Plenarprotokoll 16/71

Deutscher

Stenografischer Bericht

71. Sitzung

Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- Schaffung einer gesetzlichen Grund- neten Dr. ...... 7091 A lage für die Anti-Terror-Dateien un- ter Beibehaltung der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten Tagesordnungspunkt 26: – zu dem Antrag der Abgeordneten a) – Zweite und dritte Beratung des von der Dr. , Gisela Piltz, Ernst Bundesregierung eingebrachten Ent- Burgbacher, weiterer Abgeordneter wurfs eines Gesetzes zur Errichtung und der Fraktion der FDP: Evaluie- gemeinsamer Dateien von Polizeibe- rung des Terrorismusbekämpfungs- hörden und Nachrichtendiensten gesetzes präziser gestalten des Bundes und der Länder (Ge- – zu dem Antrag der Abgeordneten meinsame-Dateien-Gesetz) Wolfgang Wieland, (Drucksachen 16/2950, 16/3292, (Köln), , wei- 16/3642, 16/3646) ...... 7091 B terer Abgeordneter und der Fraktion – Zweite und dritte Beratung des von der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Bundesregierung eingebrachten Ent- Bessere Evaluierung der Anti-Ter- wurfs eines Gesetzes zur Ergänzung ror-Gesetze des Terrorismusbekämpfungsgeset- – zu dem Antrag der Abgeordneten zes (Terrorismusbekämpfungser- Wolfgang Wieland, Volker Beck gänzungsgesetz) (Köln), , weiterer Abge- (Drucksachen 16/2921, 16/3642, ordneter und der Fraktion des BÜND- 16/3646) ...... 7091 B NISSES 90/DIE GRÜNEN: Anti-Ter- b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- ror-Gesetze – Zeitliche Befristung nenausschusses beibehalten und Rechtsschutz der Betroffenen verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten , , , Kersten (Drucksachen 16/2624, 16/2071, 16/2671, Naumann und der Fraktion der LIN- 16/2072, 16/2081, 16/3642) ...... 7091 D KEN: Erhaltung des Trennungsge- bots – keine Errichtung gemeinsa- Ralf Göbel (CDU/CSU) ...... 7092 B mer Dateien von Polizeibehörden Gisela Piltz (FDP) ...... 7093 C und Nachrichtendiensten des Bun- des und der Länder (SPD) ...... 7095 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte (DIE LINKE) ...... 7097 B Wolfgang Wieland, Volker Beck Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ (Köln), Silke Stokar von Neuforn, wei- DIE GRÜNEN) ...... 7099 A terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Klaus Uwe Benneter (SPD) ...... 7100 C II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Clemens Binninger (CDU/CSU) ...... 7101 A d) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), , Irmingard Schewe- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Gerigk, weiterer Abgeordneter und der BMI ...... 7102 A Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE Dr. Max Stadler (FDP) ...... 7103 D GRÜNEN: Gemeinsam gegen Aids – Verantwortung und Solidarität stärken Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) ...... 7104 D (Drucksache 16/3616) ...... 7113 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ e) Beschlussempfehlung und Bericht des DIE GRÜNEN) ...... 7105 D Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- Gisela Piltz (FDP) ...... 7106 B trag der Abgeordneten Dr. , Gert Winkelmeier (fraktionslos) ...... 7108 A Hellmut Königshaus, Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Sabine Leutheusser-Schnarrenberger der FDP: Den Südsudan beim Wieder- (FDP) ...... 7108 D aufbau unterstützen und vor AIDS be- Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) ...... 7109 B wahren (Drucksachen 16/586, 16/2364) ...... 7113 C (CDU/CSU) ...... 7110 A Dr. (SPD) ...... 7113 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Dr. Karl Addicks (FDP) ...... 7115 B DIE GRÜNEN) ...... 7111 B Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) ...... 7116 A Clemens Binninger (CDU/CSU) ...... 7111 D Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) ...... 7116 D Monika Knoche (DIE LINKE) ...... 7118 C Tagesordnungspunkt 27: Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ a) Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, DIE GRÜNEN) ...... 7119 D Dr. Christian Ruck, Dr. , weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der , Parl. Staatssekretär CDU/CSU, der Abgeordneten Christel BMG ...... 7121 A Riemann-Hanewinckel, Dr. Wolfgang Detlef Parr (FDP) ...... 7121 B Wodarg, Dr. , weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD, der (CDU/CSU) ...... 7123 A Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Christian Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Ahrendt, (Münster), weiterer DIE GRÜNEN) ...... 7124 D Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Jens Spahn (CDU/CSU) ...... 7125 B Hoppe, Renate Künast, und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE Christel Riemann-Hanewinckel (SPD) . . . . . 7126 A GRÜNEN: Welt-Aids-Tag 1. Dezember 2006 – Die besondere Verantwortung für Entwicklungsländer unterstreichen Tagesordnungspunkt 28: (Drucksache 16/3610) ...... 7113 A a) Antrag der Abgeordneten Rainder b) Antrag der Abgeordneten Jens Spahn, Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Annette Widmann-Mauz, , Nouripour, weiterer Abgeordneter und der weiterer Abgeordneter und der Fraktion Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE der CDU/CSU sowie der Abgeordneten GRÜNEN: Forderungen an die deutsche Peter Friedrich, Elke Ferner, Dr. Carola EU-Ratspräsidentschaft – Ratspräsi- Reimann, weiterer Abgeordneter und der dentschaft für eine zukunftsfähige EU Fraktion der SPD: Maßnahmen zur Be- nutzen kämpfung von HIV/Aids in Deutsch- (Drucksache 16/3327) ...... 7127 B land b) Antrag der Abgeordneten Hellmut (Drucksache 16/3615) ...... 7113 A Königshaus, Dr. Karl Addicks, , weiterer Abgeordneter und c) Antrag der Abgeordneten Dr. Karl der Fraktion der FDP: Die deutsche EU- Addicks, Hellmut Königshaus, Detlef Ratspräsidentschaft 2007 zur Reform Parr, weiterer Abgeordneter und der Frak- der Entwicklungszusammenarbeit der tion der FDP: Missfallen an der südafri- Europäischen Union nutzen kanischen Aids-Politik betonen und (Drucksache 16/2833) ...... 7127 C weitere deutsche Entwicklungszusam- menarbeit an Bedingungen knüpfen (Drucksache 16/3097) ...... 7113 B in Verbindung mit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006 7091

