreichte, ist eine außerordentlich positive Entwicklung seiner Lebensgeschichte. In besonderer Weise doku- mentiert sich dies auch noch in der Korrespondenz zu seinem 100. Ge- burtstag. Der Regierungsdirektor der in Hildesheim ansässigen Entschädigungs- behörde, Dr. Johannes Wollschläger, schrieb Dr. Emil Fröhlich zum 19. Oktober 1964 per Luftpost26 einen - im Kontrast zu den sonstigen bürokra- tischen Verwaltungsabläufen - sehr persönlichen und bemerkenswerten Brief: "Wir haben aus Ihren Rentenvorgängen ersehen, dass Sie am 19. Oktober dieses Jahres Ihr 100. Lebensjahr vollenden. Im Ablauf dieses langen Lebens mag die Verbindung mit unserer Behörde bittere Gefühle in Ihnen wecken. Da sie aber dazu bestellt ist, vieles ,wiedergutzumachen' von dem, was politischer Wahnsinn ange- richtet hat, wollen Sie uns bitte erlauben, dass wir an diesem so seltenen Geburtstag auch unter Ihren Gratulanten erscheinen."27

24 Hildesheim, den 22. Mai [April durchgestrichen] 1958. Unterschrieben war dieser Vergleich vom Regierungspräsidenten der Entschädigungsbehörde, im Auftrage [U.] Reg. Rat., sowie dem Bevollmächtigten Dr. M., Berlin-Charlottenburg [Unter- schrift, Stempel]. 25 Zum Januar 1965 wurde die monatliche Entschädigung eingestellt. 26 Stempel der Postabfertigung vom 14. Oktober 1964. Das Wort Luftpost war rot und dreifach unterstrichen, 27 Schreiben des Regierungsdirektors Dr. Johannes Wollschläger an Dr. Emil Fröhlich zum 19. Oktober 1964. HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8.

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Auch auf die besonderen Umstände und den historischen Kontext ging der Behördenleiter ein: "In aufrichtiger Gesinnung freuen wir uns mit Ihnen, dass es Ihnen vergönnt war, die Gefahren und Wirrnisse dieses Jahrhunderts, die in diesem Umfange und mit dieser Gewalt bis dahin noch nie über unsere Breiten gekommen waren, zu über- leben. Möge Ihnen für den späten Abend dieses reich gesegneten Lebens ein wahrer Friede beschert sein. Mit vorzüglicher Hochachtung und besten Grüßen bin ich namens der Entschädigungsbehörde Ihr sehr ergebener [Unterschrift]."28 Dieser Brief hatte für die Familie Fröhlich eine hohe persönliche und symbolische Bedeutung: Der von Emil Fröhlich beauftragte Rechtsanwalt und Notar antwortete in einem als IIPersoenlich" betitelten Brief wenige Tage später dem Regierungsdirektor Dr. Wollschläger: "Bei dem Trauerbesuch, den ich aus Anlass des Todes meines Studienfreundes, Dr. Heinrich Wulfsohn in Ramot Haschawim, gemacht habe, wurde mir Ihr liebenswür- diges Schreiben vorgelegt, das Sie aus Anlass des lOOjaehrigenGeburtstages an den Schwiegervater des Verstorbenen, Herrn Dr. Fröhlich, - frueher Chemnitz, - gerich- tet hatten. Ich bin gebeten worden, Ihnen im Auftrage des Herrn Dr. Fröhlich, sowie der Familie, herzlich zu danken fuer die Teilnahme an dem besonderen Ereignis und den Geist, der aus Ihren Zeilen spricht.-- Die in Ramot Haschawim Anwesenden waren von Ihren Zeilen stark beeindruckt und haben in ihnen ein Zeichen dafuer gesehen, dass es ein anderes Deutschland gibt. Herr Dr. Fröhlich ist leider nicht mehr in der Lage, Ihnen persoenlich zu schreiben. Mit vorzueglicher Hochachtung, Ihr sehr ergebener [Unterschrift Dr. B., Rechtsanwalt]."29 Dr. Emil Fröhlich hat für die Geschichte der Aberkennung der Doktor- würde eine besondere Bedeutung: Er ist nicht nur der älteste Absolvent der Erlanger Universität mit medizinischer Promotion, dem diese aus poli- tischen Gründen wieder entzogen wurde, sondern es ist auch das Beispiel

28 Ebd. 29 Schreiben von Dr. B. an Regierungsdirektor Dr. Wollschläger. Ebd.

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einer Biographie, die trotz aller Wirren von Nationalsozialismus, Zweitem Weltkrieg und Flucht noch für eine lange Zeit dokumentierbar ist. Die Familie konnte emigrieren und unter schwierigen Bedingungen zunächst in Brasilien, dann in Israel leben. In den Akten der Universität sind keine Hinweise auf eine Entschuldigung oder Rehabilitation vorhanden, die Entziehung des Doktortitels wurde auf dieser Ebene nicht rückgängig ge- macht. Aber wenigstens wurden Fröhlichs Entschädigungsansprüche in den 1950er Jahren von den deutschen Behörden anerkannt, und durch sei- ne stabile Gesundheit konnte er in Israel noch seinen 100. Geburtstag fei- ern - kurz danach starb Dr. Emil Fröhlich.

A.F./A.T.

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Jr. Johannee Wollaohläger Hildesheim zum 19.0i tobel' 1964 Regiorungsdirektor

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Mit vorzUglichster Hochachtung urW "" ••te" Grüßen bin ich nam&ns dar ~Dt9chärli~ungBhncrde Ihr sehr

Abbildung 5: Schreiben von Dr. Wollschläger an Dr. Ernil Fröhlich vorn 19. Oktober 1964. HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8.

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Sehr gee!lrter Herr Regi.erungsdircl:tor Pr. \/ollsdllllger,

Bei dem'l'rauerbesuch, den ich aus J\r.lass des 'l'odes meines Studienfreundes, Dr. Heinrich WulfroJmin fulmot f!aschaw'J." gCITl8chthabe, w.rde mir Ihr liebenswuerdiges Schreiben vorgelegt, das Sie aus Anlass des l(x) jaehrigc.n Geburtstages an den SC..':llo'iegervaterdes Verstorbenen. Herrn Dr. Froe.'llich, - frucncr Chemnitz, - gerichtet hatten. Ich bin gebeten worden, Ihnen im Auftraee des Herrn Dr.F'roehlich, sowie der FBlld.lie, herzlich zu danken fuer die 'feilnehme, an dar. besonderen Ereignis und dea Geist, der aus Ihren Zeilen spricht.- Die in lla:;Jot HaschawimAnwesendf'.nwarenvon Ihren Zeilen stark beeindruckt ur:.dllsben in ihrlen ein Zeic.."f'..n dai'uer gesehml, dass es ein andere~ Deutschland gibt. Herr Dr. Froehlich ist leider nicht mp~'lrin der Laee, Ihnen per50enlich zu schreiben.

fii.t vo~licher lIochach~J,ng,Ir.r sehr ergebener _ -!lechtsanwa1t.

Abbildung 6: Schreiben von Rechtsanwalt Dr. B. an Dr. Wollschläger vom 19. Oktober 1964. HStAH: Nds. 110 W Acc. 8/90 Nr. 183/8.

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JOSEF HOLLERBUSCH * 16. September 1869,Dr. med. 4. August 1893

Josef Hollerbusch wurde am 16. September 1869 in Fürth1 als Sohn des Bleistiftfabrikanten Adolf Hollerbusch2 und Johanna Stettauer geboren.3 Er war jüdischen Bekenntnisses.4 Hollerbusch studierte 1888 bis 1889 und wiederum 1892bis 1893 Medizin an der Universität ErlangenS und promo- vierte dort am 22. Juni 1893 mit einer Arbeit "Über die intrauterinen Unterschenkelbrüche" zum Doktor der Medizin.6 Der Dissertation, die vom langjährigen Ordinarius für Chirurgie Walter Heineke (1834-1901) betreut wurde, liegt ein Fall zugrunde, der im Februar 1893 in der Chirur- gischen Klinik vorgestellt worden war? Bald nach seiner Promotion ließ sich Josef Hollerbusch in seiner Hei- matstadt als praktischer Arzt nieder.8 Am 20. November 1899 heiratete er die am 4. März 1879 in Bamberg geborene Berta Reitzenberger.9 Aus der

1 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsministe- rium des Innern an den Reichserziehungsminister, abschriftlich von diesem an den Rektor der Universität Erlangen, vorn 12. bzw. 30. April 1941. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): Al/3a Nr. 946d). - Die Dissertation Josef Hollerbuschs weist keine Vita auf; die Daten zu seiner Ausbildung sind der Entschädigungsakte von Berta Hollerbusch, der Witwe von Josef Hollerbusch, entnommen. Bayerisches Landesent- schädigungsamt (BayLEA):EG 94605. 2 Vgl. Universitätsbibliothek Erlangen (UBE): Erlanger Register zur Matrikel 1843- 1893 (noch unveröffentlicht). - Der Vater starb vor 1888. 3 Vgl. die Heiratsurkunde Hollerbuschs. BayLEA:EG 94605. 4 Schreiben des Reichsführers-SS (Anm. 1). 5 Vgl. Matrikel (Anm. 2). An welchem Ort Hollerbusch in der Zwischenzeit studierte, ist nicht bekannt. 6 Die Promotionsurkunde wurde ihm am 4. August 1893ausgehändigt. 7 Die Dissertation wurde 1893in Fürth gedruckt. 8 Aus der Entschädigungsakte (Anm. 1) geht hervor, dass Hollerbusch von Geburt an bis zum Jahr seiner Emigration in Fürth gemeldet war. BayLEA: EG 94605. 9 Ihre Eltern waren der Kaufmann Berthold Reitzenberger und Mary Siegmann. Ebd.

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Ehe gingen zwei Kinder hervor: Der Sohn Adolf wurde am 23. Juli 1900 geboren,lOdie Tochter Maria (Marie) am 17. April 1908.11Josef Hollerbusch erfreute sich offenkundig in der Kaiserzeit und während der Weimarer Republik großen beruflichen Erfolgs und erheblichen Ansehens. So war er bereits vor 1900 zum Sanitätsrat ernannt worden und versah jahrzehnte- lang das Amt als Ausschussmitglied bei der Unterstützungsabteilung der Bayerischen Landesärztekammer.12 Dieses Amt musste er jedoch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten - aufgrund der "derzeitigen Verhältnisse"13- im März 1933 niederlegen.14 Im Juli 1933 wurde Josef Hollerbusch zusammen mit seinem Sohn, der bei ihm wohnte,15in einer nächtlichen Aktion schikaniert, gedemütigt und kurzfristig verhaftet.l6 Während sein Sohn zur sofortigen Emigration verpflichtet wurde und wenige Wochen später nach Portugal ausreiste, blieben der zu diesem Zeitpunkt 64 Jahre alte Josef Hollerbusch und seine

10 Adolf Hollerbusch, der ebenfalls Medizin studierte und in Erlangen promovierte, war auch ein Opfer der Doktorgradentzüge; zu seinem Verfahren siehe unten S. 129. 11 Maria Hollerbusch heiratete am 19. August 1932 einen aus Laudenbach b. Karlstadt (Landkreis Main-Spessart) stammenden Rabbi. BayLEA: EG 94605. 12 Schreiben der Landesärztekammer an Sanitätsrat Dr. Hollerbusch vom 3. April 1933, in dem diesem für seine "jahrzehntelange, treue, hingebungsvolle und uneigen- nützige Arbeit zum Wohle der bayerischen Arztwitwen und Arztwaisen" gedankt wird. Ebd. 13 Ebd. 14 Zu der gleich nach der Machtübernahme einsetzenden systematischen Verdrängung der jüdischen Ärzte aus allen Ämtern vg1. den Aufruf des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes im Völkischen Beobachter vom 23. März 1933: "Deshalb rufen wir heute die gesamte deutsche Ärzteschaft auf: Säubert die Führung unserer Organisationen, fegt alle hinweg, die die Zeichen der Zeit nicht verstehen wollen, macht unseren Stand in Leitung und Geist wieder deutsch, so wie es Reich und Volk in diesen Wochen geworden sind." Zit. nach Axel Drecoll et a1.: Nationalsozialisti- sche Verfolgung der jüdischen Ärzte in Bayern. München 1998, S. 10. 15 Die gemeinsame Wohnung und Praxis lag in der Mathildenstraße 1. BayLEA: BEG 18912, B-Akte, BI.5. 16 Ebd., BI. 1; dazu siehe auch unten S. 130.

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Frau vorerst in Fürth. Als aber die Verfolgungen und Boykottmaßnahmen seitens der Nationalsozialisten immer mehr zunahmen und die materielle Existenz durch den Verlust der Kassenzulassung bedroht warp mussten sie im Jahre 1937 ebenfalls die Heimat verlassen.t8 Sie fuhren zunächst nach Budapest. Da sie jedoch in Ungarn keine Aufenthaltsgenehmigung erhielten, t9reisten sie von dort nach Cakovec in Jugoslawien,2° wo sie bei ihrer Tochter Maria und ihrem Schwiegersohn unterkamen. Doch auch hier konnten sie wegen der fehlenden Aufenthaltsgenehmigung nur einige Monate bleiben, und so begaben sie sich nach Portugal zu ihrem Sohn, der zu diesem Zeitpunkt noch in Porto lebte. Nach etwa einem Jahr reiste das Ehepaar dann nach Chicago (USA) aus, wohin in der Zwischenzeit offenkundig bereits ihre Tochter und deren Mann ausgewandert waren. Mit der Emigration verlor das Ehepaar Hollerbusch seine materielle Existenzbasis: Ihre Wohnungseinrichtung, über deren nicht unerheblichen Wert die Entschädigungsakten Auskunft geben,2tsollte ursprünglich nach Jugoslawien nachgesandt werden, wurde

17 Ob Josef Hollerbusch bereits durch die Verordnung des Reichsarbeitsministeriums vom 22. April 1933, mit der allen Kassenärzten "nicht-arischer" Abstammung die Zulassung zu den gesetzlichen Krankenkassen entzogen wurde, seine Kassenzulas- sung verlor oder ob er unter eine der Ausnahmebestimmungen mit aufschiebender Wirkung fiel, entzieht sich unserer genauen Kenntnis. In den Entschädigungsakten ist vom "Absinken des Einkommens nach 1933" die Rede. BLEA:EG 94605.- Zu den einzelnen Etappen der Ausgrenzung und Vertreibung jüdischer Ärzte vgl. Hans-- Peter Kröner: Die Emigration deutschsprachiger Mediziner im Nationalsozialismus. Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, Sonderheft 1989, S. 1*-44*;ferner Drecoll (Anm. 14), S. 9-30. 18 Hollerbuschs Jahreseinkommen betrug, solange er die Kassenpraxis ausüben durfte, etwa 18.000RM. Eidesstattliche Erklärung seines Schwiegersohns vom 1. November 1954.BayLEA: EG 94605. 19 Eidesstattliche Versicherung des Schwiegersohns vom 4. Juni 1956,in der dieser den schwierigen Weg des Ehepaars bis nach Amerika schildert. Ebd. 20 Die Abmeldung im Einwohneramt Fürth nach Cakovec ist auf den 20. April 1937 datiert. Ebd. 21 Vgl. die detaillierte Aufstellung, ebd.

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aber beschlagnahmt und versteigert;22 für die erzwungene Ausreise musste das Ehepaar einen erheblichen Betrag für die "Reichsfluchtsteuer" sowie als "Judenvermögensabgabe" bezahlen.23 Außerdem wurden ihre sämtlichen Versicherungsverhältnisse aufgelöst.24Zudem durfte Josef Hol- lerbusch seinen Beruf nach seiner Auswanderung nicht mehr ausüben, ob- wohl er dazu nach Aussage seines Arztes trotz seines hohen Alters durch- aus noch fähig gewesen wäre.25Demzufolge sah sich das einst in Deutsch- land in guter bis sehr guter wirtschaftlicher Situation lebende Ehepaar nunmehr in der schwierigen Lage, vollständig auf die Unterstützung seiner Kinder und Freunde angewiesen zu sein.26 Am 30. April 1941 wurde dem Rektor der Universität Erlangen vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung mitgeteilt, dass am 12. April vom Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern "gegen den Juden Dr. med. Josef Holler- busch" ein Verfahren auf Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit eingeleitet worden sei.27Die dort geäußerte Vermutung, dass sich Holler- busch zu diesem Zeitpunkt noch in Portugal aufhalte, wird durch die Entschädigungsakten widerlegt. Nachdem sich der Dekan, der wenige Tage danach von dem Verfahren zur Ausbürgerung unterrichtet worden war, mit Verweis auf die gesetzlichen Grundlagen zur Aberkennung des Doktortitels für die Entziehung der Doktorwürde ausgesprochen und die Dekane der anderen Fakultäten dieser Entscheidung im Umlaufverfahren zugestimmt hatten, teilte der Rektor am 2. August 1941 den Rektoren der deutschen Hochschulen und am 18. August dem Bayerischen Staatsmini-

22 Ebd. 23 Ebd. - Zu diesen Abgaben vgl. z.B. Hans Günter Hockerts et al. (Hrsg.): Die Finanz- verwaltung und die Verfolgung der Juden in Bayern. München 2004. 24 Ebd. 25 Vgl. die Ärztliche Bescheinigung vom 10. Februar 1962: ,,(... ] obwohl er zu dieser Zeit 76 Jahre alt war, wäre es meines Erachtens nach durchaus vorstellbar, dass Herr Sanitätsrat Dr. Hollerbusch sich noch hätte weiter ärztlich betätigen können." Ebd. 26 Eidesstattliche Erklärung des Schwiegersohns vom 1. November 1954. Ebd. 27 Alle in diesem Absatz genannten Schriftstücke finden sich in UAE: A1/3a Nr. 946d.

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sterium für Unterricht und Kultus mit, dass losef Hollerbusch der akade- mische Doktorgrad entzogen worden sei. Die Veröffentlichung im Deut- schen Reichsanzeiger erfolgte am 8. August 1941in der Nr. 183.

Abbildung 7: UAE: Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1856/57-1899/00. Eintrag der Aber- kennung bei Josef Hollerbusch, 8. Mai 1941. Rot ergänzt: "Jude - Dr.-Titel entzogen [... ]".

Josef Hollerbusch war zum Zeitpunkt seiner Depromotion 71 Jahre alt. Er wurde von der Entscheidung der Erlanger Universität nicht unterrich- tet, so dass ihm nach den Demütigungen und Verfolgungen durch die Nationalsozialisten, die er von 1933bis zu seinem Weggang erlitten hatte, nach der Entwurzelung durch die Emigration und den damit verbunde- nen existentiellen Problemen die Kenntnis von dieser weiteren Entwürdi- gung durch seine akademische Heimat wohl erspart blieb. Er starb in Chicago am 26. September 1946an einem Schlaganfall.28

R.W,/B.S.

28 BayLEA: EG 94605.

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LUDWrG MORGENTHAU * 23. März 1877,Dr. med. 11.Juni 1900

Mit der Biografie von Ludwig Morgenthau lernen wir die Aufstiegs-, Assimilations- und Emigrationsgeschichte eines deutsch-jüdischen Arztes kennen. Überdies dokumentiert sich durch die Forschung zur Familie nicht nur der seinerzeit angesehene Mediziner, sondern mit seinem Sohn Hans Joachim Morgenthau (1904-1980)1auch ein renommierter Politologe. Über das Leben von Ludwig Morgenthau liegen von ihm selbst keine Äußerungen vor, dennoch können viele Aspekte und Besonderheiten aus bisher unbearbeiteten Archivbeständen sowie über seinen Sohn erschlos- sen werden, der in Europa wie auch in den USA arbeitete und internatio- nal bekannt wurde. Ludwig Morgenthau gehört zur Gruppe von Erlanger Promovenden, denen der Doktortitel durch die NS-Ideologie aufgrund der Ausbürgerung entzogen wurde. Zum Zeitpunkt seiner Depromotion im Jahr 1939war er als über 60-jähriger bereits im Exil in den USA. Ludwig Morgenthau wurde am 23. März 1877in Hüttenbach (bei Sim- melsdorf/Bayern) geboren. Er war das jüngste Kind von Jeanette Morgen- thau (geb. Schmidt) und Moritz Morgenthau/ der 1881-1906Kantor der Israelitischen Gemeinde Erlangens und seit 1885 Lehrer der Jüdischen Gemeindeschule war.3 Ab 1892 wohnte die Familie neben den Gebets-

1 Vgl. insbesondere Christoph Frei: Hans J. Morgenthau. Eine intellektuelle Biogra- phie. St. Galler Studien zur Politikwissenschaft, 15. Bem u.a. 1994. 2 Moritz Morgenthau (1843-1911)war über 25 Jahre Lehrer, Vorbeter und Schochet (Schächter) der Israelitischen Kultusgemeinde in Erlangen. Vgl. die Angaben bei Christoph Friederich (Hrsg.): Juden und Judenpogrom 1938 in Erlangen. Veröffentli- chung des Stadtmuseums Erlangen, 40. Erlangen 1999, S. 11. - Überdies war er auch Lehrer für Israelitischen Religionsunterricht am - damals "Studienanstalt" genann- ten - Humanistischen Gymnasium Fridericianum in Erlangen (1885-1906).Ebd. 3 Siehe http://ikg-bayem.de/rsfr_1.html (Stichwort "Erlangen"), http://www.aleman- nia-judaica.de/erlangen_synagoge.htm (zuletzt aufgerufen am 15. Mai 2008). Zum allgemeinen Kontext vgl. auch Stadtmuseum Erlangen (Hrsg.): Erlangen im Natio-

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räumen der Israelitischen Gemeinde in der Dreikönigstrasse 1-3; zuvor hatten sie in verschiedenen Wohnungen gelebt, zumeist in der Friedrich- straße.4 Die Familie Morgenthau war schon lange in Bayern und speziell auch in Oberfranken heimisch. Ludwig war das jüngste von fünf oder sechs Geschwistern und dabei der einzige Sohn. Seinen Eltern war eine gesicherte Zukunft des Jungen sehr wichtig, so dass ihnen - trotz finan- ziell eher beschränkter Möglichkeiten - viel daran lag, dem Sohn ein Medizinstudium an der Erlanger Universität zu ermöglichen. Seine Dissertation schrieb Ludwig Morgenthau über das Thema "Statistik der in den Jahren 1892-1899 in der chirurgischen Klinik zu Erlangen ausgeführten größeren Amputationen und Exartikulationen" und promovierte mit Datum 2. Juni 1900 zum "Dr. med."; die Urkunde erhielt er kurz darauf am 11.Juni des Jahres 1900ausgehändigt. 1903 heiratete Ludwig Morgenthau die Tochter eines wohlhabenden Bamberger Kaufmanns, Frieda Bachmann. Spätestens nach seiner Heirat ließ er sich in Coburg nieder, um als Arzt in der Spitalgasse Nr. 3 eine eigene Praxis zu eröffnen.5 Ein Jahr später, am 17. Februar 1904, kam der Sohn Hans auf die Welt; er sollte das einzige Kind des Ehepaars Morgen- thau bleiben. Ludwig Morgenthau wurde ein angesehener Mediziner in Coburg. Der Erfolg seiner Praxis gründete auf der Ernsthaftigkeit und Zuverlässig- keit, mit der Dr. Morgenthau seinen Beruf ausübte. Er galt als einfühlsa- mer Arzt, der tatsächlich rund um die Uhr für seine Patienten sorgte, wie auch sein Sohn später eindrücklich schilderte:

nalsozialismus. Erlangen 1983, sowie Manfred Treml/Wolfgang Weigand (Hrsg.): Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Lebensläufe. München 1988 und Ilse Sponsel: "Spuren im Stein" - 100 Jahre Israelitischer Friedhof in Erlangen. Erlangen 1991. 4 Vgl. die Literatur in Anm. 1-3.Die Dissertation (s.u.) enthält keinen Lebenslauf. S Zum Umfeld der Praxis in der traditionsreichen Spitalgasse siehe auch Eva Herold: Spitalgasse. 100Jahre Handel und Wandel. Coburg 1998.

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Abbildung 8: Dr. Ludwig und Hans Morgenthau (um 1915). Siehe Frei (Anrn. 1). Archiv Matthew und Susanna Morgenthau.

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"Time and again he would go out of bed in the middle of the night, at three o'clock in the morning, jump on his bicycle in any kind of weather and ride off to the village to take care of a patient. I remember once when Caruso sang in Coburg, my father was called out during the first act to go to a delivery and he went."6 Mit dem Erfolg kam auch die gesellschaftliche Anerkennung: Dr. Morgen- thau bewegte sich in den wohlhabenderen bürgerlichen Kreisen der Stadt und wurde des Öfteren eingeladen - so immer wieder auch zu den Em- pfangsabenden "Ihrer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit der Frau Her- zogin". In politischen Angelegenheiten war er ein konservativer Patriot, "a Jew who wanted to be a German and who adored the emperor Wilhelm 11."7 Im Ersten Weltkrieg arbeitete Ludwig Morgenthau als Stationsarzt in verschiedenen Kriegslazaretten, an der Ost- ebenso wie an der Westfront. Der Sohn Hans, der während des Krieges allein mit seiner Mutter in Coburg blieb, erinnerte sich später in einem Interview an die Zeit des Ersten Weltkriegs:

"In the later part of July 1914 I happened to be with my parents in aresort in the Bavarian Alps. [... ] When war was declared on August I, we were on our way back to Coburg. We stopped over in Munich and went to the Royal Palace where the king, surrounded by his family - one son and six rather repulsive-Iooking daughters - received the acclamation of the crowd. [... ] My father who was a doctor, was in the German army. One Sunday he went from the Eastern front to the Western front and my mother went away to meet hirn somewhere in ."8 In den zwanziger Jahren kam es zu einer spürbaren Verstärkung des Anti- semitismus in Coburg, die jüdische Gemeinde wurde vor allem ab 1929/30 sowohl auf verbaler, wie auch auf physischer Ebene angegriffen. Bereits 1922fand dort ein Aufmarsch statt mit etwa 800 SA-Leuten, darunter auch

6 Kenneth Thompson/Robert J. Myers (Hrsg.): Truth and Tragedy. A Tribute to Hans J. Morgenthau. London 1984, S. 338. 7 Aus den Aufzeichnungen Irma Thormanns, vgl. Frei (Anm. I), S. 15. 8 Thompson/Myers (Anm. 6), S. 344.

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Adolf Hitler.9 Es war die erste größere Demonstration dieser Art außer- halb Münchens. Das Erstarken der nationalsozialistischen Bewegung schlug sich konsequent auch in den Wahlergebnissen nieder: Bei den Stadtratswahlen in Coburg wurde die NSDAP 1929 mit absoluter Mehr- heit stärkste Partei. 1932 kam es während einer Großkundgebung der Na- tionalsozialisten zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, als versucht wurde, Wohnhäuser jüdischer Mitbürger anzugreifen. Dazwi- schen war es neben antisemitischer Propaganda auf Flugblättern, Plakaten und in den Zeitungen auch immer wieder zu körperlichen Übergriffen gekommen. Diese Zuspitzung der Verhältnisse hatte Folgen: Nahezu ein Drittel der zuvor 316 Personen zählenden jüdischen Gemeinde verließ Coburg bereits zwischen 1925 und 1933 - dies bedeutete eine Verringe- rung von 1,3 auf 0,9 % der Bevölkerung.1o Ludwig Morgenthau hat hingegen auf eine zukünftige Verbesserung der Situation durch wirtschaftliche Stabilisierung und möglicherweise wieder steigenden Wohlstand der Bevölkerung gehofft. In der Zwischen- zeit sollte versucht werden, möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Statt- dessen mussten Ludwig und Frieda Morgenthau jedoch im März 1933 Coburg überstürzt verlassen. Das Ehepaar ging über München nach Meran (Südtirol), um sich dort vorübergehend niederzulassen. Am 25. März war es in Coburg zu zahlreichen Verhaftungen gekommen, darunter auch etwa 40 der prominentesten jüdischen Einwohner. Viele der Festge- nommenen wurden während ihrer Inhaftierung körperlich schwer miss- handelt. Nach etwa einer Woche wurden die jüdischen Inhaftierten wieder freigelassen.ll Ob Ludwig Morgenthau zunächst unter den Festge- nommenen war oder ob es ihm gelang, sich durch Flucht zu entziehen, ist

9 Siehe u.a. Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann: Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918-1945.Geschichte und Zerstörung. München 1979,sowie Rainer Hambrecht: Der Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken (1925-1933). Schriftenreihe des Stadtarchivs Nümberg. Nümberg 1976,S.32-34. 10 Ophir/Wiesemann (Anm. 9), S. 61. 11 Ebd., S. 127.

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nicht ganz sicherP Als jedoch für den am 1. Apri11933 durch die NSDAP organisierten Boykott jüdischer Geschäfte, Rechtsanwaltskanzleien und Arztpraxen am 31. März ein Aufruf in der Coburger National-Zeitung ver- öffentlicht wurde, war der Name ,Ludwig Morgenthau' auf jeden Fall bereits nicht mehr unter den verbliebenen jüdischen Bürgern zu finden. Die Familie erlebte durch diese Ereignisse eine besonders schwere Zeit, aber auch innerhalb der Familie gab es - möglicherweise auch mit ausgelöst durch den äußeren Druck und die Notwendigkeit des berufli- chen Erfolges - stärkere Spannungen. Zwischen Ludwig Morgenthau und seinem heranwachsenden Sohn Hans Joachim war es schon während des- sen Gymnasialzeit immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen, der Vater war ambitioniert und hatte für den einzigen Sohn sicherlich be- sondere Pläne. Das Verhältnis der beiden war aber, bis Hans 1923 das Elternhaus zum Studium verließ, wohl relativ kühl geworden.13 Morgenthau junior begann an der Universität Frankfurt Philosophie zu studieren, wechselte jedoch bereits nach einem Semester - auch auf den Wunsch seines Vaters - zum Jurastudium zunächst nach München und dann nach Berlin. 1932 zog Hans nach Genf, um an der dortigen Univer- sität seine Habilitation zu erreichen. Nach einem längeren Aufenthalt in Spanien emigrierte Hans Morgenthau schließlich 1937in die USA. Zwei Jahre später, im Frühjahr 1939, gelang auch Ludwig und Frieda Morgenthau die Ausreise in die Vereinigten Staaten. Das Leben in der

12 Die Identitäten aller festgenommenen Juden konnten nicht festgestellt werden, unter den Zeugen des aufarbeitenden Prozesses vor dem Landgericht Coburg 1951befand sich kein einziger ehemaliger jüdischer Häftling. Angaben über jüdische Verhaftete konnten lediglich von ehemaligen Mitgefangenen gemacht werden. In den in der Sekundärliteratur enthaltenen Abschnitten kommt Morgenthau nicht vor. Urteil des Landgerichts Coburg 1951: StA BA B 21 Nr. 6, fol. 69. Hierzu siehe Hubert Fromm: Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal. Coburg 2001, S. 61. - Laut Frei wur- den die Morgenthaus ,,[... ] buchstäblich aus Coburg verjagt." Vgl. Frei (Anm. I), S.58. 13 Siehe die Gesamteinschätzung in Frei (Anm. 1).

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Emigration14 gestaltete sich schwierig: Ludwig Morgenthau fand zwar Arbeit als Krankenpfleger in einem Spital in New York, dennoch blieb das Ehepaar auf die dauernde finanzielle Hilfe des Sohnes angewiesen. Die Ausreise und der Anfang in der neuen Welt müssen für den mittlerweile 63jährigen Ludwig Morgenthau enorm hart gewesen sein, die körperliche Belastung schlug sich nieder. 1948 starb Ludwig Morgenthau im Alter von 71 Jahren. Seine Frau Frieda zog daraufhin zur Familie ihres Sohnes nach Chicago, wo sie bis zu ihrem Tod 19661ebte.15 Die Depromotion Ludwig Morgenthaus erfolgte 1939, als dieser sich bereits einige Jahre im Exil befand. Durch eine Bekanntmachung des Reichsministers des Inneren wurde ihm am 26. Oktober 1938 zunächst die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen (Reichsanzeiger Nr. 250). Der Rek- tor der Universität Erlangen erhielt die entsprechende Mitteilung über den Entzug der Staatsangehörigkeit vom Ministerium für Wissenschaft, Er- ziehung und Volksbildung. Nach der Feststellung, dass Morgenthau an der Erlanger Universität promoviert hatte und dass er in Folge des Ver- lustes seiner deutschen Staatsangehörigkeit "des Tragens eines Doktor- titels unwürdig sei",16folgte am 7. Dezember 1938 die Befürwortung der Titelentziehung durch den Dekan. Die im Folgenden angefragten Dekane der anderen Fakultäten stimmten dieser Maßnahme ebenfalls zu. Die Veröffentlichung der Entziehung des Doktortitels erfolgte letztendlich am 14. Februar 1939 durch den Reichsanzeiger (Nr. 38), nachdem die Univer- sität eine entsprechende Bekanntmachung geschickt hatte. Die Kosten für diese Veröffentlichung betrugen 26,45 RM. Nachdem weder die Medizini- sche Fakultät, noch das Rektorat die Bezahlung der Bekanntmachung

14 Zu einem ähnlichen Emigrationsschicksal des ebenfalls 1877 geborenen und auch nach New York emigrierten Carl Neuberg (Pionier der Biochemie) siehe Brigitte Lohff/Hinderk Conrads: From Berlin to New York. Life and Work of the almost forgotten German-]ewish biochemist Carl Neuberg (1877-1956).Stuttgart 2007. 15 Siehe Frei (Anm. 1), S. 69. 16 Siehe hierzu Kapitel 2 des vorliegenden Bandes sowie die in der Übersichts- bibliographie wiedergegebene Forschungsliteratur.

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übernehmen wollten, wurde die Depromotion unter dem Posten IIPromo- tionsgebühren" durch den Staat abgerechnetP Ludwig Morgenthau überlebte den Zweiten Weltkrieg nur um wenige Jahre, er starb am 24. April 1948. Mit dem IIMorgenthau-Plan"18 für die Nachkriegszeit sind Ludwig Morgenthau und sein Sohn Hans nicht ver- bunden.19 Das nachhaltige Entsetzen über die nationalsozialistischen Ver- brechen im Weltkrieg und die negative Einstellung zu Deutschland hatten bei Henry Morgenthau und anderen zu dieser radikalen Idee der Dein- dustrialisierung geführUo Auch aus den schwierigen Erfahrungen von massivem Antisemitismus und entbehrungsreicher Emigration der Er- langer Familie Ludwig und Frieda Morgenthau hätten sich gegenüber Deutschland negative Gefühle und extreme Pläne ergeben können.

17 Alle Schriftstücke, die sich auf die Aberkennung des Doktortitels beziehen, befinden sich im Universitätsarchiv Erlangen (UAE): A 1/3 a Nr. 946f. 18 Dieses 1944 vom Finanzminister der Vereinigten Staaten, Henry Morgenthau junior, entwickelte Konzept war eine radikale Vorstellung, wie mit dem besiegten Deutschen Reich nach 1945 umgegangen werden sollte: Es sah eine vollständige De- militarisierung und Deindustrialisierung mit Umwandlung in ein Agrarland vor. Siehe John Morton Blum: Deutschland ein Ackerland? Morgenthau und die amerika- nische Kriegspolitik 1941-1945.Aus den Morgenthau-Tagebüchern. Düsseldorf 1968; Bernd Greiner: Die Morgenthau-Legende. Zur Geschichte eines umstrittenen Plans. Hamburg 1995. 19 Henry Morgenthau junior (1891-1967), New York, USA. Amerikanischer Politiker, Finanzminister der Vereinigten Staaten (1934-1945),Urheber des sogenannten "Mor- genthau-Plans" (1944). Sein Vater, Henry Morgenthau senior (1856-1946),wurde in Mannheim geboren und starb in New York. Morgenthau senior war Unternehmer und Diplomat. 1913 bis 1916 war er US-Botschafter in Konstantinopel (Istanbul). Er gilt als wichtiger Zeitzeuge des bis heute von den Türken geleugneten Völkermords an den Armeniern, bei dem auch Deutschland eine Rolle spielt. Vgl. Henry Mor- genthau sen.: The Tragedy of Armenia. London 1918, sowie Heath W. Lowry: Die Hintergrundsgeschichte zu Botschafter Morgenthaus Memoiren. Istanbul1991. 20 Deutschland sollte in einen norddeutschen und einen süddeutschen Staat sowie eine Internationale Zone aufgegliedert werden. Der immer wieder als Schreckensvision für ein "Land ohne Zukunft" zitierte Morgenthau-Plan hätte Deutschland auf Dauer völlig anders gestaltet.

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Über die Frage der Entschädigung für das erlittene Unrecht und den materiellen Schaden gibt es durch spätere Korrespondenzen weitere Hin- weise zur Gesamtbetrachtung der Lebensgeschichte Ludwig Morgen- thaus. Zum einen stellte die Familie einen Antrag auf Entschädigung bezüglich eines "Schaden[s] im wirtschaftlichen Fortkommen bei Versi- cherungs- und Rentenanstalten": "Der Verfolgte war Mitglied der Bayer. Ärzteversorgung und hatte für sich und seine Ehefrau Versorgungsan- sprüche [...]."21 Die Hinterbliebenen argumentierten, dass für die Jahre 1939 bis 1948 noch Ansprüche in "Höhe des erlittenen Schadens [...] zuzüglich die ab 24.4.1948 der Witwe zu gewährende Rente" erstattet und ab dem Tod Morgenthaus eine Witwenrente bezahlt werden sollte.22 Diese wurde offensichtlich dann nach einer gewissen Verzögerung auch durch die Ärzteversorgung übernommen.23 Für die weitere Entschädigung auch wegen anderer Benachteiligun- gen war zunächst eine Reihe von Dokumenten und Bestätigungen beizu- bringen; so musste etwa der Stadtrat der Landeshauptstadt München und das Amt für öffentliche Ordnung zunächst eine IIAufenthaltsbescheini- gung" erstellen: "Zur Vorlage beim Landesentschädigungsamt in München wird auf Grund des Melderegisters bestätigt, daß Herr Morgenthau Ludwig [...] vorn 16.4.1933 bis 28.3.1935 dahier im Aufenthalt [sie] und zuletzt Bothrnerstraße Nr. 7/1 gemeldet war. Abmeldung erfolgte nach Saarbrücken."24

21 Das diesbezügliche Formular "F. § 35-37" ist Teil der Entschädigungsakte von Lud- wig Morgenthau, die nach seinem Tod angelegt wurde. Bayerisches Landesentschä- digungsamt München (BayLEA); so weit nicht anders vermerkt sind die nachfolgen- den Archivalien aus diesen Beständen entnommen. 22 Vgl. das Schreiben vorn 24. September 1950. 23 Siehe das Schreiben des Geheimen Justizrats Karl Eisenberger, Rechtsanwalt aus München, an das Landesentschädigungsamt vorn 16. Februar 1951. 24 Schreiben des Stadtrats der Landeshauptstadt München/Amt für öffentliche Ord- nung mit Angabe München, 10. Oktober 1950. 77 \ LUDWIG MORGENTHAU

Hans, der Sohn von Ludwig Morgenthau, mittlerweile "Professor der Staatswissenschaften" in Chicago, leistete 1951 eine eidesstattliche Erklä- rung, in der "Zur Sache" die folgende Schilderung erhalten ist: "Mein Vater war der am 24.4.1948verstorbene Arzt Dr. Ludwig Morgenthau, früher in Coburg. Derselbe hat seinen Wohnsitz in Coburg im Jahre 1933 aufgegeben, weil er durch einen Telefonanruf davon verständigt worden war, dass seine Verhaftung im Zuge der antisemitischen Massnahmen des 3. Reiches drohe. Er hat glaublich im Jahre 1943 die amerikanische Staatsangehörigkeit erworben." Hans Morgenthau schrieb dort weiter über seinen Vater und die Umstän- de vor der Emigration: "Sein Einkommen bis zum Jahre 1933ist mir nicht bekannt. Ich weiss jedoch, dass er ein vielbeschäftigter Arzt in Coburg gewesen ist und dass er erhebliche Einnahmen durch die Ortskrankenkasse Coburg hatte. Nach der Aufgabe seines Wohnsitzes in Coburg hat er seinen Beruf im wesentlichen, abgesehen von rein vorübergehenden gelegentlichen Tätigkeiten, nicht mehr ausgeübt. Ausser der von der Bayer. Ärzte- versorgung, Bayerische Versicherungskammer in München gewährten Rente von monatlich [...] RM, die meines Wissens bis zum März 1939 geleistet wurde, hatte mein Vater seit 1933 keine Einnahmen mehr bezogen. Nach dem genannten Zeit- punkt habe ich meinen Vater und meine Mutter unterstützt und für deren Lebensunterhalt gesorgt. Die Richtigkeit vorstehender Angaben versichere ich an Eidesstatt. Ich gebe die Versicherung gelegentlich eines Aufenthaltes in München ab und bin mir über die strafrechtliche Bedeutung einer Versicherung an Eidesstatt bewusst. "25 Für den Vorgang war dann auch zu einem späteren Zeitpunkt noch die Höhe von Ludwig Morgenthaus damaligem Einkommen aus der ärztli- chen Praxis von Bedeutung. So erklärte seine Witwe noch im Jahr 1955 aus Chicago:

25 "Eidesstattliche Versicherung" in einem Schreiben von Hans Morgenthau mit Datum 12. März 1951.

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"Ich versichere hiermit an Eidesstatt dass mein verstorbener Ehegatte, Dr. med. Ludwig Morgenthau, bis 1933 Coburg, Spitalgasse 3, ein durchschnittliches jähr- liches Einkommen vom RM 15.000-- hatte."26 Letztlich formulierte das Landesentschädigungsamt den Bescheid, dass der Anspruch auf Rente abgelehnt, aber eine einmalige Kapitalentschädi- gung gewährt wurde. Für den Sachverhalt wurden folgende Entscheidungsgründe ange- führt: "Der Erblasser hat lt. vorliegenden Unterlagen seinen Wohnsitz in Coburg und mithin seine bis zum 15.3.1933 in Coburg ausgeübte ärztliche Praxis zwangsläufig aus Gründen der Rasse aufgeben müssen, um einer drohenden Verhaftung im Zuge der antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes zu entgehen. Nach Verlegung sei- nes Wohnsitzes von Coburg nach München im Jahre 1933 hat der Verstorbene seinen Beruf, abgesehen von vorübergehenden gelegentlichen Tätigkeiten, nicht mehr aus- geübt. Ab 1939 bis zu seinem Tode wurde der Verstorbene von seinem Sohn unter- halten."27 Aber auch nach diesem Bescheid findet sich ein Schriftverkehr bezüglich ausstehender Zahlungen; selbst zehn Jahre nach dem Tod von Ludwig Morgenthau wurden durch zuständige Behörden die Umstände der 1930er Jahre eruiert. So erteilte das "Polizeiamt Coburg" 1958 die folgende Auskunft "Betreff: Ermittlungen über Dr. Ludwig Morgenthau, ehemals wohnhaft Coburg, Spitalgasse Nr. 3, zum Ersuchen des Landesentschädi- gungsamtes München [...] vorn 29.10.1958": "Am 27.10.1901 gelangte er in Coburg, Spitalgasse Nr. 3, zur pol.[izeilichen) Anmel- dung. Im Frühjahr 1933 flüchtete Herr Dr. Morgenthau aus Coburg. Er gelangte hier am 1.8.1933 zur pol.[izeilichen) Abmeldung." Die Nachforschungen des Polizeiamtes konnten nicht alle Hintergründe eruieren, so war etwa das genaue Datum der Praxiseröffnung nicht mehr feststellbar, da es im Ärztlichen Kreisverband und der AOK Coburg keine

26 Schreiben von "Mrs. [... ) Morgenthau, Chicago 37, 5542 Dorchester" mit Datum vom 31. August 1955. Handschriftlich unterschrieben. 27 Schreiben des Landesentschädigungsamtes München vom 10. Oktober 1956.

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Unterlagen mehr gab. Der ebenfalls in der Coburger Spitalgasse 3 woh- nende Richard von N. konnte lediglich bestätigen, dass Dr. Morgenthau bereits vor dem Jahre 1913 seine Arztpraxis betrieben hatte, als er in dieses Haus einzog. Dieser Zeitzeuge gab auch an, "daß Dr. Morgenthau seine Arztpraxis aufgegeben und die ärzt1.[ichen] Geräte bei Nacht und Nebel aus den Wohn- u. Praxisräumen fortgeschafft habe."28 Bezüglich der für Ludwig Morgenthau verloren gegangenen Praxis- ausstattung gab auch der seit 1. September 1933 in die Praxisräume einge- zogene Arzt Dr. Hanns G. an, "daß er von Dr. Morgenthau weder dessen Arztpraxis noch ärzt1.[iches] Gerät übernommen habe."29 Zunächst erging am 5. Mai 1959 ein Bescheid des Landesentschädi- gungsamtes an die Erben von Ludwig Morgenthau, in dem ein Ersatz der Reisekosten und für die ausgefallenen Verdienste durch die Aufgabe der Arztpraxis gegenüber den Erben abgelehnt wurde.30 Daraufhin reichten die Angehörigen Klage ein, und es kam am 15. November 1960 vor der 1. Entschädigungskammer des Landgerichts München zu einer Verhand- lung, die letztlich mit einem Vergleich endete.31 Aus dem Schriftverkehr des Anwalts an das Landesentschädigungs- amt geht auch das Todesdatum von Frau Morgenthau hervor: Am 5. Mai 1966 starb Frieda Morgenthau in Chicago, sie hatte damit ihren Mann Dr. Ludwig Morgenthau noch 18Jahre überlebt.32

A.F./A.T.

28 Ebd. 29 Schreiben des "Polizeiamt Coburg/Schutzpolizei" mit Datierung "Coburg, am 7.11.1958". 30 "Ansprüche auf Entschädigung für Schaden an Vermögen und Schaden durch Zahlung von Sonderabgaben". 31 Später konnte auch wegen der "Auswanderungskosten" noch eine Regelung gefun- den werden. Schreiben des Anwalts an das Landesentschädigungsamt vom 30. Janu- ar 1961. 32 Schreiben des Anwalts an das Landesentschädigungsamt vom 18. Oktober 1966.

80 NATHANWOLF * 19. Mai 1882,Dr. med. 5. Juni 1914

Mit der Biographie von Nathan Wolf kann aufgrund einer überaus guten Quellenlage die bewegende Lebensgeschichte eines verfolgten und im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiven jüdischen Arztes do- kumentiert werden.1 Nathan Wolf kam am 19. Mai 1882 in Wangen am Bodensee als jüngster Sohn von acht Kindern des Gutsbesitzers Ludwig (Levi) Wolf und Nanette Picard zur Welt. Beide Familien waren seit dem 17. Jahrhundert in Wangen ansässig.2 Die Familie Wolf spielte von Beginn an eine führende Rolle in der dortigen jüdischen Gemeinde und stellte über einen großen Zeitraum hin deren Vorsteher. Nathans Vater versah dieses Amt als letzter in der Reihe über vier Jahrzehnte von 1891bis 1931.3

1 Das Leben Nathan Wolfs ist in den letzten Jahren sowohl im Umkreis des Hegau- Geschichtsvereins e.V. in Singen am Hohentwiel als auch im Rahmen der Forschun- gen über die Fluchthelfer im Bodenseeraum untersucht worden, vgl. Kurt Lupfer: Dr. med. Nathan Wolf 80 Jahre. Hegau 13 (1962), S. 106f; Franco Battel: "Wo es hell ist, dort ist die Schweiz". Flüchtlinge und Fluchthilfe an der Schaffhauser Grenze zur Zeit des Nationalsozialismus. 2. Aufl. Zürich 2001, S. 200-203; Kurt Schilde: Grenz- überschreitende Flucht und Fluchthilfe (1941-1945):Ereignisse, Interessen und Moti- ve. In: Überleben im Untergrund. Hilfe für Juden in Deutschland 1941-1945,hrsg. von Beate Kosmala/Claudia Schoppmann. Berlin 2002, S. 151-165; Anne Overlack: Nathan Wolf, Jacob Picard, Leo Picard - Lebenswege dreier Juden aus Wangen. Hegau 64 (2007),S. 225-238;"Hitler war weg und wir waren da" - Manfred Bosch im Gespräch mit Hannelore König [geb. Wolf]. Ebd., S. 239-310. 2 Vgl. Bosch/König (Anm. 1), S. 240. - Zur Geschichte der Juden in Wangen vgl. Judith Stuckert: Jüdisches Leben am Untersee. Historische und gesellschaftliche Entwick- lung der israelitischen Gemeinde Wangen am Bodensee. Mag.-Arb. FB Soziologie. Konstanz 2002. In dieser Arbeit finden sich auch etliche Auszüge eines Interviews mit Frau Dr. Hannelore König, der Tochter Nathan Wolfs. 3 Zum Werdegang der Familie Wolf und ihrer Bedeutung für Wangen vgl. Helmut Fidler: Zur Geschichte der Familie des Joseph Manes Wolf, wohnhaft in Wangen am Untersee. Hegau 64 (2007),S. 73-92.

81 NATHANWOLF

Nathan Wolf besuchte die Grundschule in Wangen und erhielt zusätz- lich vom Pfarrer eines Nachbarorts Lateinunterricht.4 Danach ging er auf das Großherzogliche Gymnasium in Konstanz, wo er 1902 das Abitur machte. Er studierte zunächst in München Medizin sowie auch Archäo- logie5 und wechselte anschließend nach Freiburg. Dort blieb er bis zum Physikum und absolvierte zugleich als Einjährig-Freiwilliger seinen Wehr- dienst im sechsten Badischen Infanterie Regiment 114. 1905 setzte er sein Medizinstudium in München fort, musste es allerdings mehrfach aus ge- sundheitlichen Gründen6 unterbrechen, bis er dann 1912 das Staatsexamen ablegen konnte. Zwei Jahre später, am 5. März 1914, promovierte er in Erlangen mit einer Arbeit über das Thema "Ein kasuistischer Beitrag zur Frage der Verbreitung von Krebsgeschwülsten auf dem Wege der Implan- tation" zum Doktor der Medizin; die Urkunde wurde ihm am 5. Juni zugestellU Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Nathan Wolf Arzt im Garnisonslazarett in Müllheim im Markgräflerland und kam dann an die Vogesenfront, wo er seine erste von insgesamt fünf Verwundungen erlitt.8 Die weiteren Kriegsjahre sahen ihn auf vielen verschiedenen Kriegsschau- plätzen im Westen und Osten; vor allem diente er längere Zeit im Garde- Pionier-Bataillon 701 des Palästinakorps. Er war nach Auskunft seiner Tochter "ein glühender Patriot" und wurde für seine Tapferkeit mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse.9 Aus dem Krieg zurückgekehrt, ließ er sich 1919 als praktischer Arzt in seinem Elternhaus in Wangen nieder. Politisch war er dem konservativen

4 Zum schulischen Werdegang und zum Studium vgl. die Vita in der Dissertation. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1913/14-12 und Bosch/König (Anm. I), S.243-246. 5 Zu seiner Begeisterung für die Ur- und Frühgeschichte vgl. Lupfer (Anm. 1), S. 106, und Bosch/König (Anm. 1), S. 245. 6 Vgl. Vita in der Dissertation (Anm. 4). 7 Schreiben des Dekans Greving an den Rektor vom 3. Mai 1940.UAE: Al/3a Nr. 946i. 8 Lupfer (Anm. 1), S. 106. 9 Bosch/König (Anm. 1), S. 247; außerdem Battel (Anm. 1), S. 200.

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Lager zuzurechnen; er war Mitglied in der Deutschen Volkspartei und im Badischen Landesausschuss.10 1925 heiratete Nathan Wolf die aus einer katholisch-evangelischen Mischehe stammende Auguste Caroline Katha- rina Neuhaus aus Köln.l1 Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor.J2 Wolfs Praxis hatte einen großen Einzugsbereich und entwickelte sich rasch sehr gut. Seine Liebe zu seinem Beruf und die Hinwendung zu seinen Patienten brachten ihm Respekt und hohes Ansehen in Wangen ein,13die auch ihren Ausdruck in verschiedenen Ehrenämtern fanden. So war er Mitglied des Gemeinderats, und als von Jugend auf hervorragen- der Sportler fungierte er vor 1933 auch als Gauschwimmwart im Hegau- Turnverein.I4 Mit der Machtübernahme änderte sich das vormals fried- liche Zusammenleben von Juden und Nichtjuden, und die Familie Wolf erfuhr zunehmend Diffamierungen und Ausgrenzungen.15 Als Front- kämpfer blieb Nathan Wolf die Kassenzulassung zwar zunächst erhalten, er verlor sie aber spätestens 1935/36, und als sich am 1. Oktober 1935 ein "arischer Arzt"16in Wangen niederließ, blieb ein Großteil der ehemaligen Patienten bis auf wenige, die des Nachts kamen und mit Naturalien be- zahlten, wegP Um materiell zu überleben, eröffnete die Familie Wolf daraufhin einen kleinen Pensionsbetrieb für Ausreisewillige, die über die Schweiz emigrieren wollten und auf die Genehmigung warteten. Außer-

10 BaUel (Anm. I), S. 200. 11 Bosch/König (Anm. I), S. 250. 12 Die Tochter Hannelore kam an Sylvester 1925 zur Welt, der Bruder Gert im Jahre 1928. 13 Stuckert (Anm. 2), S. 69. 14 Bosch/König (Anm. I), S. 274, 245 und 261. 15 König in Stuckert (Anm. 2), S. 83-85. 16 Diese Bezeichnung stand auf seinem Praxisschild, vgl. Bosch/König (Anm. I), S. 265; vgl. ferner Martin Ruch: Aus der Heimat verjagt. Zur Geschichte der Familie Neu, hrsg. von Erhard Roy Wiehn. Konstanz 1998, S. 61. Es handelt sich hierbei um das Tagebuch von Clementine Neu, der Schwester Nathan Wolfs, aus den Jahren 1923- 1947. 17 König in Stuckert (Anm. 2), S. 88, und Bosch/König (Anm. I), S. 266-268.

