Tages-Anzeiger – Samstag, 2. September 2017 Schweiz 3

FDP-Bundesratskandidaten

Der perfekte Aussenminister Die Schweiz braucht einen Chef fürs Departement des Äusseren. Aber was für einen? Ein Anforderungsprofil von Christoph Lenz und Markus Häfliger

Der Jahreslohn beträgt 445 163 Franken könnte, gibt es nicht. Zupass kommt der brutto. Ein gediegenes Büro im Bundes- Schweiz aber anderes. Ihr Aussenminis- haus West offeriert grandiose Blicke auf ter, sagt Ambühl, habe eine ähnlich pri- die Alpen. Für Auslandreisen wartet im vilegierte Rolle wie das unschuldige Belpmoos der Bundesratsjet, eine Das- Kind, das in der Erzählung «Des Kaisers sault Falcon 900 EX, die zuvor schon dem neue Kleider» das Offensichtliche aus- Fürsten Albert II. von Monaco diente. Ge- spricht: «Aber er hat ja gar nichts an!» sucht wird: ein neuer Aussenminister. Die Schweiz könne die Missstände auf Doch obwohl die Bundesratsvakanz der Welt direkter und glaubwürdiger be- stetig näher rückt, wird sie bisher allein nennen als viele andere Staaten – weil sie unter oberflächlichen Gesichtspunkten neutral sei, keine koloniale Vergangen- diskutiert. Ein Tessiner? Eine Frau? Ein heit habe und keine versteckte Agenda Jungspund aus dem internationalen verfolge. Doch auch Friedensförderung Genf? Die Schweiz denkt die Bundes- sei Interessenpolitik, sagt Ambühl. Mit ratswahl von den Kandidaten her. Der Guten Diensten gewinne die Schweiz An- Job, den der Neue in der Landesregie- sehen. Das diene am Schluss des Tages rung übernehmen muss, falls keiner der auch anderen Interessen. Um diese bisherigen Bundesräte Anspruch er- durchzusetzen, müsse man dann aber hebt, ist kein Thema. Die fachlichen und auch kämpfen können, besonders in charakterlichen Eigenschaften, die dazu Brüssel. «Tough» sei das, sagt Ambühl, nötig wären, ebenfalls nicht. Was für der in seiner Karriere viele schwierige einen Aussenminister also braucht das Verhandlungspartner hatte – die USA, Land? Welche Qualitäten muss er ha- die EU, die Türken, die Iraner. Seine Er- ben? Welche Aufgaben warten auf ihn? kenntnis: «Die Grossen schenken einem Und welche Kämpfe? Kleinen nichts. Nichts!» Roland Büchel muss keine Sekunde überlegen, was der Vorsteher des Eidge- «Das Motzen über nössischen Departements für auswär- tige Angelegenheiten (EDA) braucht: den Aussenminister Führungsstärke! «Dieser Laden ist der ist eine historische schwierigste der ganzen Bundesverwal- Konstante.» Isabelle Moret, Vizefraktionschef Beat Walti, Ignazio Cassis und Pierre Maudet (von l.) bei der Bekanntgabe des Dreiertickets im Hotel Beau- Rivage in Neuenburg. Foto: Franziska Rothenbühler tung», sagt Büchel, weit gereister Natio- Sacha Zala, Historiker nalrat der SVP, Präsident der Aussen- politischen Kommission und früher sel- ber EDA-Mitarbeiter. Mit 5984 Mitarbei- tern, verstreut auf über 100 Länder, Womit der Dreh- und Angelpunkt er- müsse der EDA-Chef noch stärker sein reicht ist. Europa. Daran – und nur daran Störgeräusche bei der FDP-Kandidatenkür als in den anderen Departementen. – wird der künftige Aussenminister ge- «Schöngeistpolitiker sind hier völlig fehl messen werden. Von der Politik. Aber am Platz», sagt Büchel – und meint, er auch vom Volk. Was also muss er in Brüs- Die freisinnige Bundesratsshow läuft wie geschmiert: drei Kandidaten, alle präsentabel, alle glücklich. Doch hinter den Kulissen rumort es. finde es ja schon erstaunlich, wer alles sel