(A) (C) Redetext

71. Sitzung

Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Beginn: 9.02 Uhr

Präsident Dr. : Gisela Piltz Die Sitzung ist eröffnet. Dr. Max Stadler Ulla Jelpke Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie Wolfgang Wieland herzlich und wünsche Ihnen einen guten Morgen. bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Heute feiert der Kollege Dr. Heinz Riesenhuber sei- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung nen 71. Geburtstag. Er ist dennoch hier. – Drucksache 16/3646 – (Beifall) Berichterstattung: Lieber Kollege Riesenhuber, ich gratuliere Ihnen im Na- Abgeordnete Dr. Michael Luther men des ganzen Hauses und wünsche Ihnen alles Gute. (B) Ich vermute, dass bei den gestrigen Feierlichkeiten im Jürgen Koppelin (D) anderen Amt in der Parlamentarischen Gesellschaft schon eine ähnlich stattliche Anzahl von Kolleginnen und Kollegen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, Ihnen persönlich zu gratulieren. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Petra Pau, Jan Korte, Kersten Naumann und desregierung eingebrachten Entwurfs eines der Fraktion der LINKEN Gesetzes zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrich- Erhaltung des Trennungsgebots – keine tendiensten des Bundes und der Länder Errichtung gemeinsamer Dateien von Poli- (Gemeinsame-Dateien-Gesetz) zeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder – Drucksachen 16/2950, 16/3292 – – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang desregierung eingebrachten Entwurfs eines Wieland, Volker Beck (Köln), Silke Stokar von Gesetzes zur Ergänzung des Terrorismus- Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN bekämpfungsgesetzes (Terrorismusbekämp- fungsergänzungsgesetz) Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für – Drucksache 16/2921 – die Anti-Terror-Dateien unter Beibehaltung der Trennung von Polizei und Nachrichten- aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- diensten ausschusses (4. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Max – Drucksache 16/3642 – Stadler, Gisela Piltz, , weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Evaluierung des Terrorismusbekämpfungs- Klaus Uwe Benneter gesetzes präziser gestalten 7092 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Udo Di Fabio setzen sich Freiheit und Sicherheit wech- (C) Wieland, Volker Beck (Köln), Silke Stokar von selseitig voraus und stärken sich, wenn beide angemes- Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Frak- sen zur Entfaltung gelangen. In diesem Rahmen müssen tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN wir, um mit den Worten von Bundesminister Schäuble zu sprechen, das Menschenmögliche tun, um Anschläge Bessere Evaluierung der Anti-Terror- auf unser Land und die Menschen in unserem Land zu Gesetze verhindern. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang beiden Gesetzen den Rahmen der Verfassung beachtet Wieland, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, haben und bei der Gewährung des Schutzes für die Be- weiterer Abgeordneter und der Fraktion des völkerung in unserem Land einen entscheidenden Schritt BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN weiter kommen werden. Dies gilt insbesondere für die gemeinsame Datei. Anti-Terror-Gesetze – Zeitliche Befristung beibehalten und Rechtsschutz der Betroffe- Ich danke hier zu allererst Herrn Bundesminister nen verbessern Schäuble, – Drucksachen 16/2624, 16/2071, 16/2671, (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Zuallerst? Was 16/2072, 16/2081, 16/3642 – ist mit uns?) Berichterstattung: dem es nach langen Jahren des Streites gelungen ist, eine Abgeordnete Clemens Binninger gemeinsame Position der Innenminister zwischen Bund Klaus Uwe Benneter und Ländern zu erarbeiten. Dies hat die erfolgreiche Ar- Gisela Piltz beit erst ermöglicht. Dr. Max Stadler Ulla Jelpke (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wolfgang Wieland neten der SPD) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Mit der gemeinsamen Datei schaffen wir einen spe- die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich ziellen Informationsverbund der 38 Behörden des höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Bundes und der Länder, Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Und wann dan- der Kollege Ralf Göbel für die CDU/CSU-Fraktion. ken Sie uns, Herr Göbel?) (Beifall bei der CDU/CSU) deren Aufgabe die Bekämpfung des internationalen Ter- (B) rorismus ist. Unter sehr stark einschränkenden Voraus- (D) setzungen können weitere Behörden der Länder, denen Ralf Göbel (CDU/CSU): dauerhaft die Aufgabe zur Bekämpfung des internationa- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir len Terrorismus übertragen wird, an diesem Informa- debattieren heute abschließend über zwei wichtige Ge- tionsverbund teilnehmen. setze, die die Sicherheitsarchitektur in unserem Land verbessern werden. Zum einen ziehen wir die Konse- Ich denke, dies ist eine sachgerechte Lösung; denn sie quenz aus der Evaluierung des Terrorismusbekämp- lässt den Ländern Raum für konkrete Ausgestaltungen fungsgesetzes aus der vergangenen Wahlperiode und ihrer Organisationshoheit. Die Lösung ist auch angemes- verbessern die Möglichkeiten unserer Sicherheitsbehör- sen; denn die Bekämpfung des internationalen Terroris- den zur Bekämpfung des Terrorismus. Zum anderen ent- mus ist eine Aufgabe, die Bund und Länder nur gemein- scheiden wir heute über die Antiterrordatei, deren Auf- sam wahrnehmen können, aber auch wahrnehmen bau und Inhalte uns in diesem Hause schon seit Jahren müssen. Nur wenn diese Zusammenarbeit optimal orga- beschäftigt haben. nisiert ist, können wir erfolgreich sein. Die Gott sei Dank misslungenen Kofferbomben- Entscheidend für die verfassungsrechtliche Bewer- anschläge auf die Regionalzüge in Nordrhein-Westfalen tung ist auch, dass durch die gemeinsame Datei keine und Rheinland-Pfalz sowie der vereitelte Sprengstoff- neue Datenerhebung stattfindet. Die Personen, die in anschlag auf ein Verkehrsflugzeug am Flughafen Frank- diese Datei eingestellt werden, sind bereits aufgrund ge- furt zeigen, wie präsent die Bedrohung durch Terroristen setzlicher Vorschriften in den bestehenden Dateien der in Deutschland ist. Wir sind daher gegenüber der Bevöl- Polizeien und der Nachrichtendienste des Bundes und kerung in der Pflicht, ständig zu überprüfen, ob unsere der Länder erfasst. Mit der Antiterrordatei versetzen wir Sicherheitsbehörden die geeigneten und die erforderli- die Sicherheitsbehörden aber erstmals in die Lage, einen chen Kompetenzen haben, um bereits im Vorfeld solche schnellen bundesweiten Überblick über vorhandene Er- Planungen aufdecken und Verbrechen verhindern zu kenntnisse zu bestimmten Personen oder Vereinigungen können. zu erhalten. Die Kenntnis dieser Daten muss dabei für die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Schon vor der Anhörung war uns klar, dass wir uns in Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland einem komplizierten Spannungsfeld zwischen Sicher- erforderlich sein. heit und Freiheit bewegen. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Grund- gesetz verpflichtet den Staat, die Menschenwürde zu Mit einem sehr differenzierten System stellen wir si- achten und zu schützen. Nach dem Verfassungsrichter cher, dass die einstellenden Behörden Herr über ihre Da- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006 7093