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dem betrieb sie in den beiden Sommern der Jahre 1937 und 1938 ein Ferienheim für jüdische Kinder.1BWährend dieser Zeit entstanden die er- sten Auswanderungspläne, in denen nach dem Bericht der Tochter etliche Ziele, wie Belgien, Finnland und die Mandschurei erwogen wurden. Sie erwiesen sich aber alle aus den verschiedensten Gründen als undurch- führbar.19 Die entscheidende Wende erfolgte dann durch den Pogrom am 9./10. November 1938. In dieser Nacht brannte nicht nur die Synagoge von Wan- gen, sondern Nathan Wolf wurde zusammen mit anderen jüdischen Mit- bürgern im Rathaus von SS-Männern verprügelt, schwerst misshandelt und anschließend ins KZ Dachau gebracht,2° Nach vier Wochen kehrte er körperlich gezeichnet und psychisch als ein Anderer in seinen Heimatort zurück, mit dem festen Entschluss, eher den Freitod zu wählen, als dass er noch einmal solche Leiden ertragen würde.21 Er wusste, es blieb nun als einziger Ausweg die Flucht in die Schweiz, und obwohl er keine Aufnah- mebewilligung hatte, hoffte er - nicht zuletzt aufgrund seiner vielen per-

18 Bosch/König (Anm. 1), S.268f. 19 Die limitierenden Faktoren waren vor allem die fehlenden Sprachkenntnisse, eine schwere Krankheit der Ehefrau und der Einwanderungsstopp der meisten Länder. In der Mandschurei wurde Nathan Wolf durch Vermittlung des dort tätigen, ihm bekannten Schweizer Konsuls eine Anstellung im Krankenhaus in Aussicht gestellt. Der Plan scheiterte jedoch durch den Ausbruch des russisch-japanischen Krieges, ebd., S. 272f. 20 Vor dem Abtransport nach Dachau am Abend des 10. November durfte Nathan Wolf noch einmal kurz in sein Haus zurückkehren; seine Tochter berichtet: "Erst als es dunkel war, kam mein Vater. Als wir ihn sahen, war uns klar, warum man ihn und die anderen nicht bei Tageslicht auf die Straße gelassen hatte. Bei seinem Anblick brachen wir in Tränen aus. (... ) Den ganzen Tag waren er und die anderen (... ) im Keller des Rathauses von den SS-Leuten immer wieder geschlagen worden", König in Stuckert (Anm. 2), S. 95. 21 Zu den Ereignissen der "Reichskristallnacht" in Wangen und den Folgen für Nathan Wolf siehe Bosch/König (Anm. 1), S. 276-279;ferner Battel (Anm. 1), S. 200; vgl. auch König in Stuckert (Anm. 2), S. 100: "Mein Vater kam zurück aus Dachau, wie wenn er erloschen wäre."

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sönlichen Beziehungen in die Schweiz -, dass er nicht wieder zurück- geschickt werden würde.22 Doch bevor es zur Flucht kam, wurde er im Januar 1939 noch einmal verhaftet, dieses Mal von der Zollfahndung, die ihn, nicht zu Unrecht, wie seine Tochter vermutet, des Devisenvergehens verdächtigte.23 Da man ihm nichts nachweisen konnte, wurde Wolf nach etwa sechswöchiger Haft in den Gefängnissen von Konstanz und Radolf- zell wieder entlassen. Die folgenden Monate waren von dem Versuch geprägt, doch noch auf legalem Weg ins Ausland zu gehen. Als sich dies als unmöglich er- wies, bestieg Nathan Wolf wenige Tage vor Kriegsausbruch das Kurs- schiff, das zwischen dem deutschen und schweizerischen Unterseeufer verkehrte und von dem er wusste, dass es nur unregelmäßig kontrolliert wurde, und kam auf diese Weise ohne Passkontrolle auf die Schweizer Seite des Bodensees.24 Und seine Hoffnung, damit in Sicherheit zu sein, hatte ihn nicht getrogen. Durch die Vermittlung mehrerer einflussreicher Schweizer und die Bürgschaft von Verwandten erhielt er am 31. August eine Toleranzbewilligung25 und konnte später sogar in seinem Beruf arbei- ten, indem er für den erkrankten Dorfarzt die Praxisvertretung in Ramsen

22 Die Schweiz hatte im August 1938 als Reaktion auf die "jüdische Flüchtlingswelle" nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich ihre Grenzen für Per- sonen ohne Visum geschlossen, vgl. Wolfram Wette: Hilfe für verfolgte Juden im deutschen Südwesten. In: Stille Helden. Judenretter im Dreiländereck während des Zweiten Weltkriegs, hrsg. von Wolfram Wette. Freiburg u.a. 2005, S. 16. 23 König in Stuckert (Anm. 2), S. 101;Bosch/König (Anm. 1), S. 280. 24 Er verließ das Schiff in Mammem oder in Stein am Rhein, ebd., S. 281. Dieser Flucht- weg wurde danach durch verschärfte Kontrollen gesperrt, vgl. Battel (Anm. 1), S. 200. 25 Die so genannten Toleranzbewilligungen wurden den Flüchtlingen für einen vorläu- figen Aufenthalt ausgestellt, siehe Ulrike Oedl: Exilland Schweiz. Asylgewährung. Vgl. http://www.literaturepochen.at/exil/lecture_5006_6.html. zuletzt aufgerufen am 24. März 2008.

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übernahm. Seine Familie, die er in Wangen zurückgelassen hatte, glaubte er dadurch, dass er als der eigentlich Gefährdete fort war, in Sicherheit.26 In Deutschland wurde währenddessen im April 1940 ein Verfahren auf Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 2 des Geset- zes vom 14. Juli 1933 gegen Dr. Nathan Wolf eingeleitet, da dieser sich in Stein am Rhein in der Schweiz niedergelassen habe. Diese Information erhielt der Rektor der Universität Erlangen, Hermann Wintz, durch die Abschrift eines Schreibens des Reichsführers-SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern an den Reichsminister für Wis- senschaft, Erziehung und Volksbildung, zusammen mit der Aufforde- rung, von seiner Seite "hinsichtlich der Entziehung des Dr.-Titels das Wei- tere zu veranlassen"F Um seine Stellungnahme gebeten,28 stellte Dekan Greving am 3. Mai 1940 fest, dass mit der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft die Entziehung der Doktorwürde hinreichend begrün- det sei. Die Dekane der übrigen Fakultäten schlossen sich dem einstimmig an.29Sechs Wochen später informierte dann der Rektor das Bayerische Kultusministerium und den Reichswissenschaftsminister über die Entzie- hung des Doktortitels im Fall Nathan Wolf.3D Die entsprechende Bekannt- machung im Reichsanzeiger erschien am 28. Mai 1940. Am 22. Oktober 1940 wurden Nathan Wolfs inzwischen 87jährige Mutter Nanette Wolf und seine Schwester Selma, die im Haushalt seiner Familie in Wangen lebte, von der SS abgeholt und zusammen mit den

26 Bosch/König (Anm. I), S. 28lf. - Wie sehr Wolf unter der Trennung litt, zeigt der Bericht der Tochter, demzufolge Nathan Wolf jeden Sonntag mit dem Schiff über den Bodensee an Wangen vorbeifuhr, um seine Kinder zu sehen, ebd., S. 283f. 27 Das Schreiben trägt das Datum 15. Apri11940. UAE: Al/3a Nr. 946i. 28 Schreiben des Rektors an den Dekan der Medizinischen Fakultät vom 29. Apri11940. Ebd. 29 Schreiben des Dekan Greving vom 3. Mai 1940mit handschriftlichen Vermerken der anderen Dekane. Ebd. 30 Schreiben des Rektors der Universität Erlangen an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus in München vom 20. Juni 1940. Ebd.

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anderen noch verbliebenen Juden des Dorfes31in das ehemalige Flücht- lingslager in Gurs in Südfrankreich deportiert.32 Den Verwandten der weit verzweigten Familie gelang es jedoch, die Mutter und die Schwester noch im Dezember 1940 zu befreien und mit Hilfe einer hohen Kaution im Frühjahr 1941 in die Schweiz zu bringen, wo sie in Stein am Rhein in der Nähe ihres Sohnes und Bruders Nathan leben konnten.33 Nathan Wolfs Frau, die mit den beiden Kindern in Wangen zurückgeblieben war, starb am 4. September 1942 an Tuberkulose, die Kinder, die als "Mischlinge er- sten Grades" seit 1942/43 ebenfalls ins Visier der Nationalsozialisten gerie- ten, mussten nach verschiedenen Zwischenstationen von 1943 bis zum Kriegsende in Obertürkheim bei einem Weingärtner arbeiten.34 Nachdem seit Oktober 1941 ein generelles Ausreiseverbot für die jüdi- sche Bevölkerung im Deutschen Reich galt und die Schweiz ihre Grenze am 13. August 1942 vollständig für Flüchtlinge geschlossen hatte,35betä- tigte sich Nathan Wolf, der die Auswirkungen der Judenverfolgung vor seiner Flucht an sich selbst erfahren hatte, in den ersten Monaten des Jah- res 1943 von der Schweiz aus als Fluchthelfer; auf diese Weise bewahrte er, eingebunden in verschiedene Hilfsnetze, zu deren Aufbau er vermut- lich entscheidend beitrug, mehrere Jüdinnen und Juden vor der Deporta-

31 Die ehemals große jüdische Gemeinde Wangen war bereits im späten 19. Jahrhun- dert durch Abwanderung erheblich kleiner geworden. 1940 lebten dort nur noch sieben Juden, vgl. Stuckert (Anm. 2), S. 61. 32 Bosch/König (Anm. I), S. 288-290.- Zu diesem Akt der Gewalt gegen die badischen, pfälzischen und saarländischen Juden siehe Erhard R. Wiehn: Oktoberdeportation 1940.Konstanz 1990;ferner Gerhard J. Teschner: Die Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940. Frankfurt am Main 2002. - Über das Schicksal der Angehörigen Nathan Wolfs in Gurs und ihre Rettung aus dem Lager geben die Tagebuchaufzeichnungen von Wolfs Schwester Aufschluss, vgl. Ruch (Anm.16). 33 Ruch (Anm. 16), S. 101-105.- Nathan Wolfs Mutter starb hoch betagt am 2. August 1941. 34 Bosch/König (Anm. I), S. 295-302. 35 Dieses Gesetz wurde am 12.Juli 1944wieder aufgehoben.

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tion in die Vernichtungslager.36 Wegen der Fluchthilfe für Lotte Kahle, nachmals Lotte Strauß,37im Mai 1943 wurde Wolf verhaftet und am 29. September 1943 vom Schweizer Militärgericht "wegen Ungehorsams ge- gen allgemeine Anordnungen und wegen Anstiftung dazu"38 zu sechs Monaten Gefängnis mit Bewährung und zu einer Geldstrafe verurteilt. Er verlor seine Aufenthaltsgenehmigung, wurde auf Anordnung der Eidge- nössischen Fremdenpolizei interniert und blieb bis zum Kriegsende in verschiedenen Schweizer Flüchtlingslagern.39 Das Strafurteil wurde am 2l. September 2004 auf Antrag der Paul Grüninger Stiftung von der Rehabili- tierungskommission der Schweizer Bundesversammlung aufgehoben.40

36 Zu den Fluchthelferaktivitäten im Bodenseeraum und zur Rolle Nathan Wolfs vgl. vor allem Battel (Anm. 1), S. 201-207und Schilde (Anm. 1), S. 151-165. 37 Diese Flucht ist durch autobiographische Aufzeichnungen und in der Sekundärlite- ratur besonders gut dokumentiert, vgl. Battel (Anm. 1), S. 205-210. 38 Mit dem Bundesratsbeschluss vom 25. September 1942 war die Fluchthilfe zum eigenständigen Delikt erhoben worden; dazu und zur Verurteilung Wolfs vgl. http://www.parlament.ch/SiteCollectionDocuments/ko-rehako-04-44. pdf. zuletzt aufgerufen am 9. April 2008; das Zitat findet sich auf S. 2. Siehe ferner Battel (Anm. 1), S. 215. 39 Bosch/König (Anm. 1), S. 282f. 40 Vgl. die in Anm. 38 zitierte Internetseite. - Die Paul Grüninger Stiftung wurde im Herbst 1998 zur Erinnerung an den ehemaligen Kommandanten der Kantonspolizei St. Gallen und Flüchtlingsretter Paul Grüninger (1891-1972)von seinen Nachkom- men gegründet.

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Abbildung 9: Dr. Nathan Wolf (1882-1970). Staats archiv Schaffhausen, CH-8200 Schaffhausen, Flüchtlinge B: Wolf, Nathan.

Nathan Wolf kehrte nach dem Krieg am 8. Juni 1945 nach Wangen zurück41 und eröffnete bald darauf erneut seine Praxis. 1947 wurde er von den französischen Besatzungsbehörden als kommissarischer Bürgermei- ster eingesetzt, von 1949 bis 1966 fungierte er als stellvertretender Bürger- meister und war lange Zeit im Gemeinderat.42 Schon seit den frühen fünfziger Jahren pflegte er auch erneut seine Leidenschaft für die Früh- und Urgeschichte, wurde Mitarbeiter in der Bezirkspflege des einschlägi-

41 Die Schweizer Fremdenpolizei belegte ihn wegen seiner Fluchthelfertätigkeit als "unerwünschten Ausländer" mit einer Einreisesperre, die erst 1948 aufgehoben wurde, vgl. Bosch/König (Anm. 1), S. 283. 42 Zum Leben Wolfs in der Nachkriegszeit vgl. Overlack (Anm. I), S. 228; Bosch/König (Anm. I), S. 303-308.

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gen Landesamts und Mitglied der entsprechenden Schweizer Gesellschaft. Für seine gemeindepolitischen und kulturellen Verdienste wurde er im Jahre 1966 zum Ehrenbürger seines Heimatortes ernannt. Diese Auszeich- nung war auch ein Ausdruck der Dankbarkeit dafür, dass Nathan Wolf trotz der Leiden, die ihm und seiner Familie im "Dritten Reich" zugefügt worden waren, ohne Hass und Rachegefühle wie auch ohne den Wunsch nach Vergeltung43 in seine Heimat zurückgekehrt war. Schon 1962, im Jahr seines 80. Geburtstages, verlieh ihm der damalige Bundespräsident Dr. Heinrich Lübke das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland als Anerkennung dafür, dass er "vorbild- liehe Liebe und Treue zum Volke bewiesen" habe.44 Dr. Nathan Wolf starb am 29. Dezember 1970 im Alter von 88 Jahren in Wangen und wurde unter großer Anteilnahme auf dem Jüdischen Friedhof der Gemeinde beigesetzt.45Auf seinem Grabstein heißt es:

"Hier ruht der letzte Jude des Dorfes. Bald wird Gebüsch den Stein bedecken. Doch wird sein Grab nicht vergessen werden. Denn mehr als er

liegt hier begraben. /I

R.W./B.S.

43 Diese Fähigkeit Wolfs zur Nachsicht und zum Verzeihen wurde in den Ansprachen aus Anlass von verschiedenen Ehrungen immer wieder hervorgehoben, vgl. z.B. Lupfer (Anm. 1), S. 106. 44 Vgl. Südkurier (Konstanz), vom 19. Dezember 1962,zit. nach Ruch (Anm. 16), S. 212. 45 Vgl. den Bericht im Deutschen Ärzteblatt 1971,H. 6, S. 436.

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Abbildung 10: Grab von Dr. Nathan Wolf auf dem Friedhof in Wangen, http://www.alemannia-judaica.de/wangen_friedhof.htm (zuletzt aufgerufen am 11. März 2008).

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MORITZ FEIBELMANN * 17. März 1883,Dr. med. 14. Dezember 1908

Moritz Feibelmann wurde am 17. März 1883 in als Sohn von Emanuel Feibelmann und Rosa Zachovach1 geboren.2 Er war jüdischen Glaubens. Dem Besuch des Progymnasiums in seiner Heimatstadt schloss sich der des Gymnasiums in Kempten an, wo Feibelmann seine Reifeprü- fung erlangte. Danach begann er das Studium der Medizin und legte 1903, also im Alter von zwanzig Jahren, die Ärztliche Vorprüfung in München ab. Die Fortsetzung des Studiums erfolgte an den Universitäten Kiel und Erlangen. Dort immatrikulierte er sich zum Wintersemester 1907/083 und bestand am 28. November 1908 das Medizinische Staatsexamen. Schon wenige Tage später wurde er zum Dr. med. promoviert, nachdem er als Dissertation eine Arbeit zu einern geburtshilflichen Thema, nämlich zur Komplikation der Verklebung der Gebärmutterhalswand, vorgelegt hatte.4 Diese Studie erschien 1909 im Druck, so dass Feibelmann die Doktorur- kunde am 18. Dezember 1909zugestellt werden konnte.5

1 Meldevermerk Feibelmann. Stadtarchiv Nürnberg (StadtAN): C 21/111.1979. 2 Zu Feibelmanns Lebensdaten bis 1933 vgl. Eduard Seidler: Jüdische Kinderärzte 1933-1945. Entrechtet/geflohen/ermordet. Erw. Neuaufl. Freiburg u.a. 2007, S. 351; zum Ausbildungsgang Feibelmanns vgl. auch die Vita in seiner Dissertation, siehe unten Anm. 4. - Die jüdische Familie Feibelmann war, aus Fellheim (Unterallgäu) kommend, seit 1878 in Memmingen sesshaft, vgl. Julius Miedei: Die Juden in Mem- mingen. Memmingen 1909,S. 115. 3 Übersicht des Personal-Standes bei der Königlich-Bayerischen Friedrich-Alexander- Universität Erlangen nebst dem Verzeichnisse der Studierenden. Handschriftenab- teilung der Universität Erlangen-Nürnberg: D 1428ba. 4 Moritz Feibelmann: Zur Kenntnis der Conglutinatio orificii externi uteri. Diss. med. Erlangen 1909. 5 Bericht des Dekans der Medizinischen Fakultät Erlangen an den Rektor über die Personalien Feibelmanns vom 17. April 1940. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): A1/3a Nr. 946b.

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Nach weiterer praktischer Ausbildung, die Feibelmann vor allem in München absolvierte, ließ er sich im Frühjahr 1911 als praktischer Arzt und Kinderarzt in Nürnberg nieder und heiratete am 1. Juni 1915 die aus Nürnberg gebürtige Betty Wei1.6Neben seiner Praxis war er nebenamtlich beim Nürnberger Gesundheits- und beim Jugendamt in verschiedenen Funktionen im Fürsorgebereich tätig.7 So war er seit 1919 Kostkinderarzt des V. Bezirks,8wurde in den folgenden Jahren leitender Arzt der Mütter- beratungsstelle VII,9war zuständig für die ärztliche Überwachung mehre- rer Nürnberger Kleinkinderbewahranstalten und fungierte überdies als amtlicher Aufsichtsarzt über verschiedene Kindergärten.l° Im Jahre 1923 wurde sein einziges Kind, Ursula Susanne, geboren.ll Bereits im März 1933 emigrierte Moritz Feibelmann mit Familie und mit seiner Mutter über zunächst in die Schweiz. An die Abreise aus Nürnberg erinnerte sich die Tochter im Jahre 1999 in einem autobio- graphischen Bericht, der im Newsletter des IITraveling Jewish Theatre", deren Präsidentin sie war, abgedruckt ist: "One day in March 1933, when I was nine, I came horne from school in Nuremberg at the long lunch recess to find my parents pacing the floor, awaiting my return. [...) The car was packed, and my mother and grandmother got in the back while I sat in

6 Meldevermerk Feibelmann (Anm. 1); Betty Weil war am 21. Juni 1894 geboren. - Ihre Wohnadresse war Marienplatz 9. Feibelmanns Praxis war von 1919-1926in der Vorderen Sterngasse 17, von 1927-1933 in der Allersbergerstraße 72. Einwohner- bücher der Stadt Nürnberg. 7 Vgl. Bernd Windsheimer: Hundert Jahre Klinikum Nürnberg. Die Geschichte des Nürnberger Gesundheitswesens im späten 19. und 20. Jahrhundert. Nürnberg 1997, S.168. 8 Meldevermerk Feibelmann (Anm. 1). 9 StadtAN: C 25 I Nr. 297. Feibelmann hielt hier wöchentlich vier bis fünf Sprechstun- den ab. 10 StadtAN: C 33 I Abgabe 1973 Nr. 1 und Nr. 1a. 11 Vgl. Alexandra J. Wall: Ursula Sherman, founder of BRJCC, music fest, 78, dies. Dieser Nachruf stammt vom 12. April 2002 und findet sich unter folgender Adresse: http://www.jewishsf.com/content/2-0/module/displaystory/story _id/18044/edition_ id/360/format/html/displaystory.thtml, zuletzt aufgerufen am 16. Mai 2008.

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the front because 1suffered from car siekness. And so we left our horne. Before long we stopped, and my father bought and emptied a box of cigars, placed my mother's and grandmother's jewelry in the empty box (I had notieed that they were both wearing an unusually large amount of jewelry), and mailed the box horne. Back in the car, he bellowed, 'Herrgott Sakrament noch a Mahl [sie], I'm not going to get stopped for some dumb jewelry.' My father, a doctor, rarely swore in public. 1kept quiet. [...] The conversation, when it resumed, dealt with border crossings. 'If we can't get through at Lindau,' said my father, 'we'll try to get through aL' But we did get through at Lindau. We arrived in Switzerland without any problems. This was the first of several departures. 1 understood more about the later ones than about that aftemoon in Nuremberg. But with every departure, 1feit as if 1were a piece of luggage, essential perhaps, but always taken along in silence."12 Anschließend gelangte die Familie Feibelmann nach Paris, wo sie in dem Vorort Neuilly-sur-Seine Wohnung fand.J3 Noch im selben Jahr wurde Feibelmann aus dem Reichsmedizinalkalender gestrichen; im Mitglieder- verzeichnis der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde wurde er bis 1938 geführt.14Für Feibelmanns weiteren Lebensweg lassen sich nur noch einzelne Daten erschließen: Im Jahre 1938 ging die Familie in die USA und ließ sich in San Francisco nieder,15wo Moritz Feibelmann am 11. August 1941 vom Superior Court of the State of California die Erlaubnis erhielt, seinen Namen in "Morris Felton" zu ändern; seine Frau und Tochter16

12 Vgl. Ursula Sherman [geborene Feibelmann]: Remembrances of a Suitcase. http://www.atjt.com/Archives/newsletter_3_99.htm#ursula. zuletzt aufgerufen am 16. Mai 2008. - Am 31. März 1933 wurde Feibelmann aus dem Gesundheitsamt entlassen, aber da war er offenkundig bereits emigriert. StadtAN: C 33 Nr. 1. 13 Vgl. Seidler (Anm. 2), S. 351. - Von der Schweiz aus ging die Familie offenbar über Saarbrücken nach Paris; vgl. Meldevermerk Feibelmann (StadtAN: C 21/III Nr. 1979): "Ganze Farn. abgem. n. Saarbrücken, 30.6.33", siehe auch Gerhard Jochern: Mitten in Nürnberg. Jüdische Firmen, Freiberufler und Institutionen am Vorabend des Nationalsozialismus. Nürnberg 1998 http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/ DE_NUJU_gewerbe.pdf, zuletzt aufgerufen am 16. Mai 2008. 14 Seidler (Anm. 2), S. 351. 15 Vgl. Wall (Anm. 11). 16 Ursula Susan FeIton kam 1947 vorübergehend nach Nürnberg, um während eines Folgeprozesses der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse als Übersetzerin der Do-

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nahmen ebenfalls den neuen Nachnamen an. Über das Motiv hierfür lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise wollte er durch die Annahme eines neuen Namens den endgültigen Bruch mit seiner deutschen Vergangen- heit vollziehen.17 Im Jahre 1940 geriet Feibelmann ins Visier der nationalsozialistischen Machthaber,18 die im Frühjahr dieses Jahres aufgrund seiner Emigration und aufgrund von Nachforschungen durch die Gestapo19 das Verfahren auf Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit einleiteten und den Rektor der Erlanger Universität aufforderten, "hinsichtlich der Entziehung des Dr.-Titels das Weitere zu veranlassen".20Nachdem der Dekan Greving

kumente des Arbeits- und Landwirtschaftsministeriums zu arbeiten. 1954 heiratete sie den Ingenieur Saul Sherman und entfaltete ab 1960 in Berkeley eine intensive Aktivität für die dortige jüdische Gemeinde und für jüdische Kunst und Kultur, wofür sie auch etliche Auszeichnungen und Preise erhielt; so gründete sie das Berkeley Richmond Jewish Community Center und das Berkeley Jewish Music Festival. Sie starb 78jährig im April 2002; vgl. Wall (Anm. 11), ferner Leslie Katz: Nuremberg - 50 years after trial of Nazi horrors. Jewish Bulletin of Northern Califor- nia 1995. Vgl. www.jewishsf.com/content/2-0-/module/displaystory/story _id/2430/ edition_id/40/format/html/displaystory.html, zuletzt aufgerufen am 22. November 2007.-Ihre zwei Töchter Claire und Julie sind dem Vorbild ihrer Mutter gefolgt und ebenfalls im Bereich der sozialen und kulturellen Arbeit tätig, vgl. http://www.self- sufficiency.org/ursula_sherman.html, zuletzt aufgerufen am 16. Mai 2008. 17 Im Erlanger Universitätsarchiv findet sich eine Kopie der Beglaubigung der Ge- richtsentscheidung durch das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland vom 24. Februar 1953; aus dieser erfahren wir auch, dass Morris Felton im Jahr der Ausstellung dieser Beglaubigung in der 14th Avenue im Norden San Franciscos gewohnt hat. UAE: C3/3 Nr. 1908/09-2. 18 Abschrift des Schreibens aus dem Reichsministerium des Innern an den Reichs- minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 27. März 1940,mit dem das Verfahren auf Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit eingeleitet wur- de. UAE: A1/3a Nr. 946b. In diesem Schreiben wird als "jetziger Aufenthalt" Feibel- manns Brasilien genannt, wofür es sonst keinen Anhaltspunkt gibt. 19 Vgl. die Randnotiz "über den Genannten wurden bereits Erhebungen von der Gestapo gepflogen", ebd. Kursivierung im Original unterstrichen. 20 Die Weiterleitung des Schreibens an den Rektor erfolgte am 10. April. Ebd.

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dem Rektor innerhalb weniger Tage die notwendigen Informationen be- züglich der Personalien Feibelmanns mitgeteilt und mit Verweis auf den entsprechenden Paragraphen über das Junktim von Aberkennung der Staatsangehörigkeit und Aberkennung der Doktorwürde festgestellt hatte, dass lIin dem vorliegenden Fall des Moritz Feibelmann" der entsprechen- de Tatbestand gegeben sei, stimmten die anderen Dekane im üblichen Umlaufverfahren der Entziehung der Doktorwürde ZU.21 Daraufhin in- formierte Rektor Wintz am 20. Mai 1940 die Rektoren der deutschen Hochschulen über die Entziehung und einen Monat später das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus sowie den Reichswissen- schaftsminister.22 Die entsprechende Bekanntmachung erfolgte am 27. Mai 1940 in der Nr. 121 des Deutschen Reichsanzeigers. Feibelmann selbst wurde nicht davon in Kenntnis gesetzt.

Abbildung 11: Passkarte Dr. Moritz Feibelmann. StadtAN: C21 VII 036. Bei der linken unteren Bildhälfte handelt es sich um eine angeklebte Notiz aus dem Deutschen Reichsanzeiger Nr. 113 vorn 17. Mai 1940.

21 Das Schreiben des Rektors an den Dekan trägt das Datum vorn 15. April 1940, die Antwort des Dekans erfolgte bereits zwei Tage später, und innerhalb einer Woche gaben die anderen Dekane ihr Einverständnis. Ebd. 22 Schreiben des Rektors ans Kultusministerium vom 20. Juni 1940. Ebd.

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Am 3. November 1958 erhielt der Rektor der Erlanger Universität einen Brief von "Dr. M. Feiton" aus San Francisco, in dem dieser sich an seine nunmehr 50 Jahre zurück liegende ärztliche Prüfung erinnerte und offenbar eine Erneuerung seines Staatsexamenszeugnisses oder eine ent- sprechende Urkunde zum 50jährigen Jubiläum erbat: "Sehr geehrter Herr Rektor, ich habe hier mein Examenszeugnis, das bestätigt dass ich, damals Moritz Feibelmann aus Memmingen, am 28. November 1908 die ärztliche Prüfung bestanden habe. Das sind nun 50 Jahre und ich würde mit Vergnügen es wieder sehen als nun ein älterer Mann. Ich lege eine Bescheinigung vom Deutschen Generalkonsulat hier bei, das bestätigt dass ich vor Jahren meinen Namen in Felton gesetzlich geändert habe [..,]."23 In seiner Antwort auf das Schreiben, das der Rektor zuständigkeitshalber an den Dekan der Medizinischen Fakultät weitergeleitet hatte, ging dieser auf das Jubiläum mit keinem Wort ein, sondern bat Morris FeIton, sich an das Bayerische Staatsministerium des Innern in München zu wenden, dem die Ausstellung von Zeugnissen dieser Art unterliege.24 Auffällig an die- sem Schreiben ist eine Randbemerkung "Bezüglich des Entzuges der Dr.- Würde siehe Promotionsbuch", die offenkundig von anderer Hand nach- getragen wurde, auf die entsprechend zu reagieren aber offensichtlich niemand willens war. Jedenfalls findet sich kein weiteres Schriftstück in den Universitätsakten. Über das weitere Schicksal Moritz Feibelmanns und das Datum seines Todes liegen uns keine Informationen vor.

RW./A.T.

23 UAE: A1/3a Nr. 946b. 24 Schreiben von Dekan Fritz Heim vom 14. November 1958. Ebd. Das Schreiben war an "Dr. Morris Felton" gerichtet.

98 ERICH EISNER * 18. Oktober 1887, Dr. med. 6. Juni 1913

Erich Eisner wurde am 18. Oktober 1887 als Sohn des Kaufmanns Louis Eisner und seiner Frau Emma (geborene Ginsberg) in Striegau in Schlesien geboren. Er war jüdischen Bekenntnisses. Eisner besuchte bis zur Unter- sekunda das Städtische Progymnasium seiner Heimatstadt, anschließend das Realgymnasium am Zwinger in Breslau und beendete den Schulbe- such 1906 mit dem Reifezeugnis. Im selben Jahr begann der 19-Jährige das Studium der Medizin in Breslau, wo er 1908 die Ärztliche Vorprüfung ab- legte. Danach absolvierte er einige klinische Semester in Zürich und Berlin und bestand dort am 15. August 1911 die Ärztliche Staatsprüfung. Im darauf folgenden Praktischen Jahr war Erich Eisner zunächst für einen Monat am Allerheiligen Hospital zu Breslau tätig, danach sieben Monate lang in der Königlichen Universitäts-Kinderklinik zu Breslau und schließlich vier weitere Monate in der Hautklinik des Städtischen Kran- kenhauses in Frankfurt am Main. Am 28. Oktober 1912 promovierte Erich Eisner dann in Erlangen zum Doktor der Medizin.1 Nach Annahme seiner Dissertation mit dem Titel "Zur Kenntnis der Bedeutung des Neutralschwefels beim Säugling mit besonderer Berücksichtigung der Untersuchungstechnik" wurde ihm die entsprechende Urkunde im Juni 1913 zugestellU Seine Approbation hatte er bereits am 1. November 1912 erhalten. Im Anschluss daran nahm Dr.

1 Warum er Erlangen als Promotionsort wählte, geht aus den Akten nicht hervor. 2 Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1912/13-4. - Erich Eisner widmete die Dissertation seinem Onkel Franz Ginsberg (1862-1936), der Ende des 19. Jahrhun- derts nach Süd-Afrika gegangen war und sich dort als Politiker und Unternehmer einen Namen machte, vgl. http://groups.msn.com/Y AMEYFAMILY/blochundgins berg.msnw, zuletzt aufgerufen am 8. Mai 2008.

99 ERICH EISNER

Eisner eine Stelle als AssistenzarzP am Krankenhaus des Bethanien-Ver- eins Frankfurt am Main an.4 In der Folgezeit lebte Erich Eisner in Hindenburg in Oberschlesien.5 Er heiratete Klara Zernick, die aber in den dreißiger Jahren an Krebs starb. Wohl im Jahre 1937 emigrierte er mit finanzieller Hilfe der Frau seines Onkels Frank Ginsberg in die USA und legte dort das amerikanische Medizinexamen ab.6 Im April 1940 wurde gegen ihn ein Verfahren auf Aberkennung der Staatsangehörigkeit eingeleitet: "Gegen den Juden Erich Eisner, geboren 18.10.1887 in Striegau/Schlesien, letzter inländischer Wohnsitz: Hindenburg O/S., Kronprinzenstr. Nr. 298, jetziger Aufent- halt: New York, habe ich ein Verfahren auf Aberkennung der deutschen Staatsange- hörigkeit gemäß § 2 des Gesetzes vom 14.7.1933 [...] in Verbindung mit § 1 des Gesetzes über die Aberkennung der Staatsangehörigkeit und den Widerruf des Staatsangehörigkeitserwerbes in der Ostmark vom 11.7.1939[... ] eingeleitet."7

3 Erich Eisner publizierte während dieser Zeit als Assistenzarzt unter Sanitäts-Rat Dr. Gottschalk und Dr. Mehler auch den Artikel "Ein Beitrag zur Diagnose der destruk- tiven Appendicitis." Deutsche Zeitschrift für Chirurgie (1915), S. 589-597. - Wahr- scheinlich ebenfalls von Erich Eisner stammt der Artikel" Über Heftpflasterverbände zur Beschleunigung der Heilung von Schusswunden", veröffentlicht in den "Kriegs- chirurgischen Mitteilungen aus dem Völkerkriege 1914/15", S. 83-93. Der Autor dieses zweiten Textes war zur Zeit der Veröffentlichung Bataillonsarzt im Reserve- Lazarett Butzbach in Hessen. Beide Artikel wurden im Frühjahr 1915veröffentlicht. 4 Alle Informationen bis zu diesem Zeitpunkt entstammen der Vita der Dissertation, UAE: C3/3 Nr. 1912/13-4. 5 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef der Deutschen Polizei an den Reichsmi- nister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 24. April 1940, abschrift- lich an die Universität Erlangen am 9. Mai 1940.UAE: A1/3a Nr. 946b. - Der in Anm. 2 genannten Intemetadresse ist zu entnehmen, dass Eisner im Jahre 1936 in Hinden- burg einen Vortrag vor dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten über seinen be- rühmten Onkel aus Anlass von dessen Tod hielt. 6 Ebd. 7 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef der Deutschen Polizei an den Reichsmi- nister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 24. April 1940, abschrift- lich an die Universität Erlangen am 9. Mai 1940.UAE: A1/3a Nr. 946b.

100 ERICH EISNER

Mit diesem Schreiben des Reichsministeriums des Inneren, das über das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an die Uni- versität Erlangen weitergeleitet wurde, begann am 9. Mai 1940 dann auch das Depromotionsverfahren gegen Dr. Erich Eisner. Auf der 178. Ausbürgerungsliste, die am 17. Juli 1940 im Reichsan- zeiger veröffentlicht wurde, befand sich auch der Name "Erich Eisner". Hiervon wurde die Universität entsprechend informiert8 und vollzog die Depromotion nach der durch Umlauf erfolgten Zustimmung der Dekane aller anderen Fakultäten. Die Bekanntmachung der Entziehung des Dok- tortitels erfolgte dann im Reichsanzeiger vom 31. August 1940. In einem von Prorektor Herrigel in Vertretung des Rektors unterzeichneten Schrei- ben wurden darüber abschließend das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus sowie das Reichswissenschaftsministerium infor- miert.9 Erich Eisner war zu diesem Zeitpunkt jedoch möglicherweise schon tot.lO Weitere Details über sein Leben in der Emigration sind uns nicht bekannt.

A.T./A.F.

8 Schreiben des Reichsministeriums des Inneren an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 17. Juli 1940, abschriftlich an die Universität am 3. August 1940.UAE: Al/3a Nr. 946b. 9 Schreiben des Rektors an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus und das Reichswissenschaftsministerium vom 5. September 1940. Ebd. 10 Vgl. die in Anm. 2 zitierte Intemetadresse, derzufolge Erich Eisner um 1939 gestor- ben sein soll.

101 ERICH EISNER

'1r. 1712,2546. Erlantem 5. September 194C. Der Rektor

der Universität Erlangen

An das Ba;:;er isohe stas:ts::inis ter ium f~~ Unterrioht und Kultus in MünchEn.

Betreff; Entziehung des Doktor-Titels. ZumE.:E. v. 9.5.40 ••7 2192/40 tl.v. 3.8.1940 ~TF3233/40.

Dem Erich Bi9n~r, geboren a~ 18,10.1887 in Striegau, wurce der ir~~~ 6.6.1913 von der ~~dizLaiaohen Fakult~t d~r Universit~t Erlangen verliehene Doktor-Titel wieder entzngen. Die Bekanntmachung hier~~er ist im Deutschen Rsic~sQnzei3~r vom 31.8.1940 Nr. 204 veröffentlicht. Eine Zweitscbrift aie~es B~richte8 für den ~ rrn ReicnnwisscnEchRftsministGT f~ge ich bei.

Abbildung 12: Schreiben des Rektors der Universität Erlangen an das Bayerische Staats- ministerium für Unterricht und Kultus vom 5. September 1940. UAE: Al/3a Nr. 946b.

102 JOSEF KARL SCHREINER * 10.Juni 1891,Dr. med. 14. Dezember 1916

Josef Karl Schreiner war gebürtiger Nürnberger und kam hier am 10. Juni 1891 als Sohn des Fabrikenkontrolleurs Johann Schreiner und dessen Ehe- frau Johanna, geb. Geiger, zur Welt.l Er hatte noch vier Geschwister.2 Schreiner besuchte von 1897 bis 1901 die Volksschule in Nürnberg und danach das dortige Humanistische Gymnasium, wo er aufgrund seiner guten Leistungen "als Vorzugsschüler" ein Stipendium erhieltJ und 1910 das Reifezeugnis erlangte. Zum Studium der Medizin ging er zunächst nach Erlangen, absolvierte dort die Ärztliche Vorprüfung und wechselte dann nach München. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete er sich als Freiwilliger und war bis 1918 an verschiedenen Orten auf dem westlichen und östlichen Kriegsschauplatz sowie in mehreren Lazaretten in Nürnberg ärztlich tätig. Dabei wurde er durch einen Durchschuss im linken Unterschenkel verwundet und litt mehrfach an malignen Diph- therieinfektionen, verbunden mit chronischer Erkrankung der Halsorgane und Herzmuskelschädigung, so dass er in den zwanziger Jahren als 50% kriegsdienstbeschädigt galt.4 Im Frühsommer 1916 wurde er kurzzeitig beurlaubt, um sein Studium abzuschließen. Er konnte daraufhin im Spät- sommer desselben Jahres das Medizinische Staatsexamen an der Universi- tät Erlangen ablegen und wurde hier auch wenige Monate später, am 14. Dezember 1916,zum Doktor der Medizin promoviert.5

1 Zu den Lebensdaten bis zur Promotion vgl. die Dissertation. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1915/16-9. 2 Bayerisches Landesentschädigungsamt (BayLEA):EG 123 800, B-Akte, BI.27. 3 Ebd., BI.5. 4 Ebd., E-Akte, BI.9. 5 Seine Dissertation trägt den Titel "Zur Hydrocele bilocularis" und erschien 1916 in Nümberg.

103 JOSEF KARL SCHREINER

1917 heiratete Josef Schreiner die am 5. Mai 1893 in Gunzenhausen (Bayern) geborene Nanni Seller,6die Jüdin, aber katholisch getauft war.7 Aus der Ehe ging 1919 ein Sohn hervor, der später in den USA heiratete.8 Nach dem Krieg arbeitete Schreiner zunächst am Städtischen Kranken- haus Nürnberg und ließ sich dann in der Allersbergerstraße in Nürnberg als praktischer Arzt, Chirurg und Geburtshelfer in eigener Praxis nieder, die sich in den folgenden Jahren sehr gut entwickelte.9 Neben seiner Praxis übte er noch etliche nebenberufliche und ehrenamtliche Tätigkeiten aus: Er war Sportarzt des "Turnvereins 1846 Nürnberg", Präsident des Landes- verbandes Bayern der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft und Dozent am St. Anna-Haus Nürnberg für Anatomie, Hygiene und Kinderkrank- heiten.10 Schreiners Leben war in diesen Jahren also offensichtlich von Erfolg und Ansehen geprägt. Dies änderte sich jedoch abrupt mit der Macht- übernahme der Nationalsozialisten. Da er aufgrund seiner Ehe in der menschenverachtenden nationalsozialistischen Terminologie als "jüdisch versippt" galt und da er sich außerdem weiterhin offen zum Katholizis- mus bekannte, war er seit 1933 Schmähungen, Drohungen und Anfein- dungen ausgesetzt, die ihn schließlich im Jahre 1937 in die Emigration trieben. Schreiner selbst berichtete später über die Zeit der Verfolgung: "Ich weise darauf hin, dass ich als Ehemann einer Jüdin im Sinne der NS-Rassen- ideologie in der Stadt der Reichsparteitage unter dem sattsam bekannten Gauleiter Streicher meine berufliche Tätigkeit ausüben musste. Schon von Beginn der Macht- übernahme an hatte ich unter ständigen Verfolgungen zu leiden. Abgesehen davon,

6 Ihre Eltern waren Jacob und Johanna SeHer.BayLEA: EG 123 800, E-Akte, BI.268. 7 Ebd., B-Akte, BI.28. 8 Er wurde 1919 geboren, hatte seinerseits drei Kinder und war in den USA in einem pharmazeutischen Betrieb tätig. Ebd., BI. 19. 9 Seine Einkommenssituation in der Weimarer Zeit und in den Jahren 1933bis 1937ist in den Entschädigungsakten aufgeschlüsselt; danach belief sich sein Einkommen jährlich auf 18.000 bis 20.000 RM. Ebd., BI. 108; sein Rechtsbeistand ging sogar von etwa 30.000 RM aus. Ebd., BI. 127. 10 Ebd., BI. 18.

104 JOSEFKARL SCHREINER

dass ich auf Grund von diesen Verfolgungen um meine gesamte Existenz gebracht worden bin und mein Sohn auch um seine Ausbildung, verlor ich z. B. auch sämtli- che Ehrenämter, die ich damals innehatte. [ ] Alle diese Posten wurden mir unter demütigenden Umständen abgenommen. [ ] Es gab Tage, da fürchteten wir uns, auf die Straße zu gehen, und nur meine Tätigkeit hat mir damals die Kraft gegeben,

über diese Verhältnisse einigermaßen hinwegzukommen. "11 Neben den Drohungen und dem Ausschluss aus den öffentlichen Ämtern musste Schreiner auch erleben, dass viele seiner Patienten mit der Begrün- dung, dass er als Arier mit einer Jüdin verheiratet sei, wegblieben. In ano- nymen Telefonanrufen und Schreiben wurde er immer wieder unter Dro- hungen aufgefordert, sich von seiner jüdischen Frau zu trennen.12 Natio- nalsozialistische ärztliche "KollegenIl spuckten öffentlich vor ihm aus und mieden seine Nähe, um nicht mit "dem Aussätzigenll13 in Berührung zu kommen. Sein Sohn, der in der Zeit von 1930 bis 1934 das Neue Gymnasium in Nürnberg besuchte, wurde seit 1932 als IINicht-Arierll von Mitschülern und Lehrern seelisch wie auch körperlich so sehr gedemütigt und gequält, dass sich die Eltern im Frühling 1934 entschlossen, ihn zum September desselben Jahres in das katholische Kolleg St. Blasius bei Freiburg zu geben, wo er bis Dezember 1936 blieb. Als sich der Einfluss der Hitler- Jugend auch an dieser Schule verschärfte, schickten ihn seine Eltern An- fang 1937 auf das College de L'Abbaye in St. Moritz in der Schweiz.14

11 Eidesstattliche Erklärung von Dr. Josef Schreiner, 12. August 1960 (BayLEA: EG 123 800, E-Akte, BI. 184); die Verfolgung hatte auch schwerwiegende Auswirkungen auf seine Gesundheit. - Zur Situation der Juden in Nümberg seit 1933 vgI. Amd Müller: Geschichte der Juden in Nümberg 1146-1945. Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nümberg, 12. Nümberg 1968,S. 211-235. 12 BayLEA: EG 123800, B-Akte, BI.28 und 29. 13 Anlage 2 zu einem Schreiben des juristischen Vertreters von Josef Schreiner im Zusammenhang mit einem seiner Entschädigungsanträge vom 2. Dezember 1954. Ebd., E-Akte, BI.28f. 14 Eidesstattliche Erklärung von Dr. Josef Schreiner (Anm. 11); Bescheinigung des Stadtrats zu Nümberg vom 20. Dezember 1954.Ebd., BI.65.

105 JOSEF KARL SCHREINER

Unter dem Druck dieser verschiedenartigen Diskriminierungen, die vor allem Josef Schreiner psychisch extrem belasteten, entschloss sich das Ehepaar, unterstützt von dem mit ihnen befreundeten Regimegegner Pater Rupert Mayer,15Anfang 1937 zur Emigration und reiste im März desselben Jahres im Anschluss an einen Kuraufenthalt in der Schweiz über Zürich, Paris und Le Havre nach New York aus.16Für Schreiner, der sich selbst als seiner Gesinnung nach patriotisch und national eingestellt cha- rakterisierte und der "sein Leben für das Vaterland gegeben hätte, wenn es gefordert gewesen wäre",J7 war es überaus schmerzvoll, der Heimat den Rücken zu kehren. In New York musste er zunächst, nach einer Vor- bereitungszeit von mehr als einem Jahr, das amerikanische Ärztliche Staatsexamen ablegen, bevor er in der zweiten Hälfte des Jahres 1938 eine neue Arztpraxis eröffnen konnte.1BDiese hatte im Vergleich zu seiner Tätigkeit in Deutschland aber nur bescheidene Ausmaße, nicht zuletzt da Schreiner durch die Verfolgung bleibende Schäden erlitten hatte, die ihn in seiner Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigten.19 Am 25. September 1941 erhielt der Rektor der Universität Erlangen abschriftlich die Mitteilung vom Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, dass

15 Ebd., B-Akte, BI. 6. - Zu Rupert Mayer, der 1987 selig gesprochen wurde, vg1. Rita Haub: Pater Rupert Mayer. Ein Lebensbild. München 2007. 16 BayLEA: EG 123 800, B-Akte, BI. 58 und ebd., E-Akte, BI. 74. 17 Ebd., BI. 30. 18 Ebd., E-Akte, BI. 33 und 91. Aus dem Entschädigungsakt geht auch hervor, wie hoch - neben den psychischen Belastungen - die Kosten einer Emigration und des Ver- suchs, beruflich wieder Fuß zu fassen, waren, vg1. Schreiben vorn 2. Februar 1956, ebd., BI. 90-94. - Zu den Schwierigkeiten, die sich den emigrierten Ärzten in New York bei der erneuten Niederlassung entgegenstellten, vg1. Kathleen M. Pearle: Ärzteemigration nach 1933 in die USA: Der Fall New York. Medizinhistorisches Journal 19 (1984), S. 112-137. 19 Ebd., B-Akte, BI. 33-38 und BI. 82-87.

106 JOSEFKARL SCHREINER

"gegen den deutschblütigen Josef Karl Schreiner, geboren am 10. 6. 1891 in Nürn- berg, letzter inländischer Wohnsitz: Nürnberg, Allersbergerstr. 69/11,jetziger Aufent- halt: New York/USA"2o ein Verfahren auf Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit einge- leitet worden sei. Nur wenige Tage später sprach sich der Dekan der Medizinischen Fakultät, Richard Greving, für die Entziehung der Doktor- würde von DI. Josef Schreiner aus.21 Während die Dekane der anderen Fakultäten dem Votum Grevings in den darauf folgenden Tagen im übli- chen Umlaufverfahren zustimmten,22 gab Friedrich Lent als amtierender Dekan der Juristischen Fakultät zu bedenken, dass mit der Einleitung des Verfahrens zur Ausbürgerung die Voraussetzung zur Aberkennung des Doktortitels noch nicht gegeben sei.23 Nachdem jedoch die Ausbürgerung Schreiners am 11. November 1941 im Reichsanzeiger (NI. 264) veröffent- licht und dies dem Rektor offiziell mitgeteilt worden war,24wurde Dr. Josef Schreiner am 23. April 1942, zusammen mit acht anderen an der Erlanger Universität Promovierten, der akademische Doktorgrad entzo- gen.25 Die entsprechende Veröffentlichung im Reichsanzeiger erfolgte in der Nummer 115 vom 19. Mai 1942.26 Der Betroffene, DI. Josef Schreiner, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit fünf Jahren in New York lebte und als

20 Das Schreiben trägt das Datum 11. September 1941.UAE: Al/3a Nr. 946h, BI.1. 21 Schreiben vom Dekan Richard Greving an den Rektor der Universität Erlangen vom 27. September 1941.Ebd. 22 Ebd. 23 Stellungnahme Lents vom 14. Oktober 1941.Ebd., BI.2. 24 Schreiben des Reichsministers des Innern an den Reichswissenschaftsminister mit Abschrift an den Rektor vom 8. bzw. 18. November 1941 (ebd., BI. 3). - Die Einlei- tung des Ausbürgerungsverfahrens bedeutete auch, dass ab diesem Zeitpunkt die Zahlung der Rente, die Schreiner als Kriegsdienstbeschädigter des Ersten Weltkriegs erhielt, eingestellt wurde. BayLEA:EG 123800, B-Akte, BI.69. 25 Bekanntmachung des Rektors vom 23. April 1942.Ebd., BI.5. 26 Schreiben des Rektors an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 22. Mai 1942.Ebd., BI. 6.

107 JOSEFKARL SCHREINER

Arzt tätig war, wurde von diesem Vorgang nicht unterrichtet und hat den Doktortitel bis an sein Lebensende verwendet.

Abbildung 13: Passkarte Dr. Josef Karl Schreiner. StadtAN: C21 VII 0146.

Am 9. März 1952 stellte Dr. med. Josef Schreiner, der damals in seinem 61. Lebensjahr stand und aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchti- gungen nur noch "leichte Praxis als Arzt"27ausüben konnte, beim Bayeri- schen Landesamt für Wiedergutmachung ("Generalanwaltschaft der ras- sisch, religiös und politisch Verfolgten") einen "Antrag auf Grund des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Ent- schädigungsgesetz)"28 und machte zunächst Ansprüche für "Schaden an

27 Versorgungsärztliches Gutachten vom 19. Februar 1955, das ihm eine Minderung der Erwerbstätigkeit um 70 Prozent bescheinigte. Ebd., BI. 66. - Seine chirurgische und geburtshilfliche Praxis hatte Schreiner bereits 1947 aufgeben müssen. 28 BayLEA: EG 123 800, E-Akte, BI. 1 und 2. Schreiner wohnte damals in New York. Er hatte seine Ansprüche bereits zu einem früheren Zeitpunkt bei der amerikanischen Regierung in Washington in dem Glauben angemeldet, dass diese den Antrag an die deutschen Behörden weiterleiten würde, was jedoch nicht der Fall war, vgI. Schrei- ben des Deutschen Generalkonsulats in New York an das BayLEA vom 21. März 1952. Ebd., BI. 13.

108 JOSEF KARL SCHREINER

Eigentum und Vermögen"29 sowie für "Schaden im wirtschaftlichen Fort- kommen bei Versicherungs- und Rentenanstalten" geltend.3DNachdem in den folgenden Jahren noch weitere Ansprüche im Sinne des genannten Gesetzes angemeldet und zwischenzeitlich einzelne Anträge positiv ent- schieden worden waren, erging der letzte Bescheid in diesem Entschädi- gungsfall am 31. Januar 1964.31Im Jahre 1970 verlegte das Ehepaar Schrei- ner seinen Wohnsitz nach Monsey bei New York; zwei Jahre später, am 9. Dezember 1972, verstarb Josef Schreiner in seinem 82. Lebensjahr in einem Krankenhaus in Seminole, Florida.32

RW./B.S.

29 Eine Aufstellung aller Vermögenswerte Josef Schreiners, die er als Verfolgter des NS-Regimes verloren hatte, findet sich ebd., BI. 29-34. 30 Ebd., BI. 5 und 7. 31 Ebd., B-Akte, BI. 101-103. 32 Sterbeurkunde. Ebd., BI. 142. - Nanni Schreiber starb am 27. Juli 1978 in Orlando, Florida. Ebd., E-Akte, BI. 268.

109

JULIUS SICHEL * 27. März 1892,Dr. med. 20. Februar 1920

Julius Sichel wurde am 27. März 1892 in Bamberg geborenl und gehörte dem israelitischen Bekenntnis an.2 Über sein Medizinstudium gibt es keine genaueren Angaben. Als 22-Jähriger musste Sichel in den Ersten Weltkrieg ziehen und konnte daher seine Ausbildung nicht ohne Unterbrechung weiterführen; er kam erst im Dezember 1918 wieder aus dem Krieg zurück. In den Wirren der Nachkriegszeit diente Julius Sichel im Jahre 1919 zudem noch als Mitglied des "Freikorps Epp" bei Kampfhandlungen um München.3 Anschließend ging er am 1. Februar 1919 an die Universität Erlangen und promovierte an der Medizinischen Fakultät mit einer Arbeit zum Thema "Über das Fehlen der lateralen oberen Schneidezähne bei kongenitaler Syphilis". Am 20. Februar 1920 wurde ihm die Urkunde zugestellt.4 Im Jahre 1920 ließ sich Dr. Julius Sichel in Wanne-Eickel als prakti- scher Arzt und Geburtshelfer mit Privat- und kassenärztlicher Praxis nie- der und wurde ca. 1927 zusätzlich zum Knappschaftsarzt (Ruhrknapp- schaft Bochum) ernannt. Die feste Anstellung und seine ärztlichen Tätig-

1 Schreiben des Rektors der Universität Erlangen an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 14. Februar 1940.Universitätsarchiv Erlangen (UAE): A1/3a Nr. 946h. 2 Schreiben des Reichssicherheitshauptamtes an das Reichsministerium des Innem vom 29. November 1939: "Wie mir berichtet worden ist, hat der Jude Sichel an der Universität Erlangen zum Dr. med. promoviert. Ebd. Siehe das Schreiben von Richard Greving, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Erlangen, an den Rektor vom 5. Januar 1940. UAE: A1/3a Nr. 946h. - Zur jüdischen Gemeinde Bambergs, die relativ klein war, vgl. Herbert Loebl: Juden in Bamberg. Die Jahrzehn- te vor dem Holocaust. 2. verb. Auflage. Bamberg 2000.. 3 Schreiben von Julius Sichel an das Bayerische Landesentschädigungsamt (BayLEA) vom 25. Mai 1958.BayLEA:BEG3445. 4 Schreiben vom Dekan der Medizinischen Fakultät an den Rektor vom 5. Januar 1940. UAE: Al/3a Nr. 946h.