erreichen? Die Frage beschäftigt die sich dieses Amt zutraue. Schweiz seit Jahren. «Beantworten lässt In der Fraktion kam es am Freitag zum offenen Streit zwischen den Ro mands. Auslöser war die Kandidatur von Isabelle Moret. Die schwer führbaren Diplomaten! sie sich nicht», sagt Christa Tobler, Pro- Auch für Gerhard Pfister, CVP-Präsident fessorin für Europarecht an der Uni­ und Mitglied der aussenpolitischen versität Basel. «Wir kennen weder den Kommission, sind sie die grösste Heraus- genauen Stand der Verhandlungen noch forderung, die auf Burkhalters Nachfol- das Mandat, das der Bundesrat 2013 ger warten. «Die bisherigen Aussenmi- verabschiedet hat. Klar ist nur, dass die nister habe ich eher als getrieben von EU auf eine Lösung drängt. Und der Das sind die Bundesratskandidaten der FDP ihren Mitarbeitern erlebt.» Der oder die Aussenminister aus verhandlungstakti- Neue müsse die Position des Gesamt- schen Gründen schweigen muss, bis die- bundesrats im Departement durchset- ser Deal erzielt ist.» zen, sagt Pfister. Doch zuvor müsse der Das Volk verlangt Antworten. Die EDA-Chef es schaffen, seine Bundesrats- Mission erfordert Schweigen. Eine bit- kollegen hinter eine gemeinsame Euro- tere Ausgangslage. Wegen seines Lavie- papolitik zu scharen – genau das, woran rens gilt der abtretende Didier Burkhal- Burkhalter letztlich gescheitert ist. ter als schwach. Vielen anderen erging es gleich. Man muss schon fast von einer Das unschuldige Kind Berufskrankheit sprechen. Das sagt Sa- Einen Leader, einen Aufräumer, einen cha Zala, Historiker und Direktor der Kraftprotz: Danach sehnen sich die Par- Forschungsstelle Diplomatische Doku- Ignazio Cassis (56), Tessin Isabelle Moret (46), Waadt Pierre Maudet (39), Genf lamentarier. Am Wahltag schreiben sie mente der Schweiz (Dodis). Er hat aber- dann aber doch meist den Namen eines tausende Depeschen, Geheimakten und Der Kandidat blassen Bürokraten auf ihren Zettel. Berichte von Ex-EDA-Chefs durchge­ Arzt, Nationalrat, Fraktionschef, Lobbyist: Grossrätin, Nationalrätin, Bundesrätin? Isabelle Er kommt von aussen – und will schon lange Weil ein EDA-Chef nicht gegen sein De- ackert, digitalisiert und für die Öffent- Ignazio Cassis ist der perfekte Milizpolitiker. Moret, Anwältin, werden schon seit ihrer Zeit nach ganz oben. Pierre Maudet, Regierungsrat partement regieren kann, sondern nur lichkeit kritisch eingeordnet. Wenn Zala Der Gesundheitspolitiker sitzt seit 2007 im kantonalen Parlament grosse Ambitionen in Genf, ist seit seinem 14. Lebensjahr politisch mit ihm? Wie beurteilen das die Diplo- über diese Magistraten spricht, dann im Nationalrat. nachgesagt. aktiv. maten, was sagt die Wissenschaft? halb belustigt, halb bedauernd. Arme Michael Ambühl greift in seinem Zür- Teufel, diese Aussenminister. cher Büro nach einem blauen Krug und «Er oder sie muss titanische Kräfte Freunde und Feinde giesst Tee ein. 31 Jahre lang arbeitete der haben», sagt Zala über den perfekten Willensnation, Staatsräson, staatspolitische Die Frauenkandidatur. Moret wählt, wer Liebling der Journalisten, Liebling der heutige ETH-Professor im EDA, stieg auf Aussenminister. Nur ein aussergewöhn- Vernunft: Grosse Begri’e, die Cassis nun verhindern will, dass Linken, Liebling all jener, die das altherge- bis zum Staatssekretär. Ambühl weiss: licher Charakter sei in der Lage, unter richtig lieben lernte. Ihn wählt, wer das dereinst die einzige Frau im