Ralf Göbel (A) ten bleiben und dass die Persönlichkeitsrechte derjeni- verantwortungsvoll umgehen und die erforderlichen (C) gen, die in diese Datei eingestellt sind, gewahrt bleiben. Maßnahmen zum Schutz der Freiheit und zur Gewähr- So erhält die abfragende Behörde im Fall eines Treffers leistung der Sicherheit ergreifen. nur den Zugriff auf die Grunddaten. Will sie ergänzende Informationen, so genannte erweiterte Grunddaten zu Vielen Dank. dieser Person haben, muss sie mit der einstellenden Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) hörde Kontakt aufnehmen. Diese einstellende Behörde entscheidet dann, ob die besonders sensiblen Daten übermittelt werden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Gisela Piltz, FDP- Soweit besondere Geheimhaltungsinteressen oder Fraktion. – das ist ein Ergebnis der Anhörung – besonders schutz- würdige Interessen des Betroffenen dies ausnahmsweise (Beifall bei der FDP) erfordern, kann eine beschränkte oder verdeckte Spei- cherung erfolgen. Gisela Piltz (FDP): Kritisiert wurde in der Sitzung des Innenausschusses Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- die Eilfallregelung, wonach die abfragende Behörde un- legen! Um es gleich zu Beginn klarzustellen: Die FDP ter äußerst eng beschriebenen Voraussetzungen auf die ist für den verbesserten Datenaustausch zwischen den erweiterten Grunddaten zugreifen darf, wenn die er- Sicherheitsbehörden, wenn es um die Bekämpfung des suchte Behörde nicht rechtzeitig reagieren kann. internationalen Terrorismus geht. Ich vermag beim besten Willen nicht zu erkennen, wie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten man hier zu der Erkenntnis kommen kann, dass der Eilfall der SPD – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das in der Praxis zum Regelfall werden soll. Neben den be- musste einmal gesagt werden!) schriebenen materiellen Voraussetzungen für diesen be- – Es ist schön, dass wenigstens Sie mir Beifall klatschen. sonderen Zugriff haben wir im Gesetz noch erhebliche or- Die CDU schafft das nicht. – Die FDP unterstützt selbst- ganisatorische Hürden aufgebaut, die nach meiner verständlich die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen langjährigen Erfahrung in Sicherheitsbehörden gewähr- den internationalen Terrorismus und hat sich schon seit leisten, dass ein Missbrauch nicht stattfindet. Ganz da- langem für eine reine Indexdatei zur Bekämpfung des von abgesehen gehe ich bis zum Beweis des Gegenteils internationalen Terrorismus eingesetzt. Dass diese In- davon aus, dass sich bundesdeutsche Behörden an Recht dexdatei weder in den vergangenen Jahren noch jetzt und Gesetz halten und ein solches Misstrauen gegenüber realisiert wurde, liegt nicht an uns, sondern an den Län- (D) (B) den Sicherheitsbehörden völlig unangebracht ist. derministern, die von CDU und SPD gestellt werden; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- das musste einmal gesagt werden. neten der SPD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Nur am Rande will ich noch erwähnen, dass jeder, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wirklich jeder Zugriff auf diese Datei protokolliert wer- den muss und sowohl die Zugriffsregelungen als auch Wir haben bei dem vorliegenden Entwurf allerdings die Protokolldaten der Kontrolle durch die Datenschutz- auch rechtsstaatliche Bedenken. beauftragten des Bundes und der Länder unterliegen. Zuerst aber ein Wort zum Verfahren – das kann ich Insgesamt haben wir eine Regelung gefunden, mit der Ihnen nicht ersparen –: Es gab eine kurzfristig anbe- das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit an- raumte Anhörung. Diesem Vorgehen haben wir zuge- gemessen austariert wird. Die verfassungsrechtlichen stimmt, um diese Datei, von der wir einmal dachten, sie Anforderungen sind dabei, wie es die meisten wichtigen würde als Indexdatei ausgestaltet, schnell auf den Weg Experten bei der Anhörung dargestellt haben, eingehal- zu bringen. Die große Koalition hat dann drei Wochen ten. Auch das viel zitierte Trennungsgebot, das es nach gebraucht, um am Ende Änderungsanträge, die nicht ein- Meinung namhafter Rechtslehrer in der vor 1990 vertre- mal zwei DIN-A4-Seiten umfassen, vorzulegen. tenen Form gar nicht mehr gibt, wäre durch dieses Ge- (Zuruf von der SPD: In der Kürze liegt die setz nicht verletzt. Es wäre im Übrigen auch geradezu Würze!) widersinnig, wenn Nachrichtendienste und Polizei Infor- mationen über extrem gefährliche Personen nicht austau- Es wurden zwei Berichterstattergespräche angesetzt, die schen dürften. Damit würde ihr verfassungsrechtlicher nicht stattgefunden haben, weil Sie sich immer noch Auftrag zum Schutz der Bevölkerung ad absurdum ge- nicht geeinigt hatten. Besonders schön fanden wir es, führt werden. dass wir dann am späten Dienstagabend das entspre- chende Fax mit den Änderungsanträgen bekamen. So Abschließend will ich noch auf den Entschließungs- konnten wir uns damit in den Fraktionen überhaupt nicht antrag der großen Koalition hinweisen, in dem die Bun- auseinander setzen. desregierung aufgefordert wird, einen Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Interessant ist auch, was die Kollegen im Innenaus- Entscheidung zur Wohnraumüberwachung aus dem schuss zu diesem Gesetzentwurf gesagt haben. Herr Jahre 2004 für den Bereich der Nachrichtendienste vor- Wiefelspütz sagte zum Beispiel, er hätte noch nie so hart zulegen. Wir zeigen damit, dass wir mit der Verfassung an einem Gesetzentwurf gearbeitet wie an diesem. 7094 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Gisela Piltz (A) (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das stimmt! sich um eine höchst subjektive Einschätzung, die den (C) Ich bin heute noch gezeichnet davon! Ich habe Professor mit drei verdächtigen Studenten oder mögli- ein Schlafdefizit!) cherweise einen hoch bezahlten Bankdirektor mit drei verdächtigen Mitarbeitern Herr Göbel hat gesagt, es handele sich eigentlich nur um kleinere Änderungen. Was stimmt denn nun? (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Das sind die Klienten, die Sie vertreten?) Präsident Dr. Norbert Lammert: zum Anwärter für diese Datei macht. Von daher lehnen Herr Kollege Wiefelspütz, soll ich die Parlaments- wir das ab. ärztin unterrichten oder bekommen wir das noch so gere- gelt? (Beifall bei der FDP) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der Das Schlimmste aus unserer Sicht ist aber die so ge- SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- nannte Eilfallregelung. Gemeinsam mit dem Freitext- NIS 90/DIE GRÜNEN) feld birgt sie die Gefahr, dass ausländische Geheim- dienste uns ihre Informationen gar nicht mehr weitergeben. Bisher galt das Opportunitätsprinzip; sie Gisela Piltz (FDP): konnten selbst entscheiden, ob sie Informationen einstel- Herr Wiefelspütz, wenn das alles ist, was Sie zustande len oder nicht. Das gilt jetzt nicht mehr. Im Eilfall kann bringen, dann graut mir vor den nächsten drei Jahren. jede Behörde jederzeit auf die Daten zugreifen. Das (Beifall bei der FDP – Dr. Carl-Christian heißt, auch jede ausländische Behörde muss damit rech- Dressel [SPD]: Oh!) nen, dass eine Behörde, von der sie nicht möchte, dass sie auf diese Daten Zugriff hat, im Eilfall darauf zugreift. Unsere größten Kritikpunkte sind im Übrigen von den Sachverständigen bestätigt worden. Bezüglich des Zu- All das, was Sie, Herr Kollege Göbel, hier zum Eilfall griffs auf die erweiterten Grunddaten von aa) bis qq) gesagt haben, kann mich nicht überzeugen. Es gibt min- – so heißt es so schön – haben auch wir verfassungsmä- destens fünf unbestimmte Rechtsbegriffe in Ihrer Vor- ßige Bedenken; denn jede Speicherung und Weitergabe schrift, die man zunächst auslegen muss. Was da konkret von Daten ist ein Eingriff in das Recht auf informatio- und präzise geregelt sein soll, kann ich nicht erkennen. nelle Selbstbestimmung und jeder Eingriff bedarf einer Ganz im Gegenteil, Sie gefährden mit dieser Regelung Rechtfertigung. Wir können aber nicht erkennen, dass die internationale Zusammenarbeit. Für mich und meine dies hier in jedem Fall gegeben ist. Wir haben insbeson- Fraktion macht Terrorismus nicht an der Grenze halt und dere bei der Religionszugehörigkeit unsere Zweifel. hält sich übrigens auch nicht an unsere üblichen Büro- (B) Auch viele Praktiker haben – das haben sie in der Anhö- zeiten in den Behörden. Mit Blick auf die Eilfallregelung (D) rung bestätigt – ihre Zweifel an der Praktikabilität dieser frage ich mich, wie Sie den internationalen Terrorismus erweiterten Grunddaten. einschätzen. Es kann doch wohl nicht sein, dass Sie glauben, dass man einen Eilfall nicht bei allen Sicher- Auch die Anzahl der beteiligten Behörden sehen heitsbehörden rund um die Uhr bearbeiten könnte. wir kritisch. Wir hätten uns gewünscht, dass darüber ge- meinsam mit dem Bundestag entschieden wird. (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Haben Sie überhaupt eine Ahnung von der Praxis?) (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Stimmen Sie dem Gesetz zu, Frau Piltz!) Terrorismus müssen wir rund um die Uhr bekämpfen und nicht nur, wenn der bayerische Verfassungsschutz- – Herr Wiefelspütz, es wird nicht besser, wenn Sie so präsident meint, dass er einen Notdienst fürs Wochen- laut rufen. – ende braucht. Ich glaube, so kann man den internationa- len Terrorismus nicht bekämpfen. (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Dann kön- nen Sie es aber akustisch verstehen!) (Beifall bei der FDP) Was Sie jetzt vorgelegt haben, ist lediglich im Einver- nehmen mit dem Innenminister beschlossen worden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das kann sich ein Parlament nicht bieten lassen. Frau Kollegin Piltz! (Beifall bei der FDP) Gisela Piltz (FDP): Auch zum Freitextfeld haben wir Kritikpunkte. Hier Ich komme zum Schluss – mit einem letzten Gedan- verlassen Sie aus unserer Sicht die ursprünglich vorgese- ken. Wirklich nachdenklich hat mich gestimmt, dass Sie hene Indexdatei; denn nun dürfen Bewertungen, Hin- unseren Änderungsantrag – mit dem Inhalt, dass Infor- weise und Bemerkungen hinsichtlich der Grunddaten mationen, bei denen Tatsachen die Annahme begründen, und der erweiterten Grunddaten weitergegeben werden. dass die unter offensichtlicher Verletzung der Menschen- Das ist erstens vom Aufwand her unpraktikabel – wer rechte erhoben wurden, nicht gespeichert werden – ab- soll das eingeben, wer soll das pflegen? –, zweitens für gelehnt haben. Es ist schön, wenn Sie sonntags davon re- den Betroffenen absolut unkalkulierbar – er kann die Da- den, dass wir auf das Folterverbot unbedingt Rücksicht ten nicht einsehen und weiß nicht, was an persönlichen nehmen müssen und unter Folter erhaltene Informatio- Bewertungen über ihn gespeichert wird – und hat drit- nen nicht verwendet werden dürfen. Wenn Sie das bei tens nichts mit Objektivität zu tun, sondern es handelt der Ausarbeitung eines Gesetzes aber nicht berücksichti- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006 7095