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keiten waren mit einem jährlichen Gesamteinkommen von etwa 15.000 . Reichsmark verbunden.5 Sichel heiratete und bekam gegen Ende der 1920erJahre zwei Kinder. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte die Lebensbe- dingungen für Dr. Sichel jedoch sehr schnell und grundlegend: Aus politi- schen Gründen wurde er wegen seines jüdischen Bekenntnisses zum 1. April 1933 als beamteter Knappschaftsarzt fristlos und ohne Versor- gungsbezüge entlassen.6 Da er in den folgenden Monaten wiederholt im Polizeigefängnis Herne in "Schutzhaft" genommen wurde, zog er noch im Laufe des Jahres 1933 mit seiner Familie nach München, "wo die Juden noch etwas freier leben konnten"7 und war dort fünf Jahre bis zu seiner Emigration 1938 als praktischer Arzt tätig. Als Kriegsteilnehmer erhielt er auch in München die Kassenzulassung. Er wohnte in der Schwanthaler- straße 18 und hatte durch seine berufliche Tätigkeit noch die Möglichkeit eines - wenn auch deutlich niedrigeren - Einkommens.8 Die Repressalien des Staates verschärften sich jedoch zunehmend, so dass sich Julius Sichel im Frühjahr 1938 (7. April) zur Ausreise nach Süd- amerika entschloss. Zusammen mit seiner Frau Anna und den beiden Kindern - zu diesem Zeitpunkt neun und zehn Jahre alt9 - konnte Julius Sichel, nachdem er den hohen Betrag für die "Reichsfluchtsteuer" bezahlt

5 BayLEA:BEG3445, Eidesstattliche Versicherung von Julius Sichel vom 31. Juli 1959. 6 Die Umstände nach seiner Entlassung als Arzt im Dienste der Ruhrknappschaft sind den Entschädigungsakten nach dem Zweiten Weltkrieg zu entnehmen. Schreiben von Julius Sichel an das Bayerische Landesamt für Wiedergutmachung, Generalan- waltschaft für rassisch, religiös und politisch Verfolgte ("Betr.: Anmeldung von Ansprüchen gemäß Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Un- rechts") vom 14. März 1950.BayLEA:BEG3445. 7 Eidesstattliche Versicherung (Anm. 5). 8 SicheIs Einkünfte verringerten sich laut seinen Angaben ab dem Jahr 1933 erheblich. BayLEA:BEG3445. 9 Weitere biographische Angaben zur Familie von Julius Sichel haben sich in den zitierten Aktenbeständen nicht erhalten.

112 JULIUSSICHEL

hatte, per Schiff nach Argentinien emigrieren.lo Nur um die Erlaubnis zur Ausreise zu erhalten, musste Sichel bereits "einen sehr erheblichen Betrag an die Gelddiskontbank zahlen", seinen Schätzungen nach "etwa RM 60.000", lediglich der Transfer von ,,5.412,99 US-$" in die neue Heimat wurde ihm gestattet.ll Aufgrund der Auswanderung und der darauf folgenden Ausbürge- rung SicheIs wurde an der Universität Erlangen 1939 ein Verfahren gegen

Abbildung 14:Bekanntmachung des Rektors im Deutschen Reichsanzeiger Nr. 31 vom 6. Februar 1940über den Entzug der Doktorwürde bei Julius Sichel. UAE: A1/3a Nr. 946h.

10 Julius Sichel berichtete über die Fahrt mit der "Cap Arcona II. Klasse": ,,(...) jede Fahrkarte kostete etwa RM 900, zusammen also RM 2700. Hinzu kamen die Fracht- kosten für unsere Lifts mit RM 7000 bis 8000, in denen wir unsere ganzen Möbel einer 5-Zimmer-Wohnung Schwanthalerstr. 18, mitnehmen konnte(n]." BayLEA: BEG3445. 11 Ebd.

113 JULIUSSICHEL

ihn eingeleitet, da er gemäß § 2 des Gesetzes vom 14. Juli 1933 lider deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig" erklärt worden warP Am 5. Januar 1940 stellte der Dekan der Medizinischen Fakultät Erlangen daher den Antrag auf Aberkennung des Doktortitels, dem die anderen Dekane im Verlauf der nächsten Tage zustimmten,13 Am 29. Januar gab dann der Rektor die Entziehung der Doktorwürde bekannt und ließ sie im Deut- schen Reichsanzeiger und im Preußischen Staatsanzeiger Nr. 31 vom 6. Februar 1940veröffentlichen (Abb. 14).14 Dr. Julius Sichel überlebte während des Krieges in Argentinien, sein weiteres Schicksal ist in Teilen aus Anträgen auf Entschädigung in den 1950er Jahren zu entnehmen. Er wohnte in der Laprida-Straße 1341in Bue- nos Aires, konnte aber nicht wieder als Arzt arbeiten. In einem späteren Schreiben schilderte Julius Sichel seine Lebensumstände wie folgt: "Seit der Auswanderung habe ich dann meinen Beruf nicht mehr ausüben können und, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, keinerlei Einkommen gehabt. Nachdem ich den kärglichen Rest meines Vermögens, den ich mit herausnehmen durfte, aufgegessen habe, habe ich von Unterstützungen von Verwandten gelebt und von dem, was meine Frau und meine Kinder verdient haben, da es mir nicht möglich war, hier noch einmal das ärztliche Examen nachzuholen, wozu ein neues Studium nötig gewesen wäre."15 In einer eidesstattlichen Versicherung gab Sichel des Weiteren an: "Am 26. April 1938 kam ich nach Buenos Aires mit einem Kapital von ca. 20.000 Pesos. Meine Kinder waren 9 und 10 Jahre alt. Zunächst versuchte ich, durch Vertretungen in Haushaltswaren [sic]mir eine Existenz aufzubauen. Im Januar 1939

12 Schreiben des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 15. Dezember 1939.UAE: A1/3a Nr. 946h. 13 Schreiben von Dekan Greving an den Rektor vom 5. Januar 1940 und Umlaufver- fahren vom 9. bis 13.Januar 1940.Ebd. 14 Bekanntmachung des Rektors Hermann Wintz vom 29. Januar 1940.Ebd. 15 Diese Schilderung entstammt der "Anlage zur Schadensanmeldung Dr. Julius Sichel" als Abschnitt "Schilderung des Verfolgungsvorganges". Schreiben des An- walts von Julius Sichel an das Bayerische Landesamt für Wiedergutmachung vom 25. Mai 1957. BayLEA:BEG3445.

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beteiligte ich mich an einer Mineralmühle, die ich mit Verlust eines großen Teiles meines Vermögens Mitte des Jahres 1940verkaufen musste."16 Auch für seine gesundheitliche Situation blieb der schwierige Neubeginn in Südamerika nicht ohne Folgen: Seit 1940 litt er unter verschiedenen schweren Erkankungen, die chronische Schäden nach sich zogen.17 Auf die Folgen, die dies für sein Leben hatte, ging er noch ausführlicher ein: "Meine Erkrankungen und meine schlechten finanziellen Verhältnisse machten mir ein Studium unmöglich, so dass ich nicht revalidieren [regenerieren] konnte. Während all dieser Jahre versuchte ich, mit Sprachunterricht und gelegentlichen leichteren anderen Beschäftigungen zum Lebensunterhalt meiner Familie beizutra- gen. Durch meine Arbeit habe ich nie das Existenzminimum erreicht, so dass ich auch keine Steuern zu zahlen hatte."18 Die von den Nationalsozialisten erzwungene Emigration bedeutete aber nicht nur für Julius Sichel selbst die Zerstörung seines ursprünglichen Lebensplans, sondern wirkte sich auch auf die Existenz der gesamten Familie aus: "Meine Frau hat durch ihre Arbeit als Vertreterin einiger Fabriken den größten Teil des Lebens bestritten. Mein Sohn verdiente sich seit seinem 15. Lebensjahr sein Studium und später auch für den Haushalt. Meine Tochter konnte der finanziellen Verhältnisse wegen ihr Studium nicht durchführen und unterbrach dieses, um mit 15Jahren eine Stelle anzunehmen. In den ersten Jahren meines hiesigen Aufenthaltes und besonders in der Zeit meiner schweren Erkrankungen musste ich die Hilfe meines Bruders in Anspruch nehmen."19 Am 5. November 1951 wandte sich ein von ihm beauftragter argentini- scher Rechtsanwalt Dr. J. P. aus Buenos Aires mit einem "Antrag auf Grund des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Un-

16 Ebd. 17 Seine verschiedenen Erkrankungen belegte Sichel mit Attesten eines Dr. B. und des Botschaftsarztes Dr. F. A. V. Ebd. 18 Ebd. 19 Ebd.

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rechts" (14. März 1950) an das Bayerische Landesentschädigungsamt,2o Der Anwalt machte im Auftrag SicheIs Ansprüche gemäß Schaden an Eigentum und Vermögen "durch Zerstörung, Verunstaltung, Plünderung, Flucht oder Auswanderung", "durch Sonderabgaben und Reichsflucht- steuer" sowie "durch sonstige schwere Schädigung" geltend. Den "Scha- den im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen" hatte Sichel bereits im April 1950 als Entschädigungsanspruch gegen die Ruhrknappschaft Bochum angeführt; daraufhin war ihm von dort eine Pension bewilligt worden. Durch das Bayerische Landesentschädigungsamt erging am 31. Juli 1956 der Bescheid, dass Dr. Julius Sichel eine Entschädigung zuerkannt wurde.21 Hinsichtlich des erlittenen "Transferschadens" erreichte Sichel erst nach einer Klage gegen den Freistaat Bayern Anfang 1957, dass ihm ein weiterer Entschädigungsbetrag zugestanden wurde.22 In seinem letzten erhaltenen Brief schreibt der 66jährige Sichel im Mai 1958: "Heute ist mein Gesundheitszustand so, dass ich keine 200 Meter ohne Herzbeschwerden gehen kann und jede Erregung mir einen Anfall von Angina pectoris auslöst". Der Arzt war durch sein Schicksal schwer gezeichnet und hatte mit "Julio Sichel" auch seinen Namen der neuen Heimat angepasst - aber den Doktortitel auf seinem Briefkopf geführt,23 Über das weitere Schicksal von Dr. Julius Sichel und das Todesdatum gibt es keine Angaben.

A.F./B.S.

20 Bayerisches Landesamt für Wiedergutmachung, Generalanwaltschaft für rassisch, religiös und politisch Verfolgte. BayLEA:BEG3445. 21 Ebd. 22 Dieser Sachverhalt ist Inhalt des "Protokoll[s] über eine Klage Dr. Sicheis" vom 12. Januar 1957. Ebd. Der letztlich gewährte Betrag belief sich auf etwa 10 Prozent der seinerzeit von ihm zwangsweise entrichteten Reichsfluchtsteuer. 23 Siehe den Briefkopf des Schreibens vom 25. Mai 1958: "Dr. Julio Sichel". BayLEA: BEG 3445.

116 JULIUS SICHEL

I. 'I. . Jr ·ß !

n..... i!!!;che i'~l.',Ult:t /~ V.' '.'....1· ~l";';'·'.~,~.m._9., 1. Ifl' Nr.L /~ An das Rektorat der Universität Erlangen zurüc~it der Mit-' I. teilung,daß der Jude, Julius S ich e l,geboren sm 27.3.1892 zu ! . ~ . Bsmberg am 26. November 1919 an der Medizinischen Fakultät der Uni- I versität Erlangen zum Dr. med. promoviert hat. I Die Urkunde wurde ihm am 19· F.ebruaz;.~9~.2~ugestellt.Jch stelle; den Antrag,daß der verliehene Doktortitel entzogen wird.. 1 I., Erlangen,den 5. Januar 1940. -

Abbildung 15: Universitätsintemer Schriftverkehr über Eröffnung und Verlauf des Verfahrens zur Aberkennung bei Julius Sichel vom 31. Dezember 1939 bis 6. Januar 1940. UAE: Al/3a Nr. 946h.

117

THEODOR HOLZINGER * 28. Mai 1895, Dr. med. 12. Mai 1922

Theodor Holzinger kam am 28. Mai 1895 in Bayreuth zur Welt. Sein Vater, Dr. Emil Holzinger, war ebenfalls Arzt und verheiratet mit Hannchen Holzinger (geb. Dietenhöfer). Nach dem Besuch der Volksschule Bayreuth ging Theodor Holzinger für sieben Jahre auf das dortige Humanistische Gymnasium. Anschließend wechselte er für weitere zwei Jahre an das Gymnasium Casimirianum in Coburg, das er 1914 mit dem Abitur ab- schloss. Noch im Herbst begann Theodor Holzinger in Jena das Studium der Medizin, musste es jedoch wegen des Krieges bereits nach dem ersten Semester unterbrechen. Seit Februar 1915 war er Soldat bei einem Regi- ment in Bayreuth. Erst 1919 konnte er dann seine Studien in Erlangen fort- setzen, wo er im Januar des folgenden Jahres die Ärztliche Vorprüfung be- stand. Im Anschluss ging er für das darauf folgende Sommersemester an die Universität Würzburg, kehrte danach für zwei Semester nach Erlangen zurück und absolvierte im Juli 1921 dort die so genannte Außerordent- liche Ärztliche Prüfung für Kriegsteilnehmer. Seit dem 15. September 1921 hatte Theodor Holzinger eine Stelle als Medizinalpraktikant auf der Inneren Station des Städtischen Kranken- hauses Bayreuth inne. Später war er noch in der Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten an der Medizinischen Klinik in Erlangen tätig und wurde dort ab 15. März 1922 Volontärarzt. Noch im gleichen Jahr, am 12. Mai 1922, promovierte er mit der Arbeit "Ein Fall von maligner Entartung eines Grawitzschen Tumors. Pathologisch-anatomisch-klinische Studie".1 Theodor Holzinger gehörte dem israelitischen Bekenntnis an.2 Nur auf diese Weise erklärt sich auch eine Aktennotiz, die der Dekan der Medizi-

1 Die Lebensdaten bis zur Promotion sind der Vita in der Dissertation entnommen. Universitätsarchiv Erlangen (UAE):C3/3 Nr. 1921/22-57. 2 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsmini- sterium des Innem an den Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volks-

119 THEODOR HOLZINGER

nischen Fakultät der Universität Erlangen, Friedrich Jamin, am 4. Dezem- ber 1936 anlegte:

"Zum Akt: Theodor Holzinger nach Urteil des Landgerichts Stuttgart vorn 29.10.36 nach Mitteilung Oberstaatsanwalt Strafkammer 6 vorn 28.11.36 Rekt.Verf. Nr. 3166 vorn 3.12.36: Rechtskräftig verurteilt wegen Rassenschande (zwei-Verbr.). Gesamt- zuchthausstrafe von 2 Jahren. Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf 5 Jahre. Ausübung des ärztlichen Berufs für 5 Jahre untersagt."3 Warin die Dr. Holzinger zur Last gelegte "Rassenschande" bestand, lässt sich den nur fragmentarischen Aktenbelegen nicht entnehmen. Sein letzter bekannter inländischer Wohnsitz befand sich in der Albert Schäffle-Straße 122 in Stuttgart. Spätestens 1941 hatte Theodar Holzinger jedoch Deutschland verlas- sen und war nach Shanghai ausgewandert. Diese pulsierende Hafenstadt war für viele jüdische Emigranten die letzte Zuflucht, da dort keine Visumspflicht bestand und eine Einreise auch noch sehr spät möglich war.4 Etwa 18.000 Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich gelangten in die kosmopolitische Gemeinde nach Shanghai. Der Kontrast zwischen Süd- deutschland und dem chinesischen Exil war sicherlich erheblich, und die Lebensbedingungen müssen für Theodor Holzinger außerordentlich schwierig gewesen sein.5

bildung vorn 20. Mai 1941, mit Abschrift an den Rektor der Universität Erlangen vorn 28. Mai 1941. UAE: A1/3a Nr. 946d. 3 Aktennotiz des Dekans der Medizinischen Fakultät vorn 4. Dezember 1936. UAE: C3/3 Nr. 1921/22-57. 4 Siehe etwa auch die Erfahrungen des österreichischen Arztes Alfred W. Kneucker (1904-1960):Alfred W. Kneucker: Zuflucht in Shanghai. Aus den Erlebnissen eines österreichischen Arztes in der Emigration 1938-1945, bearb. und hrsg. von Felix Gamillscheg. Wien u.a. 1984, oder die Autobiographie von Emest Heppner: Emest G. Heppner: Fluchtort Shanghai. Erinnerungen 1938-1948.Aus dem Amerikanischen von Roberto de Hollanda. Bonn 1998. 5 Zu Shanghai als Emigrationsziel siehe allgemein Georg Armbrüster: Exil Shanghai: 1938-1947. Jüdisches Leben in der Emigration. Teetz 2000; Astrid Freyeisen: Shanghai und die Politik des Dritten Reiches. Würzburg 2000 (zugleich Würzburg,

120 THEODOR HOLZINGER

Am 20. Mai 1941 wurde gegen "den Juden Dr. med. Theodor Israel Holzinger ein Verfahren auf Aberkennung der deutschen Staatsangehörig- keit eingeleitet, und am 28. Mai - Theodor Holzingers Geburtstag - wurde die Universität Erlangen hiervon durch ein Schreiben des Reichsministers für Wissenschaft in Kenntnis gesetzt mit der Aufforderung, das Weitere zu veranlassen.6 Der Dekan der Medizinischen Fakultät stellte daraufhin am 16. Juni fest, dass die Voraussetzung für die Entziehung des Doktor- grades gegeben sei; dieser Beurteilung stimmten die anderen Dekane innerhalb von wenigen Tagen im üblichen Umlaufverfahren zu?

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Abbildung 16: Umlaufverfahren der Fakultäten zur Frage der Entziehung des Doktortitels bei Dr. Theodor Holzinger (1895-1941). UAE: A1/3a Nr. 946d.

Univ. Diss. 1998); dies.: Shanghai. Rettung am "schlechtest möglichen Ort" der Welt? Exilforschung 20 (2002), S. 269-293. 6 UAE: A1/3a Nr. 946d. 7 Ebd.

121 THEODOR HOLZINGER

Dr. Theodor Holzinger war jedoch zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr am Leben: Er war am 27. März 1941 unter ungeklärten Umständen in Shanghai verstorben. Er war nur 45 Jahre alt geworden. Die Information über Holzingers Tod wurde der Universität am 19. August 1941 übermit- telt; die gegen ihn eingeleiteten Ausbürgerungs- und Aberkennungsver- fahren wurden danach für gegenstandslos erklärt.8

B.S./A.F.

8 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsmini- sterium des Innem vom 13. August 1941 an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, mit beglaubigter Abschrift an den Rektor vom 19. August 1941.Ebd.

122 ALBERT FROHMANN * 10.Januar 1897,Dr. med. 4. April 1922

Albert Frohmann wurde am 10. Januar 1897 in Oettingen (Bayern) gebo- ren.I Seine Eltern waren der Kaufmann Salomon Frohmann (1851-1913) und Amalie Frohmann, geb. Oppenheimer (1859-1904).2Beide Familien waren jüdischen Bekenntnisses.3 Albert hatte noch eine Schwester Barbara, die 1892 zur Welt gekommen war. Bereits mit sechs Jahren verlor Albert Frohmann seine Mutter. Er besuchte zunächst die Israelitische Volks- schule und danach von 1906 bis 1912 das Progymnasium in Oettingen.4 Nachdem im Mai 1913 auch sein Vater gestorben war, ging der 16jährige Albert zusammen mit seiner Schwester im Dezember desselben Jahres nach Coburg.5 Wie und bei wem die beiden Geschwister dort gelebt haben und ob Albert die Schule am Ort besucht hat, wissen wir nicht. Er selbst berichtet in seiner Vita, dass er im Januar 1915 auf das Humanistische Gymnasium in Amberg kam.

1 Wenn nicht anders vermerkt, sind die Daten der Vita bis zur Promotion der Disser- tation entnommen. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1920/21-74. 2 Vgl. die Dokumentation des Jüdischen Friedhofs in Oettingen von Rolf Hofmann: Jewish cemetery Oettingen grave list, compiled by Rolf Hofmann, Mario Jacoby, Petra Ostenrieder, updated version of 26 Jul 2006, Grab 130 und 088 (http:// www.alemannia-judaica.de/oettingen_friedhof.htm. zuletzt aufgerufen am 9. März 2008); für diesen und weitere Hinweise danken wir der Leiterin des Heimatmuse- ums und Archivs in Oettingen, Frau Dr. Petra Ostenrieder. - Amalie Oppenheimer, die in Aufseß geboren war, und Salomon ("Salo") Frohmann, dessen Familie aus Oettingen stammte, heirateten am 20. April 1882. 3 Oettingen war eine der ältesten jüdischen Gemeinden Deutschlands, vgl. Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann (Hrsg.): Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918-1945. Geschichte und Zerstörung. München, Wien 1979,S. 315 und 490. 4 Freundliche Mitteilung von Frau Dr. Ostenrieder. 5 Nach einer Notiz im Archiv Oettingen: "am 9. Dezember 1913nach Coburg ... ".

123 ALBERTFROHMANN

Von Juni 1915 bis zum Januar 1919 leistete er Dienst im Heer. Wohl parallel dazu - vermutlich im Wintersemester 1917/186 - nahm Albert Frohmann das Studium der Medizin auf, wovon er sechs Semester in München, ein Semester in Würzburg und zwei Semester in Erlangen ab- solvierte. Er legte im Frühjahr 1921 seine Ärztliche Prüfung in Erlangen ab7 und wurde am 13. Mai desselben Jahres mit einer Arbeit über Frühge- burten zum Doktor der Medizin promoviert.8 Die Promotionsurkunde wurde am 4. April ausgestellt.9 Spätestens 1926 eröffnete Albert Frohmann in der Augustenstraße in München eine Allgemeinpraxis mit Zulassung zu allen Krankenkassen,lo die sich sehr gut entwickelte.l1 Er erfreute sich als Arzt der Anerkennung seiner Kollegenl2 und war bei den Patienten sehr beliebt: "Herr Dr. Froh- mann [... ] war wegen seiner Tüchtigkeit und selbstlosen Hilfsbereitschaft

6 Laut einer Mitteilung des Stadtarchivs München, die wir ebenfalls Frau Dr. Osten- rieder verdanken, ist Albert Frohmann am 4. Oktober 1917nach München gezogen. 7 Seine Approbation erhielt er am 3. Dezember 1921, vgl. Schreiben von W. Römer an Albert Frohmann vom 28. Februar 1980.UAE: C3/3 Nr. 1920/21-74. 8 Albert Frohmann: Lebensfähigkeit, Körperlänge und Gewicht von Frühgeburten im 7. und 8. Schwangerschaftsmonat (unter Berücksichtigung des Materials an der Univ. Frauenklinik Erlangen in den Jahren 1911-1920).Diss. med. Erlangen 1922. 9 Schreiben des Dekans der Medizinischen Fakultät Greving an den Rektor vom 14. Februar 1940.UAE: A1/3a Nr. 946b. 10 Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns Bezirksstelle München, vom 12. November 1954.Bayerisches Landesentschädigungsamt (BayLEA): EG 29607:"Es kann nur aufgrund noch vorhandener alter Kassenarztverzeichnisse bestätigt wer- den, dass Herr Dr. Albert Frohmann als Allgemeinpraktiker in München, Augusten- str. 24/1, seit dem Jahre 1926 bis zum 1. Oktober 1938, wo er aus rassepolitischen Gründen seine Praxis aufgeben musste, zu allen Kassen ordentlich zugelassen war." 11 Schreiben von Frohmanns Anwalt an das BayLEA vom 24. Juni 1957: "Sein Ein- kommen bis 1933 war durchschnittlich RM 15.000jährlich". Ebd. 12 Bescheinigung des Dr. med. E. H. vom 18.Juli 1957:"Herr Dr. Albert Frohmann, den ich ungefähr seit 1924 kenne, hat durch seinen Fleiß, durch seine gute Ausbildung ebenso wie durch sein ruhiges Wesen und seine große Hilfsbereitschaft sich in kur- zer Zeit einen großen Kreis von Patienten erworben". Ebd.

124 ALBERTFROHMANN

bei seinen Patienten besonders geschätzt und verehrt.//13 Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ging sein Einkommen infolge der Boykottmaßnahmen nach eigener Schätzung bis zum Jahre 1937 um ca. 40 Prozent zurück. Unter dem Druck der immer schwieriger werdenden Existenzsicherung und der zunehmenden Boy- kott- und Gewaltmaßnahmen der Nationalsozialisten gegen die Juden14 sah er sich dann im Juli 1938 zur Emigration gezwungen.15 Er reiste über die Schweiz nach Frankreich und fuhr von dort mit der //Ile de France// nach New York. Hier musste er sich zunächst in verschiedenen Kursen auf das ärztliche Zusatzexamen vorbereiten, das er 1939 erfolgreich ablegte, so dass er im Dezember 1939 wieder praktizieren konnte.16 Am 4. Juli 1939 übersandte der Reichsminister des Innern dem Reichs- minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die 108. Ausbür- gerungsliste, die am 11. Juli 1939 (Nr. 157) im Deutschen Reichsanzeiger veröffentlicht werden sollteP Auf dieser Liste befand sich auch der Name

13 Eidesstattliche Versicherung von Frau H. B. vom 1. August 1957.Ebd. 14 Zu den einzelnen Maßnahmen, mit denen die jüdischen Ärzte in Bayern aus ihrem Beruf gedrängt wurden, vgl. Axel Drecoll et al.: Nationalsozialistische Verfolgung der jüdischen Ärzte in Bayern. München 1998. 15 Schreiben von Frohmanns Anwalt an das BayLEA vom 24. Juni 1957. Ebd. Vgl. ferner die Eidesstattliche Versicherung von Frau H. B. vom 1. August 1957:"Trotz- dem jeder in meinem Bekanntenkreise Dr. Frohmann gerne weiterhin konsultiert hätte, trauten sich die meisten seiner Klienten aus Furcht vor nazistischen Desa- vuierungen [sie] nicht mehr, seine Praxis aufzusuchen. Die Folge war natürlich, dass die ursprünglich bestens gehende Arztpraxis immer mehr zurückging bis zu einem Grade, der überhaupt keine weitere Lebensexistenz mehr zuliess". Ebd. - Seine Praxis hatte Frohmann Ende 1934in die Karlstraße 50 verlegt. 16 Schreiben des Anwalts (Anm. 11). 17 Alle im Folgenden erwähnten Schriftstücke, die sich auf die Aberkennung des Doktortitels beziehen, finden sich in UAE: A1/3a Nr. 946b. - Im Standesamt Oettin- gen findet sich überdies ein Schreiben der Geheimen Staatspolizei vom 17. November 1939 an den Landrat in Nördlingen mit der Mitteilung, dass Albert Frohmann die Deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt worden sei; diese Informa- tion verdanken wir ebenfalls Frau Dr. Petra Ostenrieder.

125 ALBERT FROHMANN

"Frohmann", der angeblich "im Jahre 1931 an der Universität Erlangen zum Dr. med." promoviert worden war. Der Rektor, der diese Liste Ende Januar 1940 abschriftlich erhielt, bat den Dekan, wie üblich, um seine Stellungnahme. Nachdem der Dekan sich - mit Korrektur des Promotions- datums - dem Gesetz folgend für die Entziehung der Doktorwürde ausgesprochen hatte und die übrigen Dekane sich diesem Votum inner- halb weniger Tage angeschlossen hatten, gab der Rektor Hermann Wintz am 23. Februar 1940bekannt, dass Albert Frohmann mit Datum der Veröf- fentlichung die" Würde eines Doktors der Medizin" entzogen worden sei. Der Vollzug der Entziehung wurde am 23. März 1940 in der Nr. 70 des Deutschen Reichsanzeigers gemeldet. Albert Frohmann wurde von die- sem Vorgang nicht unterrichtet und hat es offenkundig, wie die erhaltene Korrespondenz der Nachkriegszeit zeigt, auch nie erfahren. Im Jahre 1955 stellte Albert Frohmann, der zu diesem Zeitpunkt in Queens Village in New York lebte, beim Bayerischen Landesentschädi- gungsamt mehrere Anträge auf Schadensersatz nach dem "Bundesergän- zungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Ver- folgung (BEG)" vom 18.9.1953,von denen einige abgelehnt, andere, wie der Antrag auf Entschädigung wegen "Schaden im beruflichen Fortkom- men" anerkannt wurden.t8 Aus der entsprechenden Akte geht hervor, dass Albert Frohmann bei seiner Emigration zwar einen Teil seiner Woh- nungs- und Praxiseinrichtung nach New York hatte ausführen können, dass er aber erst seit Ende der vierziger Jahre seinen Lebensunterhalt durch die Praxiseinnahmen bestreiten konnte,19 Albert Frohmann ist offenkundig in den 1970er Jahren - möglicher- weise aber auch schon früher - nach Deutschland zurückgekehrt. Diese Vermutung ergibt sich aus der Tatsache, dass er im Jahre 1974 auf dem Jüdischen Friedhof in Oettingen einen Gedenkstein für seine Schwester

18 Bescheid vom 14. Oktober 1958. BayLEA: EG 29607. 19 Ebd.

126 ALBERT FROHMANN

Barbara, die am 5. Februar 1974 verstarb, errichten ließ.20 Am 17. Januar 1980, im Alter von 83 Jahren also, wendete er sich als "Dr. med. Albert Frohman" - er hatte offenkundig in den USA seinen Namen der amerika- nischen Schreibweise angepasst - von einer Münchner Anschrift aus mit folgenden Worten an die Medizinische Fakultät der Erlanger Universität:

"Nach meiner Rückkehr aus den U.S.A. benötige ich eine Kopie meiner deutschen Approbations-Urkunde als Arzt. Ich habe mein medizinisches Staatsexamen im Jahre 1921 an der Universität Erlangen abgelegt. Im Jahre 1938 bin ich nach U.S.A. ausgewandert und habe dort im Staate New York bei der zuständigen Behörde meine Original Approbations-Urkunde hinterlegt. Ich wäre Ihnen zu grossem Dank verpflichtet, wenn Sie mir in dieser Angelegenheit behilflich sein könnten, die Kopie zu erhalten."21

Die Verwaltung der Universität, die der Dekan um Erledigung der Anfra- ge bat, verwies Albert Frohmann an das Bayerische Staatsministerium des Innern als die für die Erteilung der Approbation zuständige Behörde.22 Die Depromotion wurde in diesem Brief nicht erwähnt. Allerdings fällt auf, dass, im Gegensatz zum Dekan, der Sachbearbeiter der Verwaltung, der sich zur Beantwortung der Anfrage in den Akten sachkundig gemacht hatte, sowohl in der Anschrift als auch in der Anrede den Doktortitel weg- ließ. Ob Albert Frohmanns Bitte erfüllt worden ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Er starb am 17. November 1984 in einem Seniorenheim in Mün- chen im Alter von 87 Jahren und wurde im Grab seines Vaters auf dem Jüdischen Friedhof seiner Geburtsstadt Oettingen beigesetzt.23

20 Unter der Intemetadresse http://www.alemannia-judaica.de/oettingen_friedhof.htm (zuletzt aufgerufen am 23. März 2008) findet sich eine Abbildung des Grabsteins, der unter den Lebensdaten der Schwester die Aufschrift trägt: "In treuem Gedenken Dein Bruder Albert". 21 UAE: C3/3 Nr. 1920/21-74. 22 Ebd. 23 Vgl. die Dokumentation des Jüdischen Friedhofs in Oettingen von Rolf Hofmann (Anm. 2), Grab 130: "pedestal notes a son Albert Frohmann (10 Jan 1897 Oettingen- 17 Nov 1984 Munich), he is said to have died in a Munich horne for old people, the um with his ashes being buried in his father's grave."

127 ALBERT FROHMANN

Abbildung 17:Grab von Dr. Albert Frohmann und von seinem Vater Salomon auf dem Oettinger Friedhof. Siehe http://www.uni-ulm.de/uni/fak/zawiw/ ries/Juedische_Friedhoefe/oett.htm (zuletzt aufgerufen am 23. Mai 2008).

R.W./A.T.

128 ADOLF HOLLERBUSCH * 23. Juli 1900, Dr. med. 20. Januar 1926

Adolf Hollerbusch kam am 23. Juli 1900 in Fürth als Sohn des Sanitätsrats und praktischen Arztes Dr. Josef HollerbuschI und Berta Hollerbusch, geb. Reitzenberger, zur Welt.2 Nach der Volksschule besuchte er ab 1910 das Humanistische Gymnasium in Fürth, musste den Schulbesuch im Juni 1918 jedoch unterbrechen und bis Kriegsende Heeresdienst leisten. Nach seiner Entlassung am 13. Dezember 1918 kam er in die Oberklasse des Fürther Gymnasiums, legte dort 1919 seine Reifeprüfung ab und war an- schließend vom 21. April bis 15. Juli in einem Freicorps. Zum Wintersemester desselben Jahres begann er das Studium der Medizin an der Universität Würzburg, wo er im Februar 1922 die Ärztli- che Vorprüfung bestand. Hier schloss er sich der jüdischen Studentenver- bindung Salia an.3 Zum Sommersemester 1922 wechselte er dann an die Universität Erlangen, legte dort im Herbst 1924 das Medizinische Staats- examen ab und absolvierte sein Medizinalpraktikum auf der Station für Hautkranke im Städtischen Krankenhaus in Nürnberg. Am 11. Februar 1925 wurde Adolf Hollerbusch mit einer Arbeit zur Häufigkeit von Tumo- ren in Erlangen promoviert;4 die Urkunde wurde ihm am 20. Januar 1926 ausgehändigt. Anschließend ließ er sich als praktischer Arzt, Chirurg und

1 Vgl. die Biographie Josef Hollerbuschs oben S. 63-67. 2 Die Lebensdaten Adolf Hollerbuschs bis zur Promotion sind der Vita in seiner Dis- sertation entnommen. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1924/25-24; vgl. außerdem Reiner Strätz: Biographisches Handbuch Würzburger Juden, 1900-1945. Bd. 1. Würzburg 1989, S. 273; ferner Bayerisches Landesentschädigungsamt (Bay LEA):BEG 18912. 3 Siehe Strätz (Anm. 2), S. 273. 4 Adolf Hollerbusch: Über die Häufigkeit des Carcinoms. Eine Statistik nach den Befunden des Pathologischen Instituts zu Erlangen aus den Jahren 1908-1922.Diss. med. Erlangen 1925.

129 ADOLF HOLLERBUSCH

Geburtshelfers in seiner Heimatstadt nieder, wo er mit seinen Eltern in ge- meinsamer Wohnung lebte.6 Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und der Verordnung des Reichsarbeitsministeriums vom 22. April 1933, mit der allen Kassenärzten "nicht-arischer" Abstammung die Zulassung zu den Krankenkassen entzogen wurde, verlor auch Hollerbusch seine Existenz- grundlage. Darüber hinaus wurde er im Juli 1933vorübergehend verhaftet und anschließend zur Emigration gezwungen: "Der Antragsteller [Dr. Adolf Hollerbusch] wurde mit seinem Vater in der Nacht zum 20. Juli 1933 durch die SA verhaftet und gezwungen, in Filzpantoffeln zum städtischen Friedhof und zurück zu marschieren, wobei er durch Fußdritte [sie] in die Fersen und in beide Waden zu schnellerem Gehen angetrieben wurde. An diesen Vorfall schloß sieh eine mehrtägige Schutzhaft auf dem Polizeiamt in Fürth in Bayern an. Die Freilassung des Antragstellers erfolgte nur unter der Bedingung, dass er sich verpflichtete, sofort die Stadt zu verlassen."7 Durch diese Misshandlung traumatisiert und an Verfolgungsängsten lei- dend, bereitete Hollerbusch seine Emigration vor und reiste noch im Sep- tember desselben Jahres über Hamburg nach Porto in Portugal.8 Dort musste er dann zunächst erneut die ärztlichen Prüfungen ablegen und erhielt 1936 die portugiesische Approbationsurkunde.9 Er nahm danach zwar die ärztliche Tätigkeit wieder auf, konnte jedoch infolge der ver- schiedenartigen Belastungen durch die erzwungene Emigration "nur schwer und unvollkommen Fuß fassen"lo und blieb in seiner körperlichen

5 Vg1.Jüdisches Museum Fürth: Sammlung Helmut Steiner. 6 BayLEA: BEG 18 912, D-Akte, BI. 5. 7 Schreiben des Rechtsanwalts von Dr. Adolf Hollerbusch vom 15. Oktober 1957. Ebd., B-Akte, BI. 1. 8 Eidesstattliche Versicherung von Dr. Adolf Hollerbusch vom 22. Oktober 1957. Ebd., D-Akte, BI. 5. 9 Ebd., E-Akte, BI. 6 und 28. 10 Ebd., B-Akte, BI. 1.

130 ADOLF HOLLERBUSCH

Leistungsfähigkeit dauerhaft eingeschränkt.ll Am 6. Juli 1938 heiratete er in Porto Maria Nazare de Graca Neves Lima.12Im Januar 1941 wurde ihnen ein Sohn geboren.13 Im November des Jahres 1939 wurde Adolf Hollerbusch auf Initiative des Reichsministers des Innern ausgebürgert,14 Die Universität Erlangen wurde hiervon am 20. Februar 1940 in Kenntnis gesetzt und zugleich aufgefordert, das Weitere "hinsichtlich der Frage der Doktorentziehung" zu veranlassen.15 Nachdem sich der Dekan der Medizinischen Fakultät nur wenige Tage später mit Bezug auf die Gesetzeslage für die Entziehung der Doktorwürde ausgesprochen hatte und die Mitglieder des zuständi- gen Ausschusses dieser Entscheidung im Umlaufverfahren zugestimmt hatten, ließ Rektor Wintz diesen Beschluss am 28. März 1940 im Reichs- anzeiger (Nr. 73) veröffentlichen.16 Adolf Hollerbusch zog mit seiner Familie irgendwann zwischen 1938 und 1947 nach Matosinhos und fungierte bis 1964 als Vertrauensarzt des deutschen Konsulats in PortoP Im November 1954 stellte er beim Bayeri- schen Landesentschädigungsamt einen Antrag auf Grund des Bundeser- gänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18.9.1953 für "Schaden im beruflichen Fortkommen", der im Juni 1958 positiv beschieden wurde.181961 erhielt er die portugiesische

11 Dies geht aus verschiedenen weiteren Schriftstücken des Entschädigungsantrags hervor. VgI. z.B ebd., E-Akte, BI.28 und 35. 12 Maria Nazare da Graca Neves Lima war am 11. Februar 1904 geboren und hatte eine Ausbildung als Hebamme absolviert. Ebd., BI.28. 13 Ebd., F-Akte, BI.4. 14 Schreiben des Reichsministers des Innern an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 31. Oktober 1939. UAE: A1/3a Nr. 946d; Deut- scher Reichsanzeiger Nr. 261 vom 7. November 1939. 15 Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an den Rektor vom 20. Februar 1940. UAE: A1/3a Nr. 946d. 16 Ebd. 17 BayLEA: BEG 18912, E-Akte, BI.80 und F-Akte, BI.21. 18 Ebd., E-Akte, BI. 1 und 34.

131 AOOLF HOLLERBUSCH

Staatsangehörigkeit und musste auf Veranlassung des portugiesischen Justizministeriums seinen Namen, um ihn der portugiesischen Ausspra- che anzugleichen, in IIAdolfo Holerbuche" ändern.19 Seit 1956 war er infol- ge der nachhaltigen Gesundheitsschäden, die er durch die Verfolgung von Seiten des NS-Regimes und durch die Emigration erlitten hatte, teilweise berufsunfähig und musste Ende 1964 seine berufliche Tätigkeit vollstän- dig aufgeben.20 Adolf Hollerbusch starb am 5. November 1967 in Matosin- hos an einem Schlaganfall. 21

R.W./B.S.

19 Ebd., D-Akte, BI. 29. 20 Ebd., E-Akte, BI. 28. 21 Ebd., BI. 64.

132 AOOLF HOLLERBUSCH

Fleh. ~.o.••._..*3.3..9J Regl.l.de lob 0 n.·_.;_~l.s1...

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Abbildung 18: Sterbeurkunde von Or. Adolf Hollerbusch (5. November 1967). BayLEA: BEG 18 912, E-Akte, BI. 64.

133

4.2 ABERKENNUNG AUFGRUND VON GERICHTSURTEILEN

M.B. * 1882, Dr. med. 1923

M. B. wurde 1882 in Eisenach, Großherzogturn Sachsen-Weimar-Eisenach geboren und schloss 1903 das Großherzogliche Realgymnasium Eisenach mit dem Abitur ab.1 Von da an bis 1909 war er für d~s Medizinstudium in Jena, Marburg, München, Heidelberg und Freiburg immatrikuliert. Zwi- schenzeitlich diente M. B. im Som~er 1904 im Infanterie-Leib-Regiment in München. Im Wintersemester 1905/06 legte er das Ärztliche Vorexamen in Marburg ab und bestand im Wintersemester 1908/09 die Ärztliche Prü- fung in Freiburg LBr. Weitere Stationen seiner praktischen Ausbildung waren die Freibur- ger IIUniversitätsklinik für Nerven- und Gemütskranke", die Chirurgische Station des Altstadtkrankenhauses in Magdeburg sowie das Bezirkskran- kenhaus in Lahr. Seine Approbation erfolgte am 14. Januar 1910 und un- mittelbar danach, vom 1. Februar bis zum 1. August des gleichen Jahres, war er wiederum beim Militär. Anschließend nahm er eine Assistenzstelle an der Königlichen Heil- und Pflegeanstalt Weinsberg an. Im Jahre 1911, im Alter von 28 Jahren, heiratete er. Aus der Ehe ging zwei Jahre später ein Kind hervor. Im Dezember 1911 erhielt M. B. das Patent als Assistenzarzt der Reser- ve und trat im darauf folgenden Jahr eine Arbeitsstelle im Landeshospital Merxhausen im Kassel an. Während des Ersten Welt- kriegs folgte der Dienst in verschiedenen Sanitätskompanien des Heeres bis zum Rang eines Oberarztes. Er wurde für seine Verdienste mit dem Eisernen Kreuz 11.Klasse ausgezeichnet.2 B.s Promotion erfolgte erst nach dem Krieg; 1920 legte er seine mündliche Doktorprüfung ab, 1923 erhielt er seine Urkunde.3

I Universitätsarchiv Erlangen (UAE):C3/3 Nr. 1919/20-61. 2 UAE: AI/3a Nr. 946a, Urteilsabschrift, S. 2f. 3 UAE: Al/3a Nr. 946a.

137 M.B.

M. B. ließ sich 1929 als praktischer Arzt in einem kleinen Ort in Thü- ringen nieder. Im Juni 1930 hatte er erstmals juristische Probleme, da ihm der Betrieb einer nicht genehmigten Privatentbindungsanstalt vorgewor- fen wurde; das Urteil des Amtsgerichts Eisenach belief sich auf eine Geldstrafe von 50 Reichsmark. Am 30. November 1935 gab es ein zweites Gerichtsverfahren, diesmal wegen" gewerbsmäßiger Abtreibung" in zwei Fällen. B. wurde vom NS-Staat zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und dem Verbot der Ausübung des Arztberufes für zwei Jahre verurteilt.4 Ein Zeuge gab später in einem dritten Prozess vor Gericht zu Protokoll, B. sei von jeher gegen den Nationalsozialismus eingestellt gewesen. Ob dies dem Gericht bereits 1935 bekannt war, entzieht sich unserer Kenntnis; es ist aber durchaus möglich und könnte ein Grund für die relativ hohe Strafe gewesen sein. Die Universität Erlangen wurde durch den Oberstaatsanwalt von Eisenach im Mai 1936 über dieses Verfahren informiert, woraufhin der amtierende Dekan der Medizinischen Fakultät, Friedrich Jamin, in einem Aktenvermerk vom 20. Mai folgendes feststellte: "Nach Rekt. Verf. Nr 1399 vom 18.5.36 hat die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte ohne Weiteres den dauernden Verlust der öffentlichen Aemter, Wür- den, Titel usw. zur Folge. Für eine Beschlussfassung, ob dem Arzt [M. B.l die Doktorwürde entzogen werden soll oder nicht, ist also in diesem Falle kein Raum mehr. Zum Promotionsakt."5 M. B. wurde von diesem Vorgang nicht informiert, so dass er auch keine Möglichkeit zur Stellungnahme hatte.

4 UAE: A1/3a Nr. 946a, Urteilsabschrift, S. 2. 5 Aktenvermerk des Dekans Jamin vom 20. Mai 1936. UAE: C3/3 Nr. 1919/20-61. Kursiv im Original unterstrichen. Dieses Vorgehen zeigt, dass die Verfahrensregeln offenbar noch nicht eingespielt waren; denn obwohl der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte der Universität keinen Ermessensspielraum einräumte, hätte dennoch der Dekansausschuss sein Einverständnis geben müssen, vgl. oben S. 24.

138 M.B.

Von Mai 1936 bis April 1937 befand sich M. B. in Haft, der Rest der Strafe wurde ihm auf Bewährung erlassen. Er hatte zudem die Umwand- lung der "Zuchthausstrafe" in eine "Gefängnisstrafe" im "Gnadenweg" beantragt und auch erreicht.6 Nach seiner Haftentlassung im Frühjahr 1937 zog B., wohl um einen Neuanfang zu versuchen, nach Hessen. Wie und wovon er zu diesem Zeitpunkt lebte, ist nicht bekannt. Im Mai 1940 wurde ein Gesuch von B. an den Reichsminister des Inneren um Wiedererteilung der Approbation abgelehnU Trotz der Rück- gewinnung der bürgerlichen Ehrenrechte konnte er seinen Beruf also nicht mehr ausüben. Stattdessen erfolgte am 25. November desselben Jahres die dauerhafte Entziehung der Approbation nach § 5, Nr. 2, der Reichsärzte- ordnung vom 13. Dezember 1935, so dass alle Bemühungen nutzlos ge- blieben waren. Dieser endgültige Verlust der Approbation im Alter von 58 Jahren, der ihm die Möglichkeit zur weiteren Ausübung des gelernten Be- rufs versagte, dürfte mit dazu geführt haben, dass B. aus seiner Ableh- nung des NS-Staates nun keinen Hehl mehr machte; jedenfalls äußerte er sich in den folgenden Jahren mehrfach vor Zeugen kritisch über das Ge- schehen in Deutschland, was ihm dann 1941 eine erneute Verhaftung ein- brachte. Wie der Urteilsabschrift zu entnehmen ist, bemerkte er im Sommer 1940in einem Gemüseladen einer 18-jährigen Verkäuferin gegenüber "Wir werden den Krieg verlieren" und wettete schließlich sogar mit ihr um eine Flasche Sekt.8 Im August des gleichen Jahres diskutierte er mit der spä- teren Zeugin S. die politische Lage. Hierbei soll er geäußert haben: "Die Engländer wollen ja Frieden, aber wir wollen ihn nicht annehmen. Die Kolo- nien können sie ja behalten, es geht auch ohne Kolonien, es ist so lange ohne Kolo- nien gegangen."9

6 Schreiben des Reichsstatthalters in Thüringen an den Dekan der Medizinischen Fakultät vom 28. August 1941.Ebd. 7 Ebd. 8 UAE: A1/3a Nr. 946a, Urteilsabschrift, S. 3. 9 Ebd., S. 5.

139 M.B.

Außerdem nannte er den Rhein als natürliche Grenze zwischen Deutsch- land und Frankreich. Wenig später äußerte sich B. - laut späteren Zeugenaussagen - über die Verlustzahlen der Wehrmacht: "Unsere Verluste sind größer, als der Heeresbericht angibt. Es wird nirgends mehr gelogen als bei der Propa- ganda.l/lOKurz darauf folgte eine zweite Unterhaltung mit der Gemüse- verkäuferin, in deren Verlauf B. den Status quo gegenüber Frankreich als Waffenstillstand und nicht als Sieg sowie Hitler als Österreicher bezeich- nete. Er sei sogar so weit gegangen, Hitlers Fähigkeit, Deutschland zu füh- ren, in Frage zu stellen, und wünschte sich mit Vehemenz das Kaiserreich zurück. Kurze Zeit nach diesem Gespräch zeigte die Verkäuferin B. bei der Polizei an.ll Am 10. Juni 1941 wurde B. verhaftet und in Kassel in Untersuchungs- haft genommen. Bereits zwei Wochen danach fand das Gerichtsverfahren statt, und wiederum eine Woche später wurde B. durch das Sondergericht für den Oberlandesgerichtsbezirk Kassel wegen Vergehens gegen § 2 des "Gesetzes gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Parteil/12zu zwei Jahren Gefängnis verurtei1t;die Anrechnung der Untersuchungshaft wurde abgelehnt. Ihm wurde erschwerend zur Last gelegt, dass er bereits vor 1933 eine ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus offen zur Schau getragen und dass er nach der Machtübernahme demon- strativ den Hitlergruß verweigert habe; seine von den Zeugen referierten Äußerungen wurden als "gehässig und hetzerischl/ gebrandmarkt, sie sei- en Beweis für "eine böswillige Gesinnung und Absicht.1/13

10 Ebd. 11 Ebd., S. 4. 12 Das so genannte "Heimtückegesetz" war am 20. Dezember 1934 erlassen worden und kriminalisierte u.a. kritische Äußerungen, die angeblich das Wohl des Reiches oder das Ansehen der Reichsregierung und der NSDAP schädigten. Reichsgesetz- blatt (RGBl.)I 1934, S. 1269f. 13 UAE: Al/3a Nr. 946a, Urteilsabschrift, S. 9.

140 M.B.

M. B. leugnete die ihm vor Gericht vorgeworfenen Äußerungen bzw. versuchte, sie als harmlos hinzustellen. Das Gericht schenkte ihm aber kei- nen Glauben, sondern sah sie durch die von allen Zeugen bestätigte Ablehnung des Nationalsozialismus als bestätigt an. Denn diese Äußerun- gen seien "gerade das, was nach den Erfahrungen des Sondergerichts poli- tische Gegner und ,Meckerer' an staatsfeindlichen Redewendungen und Gedankengängen zu bringen pflegen." Im Urteilstext heißt es dann weiter: "Die Äußerungen des Angeklagten sind objektiv wie subjektiv böswillig. [...] Kein wirklicher Deutscher hätte es fertiggebracht, zu erklären, dass wir den Krieg in Frankreich nicht gewonnen, sondern nur einen Waffenstillstand geschlossen hätten. [...] Die Böswilligkeit des Angeklagten geht insbesondere aus seinen auf den Führer bezüglichen Bemerkungen hervor. Diese zeigen ein solches Maß an Gehässigkeit und Niedrigkeit der Gesinnung, dass sie kaum zu überbieten sind."14 Mit der Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnisstrafe ging das Sonderge- richt sogar noch über die Forderungen der Staatsanwaltschaft hinaus, was mit der großen Zahl der inkriminierten Äußerungen, mit denen M. B. auch vor der Person des Führers nicht haltgemacht habe, der fehlenden Geständigkeit im Gerichtsverfahren sowie der Vorstrafe wegen gewerbs- mäßiger Abtreibung begründet wurde.15 Bereits am 9. Juli 1941, also nur wenige Tage, nachdem das Urteil ge- gen B. gesprochen war, wurde die Universität Erlangen von der Staatsan- waltschaft Kassel über die Verurteilung informiert. Der Rektor leitete die Unterlagen an den Dekan mit der Frage weiter, ob nicht bereits ein ent- sprechender Vorgang zum Doktorgradentzug im Zusammenhang mit der Verurteilung im Jahre 1935 vorläge.16 In seiner Funktion als stellvertre- tender Dekan verwies Albert Viethen in seiner Antwort auf das Schreiben Jamins aus dem Frühjahr 1936. Obwohl danach eigentlich bereits die Aberkennung der Doktorwürde ausgesprochen war, setzte der Rektor die Behandlung des Falles umgehend auf die nächste Dekanatssitzung. Aller-

14 Ebd., S. 8. 15 Ebd., S. 10. 16 Anfrage des Rektors an den Dekan vom 4. August 1941.UAE: A1/3a Nr. 946a.

141 M.B.

dings behandelte der Ausschuss den Fall dann doch erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung von sieben Monaten und stellte in seiner Sitzung am 7. März 1942 fest, dass M. B. seine Doktorwürde bereits am 30. No- vember 1935 "mit Rechtskraft des Schwurgerichtsurteils vom 30.11.1935" verloren habe.17 Und noch einmal befasste sich die Universität mit M. B.: Im Februar 1947 wandte sich die Staatsanwaltschaft Limburg an sie, um ihr mitzutei- len, dass M. B. "wegen gewohnheitsmäßiger Abtreibung" in Frankfurt in Untersuchungshaft sei, und um anzufragen, ob M. B. noch berechtigt sei, den Doktortitel zu führen. Der Dekan bestätigte der Staatsanwaltschaft den Eintrag des Doktorentzugs im Promotionsbuch unter dem Datum vom 12. März 1942. Diese Information war insofern von großer Bedeu- tung, als sich erst durch diesen Schriftwechsel herausstellte, dass die Uni- versität B. seinerzeit nicht über die Depromotion informiert hatte. Der Verdacht, dass er bis zu seiner Verhaftung nach dem Krieg den Doktortitel widerrechtlich geführt habe, war also unberechtigt. Der Syndikus der Uni- versität erklärte dieses Versäumnis damit, dass man 1942 davon ausge- gangen sei, B. habe die Doktorwürde bereits nach seinem Prozess im Jahre 1935verloren.18 Ob und zu welcher Strafe B. verurteilt wurde, geht aus den Akten der Universität nicht mehr hervor. Auch die genaueren Anschuldigungen oder weitere Verfahrensschritte sind nicht dokumentiert bzw. den vorhan- denen Quellen nicht zu entnehmen. Über das weitere Schicksal von M. B. ist nichts bekannt.

A.T./A.F.

17 Diesen Beschluss teilte der Rektor am 12. März 1942 der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Kassel, dem Reichswissenschaftsminister und dem Landrat des Kreises Biedenkopf mit. Ebd. 18 Alle zuletzt erwähnten Schreiben finden sich ebd.