Bundesrat ist. brachte Schema bei Bundesratswahlen Bevor man den Wunschkandidaten skiz- den Zumutungen dieses Amtes zu be- Tessin wieder im Bundesrat will. Seine Moret wählt auch, wer Karin Keller-Sutter als aufweichen möchten: Man wählt einen der ziert, muss man den Auftrag kennen. Wo stehen. «Der Druck von aussen und der Feinde sitzen links und finden seine vielen Bundesrätin verhindern will (das sind einige, Seinen, man wählt den Durchschnitt. Seine der steht? Bundesverfassung, Artikel 54. Druck von innen sind ungleich stärker Mandate problematisch. vor allem Männer). Feinde: alle anderen. Die Unabhängigkeit des Landes wahren als in den anderen Departementen.» Das und den Wohlstand sichern; Not und zeige sich etwa darin, dass die Aussen- Der Wahlkampf Armut in der Welt lindern; Menschen- minister der letzten 50 Jahre von der Öf- rechte und Demokratie fördern; zu Frie- fentlichkeit oft als hoffnungslose Versa- Er machte einen blöden Frauenspruch, er Oje, Frau Moret. Sie zögerte, sie zauderte. Was Moret falsch machte, machte Maudet den beitragen; unsere natürlichen Le- ger wahrgenommen wurden, obschon gab seinen italienischen Pass zur Unzeit ab, Und als sie sich schliesslich entschieden richtig. Präsent auf allen Kanälen, Hunderte bensgrundlagen erhalten. sie überdurchschnittliche Bundesräte er zeigte im «Blick» sein Blümchensofa. hatte, gab sie eine äusserst unvorteilhafte von Gesprächen mit Parlamentariern und Diese fünf Ziele seien der Massstab gewesen seien: , als arro- Kleinere Dellen in einem sonst reibungs- Figur ab. Sie war dünnhäutig, nervös, unorga- nicht einmal der Eindruck, dieser Maudet von allem, was das EDA mache – bilate- ganter Welscher. Pierre Aubert und losen Wahlkampf. Dieser dauerte für ihn nisiert. Sie war auch die klare Verliererin der könnte am Schluss doch ein Blender sein. ral, multilateral, überall. Dass die René Felber als reiselustig und schwach. länger: Cassis war der erste Kandidat. Roadshow der FDP. Der beste Wahlkämpfer des Trios. Schweizer Diplomatie an all diesen als abgehoben. Vom Image Fronten kohärent agiere, dass die rechte von und Micheline Calmy- Chancen Hand im EDA stets wisse, was die linke Rey wolle er schon gar nicht sprechen. Er startete als Favorit, er blieb der Favorit, Man kann sich das nicht wirklich vorstellen, Ähnlich klein sind die Chancen von Maudet. tue – das sei die grösste Herausforde- «Das Motzen über den Aussenminister und jetzt ist er sogar mehr als das: eine Bundesrätin Isabelle Moret. Ihre Chancen Er mag einen guten Auftritt haben. Doch er rung für den Chef, sagt Ambühl. ist in der Schweiz eine historische Kons- Niemandem nützt ein Dreierticket mehr als auf einen Wahlsieg sind nur noch sehr gering. bleibt der Aussenseiter, der noch nie in Bern Dabei operiert der Aussenminister tante», sagt Zala. Cassis. So verteilen sich die Stimmen seiner Selbst in der Fraktion zweifeln viele an ihrer war. Karin Keller-Sutter scheiterte vor unter erschwerten Bedingungen. Denn Hart, weich, selbstbewusst, selbstlos, Gegner auf zwei Kandidaten. Bundesrats-Tauglichkeit. sieben Jahren unter gleichen Prämissen. auch die anderen Bundesräte fliegen in durchsetzungsfähig, teamkompatibel: der Welt umher und machen in ihren Die Schweiz braucht eigentlich einen Ressorts selber Aussenpolitik. Und einen Superman im EDA. Aber sie wird einen TA-Grafik mrue/Texte: Philipp Loser Regierungschef, der für Ordnung sorgen Bundesrat erhalten.