Gisela Piltz (A) gen, dann finde ich das sehr bedenklich. Das lässt tief Der internationale Terrorismus hat seine Vorgehens- (C) blicken auf den Zustand dieser großen Koalition. weise verändert. Deshalb müssen wir unsere Antwort darauf ändern. Es reicht nicht, alte Maximen um ihrer Aus all diesen Gründen können wir dieser Antiterror- selbst willen aufrechtzuerhalten. Statt Wunschdenken datei nicht zustimmen. Wir hätten es gerne getan. Wir sind hier knallharte, verlässliche Analysen und Bewer- haben Ihnen unsere Mitwirkung angeboten; aber Sie ha- tungen angebracht. Wir brauchen keine Spekulationen, ben davon keinen Gebrauch gemacht. Auch das hat mit sondern empirisch belastbare Bewertungen und Beurtei- parlamentarischem Brauch nichts zu tun. lungen. Vielen Dank. (Zuruf von der FDP: Lassen Sie doch mal (Beifall bei der FDP – Dr. Dieter Wiefelspütz hören!) [SPD]: Dann sind Sie selber schuld!) Es ist unsere Aufgabe, die Bürgerrechte zu gewähr- leisten und zu schützen. Das ist der Grund, warum wir Präsident Dr. Norbert Lammert: Terror bekämpfen. Klaus Uwe Benneter ist der nächste Redner für die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Clemens SPD-Fraktion. Binninger [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD – Dr. Dieter Wiefelspütz Es geht hier nicht nur darum, allgemeine Persönlich- [SPD]: Ich sage nur: qq! – Heiterkeit bei der keitsrechte und das Recht auf eine freie Entfaltung der SPD) Persönlichkeit zu schützen; (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE Klaus Uwe Benneter (SPD): GRÜNEN]: Aber auch!) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ge- es geht nicht nur darum, die Informations- und Mei- sundheitlichen Befindlichkeiten des Kollegen nungsfreiheit zu schützen. Wiefelspütz haben wir ja schon erörtert. Aber, Frau Kol- legin Piltz, eine gute Speise muss eben heiß auf den (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Tisch. Deshalb konnten wir Ihnen vorher nicht noch ein- NEN]: Aber auch!) mal die Gelegenheit geben, sich den Mund daran zu ver- – Ja, aber auch. – Aber erst recht muss das Recht auf brennen. Sicherheit geschützt werden. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) Abgeordneten der CDU/CSU) NEN]: Das gibt es so nicht! Das ist eine (D) Warum ist Deutschland bisher weitgehend von terro- Schily-Erfindung!) ristischen Anschlägen verschont geblieben? Wir hatten Es ist eines der vornehmsten und wichtigsten Bürger- sicherlich Glück. Es lag auch an einer klugen Außenpo- rechte, das der Staat zu garantieren hat; denn die Bürger litik, aber ebenso an der klugen und vorausschauenden selbst können es nicht. Der Staat ist also gefragt, wenn es Politik im Bereich der inneren Sicherheit in den letzten um das Recht auf Sicherheit geht. fünf Jahren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sieben Jahre!) der CDU/CSU – Gisela Piltz [FDP]: Können Sie mir mal den Paragrafen oder den Artikel An dieser Stelle sollte man ausdrücklich unseren Kolle- nennen, in dem das steht? – Weiterer Zuruf gen erwähnen. von der FDP: Wo steht das Recht auf Sicher- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) heit?) Man sollte ihm für das danken, was er für die innere Si- – Das Recht auf Sicherheit steht im gesamten Grundge- cherheit in Deutschland geleistet hat. Herzlichen Dank, setz. Otto Schily! (Zurufe von der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN: Ah! – Wolfgang Wieland GRÜNEN]: Das ist doch verlogen!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind so konkret, wie wir Sie kennen, Herr Kollege!) Es sind in der Vergangenheit sicher weit mehr als ein Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz und Dutzend Anschläge in Deutschland durch rechtzeitige das Gemeinsame-Dateien-Gesetz sind die rechtsstaatli- Aufklärung verhindert worden. Deshalb ist die Frage zu che Grundlage dafür, dass wir verlässliche Informatio- stellen, was wir eigentlich mit einer rechtzeitigen Ter- nen für intelligente und rechtzeitige Analysen von Ge- rorbekämpfung im engeren Sinne leisten. Natürlich fährdungssituationen sammeln können. Das ist keine muss Terrorbekämpfung auch die Ursachen angehen und Wunderwaffe, aber Teil eines sensiblen und klugen die Rekrutierung von Terroristen in den Entwicklungs- Frühwarnsystems. ländern verhindern. Terrorbekämpfung im engeren Sinne bedeutet, dass man rechtzeitig, also wenn Terroraktionen Lassen Sie mich nun auf das Terrorismusbekämp- geplant werden, handelt und nicht hinterher, wenn es so- fungsergänzungsgesetz eingehen. Das Terrorismusbe- zusagen um das Aufräumen geht. kämpfungsgesetz war auf fünf Jahre befristet. Es ging 7096 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Klaus Uwe Benneter (A) nun um die Frage, ob dieses Gesetz verlängert werden Insofern kann es kein Trennungsgebot für Informatio- (C) sollte oder ob es einfach auslaufen sollte. Es hat in die- nen geben, die die Nachrichtendienste und die Polizeien sem Zusammenhang eine Evaluierung stattgefunden, die betreffen. Das Einzige, was es geben muss – das haben allein vom Zeitablauf gesehen unseren Ansprüchen auf wir geleistet –, ist eine Trennung zwischen den offenen eine ausreichende Evaluierung nicht genügen kann. Grunddaten und den verdeckt gespeicherten, erweiterten Grunddaten. Da wurde eine klare Trennung durchge- (Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- führt; darauf kann nicht jede Polizeidienststelle einfach NIS 90/DIE GRÜNEN]) zugreifen. Gemäß dem Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz Auch der Eilfall muss geregelt sein, weil natürlich gibt es in fünf Jahren eine neue Evaluierung, aber dies- denkbar ist, dass jemand nicht zu erreichen ist. Frau Kol- mal – wenn ich das richtig verstanden habe, war das legin Piltz, es reicht eben nicht, dass beim Verfassungs- auch Ihr Anliegen, Herr Kollege Wieland – mit externem schutz der Pförtner oder sonst jemand den Bereitschafts- Sachverstand. dienst ausübt. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Gisela Piltz [FDP]: Herr Benneter, ist es nicht NEN]: Einem! Ein Alibisachverstand!) schlimm genug, dass das jetzt der Pförtner – Es wird kein Alibisachverständiger sein. Er wird vom macht?) Parlament bestimmt werden. Bei den Verfassungsschutzämtern ist es von der Natur (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Sache her so, dass die einzelnen Dienststellen ent- NEN]: Den sucht Schäuble aus!) sprechend voneinander abgeschottet und getrennt sind. Deshalb nützt es Ihnen nichts, einen 24-Stunden-Bereit- Das ist schon ein wesentlicher Fortschritt, der eigentlich schaftsdienst zu haben, wenn Sie die gerade Zuständi- Ihrem Anliegen gerecht werden müsste. gen, diejenigen, die Sie für eine verlässliche Information brauchen, nicht erreichen können. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Da gab es schon den Personalvorschlag (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Schily!) GRÜNEN]: Da weiß halt der eine nicht, was der andere macht!) Es gibt keine Ausdehnung auf den Extremismusbe- reich. Es bleibt dabei, dass es ein Terroristenbekämp- Es sollte Ihnen einleuchten, dass man hier eine Eilfall- fungsgesetz ist. Ich sage ganz deutlich, dass es sich um regelung benötigt. Aber auch diese Eilfallregelung ist so terroristische Bestrebungen handeln muss. Extremisti- abgesichert, dass sie nicht zum Regelfall wird und kein (B) sche Meinungsäußerungen, auch wenn sie einem nicht Missbrauch erfolgen kann. Nehmen Sie das doch endlich (D) passen, reichen nicht aus, um hier Auskünfte einholen zu einmal zur Kenntnis! können. Außerdem müssen immer tatsächliche Anhalts- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten punkte vorliegen, wenn dieses Gesetz in Anwendung der CDU/CSU – Gisela Piltz [FDP]: Gerade kommen soll. weil Sie das sagen, wird es nicht wahrer!) Uns ist es auch gelungen – darauf bin ich besonders Zu den Kontaktpersonen; davon haben Sie gar nicht stolz –, dass, wenn der Zweck der Maßnahme nicht mehr mehr gesprochen. gegeben ist, alle Betroffenen zu benachrichtigen sind. Es ist ein ganz wichtiger Punkt in der Demokratie, dass man (Gisela Piltz [FDP]: Sie haben ja auch zwölf das selber nachprüfen lassen kann. Minuten Redezeit!) (Beifall bei der SPD) Es war ja Ihre Forderung, deutlich zu machen, dass Kon- taktpersonen nur dann in eine solche Datei aufgenom- Was das Gemeinsame-Dateien-Gesetz angeht, wird men werden können, wenn es sich nicht um zufällige oft der Hinweis gegeben, hiermit werde das Trennungs- oder flüchtige Kontakte handelt. Das ist nun ausdrück- gebot verletzt. Egal ob es ein verfassungsrechtlich ge- lich in den Gesetzestext aufgenommen worden. Dies schütztes Trennungsgebot gibt oder nicht, eine Trennung stand schon vorher in der Begründung. Aber weil es Ihr zwischen Nachrichtendiensten und Polizei ist aus der Anliegen war, dies deutlicher festzulegen, haben wir Natur der Sache heraus erforderlich. Die Polizei arbeitet diese Regelung in den Gesetzestext aufgenommen. mit anderen Methoden und auf Basis anderer Rechts- grundlagen als Nachrichtendienste. Nachrichtendienste (Gisela Piltz [FDP]: Sie kannten doch unsere haben die Möglichkeit, sehr früh im Vorfeld Ermittlun- Änderungsanträge gar nicht! – Wolfgang gen zu führen und Informationen einzuholen. Die jewei- Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ligen Informationen haben unterschiedlichen Charakter Aber Sie haben die Probleme damit noch nicht und unterschiedliche Belastbarkeiten und stammen aus gelöst!) völlig unterschiedlichen Quellen. Polizeiquellen müssen Das sollte ein Grund mehr für Sie sein, zustimmen zu Quellen sein, die auch vor Gericht standhalten können, können. während die Quellen der Nachrichtendienste natürlich in der Regel nicht vor Gericht zu verwerten sind. Aber sie Eines ist ganz wichtig: In dieser gemeinsamen Datei sind im Kampf gegen den Terror wichtig. Daher ist es befinden sich keine neuen Daten. Es sind keine neuen bedeutsam, solche Informationen rechtzeitig einzuholen. Übermittlungsvorschriften geschaffen worden. Es bleibt Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006 7097