142 N.S. * 1884,Dr. med. 1910

Der spätere Arzt N. S. kam am 18. Mai 1884 als Sohn des "Königlichen Generaloberarztes" Dr. A. S. und dessen Frau M. in Würzburg zur Welt. Nach dem Besuch der Volksschule in Neuburg an der Donau ging der katholischel N. S. zunächst auf das dortige Königliche Gymnasium. Auf- grund von häufigen Ortswechseln seiner Eltern setzte er seine Schulaus- bildung in den folgenden Jahren an den Gymnasien in München, Eich- stätt, Amberg, Bamberg und später erneut in München am Maximilians- Gymnasium fort. Im Juli 1903 erlangte er dort sein Reifezeugnis und begann im Oktober desselben Jahres ein Studium der Medizin an der Kö- niglichen Universität in München. Im Februar 1906 legte N. S. die Ärztliche Vorprüfung ab. Im An- schluss daran wechselte er an die Universität Erlangen, wo er zunächst zwei Halbjahre an der Universitäts-Frauenklinik tätig war. Außerdem ging er für ein Semester an die Chirurgische Klinik und schließlich für drei Monate als Unterassistent an die Medizinische Poliklinik. Im Dezember 1908 legte er die Ärztliche Prüfung ab und hatte im Anschluss eine Stelle als Medizinalpraktikant an der Universitäts-Frauenklinik inne. Die zweite Hälfte des Praktischen Jahres absolvierte N. S. am Krankenhaus in Nürn- berg. 1909promovierte er in Erlangen.2 In den Jahren 1910 und 1911 ging er an die chirurgisch-gynäkologi- sche Klinik nach Hamburg und später an die Universitätsfrauenklinik nach Halle (Saale). Dort war er nebenbei als Hebammenlehrer und Volon- tär am hygienisch-bakteriologischen Institut tätig. Seine Promotionsur- kunde erhielt er am 4. Januar 1910. 1911 war er gleichzeitig als Assistenz- arzt und später auch als Oberarzt in der gynäkologischen Abteilung des

1 Anklageschrift des Oberstaatsanwalts des Landgerichts München I mit Stempel vom 12. Oktober 1937, S. 1. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): Al/3a Nr. 946g. 2 UAE: C3/3 Nr. 1908/09-26.

143 N.S.

Schwabinger Krankenhauses in München angestellt. Während des Krieges führte S. dort seine Stelle fort, als das Krankenhaus als Militärlazarett diente. Inzwischen hatte er am 17. Dezember 1912 C. S.3geheiratet; aus der Ehe gingen ein Sohn und eine Tochter hervor. Ab dem Jahr 1914 leitete man gegen ihn mehrere Verfahren ein, da er unter Verdacht stand, Abtreibungen vorgenommen zu haben. Diese Vor- gänge wurden jedoch allesamt mangels hinreichender Beweise wieder ein- gestellt. 1919 musste S. wegen einer Erkrankung an Grippe und Rippen- fellentzündung aus dem Dienst im Krankenhaus ausscheiden. Im An- schluss ließ er sich als Frauenarzt und Spezialarzt für Chirurgie in Mün- chen nieder. 4 Am 12. Juni 1937 wurde Dr. N. S. jedoch in Polizeigewahrsam genom- men und am 6. September 1937 zur Untersuchungshaft ins Gerichtsge- fängnis München 11in der Corneliusstraße überstellt.5 Er sei "hinreichend verdächtig, gewerbsmäßig bei Frauen die Frucht durch Abtreibung getötet zu haben".6 S. war seit 1923 Mitglied von NSDAP und SS, trug das goldene Partei- abzeichen und den "Blutorden". Am 7. September 1938 erging gegen ihn in öffentlicher Sitzung infolge der Hauptverhandlung vom 29. August und 7. September 1938 vom Schwurgericht des Landgerichts München I das Urteil. Demnach wurde er wegen 38 vollendeter und sieben versuch- ter Vergehen der Abtreibung unter Anrechnung von zehn Monaten erlitte- ner Untersuchungshaft zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Des Weiteren wurde ihm die Ausübung des Arztberufes auf die Dauer von fünf Jahren untersagt. Ferner wurde er wegen 18 vollendeter und vier versuchter ge- werbsmäßiger Abtreibungen freigesprochen. In siebzehn Fällen mutmaßli-

3 Schreiben des Rektors der Universität Erlangen an den Regierungspräsidenten in München vom 5. März 1941.UAE: Al/3a Nr. 946g. 4 Die Lebensdaten bis zu seiner ärztlichen Niederlassung sind den Prozess akten des Landgerichts München I entnommen. Ebd., S. 3-4. 5 Anklageschrift des Oberstaatsanwalts des Landgerichts München I mit Stempel vom 12. Oktober 1937. Ebd., S. 1. 6 Ebd.

144 N.S.

eher gewerbsmäßiger Abtreibung wurde das Verfahren wegen Verjährung eingestell t.7 N. S. äußerte vor Gericht, der "Rückgang seiner Praxis habe ihn ge- zwungen, alle Patientinnen, die ihn aufsuchten, in der von ihnen ge- wünschten Weise zu behandeln".8 Er gab in der Mehrheit der Fälle zu, gegen Entgelt Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen zu haben.9 Zu- dem wurden die Abtreibungen durch eine Anzahl von Briefen belegt, die der Angeklagte von Patientinnen oder deren Ehemännern erhalten hatte. Des Weiteren gab S. während der Verhandlung Folgendes zu Protokoll: "Ich will ganz allgemein zunächst zugeben, dass ich tatsächlich verschiedenen Patientinnen geholfen habe. [...] Ich betone hierbei, dass ich dies alles jedoch nicht aus materialen Gründen getan hatte. Ich ließ mich vielmehr durch ein vielleicht übertriebenes Mitgefühl mit meinen Patientinnen hinreißen. Ich war in vielen Fällen darum bemüht, derartige Patientinnen vor verhängnisvollen Schritten zu bewahren und ihnen über einen gewissen toten Punld hinwegzuhelfen. Es ist mir bei verschie- denen Patientinnen gelungen. Bei anderen Patientinnen, bei denen mir mein Vor- haben nicht gelang, ließ ich mich dann zwangsläufig dazu hinreißen, ihnen ihren Wünschen entsprechend doch zu helfen [... ]."10 In der Hauptverhandlung hat S. allerdings die vor dem Zeugen J., dem Kriminalkommissar der Geheimen Staatspolizei München gemachten Geständnisse teilweise widerrufen, neben der Angabe einiger gesundheit- licher und familiärer Schicksalsschlägell u.a. mit der Begründung, er habe die Aussage "unter einem seelischen Druck abgegeben". In den ersten Tagen der Haft habe ihn ein SS-Führer vor einer größeren Anzahl von Beamten als "gemeinen Schweinehund und hundsgemeinen Abtreiber" beschimpft und mit den Worten gedroht: "Sie gehören einmal ein halbes Jahr nach Dachau."12

7 UAE: Al/3a Nr. 946g,Urteilsabschrift, S.2. 8 Ebd., S. 11. 9 Ebd., S.5, Aussage von N. S. gegenüber dem Gestapo-Beamten J. 10 Ebd. 11 Ebd., S. 7. 12 Ebd., S. 6-7.

145 N.S.

"Die vernehmenden Beamten, die Zeugen J[... ] und D[ ... ], die Untergebene jenes SS- Führers gewesen seien, hätten ihm eines Tages erklärt, dass etwa 100 seiner Patien- tinnen bekundet hätten, sie hätten die Abtreibung gewollt. Mit Rücksicht darauf hät- ten die beiden Polizeibeamten ihm zugeredet, zu gestehen, weil er ja doch auf Grund der Aussage der Zeuginnen schon verurteilt würde, nur mit dem Unter- schied, dass er im Falle eines Geständnisses lediglich Gefängnis bekommen würde. Außerdem würden sie solange wühlen, bis sie etwas fänden. [... ] Die Polizeibeam- ten seien freundlicher gewesen, wenn er etwas zugegeben habe; es sei ihm dann in Aussicht gestellt worden, dass die Untersuchung abgeschlossen würde. Er habe durch das Geständnis erreichen wollen, dass seine Haft verkürzt werde. [... ] Er habe aus Verzweiflung eine Abtreibungsmethode ersonnen, die er tatsächlich nicht ange- wendet habe, und sie nur deshalb zusam[m]enphantasiert[,] um die vernehmenden Polizeibeamten zu täuschen und aus ihrer Hand möglichst bald zu entkommen."13

14 Das Gericht tat diesen Widerruf als I/fadenscheinige Ausredel/ ab und ging weiter von dem ursprünglichen Geständnis aus. Bei der Frage, ob S. Gewerbsmäßigkeit unterstellt werden könne, wurde vom Gericht das Fol- gende festgestellt: "Im Lauf der Hauptverhandlung hat sich der Angeklagte als ein Sonderling heraus- gestellt, als eine merkwürdige Persönlichkeit mit verschlossenem, wortkargen We- sen, dem mancherlei innere Hemmungen anhaften. [... ] Er neigt offenbar zu großer Unentschlossenheit und ist ein leicht beeinflussbarer Mensch. [... ] Ganz bestimmt ist der Angeklagte kein Gewinnstreber."15 Zudem hat er von einigen Frauen nach erfolgter Behandlung keinerlei Entgelt erhalten. Die Frage nach der Gewerbsmäßigkeit ist daher vom Ge- richt verneint worden.16 Bei der Festsetzung des Strafmaßes wurde zu Gunsten von Dr. N. S. seine bisherige Straflosigkeit berücksichtigt.17 Ferner sei er als Frauenarzt ganz besonderen Gefahren ausgesetzt,

13 Ebd., S. 8. 14 Ebd. 15 Ebd., S. 60. 16 Ebd., S. 62. 17 Ebd., S. 66.

146 N.S.

"wenn schwangere Frauen unter Schilderung ihrer Notlage und ihrer allgemeinen Beschwerden und besonderen ungünstigen Verhältnissen immer wieder in ihn drängen. "18 Straferschwerend wurde nach Meinung des Gerichts gewertet, dass er als leitender Arzt einer Städtischen Klinik hätte verantwortungsbewusster handeln müssen: "Er hätte seinen Beruf gerade wegen seiner Vorbildung und seiner langjährigen Er- fahrung zum Wohle der Volksgesundheit ausüben müssen. (... ) Durch seine Be- handlungsweise hat er in außerordentlich raffinierter und schwer fassbarer Weise sich jahrelang zu betätigen vermocht."19 Im Oktober 1937 wurde der Universität Erlangen bereits eine Abschrift der Anklageschrift gegen N. S. überstellt,2° Was eine Entziehung des Dok- tortitels betrifft, so bat das Rektorat der Universität durch mehrere Schrei- ben wiederholt um die Mitteilung, ob das Urteil bereits rechtskräftig sei. Dies verzögerte sich jedoch, da sowohl die Staatsanwaltschaft wie auch der Angeklagte Revision gegen das Urteil eingelegt hatten.21 Allerdings wurde die Revision laut Beschluss des Reichsgerichts vom 16. Dezember 1938 "offensichtlich unbegründet verworfen",22 so dass das Urteil damit rechtskräftig wurde.23 Am 1. Dezember 1939 hat dann der Ausschuss für die Entziehung der Doktorwürde an der Universität Erlan- gen in seiner Sitzung beschlossen, dass Dr. S. sein Doktortitel wieder ent-

18 Ebd. 19 Ebd. 20 Stempel der Universität Erlangen auf der Abschrift des Urteils. UAE: A1/3a Nr. 946g. 21 Vgl. die Schreiben vom 19. Oktober bis 19. Dezember 1938 sowie vom 17. November 1939zwischen der Universität Erlangen und dem Landgericht I in München. Ebd. 22 Schreiben des Regierungspräsidenten an den Rektor der Universität Erlangen vom 27. Februar 1941.UAE: A1/3a Nr. 946g. 23 Schreiben des Landgerichts München I an den Syndikus der Universität Erlangen vom 20. Februar 1939. Ebd.

147 N.S.

zogen werden sollte. "Angesichts der klaren Sachlage erschien eine Anhö- rung des Verurteilten vor der Beschlussfassung nicht erforderlich".24

"Der hierüber ausgestellte Bescheid vom 5. 1. 1940 wurde [N. 5.] am 14. 2. 1940und zwar ersatzweise der Ehefrau [e. 5.] in München, Rheinstr. 8, zugestellt. Eine Be- schwerdeschrift des [5.] ist bei der Universität bis jetzt nicht eingelaufen."25 Das weitere Schicksal von N. S. ist nicht bekannt.

A.F./B.S.

24 Beschluss des zuständigen Ausschusses für die Entziehung des Doktortitels im Fall Dr. N. S. vom 5. Januar 1940.Ebd. 25 Schreiben des Rektors der Universität Erlangen an den Regierungspräsidenten in München vom 5. März 1922. Ebd.

148 SELMA (GEB. REICHOLD) * 11. Juni 1887, Dr. med. 7. Juni 1913

Selma Elisabeth Reichold, die am 11. Juni 1887 geboren wurde, entstamm- te einer wohlhabenden großbürgerlichen Familie in Nürnberg. Ihr Vater Samuel Reichold war dort Unternehmer und Kaufmann, ihre Mutter Klo- tilde Wilhelmine Lazar stammte aus Frankfurt am Main.1 Ihre Familie gehörte der jüdischen Glaubensgemeinschaft an. Selma Reichold absol- vierte zunächst die zehn Klassen der Städtischen Höheren Mädchenschule ihrer Heimatstadt und bereitete sich danach mit Privatstunden auf das Abitur vor, das sie im Juli 1907 am Alten Gymnasium Nürnberg bestand. Im Anschluss daran begann sie das Studium der Medizin und schrieb sich hierfür als eine der ersten Medizinstudentinnen der Universität in Erlangen ein.2 Nach sechs Semestern wechselte sie für ein Semester nach München und kehrte dann für den Rest des Studiums nach Erlangen zu- rück, wo sie im Februar 1913 das Medizinische Staatsexamen ablegte. Im Mai 1913 heiratete Selma Reichold in Bamberg den aus Günching in der Oberpfalz stammenden katholischen Apotheker Konrad Graf. Sie trat zum katholischen Glauben über und gehörte fortan zur katholischen Gemeinde der St. Martinskirche in Bamberg.3 Am 7. Juni 1913 wurde sie an der Fried-

1 Zur Biographie von Selma Reichold, später Graf, vgl. Gaby Franger: "Regelstörung" - Der Weg der jüdischen Frauenärztin Dr. Selma Graf nach Auschwitz. Frauen in der einen Welt 14 (2003),S. 56-74.- Die Großeltern mütterlicherseits waren Josef und Sophie Hamburg. 2 Zur Frühzeit des Frauenstudiums in Erlangen vgl. Gertraud Lehmann: 90 Jahre Frauenstudium in Erlangen. In: Die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nürnberg 1743-1993.Geschichte einer deutschen Hochschule, hrsg. von Christoph Friederich. Veröffentlichungen des Stadtmuseums Erlangen, 43. Nürnberg 1993, S.487-497. 3 Vgl. den Bericht von Nikolai Czugunow-Schmitt über einen Vortrag von Romy Heyner über Selma Graf am 13. Februar 2008: http://www.willy-aron-gesellschaft.- de/katlO.php, zuletzt aufgerufen am 9. März 2008.

149 SELMA GRAF (GEB.REICHOLD)

rich-Alexander-Universität Erlangen als zweite Frau mit einer geburtshilf- liehen Arbeit promoviert4 und erhielt im gleichen Jahr auch ihre Appro- bation. Am 15. Juni 1914 wurde ihr die Doktorurkunde ausgehändigt. Nachdem sie ihr Praktisches Jahr an der Erlanger Universitäts-Frauen- klinik abgeleistet hatte, ließ sich Selma Graf im Juni 1914 als praktische Ärztin in Bamberg nieder, wo sie sich vornehmlich der Behandlung von Frauen und Kindern widmete. In den ersten Jahren wohnten die Eheleute in der Langen Straße Nr. 5 im ersten Stock, wo Selma Graf auch ihre Praxisräume eingerichtet hatte. Im Jahre 1928bezogen sie den ersten Stock eines Hauses in der Franz-Ludwig-Straße 15, das Konrad Graf gekauft hatte.5 Selma Graf wurde eine sehr beliebte Ärztin, von der bekannt war, dass sie sich insbesondere auch armer Patientinnen - viele kamen aus dem ländlichen Umfeld - annahm. So war ihr Einkommen im Vergleich zum Durchschnitt der damaligen Ärzte eher bescheiden.6 Schon nach dem Ersten Weltkrieg und in den folgenden Jahren der Weimarer Republik wurde die jüdische Gemeinde in Bamberg immer wie- der von judenfeindlichen Strömungen heimgesucht, in deren Rahmen es auch wiederholt zu Tätlichkeiten kam.7 1933 spitzte sich die Lage für die jüdischen Bürger zu. Auch Selma Graf wurde, obwohl sie bereits zwei Jahrzehnte vorher zum Katholizismus konvertiert war, als "Jüdin" im Sinne des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtenturns" vom

4 Selma Reichold: Ueber die Adrenalinämie in der Schwangerschaft. Diss. med. Erlan- gen 1913. Die Arbeit wurde im gleichen Jahr in Bamberg gedruckt. 5 Vgl. Franger (Anm. 1), S. 58. - Die ehemalige Hausangestellte Emma B. gab 2002 in einem Interview eine kurze Beschreibung der Wohnung. Ebd., S. 59. 6 Ebd.: Im Jahre 1931 betrug das jährliche Einkommen von Selma Graf 3.747 Reichs- mark. Vgl. ferner Gaby Franger: Aberkennung der akademischen Würde. Lebens- wege Erlanger Doktorandinnen. In: "Die Erlangischen Mädchen sind recht schön und artig ... ". Ein Erlanger Frauengeschichtsbuch, hrsg. von Nadja Bennewitz/Gaby Franger. Cadolzburg 2002, S. 172; Herbert Loebl: Juden in Bamberg. Die Jahrzehnte vor dem Holocaust. Bamberg 1999,S. 326f. 7 Vgl. Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann: Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945.Geschichte und Zerstörung. Wien 1979,S. 109f.

150 SELMAGRAF (GEB.REICHOLD)

7. April 19338 ein Opfer der nationalsozialistischen Verdrängungspolitik. Sie praktizierte zwar weiter, viele Patientinnen blieben aber weg,9 so dass sie zunehmend auf das Einkommen ihres Mannes angewiesen war, der während dieser Zeit das Amt des Provisors in der Bamberger Mohren- apotheke ausübte. Darüber hinaus unterstützte das Ehepaar auch noch Selma Grafs Mutter, die im Seniorenheim der Israelitischen Kultusgemein- de in Nürnberg wohnte und an Demenz erkrankt war.lO Am 15. Juli 1938 wurde Selma Graf unter der Anklage, seit 1928 "gewerbsmäßige Abtreibung" in etlichen Fällen durchgeführt zu haben, verhaftet. Ein Jahr später wurde Selma Sarall Graf nach einem drei Tage dauernden Strafverfahren vom Schwurgericht bei dem Landgericht Bam- berg "wegen vier Verbrechen der gewerbsmäßigen Abtreibung, wegen zwölf Verbrechen und fünfzehn fortgesetzter Verbrechen der versuchten gewerbsmäßigen Abtreibung, ferner wegen zweier Vergehen und eines fortgesetzten Vergehens der Beihilfe zur versuchten Abtreibung" zu sie- ben Jahren Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, ebenfalls auf die Dauer von sieben Jahren, verurteilt.12 Das Gericht stützte sich bei dem Verfahren vor allem auf Selma Grafs Patientenkartei, die bis in das Jahr 1928 zurückreichte. Danach hatte sie in den Jahren von 1928 bis 1935 insgesamt 41 Patientinnen in 44 Fällen unter

8 Reichsgesetzblatt (RGBl.)I, S. 175-177. 9 Zur systematischen Ausgrenzungspolitik der Nationalsozialisten gegenüber den jüdischen Ärzten vgl. Werner F. Kümmel: Die Ausschaltung rassisch und politisch missliebiger Ärzte. In: Ärzte im Nationalsozialismus, hrsg. von Fridolf Kudlien. Köln 1985,S. 56-81. 10 Vgl. Franger (Anm. I), S. 71. 11 Den zusätzlichen Vornamen "Sara" musste Selma Graf, wie alle jüdischen Frauen deutscher Staatsangehörigkeit, seit dem 1. Januar 1939 führen; vgl. Zweite Verord- nung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17. August 1938,§ 2, Satz (1). 12 Das Schwurgerichtsurteil ist im Universitätsarchiv Erlangen in Abschrift vorhanden. UAE: A1/3a Nr. 946c, S. 1-78. - Eine kommentierte Darstellung des Prozessverlaufs findet sich bei Franger (Anm. I), S. 59-67.

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der Diagnose "Regelstörung" behandelt. Die Anklage ging davon aus, dass sich hinter dieser Diagnose in den meisten Fällen eine bereits beste- hende Schwangerschaft verbarg, die die Ärztin mit ihren Maßnahmen zu beseitigen versucht habe. Da Selma Graf in ihrer Verteidigung vorbrachte, dass sie "in keinem Fall darauf ausgegangen" sei, "eine Unterbrechung einer Schwangerschaft vorzunehmen", und dass sie immer "nur in bestem Glauben gehandelt habe und sich keiner Schuld bewusst sei",13ging es im Prozess vornehmlich darum, die Frage zu klären, ob Selma Graf tatsäch- lich durch ihre "Behandlungsweise vorsätzlich Schwangerschaftsunter- brechungen ausgeführt oder solche wenigstens versucht" hatte.14 Die Medikamente, die Selma Graf laut Eintragungen in der Patienten- kartei den Frauen verschrieben hatte, dienten durchweg der Behandlung von ausbleibender Regelblutung und entsprachen dem damaligen Kennt- nisstand.15 Dies wurde auch von den beiden Sachverständigen im Prozess bestätigt.16Sie machten allerdings geltend, dass die verschiedenen niedrig

13 UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteilsabschrift, S. 7 und 9. 14 Ebd., S. 4. 15 Vgl. Franger (Anm. 1), S. 64f. - Es handelte sich um Ferrovarial- und Agomensin- tabletten, Apiol- und Aloe-Eisenpillen sowie Senfmehlbäder. UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteils abschrift, S. 4-6. 16 Einer der beiden Sachverständigen war Prof. Dr. Rudolf Dyroff, der seit den zwan- ziger Jahren an der Erlangen Frauenklinik tätig war, sich 1927 habilitiert und im Jahre 1933 Titel und Rang eines außerordentlichen Professors erhalten hatte; vgl. Renate Wittern (Hrsg.): Die Professoren und Dozenten der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen 1743-1960.Teil 2: Medizinische Fakultät, bearb. von Astrid Ley. Erlanger Forschungen, Sonderreihe, 9. Erlangen 1999, S. 33f. Dyroff war seit 1934 maßgeblich an den Zwangssterilisierungen in der Erlanger Frauenklinik beteiligt und auch seit 1943 in die Abtreibungen an den "Ostarbeiterinnen" involviert; vgl. Dorothea Krüger: Zwangs sterilisationen im Nationalsozialismus: Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14.Juli 1933und seine Durchführung an der Universitäts-Frauenklinik. Diss. med. Erlangen-Nürnberg 2007; Wolfgang Frobe- nius: Abtreibungen an Ostarbeiterinnen 1943-1945 in Erlangen. Wie angesehene Hochschulmediziner zu Helfershelfern des NS-Regimes wurden. In: Zwangsarbeit

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dosierten Eierstockpräparate in der Kombination, in der Graf sie zumeist verordnet hatte, durchaus eine bereits gefährdete Schwangerschaft unter- brechen könnten. Vor allem aber glaubten sie, mit den häufig von Dr. Graf durchgeführten Dilatationen des Muttermundes einen Beweis dafür zu haben, dass hinter den Maßnahmen in den meisten Fällen die Absicht zur Schwangerschaftsunterbrechung gestanden habe.17 Eine nachträgliche Beurteilung über das, was in der Praxis von Dr. Selma Graf jeweils geschah, erweist sich als schwierig und soll hier auch nicht versucht werden. Fest steht aber, dass von den 44 im Prozess unter- suchten Behandlungsfällen 38 in den Jahren vor 1933 stattgefunden haben. Dies ist insofern bedeutsam, als das Thema Abtreibung in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg ein wichtiges soziales und gesellschaftspolitisches Problem war, das nicht nur in der Öffentlichkeit - unter reger Beteiligung der Ärzteschaft - überaus kontrovers und leidenschaftlich diskutiert wurde, sondern auch seinen Niederschlag in der Literatur fand.18 Schät- zungen gingen damals von ca. 800.000 Abtreibungen pro Jahr aus.19 Da viele dieser überwiegend von Laien durchgeführten Eingriffe verheerende gesundheitliche Folgen für die betroffenen Frauen hatten, wurde von etlichen Gruppierungen die Streichung des § 218 oder die Straffreiheit bei einer Abtreibung durch einen Arzt innerhalb der ersten drei Schwanger- schaftsmonate gefordert. Dieser Forderung trug die Gesetzesnovelle von 1926 zwar nicht Rechnung; sie nahm der Abtreibung aber den Charakter

in Erlangen während des Zweiten Weltkriegs, hrsg. von Christoph Friederich. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Erlangen, 6. Nümberg 2007, S. 191-213. 17 UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteils abschrift, S. 6-8 und öfter. - Die Frage, ob es sich bei den Dilatationen nur um eine Erweiterung des äußeren Muttermundes (wie Selma Graf immer wieder betonte) oder um eine Erweiterung des ganzen Halskanals handelte (was die Sachverständigen annahmen), kann im nachhinein nicht mehr geklärt wer- den. 18 Vgl. hierzu Marliese Eckhof: "Gegen die Abtreibungsseuche!" Ärzte und § 218 in der Weimarer Republik. In: Petra Finck/Marliese Eckhof: "Euer Körper gehört uns!" Ärzte, Bevölkerungspolitik und Sexualmoral bis 1933.Hamburg 1987, S. 79-171. 19 Ebd., S. 85.

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des "Verbrechens", indem sie ihr den eines "Vergehens" gab. Der überar- beitete Entwurf von 1927 ließ dann die medizinische Indikation der Ab- treibung als straffrei zu.20 Den politischen Gruppierungen auf der linken Seite des Parteienspektrums reichte diese Milderung der Gesetzgebung jedoch nicht aus, und in den Jahren bis 1931 entwickelte sich geradezu eine Massenbewegung gegen das Abtreibungsverbot.21 Diesen politischen und mentalitäts geschichtlichen Kontext muss man bedenken, wenn man die Akten des Prozesses gegen Selma Graf liest. Das legt auch die Argumentation der Anklage nahe, die ebenfalls auf den historischen Hintergrund verweist, ihn aber gegen Graf verwendet: "Die Angeklagte brauchte umso weniger mit einer Prüfung der Kartei zu rechnen, als sich die Abtreibungshandlungen zum größten Teil in einer Zeit abgespielt haben, in der die Beurteilung derartige(r] Manipulationen sehr lax gewesen ist. Es darf in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass durch das Gesetz vom 18.5.1926 die scharfen Strafbestimmungen des alten § 218 StGB beseitigt worden waren und dass auch in der gerichtlichen Praxis Abtreibungshandlungen in der folgenden Zeit zum Teil sehr milde beurteilt worden sind."22 Graf selbst hatte dies in ihrer ersten Vernehmung indirekt auch zugege- ben: ,,In den letzten Jahren ist meine Praxis stark zurückgegangen und zur Zeit habe ich soviel wie gar keine Patienten mehr. Damit will ich sagen, dass auch die Frauen mit ihren Regelstörungen nicht mehr kommen, und begründe dies damit, dass man heute das nicht mehr machen kann, was im 2. Reich üblich war, weil der jetzige Staat ein anderes Geburtensystem wünscht. Mit dieser Begründung habe ich in den letzten Jahren schon viele Frauen und Mädchen weggeschickt, ohne sie behandelt zu haben."23 Tatsächlich listet das Urteil für die Zeit nach der Machtergreifung nur sechs Fälle auf (drei für 1933 und drei für 1935).Die Mehrzahl von diesen

20 Zu den strafrechtlichen Bestimmungen bezüglich der Abtreibung in der Weimarer Zeit siehe ebd., S. 100-102. 21 Ebd., S. 104-116. 22 UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteilsabschrift, S. 20. 23 Ebd.

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wurde selbst von der Anklage, die durchweg "contra ream" argumentier- te, als nicht entscheidbar beurteilt. Aufgrund dieses Befundes war auch nach einer sekundär bekannt gewordenen Mitteilung des Ehemannes im Vorfeld des Prozesses offenbar sogar erwogen worden, das Verfahren gegen Selma Graf einzustellen.24 Verhindert habe dies Julius Streicher, der berüchtigte Gauleiter von Franken, durch direkte Intervention.25

Abbildung 19: Dr. Selma Graf (1887-1942).StadtAN: E 39 Nr. 1154/1-9.

Das Schwurgericht fällte sein Urteil gegen Selma Graf am 19. Juli 1939.Es befand sie für schuldig, in etlichen Fällen Abtreibungshandlungen vor-

24 Vgl. Franger (Anm. I), S. 60. 25 Zu Julius Streicher, den "größten Antisemiten aller Zeiten", vgl. Thomas Greif: Julius Streicher (1885-1946).Fränkische Lebensbilder 21 (2006), S. 327-348, Zitat auf S.327.

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genommen und diese Tätigkeit gewerbsmäßig ausgeübt zu haben.26Die Frage, ob sie "als gefährliche Gewohnheitsverbrecherin"27 anzusehen sei, wurde deshalb verneint, weil während ihrer Untersuchungshaft die Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz erlassen worden war, mit der den jüdischen Ärzten die Approbation endgültig entzogen wurde.28 Selma Graf würde also, so wurde zynisch argumentiert, "in Zukunft nicht mehr in der Lage sein [... ], als Ärztin tätig zu werden."29 Auf die Strafe von sieben Jahren Zuchthaus wurde die Untersuchungshaft angerechnet. Selma Graf wurde am 28. November 1939 ins Zuchthaus Aichach ge- bracht.30 Nur wenige Tage später teilte der Regierungspräsident in Ans- bach dem Rektor der Universität Erlangen mit, dass "die frühere Ärztin Selma Graf" vom Schwurgericht Bamberg wegen gewerbsmäßiger Abtrei- bung zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt sei und die bürgerlichen Ehrenrechte verloren habe. Da sie sich "durch ihr Verhalten [...] der Füh- rung eines akademischen Grades offenbar unwürdig erwiesen" habe, for- derte er die Universität auf, Selma Graf den Doktortitel zu entziehen.31 Der Dekansausschuss stellte daraufhin in seiner Sitzung am 16. Febru- ar 1940 fest, "dass der Verlust des der Selma Sara Graf am 15. Juni 1914 [...] verliehenen Doktortitels mit der Rechtskraft des [... ] Urteils eingetre- ten" sei, und diese Feststellung gab der Rektor wenige Tage später dem Bayerischen Kultusministerium, dem Reichsminister für Wissenschaft, Er- ziehung und Volksbildung, dem Regierungspräsidenten in und

26 UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteilsabschrift, S. 72. 27 Ebd., S. 76. 28 Vgl. § 1 der Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz, vom 25. Juli 1938: "Bestallungen (Approbationen) jüdischer Ärzte erlöschen am 30. September 1938", RGBl. I, S. 1146. 29 UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteilsabschrift, S. 76. 30 Vgl. Franger (Anm. I), S. 67. 31 Schreiben des Regierungspräsidenten von Ansbach an den Rektor der Universität Erlangen vom 2. Dezember 1939.UAE: A1/3a Nr. 946c.

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dem Oberbürgermeister der Stadt Bamberg zur Kenntnis.32 Die Betroffene wurde nicht benachrichtigt. Selma Graf blieb bis 1942 im Zuchthaus Aichach. Während dieser Zeit durfte ihr Ehemann, der treu zu ihr hielt, sie sieben Mal besuchen,33 der Empfang von Post war ihr im Abstand von zwei Monaten gestattet.34 An- fang Dezember 1942 wurde Selma Graf ins KZ Auschwitz deportiert, wo sie nach Mitteilung der Gestapo Nürnberg am 31. Dezember 1942 "an Grippe" verstarb.35 Vor dem ehemaligen Bamberger Wohnhaus von Dr. Selma Graf in der Franz-Ludwig-Straße 15, das sich im Besitz der Großnichte Konrad Grafs befindet, erinnert heute ein so genannter "Stolperstein" an ihr Schicksal. Das Projekt Stolpersteine wurde 1994 von dem Künstler Gunter Demnig ins Leben gerufen und "folgt dem Konzept eines dezentralen und persön- lichen Mahnmals":36 Vor den einstigen Häusern von Opfern des National- sozialismus werden Messingblöcke von 10 x 10 cm Größe in die Bürger- steige eingelassen, auf denen die wichtigsten Stationen des Lebens der Betroffenen eingraviert sind. Die Tafeln sind folglich an den verschieden- sten Orten in den Städten verteilt und sollen so die Vorübergehenden zum

32 Schreiben des Rektors an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kul- tus vom 20. Februar 1940.Ebd. 33 Konrad Graf ging Anfang der 1940er Jahre nach Lindau und nach dem Krieg nach München, wo er die Virchow-Apotheke in der Ungererstraße kaufte. Er starb 1966. Vgl. Franger (Anm. 1), S. 72. 34 Hierzu und zu weiteren Einzelheiten ihres Zuchthausaufenthaltes vgl. ebd., S. 67-69. 35 Ebd., S. 69. Zu der Willkür, mit der die Gestapo Todesursachen und Todeszeit- punkte der in den Konzentrationslagern Umgekommenen fingierte, vgl. Herbert Wagner: Die Gestapo war nicht allein. Münster 2004, S. 523. - Selma Grafs Mutter war, ohne dass ihre Tochter dies erfahren hatte, schon im September 1942 nach Theresienstadt deportiert worden und starb dort nur wenige Tage nach ihrer Toch- ter am 12.Januar 1943. 36 Vgl. Julia Roos: Wandel der Erinnerungskultur: Das Mahnmal "Untere Brücke" und das Projekt "Stolpersteine". Arbeitspapiere der Willy-Aron-Gesellschaft Bamberg e.V.1 (2006), S. 12.

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"gedanklichen Stolpern" und Erinnern anregen.37 Der Stolperstein für Dr. med. Selma Graf wurde 2007 von der Frauenvereinigung "Soroptimistin- nen International"38 gestiftet und trägt den folgenden Wortlaut: "Hier wohnte / Dr. Selma Graf / geb. Reichhold / Jg. 1887 / verhaftet Juli 1938/ Zuchthaus Aichach / ermordet 31.12.1942 / Auschwitz".

RW./B.5.

Abbildung 20: Stolperstein für Dr. Selma Graf vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in Bamberg, vgl. http://www.connaction-bamberg.de/willy-aron/ /kat12.php ?inhalte= kat12%2Fb20070313214120.inc&weiter.x=7&weiter.y=8&sehen=1&z=4 (zuletzt aufgerufen am 8. Mai 2008).

37 Ebd., S. 13. 38 Soroptimist International ist eine Organisation für Frauen in verantwortlicher beruf- licher Position, die sich für Verbesserungen der Situation von Frauen, für Menschen- rechte und für den Frieden einsetzt.

158 D.A. * 1888, Dr. med. 1919

D. A. wurde 1888 in Kempten im Allgäu geboren. Er besuchte die Volks- schule und die ersten Klassen des Humanistischen Gymnasiums in seiner Heimatstadt und beendete 1909 mit 21 Jahren seine Schullaufbahn am Ansbacher Gymnasium. Nach einem halben Jahr Militärdienst begann er im Sommersemester 1910 das Medizinstudium in München, wechselte zum Wintersemester 1912/13 für ein Jahr an die Universität Erlangen, wo er die Ärztliche Vorprüfung ablegte, und immatrikulierte sich danach in Kiel. Bevor er sein Studium beenden konnte, brach der Erste Weltkrieg aus, und D. A. wurde über den gesamten Zeitraum des Krieges als Truppen- arzt eingesetzt. Er konnte jedoch zwischendurch im Januar 1917 sein Medizinisches Staatsexamen ablegen und erhielt kurz danach die Appro- bation. Seine Promotion zum Dr. med. erfolgte 1919 in Erlangen. Im April 1919 ließ sich D. A. als praktischer Arzt im Unterallgäu nieder. Er trat bereits 1930 in die NSDAP ein und wurde im darauf folgen- den Jahr Standartenarzt der Standarte 12 der Sturmabteilung. Darüber hinaus übernahm er in der Folgezeit noch verschiedene Ehrenämter; so wurde er Bezirkskolonnenführer des Roten Kreuzes in Memmingen, Rats- herr der Stadt , Kreisamtsleiter des Amtes für Volksgesund- heit und stellvertretender Leiter des ärztlichen Bezirksvereins Memmin- gen.1 Am 1. Juni 1938 wurde D. A. vom Schwurgericht bei dem Landgericht Memmingen wegen ,,21 Verbrechen der gewerbsmässigen Abtreibung" zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren verurteilt. Ferner wurde ihm die Ausübung des ärztlichen Berufs auf die Dauer von fünf Jahren untersagt.2

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE): A1/3a Nr. 946a, Urteilsabschrift, S. 2. 2 Ebd.,S.1.

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Wie aus der ausführlichen Begründung des Urteils hervorgeht, hatte A. in der Zeit von 1929 bis 1933 bei sieben Frauen einen Abort provoziert, im Jahre 1933 hatte er zehn Abtreibungen vorgenommen und in den fol- genden Jahren jeweils eine. Er hatte sich alle Eingriffe, allerdings abgestuft nach den finanziellen Möglichkeiten der betreffenden Frauen oder Paare, honorieren lassen. Damit war für das Gericht die Gewerbsmäßigkeit gege- ben. In etlichen Fällen handelte es sich um Schwangerschaften aus unehe- lichen Verhältnissen; einige Frauen hatten bereits mehr als sechs Kinder geboren und fürchteten die Belastungen einer weiteren Geburt; in wiede- rum anderen Fällen war es die soziale Notlage, die die Frauen dazu trieb, A. um den Abbruch der Schwangerschaft zu bitten.3 Der angeklagte A. leugnete in der Verhandlung nicht, die Abtreibun- gen vorgenommen zu haben; er betonte aber, dass er nicht aus Geldgier gehandelt habe, und verwies zu seiner Verteidigung auf seinen frühen Eintritt in die Partei. Das Gericht nahm diese Einlassung zwar wohlwol- lend zur Kenntnis, hielt aber am Vorwurf der Gewerbsmäßigkeit fest, weil A. in jedem einzelnen Fall Geld verlangt habe. Diese Tatsache verhindere die Annahme, dass er aus "reinem Mitleid" gehandelt habe.4 Für die Bemessung der Strafe wurden zunächst verschiedene Umstän- de angeführt, die zugunsten des Angeklagten bewertet werden konnten: "Der Angeklagte ist, abgesehen von einer Kraftfahrzeugsache, die hier nicht von Bedeutung ist,5nicht vorbestraft. Seit 1930 Parteigenosse, hat er sich von Anfang an in selbstloser Weise in den Dienst der Partei gestellt und die Bewegung tätig unter- stützt, indem er sich z. B. mit seinem Kraftwagen für Propagandafahrten und ähn- liche Zwecke zur Verfügung stellte. Er liess sich hievon nicht durch den Umstand abhalten, dass seine Praxis zurückging. Nach dem Urteil des Zeugen Standartenfüh- rer und Bürgermeister K. von Mindelheim, mit dem er bei der Sturmabteilung war, war [D. A.l ,einer der zuverlässigsten Nationalsozialisten'."6

3 Ebd., S. 2-11. 4 Ebd., S. 12f. 5 Hierbei handelte es sich um ,erschwerte fahrlässige Körperverletzung' im Straßen- verkehr. UAE: A1/3a Nr. 946a, Auszug aus dem Strafregister. 6 Ebd., Urteilsabschrift, S. 14f.

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Darüber hinaus wurde A. ein sehr guter Ruf bescheinigt, ein Zeuge be- schrieb ihn als bescheiden und als einen "grenzenlos guten Menschen", der von einer geradezu "krankhaft veranlagten Gutheit" seF Hieraus fol- gerte das Gericht, dass der Angeklagte aufgrund seiner Gutmütigkeit nicht die Kraft gehabt habe, die Frauen, ,,[... ] die ihm vielfach vorjammer- ten und ihn [an]bettelten"B abzuweisen. Diese innere Haltlosigkeit sei aber zu seinen Gunsten zu werten. Auch die Tatsache, dass A. geständig war, wurde positiv bewertet. Dieser Bewertung standen allerdings nach Auffassung des Gerichts mehrere gravierende Tatbestände gegenüber: Zum einen wurde neben der großen Zahl an Abtreibungen als besonders schwerwiegend hervorgeho- ben, dass A. "auch nach dem Umschwung sein volksschädigendes Treiben fortgesetzt [habe], obwohl er ja als Nationalsozialist wusste, dass nach der Auffassung des heutigen Staates die Abtreibung eines der schwersten Verbrechen gegen die Volksgemein- schaft darstellt."9 Der Einwand des Angeklagten, dass der Staat eine gesunde Bevölkerung, also gesunde und kräftige Kinder sowie glückliche Mütter, wolle, dass eine Mutter aber nur dann glücklich sei, wenn sie ihre Kinder freudig zur Welt bringen könne, wurde vom Gericht nicht akzeptiert. Zum andern betrachtete das Gericht die Taten des A. auch deshalb als schwere Verfehlungen, weil er, der gerade aufgrund seiner verschiedenen Ämter ein Vorbild hätte sein sollen, dem Ansehen der Partei durch die Verletzung der Grundsätze des Nationalsozialismus erheblich geschadet habe.10 Nach dieser Abwägung aller Umstände hielt das Gericht das Strafmaß von zwei Jahren Zuchthaus für angemessen. Das fünfjährige Berufsverbot wurde mit dem notwendigen Schutz der Öffentlichkeit vor dem Ange-

7 Ebd., S. 15. 8 Ebd. 9 Ebd., S. 16. 10 Ebd.

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klagten begründet, da das Gericht aufgrund des Charakters des Angeklag- ten die Gefahr der Rückfälligkeit gegeben sah. Die bürgerlichen Ehren- rechte wurden A. jedoch, gegen den Antrag des Staatsanwalts, nicht aber- kannt,1l Erst im Herbst 1940 wurde die Staatsanwaltschaft Memmingen aktiv, um ihrer Meldepflicht des Strafurteils an die promovierende Universität zu genügen. Nachdem es hier zunächst zu einer Verwechslung von Kiel und Erlangen gekommen war, wurde die Universität Erlangen schließlich Anfang November mit dem Vorgang befasst.12Bevor der Ausschuss darü- ber beriet, informierte der Syndikus A. über die anstehende Entscheidung bezüglich der Doktorgradentziehung und gab ihm Gelegenheit, sich schriftlich zu der Angelegenheit zu äußern.l3 A. hatte inzwischen seine Strafe verbüßt und äußerte in seinem hand- schriftlichen Antwortschreiben sein großes Erstaunen darüber, dass die Frage der Aberkennung des Doktortitels, die ja ebenfalls als eine Strafe anzusehen sei, erst jetzt, nach seiner Entlassung, beraten werden sollte. Er wies außerdem darauf hin, dass ihm die bürgerlichen Ehrenrechte in dem Prozess nicht entzogen worden waren. Zudem bat er die Universität, noch abzuwarten, bis sein Gnadengesuch auf nachträgliche Umwandlung der Zuchthausstrafe in Gefängnisstrafe beschieden worden sei,l4 Die Universität ging auf diese Bitte nicht ein, sondern setzte das Verfahren in Gang, und nachdem der Dekan die Entziehung des Doktor- titels aufgrund von "Unwürdigkeit" beantragt hatte,l5 beschloss der zu- ständige Ausschuss in seiner Sitzung vom 30. Mai 1941 einstimmig, dass "dem früheren Arzt" D. A. der Doktortitel wieder entzogen würde.l6 D. A.

11 Ebd., S. 17f. 12 Diese und alle folgenden Schriftstücke befinden sich im Akt UAE: A1/3a Nr. 946a. 13 Schreiben des Syndikus der Universität Erlangen an Dr. med. D. A. vom 7. Novem- ber 1940. 14 Schreiben von D. A. an den Syndikus der Universität Erlangen vom 28. November 1940. 15 Schreiben des Dekans Greving an den Rektor vom 20. Dezember 1940. Ebd. 16 Bescheid vom 3. Juni 1941,unterschrieben vom Prorektor Herrigel. Ebd.

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legte gegen diesen Bescheid am 15. Juli 1941 Beschwerde beim Reichsmini- ster für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ein. In sechs Punkten begründete er - in erstaunlich selbstbewusstem Ton17- seinen Einspruch und versicherte, dass er sich in Zukunft stets der Erfüllung seiner Bitte um Belassung des Doktortitels würdig erweisen werde. Obgleich der Dekan in Reaktion auf diesen Einspruch zugestand, dass in dem großen zeitlichen Abstand zwischen strafrechtlicher Verurteilung und Aberkennung des Doktortitels eine besondere Härte läge, blieb er, auch mit Hinweis auf die Notwendigkeit der Gleichbehandlung in ähnlich gelagerten Fällen, bei der getroffenen Entscheidung,1Bdie der Rektor dann am 25. Juli 1941 dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus vorlegte. Am 20. August 1941 wies dann auch der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die Beschwerde zurück. Im Zentrum der Begründung stand der bezeichnende Satz: "Für einen Arzt ist es im nationalsozialistischen Staate eine der vornehmsten und wichtigsten Pflichten, das keimende Leben zu schützen und die zu seinem Schutz ergangenen Gesetze zu achten,"19 bezeichnend deshalb, weil nur wenige Monate danach viele Tausende Zwangsabtreibungen an "Ostarbeiterinnen" im Deutschen Reich an Klini- ken der Universitäten durchgeführt wurden, die seit Mitte der dreißiger

17 Hierfür sei als Beispiel der folgende Passus wörtlich wiedergegeben: "Schon allein die äussere Form, in welcher der Bescheid zugestellt wurde, hat mich sehr befrem- det; denn im Allgemeinen ist es wohl üblich, dass ein derartig wichtiges Schriftstück wenigstens mit einem kleinen Begleitschreiben zugesandt und nicht, wenn ein Ver- gleich erlaubt ist, wie ein Brocken einem Hund hingeworfen wird. Auch spricht aus der ganzen Abfassungsart der Ton äusserster Geringschätzung, den ich kurz nach meiner Verurteilung oder während der Strafverbüßung wohl oder übel hätte hin- nehmen müssen, nun aber, nachdem ich meine Freiheitsstrafe längst verbüßt habe, nicht mehr zu dulden genötigt bin." Ebd. 18 Schreiben des Dekans an den Rektor vom 22. Juli 1941. Ebd. 19 Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Beschluss WF 3767/ 41 vom 20. August 1941. Ebd.

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Jahre vielen Ärzten und Ärztinnen für Abtreibungen an "arischen" Frauen die Doktorwürde entzogen hatten. Am 9. September 1941 teilte der Rektor die rechtskräftige Entschei- dung über die Aberkennung den Rektoren der deutschen Hochschulen und der Behörde in Kempten mit. Über das weitere Schicksal von D. A. ist nichts bekannt.

R.W./AT.

164 ADOLFMEYER * 30. März 1890, Dr. med. dent. 1. Juni 1920

Adolf Meyer, Sohn von Adolf Meyer und dessen Frau Anna (geb. Martin), wurde am 30. März 1890 in Neuburg an der Donau geboren. Nach dem Besuch der Volksschule und Gymnasium in Bamberg begann er ein Stu- dium der Neueren Sprachen in Würzburg und München. 1914 ging er zur Armee und nahm teil an den Feldzügen nach Frankreich und Russland. Später ergriff er das Studium der Zahnheilkunde. Die Zahnärztliche Prü- fung absolvierte er an der Universität Erlangen am 22. April 1920. Ab Mai 1920 hatte er eine Stelle als Assistent bei dem Hofzahnarzt Dr. Sieberth in Nümberg inne. Fünf Jahre später, 1925, promovierte er an der Universität Erlangen mit der Arbeit IIStreptococcus longissimus und Streptococcus conglomeratus aus dem Mund und aus erkrankten Pulpen" zum Dr. med. dent.1 Während des Zweiten Weltkriegs war Adolf Meyer mit Datum vom 16. Dezember 1943 vom Feldkriegsgericht in Regensburg "wegen eines fortgesetzten Verbrechens des Abhörens von Auslandssendern in Tatein- heit mit einem fortgesetzten Verbrechen der Verbreitung von Nachrichten ausländischer Sender" zu vier Jahren Zuchthaus und zum Verlust der bür- gerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von drei Jahren verurteilt worden. Aufgrund dieses Urteils tagte der für den Entzug des Doktortitels zustän- dige Ausschuss der Universität Erlangen am 20. Dezember 1944 über die- sen Fall und stellte fest, dass Adolf Meyer seinen Doktorgrad aufgrund des ergangenen Urteils verloren habe.2 Ob der Betroffene davon unterrich- tet wurde, geht nicht aus den Akten hervor.

1 Die Lebensdaten bis zur Promotion sind der Vita in der Dissertation entnommen. Universitätsarchiv Erlangen (UAE):C3/3 Nr. 1919/20-127. 2 Vgl. Entwurf des Rektors der Universität vom 22. Dezember 1944. UAE: A1/3a Nr. 946f. Eine Abschrift dieses Schriftstücks ging an den Reichsminister für Wissen- schaft, Erziehung und Volksbildung, an den Bayerischen Staatsrninister für Unter- richt und Kultus sowie an das Gericht in Regensburg.

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Wenige Monate nach Kriegsende wandte sich Adolf Meyer jedoch mit einem Schreiben an den Rektor der Universität. Er verwies darin zunächst auf die Aberkennung seines Doktortitels, die die Erlanger Medizinische Fakultät im Dezember 1944 auf der Basis seiner Verurteilung ausgespro- chen hatte, und fuhr dann fort: "Ich habe sofort nach meiner Rückkehr aus meiner Gefangenschaft durch das Staatliche Gesundheitsamt Regensburg die Wiederherstellung meiner akademischen Rechte und Ehre Mitte Juni beantragt, aber bis heute in dieser Sache nichts gehört. Ich ersuche daher um Beschleunigung aus formellen Gründen, da in Wirklichkeit meine Ehre in der Öffentlichkeit schon längst hergestellt ist. Ich sehe daher Ihrem Bescheid in allernächster Zeit mit größtem Interesse entgegen."3 Dieses Schreiben schickte Eugen Herrigel am 25. September 1945 unter dem Betreff: "Aufhebung eines Beschlusses über Aberkennung des Dok- tortitels; hier Dr. A. Meyer, Regensburg" an den Präsidenten des Univer- sitäts-Ausschusses4 mit der Bitte um Entscheidung.5 Das Ergebnis der Beratung teilte dann zwei Wochen später Theodor Süss, der inzwischen am 26. September 1945 von der Militärregierung zum Rektor eingesetzt worden war, dem Zahnarzt Dr. A. Mayer mit: "Hiermit hebe ich als Rektor der Universität Erlangen den Beschluss des Aus- schusses der Universität vom 20.12.1944auf, durch den Ihnen der am 1.6.1920von der Medizinischen Fakultät der Universität Erlangen verliehene Grad eines Dr. med.

3 Schreiben von Dr. Adolf Meyer an den Rektor der Universität Erlangen vom 15. September 1945.UAE: A1/3a Nr. 946f. 4 Dieser Universitäts-Ausschuss, dem zehn Professoren angehörten, war am 31. Mai 1945 von der Militärregierung zur Leitung der Universität eingesetzt worden. Sein Präsident war der Theologe Paul Althaus. Dem Ausschuss zur Seite stand Eugen Herrigel als "Prorektor", dessen Funktion jedoch eher die eines Sekretariatsvor- stands war. Vgl. Winfried Müller: Die Universitäten München, Erlangen und Würz- burg nach 1945. Zur Hochschulpolitik in der amerikanischen Besatzungszone. In: Landesgeschichte und Zeitgeschichte. Forschungsperspektiven zur Geschichte Bay- erns nach 1945, hrsg. von Maximilian Lanzinner/Michael Henker. Materialien zur Bayerischen Geschichte und Kultur, 4. Augsburg 1997,S. 53-87,hier: S. 55f. 5 UAE: AI/3a Nr. 946f.

166 ADOLFMEYER

dent. entzogen wurde. Sie haben daher mit sofortiger Wirkung wiederum das Recht, den Titel eines Dr. med. dent. zu führen."6 In der entsprechenden Aktennotiz, die diesen Vorgang beendete, begrün- dete der Rektor die Entscheidung für die Aufhebung der DQktorgradent- ziehung folgendermaßen: "Die Entziehung erfolgte auf Grund eines typisch nationalsozialistischen Straftatbestandes und war daher rück- gängig zu machen."7

B.S./A.F.

6 Schreiben des Rektors an Dr. Adolph Meyer vom 10. Oktober 1945. Eine Abschrift ging an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. UAE: A1/3a Nr.946f. 7 Aktennotiz des Rektors vom 10. Oktober 1945.UAE: A1/3a Nr. 946f.

167

H.O. * 1890, Dr. med. 1920

H. O. kam am 26. November 1890 in einer Kleinstadt in Westfalen als Sohn eines Lehrers zur Welt. Seine schulische Ausbildung erhielt er in seinem Heimatort sowie in Arnsberg und Wattenscheid. Im Anschluss daran stu- dierte er Medizin an den Universitäten Marburg, München, Bonn und wieder Marburg. 1912 legte er sein Physikum ab. Im Krieg kam er direkt an die Front und diente in deutschen Garnisonen. 1916 bestand er das Medizinische Staatsexamen an der Universität Erlangen und ließ sich im Anschluss daran in Westfalen als praktischer Arzt nieder. 1920 wurde er in Erlangen promovierU Am 25. März 1939 wurde H. 0., der damals im Kreis Teltow lebte, in einem berufsgerichtlichen Verfahren "wegen Berufsvergehen", über das aus den Universitätsakten nichts Näheres zu ermitteln ist, vom Ärztlichen Bezirksgericht Sachsen-Anhalt "für unwürdig erklärt, den ärztlichen Beruf auszuüben".2 Seine Berufung, die er dagegen beim Deutschen Ärztege- richtshof in München einlegte, wurde am 15. Dezember 1939 zurückge- wiesen.3 Auf dieses Urteil gestützt nahm der Regierungspräsident des Potsdam am 25. April 1940 H. O.s Bestallung als Arzt ohne zeitliche Begrenzung zurück.4 In der Universität Erlangen wurde der Fall im August 1940 diskutiert. Da das Urteil gegen O. auf "Unwürdig- keit", den ärztlichen Beruf auszuüben, erkannt hatte, berief sich der Dekan

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1917/18-21.- Vgl. ferner das Schreiben des Syndikus der Universität Erlangen vom 12. September 1940. UAE: A1/3a Nr. 946f. 2 Abschrift des Urteils des Ärztlichen Bezirksgerichts Sachsen-Anhalt (ohne Begrün- dung). Ebd. 3 Abschrift des Urteils des Deutschen Ärztegerichtshofs (ebenfalls ohne Begründung). Ebd. 4 Schreiben des Regierungspräsidenten vom 25. April 1940, in dem H. O. zugleich aufgefordert wird, seine Bestallungsurkunde zurückzusenden. Ebd.