Klaus Uwe Benneter (A) alles beim Alten. Was bisher von Nachrichtendienst zu droht sind, malen Bedrohungsszenarien an die Wand, (C) Polizei von Hand zu Hand und von Mund zu Mund wei- und erklären immer wieder, dass man neue Maßnahmen tergegeben werden konnte, wird jetzt in der Weise mo- braucht. Das ist ein offensichtlicher Widerspruch. dernisiert, dass dies auch automatisiert weitergegeben werden kann. Das ist der einzige Unterschied. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Michael (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Beides ist wahr!) Dem Abwehrkampf gegen den Terrorismus sind wir es schuldig, dass wir solche modernen Möglichkeiten nut- Nun zur Antiterrordatei. Ich glaube, dass das, was wir zen und entsprechend einführen. heute diskutieren, in den Gesamtkontext eingeordnet werden muss, um überhaupt kenntlich machen zu kön- Wer zielsichere, belastbare Einschätzungen und Be- nen, was Sie beabsichtigen. Der Kollege Göbel hat heute wertungen abgeben will, braucht diese von uns zu Recht Morgen etwas sehr Entscheidendes gesagt – das trifft geschaffenen rechtsstaatlichen Instrumente. Erfolgreiche den Kern –, Terrorbekämpfung braucht taugliche Mittel für eine er- folgreiche Recherche. Deshalb gibt es diese neuen Ge- (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Sogar setze. Sie bauen auf alten, bewährten Regelungen auf, etwas Richtiges!) führen sie weiter und entwickeln sie. nämlich dass Sie an einer völlig neuen Sicherheitsarchi- Dem Netzwerk der Terroristen stellen wir ein Netz- tektur arbeiten. Das Problem dabei ist, dass die Balance werk der Sicherheit entgegen. zwischen Freiheit und Sicherheit heute abermals zuun- gunsten der Freiheit gekippt werden soll. Das ist das ent- (Gisela Piltz [FDP]: Das um 16 Uhr schließt!) scheidende Problem Ihrer neuen Sicherheitsarchitektur. Es ist wichtig, die Informationen möglichst frühzeitig zu Es gilt, den Gesamtrahmen zu beachten. Ich erinnere an erhalten; denn nur so können wir bei der Terrorbekämp- das Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit; ne- fung Erfolg haben. Die frühzeitige Information ist ein ben den Haushaltsberatungen wurde über diese hochgra- Grund dafür, dass wir in Deutschland von Terroranschlä- dig fragwürdige Angelegenheit abgestimmt. Ich erinnere gen bisher weitgehend verschont geblieben sind. an die Vorratsdatenspeicherung. Hochgradig problemati- (Gisela Piltz [FDP]: Ich dachte, das war sche Vorhaben werden von Ihnen durchgeprügelt. All Glück!) das bildet den Gesamtkontext. Sie bringen eine neue Si- cherheitsarchitektur zulasten der Freiheit auf den Weg. Meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Das ist wahrlich populistisch und für die Grundrechte (B) machen Sie den Menschen nicht länger Angst. gefährlich. (D) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN) NEN]: Nun ist aber Schluss!) Nun zu den heutigen Vorhaben. Wir gefährden keine Bürgerrechte, sondern wir wahren alle Bürgerrechte. Alle Bürgerrechte, auch das Bürger- Erstens. Selbstverständlich wird hiermit die Tren- recht auf Sicherheit, waren und sind bei uns in besten nung von Polizei und Geheimdiensten weiter aufgeho- Händen. Das wird so bleiben. ben. Das ist doch gar keine Frage. Danke schön. (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: So ein Unfug!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Ich kann nicht oft genug wiederholen, warum es diese GRÜNEN]: Das ist ein reines Lippenbekennt- Trennung gibt: Sie beruht auf den Erfahrungen, die wir nis!) in der deutschen Geschichte gemacht haben. Dieses Thema ist aktueller denn je, weil es auch heute darum Präsident Dr. Norbert Lammert: gehen muss, eine unkontrollierbare Machtkonzentration Ich erteile das Wort dem Kollegen Jan Korte, Fraktion bei den Sicherheitsdiensten zu verhindern. Die Linke. (Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert LINKE]) Winkelmeier [fraktionslos]) Jede Woche gibt es einen neuen Skandal, weil die Situa- tion offensichtlich nicht mehr kontrollierbar ist. Das ist Jan Korte (DIE LINKE): unser Problem. Deswegen ist dieses Trennungsgebot ak- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tueller denn je. Nicht die Opposition verbreitet Angst, sondern Sie von Dazu hat der ehemalige BND-Präsident und Staats- der Koalition. Sie sind die wahren Sicherheitspopulisten. sekretär Geiger, der nun wahrlich nicht verdächtig ist, In Ihrer Argumentation gibt es nämlich einen Wider- Sozialist, geschweige denn Kommunist zu sein, Treffli- spruch: Auf der einen Seite stellen Sie Berichte vor, mit ches gesagt. denen Sie argumentieren, die Bundesrepublik sei eines der sichersten Länder auf der ganzen Erde; auf der ande- (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wieso? Keine ren Seite erzählen Sie aber ununterbrochen, dass wir be- Unterstellungen!) 7098 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Jan Korte (A) Er hat in der Anhörung gesagt: Hier sollen personenbe- präzise zu sagen, nicht um eine Antiterrordatei, sondern (C) zogene Kenntnisse zusammengeführt werden, die von um eine Verdachtsspeicherdatei. Die lehnen wir ab. Behörden erhoben wurden, die organisatorisch zu Recht getrennt sind, die unterschiedliche Aufgaben und Befug- Zum Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz nisse haben. – Darüber gehen Sie einfach hinweg, ob- nur so viel: Nach dem 11. September konnte man ange- wohl das nicht irgendjemand, sondern der ehemalige sichts des Schreckens durchaus Verständnis für einige BND-Präsident gesagt hat. Recht hat er. Maßnahmen haben. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zweitens. Die erweiterten Grunddaten – Kennwort: NEN]: Das ist neu von der Linkspartei! Nun Religionszugehörigkeit – sind schon angesprochen wor- staunen wir aber!) den. Was soll das? Was hat diese Angabe in der Datei zu suchen? Hier wird wieder eine Stigmatisierung vorge- Allerdings wäre es jetzt, fünf Jahre später, an der Zeit, in nommen, die, wie immer, in erster Linie die Migrantin- sich zu gehen und zu überprüfen, ob die Verhältnismä- nen und Migranten in diesem Land trifft. Deswegen leh- ßigkeit gewahrt wurde. Es Evaluierung zu nennen, nen wir das ab. wenn das Ministerium sein eigenes Gesetz evaluiert, ist geradezu absurd. Das ist so, als ob sich Produzenten von (Beifall bei der LINKEN – Dr. Dieter Gammelfleisch ein Ökosiegel geben würden. Das ist Wiefelspütz [SPD]: Herr Korte, das sind doch keine Evaluierung. billige Vorurteile!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- – Die Vorurteile schüren Sie, nicht wir. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Drittens, das Freitextfeld: Es ist gerade schon einmal Winkelmeier [fraktionslos]) zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die Polizei Hätte man eine unabhängige und kritische Evaluierung aufgrund von Tatsachen und Fakten ermittelt, während zugelassen, wären uns vielleicht die wöchentlichen Ge- Geheimdienste bekanntermaßen auch aufgrund von Ver- heimdienstskandale erspart geblieben. Auch das muss mutungen agieren und Gesinnungen nachspüren. Es ist angemerkt werden. doch völlig logisch, dass es zu Fehlschlüssen mit gege- benenfalls verheerenden Folgen für die Betroffenen (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Die reden Sie kommen muss, wenn man beides zusammenrührt. Da- nur herbei!) rüber kann man nicht einfach hinweggehen. Ich fasse zusammen. Heute ist wieder einmal ein trau- Viertens, die Kontaktpersonen – auch dieser Punkt riger Tag für die Grund- und Freiheitsrechte in diesem ist schon genannt worden –: Da haben Sie eine kleine Land. Ich habe beim letzten Mal schon gefragt und frage (D) (B) Änderung vorgenommen. Sie ist aber so vage gehalten, heute wieder: Bis wohin wollen Sie gehen? Jede Woche dass das Kernproblem bleibt. Der Bundesdatenschutzbe- gibt es eine neue Verschärfung des Gesetzes und neue auftragte hat es an einem Beispiel gezeigt: Wenn ich Eingriffe in die Grundrechte. Wann soll damit Schluss meinen Nachbarn einmal am Kiosk treffe, ist es wohl sein? Das frage ich mich wirklich; denn das ist das Pro- kein Problem. Wenn ich ihn aber drei- oder viermal blem. Die Schreierei der SPD hier treffe und mit ihm vielleicht sogar noch einen Kaffee ( [SPD]: Ich habe nichts trinke, dann gerate ich ganz schnell in die Datei hinein. gehört!) Das ist das Kernproblem. täuscht nur darüber hinweg, dass auch Sie hochgradige Auch dazu hat Herr Geiger etwas Treffendes festge- Bedenken an dem haben, was Sie auf den Weg gebracht stellt: haben. Wie wird sichergestellt, dass insbesondere Unbetei- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ligte, ich denke an Kontaktpersonen, nicht allein neten der FDP – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: schon durch die Tatsache der Speicherung erhebli- Wer? Meinen Sie Benneter?) che Nachteile erleiden? Sie wissen ganz genau – seit langem wird das bei Ihnen Auch das haben Sie nicht beantwortet. Es ist ein Skan- gemunkelt –, dass das Gesetz vor dem Bundesverfas- dal, was Sie hier heute vorgelegt haben und wie Sie ein- sungsgericht landen wird. fach über die Probleme hinweggehen. Abschließend noch einmal kurz zum Verfahren; zum (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Inhalt wurde schon einiges gesagt. Dass die Kollegen in Winkelmeier [fraktionslos]) der CDU/CSU so etwas durchpeitschen, überrascht nicht, weil es dort durchaus einen Hang zu autoritärem Ein Verwendungsverbot von Daten, die unter Folter Verhalten gibt erlangt wurden – ich erinnere an den Fall Zammar in Syrien: die „Früchte der Folter“, die es offensichtlich (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) gibt –, wird von Ihnen nicht aufgenommen. Es gibt ja ei- nen Untersuchungsausschuss, der sich mit diesen Fragen – Etwas charmanter gesagt, weil ja bald Weihnachten ist: befasst. Sie haben einen Hang zu preußischer Disziplin. – Das will mich nicht überraschen. Aber dass das in der SPD in Das sind nur einige Gründe, warum die Linksfraktion dieser Art und Weise durchgepeitscht wird, verwundert Ihr Gesetz ablehnen wird. Es geht hier, um es einmal mich schon, obwohl mich nicht mehr vieles verwundert. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006 7099

Jan Korte (A) Man hat doch mitbekommen, dass Sie hochgradige Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) denken hatten. Sie sollten überlegen, ob Sie nicht wieder und bei der FDP – Dr. Dieter Wiefelspütz einmal Ihr Gewissen dem Koalitionszwang entgegen- [SPD]: Hätten Sie uns doch nur zugehört, Herr stellen. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Das Wieland!) Gute an der Linksfraktion ist, dass dort die Fraktionsdis- ziplin mit dem Gewissen gleichgeht. Das ist das Schöne Sie stellen sich hierhin an der Linksfraktion. Deswegen lehnen wir diesen Ge- (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Nein! Wir setzentwurf ab. sitzen!) Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. und sagen: Hurra, data habemus! Jetzt haben wir die Da- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert tei. Das, was Rot-Grün in sieben Jahren nicht geschafft Winkelmeier [fraktionslos]) hat, haben wir in nur einem Jahr geschafft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Präsident Dr. Norbert Lammert: neten der SPD – Clemens Binninger [CDU/ Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Wieland, CSU]: Ja! So ist es doch auch!) Bündnis 90/Die Grünen. – Lieber Kollege Binninger, wir sind stolz darauf, dass Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wir einen solchen Datenmoloch, wie Sie ihn planen, ver- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege hindert haben. Benneter hat eben das Spiel der Koalition mit der Angst (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vor Terrorismus, Verbrechen und anderem vorgeführt. Auf eine Kurzformel gebracht bedeutet Ihre Datei: (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Der Opposition!) viel zu viele Daten von viel zu vielen Personen aus viel – Nein, in Wirklichkeit tut es die Koalition. Das ist das zu vielen Quellen mit viel zu vielen Zugangsberechtig- Problem. ten. Das ist der Inhalt dessen, was Sie uns vorlegen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Es sind doch die SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) alten Daten! Die bereits vorhandenen! Das wissen Sie doch!) Wir sind gerade hier ganz bedacht und folgen dem Präsidenten des BKA, Herrn Ziercke. Er sprach von fünf – Ja, eben. So viele Daten haben wir. verhinderten Terroranschlägen seit dem 11. September. (B) Wenn man Frankfurt am Main dazurechnet, muss man Stichwort: zu viele Daten. Die Nachrichtendienstli- (D) von sechs verhinderten Terroranschlägen sprechen. Die che Verbunddatei, NADIS, hat zurzeit einen Bestand von wurden durch gute Arbeit – auch ohne Antiterrordatei – 1 034 514 personenbezogenen Einträgen. verhindert. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Der Anschlag von Köln wurde nur durch einen Zufall GRÜNEN]: Genau!) verhindert. Nur die falsche Übertragung von Internet- bauplänen in die Realität hat dazu geführt, dass wir Köln Beim BKA umfasste allein die Datei „Innere Sicherheit“ heute nicht in einer Reihe mit Madrid und London nen- mit der Aufgabenstellung der Verhütung und Aufklärung nen müssen. Dieser Anschlag hätte auch durch eine An- von politisch motivierten Straftaten, die länderübergrei- titerrordatei nicht verhindert werden können. Daher fende, internationale oder erhebliche Bedeutung haben, muss über die Ausgestaltung einer solchen Datei ruhig, sage und schreibe 1 451 605 Datensätze. Solche Daten- ohne Hektik und ohne dieses Thema als „heiße Kiste“ zu berge sind bereits vorhanden. präsentieren, auf parlamentarischem Wege verhandelt Sie schlagen nun nicht etwa vor – was logisch wäre –, werden. Wir hatten dazu circa 20 Änderungsvorschläge dass wir diese Datenberge zunächst einmal entrümpeln gemacht, die FDP genauso viele. Diese Vorschläge ha- und überprüfen, anschließend entscheiden, welche Daten ben Sie nicht zur Kenntnis genommen. Sie lagen noch in die Datei aufgenommen werden, und sie dann zusam- nicht einmal auf Ihrem Verhandlungstisch. menfügen. Stattdessen wählen Sie ein Verfahren, das (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Na, na! Was eine gesetzliche Verpflichtung vorsieht: Es soll gespei- meinen Sie denn, warum das alles so lange chert werden, ohne dass zuvor eine Prüfung des Altbe- dauert?) standes stattgefunden hat. Das ist wirklich unsinnig. Das entspricht nicht dem Gebot der Datenknappheit. Auch Es gibt noch nicht einmal eine ablaufende Frist für diese hierzu können wir nur Nein sagen. Datei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Daher sage ich: Sie haben sich bewusst von der Op- sowie der Abg. Gisela Piltz [FDP]) position abgekoppelt. Nun kommen Sie mit dummen Schuldzuschreibungen an uns. Sie wollen dieses Thema Stichwort: zu viele Personen. Herr Fromm vom Bun- jetzt abschließen, diese Diskussion nicht mehr führen desamt für Verfassungsschutz hat die Hoffnung geäu- und die Flucht nach vorne antreten. Machen Sie das ru- ßert, dass der Umfang der Datei wohl nicht fünfstellig hig, glauben Sie aber nicht, dass wir als Opposition da- wird. Wir sagen: Angesichts dessen, dass diese Datei, bei mitmachen und Ihnen zustimmen. über deren Einführung wir jahrelang diskutiert haben, 7100 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Wolfgang Wieland (A) (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Diskutiert? ist das, was Sie heute hier schaffen, im Wesentlichen (C) Ihr wolltet sie doch nur verhindern!) eine Volltextdatei. Auch deswegen, Herr Benneter, kann man sie nur ablehnen. eine absolut stigmatisierende Wirkung haben wird – das ist gar nicht anders möglich; wer dort dringsteht, wird (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- als Terrorist gelten –, sollte man sich sehr genau überle- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dieter gen, wen man in die Datei aufnimmt. Das tun Sie nicht. Wiefelspütz [SPD]: Quatsch!) Sie definieren noch nicht einmal entsprechende Krite- rien. Präsident Dr. Norbert Lammert: In der Sachverständigenanhörung kam es doch gera- Herr Kollege Wieland, gestatten Sie eine Zwischen- dezu zu einer Art heiterem Personenraten, wer wohl in frage des Kollegen Benneter? diese Datei aufgenommen wird: Kommt Peter Handke rein? Kommt Ahmadinedschad rein? Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Jan Korte [DIE LINKE]: !) Ja, gestatte ich gerne. – Ja. Von der Linksfraktion wurde auch der Name Klaus Uwe Benneter (SPD): Joschka Fischer genannt. – Herr Kollege Wieland, sind Sie in der Lage, zur (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ist notiert!) Kenntnis zu nehmen, Muss US-Präsident George W. Bush rein? (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: In der Lage!) (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sie können dass es im Gesetzestext im Hinblick auf Kontaktperso- sich bewerben, Herr Wieland! – Silke Stokar nen ausdrücklich heißt: von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wäre es mit Otto Schily?) Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass sie … Nach Ihrer Definition müsste jeder, der auf internationa- ler Ebene die Anwendung von Gewalt befürwortet, ge- mit Terrorverdächtigen schweige denn tatsächlich Gewalt anwendet, in die Datei in Verbindung stehen und durch sie Hinweise für aufgenommen werden. Das geht viel zu weit und ist viel die Aufklärung oder Bekämpfung des internationa- zu unbestimmt. len Terrorismus gewonnen werden können … Auch zu den Kontaktpersonen möchte ich Ihnen Das zusätzliche Erfordernis ist, dass (B) gerne etwas sagen. Ihr Versuch der Einschränkung ist (D) untauglich. Die Definition, die Sie zugrunde legen wol- die Kenntnis der Daten für die Aufklärung oder Be- len, umfasst das gesamte soziale Umfeld, sofern es dau- kämpfung des internationalen Terrorismus mit Be- erhaft ist. Die Ärztin, der Arzt, die Familienangehörigen, zug zur Bundesrepublik Deutschland erforderlich die Anwältin und der Anwalt – für alle besteht das Ri- ist. Satz 1 gilt nur für Daten, die die beteiligten Be- siko, in diese Datei aufgenommen zu werden. hörden nach den für sie geltenden Rechtsvorschrif- ten automatisiert verarbeiten dürfen. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist doch Unfug! Grober Unfug!) Das ist die Definition von Kontaktpersonen in dem Ge- setzentwurf. Können Sie das zur Kenntnis nehmen? An die Stelle harter Fakten setzen Sie Gesinnungsele- mente. Ein nachdenklicher Sachverständiger hat darauf hingewiesen, dass es sich oftmals um Menschen handelt, Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die den Schritt vom Meinen zum Handeln noch gar nicht Ich nehme das zur Kenntnis. Doch ich habe von dem, vollzogen haben. Das alles hat in einer solchen Datei was ich ausgeführt habe, Kollege Benneter, nichts zu- wirklich nichts zu suchen. rückzunehmen. Denn in Ihrer Definition fehlt das Ele- ment, dass diese Personen irgendetwas wissen von den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) terroristischen Verflechtungen der anderen Person. Stichwort: zu viele Quellen. Der Streit, ob es eine (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Hinweise Volltextdatei oder eine Indexdatei sein soll, ist doch für die Aufklärung!) nicht umsonst erbittert geführt worden! Wir Grüne woll- ten die Datei – um das deutlich zu sagen –; aber wir Nein, dass sie etwas wissen müssen, ist keine Vorausset- wollten sie immer als Indexdatei, als Fundstellendatei. zung für eine Erfassung ihrer Grunddaten; da genügt es, Weil jetzt gesagt wird, in den Eilfällen unterstellten wir dass sie objektiv Kontakt haben zu dieser Person. als Opposition Missbrauch, stelle ich klar: Wir unterstel- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Stimmt len keinen Missbrauch. Aber der Eilfall ist vom Wesen doch nicht!) des Terrorismus her der Regelfall, da ist immer Eile an- gesagt, die gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben ist Dass sie Kenntnis von deren Gefährlichkeit haben, ist impliziert in der terroristischen Gefahr. Sie wollen doch keine Bedingung. Eine Kontaktperson kann also der nicht im Ernst behaupten, dass, wenn ein Name der Kof- Ehepartner sein, jeder, der nur nicht zufällig Kontakt zu ferbomber bekannt gewesen wäre, das kein Eilfall gewe- ihr hat, zum Beispiel auch eine Anwältin oder ein An- sen wäre! Natürlich, und so wird es immer sein. Daher walt, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006 7101