169 H.a.

der Medizinischen Fakultät auf den entsprechenden Paragraphen im "Gesetz über die Führung akademischer Grade" vom 7. Juni 1939 und befürwortete die Entziehung des Doktortitels.5 Der Ausschuss schloss sich diesem Votum an.6 Die vom Gesetz vorgesehene Benachrichtigung des Betroffenen über die bevorstehende Aberkennung seines Doktortitels mit einer Aufforderung zur Stellungnahme erfolgte am 12. September 1940 durch den Syndikus.7 Mit diesem Schreiben endet die Universitätsakte. Das Verfahren wurde 1942 für abgeschlossen erklärt, da H. a. offenkun- dig in der Zwischenzeit verstorben war.

B.S./R.W.

5 Schreiben des Dekans Greving an den Rektor vom 21. August 1940. Ebd. 6 Handschriftliche Stellungnahmen der Dekane vom 7. bis 10. September 1940.Ebd. 7 Schreiben des Syndikus an H. O. (ohne Nennung des Doktortitels) vom 12. Septem- ber 1940.Ebd.

170 ERNST ALFRED SECKENDORF * 30. Dezember 1892,Dr. med. 22. März 1920

Ernst Alfred Seckendorf wurde am 30. Dezember 1892 in Nürnberg als Sohn des Kaufmanns Friedrich (Fritz) Seckendorf und dessen Frau Anna Hopf geboren.l Er war jüdischen Bekenntnisses.2 Nach dem Besuch der dreiklassigen Vorbereitungsschule der ehemaligen Städtischen Handels- schule Nürnberg von 1899 bis 1902 wechselte er auf das Neue Huma- nistische Gymnasium in Nürnberg, wo er im Juli 1911 die Reifeprüfung bestand. Danach leistete er beim 19. Infanterie-Regiment in Erlangen den aktiven Militärdienst ab. Anschließend nahm Seckendorf das Studium der Medizin in Erlangen auf und ging nach zwei Semestern nach München, wo er im Juli 1914 die Ärztliche Vorprüfung ablegte. Am Ersten Weltkrieg nahm er von Beginn an teil und durchlief die Dienstgrade vorn Gefreiten und Unteroffizier über den Sanitätsunteroffizier und Feldunterarzt bis zum Feldhilfsarzt. Im Jahre 1917 wurde Seckendorf am Unterschenkel und am Hinterkopf ver-

1 Die Lebensdaten von Ernst Alfred Seckendorf bis zu seiner Promotion wurden sei- nem handschriftlichen Lebenslauf in seiner Promotions akte und der Urteilsabschrift entnommen Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 19, 1919/20-19 und A1/3a Nr. 946h, S. 2. In letzterer finden sich auch nähere Angaben zu den Eltern und Großeltern; so geht daraus hervor, dass auch seine Eltern in Nürnberg geboren waren und dass sie am 27. Dezember 1883 dort geheiratet hatten. Die Großeltern väterlicherseits waren Leopold Seckendorf (gest. 21.3.1905) und Rika Levino (gest. 11.8.1896);die Großeltern mütterlicherseits Joseph Hopf (gest. 26.2.1907)und Sophie Rosenfeld (gest. 18.2.1881),ebd., S. 18. - Weitere wichtige Informationen verdanken wir dem Enkel Ernst Seckendorf, Gräfenberg, der uns in einem längeren Gespräch auch Einsicht in sein Privatarchiv zu seinem Großvater hat nehmen lassen. 2 Beide Großväter waren seit 1859 bzw. 1864 als Ausschussmitglieder im "Israeliti- schen Religionsverein" in Nürnberg bzw. in der "Israelitischen Kultusgemeinde" tätig. Siehe Bernhard Kolb: Die Juden in Nürnberg 1839-1945, bearb. von Gerhard Jochern, S. 7f. http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_NU -1U_ kolb_text.pdf, zuletzt aufgerufen am 25. Februar 2008.

171 ERNST ALFRED SECKENDORF

wundet. Für seine große Einsatzbereitschaft erhielt er das Militär-Ver- dienstkreuz 2. Klasse mit Schwertern (s. Abb. 20)3 und die Bayerische Tap- ferkeitsmedaille, eine Auszeichnung, die eher selten vergeben wurde.4 Seine Tätigkeit als Arzt im Feld wurde ihm später als Praktisches Jahr an- gerechnet. Im April 1918 heiratete Ernst Seckendorf Elisabeth Meyners, die der katholischen Kirche angehörte.5 Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor, die 1919 und 1921 geboren und im katholischen Glauben erzogen wurden.6

3 Privatarchiv Ernst Seckendorf jun. 4 Vg1.Walther Schönfeld in seiner Einleitung zu "Girolamo Fracastoro: Syphilidis sive morbi gallici libri tres", in der Übers. v. Ernst Alfred Seckendorf. Schriftenreihe der Nordwestdeutschen Dermatologischen Gesellschaft, 6. Kiel 1960, S. 19: "Er wurde von seinen Kameraden wegen seiner absoluten Einsatzbereitschaft sehr gelobt und erhielt die Bayerische Tapferkeitsmedaille." - Zwei seiner Brüder nahmen am Ersten Weltkrieg teil: der eine fiel 1917 an der Front, der andere starb 1926 im Alter von 37 Jahren an den Folgen seiner Kriegsverletzung. Privatarchiv Ernst Seckendorf jun. 5 Elisabeth Mathilde Marie Meyners wurde am 7. Dezember 1891 in Würzburg gebo- ren und lebte zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung in Fürth. Bayerisches Landesent- schädigungsamt (BayLEA): EG 31 374, C-Akte, BI.5. 6 Siehe http://www.ikg-fuerth.de/memorbuc.htm.zuletztaufgerufenamI5.Mai2008. Der ältere Sohn war wohl etwas lernbehindert und wurde ab 1937 im 1884 gegrün- deten Heim für Behinderte des Dominikus-Ringeisen-Werks Ursberg betreut. Von dort wurde er durch Verfügung des Landesfürsorgeverbandes im Zuge einer Neu- organisation der bayerischen Heil- und Pflegeanstalten im April 1941 nach Erlangen verlegt, wo er am 13. Februar 1942 starb (Privatarchiv Ernst Seckendorf jun.). Zu dieser Verlegung von Kranken aus privaten Pflegeanstalten in die Heil- und Pflege- anstalt Erlangen, die insgesamt 732 Menschen betraf, vg1. Hans Ludwig Siemen: Menschen blieben auf der Strecke ... Psychiatrie zwischen Reform und National- sozialismus. Gütersloh 1987, S. 173f.- Zum Schicksal des jüngeren Sohns vg1.unten S. 177,Anm. 23.

172 ERNST ALFRED SECKENDORF

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Abbildung 21: Urkunde des Königs für Ernst [Alfred] Seckendorf anlässlich der Verleihung des Militär-Verdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern, vom 9. Dezember 1916. Privatarchiv Ernst Seckendorf jun.

173 ERNST ALFREDSECKENDORF

Nach dem Ende des Krieges setzte Ernst Seckendorf sein Studium fort, legte im Oktober/November 1919 sein Medizinisches Staatsexamen ab7 und erhielt am 17. Dezember 1919 seine Approbation.8 Im Frühjahr 1920 wurde er mit einer an der Erlanger Kinderklinik angefertigten Arbeit über die Rachitis zum Doktor der Medizin promoviert.9 Danach war er bis Ende 1920 als Assistent unter Leo von Zumbusch (1874-1940) an der Der- matologischen Universitätsklinik in München tätiglO und ließ sich zum Beginn des Jahres 1921 als Facharzt für Haut-, Harn- und Geschlechts- krankheiten in Fürth nieder. Schon als Student hatte sich Ernst Seckendorf für das Fachgebiet Medizingeschichte interessiert und einschlägige Literatur gesammelty Zwischen 1930 und 1935 publizierte er eine größere Zahl medizinhistori- scher Artikel, von denen der Dermatologe Walther Schönfeld 1960 eine Auswahl zusammengestellt und gewürdigt hat,12Die zweifellos wichtigste Arbeit Seckendorfs war seine Übertragung des bedeutenden lateinischen Lehrgedichtes über die Syphilis von Girolamo Fracastoro (1478-1553) ins Deutsche, die 1930 in der Münchener Medizinischen Wochenschrift ange-

7 Schreiben des Dekans der Erlanger Medizinischen Fakultät, Otto F. Ranke, an Walther Schönfeld, den Direktor der Heidelberger Universitätshautklinik, vom 1. Dezember 1954. UAE: C3/3 Nr. 1919/20-19. Schönfeld bereitete zu diesem Zeitpunkt eine Publikation vor, die im Jahre 1960erschien (Anm. 4). 8 Ermittlungsbericht der Staatlichen Kriminalpolizei Nürnberg-Fürth über den Pro- zess, 23. Januar 1938.Stadtarchiv Nürnberg (StadtAN): E 39/1766. 9 Ernst Seckendorf: Das Blutbild bei Rachitis. Diss. med. Erlangen 1920.- Die Doktor- urkunde ist auf den 22. März 1920ausgestellt. 10 Zumbusch hatte seit 1915 die Leitung der Münchner Hautklinik inne. - In der Urteilsabschrift (UAE: Al/3a Nr. 946h, S. 2) wird irrtümlich die Münchner Frauen- klinik genannt. 11 Vgl. Schönfeld (Anm. 4), S. 19. 12 Ebd., S. 2lf. Nicht in dieser Liste verzeichnet ist ein kleiner Artikel über die Frühzeit der Erlanger Anatomie, Ernst Seckendorf: Die Orangerie in Erlangen als anatomi- sches Institut. Das Bayerland 42 (1931),S. 234-236.

174 ERNST ALFRED SECKENDORF

kündigt worden warP Zu einer Publikation war es durch die schwierigen historischen Umstände nicht mehr gekommen, die spätere Herausgabe durch Schönfeld sollte als ein Zeichen der Anerkennung und der Wieder- gutmachung gegenüber dem Autor verstanden werden.14 Neben den me- dizinhistorischen Studien hat Seckendorf in den frühen 1930erJahren auch mehrere dermatologische Arbeiten veröffentlicht.t5 Im Laufe der späten zwanziger Jahre kam Ernst Seckendorf mehrfach aus unterschiedlichen Gründen mit dem Gesetz in Konflikt und wurde 1930 und 1931 wegen eines Betrugsversuchs sowie wegen des Vergehens gegen das Opiumgesetz vom 10. Dezember 1929zu Geldstrafen verurteilt. Was Letzteres angeht, so hatte er offenkundig einem drogensüchtigen Vetter über einen längeren Zeitraum hin Morphium verschafft und recht- fertigte sich im Prozess damit, dass er hierdurch eine allmähliche Entwöh- nung seines Verwandten zu erreichen hoffte. Das Gericht erkannte jedoch ebenso wenig wie das ärztliche Berufsgericht Mittelfranken dieses Argu- ment als Entlastungsgrund an.16 Bis 1933 hatte Ernst Seckendorf eine gut gehende Praxis in FürthP Nach der Machtübernahme wurde sie am 1. April, wie überall im Reich, boykottiert, indem SA-Posten mit dem Hinweis "dieser Arzt ist Jude" vor

13 VgI. Schönfeld (Anm. 4), S. 16. - Die Ankündigung erfolgte im Anschluss an den Abdruck eines Vortrags über den Krankheitsnamen Syphilis, den Seckendorf am 24. April 1930 in der Nürnberger Medizinischen Gesellschaft gehalten hatte. Münchner Medizinische Wochenschrift (1930),S. 1200. 14 Zu den Umständen, unter denen Schönfeld das Manuskript 1942 erstmals in die Hand bekommen hat, vgI. Schönfeld (Anm. 4), S. 16-20.- Auch Rolf Winau hat diese Übertragung Seckendorfs für seinen 2006 im Internet erschienenen Beitrag "Seit Amors Köcher auch vergiftete Pfeile führt. Die Ausbreitung der Syphilis in Europa" benutzt und diesen dem Andenken Ernst Alfred Seckendorfs gewidmet, siehe http://www.fu-berlin.de/presse/publikationen/fundiert/2002_01/02_01_ winau/index. html, zuletzt aufgerufen am 27. Februar 2008. 15 Diese wurden ebenfalls von Schönfeld (Anm. 4, S. 22) aufgelistet. 16 UAE: A1/3a Nr. 946h, Urteilsabschrift, S. 3-8. 17 Ebd., S. 3. Dies bezeugten auch B. W., Seckendorfs spätere Verlobte, und einer seiner Jugendfreunde. BayLEA: EG 31 374, B-Akte, BI.4, und C-Akte, BI.9.

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dem Eingang aufgestellt wurden.1BDurch diese und andere Schikanen sowie insbesondere durch den Verlust der Kassenzulassung, der Ende 1935 erfolgte,19sank sein Einkommen stark. Er war daher auf die Hilfe seines Schwiegervaters, des Rechnungsrats a. D. Konrad Meyners, ange- wiesen, der bereits 1934 in seinen Haushalt in Fürth übergesiedelt war und die junge Familie mit Zuschüssen zur Miete und zur Lebenshaltung unterstützte.20 Um sich und seine Angehörigen finanziell über Wasser zu halten, bewarb sich Seckendorf in diesen Jahren bei verschiedenen phar- mazeutischen Firmen und veräußerte einen Teil seiner sehr umfangrei- chen und bereits überregional bekannten Fachbibliothek. Im März 1937 starb Seckendorfs Schwiegervater, und nur wenig später erlag seine Frau einem Herzschlag. Daraufhin plante Ernst Secken- dorf mit der Unterstützung der "Reichsvertretung der Juden in Deutsch- land" die Emigration und teilte im Juni desselben Jahres dem Gesund- heitsamt Fürth mit, dass er ab dem 15. Juli seine Praxis aufgeben würde, um eine Stellung im Ausland anzutreten.21Dieser Plan zerschlug sich je-

18 Ebd., C-Akte, BI. 8. - Zu den allgemeinen Boykottmaßnahmen vg1.Werner Friedrich Kümmel: Die Ausschaltung rassisch und politisch missliebiger Ärzte. In: Ärzte im Nationalsozialismus, hrsg. von Fridolf Kudlien. Köln 1985,S. 56-81, hier: S. 65f: "Am 1. April 1933 standen überall vor den jüdischen Geschäften, den Praxen jüdischer Ärzte und den Büros jüdischer Rechtsanwälte SA- oder SS-Männer, um das Publi- kum vor dem Betreten zu ,warnen'. Auf den Plakaten, die sie trugen [... ] stand unter anderem: ,Meidet jüdische Ärzte', ,Achtung Juden, Besuch verboten', oder ,Die Juden sind unser Unglück'." 19 Beschluss des Zulassungsausschusses bei der Verwaltungsstelle Nürnberg der Kas- senärztlichen Vereinigung Deutschland vom 30. Dezember 1935. Privatarchiv Ernst Seckendorf jun. 20 UAE: A1/3a Nr. 946h, Urteilsabschrift, S. 3. - Nach eigener Aussage betrug Secken- dorfs Monatseinkommen zur Zeit des Prozesses ,,60-70 M". Ermittlungsbericht der Staatlichen Kriminalpolizei Nürnberg-Fürth über den Prozess, 23. Januar 1938. StadtAN: E 39/1766. 21 Seckendorf erhielt am 3. Juni 1937einen Hinweis der "Reichsvertretung der Juden in Deutschland", dass es auf Madagaskar und in Französisch-Westafrika Stellen für Ärzte gebe. Privatarchiv Ernst Seckendorf jun.

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doch aus nicht bekannten Gründen, und nachdem auch andere Bewer- bungen im Ausland erfolglos geblieben waren, nahm er die ärztliche Arbeit ohne Wiederanmeldung der Praxis wieder auf. Im Januar 1938 wurde Ernst Seckendorf von der Gestapo unter dem Verdacht der "Rassenschande"22 und der gewerbsmäßigen Abtreibung verhaftet,23Hintergründe dieser Anklage waren zum einen die Beziehung Seckendorfs zu seiner Verlobten B. W" die der evangelischen Konfession angehörte und mit der er schon zu Lebzeiten seiner ersten Frau eine enge Beziehung hatte. Zum anderen wurden Seckendorf drei Eingriffe in den Jahren 1934 und 1937 an drei schwangeren Frauen vorgeworfen, die einen Abgang der Leibesfrucht zur Folge gehabt hätten. Seckendorf gab in der Verhandlung zwei Abtreibungsfälle zu, machte jedoch geltend, dass sein Motiv ausschließlich die Hilfe für die Frauen gewesen sei und nicht etwa der Wunsch, sich zu bereichern. Er versicherte, "dass ihm bezüglich der Abtreibungen der Standpunkt des Staates und der politischen Führung zwar bekannt, in ihm aber aus seiner grundsätzlichen Einstellung heraus der Drang, den Frauen zu helfen, stärker" sei "als die Angst vor Strafe."24 Zum Vorwurf der "Rassenschande" erklärte Seckendorf klar und ange-

22 Das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" trat am 15. September 1935in Kraft. 23 Bereits einen Tag nach der Verhaftung seines Vaters musste der 17-jährige jüngere Sohn Seckendorfs die Schule - er besuchte die "Berechtigte Private Realschule, Nürnberg" - verlassen. In den folgenden Jahren bis Kriegsende versuchte er, seinen Lebensunterhalt durch verschiedene Anstellungen, zunächst bei Bosch in Stuttgart- Feuerbach und danach in mehreren Hotelbetrieben, zu verdienen. Im Dezember 1944 wurde er als Zwangsarbeiter in ein Arbeitslager der Organisation Todt einge- wiesen. Eidesstattliche Erklärungen von B. W. vom 25. Juni 1954 und von einem Jugendfreund Ernst Alfred Seckendorfs vom 4. Juli 1954. BayLEA: EG 31 374, C- Akte. 24 UAE: A1/3a Nr. 946h, Urteilsabschrift, S. 14: "Er stellt jedoch in Abrede, in beiden Fällen gewerbsmäßig gehandelt zu haben. Er habe die Abtreibungen gemacht, weil er in sich den Drang gefühlt habe, den beiden in verzweifelter Lage befindlichen Frauen zu helfen, jedoch nicht wegen des Entgelts. In beiden Fällen habe er deshalb auch die Frauen gefragt, ob sie das Geld entbehren könnten."

177 ERNST ALFRED SECKENDORF

sichts der Umstände überaus mutig, "dass das Blutschutzgesetz für ihn als Kriegsteilnehmer eine persönliche Beleidigung bedeute".25

Abbildung 22: Dr. Ernst Alfred Seckendorf (1892-1943). Privatarchiv Ernst Seckendorf jun.

In dem Schwurgerichtsverfahren am 22. September 1938 wurde Ernst Seckendorf wegen "drei sachlich zusammentreffender Verbrechen der gewerbsmäßigen Abtreibung in Tatmehrheit mit einem Verbrechen der Rassenschande" zu zehn Jahren Zuchthaus, zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf ebenfalls zehn Jahre und zu anschließender Sicherungs- verwahrung verurteilt, wobei die sieben Monate der Untersuchungshaft angerechnet wurden.

25 Ebd.

178 ERNST ALFRED SECKENDORF

Im Januar 1939 informierte die Staatsanwaltschaft Nürnberg den Rek- tor der Universität Erlangen über die Verurteilung Ernst Seckendorfs, woraufhin dieser den Dekan der Medizinischen Fakultät am 13. Februar 1939 um Äußerung zur Frage der Entziehung des Doktortitels bat. Vor dem Hintergrund der hohen Zuchthausstrafe und des Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte sprach sich Dekan Greving wenige Tage danach für die Aberkennung des Doktortitels aus.26Bevor der zuständige Aus- schuss der Universität hierüber tagte, schaltete sich im Sommer desselben Jahres der Regierungspräsident aus Ansbach ein, indem er den Rektor über die Verurteilung Seckendorfs informierte und mit Hinweis auf das "Gesetz über die Führung akademischer Grade" vom 7. Juni desselben Jahres deutlich machte, dass er die Entziehung des Doktortitels für ange- zeigt hielt.27Die Universität, der nach dem Gesetz angesichts des Entzugs der bürgerlichen Ehrenrechte nur noch formal die Entscheidung zustand, ob "sich der Inhaber durch sein späteres Verhalten der Führung eines akademischen Grades unwürdig erwiesen" habe, ließ sich noch mehrere Monate Zeit. Erst in seiner Sitzung vom 1. Dezember 1939 stellte der Ausschuss fest, dass "Ernst Alfred Seckendorf den ihm im Jahre 1920 von der Medizinischen Fakultät der Universität Erlangen verliehenen Doktor- titel [...] verloren hat".28Diese Entscheidung ging nachrichtlich an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, an den Regierungspräsidenten in Ansbach und an den Polizeipräsidenten in Nürnberg. Der Betroffene Ernst Seckendorf wurde nicht informiert. Nach seiner Verurteilung trat Seckendorf seine Strafe am 30. Januar 1939 im Zuchthaus Amberg an. Sein weiteres Schicksal blieb zunächst im Dunkel. Erste Nachforschungen seines Sohnes unmittelbar nach dem Krieg deuteten darauf hin, dass Seckendorf von Amberg direkt in das Auschwitz-Aussenlager Birkenau verbracht worden und dort bereits im

26 Die entsprechenden Briefe und Notizen finden sich in UAE: Al/3a Nr. 946h. 27 Schreiben des Regierungspräsidenten in Ansbach an den Rektor vom 26. Juli 1939. Ebd. 28 Ebd.

179 ERNST ALFRED SECKENDORF

Jahre 1941umgekommen sei. Aus diesem Grunde beantragte sein Sohn im Oktober 1949 die Toterklärung seines Vaters, so dass am 31. Januar 1950 vom Amtsgericht Fürth als Zeitpunkt des Todes von Ernst Seckendorf der 31. Dezember 1941festgestellt wurde.29 In den fünfziger Jahren kamen dann zunächst im Zuge von Entschädi- gungsverfahren und später durch die Auffindung der Privatkorrespon- denz an seinen Sohn weitere Einzelheiten seines Schicksals ans Tages- licht:3o Danach wurde Ernst Seckendorf am 7. Mai 1942 von Amberg aus mit kurzen Zwischenaufenthalten in verschiedenen Lagern im Westen Deutschlands31 in das "verschärfte Straflager" Rawitsch bei Posen über- stellt, wo er am 24. Juli ankam. In einem Brief vom November 1942 sprach er die Befürchtung aus, dass die Aussicht, ins Altreich zurückzukommen, nur sehr gering sei, und diese Befürchtung wurde tragischer Weise schon wenige Wochen später zur Wahrheit: Wie eine Karte Seckendorfs an seinen Sohn aus dem Arbeitslager Birkenau, die am 30. Januar 1943 von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland in Berlin weitergeleitet wurde, erschließen lässt, war er Ende 1942 oder Anfang 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Der Text der Karte ist das letzte Lebenszeichen Ernst Alfreds Seckendorfs; er lautet folgendermaßen:

29 BayLEA: EG 31374, C-Akte, BI. 6. 30 Im Privatarchiv Ernst Seckendorf jun. befindet sich eine Reihe von Privatbriefen aus den verschiedenen Lagern, mit deren Hilfe der Leidensweg Seckendorfs rekon- struiert werden kann. Wir danken Herrn Ernst Seckendorf für seine umfangreiche Unterstützung. 31 Aus der Korrespondenz ergibt sich, dass er zunächst für einige Tage im Lager Eich bei Bad Kreuznach und dann im Lager Dortmund war. Andere Quellen besagen, dass er von Amberg aus in das Straflager Rodgau/Dieburg überstellt worden sei, vg1. Schönfeld (Anm. 4), S. 17, und die Mitteilung der Strafanstalt Amberg an das Bayerische Landesentschädigungsamt vom 24. Mai 1957. BayLEA: EG 31 374, C- Akte, BI. 19.

180 ERNST ALFRED SECKENDORF

"L.[ieber] P.[eter] Vorläufige Mitteilung, dass ich mich seit kurzer Zeit hier befinde. Gesundheitlich, geistig & seelisch immer der gleiche! Brief kann sofort beantwortet

werden. Wann ich wieder schreibe, fraglich. Herzlichst, Ernst. "32

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Abbildung 23: Karte von Dr. Ernst Alfred Seckendorf an seinen Sohn. "Fürth i. B. Hitlerstr. 74". BayLEA: EG 31374, C-Akte.

32 Eine Kopie dieser Karte findet sich als BI. 52 in BayLEA: EG 31 374, C-Akte. Das kursiv wiedergegebene Wort "sofort" ist im Original unterstrichen.

181 ERNSTALFREDSECKENDORF

Laut Todesbescheinigung starb Dr. Ernst Alfred Seckendorf nur wenige Tage später, am 11. Februar 1943, im Lager Auschwitz an einer IIRippen- fellentzünd ung" .33

RW./B.S.

33 Todesbescheinigung des Lagers Auschwitz, vom 19. Februar 1943. Privat archiv Ernst Seckendorf jun. Die Angabe zur Todesursache stammt vom Lagerarzt Dr. Wer- ner Rohde, der 1946 hingerichtet wurde, vgl. Robert Jay Lifton: Ärzte im Dritten Reich. Stuttgart 1988, S. 265. - Das Datum des 11. Februar 1943 ist auch genannt im Gedenkbuch für die Nürnberger Opfer der Schoa, hrsg. von Michael Diefenbacher/ Wiltrud Fischer-Pache. Nürnberg 1998. In den Akten des Landesentschädigungs- amtes findet sich demgegenüber die Aussage eines Mithäftlings, die dieser bereits im Sommer 1945 vor der Betreuungsstelle für rassisch und politisch Verfolgte in Fürth gemacht hatte. Er hatte darin mitgeteilt, dass Ernst Seckendorf als Häftlings- arzt im KZ Gusen-Mauthausen eingesetzt und dass er in den Weihnachtstagen 1944/45 noch am Leben gewesen sei. Möglicherweise ist also die Todesbeschei- nigung aus Auschwitz nicht korrekt, es könnte sich aber bei der Aussage des Mit- häftlings auch um eine Personen verwechslung handeln. Zu der Willkür bei der Feststellung von Todesursachen und Todeszeitpunkten auf den Sterbeurkunden der in den Konzentrationslagern Umgekommenen vgl. Herbert Wagner: Die Gestapo war nicht allein. Münster 2004,S. 523.

182 IRMAKRAUS * 12. Mai 1896,Dr. med. 22. April 1924

Irma Kraus wurde am 12. Mai 1896in Neustadt an der Aisch als eines von acht Kindern des Studienprofessors Salomon Kraus und dessen Frau GIga Krempier geboren. Sie gehörte dem israelitischen Glauben an.1 Nach der Volksschule ging sie auf die Höhere Mädchenschule und besuchte ab 1911 Gymnasialkurse bei der Städtischen Höheren Mädchenschule Findelgasse- Frauentorgraben in Nürnberg, wo sie im Sommer 1917 die Reifeprüfung bestand. Im Herbst des gleichen Jahres nahm Irma Kraus das Studium der Medizin in Erlangen auf und blieb dort bis zur Ärztlichen Vorprüfung im Januar 1920. Im dritten klinischen Semester setzte sie ihr Studium an der Universität Würzburg fort, wo sie auch das Staatsexamen absolvierte. In den Jahren 1923 und 1924 war sie an der Erlanger Universitäts-Frauen- klinik sowie am Städtischen Krankenhaus in Nürnberg tätig.2 Als Dissertationsthema hatte sich Irma Kraus das Gebiet der Kardio- chirurgie gewählt. Am 24. März 1924legte sie ihre mündliche Promotions- prüfung in Erlangen ab, der die Arbeit "Beitrag zur operativen Behand- lung von Verletzungen des Herzens" zugrunde lag, ließ sich noch im gleichen Jahr als praktische Ärztin in Fürth nieder und konzentrierte ihre Tätigkeit vor allem auf Frauen und Kinder. In der ersten Zeit unterhielt sie mit einem ihrer Brüder, der ebenfalls Frauenarzt war, bei unterschiedli- chen Sprechzeiten gemeinsame Behandlungs- und Wartezimmer. Später, als sich seine finanzielle Situation gebessert hatte, bezog dieser eigene Räume. Er starb 1930. Dr. Irma Kraus wohnte in den folgenden Jahren zusammen mit ihrem pensionierten Vater in der Fürther elterlichen Wohnung in der Johannis-

1 Vgl. http://www.ikg-fuerth.de/memorbuc.htm.zuletztaufgerufenam15.Mai2008. Die Mutter starb 1923, der Vater 1937. 2 Die Lebensdaten bis zur Promotion sind der Vita aus der Dissertation entnommen. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3!3 Nr. 1923/24-35.

183 IRMAKRAUS

straße 14 und hatte eine recht gut gehende Praxis. Nach der Machtergrei- fung 1933 ging das Einkommen der Ärztin jedoch in bedeutendem Um- fang zurück. Erschwerend kam hinzu, dass ein anderer Bruder noch un- terstützungsbedürftig war. Von ihren sieben Geschwistern starben bis 1935zwei weitere Brüder.3

Abbildung Nr. 24: Dr. Irma Kraus (1896-1942). Fotoarchiv des Jüdischen Museums Fürth (JMF _ JMF _01875, Fotograf: M. Kolb, Nürnberg, Frauentor).

Am 4. Juli 1935 wurde Dr. Irma Kraus unter dem Verdacht, gewerbsmä- ßige Abtreibung in mehreren Fällen vorgenommen zu haben, festgenom- men und kam in Untersuchungshaft.4 In den Jahren bis zu ihrer Verhaf- tung hatten laut Urteilsabschrift häufig Frauen, die an Regelstörungen litten, die Praxis von Irma Kraus aufgesucht. Die Ärztin hatte die Patien- tinnen daraufhin in manchen Fällen mit inneren Mitteln oder mit Maß-

3 Die Daten nach der Promotion sind der Urteilsabschrift entnommen. UAE: A1/3a N r. 946e, S. 2. 4 Ebd., S. 22.

184 IRMAKRAUS

nahmen, durch die der Gebärmutterhals erweitert bzw. die eventuell vor- handene Frucht ausgestoßen wurde, behandelt,5 Im Prozess hatte sie selbst dazu wohl in der folgenden Weise argumentiert: "Die Angeklagte erklärte sich, wenn die Untersuchung das bestimmte Vorhanden- sein oder die Möglichkeit einer Schwangerschaft ergeben hatte, auf Bitten bereit, durch geeignete Eingriffe und Mittel die Beseitigung der Schwangerschaft herbeizu- führen."6 In der Urteilsbegründung wurde weiter ausgeführt, dass sie sich meist von den Patientinnen unbedingte Verschwiegenheit zusichern ließ und schon zu einem frühen Zeitpunkt das Honorar aushandelte, das nach Auf- fassung des Gerichts "im Verhältnis zu der von ihr entwickelten Tätigkeit als ziemlich hoch bezeichnet werden" müsse.7 Der medizinische Gutachter sah in den von Irma Kraus für die Behandlung verwendeten Mitteln zwar keine Abtreibungsmittel im engeren Sinne, betonte jedoch, dass deren Kombination durchaus geeignet sei, einen Schwangerschaftsabbruch her- beizuführen.8 Irma Kraus verteidigte sich in dem Prozess damit, dass sie die Bitten der Patientinnen an sie, eine Schwangerschaft zu unterbrechen, mehrfach zunächst abgelehnt habe, dass sie ihnen aber dann aus Mitleid geholfen habe. Ferner habe es sich in einigen Fällen um eine eugenische Maßnahme gehandelt, mit der "erbkranker" Nachwuchs verhindert werden sollte.9

5 Die beiden häufigsten Mittel, die Irma Kraus anwendete, waren so genannte Quell- stifte und Aretuspaste. Ihre Wirkungsweise wird in der Urteilsabschrift (ebd., S. 18t) beschrieben: Bei ersteren handelt es sich um Stifte aus einer leicht aufquellbaren Holzart, die sich durch die Aufnahme von Flüssigkeit vergrößern und dadurch den Gebärmutterhals erweitern. Die Aretuspaste ist eine seifenartige Masse, die in den Uterus eingeführt wird und die dort vorhandene Frucht von ihrer Unterlage löst. Bei mehreren Patientinnen nahm Irma Kraus nach der ersten Maßnahme noch eine Ausschabung der Gebärmutter vor. 6 Ebd., S. 3. 7 Ebd., S. 20. 8 Ebd., S. 19. 9 Z.B. ebd., S. 15.

185 IRMAKRAUS

In einern anderen Fall hielt Irma Kraus die Patientin für suizid gefährdet und schließlich bestritt sie auch, gewerbsmäßig gehandelt zu haben.lO Das Gericht schenkte den Argumenten von Irma Kraus keinen Glau- ben, dies gehe "ohne weiteres aus ihrem Gesamtverhalten hervor".11Seine Grundüberzeugung der Gewerbsmäßigkeit stützte es auf die durchweg relativ hohen Honorare, die Irma Kraus verlangt hatte; es hielt ihr aber ihre finanzielle Notlage zugute, die - ohne dass dies näher erklärt wurde- nach der Machtergreifung eingetreten sei. Im Ergebnis wurde dennoch am Vorwurf der Gewerbsmäßigkeit festgehalten.12 Zugunsten der Angeklagten wurde zum einen berücksichtigt, dass sie nicht vorbestraft und dass sie in wesentlichen Punkten geständig war. Zum andern konnte ihre Aussage, dass sie an Multipler Sklerose leide, vorn Gutachter zwar nicht bestätigt werden; er wollte es aber auch nicht ausschließen, woraufhin das Gericht der Ärztin eine etwas geminderte Widerstandsfähigkeit zubilligte.13 Für die Festlegung des Strafmaßes spielten dann jedoch die folgenden Überlegungen die ausschlaggebende Rolle: "Straferschwerend kam in Betracht, dass sich die Angeklagte als akademisch gebil- dete Frau und Ärztin der aus ihrer Handlungsweise entspringenden Gefahr für Leben und Gesundheit der von ihr behandelten Frauenspersonen sowie der Gemein- gefährlichkeit ihrer Handlungsweise für Volkskraft und Gesundheit voll bewusst war, gleichwohl aber sie sich nicht gescheut hat, in einer so grossen Anzahl von Fällen in äusserst skrupelloser Weise die Schwangerschaften zu unterbrechen. Die zuletzt aufgeführten Grunde fielen so schwer ins Gewicht, dass von der Zubilligung mildernder Umstände keine Rede sein kann."14 Insgesamt wurden Irma Kraus zwölf Fälle von Abtreibung zur Last gelegt, die in den Zeitraum von 1931 bis 1935 fielen, wobei die Mehrzahl, wie vorn Gericht betont wurde, nach 1933 stattfand. Verurteilt wurde sie letzt-

10 Ebd., S. 16.und 20. 11 Ebd., S. 20. 12 Ebd., S. 20f. 13 Ebd., S. 21. 14 Ebd.

186 IRMAKRAUS

endlich am 27. November 1935 "wegen eines teils vollendeten, teils ver- suchten Verbrechens der gewerbsmäßigen Abtreibung"15 zu einer Zucht- hausstrafe von sechs Jahren. Die viermonatige Untersuchungshaft wurde ihr aufgrund ihrer Geständigkeit auf die Gesamtstrafe angerechnet. Ferner hatte sie die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da sie nach Auffassung des Gerichts "durch ihr Verhalten eine äusserst ehrlose Gesinnung an den Tag gelegt" habe, wurden ihr zudem die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren aberkannt.16 Am 16. Dezember 1935 erhielt die Erlanger Medizinische Fakultät von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Nürnberg-Fürth die beglaubigte Kopie des Urteils gegen Dr. med. Irma Kraus mit dem kurzen Hinweis darauf zugeschickt, dass die "Verurteilte im Jahre 1924 bei der Universität Erlangen den Doktortitel erworben" habe,17In einem hierauf bezogenen Vermerk hielt der Dekan Friedrich Jamin fest, dass er dieses Urteil am 18. Januar 1936 dem Concilium decanale vorgetragen und dass der Dekan der Juristenfakultät in dieser Sitzung die Auffassung vertreten habe, dass "in diesem Fall der Verlust der Doktorwürde selbsttätig" eintrete. Weitere Schritte würden sich erübrigen.18 Fünf Jahre später, im April 1941, wandte sich der Leiter der Ärztlichen Bezirksvereinigung Erlangen-Fürth mit einem Schreiben an die Medizini- sche Fakultät in Erlangen, um ihr mitzuteilen, dass "die frühere jüdische prakt. Aerztin Dr. Irma Sara Kraus" am 8. August 1941 aus der Strafanstalt Aichach nach Verbüßung ihrer sechsjährigen Zuchthausstrafe "unter An- schliessung von fünf Jahren Ehrverlust" entlassen würde. Da aufgrund dieser Belastung die Voraussetzungen zur Entziehung des Doktortitels

15 Ebd., S. 1. 16 Ebd., S. 22. 17 Mitteilung der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth an die Me- dizinische Fakultät der Universität Erlangen vom 14. Dezember 1935. UAE: Al/3a Nr.946e. 18 Aktenvermerk vom 18. Januar 1936, ebd. Die Universität hatte zu diesem Zeitpunkt offenkundig noch keinen Ausschuss für die Doktorgradentzüge gebildet. Vgl. auch oben die Biographie N. S.

187 IRMAKRAUS

gegeben seien, bat er die Fakultät um Nachprüfung und Einleitung des Verfahrens zur Aberkennung.l9 ObwoW Irma Kraus nach Auffassung des Concilium decanale aus dem Jahre 1936 den Doktortitel eigentlich schon verloren hatte, war jetzt, fünf Jahre später, keiner der entscheidenden Amtsträger der Universität - weder der Rektor noch der Syndikus noch der Dekan - hierüber informiert, so dass der Fall noch einmal im zuständi- gen Ausschuss verhandelt wurde. Dieser stellte dann in seiner Sitzung am 30. Mai 1941 fest, "dass Irma Sara Kraus den ihr am 22. Apri11924 von der Medizinischen Fakultät der Universität Erlangen verliehenen Titel eines Dr. med. gemäß § 33 RSt.G.B. verloren" habe.20 Irma Kraus wurde nach ihrer Entlassung aus Aichach offenbar in das Konzentrationslager Ravensbrück verbracht, wo sie am 6. Juni 1942 unter nicht geklärten Umständen starb. Drei ihrer Geschwister erlitten dasselbe Schicksal: Ihre Schwester Selma und ihr Bruder Felix wurden am 27. No- vember 1941 aus Fürth in das Durchgangslager Riga-Jungfernhof depor- tiert und gelten seitdem als verschollen. Ihre Schwester Hedwig Bendei (geb. Kraus) wurde am 22. März zusammen mit über 260 Fürther Juden in das Konzentrationslager Izbica, südöstlich von Lublin, gebracht und kam sehr wahrscheinlich dort oder in einem anderen Lager ums Leben.21

B.S./A.F.

19 Schreiben des Leiters der Ärztlichen Bezirksvereinigung Nümberg-Fürth an die Me- dizinische Fakultät der Universität Erlangen vom 16. April 1941. Ebd. 20 Vermerk des Rektors vom 4. Juni 1941, der in Abschrift an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, an den Polizeipräsidenten in Nümberg, an den Landrat in NeustadtjAisch und an die Ärztliche Bezirksvereinigung Erlan- gen-Fürth ging. UAE: A1/3a Nr. 946e. 21 Siehe http://www.ikg-fuerth.de/memorbuc.htm.zuletztaufgerufenam15.Mai2008. Zum Ghetto Riga und zum Lager Riga-Jungfemhof vgl. Wolfgang Scheffler: Zur Geschichte der Deportation jüdischer Bürger nach Riga 1941/1942, http://www.- volksbund.de/schon_gelesen/spektrum/riga/deportation.asp, zuletzt aufgerufen am 19. Mai 2008.

188 OTTO GROSSE- WIETFELD * 19. März 1898,Dr. med. 10.März 1930

Am 19. März 1898 wurde Qtto Grosse-Wietfeld in Bottdorf bei Menslage (Hannover) geboren.1 Die Großeltern und Eltern hatten einen wirtschaftli- chen Betrieb mit Bäckerei, Molkerei und Mühle im Dorf Emstek bei Cloppenburg.2 Noch während seiner Gymnasialzeit diente Grosse-Wiet- feld von 1915 bis 1918 als Soldat im Ersten Weltkrieg.3 1920 erreichte er mit dem Abitur am Humanistischen Gymnasium in Dorsten die Allgemei- ne Hochschulreife. Grosse-Wietfeld wählte zunächst das Studium der Zoologie,4 wechselte dann aber zur Humanmedizin und studierte in Königsberg, Münster, Gießen und Breslau. Am 11. Mai 1927 erhielt er seine ärztliche Approbation. Anschließend war er am Anatomischen Insti- tut sowie in der Medizinischen Klinik der Universität Gießen tätig. Später ging er als Volontärarzt ans Pathologische Institut der Charite nach Berlin und erlebte dort u.a. noch Ferdinand Sauerbruch in der Chirurgischen Klinik, bevor er an die Medizinische Universitätsklinik nach Münster in

1 Die meisten Daten des Lebenslaufs konnten durch Archivmaterialien im Besitz der Familie Grosse-Wietfeld sowie in Gesprächen mit Angehörigen gewonnen werden. Ergänzende Angaben bis zur Promotion sind der Vita der Dissertation entnommen. Universitäts archiv Erlangen (UAE):C3/3 Nr. 1929/30-18. 2 Für diesen Hinweis sowie für weitere wichtige Hintergrundinformationen danken wir Herrn Carl Michael Grosse-Wietfeld, dem Sohn von Qtto Grosse-Wietfeld, der ebenfalls die ärztliche Laufbahn eingeschlagen hat und als Anästhesist in Nord- rhein-Westfalen tätig ist, wie auch der gesamten Familie für die Unterstützung. 3 Dies war offensichtlich auch der allgemeinen Kriegsbegeisterung geschuldet: Qtto Grosse-Wietfeld konnte nur dadurch Soldat werden, dass er sich als 17-Jähriger für ein Jahr älter ausgab. Er wurde für den Russlandfeldzug eingesetzt und überlebte diesen; zwei seiner Brüder starben in Frankreich. Schriftliche Mitteilung von Astrid und Carl Michael Grosse-Wietfeld vom 21. Februar 2008. 4 Zu Prof. Becher, dem Königsberger Anatomen, hatte Grosse-Wietfeld nicht nur fach- lichen, sondern auch einen engeren freundschaftlichen Kontakt. Dieser riet wohl auch zum Wechsel von der Zoologie zur Humanmedizin. Ebd.

189 OTTO GROS SE- WIETFELD

Westfalen wechselte. Im Anschluss hatte Qtto Grosse-Wietfeld eine Assis- tentenstelle an der Chirurgischen Klinik in Dortmund inne. Ab 1. April 1929 arbeitete er als Assistent am Pathologischen Institut der Universität Erlangen. Er promovierte am 10. März 1930 in Erlangen mit einer Dissertation zum Thema" Über lymphoepitheliale Geschwülste. Mit zwei neuen Fällen".

Abbildung Nr. 25: Dr. Otto Grosse-Wietfeld als Kavallerist. Aus: Nachrichten aus dem H. Korps, Berlin [Juli] 1943. Aufnahme: R. Zillmer

Eine Bescheinigung des Direktors des Pathologischen Instituts der Univer- sität Erlangen, Prof. Eugen Kirch, vom Juni 1933 bestätigte Grosse- Wietfeld eine bezahlte Assistentenstelle über den Zeitraum von einem Jahr und das Ausscheiden mit Blick auf eine weitere Ausbildung in der

190 Orro GROSSE- WIETFELD

Gynäkologie und Geburtshilfe. Dr. Grosse-Wietfeld plante zum Ende der Weimarer Republik eine wissenschaftliche Karriere an der Universität Erlangen, in den 1930er Jahren geriet er jedoch mit den Nationalsozialisten in Konflikt. Dies war offensichtlich der Grund für die Änderung der Pläne und den Weggang aus Franken. In einem Schreiben aus dem Jahr 1947 äußerte sich Otto Grosse-Wietfeld in folgender Weise: "Die Universitäts- laufbahn habe ich damals aufgeben müssen, weil ich mich bei der N.S.D.A.P. unbeliebt gemacht hatte."s Nach mehreren Ausbildungsphasen und mit einem breiten Erfah- rungsschatz ließ sich Dr. med. Grosse-Wietfeld letztlich als Arzt in Rheine in Westfalen nieder. In seiner frauenärztlichen Praxis muss es neben einem breiten Spektrum an gynäkologischen Therapien und medizini- schen Hilfen von Patientinnen auch gelegentlich den Wunsch nach Been- digung einer Schwangerschaft gegeben haben. Der breit gebildete und als "sehr gutmütig" charakterisierte Arzt ließ sich offenbar in schwierigen sozialen Notlagen - hierbei geht es um sehr wenige fragliche Fälle - zu einem Eingriff überreden. Laut Berichten aus der Familie hätten ihn "manche Frauen angefleht", dem habe er sich nicht entziehen können oder wollen.6 Die Beurteilung dieser ärztlichen Vorgehensweise hatte sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 deutlich verschärft: Dr. Grosse-Wietfeld wurde in der Zeit des "Dritten Reichs" wegen Einzel- fällen von Schwangerschaftsabbrüchen juristisch verfolgt und angeklagt. Mit Urteil des Schwurgerichtes Münster vom 22. Oktober 1938 und Beschluss des Reichsgerichts vom 27. Februar 1939 wurde er schließlich wegen durchgeführter Schwangerschaftsabbrüche in zwei Fällen und ver-

5 Schreiben von Otto Grosse-Wietfeld vom 22. August 1947, freundlicher Weise zur Verfügung gestellt aus dem Privatarchiv earl Michael Grosse-Wietfeld. Ein Schrei- ben des Notars und Rechtsanwalts J. S., ebenfalls vom 22. August 1947, erwähnt, dass Grosse-Wietfeld "in Erlangen mit Parteigrössen Zusammenstösse gehabt" habe. Ebd. 6 Mündliche Aussagen des Sohnes aus Berichten der Ehefrau von Otto Grosse-Wiet- feld.

191 OTTO GROSSE- WIETFELD

suchter Abtreibung in einem Fall von nationalsozialistischen Richtern zu zwei Jahren Gefängnis verurteilU Auf die Strafe wurde die erlittene Un- tersuchungshaft angerechnet. Wirtschaftliche Gründe spielten in diesem Kontext offensichtlich keine Rolle, dies wird auch in den Prozessunterla- gen ausdrücklich verneint. Wahrscheinlich ist eine Denunziation, mögli- cherweise aus dem Krankenhaus Hörstel. In der Folge erklärte ihn das Ärztliche Bezirksgericht Westfalen-Lippe laut Urteil vom 17. Juli 1940 auch noch für "unwürdig", den ärztlichen Beruf auszuüben.8 Die Universität Erlangen wurde in der Folge über diese Vorgänge in- formiert und leitete ihrerseits das Verfahren in der Frage eines möglichen Entzugs von Grosse-Wietfelds Doktortitel ein. In diesem Zusammenhang tagte der zuständige Ausschuss der Universität in einer Sitzung am 30. Mai 1941.Dr. Qtto Grosse-Wietfeld soll dabei formal zwar Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden sein, jedoch ist darüber nichts Näheres be- kannt. Er wohnte damals in Rheine LW. Der Ausschuss der Universität beschloss letztlich eine Aberkennung des Doktorgrads.9 Aus einem Schreiben der Rechtsanwälte Qtto Grosse-Wietfelds, Dr. jur. B. und J. 5., vom 28. Juni 1941 an die Universität Erlangen geht hervor, dass der Betroffene aber in der Folge von seinem Beschwerderecht gegen die Entziehung Gebrauch gemacht hat.10 Der Einspruch musste innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Bescheids an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in Berlin sowie an das Rekto- rat der Universität gerichtet werden.H Als Begründung für die Beschwer-

7 Laut Angaben der Mutter - berichtet durch earl Michael Grosse-Wietfeld - habe Qtto Grosse-Wietfeld während des gesamten Gerichtsverfahrens keine Aussagen machen wollen. 8 Siehe Bescheid des Rektors der Universität Erlangen mit Unterschrift des Prorektors Herrigel vom 4. Juni 1941.UAE: A1/3a, Nr. 946c. 9 Ebd. 10 Schreiben der Rechtsanwälte des Angeklagten, J. S. und Dr. B., an den Rektor der Universität Erlangen vom 28. Juni 1941.UAE: Al/3a Nr. 946c. 11 Bescheid des Rektors der Universität Erlangen mit Unterschrift von Herrigel vom 4. Juni 1941.UAE: Al/3a, Nr. 946c,Abschnitt "Beschwerdebelehrung".

192 Orro GROSSE-WIETFELD

de wird von den Anwälten in dem Schreiben auf das noch laufende Ver- fahren und die ausstehende Bewertung durch den Deutschen Ärztege- richtshof in München hingewiesen:

"Gegen das genannte Urteil des ärztlichen Bezirksgerichts ist Berufung eingelegt beim Deutschen Ärztegerichtshof in München. [...] Das Verfahren ist noch nicht erledigt. Der Beschuldigte bestreitet nach wie vor die ihm zur Last gelegten Ver- gehen. Durch Benennung mehrerer Zeugen, insbesondere zweier Assistenzärzte, ist für die Richtigkeit der Einlassung des Beklagten Beweis angetreten. Der Deutsche Ärztegerichtshof hat inzwischen die gerichtliche Vernehmung dieser Zeugen beschlossen. "12 Außerdem wurde in der Argumentation der Anwälte noch der folgende Passus angeführt: "Es würde für die Berufsausübung des Beschuldigten untragbar sein, wenn in dem berufsgerichtlichen Verfahren zu seinen Gunsten entschieden wird und er trotzdem nicht in der Lage ist, den Doktortitel zu führen. Abgesehen hiervon ist mit der Möglichkeit einer baldigen Einziehung des Beschuldigten zum Zwecke der militär- ärztlichen Verwendung zu rechnen; auch bei dieser Berufsausübung würde dem Be- schuldigten die Entziehung des Doktortitels vor Erledigung des berufsgerichtlichen Verfahrens außerordentlich hinderlich sein. Wir bitten deshalb um Entscheidung dahin, dass dem Beschuldigten der Doktortitel vorerst belassen bleibt."13 Der Rektor der Universität Erlangen leitete das Schreiben weiter an Dekan Greving von der Medizinischen Fakultät "zur gefl.[issentlichen] Einsicht- nahme und etwaigen weiteren Äußerung".14 In dessen Antwortmitteilung hieß es dann: "Ich empfehle[,] sich an den Deutschen Ärztegerichtshof in München zu wenden, um von dort nach Abschluss des Verfahrens eine nähere Mitteilung zu erhalten."15

12 Schreiben der Rechtsanwälte des Angeklagten, J. S. und Dr. B., an den Rektor der Universität Erlangen vom 28.Juni 1941.UAE: A1/3a Nr. 946c. 13 Ebd. 14 Schreiben des Rektors der Universität Erlangen mit Unterschrift Herrigel vom 7. Juli 1941an den Dekan der Medizinischen Fakultät. Ebd. 15 Schreiben des Dekans Greving vom 8. Juli 1941.Ebd.

193 QTTO GROSSE- WIETFELD

In einem Schreiben des Rektors vom 9. Juli 1941 an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus in München wurde überdies bemerkt:

"M.E. rechtfertigen die dem Grosse-Wietfeld vorgeworfenen Straftaten den Be- schluss vom 30. Mai 1941. Eine andere Frage ist, ob man nicht etwa bei einem für Grosse-Wietfeld günstigen Ausgang des vor dem Deutschen Ärztegerichtshof in München schwebenden Verfahrens aus Billigkeitsgründen eine mildere Beurteilung obwalten lässt."16 Über den Ausgang des Verfahrens befinden sich in der Akte keine weite- ren Informationen. Das Leben von Dr. Grosse-Wietfeld entwickelte sich aber in der Zwischenzeit unter sehr schwierigen Bedingungen: Zunächst wurde er von den Nationalsozialisten zu Arbeitsrnaßnahmen in der Re- gion herangezogen und dann im weiteren Verlauf des Krieges sogar an die Ostfront abkommandiert. Dort hat er in Worronesch (Russland) Mili- tärdienst geleistet und auch den Kampf um Stalingrad erlebt, konnte aber gerade noch rechtzeitig vor der drohenden Gefangennahme ausgeflogen werden,17 Den Hauptteil des Heimwegs musste Grosse-Wietfeld zu Fuß zurücklegen. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war er in einem Laza- rett bei Münster ärztlich tätig. Dort geriet er noch in englische Kriegsge- fangenschaft und war dann in Südengland (Grafschaft Kent) als Lagerarzt tätig; außerdem machte man sich die medizinischen Kenntnisse von Dr. Grosse-Wietfeld auf einer weiteren Ebene zunutze: Er unterrichtete das Fachgebiet Frauenheilkunde sogar an einer "medizinischen Akademie" für Kriegsgefangene in Cheptow.18 Im Sommer 1947 wandte sich Grosse-Wietfeld an die Entnazifizie- rungsbehörde des zuständigen Kreises. Da er den Antrag gestellt habe,

16 Schreiben des Rektors der Universität Erlangen vom 9. Juli 1941 an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus in München. Ebd. 17 Diese Hinweise verdanken wir den Angaben der Familien Grosse-Wietfeld in Rheurdt und Rheine (Westfalen). 18 Die biographischen Daten für die Phase der 1940er und 50er Jahre beruhen auf schriftlichen Mitteilungen von Astrid und earl Michael Grosse-Wietfeld vom 21. Februar 2008.

194 OITa GRaSSE-WIETFELD

"im Schloss Bentlage eine Entbindungsanstalt zu errichten", sei er von der Stadt Rheine" aufgefordert worden, die "politische Überprüfung be- schleunigt durchzuführen."19 Für den Fragebogen des Military Govern- ment of Germany" 1946 nannte Grosse-Wietfeld als einzige problema- tische Mitgliedschaft seine Zeit in der "Allgemeinen SS" (1934-1938); dies sei aber nicht aus Überzeugung gewesen, sondern habe sich aus der ärztli- chen Tätigkeit entwickelt. Neben Erklärungen seiner Rechtsanwälte mit Verweis auf eine Reihe von Bürgen für die tadellose persönliche Haltung des Arztes war u.a. auch eine Bescheinigung des Oberkreisdirektors Dr. Wientgen beigefügt. Dieser erinnerte sich, dass Grosse-Wietfeld im Zeit- raum 1939-41 sogar in der Gefahr stand, aus politischen Gründen in ein Konzentrationslager gebracht zu werden.20 Mit Datum vom 19. August 1949 wurde Grosse-Wietfeld durch den "Entnazifizierungs-Berufungsausschuss" bei der Regierung Münster in die "Kategorie V" der Unbelasteten eingeteilt. Am 8. November 1952 heiratete Otto Grosse-Wietfeld Ursula, geb. Preuss, die ebenfalls promovierte Ärztin war.21 Die Familie hatte aber nicht nur eine besondere Nähe zur Medizin, sondern der Bruder von Otto, Franz Grosse-Wietfeld,22erlangte als Theologe und Jurist besondere Be-

19 Schreiben von atto Grosse-Wietfeld an die "deutsche Entnazifizierungskammer des Kreises Steinfurt" vom 22. August 1947. Privatarchiv Carl Michael Grosse-Wietfeld. 20 Bescheinigung Dr. W. vom 28. Juni 1946. Ebd. 21 Der Cousin von Dr. Ursula Preuss war als Leiter eines Hygiene-Instituts in Wupper- tal erfolgreich bei der Erforschung von Diagnostika, so etwa für Vaterschaftsfragen oder auch den Nachweis von Syphilis-Erkrankungen. Er entwickelte dabei u.a. ein unter seinem Namen als "Preuss-Nährlösung" bekannt gewordenes Mittel zur Dia- gnostik des Syphilis-Erregers für Treponema pallidum. Ebd. 22 Franz Grosse-Wietfeld (1893-1958) promovierte 1932 in Münster mit der historischen Studie "Justizreformen im Kirchenstaat in den ersten Jahren der Restauration (1814- 1816): Ein Beitrag zur Geschichte der kurialen Gerichtsbehcirden und der Ent- wicklung des kanonischen Prozessrechts". Kath.-theol. Diss. Im Buchhandel erschien diese Arbeit in der Reihe "Verciffentlichungen der Sektion für Rechts- und Staats- wissenschaften" der Gcirresgesellschaft in Paderbom.

195 OTTO GROSSE- WIETFELD

deutung.23 Er galt sogar als Freund des wichtigen NS-kritischen Kardinals Clemens Graf von Galen. Dieser spielte insbesondere im Widerstand ge- gen die "Euthanasie"-Politik Hitlers eine prominente Rolle: seine Münste- raner Predigt im Sommer 1941 führte zu einem - zumindest ,offiziellen' - Stopp der Tötungsprogramme.24 Die Nähe der Familie Grosse-Wietfeld zu einem der bekanntesten Kritiker des NS-Staates war möglicherweise mit direkten negativen Auswirkungen verbunden, da der NS-Staat das Um- feld Galens sehr genau überwachte und auf allen Ebenen Druck ausübte. Die Represssalien der NS-Zeit sollte Otto Grosse-Wietfeld in jedem Fall auch noch längere Zeit später zu spüren bekommen: Die Haltung der Erlanger Universitätsleitung ist dabei sehr interessant, wie im Folgenden zu sehen sein wird. Am 8. Juli 1960 traf bei der Universität ein Schreiben von Dr. Grosse-Wietfeld ein: "Ich bitte um eine Zweitschrift meiner Promotionsurkunde und meiner Facharztan- erkennung, und wäre Ihnen sehr dankbar, wenn sie mir dieselben baldmöglichst zuschicken würden. [...] Die Originale sind durch Kriegseinwirkung verlorenge- gangen und ich gebrauche [sic] Zweitschriften als Unterlage bei der hiesigen Ärzte- kammer zur Aufstellung eines neuen Arztregisters."25

23 Er wurde nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland zunächst Mitglied des Jesuiten- ordens, studierte dort Theologie wie auch Jura und promovierte in beiden Fächern. Später ging er als Kirchenjurist nach Rom, arbeitete als Dozent für Kirchenrecht und wurde Anwalt der Rota romana. Siehe auch Willi Baumann/Peter Sieve (unter Mit- arbeit von Eva-Maria Ameskamp/Clemens Heitmann/Michael Hirschfeld/Karl Josef Lesch): Der katholische Klerus im Oldenburger Land. Ein Handbuch. Münster 2006. 24 Siehe Joachim Kuropka (Hrsg.): Streitfall Galen. Clemens August Graf von Galen und der Nationalsozialismus. Studien und Dokumente. 2. Auflage. Münster 2007, sowie Andreas Frewer/Clemens Eickhoff (Hrsg.): "Euthanasie" und die aktuelle Sterbehilfe-Debatte. Die historischen Hintergründe medizinischer Ethik. Frankfurt am Main, New York 2000. 25 Schreiben von Otto Grosse-Wietfeld an das Sekretariat der Universität Erlangen- Nürnberg vom 8. Juli 1960.UAE: Al/3a Nr. 946c.

196 OITO GROSSE-WIETFELD

Im Antwortschreiben des Dekans der Medizinischen Fakultät vom 22. Juli 1960 hieß es in klarer Beibehaltung der während des NS-Regimes getroffe- nen Entscheidungen:

"Auf ihre Anfrage vorn 8. Juli 1960 hin teile ich Ihnen mit, dass auf Grund eines Bescheides des Rektors der Universität Erlangen vorn 4. Juli 1941, der auch den Rechtsanwälten S[... ] und Dr. B[...] in Rheine zugeschickt wurde, Ihnen vom Concilium decanale der Universität Erlangen der am 10. 3. 1930 bei der Medizini- schen Fakultät der Universität Erlangen erworbene Dr.-Titel entzogen wurde. Über eine Wiederverleihung ist hier nichts bekannt. Ich bitte Sie deshalb um Stellung- nahme, mit welchem Recht Sie einen Dr.-Titel führen."26 Mit dem Antwortschreiben vom 27. Juli 1960 wandte sich Otto Grosse- Wietfeld erneut an die Universität, in der Hoffnung, den fraglichen Sach- verhalt klären zu können: "Auf Ihren Brief vorn 22. 7. 60 möchte ich Ihnen mitteilen, dass mit Erlass des Reichsministers der Justiz vom 2. August 1943 die Tilgung des Strafvermerks über mich im Strafregister angeordnet worden und das Urteil des Schwurgerichts Mün- ster vorn Oberbefehlshaber aufgehoben worden ist. Ich war der Meinung, dass dem Concilium decanale der Universität Erlangen von dieser Tatsache Mitteilung gemacht worden ist, zumal ich am Ende des Krieges als Oberarzt Dr. med. aus der Wehrmacht entlassen worden bin." 27 Für die weitere Vorgehensweise machte OUo Grosse- Wietfeld folgenden Vorschlag: "Ich möchte im Laufe des September in Erlangen bei Ihnen vorsprechen um ihnen die Originale der Unterlagen vorzulegen, die ich, da sie ja für mich von außerordent- licher Wichtigkeit sind, nicht gerne aus der Hand geben möchte. Eine Abschrift des Erlasses vom 2. August 1943 füge ich bei.

26 Schreiben von Ludwig Heim, Dekan der Medizinischen Fakultät, an Otto Grosse- Wietfeld vom 22. Juli 1960. Ebd. 27 Eine besondere Rolle für die Gesamteinschätzung spielte wohl auch ein medizini- scher Gutachter, der vorn Ärztegerichtshof eingesetzt wurde und den Sachverhalt im Sinne der Position von Otto Grosse-Wietfeld kritisch hinterfragte. Ein derartiger Sachverständiger war Dr. Grosse-Wietfeld - bezeichnender Weise - im staatlichen Prozess der NS-Zeit nicht gestattet worden. Siehe die Angaben in mehreren Schreiben der Rechtsanwälte des Angeklagten, J. S. und Dr. B.

197 DITO GROS SE- WIETFELD

Sollte Ihnen der September als Zeitpunkt für eine persönliche Vorsprache nicht genehm sein, bitte ich, mir darüber persönlich Nachricht zukommen zu lassen. Mit kollegialen Grüßen, Grosse-Wietfeld. "28 Mit diesem Brief schließt die Akte von Dr. Otto Grosse-Wietfeld an der Universität Erlangen-Nümberg. Über das weitere Vorgehen der Hoch- schule oder ein eingeleitetes Entschädigungs- bzw. Rehabilitationsverfah- ren in der Bundesrepublik Deutschland ist nichts bekannt.29 Grosse-Wietfeld praktizierte noch lange Jahre in Rheine in Westfalen. Er hatte die dramatischen Ereignisse und die politischen Schwierigkeiten der 1930er und 40er Jahre mit allen Untiefen der Nazi- und Kriegszeit überlebt und in seiner ärztlichen Tätigkeit noch eine längere fruchtbare Zeit: Er arbeitete wieder erfolgreich als niedergelassener Frauenarzt und führte offensichtlich auch den Doktortitel konstant weiter; eine offizielle Rehabilitation durch die Universität Erlangen erfolgte jedoch - soweit die Akten dies belegen können - nicht. Nach einem vielfältigen medizinischen und einem facettenreichen persönlichen Lebensweg erkrankte Otto Grosse-Wietfeld mit 70 Jahren an einer Chronischen Leukämie. Er starb nach langem Krankheitsverlauf am 16. April 1980 im Alter von 82 Jahren in seiner Heimatstadt Rheine - ziemlich genau fünfzig Jahre nach seiner Promotion in Erlangen. Begraben liegt Dr. Otto Grosse-Wietfeld zusam- men mit seinen Geschwistern in Emstek bei Cloppenburg.30

A.F./B.S.

28 Schreiben von Dr. Qtto Grosse-Wietfeld an den Dekan der Medizinischen Fakultät vom 27. Juli 1960.UAE: Al/3a Nr. 946c. 29 Eine diesbezügliche Anfrage an die Bundeszentralkartei zu Entschädigungsverfah- ren erbrachte keinen Eintrag. Auch in der Familie ist hierüber nichts bekannt. 30 Schriftliche Mitteilung von Astrid und earl Michael Grosse-Wietfeld vom 21. Febru- ar 2008.

198 O.K. * 1898,Dr. med. dent. 1922

O. K. kam am 1. Juni 1898im miUelfränkischen Landkreis Erlangen-Höch- stadt, als Sohn eines Forstverwalters zur Welt. Er besuchte die Volksschule in der Oberpfalz und kam anschließend auf das Humanistische Alte Gymnasium in Regensburg. In der Zeit vom 10. Dezember 1916 bis zum 1. April 1919 diente er im Heer. Nach der erfolgreich absolvierten Reifeprüfung begann er das Studium der Zahnheilkunde in München, wo er nach vier Semestern die Zahnärztliche Vorprüfung ablegte. Danach setzte er das Studium in Erlangen fort und bestand dort 1921 die Zahn- ärztliche Prüfung. Kurze Zeit später erhielt er seine Approbation.1 1922 wurde O. K. in Erlangen zum Dr. med. dent. promoviert. Über seinen weiteren Lebensweg ist nichts bekannt. Aus dem Promotionsbuch der Medizinischen Fakultät geht jedoch hervor, dass ihm im Jahre 1936 der Doktortitel entzogen wurde.2 Da zu diesem Vorgang keine Akten im Universitätsarchiv erhalten sind, liegen die Gründe hierfür im Dunkeln. Auch über das weitere Schicksal des Zahnarztes ist nichts bekannt.

B.S./R.W.

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE):C3/3 Nr. 1921/22-58. 2 UAE: Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1900/01-1924/25.

199

L.D. * 1918,Dr. med. 1943

1. U. kam am 23. Januar 1918 in der Nähe von Amberg als Sohn eines Postbeamten zur WelU Er besuchte die Volksschule in Amberg und wech- selte danach in die Oberrealschule, die er im Frühjahr 1937 mit dem Abi- tur abschloss. Nach einem halben Jahr Reichsarbeitsdienst, der sich an die Schulzeit anschloss, begann er zum Wintersemester 1937 sein Medizinstu- dium in München, musste jedoch im Frühjahr 1940 zum Militär. Nach neunmonatigem Einsatz an der Front konnte er im November 1941 sein Studium fortsetzen und kam zu diesem Zweck an die Erlanger Universi- tät. Hier absolvierte er 1943 sein Staatsexamen und wurde im gleichen Jahr zum Dr. med. promoviert. Nur wenige Monate später, am 7. Dezember 1943,wurde U. durch ein "Feldurteil des Gerichts der Division Nr. 413" wegen Abtreibung in einem Fall zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt und verlor die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren. Ferner wurde auf "Verlust der Wehrwürdigkeit" erkannt. Zugleich wurde ihm die Approbation entzogen und die Bestallungsurkunde eingezogen.2 Der Aberkennung der bürgerli- chen Ehrenrechte folgte noch im gleichen Jahr die Aberkennung des Dok- tortitels durch den zuständigen Ausschuss der Universität Erlangen auf seiner Sitzung am 20. Dezember 1944.3Anfang Januar 1945informierte der

1 Universitätsbibliothek Erlangen (UBE):U 43.1777. 2 Schreiben des Regierungspräsidenten vom 20. September 1944 an L. U., der seit An- fang Juni seine Strafe im Zuchthaus von Amberg verbüßte. Universitätsarchiv Erlan- gen (UAE): Al/3a Nr. 946h. Abschriften der Prozessakten oder des Urteils liegen im Universitätsarchiv nicht vor. 3 Schreiben des Rektors Eugen Herrigel vom 22. Dezember 1944mit jeweils einem Ab- druck an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, den Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus, den Dekan der Medizinischen Fakultät, die Rektoren der deutschen Universitäten, den Regierungspräsidenten in Regensburg sowie den Oberbürgermeister der Stadt Amberg. Ebd.

201 L.U.

Rektor den Direktor des Zuchthauses Amberg über den Titelentzug und bat ihn, L. U. diese Entscheidung mitzuteilen. U. war zu diesem Zeitpunkt im Spital der Strafanstalt zu ärztlichen Hilfsdiensten eingesetzt und arbei- tete offensichtlich "zu vollster Zufriedenheit."4 Am 17. Juli 1945, also nur wenige Wochen nach Ende des Zweiten Weltkriegs, wandte sich U. aus dem Strafgefängnis Amberg mit folgen- dem Schreiben an den Rektor der Erlanger Universität: "Ich habe [... ) 1943 an der Universität Erlangen das Doktorexamen abgelegt und das Doktordiplom dort erhalten. Auf Grund einer Zuchthausstrafe wurde mir laut Beschluss des damaligen Rektors od. dessen Stellvertreters die Führung des Dr.- Titels verboten. Ich erwähne, dass diese Einführung seit 1933 unter dem Naziregime bestanden hat. In der Annahme, dass die Universität nun von diesen niederen Elementen gesäubert ist, ersuche ich den damaligen Beschluss der Aberkennung des Dr.-Grades aufzuheben, u. mir die Führung des Dr. med. zuzuerkennen."5 In der Antwort der Universitätsleitung verwahrte sich diese zunächst ge- gen die unangemessene Wortwahl, mit der U. die Amtsträger in seinem Brief bedacht hatte, und lehnte die Wiederverleihung des Doktortitels auf- grund der Verurteilung wegen eines "unpolitischen Verbrechens" ab:

"Von ,niederen Elementen' im Zusammenhang mit dem Rektor der Universität zu sprechen, müssen wir als ganz ungehörig zurückweisen. Wir wollen der Kürze halber nur darauf verweisen, dass der zur Zeit der Aberkennung ihres Doktortitels amtierende Rektor von der Militärregierung in seinem Amt als Prorektor bestätigt ist. Ihr Anwurf entbehrt auch deswegen jeder Begründung, weil ihnen der Doktor- titel nicht etwa aus politischen Gründen aberkannt ist - was uns selbstverständlich zu einer Revision Veranlassung geben würde -, sondern wegen eines unpolitischen Verbrechens über sie verhängt war. Solange diese Strafe nicht förmlich aufgehoben ist, kann daher eine erneute Zuerkennung des Doktortitels nicht in Frage kommen."6

4 Schreiben des evangelischen Anstaltsgeistlichen des Strafgefängnisses Amberg an den Rektor vom 30. April 1946. Ebd. 5 Schreiben von L. U. an den Rektor der Universität Erlangen vom 17. Juli 1945. Ebd. 6 Schreiben der Universität an L. U. vom 27. Juli 1945, unterschrieben in Vertretung von (Friedrich) Lent, einem der Mitglieder des so genannten Zehnerausschusses,

202 L.U.

Nachdem der Antrag auf Wiederverleihung des Doktortitels von 1945 damit bis auf weiteres zurückgewiesen worden war, wandte sich der Anstaltsgeistliche des Strafgefängnisses im Frühjahr 1946 an den Rektor mit der Bitte, L. U., der am 11. Juni 1946entlassen werden sollte, die Füh- rung des Doktortitels erneut zu erlauben? Und nur wenige Tage später richtete auch der Vater von U. ein Schreiben an den Rektor der Universität mit derselben Bitte:

"Da nun die Gesetze, die nach 1933 geschaffen wurden, keine Gültigkeit mehr haben und sich mein Sohn im Sinne der heutigen Rechtsauffassung des § 218 durch das Vorgehen Ihres Herrn Vorgängers zu hart betroffen fühlt, bitte ich den hochver- ehrten Herrn Rektor die Angelegenheit nochmals überprüfen zu wollen und mei- nem Sohn die Führung des Grades eines Dr. med. ab 11. Juni 46 wieder zu erteilen. Mein Sohn war nicht Mitglied der NSDAP und des NS-Reichsärztebundes."8 Die Antwort der Universität erfolgte am 27. Mai und wurde wiederum von Friedrich Lent unterzeichnet: "Die Entziehung des Doktortitels ist nicht durch die Universität erfolgt, sondern trat als notwendige Folge des gerichtlichen Urteils wegen Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte ein. Diese Bestimmung des Reichsstrafgesetzbuches ist bisher nicht be- seitigt. Die Verurteilung Ihres Sohnes ist bisher nicht aufgehoben, die gnadenweise Entlassung aus der Strafhaft beweist umgekehrt, dass das Urteil an sich noch zu Recht besteht. Die Universität ist daher noch nicht in der Lage, den Doktortitel wieder zu verleihen oder sich auf den Standpunkt zu stellen, Ihr Sohn sei nunmehr befugt ihn wieder zu führen. Wir stellen Ihnen anheim sich an das Justizministerium zu wenden mit der Frage, ob eine Wiederaufnahme des Verfahrens statthaft erscheint, oder ob sonst das Urteil beseitigt werden kann, wenn man es als nationalsozialistisches Fehlurteil betrachten kann. Es ist ja möglich, dass die über Ihren Sohn verhängte Strafe nach heutiger Rechtsauffassung zu hart erscheint."9

dem der Rektor des letzten Kriegssemesters, Eugen Herrigel, jetzt als "Prorektor" anderer Art zur Seite stand. Ebd. - Zu diesem Ausschuss vgl. oben S. 166, Anm. 4. 7 Ebd. 8 Brief des Vaters vom 5. Mai 1946 an den Rektor. Ebd. 9 Schreiben von Friedrich Lent an den Vater von L. U. vom 27. Mai 1946. Ebd.

203 L.U.

Wie angekündigt, wurde U. am 11.Juni 1946 "auf dem Gnadenwege" aus der Haft entlassen. Zweieinhalb Jahre später wandte er sich erneut selbst an die Erlanger Universität. Er teilte dem Syndikus mit, dass ihm zum 7. Dezember 1948 die bürgerlichen Ehrenrechte wieder zuerkannt werden würden, und fragte an, ob die Universität gewillt sei, ihm daraufhin die Doktorwürde erneut zu verleihen oder ob die Berechtigung zur Führung des Titels von selbst wieder gegeben sei.lO Da die Universität nicht reagier- te, hakte er im Dezember desselben Jahres noch zwei Mal nach.ll Die Uni- versität teilte ihm daraufhin mit, dass sie einen Senatsausschuss bilden wolle, der sich mit der Sache befassen solleP Fünf Monate später, am 13. Mai 1949,wurde ihm dann das Ergebnis der letzten Sitzung des Conci- lium decanale mitgeteilt: "Das Concilium decanale der Universität Erlangen [... ] hat sich in der Sitzung vom 10. 5. 1949 mit Ihrem Antrag befasst. Ein Beschluss konnte indessen noch nicht herbeigeführt werden, da über die Tat, die zu dem Feldgerichtsurteil vom 7.12.1943 führte, hier nichts bekannt ist. Es wird ihnen anheimgegeben, eine Abschrift dieses Urteils und gegebenenfalls einen Bericht über die näheren Zusammenhänge Ihrer Tat vom Jahre 1943 hier vorzulegen, worauf sich das Concilium decanale erneut mit dem Fall befassen wird."13 Mit diesem Schreiben endet die Akte von L. U. im Universitätsarchiv. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

B.S./R.W.

10 Brief von L. U. an den Syndikus vom 5. November 1948. Ebd. 11 Die Briefe sind vom 7. Dezember 1948, dem Tag der Wiederverleihung der bürgerli- chen Ehrenrechte, und vom 20. Dezember 1948. Ebd. 12 Schreiben des Rektors Friedrich Baumgärtel vom 23. Dezember 1948. Ebd. 13 Schreiben des Rektors Friedrich Baumgärtel vom 13. Mai 1949. Ebd.

204 4.3 VERFAHREN OHNE ABERKENNUNG

N.M. * ca. 1868, Dr. med. 1891

N. M. wurde im Jahre 1868 oder 1869 geboren, stammte aus Breslau und war jüdischen Glaubens,1 1891 erwarb er an der Universität Erlangen seinen medizinischen Doktorgrad und erhielt im darauf folgenden Jahr in München seine Approbation als Arzt. Sein letzter bekannter Wohnsitz war in Berlin-Weißensee, danach hielt er sich an unbekanntem Ort im Ausland auf.2 Die Universität Erlangen wurde im Herbst des Jahres 1937 durch den Polizeipräsidenten von Berlin darüber unterrichtet, dass N. M. "durch Urteil der 14. Großen Strafkammer des Landgerichtes Berlin [... ] zu 6 Monaten Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden" war. Mit dieser Verurteilung war nicht nur die Zurücknahme der Bestallung als Arzt verbunden, sondern der Universität oblag es, ein" Verfahren wegen Entziehung der im Jahre 1891 in Erlangen erworbenen Doktorwürde" ein- zuleiten.3

1 Schreiben des Dekans der Erlanger Medizinischen Fakultät an den Rektor vorn 26. März 1938 mit dem Betreff: "Entziehung des Doktortitels". Universitätsarchiv Erlan- gen (UAE): A1/3a Nr. 946e. 2 Schreiben des Polizeipräsidenten in Berlin an N. M. vorn 11. Oktober 1937. Ebd. - Möglicherweise war er nach Barranquilla in Kolumbien an der karibischen Küste emigriert. 3 Dieses Schreiben ist in den Akten des Universitätsarchivs nicht erhalten; sein Inhalt lässt sich aber aus dem Schreiben des Syndikus der Universität Erlangen an das Landgericht Berlin vorn 14. Dezember 1937erschließen, in dem er zur Durchführung des Verfahrens um kurzfristige Überlassung der Strafakten bittet (ebd.). - Bemer- kenswert an diesem Fall ist die Tatsache, dass M., obwohl er zum Zeitpunkt seiner Verurteilung offenkundig bereits im Ausland war, nicht auch offiziell ausgebürgert wurde, was seine Depromotion mehr oder weniger automatisch nach sich gezogen hätte. Dass aber tatsächlich vielen promovierten Emigranten die Staatsangehörigkeit nicht aberkannt wurde, wird von Sabine Happ mit Zahlen belegt. Vgl. Sabine Happ: Politisch und nicht politisch motivierte Aberkennung von akademischen Graden. In:

207 N.M.

Die Ursache für M.s Verurteilung war ein ärztlicher Kunstfehler mit tödlichem Ausgang. Er hatte offenbar im Dezember 1934 bei einer Frau, die im dritten Monat schwanger war und seit längerem unter leichten Blutungen litt, einen beginnenden Abort diagnostiziert und daraufhin beschlossen, eine Ausräumung der Gebärmutter vorzunehmen. Dabei kam es jedoch zu einer Perforation mit anschließender Peritonitis, an der die Patientin wenige Tage später verstarb. Das Gericht erkannte auf "fahrlässige Tötung" und verurteilte M. zu sechs Monaten Gefängnis sowie Entzug der Approbation.4 Ob M. sein Recht zur Anfechtung des Approbationsentzugs wahrgenommen hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Der Universität oblag es nun zu entscheiden, ob M. aufgrund seiner Verurteilung auch der Doktortitel entzogen werden sollte. Der Dekan sprach sich sehr bestimmt dagegen aus: Es handele sich "um falsche ärztliche Massnahmen", eine sittliche Verfehlung liege jedoch nicht vor. Zu M.s Entlastung wies er außerdem darauf hin, dass dieser bereits 70 Jahre alt war, über den Zeitraum von 40 Jahren ärztliche Praxis ausgeübt habe und unbescholten sei.SDer für die Entscheidung über die Doktor- gradentzüge zuständige Ausschuss beschloss in seiner Sitzung vom 29. März 1938 einstimmig, dem Votum des Dekans der Medizinischen Fakul- tät zu folgen und "von der Entziehung der Doktorwürde abzusehen".6

RW./B.S.

Vielfalt der Geschichte. Lernen, Lehren und Erforschen vergangener Zeiten, hrsg. von Sabine Happ/Ulrich Norm. Berlin 2004,S. 283-296,hier: S. 290. 4 Die Urteilsabschrift ist nicht im Universitätsarchiv vorhanden; der Hergang wird aber ausführlich vom Dekan der Erlanger Medizinischen Fakultät in seinem Schrei- ben an den Rektor vom 26. März 1938geschildert. UAE: Al/3a Nr. 946e. 5 Ebd. 6 Handschriftlicher Vermerk mit Datum vom 30. März 1938, unterschrieben vom Rektor Specht. Ebd.

208 P.J. * 1886,Dr. med. 1912

P. J. wurde am 1886 als Sohn eines Landgerichtsrats in Fürth geboren und wuchs in Bamberg auf. Im Juli 1905 erhielt er das Reifezeugnis und be- gann im gleichen Jahr ein Medizinstudium an der Universität Erlangen. Nach sechs Semestern legte J. die Ärztliche Vorprüfung ab und studierte die folgenden vier Semester in Halle, wo er im Januar 1911 die Medizi- nische Staatsprüfung absolvierte. Das Praktische Jahr verbrachte J. zwei Monate lang in der Hautklinik Halle an der Saale sowie vier Monate lang im Stadtkrankenhaus Darm- stadt, den Hauptteil von ca. sechs Monaten aber in den Bergen an der Deutschen Heilstätte in Davos. Im Jahr 1912promovierte P. J. in Erlangen. Dr. J. schlug in der Folge eine akademische Laufbahn ein: Er wurde Privatdozent, dann außerordentlicher Professor für sein Fachgebiet und war an einer der Frankfurter Universitätskliniken tätig. Er war verheiratet und lebte mit seiner Frau in Frankfurt am Main. Im März 1938 unternahm das Ehepaar J. mit seinem Auto einen Aus- flug von Frankfurt in das nähere Umland. Kurz vor dem Forsthaus Mittel- dick tauschte das Paar die Plätze, da J.s Ehefrau, die keinen Führerschein besaß, ihren Mann gebeten hatte, ihr das Autofahren beizubringen. Beim Manövrieren des Wagens im ersten Gang, bei dem sie Gas gab und der Mann steuerte, übersahen die beiden offensichtlich den Förster W., der mit dem Rad das langsam fahrende Auto von links überholen wollte. Da der Kraftwagen schräg auf die Fahrbahnmitte zusteuerte, wurde der För- ster erfasst und geriet unter das Auto. Der Förster erlitt Verletzungen an Brustkorb, Rippen und den inneren Organen, so dass er schließlich im Krankenhaus starb.!

1 Urteilsabschrift des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. August 1938.Universi- tätsarchiv Erlangen (UAE): Al/3a Nr. 946b, S. 2-3.

209 P.J.

Im Oktober 1938 wurde die Universität Erlangen über die am 18. August 1938 erfolgte Verurteilung des Ehepaares J. wegen fahrlässiger Tötung und Übertretung der Verkehrsordnung über die Ausbildung von Kraftfahrzeugführern und des Kraftfahrzeuggesetzes benachrichtigt.2 P. J. war zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden, seine Ehefrau zu einer Geldstrafe von 1.000 RM. Im Übrigen wurde das Verfahren jedoch auf- grund des Straffreiheitsgesetzes vom 30. April 1938eingestellt. Der Entzug des Titels wurde durch den Dekan der Medizinischen Fakultät Greving im November 1938abgelehnt, da nach seiner Auffassung "keine moralischen Verstöße" vorlagen; die anderen Dekane schlossen sich dieser Meinung an.3 Das weitere Schicksal von P. J. im Zweiten Weltkrieg und nach 1945 ist in den Akten des Erlanger Universitätsarchivs nicht dokumentiert.

A.T./A.F.

2 Schreiben des Oberstaatsanwalts des Landgerichts Frankfurt an die Universität Erlangen vom 20. Oktober 1938.Ebd. 3 Umlaufschreiben vom 1. Dezember 1938.Ebd.

210 U.K. * 1888,Dr. med. 1913

U. K. wurde am 28. November 1888in Bamberg geboren; er war jüdischen Glaubens.1 Bald nach seiner Geburt verzog die Familie nach Nürnberg, wo U. K. die Grundschule und das Königliche Gymnasium besuchte.2 Daran schloss sich ein Medizinstudium in Erlangen (acht Semester) und Mün- chen (zwei Semester) an. 1913 erfolgte seine Promotion zum Dr. med. in Erlangen. Von Februar bis April 1914 arbeitete U. K. am Städtischen Kran- kenhaus Kitzingen, vom Mai bis Juli an der Klinik der Deutsch-Israeli- tischen Gemeinde in Hamburg. Am 1. August 1914 erhielt er die Approba- tion und war im Anschluss daran auch als Assistent im Krankenhaus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg tätig.3 Im Februar 1916 konnte sich Dr. K. als Arzt in Bad-Mergentheim nie- derlassen. Nach einem zwischenzeitlichen Einsatz im Ersten Weltkrieg kehrte er dorthin zurück und heiratete im Oktober 1920 eine verwitwete Frau, die vier Kinder in die Ehe mitbrachte. Am 15. November 1935 wurde Dr. K. wegen eines Falls der "nicht-ge- werbsmäßigen Abtreibung" zu einer Gefängnisstrafe von acht Monaten

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 NI. 1913/14-5. 2 Für die Stadt Nürnberg ist ein reges intellektuelles Leben der Jüdischen Gemeinde (zeitweise mehr als 7.000 Mitglieder) überliefert. Zum jüdischen Leben in Nürnberg und medizinhistorischen Bezügen siehe Uri Kellermann/Benjamin Rosendahl: Von Nürnberg nach Jerusalem, und nicht zurück: Meir Schwarz. Porträt eines Nürnber- ger Juden. Vgl. http://www.schoah.org/zeitzeugen/schwarz.htm (zuletzt aufgerufen am 15. Mai 2008). Die Familie Schwarz war in Nürnberg alteingesessen wie auch angesehen und stiftete dort für Kindererholungsstätten, die Cnopfsche Kinderklinik und das Jüdische Altersheim. 3 Zum historischen Kontext der Jüdischen Gemeinde in Hamburg siehe u.a. Ina Su- sanne Lorenz: Die Juden in Hamburg zur Zeit der Weimarer Republik. Eine Doku- mentation. Hamburg 1987.

211 U.K.

verurteilt, worauf fünf Monate Untersuchungshaft angerechnet wurden.4 In mehreren Fällen konnte vor Gericht keine strafbare Handlung festge- stellt werden, da jeweils begründete Indikationen für die Ausräumung der Gebärmutter vorlagen. So hatte Dr. K. einmal die vier bis sechs Wochen alte Schwangerschaft einer armen, an Schwindsucht leidenden Bäuerin, die nicht im Krankenhaus untergebracht werden konnte, unterbrochen. Im Frühjahr 1933 nahm Dr. K. eine Abtreibung an einer ledigen Frau vor. Diese und ihr späterer Ehemann hatten insgesamt dreimal den Arzt um eine Schwangerschaftsunterbrechung gebeten und auf ihn eingewirkt, bis er dem Vorgehen letztlich zustimmte. Vor Gericht wurde dem Ange- klagten zugestanden, den Eingriff erst nach einigem Zögern und ohne gewerbsmäßiges Interesse vorgenommen zu haben. Vor allem aber hatte er der Patientin und ihrem Verlobten streng verboten, ihn in dieser Sache weiter zu empfehlen. "Letzten Endes aber war ausschlaggebend, dass der Angeklagte als Angehöriger einer fremden Rasse (Jude) die Auffassung des nationalsozialistischen Volksstaates gerade über derartige Verbrechen genau kannte und genau wusste, dass der Staat unter allen Umständen und mit allen Mitteln sieh dagegen wehren muss, dass un- vernünftige Volksgenossen bei einem Rassefremden ein williges Ohr für ein Verbre- chen gegen den Bevölkerungspolitischen [sie] Aufbauwillen des Staates finden. Der Angeklagte wusste, dass er als Artfremder nur Gastrechte im nationalsozialistischen Staat geniesst und musste sieh vor einem derartigen Missbrauch der Gastfreund- schaft hüten."s Dennoch sah das Gericht "mit Rücksicht auf die Umstände [... ]"6 davon ab, dem Arzt die Berufsausübung zu untersagen. Am 9. April 1936 kam bei der Universität Erlangen eine Abschrift des Urteils an. Auf einer Sitzung des Fakultätsausschusses am 29. April 1936 wurde die Frage des Entzuges des Doktortitels diskutiert. Im Protokoll- buch wurden dazu stichpunktartig folgende Sätze vermerkt:

4 UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 99, Entziehung der Doktorwürde. 5 UAE: Al-3a Nr. 945, Generalia, Geriehtsurteil vom 25. November 1935,S. 9. 6 Ebd.

212 U.K.

"Der Jude [U.K.] in Mergentheim wegen Abtreibung verurteilt. Berufsausübung vom Gericht weiterhin gestattet. Bürgerliche Ehrenrechte nicht aberkannt. Der Rek- tor teilt mit, dass in einem solchen Fall nichts zu tun ist, da eine Entziehung der Doktorwürde nur bei Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte in Frage kommt. Vorläufig zurückgestellt für den Fall, dass Ärztekammer doch Berufsausübung

verhindert. "7 Diese Sätze blieben aber der letzte Stand im "Fall Dr. K." - von einer Ent- ziehung des Doktortitels wurde abgesehen. Die Fakultät griff das Verfah- ren auch in der Folge nicht mehr auf - das weitere Schicksal des Arztes ist unbekannt.

A.T./A.F.

7 UAE: Dek. Med. Fak. Protokollbuch 27. Juni 1925bis 8. Dezember 1943,hier: Proto- koll der Sitzung vom 29. April 1936.

213

H.D. * 1890,Dr. med. 1917

H. D. wurde am 29. April 1890 in Weimar als Sohn eines Arztes geboren. Er war evangelischen Glaubens. Nach dem Besuch der Volksschule in Fürstenfeld-Bruck und des Humanistischen Gymnasiums in Erlangen er- warb er im Juli 1911 das Reifezeugnis und schrieb sich zum Winterseme- ster 1911/12 für das Studium der Medizin an der Universität Erlangen ein. Im Frühjahr 1914 legte er das Ärztliche Vorexamen ab. Bei Kriegsausbruch wurde er zwar eingezogen, war aber zunächst in Reservelazaretten in der Heimat tätig, wo er nebenher medizinische Vorlesungen hören konnte. Im Dezember 1915 kam er an die Front. Da er jedoch den physischen und psychischen Beanspruchungen des Kriegsdienstes nicht gewachsen war, wurde er im Februar 1917 als 40%ig kriegsbeschädigt in die Heimat zu- rückgeschickt und zum Sommersemester nach Erlangen beurlaubt.1 Hier legte H. D. am 17. August 1917 das Kriegsnotexamen ab. Im gleichen Jahr erhielt er seine Approbation und den Doktortitel. Bis zum Kriegsende ver- sah er einen leichteren Sanitätsdienst. Nach dem Krieg war H. D. für ein halbes Jahr als Volontärarzt in der Chirurgie in Nürnberg tätig und ließ sich danach als praktischer Arzt in HeideckjMittelfranken nieder. 1928 transferierte er seine Praxis nach Erlangen, wo er zunehmend auch gynäkologisch-geburtshilfliche Behand- lungen durchführte. Am 31. Mai 1938 erhielt der Rektor der Erlanger Universität von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Nürnberg-Fürth die Mitteilung, dass Dr. D. rechtskräftig verurteilt worden sei, was bedeutete, dass sich die Universität zur Frage der Entziehung des Doktortitels äußern musste.2

1 Universitäts archiv Erlangen (UAE): Al/3a Nr. 946a, Abschrift des Urteils im Revi- sionsverfahren vom 22. Dezember 1937,S. 2. Hier finden sich auch die Informatio- nen zu seinem weiteren Werdegang. 2 UAE: A1/3a Nr. 946.

215 H.D.

H. D. hatte im November/Dezember 1934 bei dem Versuch, einen offen- kundig abgestorbenen Embryo aus der Gebärmutter einer im fünften Monat Schwangeren zu entfernen, den Uterus perforiert und auf diese Weise den Tod der Patientin verschuldet. Das Schöffengericht Erlangen hatte ihn deshalb im Dezember 1935 "wegen eines Vergehens der er- schwerten fahrlässigen Tötung" zu einer Geldstrafe verurteilt. Diese Strafe, gegen die die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hatte, wurde im November 1937 in eine Gefängnisstrafe von drei Monaten abgeändert.3 Der Dekan, der Anfang Juni 1938 vom Rektor um seine Stellungnah- me bezüglich der Doktorgradentziehung gebeten wurde, hielt zwar das Vergehen von H. D. für so schwerwiegend, dass es die Depromotion in seinen Augen rechtfertigte; gleichwohl schien es ihm angezeigt, vor der endgültigen Entscheidung die Einschätzung der Reichsärztekammer ein- zuholen.4 Von dieser erfuhr der Dekan, dass D. tatsächlich im Dezember 1937 für die Dauer von drei Jahren aus der Kassenpraxis ausgeschlossen worden sei und dass das Ärztliche Bezirksgericht ihn als unwürdig zur Ausübung des ärztlichen Berufs erklärt habe.5 Gegen beide Bescheide hatte D. Berufung eingelegt. Da sich die Entscheidung hierüber hinzog, ergriff der Rektor im Februar 1940 die Initiative: Er teilte D., der zu diesem Zeitpunkt in Wien lebte, mit, dass die Universität demnächst über den Entzug seines Doktortitels beraten würde und dass er innerhalb von 14 Tagen eine Stellungnahme dazu abgeben körmte.6 In einem ausführlichen Schreiben legte D. daraufhin dem Rektor dar, dass der Deutsche Ärzte- gerichtshof im Januar 1939 die Sperre seiner ärztlichen Tätigkeit aufge- hoben habe und dass er in der Zwischenzeit wieder in den Ärztestand integriert worden sei.7 Da nach dieser Entwicklung der Tatbestand der

3 Ebd., Abschrift des Urteils im Revisionsverfahren vorn 22. Dezember 1937; der Sach- verhalt ist auf den Seiten 3-11 geschildert. 4 Schreiben des Dekans an den Rektor vom 29. Juni 1938.UAE: A1/3a Nr. 946a, S. 2. 5 Schreiben der Reichsärztekammer, Ärztliche Bezirksvereinigung Erlangen-Fürth, an den Dekan Greving vom 28. Juni 1938.Ebd., S. 4. 6 Schreiben des Rektors vorn 15. Februar 1940.UAE: A1/3a Nr. 946a, S. 11. 7 Ebd., S. 16f.

216 H.D.

Unwürdigkeit nicht mehr gegeben war, sprachen sich der Dekan und der Depromotionsausschuss gegen die Aberkennung des Doktortitels aus.8 Nur wenige Tage später teilte der Rektor H. D. mit, dass "mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des Falles von der Entziehung des Doktor- Titels ausnahmsweise abgesehen worden" sei.9

A.T./RW.

8 Schreiben von Dekan Greving an den Rektor vom 17. April 1940.Ebd. 9 Schreiben des Rektors vom 9. Mai 1940.Ebd.

217

N.D. * 1892, Dr. med. 1932

N. D. wurde am 1. Juni 1892 in Speyer geboren, durchlief seine Schulzeit an den Gymnasien Dorsten, Bocholt und Neuss und bestand in Neuss im Februar 1911 sein Abitur. Danach begann er die militärische Laufbahn, versah im Ersten Weltkrieg den aktiven Dienst als Offizier in verschiede- nen Orten an der Front und wurde im Mai 1920 als Hauptmann verab- schiedet. Die folgenden acht Jahre war er als Kaufmann tätig, bevor er im Sommersemester 1928 das Studium der Zahnheilkunde in Erlangen auf- nahm. 1931 erhielt er seine Approbation als Zahnarzt und bestand im darauf folgenden Jahr die Doktorprüfung. Am 18. November 1938 wurde N. D. (zusammen mit einem Mitange- klagten) "wegen Vergehens gegen § 175 StGB"l vom Schöffengericht in Koblenz zu sechs Wochen Gefängnis unter Anrechnung der Untersu- chungshaft verurteilt. Beide Angeklagten hatten den ihnen vorgeworfenen Verstoß, über den die Universitäts akten keine näheren Angaben machen, vor Gericht zugegeben. Der Rektor der Universität wurde wenige Tage später aus Koblenz über diese Verurteilung des in Erlangen promovierten Zahnarztes, der zu diesem Zeitpunkt eine Praxis in Boppard betrieb, informiert.2 Nachdem der Dekan der Medizinischen Fakultät Einsicht in die Gerichtsakten genommen hatte, sprach er sich mit Verweis auf die niedrige Strafe, auf das offenkundig einmalige und geringfügige Vergehen

1 Universitätsbibliothek Erlangen (UAE): Al/3a Nr. 946a, S. 2: Urteil vom 18. Novem- ber 1938. - Der § 175 erhielt zum 1. September 1935 die folgende Fassung: "Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft." Zur Situation der Homosexuellen im "Dritten Reich" und die Verschärfung der Strafbestimmungen vgl. Günter Grau (Hrsg.): Homosexualität in der NS-Zeit. Dokumente einer Diskriminierung und Ver- folgung. Mit einem Beitrag von Claudia Schoppmann. Frankfurt am Main 1993. 2 Schreiben des Oberstaatsanwalts an den Rektor vom 3. Dezember 1938. UAE: Al/3a Nr. 946a, S. 1.

219 N.D.

sowie auf den bisherigen untadeligen Lebenswandel des Verurteilten gegen die Entziehung des Doktortitels aus.3 Der zuständige Ausschuss und der Rektor schlossen sich dieser Stellungnahme an, so dass der Vor- gang zu den Akten gelegt wurde. Der entsprechende Vermerk des Rektors enthält allerdings den nicht zu übersehenen Hinweis darauf, dass diese Entscheidung durchaus Ausnahmecharakter hatte: "Im Einverständnis mit den Herren Dekanen wird von der Entziehung des Dr.-Titels in diesem Falle abgesehen".4 Über D.s weiteren Lebensweg ist nichts bekannt.

A.T.IR.W.

3 Schreiben des Dekans Greving an den Rektor vom 2. Februar 1939. Ebd., S. 7. 4 Aktenvermerk des Rektors Wintz vom 10. Februar 1939. Ebd., Kursivierung im Ori- ginal unterstrichen.

220 K.G. * 1896, Dr. med. 1929

K. G., geboren 1896 in einem kleinen Städtchen im Dillkreis, besuchte die Volksschule und das Königliche Wilhelmsgymnasium in Kassel. Den Kriegsdienst leistete er im 14. Husarenregiment ab und studierte nach dem Ersten Weltkrieg in Marburg und Freiburg Medizin. Erst im Sommer 1928 legte er sein Staatsexamen in Erlangen ab, im Dezember desselben Jahres folgte die mündliche Prüfung. Sein Studium war zuvor durch eine Krankheit und einen Unfall unterbrochen worden. Nach der Promotion zum Dr. med., die im Jahre 1929 erfolgte,1 ließ er sich wohl als praktischer Arzt in Eisenach in Thüringen nieder. Sechs Jahre später wurde gegen ihn ein Strafverfahren eröffnet, und am 21. Mai 1935 wurde er durch das Schwurgericht Eisenach zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren wegen "gewerbsmäßiger Abtreibung in neun Fällen" ver- urteilt; die Ausübung des ärztlichen Berufes wurde ihm für die Dauer von drei Jahren untersagt. Die Universität wurde über diese Verurteilung des von ihr Promovierten angeblich unterrichtet,2 entsprechende Schriftstücke sind jedoch nicht im Archiv vorhanden. Im Jahre 1939 nahm der zuständige Regierungspräsident die ärztliche Bestallung K. G.Szurück, nachdem das ärztliche Bezirksgericht Thüringen diesen "für unwürdig" erklärt hatte, den ärztlichen Beruf auszuüben.3 K. G. stellte daraufhin ein Gnadengesuch, welches aber im August 1940 ab- gelehnt wurde. Am 14. Oktober 1940 informierte der Reichsstatthalter in Thüringen die Universität Erlangen über diese Vorgänge und fragte an, ob schon

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE):A1/3a Nr. 946b. 2 Schreiben des Arztes [K. G.] an den Rektor vom 16.Januar 1941.Ebd. 3 Schreiben des Reichsstatthalters in Thüringen an den Rektor vom 14. Oktober 1940. Ebd.

221 K.G.

über die Frage der Titelentziehung entschieden worden sei.4 Der Dekan der Medizinischen Fakultät bestätigte auf Anfrage des Rektors die Per- sonalien von K. G. und seine Promotion an der Universität Erlangen, woraufhin der Rektor am 31. Oktober das Schwurgericht um die Über- sendung der einschlägigen Strafakten bat und, mit gleichem Datum, dem Reichsstatthalter in Thüringen mitteilte, dass "das Verfahren wegen Ent- ziehung der Doktor-Würde" eingeleitet worden sei. Nachdem dann einen Monat später Dekan Greving auf der Grundlage der Strafakten die Entziehung des Doktortitels beantragt hatte, richtete Prorektor Herrigel am 11. Dezember 1940 ein Schreiben an die letzte be- kannte Adresse von Dr. K. G. in Kassel und informierte ihn über die drohende Titelaberkennung. Zugleich forderte er ihn auf, sich innerhalb von zwei Wochen schriftlich zu dem Verfahren zu äußern. Dieses Schrei- ben erreichte seinen Adressaten jedoch erst mit Verspätung, weil K. G. in der Zwischenzeit in Krakau tätig war. Er gab der Universität hiervon in einem Telegramm Kenntnis und bat um Fristverlängerung für seine Stel- lungnahme/ die ihm die Universität auch gewährte. In einem ausführlichen Schreiben vom 16. Januar 1941 teilte K. G. dann dem Rektor zunächst mit, dass seiner Kenntnis nach sowohl die Oberstaatsanwaltschaft in Eisenach als auch die Thüringische Ärztekam- mer in Weimar die Medizinische Fakultät gleich nach dem Prozess im Jahre 1935über seine Verurteilung in Kenntnis gesetzt hätten und dass die Medizinische Fakultät damals aufgrund der besonderen Sachlage seines Falles von einer Entziehung des Titels abgesehen habe. Über diesen Vor- gang gibt es allerdings in den Erlanger Akten keine Spuren mehr.5 Im An- schluss daran ging K. G. dann auf die Besonderheit seiner Lage ein, die auch damals vom Gericht gewürdigt worden sei: Das Schwurgericht habe

4 Dieses Schreiben und alle weiteren im Folgenden zitierten Schriftstücke finden sich im oben (Anm. 1) genannten Akt. 5 Das Fehlen dieser Akten könnte ein Indiz dafür sein, dass im Archiv bei weitem nicht alle Aberkennungsverfahren der Medizinischen Fakultät dokumentiert sind, vgl. oben S. 12.

222 K.G.

damals erkannt, dass er nicht "aus verbrecherischer Neigung oder Ge- winnsucht" gehandelt habe, sondern lediglich, um die finanziellen Mittel zur medizinischen Behandlung seiner schwer kranken Ehefrau aufzubrin- gen. Auch sei er vom Reichsminister der Justiz nach Verbüßung einer Teil- strafe begnadigt worden. Vor allem aber wies K. G. auf die Leiden der Haft und seine danach erworbenen Verdienste hin:

"Ich habe all das Grauen des Gefängnislebens durchlitten, habe die Demütigungen und Qualen des Gestrauchelten über mich ergehen lassen müssen, habe das bittere Elend des Arbeitslosen genossen und habe dann in zäher Energie mich zu einem achtbaren Posten wieder durchgerungen. Seit Monaten arbeite ich in der Regierung des Generalgouvernements in Krakau und bin gleichzeitig stellvertretender wirt- schaftlicher Leiter der dortigen ,Vereinigten Staatlichen Krankenanstalten.'" Zudem verstand es G. in diesem Schreiben, nicht nur seine staatskonforme Einstellung und seine Leistungen im Osten geschickt heraus zu stellen, sondern auch die Notwendigkeit seines Doktortitels für seine dortigen Aufgaben zu begründen: "Wie Erkundigungen beim Chef des Amtes des Generalgouverneurs, Herrn Staats- sekretär Dr. Bühler, ergeben werden, bin ich mir in meinem Aufgabenbereich ,der deutschen Sendung im Osten' wohl bewusst und führe meine Aufgaben in diesem Sinne zur vollen Zufriedenheit meiner Dienststellen durch. Meinem Arbeitsbereich in den Vereinigten Staatlichen Krankenanstalten unterstehen 183 ukrainische und polnische Ärzte, denen ich mit meinem Doktortitel in den letzten Monaten bekannt wurde und es ist klar, dass dieser Dr.-Titel zum Teil eine Stütze meiner Autorität über diese Ärzte bildet. Abgesehen davon, dass es allzu bitter wäre, mir jetzt nach 5 Jahren meinen Dr.-Titel noch entziehen zu wollen, würde es eine Schwächung des deutschen Ansehens hierzulande bedeuten, wenn ich jetzt plötzlich meinen Dr.-Titel ablegen müßte." Und er argumentierte weiter mit seiner Zukunft: Es bestehe in Krakau ,,[...] die Absicht, mich nach einem Jahr Bewährung in der Ostarbeit durch den Herrn Generalgouverneur sogar, zwecks Wiedererlangung meiner zwangsläufig verloren gegangenen Approbation, dem Führer zur Begnadigung vorzuschlagen.

223 K.G.

Ich bitte daher Euer Magnifizenz [ ] von der Entziehung meines Dr.-Titels absehen zu wollen. Notfalls bin ich bereit [ ] meine Belange persönlich mitzuteilen."6 Da es zu dem Vorgang von 1935 keine Unterlagen in der Medizinischen Fakultät gab, bat der Syndikus der Universität K. G. am 31. Januar 1941 um nähere Angaben, welche die entsprechende Mitteilung an die Fakultät beweisen könnten. Nachdem trotz mehrfacher Wiederholung dieser Aufforderung auch ein Jahr später noch keine Antwort aus Krakau eingegangen war, wurde die Universität selbst aktiv und wandte sich am 12. März 1942 an den Chef des Amtes des Generalgouverneurs in Krakau mit der Bitte um Auskunft, ob die Angaben von K. G. über seine Arbeit und Stellung zuträfen, "wie er sich geführt" habe und unter welcher Anschrift er erreichbar sei. Laut Antwort aus dem Generalgouvernement war G. als praktizierender Arzt in Krakau und nebenamtlich im Gesundheitsamt der Stadt tätig. Er habe vorher die ärztliche Dienststelle in der Regierung des Generalgou- vernements geleitet und dort mit gutem Erfolg gearbeitet. Und es hieß darin weiter:

IIDie von ihm seinerzeit geleitete ärztliche Dienststelle ist ein Teil des Betrlebsamtes im Staatssekretariat der Regierung. Von einer stellvertretenden wirtschaftlichen Leitung der Vereinigten Staatlichen Krankenanstalten, die der Abteilung Gesund- heitswesen unmittelbar unterstehen, ist hier nichts bekannt. Wie schon betont, hat sich Dr. [K. G.] bei dem Aufbau der ärztlichen Dienststelle Verdienste erworben. Er genießt auch als praktizierender Arzt unter den Deutschen in Krakau allseits Vertrauen. "7 Nach dieser Antwort versuchte das Rektorat noch einmal, Kontakt mit G. direkt aufzunehmen, indem Prorektor Herrigel ihm am 11. April 1942 mitteilte, dass der Ausschuss für den Titelentzug in der nächsten Sitzung über seinen Fall nach Lage der Akten entscheiden müßte, falls er sich nicht vorher mit entsprechenden Informationen melden würde. K. G. reagierte

6 Auch dieses dreiseitige Schreiben findet sich in UAE: Al/3a Nr. 946b. 7 Schreiben des Personalamts des Staatssekretariats der Regierung des Generalgou- vernements an den Rektor der Universität vom 4. April 1942.Ebd.

224 K.G.

wiederum mit einem Telegramm, in dem er versicherte, bereits vor einem Jahr die gewünschten Unterlagen an den Syndikus geschickt zu haben; zudem kündigte er einen eingeschriebenen Brief an. Dieser Brief war allerdings bis Anfang Juli nicht eingetroffen, so dass der Ausschuss ohne die erbetenen Unterlagen am 8. Juli 1942 tagte und trotz mancher Beden- ken zu der einstimmigen Entscheidung kam,

"von der Entziehung des Doktor-Titels ausnahmsweise und zwar in besonderer Berücksichtigung des Umstandes Ihrer Tätigkeit in den Ostgebieten Abstand zu nehmen. Er hat Ihnen dabei für weitere Bewährung eine Frist bis 1. Januar 1946 mit der Maßgabe gesetzt, dass er von seiner Entziehungsbefugnis unweigerlich dann Gebrauch machen wird, wenn Sie sich bis zu dem angegebenen Zeitpunkt nicht ein- wandfrei führen sollten."8 K. G. war nach 1945 als praktischer Arzt und Geburtshelfer in verschiede- nen Orten in Hessen tätig.

B.S./A.F.