Wolfgang Wieland (A) (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Völlig Stichwort: zu viele Zugriffsberechtigte. Natürlich (C) falsch!) hätten wir als Gesetzgeber – da hat die Kollegin Piltz doch völlig Recht – definieren müssen, wer da rein darf mit dem die Person in Geschäftsbeziehung steht. Weil es und wer mitmischen darf bei dieser Datei. Dies ge- hier um nachrichtendienstliche Daten geht, sind wir uns schieht nicht. Das überlässt man dem ehrenwerten Herrn doch wohl einig, dass auch viele undolose – wie Sie im Schäuble. In seinem Benehmen liegt es, zu sagen, ob die Ausschuss sagten –, also absichtslose Kontaktpersonen Polizeidienststelle im schwäbisch-alemannischen Raum, dort gespeichert sind. Gerade das Wissen eines Anwaltes in Lörrach oder wo auch immer, ebenfalls Zugriff auf die ist sehr interessant für nachrichtendienstliche Kreise. Datei hat. Das kann nicht befriedigend sein.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Genauso wenig befriedigend ist es, dass es für denje- Würden Sie vielleicht auch dem Kollegen Binninger nigen, dessen Daten in dieser Datei gespeichert wurden, die Freude machen? keine Möglichkeit gibt, seine Daten löschen zu lassen. Vor allen Dingen aber haben Sie unseren Vorschlag ver- worfen, dass nichts aus dieser Datei an unbefugte Stellen Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – insbesondere im Ausland – fließen darf. Gerade nach Ich bin ja zur Gleichbehandlung verpflichtet hier. den Erfahrungen im Fall el-Masri und in anderen Fällen Deswegen soll auch der Kollege Binninger fragen dür- wäre aber eine solche gesetzliche Sperre genauso drin- fen. gend nötig gewesen wie eine Klausel hinsichtlich des (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verbots der Verwertung von unter Folter erlangten Da- NEN]: Das hat die CDU beschlossen!) ten, die die FDP vorgeschlagen hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Clemens Binninger (CDU/CSU): und bei der FDP) Herr Kollege Wieland, Sie haben gerade behauptet, Das alles hätte diesem Hause gut zu Gesicht gestanden dass die Kontaktpersonen nicht wissen müssten über und die Umsetzung der praktischen Erfahrungen und der Terrorismus und deshalb nahezu jeder in diese Datei Erlebnisse des vergangenen Jahres bedeutet. kommen könnte. Wären Sie bereit, mir zuzugestehen, dass im Gesetz etwas anderes steht, nämlich Folgendes In einem geradezu gottvollen Entschließungsantrag – ich nehme nur den letzten Halbsatz –: appellieren Sie nun an die Bundesregierung, doch end- … und durch sie lich die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Tele- kommunikationsüberwachung umzusetzen. Warum haben (B) – es geht um die Kontaktpersonen – Sie das nicht selbst in Ihren Gesetzentwurf für ein (D) Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz eingearbei- Hinweise für die Aufklärung oder Bekämpfung des tet? Dies ist nicht nur ein Wortungeheuer, sondern auch internationalen Terrorismus gewonnen werden kön- ein Monstrum an sich und ein Etikettenschwindel: Mit nen. diesem Gesetz wird die Terrorismusbekämpfung nicht Sie müssen also etwas wissen, sonst kommen sie nicht in ergänzt; vielmehr gibt man sämtlichen Nachrichten- die Datei. Wären Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen diensten alle Instrumente, die zur Terrorismusbekämp- und Ihre Aussagen zu revidieren? fung entwickelt wurden, für die ganz normalen nachrich- tendienstlichen Felder, den Kampf gegen den Rechts- (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE und den Linksextremismus, an die Hand. Das hat mit GRÜNEN]: Nein! Wer entscheidet das denn?) Evaluierung nichts zu tun und das hat auch damit nichts zu tun, dass es nötig ist, gegen den Terror vorzugehen. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie wollen die Möglichkeiten einfach nur ausdehnen und Nein, das nehme ich nicht zur Kenntnis. Möglicher- die staatlichen Befugnisse ins Uferlose wachsen lassen. weise wollten Sie das zum Ausdruck bringen. Aber Sie Abschließend zitiere ich Peter Schaar, den Bundes- haben es nicht zum Ausdruck gebracht. beauftragten für den Datenschutz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Guter Mann!) sowie bei Abgeordneten der FDP) Es genügt, dass die Behörden sich vorstellen, dass sie – Ja, deswegen werden Sie dem, was er dazu gesagt hat, über die Kontaktpersonen in ihren Ermittlungen weiter- auch zustimmen. – Er sagte: Diese Gesetze atmen den kommen. Es steht nicht drin, dass die Kontaktperson ir- Geist der Überwachungsgesellschaft. – Damit hat er gendetwas wissen muss davon, dass der Hauptverdäch- seine Behörde korrigiert. tige in Terrorismus involviert ist. Diese Verbindung (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Er ist doch viel haben Sie nicht gewählt. Wir haben Ihnen eine entspre- vernünftiger als Sie!) chende Formulierung vorgeschlagen. Aber, Kollege Binninger, Sie waren ja wenigstens so ehrlich, zu sagen, – Warten Sie einmal ab, Herr Wiefelspütz. dass Sie die noch nicht einmal gelesen haben. Wie sich jetzt an Ihrer Zwischenfrage zeigt, rächt sich das. Für mich stellen diese Dateien weniger eine gesell- schaftliche Frage dar. Der Staat erstellt sie, wir beschlie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ßen sie. Deswegen präzisiere ich etwas: Leider atmen 7102 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Wolfgang Wieland (A) diese beiden Gesetze den Geist des Überwachungsstaa- Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Generalbun- (C) tes. Wir lehnen sie ab. desanwältin muss dem Verdacht nachgegangen werden, dass vom Frankfurter Flughafen aus terroristische An- Präsident Dr. Norbert Lammert: schläge auf eine El-Al-Maschine geplant waren. Das Herr Kollege! Verfahren dauert an. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal konkret, was Es wäre möglich gewesen, eine gute und datenschutz- da wirklich war!) feste Regelung zu treffen. Die Vorschläge lagen auf dem Tisch. Was hier heute geboren werden soll, bedeutet – Das ist ein anhängiges Verfahren. gleich an zwei Stellen einen rechtsstaatlichen Damm- Das alles sind Nachrichten aus den letzten paar Wo- bruch. Dazu sagen wir: Nein. chen. Sie aber tun so, als gehe die Bedrohung von den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherheitsbehörden aus. Ich danke den Mitarbeiterin- und bei der FDP) nen und Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden, dass sie in schwieriger Zeit das Menschenmögliche leisten, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung hat nun der Bundesminister (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, das Wort. bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist zwar richtig, dass die Antiterrordatei die ge- planten Anschläge auf die Regionalzüge nicht verhindert Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- hätte. nern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Spricht das ge- den Sprechern der Opposition unvoreingenommen zu- gen die Datei?) hört, dann hat man das Gefühl, dass die eigentliche Be- – Das spricht nicht gegen die Datei. drohung in unserem Lande von den Organen der inneren Sicherheit ausgeht. Ich glaube, das ist eine etwas ver- Wir müssen ja auch nicht letzten Anschlagsversuch zerrte Wahrnehmung. verhindern, sondern versuchen, den nächsten zu verhin- dern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) Ich bin mir auch ganz sicher, dass die Bundesrepublik der SPD) Deutschland, die Ordnung unseres Grundgesetzes mit ei- nem Überwachungsstaat nun wirklich nichts zu tun hat, Die Untersuchungen des amerikanischen Kongresses ha- ben ergeben, dass theoretisch alle notwendigen Informa- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tionen vor dem 11. September 2001 vorhanden gewesen sondern dass wir uns im Rahmen, in den Grenzen und wären, um die Planungen in Bezug auf das World Trade auf der Grundlage unserer freiheitlich-demokratischen Center zu erkennen; sie waren nur nicht miteinander ver- und rechtsstaatlichen Verfassung bemühen, in einer Zeit knüpft. Das ist keine Kritik. Aber man muss für die Zu- großer Bedrohungen und Gefahren das Menschenmögli- kunft daraus lernen. Deswegen haben wir uns nun fünf che an Sicherheit zu gewährleisten. Jahre bemüht, die notwendigen Informationen, über die 38 verschiedene für die innere Sicherheit verantwortli- Um nur die letzten Wochen in Erinnerung zu rufen: che Behörden und Dienststellen von Bund und Ländern Da sind zunächst die fehlgeschlagenen Sprengstoff- verfügen, so zu verknüpfen, dass wir effektiv präventive anschläge auf zwei Regionalzüge Ende Juli in Koblenz Arbeit leisten können. und Hamm. Es waren relativ kleine handwerkliche Feh- ler, die verhindert haben, dass schlimme Unglücksfälle Gerade derjenige, der sich für das Trennungsgebot passiert sind. Wenige Wochen danach wurde eine bzw. für unterschiedliche Aufgabenstellungen von Poli- Gruppe von Personen aus drei größeren Städten im zei und Nachrichtendienst einsetzt, darf nicht verhin- Ruhrgebiet festgenommen, die sich in unmittelbarer dern, dass die Nachrichtendienste die von ihnen be- zeitlicher und räumlicher Nähe zu einem Nena-Konzert schafften Informationen den Polizeibehörden zur so verdächtig verhalten haben, dass ein Anschlag auf das Verfügung stellen. Sonst bräuchten wir keine Nachrich- Konzert angenommen werden musste. tendienste. Das muss vernünftig geregelt sein. Vor ein paar Wochen hat die Polizei in Osnabrück ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nen Iraker festgenommen und seine Wohnung durch- sucht. Der Beschuldigte hat mutmaßlich vielfach Audio- Ich bin im Übrigen der festen Überzeugung, dass uns und Videobotschaften von Osama Bin Laden, al-Zawa- die föderale Ordnung unseres Grundgesetzes eine opti- hiri und Mussab al-Sarkawi über das Internet verbreitet male Voraussetzung für Schutz, Prävention und vorzüg- und dadurch den Terrorismus von al-Qaida unterstützt. liche Polizeiarbeit bietet. Vor zwei Wochen haben BKA und die Landespolizei (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Jetzt kann sie sich neun Wohnungen im Rhein-Main-Gebiet durchsucht. Im wieder bewähren!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006 7103