8 Schreiben des Rektors, unterzeichnet von Prorektor Herrigel, an "Herrn Dr. med." [K.G.] vom 9. Juli 1942.UAE: A1/3a Nr. 946b.

225

M.T. * 1907,Dr. med. 1939

M. T. wurde am 18. Oktober 1907 als Sohn eines Malers in Nürnberg gebo- ren. Nach dem Besuch der Volksschule, der Kreisrealschule II sowie der Alten Oberrealschule in Nürnberg studierte er an der Universität Erlangen Medizin. Im Januar 1933 bestand er das Staatsexamen. Danach war er ein Jahr lang als Medizinalpraktikant am Krankenhaus in Nürnberg tätig und erhielt bald darauf seine Approbation. Anschließend arbeitete er als Volontärarzt an der Medizinischen Klinik in Nürnberg.1 Bis Januar 1933 vertrat er überdies mehrere praktische Ärzte. Nachdem er von Januar bis November 1938 eine Stelle als Assistenzarzt an der Krankenanstalt St. Uli Seehausen in Murnau inne gehabt hatte, ließ er sich schließlich im Februar 1939 als Arzt in Fürth nieder und promovierte noch im selben Jahr an der Universität Erlangen.2 Im Januar 1941 überfuhr er auf vereister Fahrbahn in der Gebhard- straße in Fürth eine 17jährige Passantin, die diese - offensichtlich ohne auf den Verkehr zu achten - überquerte.3 Aus jenem Grund wurde M. T. am 1. Juli 1941 von der Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Übertretung der Straßenverkehrs- ordnung zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat verurteilt. Im September desselben Jahres erhielt die Universität Erlangen von der Staatsanwaltschaft Nürnberg eine Kopie des Urteils mit dem Hinweis zugeschickt, dass lIder Verurteilte" den Doktortitel in Erlangen erworben habe.4 In seiner Stellungnahme zur Frage des Doktorgradentzugs, um die

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1938/39-51; außerdem UAE: A1/3a Nr. 946i. 2 UAE: C3/3 Nr. 1938/39-51. 3 UAE: A1/3a Nr. 946i, Urteilsabschrift, S. 2-3. 4 Mitteilung eines Justizinspektors auf der Kopie des Urteils an die Hochschule in Erlangen vom 25. September 1941.Ebd.

227 M.T.

ihn der Rektor daraufhin wenige Tage später bat, äußerte sich Dekan Gre- ving von der Medizinischen Fakultät folgendermaßen: "Es handelt sich um einen Verkehrsunfall, bei dem das Verschulden des Dr. (... ] nur zum Teil trifft. Eine ehrenrührige Handlung liegt nicht vor. Der Entzug des Doktor- titels ist nicht notwendig."5 Die anderen Dekane schlossen sich dem Votum Grevings im Umlaufver- fahren an, so dass der Rektor unter dem Datum vom 1. November den Fall mit der Feststellung abschloss: "Mit Rücksicht auf die Stellungnahme der Herren Dekane wird von der Entziehung des Doktortitels abgesehen."6 Das weitere Schicksal von Dr. M. T. ist in den Akten nicht dokumentiert.

B.S./A.F.

5 Schreiben des Rektors an Dekan Greving vom 2. Oktober 1941 und des Dekans an den Rektor vom 17. Oktober 1941 (auf demselben Blatt). Ebd. 6 Ergebnis des Umlaufverfahrens (18.-30. Oktober) und Aktenvermerk des Rektors vom 1. November. Ebd.

228 M.T.

~ ~~~~c: iIDii1Jlf1dJiJint(cT1f $aTulltM DER fiRTeDRTCH~AlEXAND6~ UNIV€RSITÄTERlANG€N llttltil}t- mtr~uAtmmungnt91~tTttot~ -tßtatlllnlJ1fl!}utbt fin(~ DOKTORS DERMEDIlIN

ERLAN&EN

REKTOR DEKAN

Abbildung 26: Promotionsurkunde aus der Zeit des "Dritten Reichs". UAE: Dek. Med. Fak. 18/1, Generalia/Promotionsangelegenheiten. Zur Anonymisierung ohne Eintrag, M. T. bekam aber diesen Vordruck.

229

T.J. * 1910, Dr. med. 1937

T. J. kam am 1. Oktober 1910 als Sohn eines Kaufmanns zur Welt. Nach dem Besuch der Volksschule wechselte er auf die Oberrealschule in Kai- serslautern, wo er 1928 die Reifeprüfung ablegte. Anschließend hatte er für ein halbes Jahr eine Stelle als Baupraktikant zur Vorbereitung auf ein Tiefbaustudium inne. Vom Wintersemester 1928 bis Sommersemester 1931 studierte er dann Tiefbau an der Technischen Hochschule in München. Im Anschluss begann er ein Studium der Medizin, worauf ihm zwei Semester des vorangegangenen Studiums angerechnet wurden. Im Juni 1936 absolvierte er sein Staatsexamen an der Universität Erlangen und promovierte noch im selben Jahr.1 Aus Briefen von J. in seiner Promotionsakte von 1937, in denen er sich zum Druck seiner Dissertation äußert, geht hervor, dass er damals als Medizinalpraktikant in einem Ort an der Saar tätig war. Ein weiterer Brief von 1938 erreichte die Universität aus Baden, wo er an einem Kranken- haus arbeitete. Am 11. März 1942 wurde Dr. T. J. vom Landgericht wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt.2 Zur damaligen Zeit war er als Arzt bei der Landkreisverwal- tung in Bühl angestellt.3 Er stand unter mittlerem Alkoholeinfluss und fuhr mit abgeblendeten Scheinwerfern, als er am 14. Dezember 1941 von einem Kameradschaftsabend den Heimweg antrat. Auf der Strecke über- fuhr er bei nur geringer Sichtweite und verhältnismäßig hoher Geschwin- digkeit einen Zeitungsausträger, der an den Folgen des Unfalls verstarb.

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1935/36-72. 2 UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteilsabschrift. 3 Ebd.

231 T.J.

Die Obduktion des Unfallopfers ergab auch bei diesem einen geringfü- gigen Alkoholgehalt.4 Das Gericht urteilte folgendermaßen: "Da also die Möglichkeit, dass die Trunkenheit, geringe Aufmerksamkeit und das schnelle Fahn~ndes Angeklagten nicht ursächlich für den Unfall gewesen sind, nicht ausgeschlossen werden kann, muss sie im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten angenommen werden. Er kann mangels Beweises nicht wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden."5 Die Universität Erlangen holte Auskünfte ein über das Strafregister von J. Dekan Greving sprach sich in der Folge dann aber sehr entschieden gegen die Entziehung des Doktortitels aus: "Ein schuldhaftes Verhalten des Angeklagten als ursächlich für den Tod des bei dem Unfall Getöteten konnte nicht nachgewiesen werden. Bei der ganzen Sache kommt eine Entziehung des Doktortitels nicht in Frage."6

Die übrigen Dekane schlossen sich seiner Entscheidung an.7

B.S.lA.F.

4 Ebd. 5 Ebd. 6 Schreiben von Dekan Richard Greving an den Rektor vom 11. Juni 1942.UAE: A1/3a Nr.946c. 7 Ebd.

232 K.E. * 1912,Dr. med. dent. 1936

Der 1912 im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt in Thüringen geborene K. E. begann im Sommer semester 1933das Studium der Zahnheilkunde in Jena, wechselte zum Wintersemester 1934/35 nach Erlangen und bestand hier im Jahre 1936 das Zahnmedizinische Staatsexamen. Den Doktortitel er- warb er noch im selben Jahr. Am 2. Mai 1939 verurteilte das Landgericht Hamburg K. E. wegen Vergehens gegen § 175 StGB (Homosexualität) zu fünf Monaten Gefäng- nis.1 Ihm war vorgeworfen worden, mit fünf Männern "Unzucht getrieben zu haben".2 Die Zeugenvernehmung ergab allerdings, dass ihm in vier Fällen nichts nachgewiesen werden konnte, so dass sich die Verurteilung schließlich auf einen Fall beschränkte, den der Angeklagte auch zugab.3 Die Universität wurde am 31. Mai 1939 über das Verfahren gegen Dr. K. E. informiert, der Dekan sprach sich angesichts der Tatsache, dass es sich nur um eine einzige homoerotische Aktivität gehandelt habe und diese ihm auch als nicht besonders schwerwiegend erschien, gegen die Entziehung des Doktortitels aus.4 Nach der Zustimmung des Ausschusses konnte der Fall am 21. Oktober 1939zu den Akten gelegt werden.5

A.T./R.W.

1 Universitäts archiv Erlangen (UAE): A1/3a Nr. 946a, S. 1-5: Urteilsabschrift des Land- gerichts Hamburg vom 2. Mai 1939.- Vgl. hierzu auch oben S. 219f sowie ferner Ute Zimmermann: Homosexualität als Verbrechen. In: Margit Szöllösi-Janze/Andreas Freitäger (Hrsg.): "Doktorgrad entzogen!". Aberkennungen akademischer Titel an der Universität Köln 1933bis 1945.Nümbrecht 2005,S. 49-54. 2 UAE: A1/3a Nr. 946a, S. 2. 3 Ebd., S. 2 und 4f. 4 Schreiben von Dekan Greving an den Rektor vom 21. August 1939.Ebd., S. 9. 5 Umlaufschreiben des Rektors vom 3. Oktober 1939 mit anschließendem Vermerk vom 21. Oktober 1939.Ebd.

233

5. DIE ABERKENNUNGSPRAXIS AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden an der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität 31 Verfahren zur Aberken- nung des Doktorgrades eingeleitet,! In 22 Fällen wurde der Titel entzogen, neunmal entschied der vom Gesetz vorgesehene Ausschuss der Dekane, von der Entziehung des Doktortitels abzusehen. Unter den 22 Promovierten, die ihren Titel verloren, waren 13 Ärztin- nen und Ärzte jüdischen Glaubens, einer war mit einer Jüdin verheiratet, die zum Katholizismus übergetreten war, und fiel daher unter das "Rasse- gesetz". In elf Fällen wurde die Aberkennung ausgesprochen, nachdem die Betreffenden emigriert waren und daraufhin die deutsche Staatsange- hörigkeit verloren hatten;2 in den anderen elf Fällen erfolgte die Entzie- hung aufgrund eines Gerichtsurteils.

1 Dies ist die durch Dokumente belegbare Zahl. Da jedoch etliche Akten aus der Zeit des Nationalsozialismus verloren gegangen oder vernichtet worden sind, muss man damit rechnen, dass es noch weitere Verfahren gegeben hat. 2 Nach Sabine Happ sind bei weitem nicht alle Emigranten mit Doktortitel auf der Grundlage des Gesetzes vom 14. Juli 1933 "über den Widerruf von Einbürgerungen und über die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit" zwangsweise ausge- bürgert worden. Vgl. Sabine Happ: Politisch und nicht politisch motivierte Aberken- nung von akademischen Graden. Eine Auswertung der Rundschreiben deutscher Universitäten in der NS-Zeit. In: Vielfalt der Geschichte. Lernen, Lehren und Erfor- schen vergangener Zeiten, hrsg. von Sabine Happ/Ulrich Nonn. Berlin 2004, S. 283- 296, hier: S. 289f. Dies trifft auch für Erlangen zu. Ein Beispiel hierfür ist Dr. Erika Rosenthal-Deussen, die Schwiegertochter von Isidor Rosenthai (1836-1915),des lang- jährigen Erlanger Ordinarius für Physiologie, die im Jahre 1921mit einer Arbeit über "Das Facialisphänomen, sein Vorkommen und seine Bedeutung nebst Untersuchun- gen über die galvanische Erregbarkeit grösserer Kinder" in Erlangen zum Dr. med. promoviert wurde. Sie emigrierte 1934 zusammen mit ihrem Mann, dem Mediziner Prof. Dr. Werner Rosenthai, nach Indien. Vgl. Anik6 Szab6: Vertreibung, Rückkehr, Wiedergutmachung. Göttinger Hochschullehrer im Schatten des Nationalsozialis- mus. Göttingen 2000, S. 68-72.

235 DIE ABERKENNUNGSPRAXIS AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT

Unter denjenigen, die vom NS-Regime ausgebürgert und dann von der Universität depromoviert wurden, war keiner jünger als 40 Jahre alt, sieben waren zum Zeitpunkt der Depromotion bereits über 50, die beiden ältesten sogar über 70 Jahre alt.3 Emil Fröhlich verlor seinen Doktorgrad fast genau 50 Jahre nach der Promotion. Über die Hälfte der Betroffenen hatte im Ersten Weltkrieg gedient. Obwohl die Boykottmaßnahmen gegen die jüdischen Ärztinnen und Ärzte bereits kurz nach der Machtübernahme einsetzten, emigrierten nur drei der in Erlangen promovierten und später ausgebürgerten Ärzte gleich im Jahre 1933. Die anderen warteten trotz der Berufsverbote und Schika- nen ab und gingen erst, nachdem ihnen ihre Existenzgrundlage systema- tisch genommen war und sie damit jede Lebensperspektive in Deutsch- land verloren hatten; so verließen weitere drei im Jahre 1937 ihre Heimat, zwei emigrierten 1938 und die anderen drei in den Jahren 1939 und 1940. Mehr als die Hälfte ging in die USA, zwei nach Südamerika und je einer nach Shanghai, nach Portugal und in die Schweiz. Aus den Einzelbiogra- phien lässt sich nicht nur ablesen, welche gesundheitlichen und psychi- schen Probleme die Auswanderung zeitigte, sondern sie lassen auch klar erkennen, mit welchen Schwierigkeiten die Emigranten im Ausland durch die vielfach rigorose Abschottung der jeweiligen Arbeitsmärkte zu kämp- fen hatten.4 Die früheste Ausbürgerung eines Erlanger Doktors der Medizin, die der Universität vom Reichswissenschaftsminister gemeldet wurde mit dem entsprechenden Hinweis, dass damit das Weitere zu veranlassen sei, erfolgte am 26. Oktober 1938, woraus deutlich wird, dass der Abstand zwischen dem Zeitpunkt der Emigration und dem Entzug der Staatsange-

3 Das Durchschnittsalter der Betroffenen betrug 51 Jahre; die Aberkennung erfolgte im Schnitt fast 30 Jahre nach der Promotion. 4 Vgl. hierzu Stephan Leibfried: Stationen der Abwehr. Berufsverbote für Ärzte im Deutschen Reich 1933-1938 und die Zerstörung des sozialen Asyls durch die orga- nisierten Ärzteschaften des Auslands. Bull. Leo Baeck Inst. 62 (1982), S. 3-39; ferner Kathleen M. Pearle: Ärzteemigration nach 1933 in die USA: Der Fall New York. Medizinhistorisches Journal 19 (1984), S. 112-137.

236 DIE ABERKENNUNGSPRAXIS AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT

hörigkeit in einigen Fällen recht groß war. So zeigt sich auch hier am Beispiel Erlangens, dass die Ausgrenzung über die Strafexpatriation, die bereits im August 1933 begonnen hatte, zunächst auf die politischen Geg- ner zielte und erst allmählich mit der Intensivierung des Antisemitismus auch die rassisch Verfolgten erfasste.5 Die Aberkennungen der medizinischen Doktorgrade, welche die Uni- versität Erlangen aufgrund der Ausbürgerung vornahm, erfolgten sämt- lich in den Jahren 1939 bis 1942. Nach der entsprechenden Meldung vom Reichswissenschaftsministerium dauerte die vom Staat vorgeschriebene administrative Verfahrensweise innerhalb der Universität gewöhnlich zwischen drei und zwölf Wochen; nur in zwei Ausnahmefällen wurde dieser Zeitrahmen überschritten. Die Entscheidung des für die Depromo- tion zuständigen Ausschusses wurde stets im Umlaufverfahren herbeige- führt. Diejenigen, die infolge der Ausbürgerung ihren Doktortitel verlo- ren, wurden nicht benachrichtigt, so dass es die meisten wohl auch nicht erfahren haben. Die Aberkennung der Doktortitel war dennoch eine tief greifende Ent- würdigung der Opfer, durch die der Staat und im zweiten Schritt beschä- mender Weise auch die Universitäten ehemalige Mitbürger und Kollegen über die Vertreibung hinaus lebenslang zu ächten und sozial wie auch moralisch zu schädigen trachteten. In den Akten des Erlanger Universi- tätsarchivs zur Medizinischen Fakultät findet sich kein Hinweis darauf, dass irgendeiner der Hochschullehrer, um deren Schüler es sich ja han- delte, Bedenken oder Vorbehalte gegenüber diesem Eingriff der Politik in den akademischen Zuständigkeitsbereich geäußert hätte. Immerhin lässt sich aber in diesem Zusammenhang auch kein vorauseilender Gehorsam,

5 Vgl. Hans Georg Lehmann: Acht und Ächtung politischer Gegner im Dritten Reich. Die Ausbürgerung deutscher Emigranten 1933-45. In: Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933-45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, hrsg. von Michael Hepp. 3 Bde. München u.a. 1985-1988, Bd. 1, S. IX-XXIII.

237 DIE ABERKENNUNGSPRAXISAN DERMEDIZINISCHEN FAKULTÄT

etwa durch Eigeninitiative bei der Ermittlung von Emigranten, auf Seiten der Universität ausmachen.6 Der Unrechtscharakter der Depromotionen infolge Ausbürgerung ist eindeutig. Etwas anders sieht es dagegen mit den Doktorgradentziehun- gen infolge von Gerichtsurteilen aus, wenn es sich um Delikte handelte, die auch vor 1933 strafbar waren. In Erlangen wurde in acht Fällen die Doktorwürde wegen "versuchter Abtreibung", "Abtreibung" oder "ge- werbsmäßiger Abtreibung" entzogen. Fünfmal wurde dabei als Neben- folge der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ausgesprochen, mit der Folge, dass die Universität nur noch einen Feststellungsbeschluss zu treffen hatte? In zwei Fällen, in denen die bürgerlichen Ehrenrechte nicht aberkannt worden waren, obwohl beide angeklagten Personen eine große Zahl von Eingriffen vorgenommen hatten, handelte es sich um Parteige- nossen, die bereits vor 1933 für die NSDAP gekämpft und sich nach Aus- sage der Gerichte um sie "verdient" gemacht hatten. Da ihnen im Urteil gleichwohl die Ausübung des Arztberufs auf mehrere Jahre untersagt worden war, machte der Ausschuss hier vom Vorwurf der "Unwürdig- keit" Gebrauch und entzog beiden ihren Doktortitel. Die gleiche Begrün- dung liegt einer weiteren Aberkennung zugrunde, bei der es sich um die Verurteilung wegen eines nicht näher bekannten "Berufsvergehens" han- delt. In den Begründungen der Urteile wegen Schwangerschaftsabbrüchen wird mehrfach der bevölkerungspolitische Aspekt hervorgehoben; dies wird etwa deutlich, wenn einem der Angeklagten vorgeworfen wird, er habe sich "am deutschen Volkstum schwerstens versündigt",8 oder wenn in einem anderen Fall die "Gemeingefährlichkeit" derartiger Eingriffe für

6 Vgl. im Gegensatz dazu etwa den Dekan der Philosophischen Fakultät in München, Walther Wüst, der die Titelaberkennung offenkundig aktiv als ein neues Machtin- strument nutzte. Siehe Stefanie Harrecker: Degradierte Doktoren. Die Aberkennung der Doktorwürde an der Ludwig-Maximilians-Universität München während der Zeit des Nationalsozialismus. München 2007, 5.56-66. 7 Vgl. oben S. 33f. 8 UAE: Al/3a Nr. 946h, Urteilsabschrift, S. 27.

238 DIE ABERKENNUNGSPRAXISAN DERMEDIZINISCHEN FAKULTÄT

"Volkskraft und Gesundheit" angeprangert wird.9 Der Schutz des ungebo- renen Lebens erscheint demgegenüber in den Urteilsbegründungen als nachrangig. Dass die Abtreibungspolitik des NS-Regimes tatsächlich ein Mittel zur Durchsetzung ihrer Rassen- und Bevölkerungspolitik war, zeigt insbeson- dere die chronologisch letzte Depromotion der Erlanger Medizinischen Fakultät: Der 25jährige L. U. wurde im Dezember 1943,nur wenige Mona- te nach seiner Promotion, wegen Abtreibung zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt und ein Jahr später depromoviert. Das hohe Strafmaß war offenkundig eine Folge der "Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft" vom 9. März 1943",10mit der das Abtreibungsgesetz erheblich verschärft worden war. Zur gleichen Zeit wurden jedoch an den deutschen Universitätskliniken nicht nur staatlich legalisierte, sondern geforderte und geförderte Abtreibungen an "Ostarbeiterinnen" in großer Zahl durchgeführt.l1 In Erlangen geschah dies an der Universitäts-Frauen- klinik, deren Direktor Hermann Wintz in seiner Funktion als Rektor über mehrere Jahre die hier diskutierten Entzüge von Doktorgraden wegen Abtreibung ausgesprochen hatte - dies zeigt die besondere Paradoxie des NS-Unrechtsstaates,12 Vor diesem spezifischen Hintergrund müssen dem- zufolge diese Aberkennungen gesehen und bewertet werden, die auf- grund teilweise drastischer Strafurteile vorgenommen wurden, wobei sich

9 UAE: Al/3a Nr. 946e, Urteilsabschrift, S. 21. 10 RGBl. 1943, I, S. 140f. 11 Zu den Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch an "Ostarbeiterinnen" vom 11. März 1943 und ihren Folgen vgl. Gisela Bock: Zwangssterilisation im Nationalso- zialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik. Opladen 1986, S. 447-451; vgl. ferner Gisela Schwarze: Kinder, die nicht zählten. Ostarbeiterinnen und ihre Kinder im Zweiten Weltkrieg. Essen 1997. 12 Vgl. Wolfgang Frobenius: Abtreibungen an Ostarbeiterinnen 1943-1945 in Erlangen. Wie angesehene Hochschulmediziner zu Helfershelfern des NS-Regimes wurden. In: Zwangsarbeit in Erlangen während des Zweiten Weltkriegs, hrsg. von Christoph Friederich. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Erlangen, 6. Nürnberg 2007, S. 191- 213.

239 DIE ABERKENNUNGSPRAXISANDERMEDIZINISCHEN FAKULTÄT

die Situation in drei Fällen noch erheblich verschärfte, weil die Ange- klagten jüdischen Glaubens waren.13 Ein eindeutiger Fall für ein politisch motiviertes Urteil lag einer weite- ren Aberkennung an der Erlanger Medizinischen Fakultät zugrunde: Der Betroffene war wegen Abhörens von Auslandssendern im Dezember 1943 zu vier Jahren Zuchthaus und dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt worden und verlor daraufhin ein Jahr später seinen Doktortitel. Diese Aberkennung wurde wenige Monate nach Kriegsende mit dem Hin- weis wieder rückgängig gemacht, dass es sich um einen typisch national- sozialistischen Straftatbestand gehandelt habe.14 Neben den 22 Entziehungen von Doktortiteln sind für den Zeitraum von 1936 bis 1942 neun weitere Verfahren an der Medizinischen Fakultät dokumentiert, die ohne Aberkennung endeten. Dreimal handelte es sich um fahrlässige Tötung im Straßenverkehr, je zweimal waren Ärzte wegen eines Kunstfehlers und wegen eines Vergehens gegen den Paragraphen 175 (Homosexualität) angeklagt, einmal erwies sich eine angebliche Ab- treibung als medizinisch notwendiger Eingriff und einmal wurde trotz erfolgter Verurteilung wegen Abtreibung ausdrücklich "ausnahmsweise" von der Entziehung des Doktortitels abgesehen. In allen diesen Fällen war der Dekan, der stets die erste und entscheidende Stellungnahme abgab, nicht durch Gesetze des NS-Regimes gebunden15 und nutzte den Hand- lungsspielraum jeweils für die Angeklagten. Ob es hierbei jemals Differen- zen der Bewertung unter den Mitgliedern des Ausschusses gegeben hat,

13 Zur Diskussion der Abtreibungsproblematik im Rahmen der Doktorgradentzüge vgl. z.B. Wilm Huygen et al. (Hrsg.): Entziehung aufgrund "gewerbsmäßiger Abtrei- bung". In: Margit Szöllösi-Janze/Andreas Freitäger: "Doktorgrad entzogen!" Aber- kennungen akademischer Titel an der Universität Köln 1933 bis 1945. Nümbrecht 2005, S. 55-59; Harrecker (Anm. 6), S. 110f. 14 Vgl. hierzu auch Kap. 6 zur Nachkriegszeit. 15 Dieser Ermessensspielraum war bereits im Mustertext des Reichsministers für Wis- senschaft, Kunst und Volksbildung vom 17. Juli 1934 vorgesehen, vgl. oben S. 33f. Er blieb auch im "Gesetz über die Führung akademischer Grade" vom 7. Juni 1939 er- halten.

240 DIE ABERKENNUNGSPRAXIS AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT

lässt sich den Akten nicht entnehmen; es ist jedoch eher unwahrscheinlich, da die Mehrzahl dieser Entscheidungen im Umlaufverfahren erfolgte und diese nachprüfbar immer einstimmig ausfielen.

Tabellarische Übersicht: Aberkennung medizinischer Doktortitel

Geburtsdatum Name Promotionsdatum Depromotion und Geburtsort B.,M. 1882 1923 1935

A.,D. 1888 1919 1941 18. Oktober 1887 Eisner, in Striegau/ 6. Juni 1913 1940 Erich Schlesien Feibelmann, 17. März 1883 14. Dezember 1908 1940 Moritz in Memmingen Fröhlich, 20. Oktober 1864 12. Mai 1891 1941 Emil in Kauthen Frohmann, 10. Januar 1897 4. April 1922 1940 Albert in Oettingen Graf, 11. Juni 1887 7. Juni 1913 1940 Selma in Nürnberg K.,O. 1898 1922 1936 Grosse- 19. März 1898 Wietfeld, in BoUdorf 10. März 1930 1941 OUo bei Menslage Hollerbusch, 23. Juli 1900 20. Januar 1926 1940 Adolf in Fürth Hollerbusch, 16. September 4. August 1893 1941 Josef 1869 in Fürth

241 DIE ABERKENNUNGSPRAXIS AN DER MEDIZINISCHEN FAKULT Ä T

Geburtsdatum Name Promotionsdatum Depromotion und Geburtsort Holzinger, 28. Mai 1895 12. Mai 1922 (-) verstorben Theodor in Bayreuth 12. Mai 1896 Kraus, in Neustadt 22. Apri11924 1941 Irma a.d. Aisch 1939/49 (1942 G.,H. 1890 1920 verstorben) 30. März 1890 Meyer, in Neuburg 1. Juni 1920 1944 Adolf a.d. Donau 23. März 1877 in Morgenthau, Hüttendorf (bei 11. Juni 1900 1939 Ludwig Simmelsdorf) 5., N. 1884 1910 1939 Schreiner, 10. Juni 1891 14. Dezember 1916 1942 Josef in Nürnberg 30. Dezember Seckendorf, 1892 in 22. März 1920 1939 Ernst Nürnberg Sichel, 27. März 1892 20. Februar 1920 1940 Julius in Bamberg V., L. 1918 1943 1944 19. Mai 1882 Wolf, in Wangen 5. Juni 1914 1940 Nathan am Bodensee

242 6. DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN AN DER ERLANGER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT IN DER NACHKRIEGSZEIT

Die Haltung der Medizinischen Fakultät wie auch der gesamten Univer- sität zur Umsetzung der staatlich gewollten Entziehungen der Doktortitel ist in den vorangehenden Abschnitten wie auch den Lebensgeschichten der Betroffenen deutlich geworden. Ein besonderes Licht auf die (hoch- schul-)politischen Perspektiven des Themas Aberkennung der Doktor- würde wirft das Vorgehen in der Zeit nach 1945.Schwerpunkt des folgen- den Beitrags ist die frühe Nachkriegszeit. Durch die Darstellung der Origi- nalquellen und der genauen Genese der Behandlung des Themas auf Uni- versitäts- wie auch auf Fakultätsebene sollen die Entwicklung und die Be- rücksichtigung des Themas in der Erlanger Hochschulpolitik nachgezeich- netwerden. Das Unrecht in der Zeit des "Dritten Reiches" und insbesondere die ideologische Verblendung der Nationalsozialisten bezüglich der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sollte nach Kriegsende Gegenstand kriti- scher Aufarbeitung werden. So richtete am 18. Dezember 1945 Hermann Aumer1 in seiner Funktion als "Staatskommissar für die Betreuung der Juden in Bayern"2 das folgende Schreiben "an den Herrn Rektor der Uni- versität Erlangen":

1 Hermann Aumer (1889-1974).1945-1946Staatskommissar für Wiedergutmachungs- fragen; 1946 Amtsenthebung; 1949-1953:Mitglied des Bundestages, zunächst für die Bayernpartei, ab 1950 als Parteiloser; 1948-1960 Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern; 1950-1964 Präsidialmitglied bzw. Ehrenmitglied des Landesverbandes der bayerischen Industrie. 2 Das "Staatskommissariat für die Betreuung der Juden in Bayem/Staatskommissariat für die Opfer des Faschismus" wurde mit der Einsetzung von Hermann Aumer als erstem Leiter im Oktober 1945 gegründet. Ergänzend gab es ab März 1946 das "Staatskommissariat für die Betreuung der politisch Verfolgten". Im September 1946 wurden diese beiden Stellen unter Philipp Auerbach (1906-1952)verschmolzen und dem Innenministerium unterstellt ("Staatskommissariat für die rassisch, religiös und

243 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

"Euer Magnifizenz! Unter den Nazis wurde einer großen Anzahl jüdischer Personen der von Ihrer Universität zuerkannte Doktortitel wieder aberkannt. Aus verschiede- nen Gründen möchte ich Sie bitten, offiziell in der Zeitung bezw. im Amtsblatt eine Verlautbarung herauszugeben, dass den namentlich zu erwähnenden Personen der Doktortitel wieder zuerkannt und das Unrecht damit wieder gutgemacht wird. Ihren Nachrichten hierüber sehe ich gerne entgegen [... ]."3 Der Rektor der Universität, Theodor SÜSS,4gab dieses Schreiben zur Kenntnis "an die Herren Dekane" mit der "Bitte um Bericht".5 Am 7. Januar 1946 wandte sich daraufhin der kommissarische Dekan der Juristenfakultät Hans Liermann6 in einem längeren Brief mit dem

politisch Verfolgten"). 1948 erfolgte die Umbenennung in "Landesamt für Wieder- gutmachung" (dem Finanzministerium unterstellt). 1949 wurde das "Bayerische Landesentschädigungsamt" gegründet (ebenfalls dem Finanzministerium unter- stellt); vgl. die Angaben unter www.zeitenblicke.de/2004/02/fuermetz/index.html oder bei www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/l000/z/z1960a/kap 1_l/para2_53.html (zuletzt aufgerufen am 8. Mai 2008). 3 Das Schreiben endete mit dem Passus " ... und zeichne mit vorzüglicher Hoch- achtung Euer Magnifizenz sehr ergebener [Unterschrift Hermann Aumer]." Die kur- sive Passage ist im Original über dem durchgestrichenen Passus "nachstehenden" handschriftlich ergänzt. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): A1/3a Nr. 945, Genera- lia. 4 Theodor Süss (1892-1961),Jurist und Professor für Internationales Recht. Siehe Rena- te Wittern (Hrsg.): Die Professoren und Dozenten der Friedrich-Alexander-Universi- tät. Erlangen 1743-1960.Teil 1: Theologische Fakultät, Juristische Fakultät. Erlanger Forschungen, Sonderreihe 5. Erlangen 1993,S. 175f,sowie auch die Personalakten im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München (BayHStA): MK 44425. Theodor Süss war im September 1945 von der amerikanischen Militärregierung als Rektor einge- setzt worden. 5 Schreiben des Rektors Süss vom 29. Dezember 1945 [LA./i.V. unterzeichnet, unle- serliche Unterschrift]. "Nr. 2449 Abdruck". Kursiv im Original gesperrt gedruckt. UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia. - Prorektor war zu diesem Zeitpunkt Hermann Sasse (1895-1976),Theologe, Professor für Kirchengeschichte, Symbolik und Christliche Kunstarchäologie in Erlangen. 6 Hans Liermann (1893-1961), Jurist und Rechtshistoriker. 1929-1961 Professor in Erlangen. Vgl. Alfred Wendehorst: Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität

244 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

Betreff "Betreuung der Juden in Bayern. Schreiben vom 29.12.1945 Nr. 2449" an den Rektor:

"Zu dem vorstehenden Schreiben wird berichtet: Im Laufe der letzten 12 Jahre ist einer Reihe von Personen der Doktortitel entzogen worden. Ihre Rehabilitierung ist unbedingt erforderlich."7 Eine pauschale Rehabilitierung kam für den Juristen aber nicht in Frage, sah er doch auch gleich die Probleme der allgemeinen Rücknahme aller Fälle von Aberkennungen der Promotion:

"Dabei wird jedoch darauf zu achten sein, dass nicht Personen, denen der Doktor- titel wegen gemeiner, nicht politischer Straftaten entzogen worden ist, ffi€Rtsgleich- falls rehabilitiert werden. In vielen Fällen hat die Universität den Doktortitel gar nicht entzogen, sondern es wurde mit der Entziehung der deutschen Staatsangehö- rigkeit durch das Reichsministerium des Innern auch automatisch der Doktortitel entzogen.9 Unter den Personen, denen auf diese Weise der Doktortitel aberkannt worden ist, befinden sich nicht nur Juden, sondern auch andere antifaschistisch ein- gestellte Persönlichkeiten."lo Liermann beurteilte die Möglichkeit der Rückverfolgung politischer Hin- tergründe allerdings skeptisch und argumentierte: "In vielen Fällen wird es sich an Hand der Akten der Universität gar nicht feststellen lassen, ob es sich um Juden handelt oder nicht, da der sogenannte Ariernachweis erst nach 1933 in den Promotionsakten zu finden ist. Es dürfte sich empfehlen, das

Erlangen-Nürnberg 1743-1993.München 1993, S. 191 und 221. - Zum allgemeinen Kontext siehe auch Winfried Müller: Die Universitäten München, Erlangen und Würzburg nach 1945. Zur Hochschulpolitik in der amerikanischen Besatzungszone. In: Landesgeschichte und Zeitgeschichte. Forschungsperspektiven zur Geschichte Bayerns nach 1945, hrsg. von Maximilian Lanzinner/Michael Henker. Materialien zur Bayerischen Geschichte und Kultur, 4. Augsburg 1997,S. 53-87. 7 UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia. 8 Im Original zu Recht durchgestrichen. 9 Hier sieht Liermann die bereitwillige Kooperation der Universitäten bzw. Fakultäten mit dem NS-Staat und die Verantwortung in Bezug auf diese Thematik doch recht abgeschwächt. 10 UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia.

245 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

Verfahren der Rehabilitierung grundsätzlich im Concilium decanale zu besprechen. (Liermann]."ll Kurzfristig scheint es nicht zu einer Diskussion im Kreis der Dekane gekommen zu sein, aber die weiteren schriftlichen Reaktionen der ange- fragten Persönlichkeiten sind sehr interessant. Schnell, wenn auch sehr knapp, antwortete am 11. Januar 1946 der kommissarisch eingesetzte Dekan Heinrich Kuen für die Philosophische Fakultät "Betreff: Betreuung der Juden in Bayern, hier Rehabilitierung von aberkannten Doktortiteln, Rektoratsschreiben vom 29.12.1945 Nr. 2449": "Ich schließe mich dem Bericht des Herrn Dekans der Juristenfakultät vom 7.1.1946 an." Nur drei Tage später - mit Datum 14. Januar - traf ein weiteres Schreiben ein. Prof. Meuwsen formulierte für das Dekanat der Naturwissenschaftlichen Fakul- tät zur "Entziehung des Dr.-Titels bei jüdischen Personen":12 "Nach Durchsicht der Fakultätsakten ergab sich, dass in der naturwissenschaftlichen Fakultät keine Aberkennung des Doktor-Titels aus rassichen (sic]13Gründen stattge- funden hat."14 Obwohl bei den Naturwissenschaftlern - trotz der relativ schnellen Reak- tion - vermeintlich sogar die Akten durchgesehen worden waren, gab es diese Meldung an das Rektorat. Der Vorgang ist auch mit Bezug auf die anderen Fakultäten bemerkenswert: Die Naturwissenschaftler beantwor- teten die Anfrage sehr zügig, und ganz offensichtlich wussten sie auch,

11 Ebd. 12 In der Betreffzeile war auch noch der Bezug auf das "Schreiben des Rektorats vom 29.12.1945Nr. 2449" aufgeführt. Ebd. 13 Handschriftlich wurde ein "s" für "rassisch" eingefügt. 14 UAE: A1/3a Nr. 946. Auf dem Stand der gegenwärtigen Forschung muss für die Naturwissenschaftliche Fakultät von drei Verfahren und mindestens einem Entzug eines Doktortitels (Dr. rer. nat.) ausgegangen werden, bei dem es um eine Ausbür- gerung ging. Des Weiteren siehe Hartmut Kugler (Hrsg.): Lilli Bechmann-Rahn- Preis. Akademische Reden und Kolloquien der Friedrich-Alexander-Universität Er- langen-Nürnberg. Band 19. Erlangen 2000, S. 18f. - Wir danken Herrn Dr. Clemens Wachter, dem Leiter des Universitätsarchivs, für wichtige Hinweise auch in Bezug auf die anderen Fakultäten.

246 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

dass man für die fragliche Angelegenheit (Promotions- ?)Akten zu Rate ziehen konnte. Ob das Ergebnis ihrer Recherchen ggf. in einer Durch- schrift oder mündlich auch an die anderen Dekane mitgeteilt wurde, ist den Archivmaterialien nicht zu entnehmen. Die Medizinische Fakultät ließ sich deutlich mehr Zeit, denn erst über fünf Monate später, also mehr als ein halbes Jahr nach der Anfrage des Staatskommissars für die Betreuung der Juden in Bayern und dem nach- folgenden Schreiben des Rektors kam das Dekanat der Medizin der Auf- forderung um Rückmeldung nach - und dies trotz mehrfacher Rück- fragen. Zunächst hatte sich das Rektorat mit einer nochmaligen Auf- forderung vom 18. Februar an "I. den Herrn Dekan der Theologischen Fa- kultät" und ,,2. den Herrn Dekan der Medizinischen Fakultät" mit einem, dieses Mal sogar von zwei Personen unterzeichneten Erinnerungsschrei- ben,15wenden müssen. Nun reagierten die Theologen: Mit Brief vom 21. Februar an den Rek- tor - "Betrifft: Entziehung des Doktortitels bei jüdischen Personen" - ant- wortete der Dekan der Theologischen Fakultät: "Auf die Zuschrift vom 29.12.1945 Nr. 2449 wird erwidert, dass bei der Theologi- schen Fakultät kein Jude promoviert hat, demgemäß auch ke[i]ner jüdischen Person der Doktor-Titel entzogen worden ist."16 In einem Schreiben vom 11. April 1946 musste der Rektor erneut auf die- sen Sachverhalt zurückkommen. Er ersuchte den Dekan der Medizini- schen Fakultät in der Sache "Entziehung des Doktortitels bei jüdischen Personen" nun um "baldgefällige Erledigung" der "Zuschrift vom 18.12. 45 Nr. 2449",17Das in dem Vordruck für die Anfrage vorkommende Wort

15 Unterzeichnet LV. für Süss sowie persönlich durch den Kurator Lent. 16 UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia. Für die Theologie ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein fraglicher Fall eines Entzugs bekannt. Es handelt sich um Dissertationen in Er- langen und Tübingen, vgl. http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pm/pm2003/pm 703.html (zuletzt aufgerufen am 15. Mai 2008). 17 Schreiben des Rektors Süss vom 11. April 1946. UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia. Das Schreiben von H. Aumer (Anm. 3) trug das Datum 18. Dezember 1945. Die

247 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

"wiederholt" war jedoch sogar noch durch Überschreiben mit "xxx" gestrichen worden, obwohl es sich hier - nach fast vier Monaten - bereits mindestens um die zweite Rückfrage in dieser Angelegenheit handelte. In einem weiteren Schreiben vom 21. Juni 1946 ersuchte dann der lImit der Vertretung beauftragte" Rektor Liermann erneut den Dekan der Medizini- schen Fakultät in der Sache "Entziehung des Doktortitels bei jüdischen Personen" um eine Stellungnahme. In dieser, nochmals neun Wochen später erfolgenden Erinnerung, war das" wiederholt" im Text nun stehen gelassen worden. Erst dann reagierte die Medizin: Mit Schreiben vom 24. Juni 1946 teilte der Dekan der Medizinischen FakultäpB an das Rektorat unmissverständlich mit: "In Erledigung Ihrer Zuschrift Nr. 2449 v. 18.12.45erstattet die Medizinische Fakultät Fehlanzeige! "19 Trotz der nicht unerheblichen Anzahl von belegbaren Depromotions- fällen schloss man sich auf diese Weise der Aussage der Naturwissen- schaftler und Theologen an. Ob dem eine genauere Aktenrecherche voran- gegangen war, ob die Verzögerung bereits ein Ausweichen, bürokratische Langsamkeit oder gar Hinhaltetaktik bzw. bewusste Strategie war - das sind retrospektiv schwer anzustellende Mutmaßungen. Für ein seinerzeit strukturiert ablaufendes und derart gut dokumentiertes Verfahren wie die Depromotion lässt die "Fehlanzeige" der Medizinischen Fakultät aber doch aufhorchen und eine eher problematische Haltung zur jüngsten Ver- gangenheit vermuten. Die Akten waren nicht vernichtet, auch das Promo- tionsbuch hätte Auskunft über die erfolgten Streichungen geben können. Obwohl gemäß einer Direktive der Militärregierung vom 7. Juli 1945 in

"Zweitschrift" als "Abdruck" des Rektors erfolgte auf dem gleichen Blatt am ,,29.12.1945", 18 Ebd. Das Schreiben vom 24. Juni 1946ist unterzeichnet mit "LV. Rech", im Briefkopf steht "Dekan", Walter Rech (1896-1975),Gynäkologe, war 1946 als Lehrstuhlvertre- ter für die Frauenheilkunde eingesetzt. Vgl. Renate Wittern (Hrsg.): Die Professoren und Dozenten der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen 1743-1960. Erlanger Forschungen, Sonderreihe 9. Teil 2: Medizinische Fakultät. Erlangen 1999,S. 148. 19 Im Original gesperrt gedruckt. - Die Zuschrift war vom 29. Dezember 1945 (vgl. Anm.17).

248 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

der Medizinischen Fakultät alle Ordinarien - so auch der frühere Rektor Hermann Wintz und der Dekan Richard Greving - bis auf den Pharmako- logen Konrad Schübel entlassen worden waren, hätte es auf der admini- strativen Ebene Kenntnisse über die Vorgänge geben müssen: Trotz man- cher Wechsel auf der Leitungsebene waren sicherlich auch noch Personen innerhalb der Universitäts- wie auch Fakultätsverwaltung dieselben wie in der Zeit bis 1945 und daher also mit den Fällen vertraut. Einer handschriftlichen Notiz unklarer Genese (nochmals abgezeich- net am 31. August 1946) ist für den Juli 1946 zu entnehmen: "Die Angele- genheit soll im Concilium decanale besprochen werden."20 Am 7. September 1946 wandte sich das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus (München, Salvatorplatz 2) an den Rektor mit dem Betreff "Entziehung ak.[ademischer] Grade": "Es liegt ein Gesetzentwurf der Bayer. Staatsregierung beim Am.[erikanischen] Kon- trollrat in Berlin vor, der im Vollzug der Wiedergutmachung des vom Nationalso- zialismus begangenen Unrechts auch die generelle Wiederzuerkennung der durch Verwaltungsakt aberkannten ak.[ademischen] Grade bringen wird, soweit politische Gründe für die Entziehung ausschlaggebend waren. In Fällen der Aberkennung durch unmittelbare Wirkung des Strafurteils sind die Gesuche um erneute Zuerken- nung unter Beifügung der Akten dem Ministerium vorzulegen. Süss [Th. SÜSS)."21 Im Universitätsarchiv ist ein weiteres Schriftstück erhalten: Mit Datum vom 16. Oktober 1946 wurde, unterzeichnet von Otto Haupt,22 Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät, unter "Betr.: Nr. 4113 vom 20.9.46 Ent-

20 UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia. 21 Mit Stempelaufdruck: "Universität Erlangen. Eingel. 20.Sep.[tember] 1946" sowie handschriftlicher Notiz links unten: "z.A. [zur Angelegenheit] Entziehung des Dok- tortitels". Der Jurist Theodor Süss war mittlerweile vorübergehend ins Bayerische Ministerium gewechselt, wurde dann zunächst aus politischen Gründen entlassen und auch seines Amtes als Professor enthoben, nach einem längeren Prozess der "Entnazifizierung" aber wieder an der Universität Erlangen eingesetzt. BayHStA: MK44425. 22 Qtto Haupt (1887-1988),Mathematiker, Professor in Erlangen ab 1921. Siehe auch Wendehorst (Anm. 6), S. 87 und 221.

249 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

ziehung der akademischen Grade" mitgeteilt: "Fälle von Aberkennung aus politischen Gründen sind nach den angestellten Nachforschungen bei der Fakultät nicht erfolgt." Haupt konzedierte lediglich: "Eine im Jahre 1942 fällig gewesene Erneuerung des 50-jährigen Doktorjubiläums wurde mit ministerieller Erlaubnis dieses Jahres nachgeholt (Dr. Eichengrün)."23 Für das Jahr 1947 sind in den Akten des Erlanger Universitätsarchivs keine weiteren Vorgänge und Korrespondenzen zum Thema "Aberken- nung der Doktorwürde" dokumentiert. Die Phase des Umbruchs und Wiederaufbaus der akademischen Institutionen war jedoch sicherlich auch von erheblicher Überlastung und allgemeiner Unsicherheit geprägt. Im benachbarten Nürnberg lief nach den Prozessen gegen die Hauptkriegs- verbrecher dann 1946-47 auch das erste berufsspezifische Nachfolgever- fahren: der Nürnberger Ärzteprozess.24 Der Psychiater und Medizinhisto- riker Werner Leibbrand (1896-1974),25 selbst ein Verfolgter des NS-Staates, nach dem Krieg kommissarischer Leiter der Heil- und Pflegeanstalt in Erlangen und auch Gründer des Instituts für Geschichte der Medizin, war der einzige deutsche Sachverständige im Rahmen des Prozesses.26 Er engagierte sich als Lehrbeauftragter für eine Medizin auf der Grundlage der abendländischen Tradition und war auch Mitglied der Kommission

23 Dieses Schreiben legt den Schluss nahe, dass es im Spätsommer 1946 noch einen weiteren Aktenvorgang (Nr. 4113) mit einer Anfrage aus dem Rektorat gab. 24 Siehe auch Andreas Frewer et al. (Hrsg.): Medizinverbrechen vor Gericht. Das Urteil im Nürnberger Ärzteprozeß gegen Karl Brandt und andere sowie aus dem Prozeß gegen Generalfeldmarschall Milch. Von U.-D. Oppitz, mit einem Beitrag von T. von Uexküll. Erlangen, Jena 1999. 25 Vgl. Fridolf Kudlien: Werner Leibbrand als Zeitzeuge. Ein ärztlicher Gegner des Na- tionalsozialismus im Dritten Reich. Medizinhistorisches Journal 21 (1986),S. 332-352; Renate Wittern: Werner Leibbrand und die Gründung des Erlanger medizinhistori- schen Instituts. In: Marion Maria Ruisinger (Hrsg.): 50 Jahre jung. Das Erlanger Institut für Geschichte der Medizin (1948-1998).Erlangen 1998,S. 4-11. 26 Vgl. Florian Mildenberger: Das moralische Gewissen der deutschen Medizin - Wer- ner Leibbrand in Nürnberg (1943-1953).In: Paul U. Unschuld et al. (Hrsg.), Werner Leibbrand (1896-1974)."... ich weiß, daß ich mehr tun muß, als nur ein Arzt zu sein

••• 11. München u.a. 2005, S. 81-101.

250 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

zur Untersuchung der Zwangsabtreibungen an den "Ostarbeiterinnen"27- Äußerungen zum Problemfeld Depromotion sind aus seinem Nachlass jedoch bisher nicht bekannt. Erst am 8. September 1948 hat das Concilium decanale wieder getagt; von diesem Treffen ist der Auszug des Sitzungsprotokolls erhalten. Dort heißt es: "Professor Beck28bringt das Verfahren bei Aberkennung der Doktorwürde zur Sprache."29Die anwesenden Dekane waren sich bezüg- lich des Umgangs mit dem Problem jedoch offenbar nicht sicher oder wollten den Sachverhalt nicht unbedingt unverzüglich behandeln; als ein- ziger weiterer Satz ist in diesem Protokollauszug dokumentiert: "Die Fra- ge soll noch geprüft werden."30 Gemäß Beschluss des Senats vom 24. September 1948 wurde die The- matik "Aberkennung der Doktor-Würde und Wiederzuerkennung der Doktorwürde" einem Ausschuss übertragen.31 Dieser sollte bestehen aus dem Rektor (bzw. dem Prorektor) als Vorsitzendem, "dem Dekan derjeni- gen Fakultät, die die Doktorwürde verliehen hat" und "einem Mitglied der Juristischen Fakultät". Der Ausschuss habe Entscheidungsrecht.

27 UAE: A6/3d/21. "Universitäts-Ausschuss zur Untersuchung der Schwangerschafts- unterbrechungen bei Ostarbeiterinnen", eingesetzt am 15. Oktober 1946 vom damali- gen Rektor Eduard Brenner. Siehe Wolfgang Frobenius: Abtreibungen bei "Ostarbei- terinnen" in Erlangen. Hochschulmediziner als Helfershelfer des NS-Regimes. In: Andreas Frewer/Günther Siedbürger (Hrsg.): Medizin und Zwangsarbeit im Natio- nalsozialismus. Einsatz und Behandlung von "Ausländern" im Gesundheitswesen. Frankfurt a.M., New York 2004, S. 283-307. 28 Josef Beck (1891-1966),Arzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde; ab 1. Juli 1946 Lehrstuhlvertretung, ab Januar 1948 ordentlicher Professor an der Universität Erlangen. 29 UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia. 30 Sitzungsprotokoll des "Concilium decanale" vom 9. September 1948. Ebd. 31 Gemeint ist der so genannte "Engere Senat", der die Problematik als Tagesord- nungspunkt 11 ("Aberkennung der Doktorwürde") und TOP 12 (11Wiederzuerken- nung der Doktorwürde") behandelte.

251 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

Aus dem "Sitzungsprotokoll des Groß[en] Senats vom 13. Oktober 1948/1 ist auch ein Protokoll-Abschnitt dieses "Ausschuss[es] zur Aberken- nung und Wiederzuerkennung der Doktorwürde/l erhalten:

"Längere Diskussion. Professor Lippold vertritt den Standpunkt, dass sowohl Aber- kennung wie Wiederzuerkennung der Doktorwürde ausschließlich Angelegenheit der Fakultät sei, die diese Würde verliehen habe. Professor Stammer beantragt, dem Ausschuss nur [handschriftlich eingefügt] die Befugnis über die Wiederzuerken- nung der Doktor-Würde zu übertragen. Professor Kuen beantragt eine weitere Ein- schränkung dahingehend[,] dass die Befugnis des Ausschusses [durch Randnotiz angefügt] auf die Wiederzuerkennung der im Dritten Reich aberkannten Doktor- Würden zu begrenzen sei."32 Eine besondere Rolle spielte hier die Meinung der Kollegen aus der Juristi- schen Fakultät: "Professor Liermann beantragt Vertagung der Frage und Beauftragung des Syndi- kus mit der Klärung der Rechtsgrundlage, und schlägt aber jetzt schon vor, sowohl die Aberkennung wie die Wiederzuerkennung der Doktor-Würde um der Einheit- lichkeit der Praxis willen einem einzigen, großen Ausschuss zu übertragen. Profes- sor Stammer hält seinen Antrag auf sofortige Abstimmung über die Betrauung des Ausschusses mit der Wiederzuerkennung der Doktor-Würde aufrecht. Der Senat schreitet zur Abstimmung über den Antrag Professor Liermann auf Vertagung. Der Antrag wird bei zwei Nein-Stimmen und einer Stimmenthaltung angenommen."33 Die Juristen waren in dieser Angelegenheit auch weiter aktiv, so äußerte Prof. Schnorr von Carolsfeld, Dekan der Juristischen Fakultät, in einem Schreiben vom 9. Dezember 1948 an den Rektor: "Ew.Magnifizenz! Ich bitte dringend um Aufstellung des Ausschusses für den Ent- zug des Dr.-Titels und die Wiederverleihung, da es stets wichtig ist, dass derartige Kommissionen nicht erst dann gebildet werden, wenn ein konkreter Anlass vorliegt. Es könnte dann der Vorwurf erhoben werden, die Kommission sei in bezug auf

32 UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia. 33 Ebd.

252 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

diesen bestimmten Fall zusammengestellt. Ich erwarte in nächster Zeit einen Fall, den ich wahrscheinlich dem Ausschuss vorlegen muss."34 Der Senat der Universität hat das heikle Thema offenbar auch auf die Tagesordnung35 der Sitzung vom 20. Dezember 1948 genommen, aber einem kurzen Auszug aus dem Sitzungsprotokoll ist zu entnehmen, dass die "Kommission für Entzug und Wiederverleihung des Dr.-Titels" doch nicht diskutiert wurde: "Die Angelegenheit wird zurückgestellt und soll erneut auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt werden."36 Mit Schreiben vom 20. Dezember 1948 wandte sich schließlich Rektor Friedrich Baumgärtep7 wegen der "Aberkennung des Doktor-Titels in der Zeit der NS-Herrschaft" an das Bayerische Staatsministerium für Unter- richt und Kultus in München:

"Während der NS-Herrschaft ist in großer Zahl Personen der Dr.-Titel entzogen worden, weil diese Personen der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt worden sind. Veranlaßt durch die Anfrage eines im Jahre 1940 von dieser Maßnah- me Betroffenen, was die Universität Erlangen zu tun gedenkt, um diesen entehren- den Rechtsbruch wieder gutzumachen, hat die Juristische Fakultät der Universität Erlangen die Frage aufgeworfen, ob es nicht angebracht wäre, die nach 1933 in Zusammenhang mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit entzogenen Promotionen wieder herzustellen, ohne daß in den Einzelfällen ein Verfahren durch- geführt wird, und darüber eine grundsätzliche ME. [Ministerial-Entscheidung] zu erlassen. Es wird gebeten, zu dieser Anregung der Juristischen Fakultät Stellung zu nehmen."38 Ein Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Engeren Senats vom 11. März 1949 zeigt die letztendlich anvisierte Haltung und Vorgehensweise auf

34 Schreiben von Schnorr von Carolsfeld an den Rektor vom 9. Dezember 1948.Ebd.- In den vorangegangenen zehn Wochen hatte sich das Gremium ganz offensichtlich noch nicht konstituiert. 35 Angegeben ist "TO.Ziff. 9", also der Tagesordnungspunkt 9. 36 UAE: A1/3a Nr. 945,Generalia. 37 Friedrich Baumgärtel (1888-1981),Theologe, Rektor der Universität von 1948-1950. 38 UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia.

253 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

Universitätsebene: Zum Thema "Aberkennung und Wiederzuerkennung der Doktor-Würde" war folgende Textnotiz niedergelegt worden: "Der Syndikus berichtet, dass durch Entschliessungen des Bayerischen Staatsmini- steriums für Unterricht und Kultus vom 12.6.35Nr. V 30731und Nr. 29875in sämtli- chen Promotionsordnungen die Bestimmung aufgenommen werden müsste, dass über die Entziehung der Doktorwürde ein aus dem Rektor und den Dekanen zu- sammengesetzter Ausschuss (Concilium decanale) entscheidet. Er schlägt vor, dass auch über die Wiederzuerkennung der Doktor-Würde das Concilium decanale be- schliessen möge. "39 Diese Aktennotiz endet mit der Wiedergabe der Entscheidung: "Be- schluss: Über Anträge auf Wiederzuerkennung beschließt das Concilium decanale, wobei dem Votum des Dekans der betreffenden Fakultät erhöh- te Bedeutung zukommen S011."40 Ein weiterer Auszug aus dem Sitzungsprotoko11 vom 29. März 1949 notierte: "Der auf der Tagesordnung stehende Punkt ,Anträge auf Wieder- zuerkennung des Doktor-Titels' wird auf die nächste Sitzung vertagt." Auch das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus hatte offensichtlich auf verschiedenen Ebenen Probleme mit dem Vorgang Depromotion: In einem Schreiben vom 6. Februar 1950 an das Rektorat- "Betreff: Aberkennung des Doktor-Titels in der Zeit der NS-Herrschaft" - zu dem "Vorgang: Bericht vom 31.10.1949" musste der Sachbearbeiter Treppesch im Auftrag gestehen: "Da der Bericht vom 20.12.1948 Nr. 3100 hier derzeit nicht auffindbar ist, wird um Übermittlung einer Abschrift er- sucht." Baumgärtellegte diese Abschrift mit neuerlichem Schreiben vom 16. Februar 1950 nochmals vor. Bereits in der Folgewoche beschäftigte das Thema die Universität: Die "Niederschrift über die Sitzung vom 24.2.1950 im Rektorzimmer" bringt neue Aspekte zum Umgang mit dem Thema Promotionsentzug. Die mög- liche "Entziehung der Doktorwürde für Dr. med. Karl Ittameier" wurde gleich unter Punkt 1verhandelt.

39 Ebd. 40 Ebd. Auch die nachfolgend genannten Schriftstücke befinden sich in dieser Akte.

254 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

Der "Fall Ittameier"

Hintergründe und Behandlung dieses Falles werfen ein bezeichnendes Licht auf die Haltung zur Aberkennung der Doktorwürde nach 1945. Durch das Vorhandensein umfangreicher Gerichtsakten lassen sich zudem die historischen Kontexte der Vor- und Nachkriegszeit in der Region genauer darstellen. Im Mittelpunkt steht der Mediziner Carl Ittameier. Carl Christian Theodor Ittameier wurde am 22. Januar 1882 in Waller- stein geboren. 1901 machte er das Abitur in Erlangen, danach studierte er dort und vorübergehend auch in Kiel Medizin. Ittameier promovierte an der Friedrich-Alexander-Universität mit der 29seitigen Arbeit "Über einen Fall von Thrombose der rechten Arteria pulmonalis und Bildung eines Kollateralkreislaufes in den Lungen".41 Anschließend ließ er sich als Arzt in der Region nieder und trat bereits 1930 der NSDAP bei. 1933 wurde Ittameier nebenberuflicher Kreisleiter der Partei für den Bezirk Forch- heim-Gräfenberg. Ende November 1938 fand in Gräfenberg (ca. 20 km von Erlangen) eine Versammlung der NSDAP statt. Im Anschluss daran fuhren der Gruppenälteste und offensichtliche Rädelsführer Ittameier mit weiteren Mitgliedern der NSDAP-Kreisverwaltung in das wenige Kilometer ent- fernte Ermreuth. Dort gaben sie vor, mehrere Wohnungen bzw. Häuser dortiger Einwohner jüdischen Glaubens nach Waffen und Schächtmessern durchsuchen zu wollen. Es handelte sich wohl aber von vornherein um eine geplante antisemitische Attacke. Dabei wurde insbesondere der in Ermreuth lebende Max Wassermann - sogar ein Patient des Mediziners Ittameier - aus dem Bett geholt und misshandelt. Während seine Frau mit dem Kind völlig verängstigt im Hausflur Zuflucht suchte, wurde Wasser- mann von der Tätergruppe der Kopf in ein Kissen gedrückt, damit er die zuschlagenden Personen nicht genau identifizieren konnte. Er erlitt u.a. blutende Wunden am Kopf sowie Verletzungen am Rücken und floh noch

41 Med. Diss. Erschienen in Erlangen im Verlag Junge & Sohn 1907. Promotionsdatum: 26. Juli 1907.

255 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

in der gleichen Nacht in das Israelitische Krankenhaus in Fürth. Dort wurde er anschließend zwei Wochen ärztlich behandelt. Gegenüber einem Zeugen äußerte er später, dass er, seitdem er 1938 geschlagen worden war, "ein kranker Mann sei". Bereits 1942 starb Max Wassermann an einer Krebserkrankung. Im Februar 1949 fand vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Bamberg eine Verhandlung gegen Ittameier und mehrere andere Ange- klagte wegen der Ermreuther Vorkommnisse vom November 1938 statt. Carl Ittameiner wurde wegen schwerer Körperverletzung zu sechs Mona- ten Haft verurteilt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Misshand- lung Max Wassermanns wahrscheinlich im Voraus geplant worden war. Ittameier berief sich vor Gericht auf einen kurz nach der Pogromnacht erfolgten Befehl des Gauleiters, die Häuser in Ermreuth zu durchsuchen.42 Das Gericht warf jedoch insgesamt allen Angeklagten mangelnde Gestän- digkeit vor, da Ittameier und seine Kumpane sich gegenseitig zu decken und die Misshandlungen herunter zu spielen versuchten. Ittameier - zum Tatzeitpunkt 56 Jahre alt - wurde als einziger der Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Im September 1949- also über ein halbes Jahr nach erfolgter Verurtei- lung - wurde auch die Universität Erlangen informiert und erhielt eine Abschrift des Urteils. Die Medizinische Fakultät kam im November 1949 zu dem Ergebnis, dass eine "geeignete Kommission" gebildet werden müsse. Der Senat erklärte sich für nicht zuständig und verwies auf das Concilium decanale. Am 24. Februar 1950 fand dann zur Frage der Aberkennung der Doktorwürde im "Fall Ittameier" die bereits erwähnte Sitzung beim Rektor statt.43 Man einigte sich zunächst grundsätzlich - "mangels anderer gesetzlicher Unterlagen" - auch für die Zeit nach 1945

42 Am 11. November 1938erging durch die Nationalsozialisten eine Verordnung gegen den Waffenbesitz von Juden. 43 Anwesend waren neben dem Rektor noch der Dekan der Medizinischen Fakultät, der Internist Karl Matthes (1905-1962),sowie Syndikus Panzer als Protokollant. - Neben der Frage des Titelentzugs in Bezug auf Ittameier stand noch der Antrag eines Emigrierten auf Wiederverleihung des Dr. jur. zur Diskussion.

256 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

auf ein Vorgehen nach den gesetzlichen Regelungen der NS-Zeit. Als Sachstand wurde zunächst festgehalten: "Dr. Ittameier hat sich mit verschiedenen Angehörigen der NSDAP in der Nacht vom 9. auf 10.11.1938[Reichskristallnacht]44an judenfeindlichen Ausschreitungen in Ermreuth/Fränk.[ische] Schw.[eiz] beteiligt."45 Konkret aber wurde der Beschluss über eine mögliche Depromotion auf- geschoben, da man zunächst ein Gutachten der Bayerischen Landesärzte- kammer einholen wollte: "Nach dem Vortrag des Rektors und aus dem umfangreichen Gerichtsurteil be- schloss der Ausschuss, zunächst von einer Beschlussfassung über die Entziehung der Doktor-Würde abzusehen und vorher die einschlägigen Spruchkammerakten beizuziehen. Ferner soll ein Gutachten der Bayerischen Landesärztekammer in München (Dr. Weyler) über den Fall eingeholt werden."46 Erst im Mai 1950 traf eine Antwort der Landesärztekammer ein. Diese reagierte nach wiederholter Anfrage der Universität ausweichend und er- klärte schließlich, derzeit keine Berufsgerichtsbarkeit ausüben zu können, da sie rechtlich noch nicht entsprechend befugt sei. Eine gutachterliche Stellungnahme zu dieser Thematik läge zudem nicht in ihrem Zustän- digkeitsbereich. Nun tagte wieder das Concilium decanale und verwies die Angele- genheit zurück an die Fakultät. Sollte diese zu keiner Lösung kommen, müsse man sich erneut über die Vorgehensweise verständigen. Gleichzei- tig zum Fall Ittameier wurde über den Arzt P.47 eine Anfrage mit der Bitte

44 Dies ist zutreffend, vgl. u.a. den Augenzeugenbericht von Professor Bauer unter http://cms.herder-forchheim.de/node/l05(zuletztaufgerufenam15.Mai2008). Die für das Gerichtsurteil maßgeblichen Ereignisse fanden jedoch erst Ende Novem- ber 1938 statt. Siehe generell auch Christoph Friederich (Hrsg.): Juden und Juden- pogrom 1938 in Erlangen. Veröffentlichung des Stadtmuseums Erlangen, 40. Erlan- gen 1999. 45 UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia. 46 Ebd. 47 Das Protokollbuch vermerkt: "Im Falle Dr. P.[...], praktischer Arzt in Muggendorf [Fränkische Schweiz], handelte es sich um seine Verurteilung wegen 5 Vergehen der

257 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

um eine Einschätzung an den Ärztlichen Bezirksverein gestellt. Interes- santer Weise vermerkt das Protokollbuch - obwohl das Gericht in dieser Sache nach ausführlicher Begründung klar anders geurteilt hatte - folgen- den nivellierenden Passus zur Schuld Ittameiers: "Dr. Ittameier hat selbst nicht nachweislich an den Ausschreitungen teilgenommen und anerkanntermaßen ein langes, ehrenhaftes Leben als Arzt hinter sich; mildernde Umstände wurden ihm jedoch versagt, die Amnestie abgelehnt. Auch in diesem Fall wird der Dekan gebeten, erst festzustellen, ob die ärztliche Tätigkeit noch ausgeübt wird."48 Am 25. Januar 1951 schließlich entschied die Medizinische Fakultät, vom Entzug des Titels des Dr. Ittameier absehen zu wollen. Dies hatte anschei- nend auch der Ärztliche Bezirksverein empfohlen.49 Das "Protokoll der Sitzung der engeren Fakultät am Donnerstag" vom 25. Januar 1951 - die Sitzung fand ab 18 Uhr im Hörsaal der Hals-, Nasen-Ohrenklinik statt - vermerkt unter Tagesordnungspunkt 7 "Entzug der Doktorwürde" eine Abstimmung um 20.15 Uhr. Zunächst teilte der Dekan - die Richtung weisend - mit, "dass weder Dr. P[... ] und Dr. Ittameyer [sic] einen Praxis- oder Bestallungsentzug auferlegt bekommen haben". In geheimer Abstim- mung wurde daraufhin "die Frage des Entzugs der Doktorwürde für Dr. P[...] mit 14 Stimmen verneint, bei 1 Ja-Stimme und 3 Stimmenthaltun-

Abtreibung und ein Vergehen der Hergabe von Mitteln zur Abtreibung zu 1 Jahr 1 Monat Gefängnis, auf die 4 Monate Untersuchungshaft angerechnet wurden. Die Gewerbsmäßigkeit wurde verneint, strafmildernde Umstände festgestellt. Von der Untersagung der Berufsausübung wurde abgesehen. Auf Antrag Weinig wird der Dekan gebeten, zunächst Erkundigungen einzuziehen, ob Dr. P[... ] noch Praxis aus- übt und ob seine Bestallung geruht hat." UAE: Dek. Med. Fak. Protokollbuch 10. Dezember 1943 bis 29. November 1951, hier: Protokoll der Sitzung vom 20. Novem- ber 1950. 48 Ebd. 49 Ein Schriftstück ist hierzu bisher nicht gefunden worden. Für den untersuchten Zeitraum sei an dieser Stelle auch auf die generelle Schwierigkeit lückenloser Doku- mentation und historischer Forschung verwiesen: Telefonische Absprachen oder direkte Treffen lassen sich meist gar nicht oder nur unvollständig rekonstruieren.

258 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

gen." Bei "der gleichen Frage für Dr. Ittameyer [sic]" werden ,,13 Nein- Stimmen [und] 3 Ja-Stimmen abgegeben bei 2 Stimmenthaltungen". Diese Entscheidung sollte sich auch für die Behandlung späterer Fälle als wegweisend herausstellen. Im Protokoll der Sitzung der Engeren Fa- kultät vom 8. März 1951 wurde unter Tagesordnungspunkt 9 das Thema "Entzug der Doktorwürde" erneut behandelt. Der Bericht vermerkt:

"Bei der Frage des Entzugs der Doktorwürde handelt es sich um Dr. M[...] P[... ], Fürth, [...], der wegen Abtreibung zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt wurde bei vierjähriger Bewährungsfrist. Unter Hinweis auf die früheren Fälle Ittameyer [sie] und P[... ] wird beschlossen, bei der gegebenen Sachlage den Doktortitel nicht zu entziehen. "50 Die neue Vorsicht bei der Aberkennung akademischer Titel ist offen- sichtlich, bekommt aber gerade im Kontrast des Vorgehens wie auch der relevanten Vergehen mehr als einen schalen Beigeschmack: Auf der einen Seite diskriminierende Entzüge bei Emigration oder politischen Hinter- gründen, auf der anderen Seite gewalttätige antisemitische Ausschreitung mit dem klaren Gerichtsurteil gefährlicher Körperverletzung sowie Haft- strafe (Fall Ittameier), aber ein vorsichtiges Abwarten der Hochschule wie auch ärztlicher Institutionen und letztlich Nichtaberkennung.

Die Diskussionen um die weitere Behandlung des Themas

Auf Universitätsebene wurde nochmals eine gutachterliche Stellungnah- me des Juristen Liermann angefordert, der sich in einem differenzierten und ausführlichen Schreiben vom 21. März 1951 grundsätzlich äußerte und auf weiter bestehende Probleme des Umgangs mit der Thematik Aberkennung der Doktorwürde hinwies.51

50 Ebd. 51 Schreiben Liermanns vom 21. März 1951.UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia. Dieses sehr umfangreiche Dokument ist im Anhang des vorliegenden Kapitels wiedergegeben.

259 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

Ein Schreiben des Dekans der Medizinischen Fakultät Würzburg vom 2. Mai 1951 "An die Herren Dekane der Medizinischen Fakultäten der Universität München und der Universität Erlangen" zeigt den Sachstand, aber auch die Unsicherheit bezüglich des weiteren Vorgehens. "Aus vor- liegendem Anlass" war der Würzburger Dekan "für kurze Mitteilung der Stellungnahme Ihrer Fakultät zu nachstehenden Punkten dankbar": ,,1. sind seit 1945 seitens Ihrer Fakultät Entziehungen des Doktorgrades erfolgt unter Berufung auf das Gesetz über die Führung akademischer Grade, dessen Durchfüh- rungsverordnungen und Erlasse des Reiehs-u.Preuß.Minist.f.Wissensch.Erziehg.u. Volksbild. [sie]? 2. wird eine strafrechtliche Verurteilung eines Arztes wegen Abtreibung als hinrei- chender Grund für die Entziehung des Doktorgrads angesehen? 3. erfolgt die Entziehung des Dr.Grades [sie] nur durch die Fakultät (Fakultätsaus- schuss? engere Fakultät? weitere Fakultät?) oder durch Rektor und Dekane der Gesamtuniversität? 4. erfolgt die Entziehung nur für die Dauer der Verurteilung oder für die Dauer des Verbots der Praxis ausübung oder endgültig?"52 Der Würzburger Dekan Curt Sonnenschein merkte noch an, dass von seinem Rektorat angeregt wurde, "eine einheitliche Handhabung für die bayer. Fakultäten herbeizuführen". Auf diesen Punkt ging der Erlanger Dekan in seinem umgehenden Antwortschreiben vom 5. Mai 1951 nicht ein, beantwortete aber knapp die Fragen des Kollegen. Zu Frage 1 gab er nur die kurze Antwort "Nein" - dies betraf etwa die oben geschilderten Fälle von Ittameier, P. und M. Für das schwierige Gebiet der Abtreibung (Frage 2) formulierte der Erlanger Dekan: "Im Allgemeinen Ja" (obwohl es bis dahin keinen diesbezüglichen Fall gegeben hatte), ergänzte aber einen Passus zum Ermessensspielraum: ,,(...] jedoch werden die besonderen Umstände des Gerichtsurteils besonders gewürdigt".53 Auch die knappen und wenig konkreten Antworten auf Frage 3 ("Bis jetzt kein endgültiger Beschluss herbeigeführt" und 4 ("Wird von Fall zu Fall entschieden") zei-

52 Schreiben des Dekans der Medizinischen Fakultät Würzburg, Curt Sonnenschein, vom 2. Mai 1951.UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1. 53 Siehe hierzu auch den oben genannten Fall P. ohne nachfolgenden Entzug.

260 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

gen die relative Unklarheit des weiteren Vorgehens im Jahr 1951, aber überdies die eher nach vorne als in die Vergangenheit gerichtete Perspek- tive. Letztlich war sechs Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges noch keine offizielle Rücknahme der Bestimmungen zur Depromotion durch den Gesetzgeber oder die Universität erfolgt, weshalb die Fakultäten sich lange nicht sicher fühlten und daher bei der Beschlussfassung immer wieder zögerten. Ein derartiges vorsichtigeres Herangehen wäre bei der Einführung bzw. Umsetzung der Promotionsentzüge während der NS- Zeit durchaus angezeigt gewesen. Die allgemeine Rehabilitierung der Be- troffenen kam jedoch durch die bürokratischen Instanzen nicht voran, die Opfer wurden nicht ausreichend berücksichtigt: Ein Antwortschreiben an den "Staatskommissar für die Betreuung der Juden in Bayern"54- nach Hermann Aumer übernahm mit einer kurzen Interimsphase von OUo Aster dann Philipp Auerbach55 dieses Amt als Leiter der bayerischen

54 Siehe Anm. 2 sowie des Weiteren Werner Bergmann: Philipp Auerbach - Wiedergut- machung war "nicht mit normalen Mitteln" durchzusetzen. In: Claudia Fröhlich/ Michael Kohlstruck (Hrsg.): Engagierte Demokraten. Vergangenheitspolitik in kriti- scher Absicht, Münster 1999, S. 57-70; Wolfgang Kraushaar: Die Affäre Auerbach. Zur Virulenz des Antisemitismus in den Gründerjahren der Bundesrepublik. In: Menora 6 (1995), S. 319-343;Elke Fröhlich: Philipp Auerbach (1906-1952)."General- anwalt für Wiedergutmachung". In: Manfred Treml/Wolfgang Weigand (Hrsg.): Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Lebensläufe. München 1988,S. 315-320. 55 Auerbach war eine schillernde Figur mit Licht- und Schattenseiten. Siehe Anm. 1 und 2 sowie die wichtige Studie von Gerhard Fürmetz: Neue Einblicke in die Praxis der frühen Wiedergutmachung in Bayern: Die Auerbach-Korrespondenz im Bayeri- schen Hauptstaatsarchiv und die Akten des Strafprozesses gegen die Führung des Landesentschädigungsamtes von 1952, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 2, [13.09.2004], http://www.zeitenblicke.historicum.net/2004/02/fuermetz/index.html (zuletzt aufge- rufen am 15. Mai 2008). Der auf allen Ebenen für die Belange der Opfer eintretende deutsche Jude Philipp Auerbach, vorher selbst in mehreren Konzentrationslagern in- haftiert, nahm sich 1952 nach einer Verurteilung in einem politischen Prozess im Alter von nur 46 Jahren das Leben. "Der ,Fall Philipp Auerbach' entwickelte sich

261 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

Entschädigungsbehörde - ist weder von der Universität noch von Seiten der einzelnen Fakultäten erhalten. Auch die in dem eingangs zitierten Schreiben gemachten, sinnvollen und moralisch durchaus angebrachten Vorschläge, "offiziell in der Zeitung" oder "im Amtsblatt" die "Verlaut- barung herauszugeben, dass den namentlich zu erwähnenden Personen der Doktortitel wieder zuerkannt und das Unrecht damit wieder gutge- macht wird" kam ganz offensichtlich nie zustande. Die Universität Erlangen nahm diese Anfragen im Namen der Opfer offensichtlich nicht in ausreichendem Maß ernst - dies zeigt auch die verzögerte interne Ant- wort etwa im Vergleich zu den Reaktionen auf Anfragen aus dem Münch- ner Ministerium bzw. auf die Erlasse der amerikanischen Besatzungs- macht. Eine breitere Publizität erlangte das schwierige Themenfeld Depro- motion im Rahmen der akademischen Vergangenheitsbewältigung an der Universität nicht. Die Medizinische Fakultät entschied im Einzelfall auf Anfrage der Betroffenen: Einem Antrag auf Wiederverleihung von Adolf Meyer, dem "wegen Abhörens von Auslandssendern" nicht nur die Promotion, son- dern sogar die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen worden waren, wurde im Oktober 1945 stattgegeben.56 Dass die Universität wie auch die Fakultät durchaus Ermessensspielraum bei der Beurteilung besaß, zeigt der Fall des Mediziners K. G.: Dort wurde im Krieg "ausnahmsweise" von der Entziehung des Doktor-Titels abgesehen - "in besonderer Berücksichti- gung des Umstandes llirer Tätigkeit in den Ostgebieten". Man machte sich zur moralischen Instanz und setzte "für weitere Bewährung eine Frist bis 1. Januar 1946", mit der Maßgabe, dass die Hochschule von der "Entzie- hungsbefugnis" aber "unweigerlich dann Gebrauch machen wird, wenn Sie sich bis zu dem angegebenen Zeitpunkt nicht einwandfrei führen soll-

nicht nur zu einem der ersten großen Politskandale in Bayern nach 1945, er gilt auch als Lehrstück eines frühen Nachkriegsantisemitismus" - vgl. Fürmetz <1>. 56 UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia. Siehe auch die im Kapitel "Biographien der Opfer" vorgestellte Lebensgeschichte von Adolf Meyer.

262 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

ten."57Der Antrag von 1. U. (siehe Kap. 4.2), der 1944 wegen Abtreibung verurteilt worden war und die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen bekom- men hatte, wurde 1946 abgelehnt; ein erneuter Antrag auf Wiederver- leihung blieb ohne nachweisbare Beschlussfassung. Der letzte Auszug aus einer Großen Senatssitzung vom 23. Mai 1951 protokolliert folgenden Stand auf Hochschulebene: "Der Rektor bringt die gutachtliche Äußerung des Prof. Liermann vom 21.3. zur Kenntnis. Es entwickelt sich eine längere Debatte über das Gremium, welches für die Behandlung derartiger Angelegenheiten zuständig ist, wobei der Rektor mitteilt, dass sich kürzlich die Juristische Dekanskonferenz mit dem Problem befasst habe, jedoch zu keinem klaren Ergebnis über die derzeitige Rechtslage gekommen sei. All- gemein wird festgestellt, dass die Rechtslage noch völlig ungeklärt sei, weshalb es

zweckmäßig ist, die nichteiligen Fälle zurückzustellen. [... ]"58 Parallel zu den Vorgängen in Erlangen lassen sich auch mehrere Belege für eine Behandlung des Themas auf überregionaler Ebene finden: Das Problem Depromotion wurde etwa im Kontext der Westdeutschen Rekto- renkonferenzen kontrovers diskutiert,59 auf Seiten der Fakultät erfolgte jedoch keine weitere - in den Akten der Universitätsverwaltung - doku-

57 Schreiben von Prorektor Herrigel, unterzeichnet auch vom Syndikus, an Dr. K. G. vom 9. Juli 1942.UAE: Al/3a Nr. 946b. 58 Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Großen Senat[s] vom 23.05.1951.UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia. - Die Tendenz ging letztlich in Richtung einer fakultätsspezifi- schen Behandlung der Aberkennung, der Entscheidung auf Ebene des Concilium decanale und der Integration in eine neue Promotionsordnung. 59 Siehe insbesondere das detaillierte vierseitige Schreiben von Prof. Dr. Rainer aus Göttingen (Briefkopf "Westdeutsche Rektorenkonferenz", "Sekretariat", Adresse: Wilhelmsplatz I, Göttingen) an die Mitglieder der Westdeutschen Rektorenkon- ferenz "Betr.: Entziehung des Dr.-Grades" vom 19. Mai 1949. UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia. An dieser Stelle kann auf die Behandlung des Themas Aberkennung der Doktorwürde in überregionaler Perspektive nicht weiter eingegangen werden. Hier- für sind zudem komparative Studien zu den einzelnen Universitätsorten sowie wei- tere Forschungsarbeiten zu relevanten Institutionen notwendig.

263 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

mentierte Initiative zur "Wiedergutmachung" des Unrechtes der NS- Zeit.60 Auch etwa der Ton von Schreiben des Dekans an einen von der Aber- kennung Betroffenen wie Grosse-Wietfeld, der im Juli 1960 um eine Zweit- schrift seiner Promotionsurkunde gebeten hatte,61- "Über eine Wiederver- leihung ist hier nichts bekannt" und "Ich bitte Sie deshalb um Stellung- nahme, mit welchem Recht Sie einen Dr.-Titel führen"62 - lässt doch auf- horchen. Die Medizinische Fakultät hat auf die Frage nach den aberkannten Doktortiteln sehr spät sowie letztlich sogar mit der Falschmeldung "Fehl- anzeige" geantwortet und bei der Behandlung neuer Fälle - wie im Casus Ittameier - wenig moralische Sensibilität oder geschichtliche Verantwor- tung gezeigt. Die Auseinandersetzungen in der frühen Nachkriegszeit zeigen die vielschichtigen historischen und ethischen Bezüge des Themas "Aberkennung der Doktorwürde": In der Phase des Neubeginns und der Restauration an der Universität sowie während der sich entwickelnden Zeit des "Kalten Krieges" wurde Vieles verdrängt sowie der Blick nach vorne und immer seltener in die Zeit der 1930er oder 40er Jahre gerichtet.63 Dies war selbstverständlich keineswegs nur in Erlangen der Fall, auch

60 Siehe die Behandlung des Themas "Wiedergutmachung" und "Entschädigung" in den Lebensläufen der Betroffenen in Kapitel 4 des vorliegenden Bandes sowie gene- rell: Ludolf Herbst/Constantin Goschier (Hrsg.): Wiedergutmachung in der Bundes- republik Deutschland. München 1989;Karl Heßdörfer: Die Entschädigungspraxis im Spannungsfeld von Gesetz, Justiz und NS-Qpfem. In: Herbst/Goschler, S. 231-248. 61 Schreiben von QUo Grosse-Wietfeld an das Sekretariat der Universität Erlangen- Nümberg vom 8. Juli 1960. UAE: A1/3a Nr. 946c. Siehe auch die oben dargestellte Biographie des Arztes QUo Grosse-Wietfeld (1898-1980). 62 Schreiben von Ludwig Heim, Dekan der Medizinischen Fakultät, an QUo Grosse- Wietfeld vom 22. Juli 1960.Ebd. 63 Zur allgemeinen Entwicklung und der Geschichte Medizinischer Fakultäten nach Ende des Zweiten Weltkriegs siehe insbesondere Sigrid Qehler-Klein/Volker Roelcke (Hrsg.): Vergangenheitspolitik in der universitären Medizin nach 1945. Institutio- nelle und individuelle Strategien im Umgang mit dem Nationalsozialismus. StuU- gart 2007.

264 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

andernorts bestand ein "Nachkriegskonsens des Beschweigens":64 An zahlreichen Hochschulen gab es einen großen Kontrast zwischen der Selbstmobilisierung zur Diskriminierung im "Dritten Reich" und einer - hier konstatiert für die niedersächsische Georg-August-Universität - auf- fallenden "Zurückhaltung, mit der in der Nachkriegszeit Göttinger Ent- promovierte in Einzelfällen rehabilitiert wurden".65 Auch andere Universi- täten in Süddeutschland66 bzw. in Bayern67hatten mit dem Thema rechtli- che Einordnung und Wiederzuerkennung der Doktorwürde sowie einer Rehabilitierung der Opfer größere Schwierigkeiten.68

64 Vgl. Bernd Weisbrod: Legale Diskriminierung und universitäre Selbstmobilisierung. Die Aberkennung von Doktorgraden an der Universität Göttingen im "Dritten Reich". In: Kerstin Thieler: " ... des Tragens eines deutschen akademischen Grades unwürdig". Die Entziehung von Doktortiteln an der Georg-August-Universität Göttingen im "Dritten Reich". 2. Auflage, Göttingen 2006, S. 11-17, hier: S. 16. Für die dortige Medizinische Fakultät steht eine differenzierte Bearbeitung noch aus. 65 Ebd. 66 Zu Heidelberg vgl. Werner Moritz: Die Aberkennung des Doktortitels an der Uni- versität Heidelberg während der NS-Zeit. In: Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte, hrsg. von Armin Kohnle/Frank Enge- hausen. Stuttgart 2001, S. 540-562,hier: S. 550-553.Zu Tübingen siehe die Pressemit- teilung "Universität nimmt Aberkennung von Doktorgraden zwischen 1933 und 1945 zurück" mit "Ergänzung des Senatsbeschlusses von 1947 durch Fakultätsbe- schlüsse" am 25. 11. 2003, http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pm/pm2003/pm 703.html (zuletzt aufgerufen am 15. Mai 2008). 67 Für die Landeshauptstadt München siehe Stefanie Harrecker: Degradierte Doktoren. Die Aberkennung der Doktorwürde an der Ludwig-Maximilians-Universität Mün- chen während der Zeit des Nationalsozialismus. München 2007, S. 169-241. 68 Übergreifend siehe u.a. Sabine Happ: Politisch und nicht politisch motivierte Aber- kennung von akademischen Graden. Eine Auswertung von Rundschreiben deutscher Universitäten in der NS-Zeit. In: Vielfalt der Geschichte - Lernen, Lehren und Erforschen vergangener Zeiten. Festgabe für Ingrid Heidrich zum 65. Geburts- tag, hrsg. von Sabine Happ/Ulrich Norm. Berlin 2004, S. 283-296;Hans-Peter Hafer- kamp: Doktorgradentziehungen wegen "Unwürdigkeit". Zur Aufarbeitung und Weiterverwendung des Gesetzes über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939 an der Universität Köln nach 1945, vgl. http://www.uni-koeln.de/uni/images/

265 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

Es sollte zwei Generationen dauern, bis sich die Medizinische Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg wieder ihren ehemaligen Doktorinnen und Doktoren und dem ihnen geschehenen Unrecht erneut zuwendet.

Der Dekan der Hediziuischen Fakultät der ·Universität erlan'ien

An das

R e k tor a t der Universität

Betreff, Entziehung des Doktortitels bei jüdischen Personen. In Erledigur~ Ihrer Zuschrift Nr. 2449 v.18.12.45 erstattet die Medizinische Falcultät

11' e h 1 a n ze i I!.~!

LV. (/~.

Dekan.

Abbildung Nr. 27: Schreiben des Dekanats der Medizinischen Fakultät vom 24. Juni 1946 an das Rektorat der Universität. UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia.

aktuell_rede_121205_haferkamp.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. Mai 2008). Siehe auch das Literaturverzeichnis am Ende des vorliegenden Bandes.

266 DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT

Anlage: Schreiben des Juristen Liermann vom 21.03.1951

,,1.) Das Gesetz vom 7.6.1939 kann, wenn es nicht ausdrücklich aufgehoben worden ist, als rechtsgültig angesehen werden. Die in § 4 Abs. 1 genannten Gründe für die Entzieh- ung akademischer Grade sind so formuliert, dass sie nicht als Ausdruck nationalsozia- listischen Gedankengutes erscheinen, sie scheinen vielmehr auch heute noch ihrem Inhalt nach durchaus anwendbar. 2.) Sicherlich ist in der Durchführungsordnung vom 21.7.1939 der in § 3 Abs. 1 eingesetzte, aus dem Rektor und den Dekanen bestehende Ausschuss unter dem Gesichtspunkt des Führerprinzips eingesetzt worden. Trotzdem ist es wohl nicht abwegig, wenn auch heute noch das concilium decanale über die Frage der Wiederver- leihung und Aberkennung akademischer Grade entscheidet. Denn das concilium deca- nale ist ein verfassungsmässiges Organ der Universität, das insbesondere auch für Fragen der akademischen Ehre zuständig ist. Bei der heutigen Art und Weise der Abstimmung im concilium decanale bestehen gegen seine Einschaltung keine Bedenken. 3.) Nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen ist es nahe liegend, dasjenige Organ, welches die Verleihung des akademischen Grades ausgesprochen hat, auch mit der Aberkennung des akademischen Grades zu befassen. Unter diesem Gesichtspunkt würden die Fakultäten für die Aberkennung und Wiederverleihung zuständig sein. 4.) Mir scheinen jedoch gegen eine Aberkennung durch Fakultätsbeschluss schwerwie- gende Bedenken zu bestehen. Die Fakultäten werden teilweise den Fragen, welche dabei an sie herangetragen werden, verhältnismäßig hilflos gegenüberstehen. Man kann sich z.B. vorstellen, dass eine Fakultät, zu deren Mitgliedern keine Juristen zählen, grundsätz- lich eine Gefängnisstrafe als ehrenrührig ansieht und deswegen den akademischen Grad aberkennt. Auf diese Weise kann in den einzelnen Fakultäten eine sehr verschiedene Handhabung der Aberkennung eintreten. Das liegt keineswegs im Gesamtinteresse der Universität. Aus diesem Grunde ist die Befassung des concilium decanale mit einer gleichmässigen Praxis für alle Fakultäten empfehlenswert. 5.) Ich komme daher zu folgendem Ergebnis: Es erscheint am zweckmässigsten und zugleich vom juristischen Standpunkt aus nicht als unzulässig, das concilium decanale mit der Wiederverleihung und Aberkennung akademischer Grade zu beauftragen. Der aus dem Rektor, dem zuständigen Dekan und einem Juristen bestehende Ausschuss ist etwas zu eng gefasst. Es könnte darauf hinauslaufen, dass bei der Aberkennung eines juristischen Dr.-Grades unter dem Rektorat eines Juristen drei Juristen über die Aberkennung urteilen. Ausserdem ist nicht einzusehen, warum ein weiteres Universitäts- organ für diese Aberkennung geschaffen werden solL"

267

7. VERZEICHNIS DER BIOGRAPHISCH DARGESTELLTEN PERSONEN

EMIL FRÖHLICH, * 1864, Dr. med. 1891 .49

JOSEF HOLLERBUSCH, * 1869, Dr. med. 1893 63

LUDWIG MORGENTHAU, * 1877, Dr. med. 1900 69

NATHAN WOLF, * 1882, Dr. med. 1914 81

MORITZ FElBELMANN, * 1883, Dr. med. 1908 93

ERICH EISNER, * 1887, Dr. med. 1913 99

JOSEF KARL SCHREINER, * 1891, Dr. med. 1916 103

JULIUS SICHEL, * 1892, Dr. med. 1920 111

THEODOR HOLZINGER, * 1895, Dr. med. 1922 119

ALBERT FROHMANN, * 1897, Dr. med. 1922 123

ADOLF HOLLERBUSCH, * 1900, Dr. med. 1926 129

M. B., * 1882, Dr. med. 1923 137

N. 5., * 1884, Dr. med. 1910 143

SELMA GRAF (GEB. REICHOLD), * 1887, Dr. med. 1913 149

D. A., * 1888, Dr. med. 1919 159

269 VERZEICHNIS DER BIOGRAPHISCH DARGESTELLTEN PERSONEN

ADOLF MEYER, * 1890, Dr. med. dent. 1920 165

H. 0., * 1890, Dr. med. 1920 169

ERNST ALFRED SECKENDORF, * 1892, Dr. med. 1920 171

IRMA KRAUS, * 1896, Dr. med. 1924 183

Orro GROSSE-WIETFELD, * 1898, Dr. med. 1930 189

O. K., * 1898, Dr. med. dent. 1922 199

L. U., * 1918, Dr. med. 1943 201

N. M., * ca. 1868, Dr. med. 1891 207

P. J., * 1886, Dr. med. 1912 209

U. K., * 1888, Dr. med. 1913 211

H. D., * 1890, Dr. med. 1917 215

N. D., * 1892, Dr. med. 1932 219

K. G., * 1896, Dr. med. 1929 221

M. T., * 1907, Dr. med. 1939 227

T. J., * 1910, Dr. med. 1937 231

K. E., * 1912, Dr. med. dent. 1936 233

270 8. ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: 21 Schreiben von Kar! Gengenbach ("Die Deutsche Studentenschaft, Kreis Bayern") vom 18. September 1933 an Kultusminister Hans Schernm. BayHStA: MK 70708.

Abbildung 2: 27 Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939. Reichsgesetzblatt Nr. 102 vom 9. Juni 1939, S. 985.

Abbildung 3: 31 Anzeigentext zu Ludwig Morgenthau (1877-1948). Ausschnitt aus der Ersten Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staats- anzeiger Nr. 38 vom 14. Februar 1939. UAE: A1/3a Nr. 946f.

Abbildung 4: 32 UAE: Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1856/57-1899/00. Eintrag der Aberkennung bei Emil Fröhlich, 31. August 1940. Ergänzung ,,Jude [... ] Dr. Titel entzogen" [Original rot].

Abbildung 5: 60 Schreiben von Dr. Wollschläger an Dr. Emil Fröhlich vom 19. Oktober 1964. HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8.

Abbildung 6: 61 Schreiben von Rechtsanwalt Dr. B. an Dr. Wollschläger vom 19. Okto- ber 1964. HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8.

271 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 7: 67 UAE: Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1856/57-1899/00. Eintrag der Aberkennung bei Josef Hollerbusch, 8. Mai 1941. Rot ergänzt: "Jude- Dr. Titel entzogen [... ]".

Abbildung 8: 71 Dr. Ludwig und Hans Morgenthau (um 1915). Siehe Frei (Anm. 1 des biographischen Artikels). Archiv Matthew und Susanna Morgenthau.

Abbildung 9: 89 Dr. Nathan Wolf (1882-1970). Staatsarchiv Schaffhausen, CH-8200 Schaffhausen, Flüchtlinge B: Wolf, Nathan.

Abbildung 10: 91 Grab von Dr. Nathan Wolf auf dem Friedhof in Wangen, http://www.alemannia-judaica.de/wangen_friedhof.htm (zuletzt auf- gerufen am 11. März 2008).

Abbildung 11: 97 Passkarte Dr. Moritz Feibelmann. StadtAN: C21 VII 036. Bei der linken unteren Bildhälfte handelt es sich um eine angefügte Notiz aus dem Deutschen Reichsanzeiger Nr. 113 vom 17. Mai 1940.

Abbildung 12: 102 Schreiben des Rektors der Universität Erlangen an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 5. September 1940. UAE: Al/3a Nr. 946b.

Abbildung 13: 108 Passkarte Dr. Josef Kar! Schreiner. StadtAN: C21 VII 0146.

272 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 14: 113 Bekanntmachung des Rektors im Deutschen Reichsanzeiger Nr. 31 vom 6. Februar 1940 über den Entzug der Doktorwürde bei Julius Sichel. UAE: A1/3a Nr. 946h.

Abbildung 15: 117 Universitätsinterner Schriftverkehr über Eröffnung und Verlauf des Verfahrens zur Aberkennung bei Julius Sichel vom 31. Dezember 1939 bis 6. Januar 1940. UAE: A1/3a Nr. 946h.

Abbildung 16: 121 Umlaufverfahren der Fakultäten zur Frage der Entziehung des Dok- tortitels bei Dr. Theodor Holzinger (1895-1941).UAE: A1/3a Nr. 946d.

Abbildung 17: 128 Grab von Dr. Albert Frohmann und von seinem Vater Salomon auf dem Oettinger Friedhof. Siehe http://www.uni-ulm.de/uni/fak/zawiw/ ries/Juedische_Friedhoefe/oett.htm (zuletzt aufgerufen am 23. Mai 2008).

Abbildung 18: 133 Sterbeurkunde von Dr. Adolf Hollerbusch (5. November 1967). BayLEA: BEG 18 912, E-Akte, BI.64.

Abbildung 19: 155 Dr. Selma Graf (1887-1942).StadtAN: E 39 Nr. 1154/1-9.

Abbild ung 20: 158 Stolperstein für Dr. Selma Graf vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in Bamberg. Siehe http://www.connaction-bamberg.de/willy-aron/ /kat 12.php ?inhalte=kat12%- Fb20070313214120.inc&weiter.x=7&weiter.y=8 &sehen=1&z=4 (zuletzt aufgerufen am 26. Mai 2008).

273 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 21: 173 Urkunde des Königs für Ernst [Alfred] Seckendorf anlässlich der Verleihung des Militär-Verdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern, vom 9. Dezember 1916. Privatarchiv Ernst Seckendorf jun.

Abbildung 22: 178 Dr. Ernst Alfred Seckendorf (1892-1943). Privatarchiv Ernst Secken- dorfjun.

Abbildung 23: 181 Karte von Dr. Ernst Alfred Seckendorf an seinen Sohn. "Fürth i. B. Hitlerstr. 74". BayLEA: EG 31374, C-Akte.

Abbildung 24: 184 Dr. Irma Kraus (1896-1942). Fotoarchiv des Jüdischen Museums Fürth: JMF_ JMF_01875, Fotograf: M. Kolb, Nürnberg, Frauentor.

Abbildung 25: 190 Dr. Qtto Grosse-Wietfeld als Kavallerist. Aus: Nachrichten aus dem 11.Korps, Berlin [Juli] 1943. Aufnahme: R. Zillmer.

Abbild ung 26: 229 Promotionsurkunde aus der Zeit des "Dritten Reichs". UAE: Dek. Med. Fak. 18/1, Generalia/Promotionsangelegenheiten. Zur Anonymi- sierung ohne Eintrag, M. T. bekam aber diesen Vordruck.

Abbild ung 27: 266 Schreiben des Dekanats der Medizinischen Fakultät vom 24. Juni 1946 an das Rektorat der Universität. UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia.

274 9. VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN QUELLEN UND DER ARCHIVE

Universitätsarchiv Erlangen (UAE):

A1/3a Nr. 945 Entziehung der Doktorwürde (Generalia-Akten) A1/3a Nr. 946 Entziehung der Doktorwürde (Bekanntmachungen der Universität) A1/3a Nr. 946a bis A1/3a Nr. 1946i Akten zur Entziehung der Doktorwürde (Einzelfälle) A1/3a Nr. 1279 Entziehung der Doktorwürde 1949-1951

Promotionsakten:

C3/3 Nr. 1917/18-3 [D., H.] C3/3 Nr. 1919/20-61 [M., N.] C3/3 Nr. 1931/32-15 [D., N.] C3/3 Nr. 1935/36-67 [E., K.] C3/3 Nr. 1918/19-28 [A., D.] C3/3 Nr. 1912/13-4 Eisner, Erich C3/3 Nr. 1928/29-7 [G., K.] C3/3 Nr. 1908/09-2 Feibelmann, Moritz C3/3 Nr. 1911/12-34 [J., P.] C3/3 Nr. 1890/91-43 Fröhlich, Emil C3/3 Nr. 1920/21-74 Frohmann, Albert C3/3 Nr. 1935/36-72 [J., T.] C3/3 Nr. 1912/13-37 Graf, Selma C3/3 Nr. 1921/22-58 [K.,O.] C3/3 Nr. 1929/30-18 Grosse- Wietfeld, Otto

275 VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN QUELLEN UND DER ARCHIVE

C3/3 Nr. 1913/14-5 [K., U.] C3/3 Nr. 1924/25-24 Hollerbusch, Adolf C3/3 Nr. 1892/93-42 Hollerbusch, Josef C3/3 Nr. 1921/22-57 Holzinger, Theodor C3/3 Nr. 1906/07-8 Ittameier, Karl C3/3 Nr. 1890/91-17 [M., N.] C3/3 Nr. 1923/24-35 Kraus, Irma C3/3 Nr. 1917/18-21 [0., H.] C3/3 Nr. 1919/20-127 Meyer, Adolf C3/3 Nr. 1899/00-7 Morgenthau, Ludwig C3/3 Nr. 1908/09-26 [S., N.] C3/3 Nr. 1933/34-21 [P., K.] C3/3 Nr. 1915/16-9 Schreiner, Karl Josef C3/3 Nr. 1942/43-32 [U., L.] C3/3 Nr. 1919/20-19 Seckendorf, Ernst Alfred C3/3 Nr. 1919/20-13 Sichel, Julius C3/3 Nr. 1913/14-12 Wolf, Nathan C3/3 Nr. 1938/39-51 [T., M.]

Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1856/57-1899/00 Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1900/01-1924/25 Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1925/26-1944/45 Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1945/46-1953/54 Dek. Med. Fak. Protokollbuch 27. Juni 1925 bis 8. Dezember 1943 Dek. Med. Fak. Protokollbuch 10. Dezember 1943 bis 29. November 1951 Dek. Med. Fak. 18/1, Generalia Promotionsangelegenheiten Dek. Med. Fak. Nr. 99, Entziehung der Doktorwürde

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München:

BayHStA MK 40646 Universitäten, Promotionen etc. allgemein BayHStA MK 40647 Aberkennungen Universität Erlangen

276 VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN QUELLEN UND DER ARCHIVE

BayHStA MK 44425 Personalakte Süss, Theodor, Prof. Dr. BayHStA MK 70708 Promotion/Depromotion allgemein/reichsweit BayHStA MK 70709 Aberkennungen Universität Erlangen BayHstA MK 71919 Entlassungen/Wiedereinstellungen Universität Erlangen nach 1945

Bayerisches Landesentschädigungsamt München (BayLEA):

BEG 18 912 Hollerbusch, Adolf, Dr. EG 123800 Schreiner, Josef, Dr. EG 31374 Seckendorf, Ernst, Dr.

Außenstelle Lichtenau (BayLEA):

EG 94605 Hollerbusch, Josef, Dr. und Hollerbusch, Berta EG 97427 Morgenthau, Ludwig, Dr. BEG 3445 Sichel, Julius, Dr. EG 29607 Frohmann, Albert, Dr. EG 41274 [S., N.]

Jüdisches Museum Franken Fürth:

JMF_ JMF_01875 Kraus, Irma, Dr. Sammlung Helmut Steiner

Niedersächsisches Landesarchiv - Hauptstaatsarchiv Hannover:

Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8 Fröhlich, Emil, Dr.

277 VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN QUELLEN UND DER ARCHIVE

Staatsarchiv Schaffhausen:

CH-8200 Schaffhausen Flüchtlinge B: Wolf, Nathan

Stadtarchiv Coburg:

Einwohnerkartei II M 1940 Morgenthau Meldekarte Wegzugsregister M 1933 Morgenthau

Stadtarchiv Nürnberg:

StadtAN, C 21/III-1985 Meldekarte Josef Schreiner StadtAN, C 21NII-0146 Passkarte Josef Schreiner StadtAN, C 21NII-036 Passkarten Betty und Moritz Feibelmann StadtAN, E 39/Nr. 1766/1-21 Stürmer-Archiv, Akte Ernst Seckendorf StadtAN, E 39/Nr. 1154/1-9 Stürmer-Archiv, Akte Selma Graf

278 10. LITERATURVERZEICHNIS ZUR ENTZIEHUNG DER DOKTORWÜRDE

Alvermann, Dirk: Die Aberkennungen akademischer Grade an der Ernst- Moritz-Arndt-Universität Greifswald während der NS-Zeit und ihre Aufhebung. 1945-66. Zeitgeschichte regional 1 (1998),S. 48-50.

Blecher, Jens/Wiemers, Gerald: " ... durch sein Verhalten des Tragens einer deutschen akademischen Würde unwürdig ... ". Akademische Gradu- ierungen und deren nachträglicher Entzug an der Universität Leipzig zwischen 1900 und 1935. In: Figuren und Strukturen. Historische Essays für Hartrnut Zwar zum 65. Geburtstag, hrsg. von Manfred Hettling/Uwe Schirmer/Susanne Schötz. München 2001, S. 679-698.

Blecher, Jens: Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht: Das Leip- ziger Promotionsrecht zwischen 1409 und 1945 als konstitutives und prägendes Element der akademischen Selbstverwaltung. Diss. phil. Halle-Wittenberg 2006.

Borchard, Klaus (Hrsg.): Opfer nationalsozialistischen Unrechts an der Universität Bonn. Gedenkstunde anlässlich der 60. Wiederkehr der Reichspogromnacht. Alma Mater - Beiträge zur Geschichte der Uni- versität Bonn, 88. Bonn 1999.

Breitbach, Michael: Das Amt des Universitätsrichters an der Universität Gießen im 19. und 20. Jahrhundert. Zugleich ein Beitrag zu den Dok- torgradentziehungsverfahren zwischen 1933 und 1945. Archiv für hes- sische Geschichte und Altertumskunde 59 (2001),S. 267-334.

Brix, Thomas: Die normativen Grundlagen der Depromotionen und deren Verfahren. In: Henne (2007),S. 51-71.

279 LITERATURVERZEICHNIS ZUR ENTZIEHUNG DER DOKTORWÜRDE

Chroust, Peter: Ärzte ohne Titel. Doktorgradentziehungen an der Medizi- nischen Fakultät der Universität Gießen 1933-1945. In: Die Medizini- sche Fakultät der Universität Gießen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit: Personen und Institutionen, Umbrüche und Konti- nuitäten, hrsg. von Sigrid Oehler-Klein. Stuttgart 2007, S. 133-161.

Forsbach, Ralf: "Des Tragens eines deutschen akademischen Grades unwürdig". Der Entzug von Doktorgraden während des Nationalso- zialismus und die Rehabilitierung der Opfer am Beispiel der Universi- tät Bonn. Rheinische Vierteljahrsblätter 67 (2003),S. 284-299.

Forsbach, Ralf: Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn 1m "Dritten Reich". München 2006, S. 412-437.

Haferkamp, Hans-Peter: Doktorgradentziehungen wegen "Unwürdigkeit" - zur Aufarbeitung und Weiterverwendung des Gesetzes über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939 an der Universität Köln nach 1945. http://www.uni-koeln.de/uni/images/aktueICrede_12 1205haferkamp.pdf, zuletzt aufgerufen am 15. Mai 2008.

Happ, Sabine: Politisch und nicht politisch motivierte Aberkennung von akademischen Graden. Eine Auswertung der Rundschreiben deut- scher Universitäten in der NS-Zeit. In: Vielfalt der Geschichte. Lernen, Lehren und Erforschen vergangener Zeiten. Festgabe für Ingrid Heid- rich zum 65. Geburtstag, hrsg. von Sabine Happ/Ulrich Nonn. Berlin 2004, S. 283-296.

Harrecker, Stefanie: Degradierte Doktoren. Die Aberkennung der Doktor- würde an der Ludwig-Maximilians-Universität München während der Zeit des Nationalsozialismus. München 2007.

280 LITERATURVERZEICHNIS ZUR ENTZIEHUNG DER DOKTORWÜRDE

Hartwig, Angela: Aberkennungen von Doktortiteln im Dritten Reich und Rehabilitation nach 1945 an der Universität Rostock. Zeitgeschichte regional 1 (1998),S. 48-50.

Henne, Thomas (Hrsg.): Die Aberkennung von Doktorgraden an der Juri- stenfakultät der Universität Leipzig 1933-1945.Leipzig 2007.

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Hübinger, Paul Egon: Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitge- schichte. Drei Kapitel deutscher Vergangenheit aus dem Leben des Dichters 1905-1955.München, Wien 1974 [So101-279].

Huygen, Wilm/Müller, Alexandra/W alther, Clara/Wiehager, Andrea: Ent- ziehung aufgrund "gewerbsmäßiger Abtreibung". In: Szöllösi-Janze/ Freitäger (2005),S. 55-59.

Kugler, Hartmut (Hrsg.): Ulli Bechmann-Rahn-Preis. Erste Verleihung im Rahmen der Promotionsfeier der Philosophischen Fakultäten am 5. Februar 1999. Akademische Reden und Kolloquien der Friedrich- Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 19. Erlangen 2000.

Kullik, Jens: Der Entziehungsgrund Unwürdigkeit bei akademischen Gra- den und öffentlichen Ehrungen. Diss. jur. Göttingen 1996.

Lehmann, Hans-Georg: Nationalsozialistische und akademische Ausbür- gerung im Exil. Warum Rudolf Breitscheid der Doktortitel aberkannt wurde. Marburger Universitätsreden, 10. Marburg 1985.

Lehmann, Hans-Georg: Acht und Ächtung politischer Gegner im Dritten Reich. Die Ausbürgerung deutscher Emigranten 1933-45.In: Die Aus-

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bürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933-45 nach den im Reichs- anzeiger veröffentlichten Listen, hrsg. von Michael Hepp. 3 Bände. München u.a. 1985-1988.

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Linke, Tobias: Verwaltungsrechtliche Aspekte der Entziehung akademi- scher Grade. Wissenschaftsrecht, 32. Tübingen 1999.

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Oberndörfer, Ralf: Berufsverlust und Entwürdigung - einige Anmerkun- gen zu 73 sehr unterschiedlichen Doktortitelträgern. In: Henne (2007), S.73-83.

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Schupp, Volker: Zur Aberkennung der akademischen Grade an der Uni- versität Freiburg. Bericht aus den Akten. Freiburger Universitäts- blätter 86 (1984), S. 9-19.

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283