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) Wir haben das zuletzt bei der Fußballweltmeisterschaft – Herr Kollege, das ist keine Staatszielbestimmung. Das (C) erlebt, die nicht so hervorragend verlaufen wäre, wenn ist nun wiederum verfassungsrechtlich falsch. Es ist ge- die Polizeien der Länder und des Bundes nicht so erfolg- radezu konstitutiv. reich und effizient zusammengearbeitet hätten. Aus die- Ich sage Ihnen: Wenn Sie die freiheitliche Ordnung sem Grund muss man die Voraussetzung für eine effi- unseres Landes bewahren wollen – worüber wir uns alle ziente und vertrauensvolle Zusammenarbeit schaffen. hoffentlich einig sind –, dann muss der freiheitliche Eine solche Voraussetzung ist die Antiterrordatei, in der Rechtsstaat in der Lage sein, den Bürgerinnen und Bür- die Dienststellen, die Polizeien und Nachrichtendienste gern ein hinreichendes Maß an Sicherheit zu gewähr- von Bund und Ländern ihre Informationen einstellen – leisten. Sonst wird die freiheitliche Ordnung zerstört. unter Gewährleistung des notwendigen Datenschutzes, im Rahmen unserer Verfassung, auf einer einwandfreien (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gesetzlichen Grundlage! Wer das untergräbt und wer dafür die notwendigen Mit- Ich bin dankbar, dass wir das geschafft haben, und ich tel verweigert, gefährdet am Ende die Freiheit. Wenn wir bin froh, dass wir es im Einvernehmen mit den Ländern den Kampf gegen den Extremismus – links oder rechts – erreicht haben. Nur so ist es möglich; es würde sonst ernst nehmen, darf der Staat kein Nachtwächterstaat nicht mehr Sicherheit geben, sondern weniger. sein, sondern muss in der Lage sein, das Menschenmög- liche in einer sich verändernden Welt von Bedrohungen Deswegen möchte ich mich auch beim Bundestag ins- zu tun. Dafür sind die beiden Gesetze, die wir heute ver- gesamt und insbesondere bei den Mitgliedern des Innen- abschieden, ein wichtiger Baustein. ausschusses und den Kollegen der Koalitionsfraktionen Dazu gehört aber viel mehr. Deswegen haben wir das dafür bedanken, dass es gelungen ist, die Gesetze so Sicherheitsprogramm aufgelegt, wofür ich sehr dank- rechtzeitig zu beraten, dass sie rechtzeitig in Kraft treten bar bin. Dazu gehört aber auch, dass wir versuchen, da- können. Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz für zu sorgen, dass möglichst viele Menschen nicht den muss in Kraft treten; sonst kommen wir in eine Situa- terroristischen Rattenfängern anheim fallen, und dass tion, die niemand verantworten kann. wir immer wieder dafür werben, dass unsere Ordnung Schon im September waren wir uns weitgehend einig, von Freiheit und Toleranz Raum für alle bietet. Aber dass die Antiterrordatei möglichst ab nächstes Jahr funk- eine Ordnung von Freiheit und Toleranz ist für die Men- tionsfähig sein soll. Dazu brauchen wir die gesetzliche schen nur überzeugend, wenn sie zugleich die notwen- Grundlage. Ich habe schon Anfang September mitgeteilt, dige Sicherheit gewährleistet. Dem dienen die beiden dass ich das Bundeskriminalamt beauftragt habe, sich Gesetze. Deswegen bitte ich um Zustimmung. (B) entsprechend vorzubereiten, sodass, wenn das Gesetz in Herzlichen Dank. (D) Kraft tritt, es funktionsfähig ist, das muss ja auch umge- setzt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich bin auch dankbar dafür, dass wir in den Haus- Präsident Dr. Norbert Lammert: haltsberatungen in der vergangenen Woche die notwen- Dr. Max Stadler ist der nächste Redner für die FDP- digen Mittel zur Verfügung gestellt haben. Denn auch Fraktion. das gehört zu den Voraussetzungen, die wir schaffen müssen. (Beifall bei der FDP)

Es ist, wie gesagt, richtig, dass es keine hundertpro- Dr. Max Stadler (FDP): zentige Sicherheit gibt. Wenn es aber keine hundertpro- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- zentige Sicherheit gibt, dann ist es umso wichtiger, dass ren! Herr Minister Schäuble, Sie haben hier völlig zu man bei einer anhaltenden, wahrscheinlich sich eher ver- Recht die Bedrohungslage eindringlich geschildert. Aber schärfenden Bedrohungslage durch den internationalen die FDP war zum Beispiel für eine praxisnahe Lösung Terrorismus das Menschenmögliche unternehmen muss, bei der Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste und für um so viel Sicherheit wie möglich zu gewährleisten. eine Indexdatei, wie sie auch Praktiker gefordert haben. Also führen wir doch bitte die Debatte hier nicht so, als Sie haben vorher mit dem Kollegen Benneter darüber ob denjenigen, die für rechtsstaatliche Lösungen eintre- diskutiert, wo das im Grundgesetz steht. Dass der Staat ten, die innere Sicherheit nicht am Herzen läge. Einen die Aufgabe hat, seine Bürgerinnen und Bürger zu schüt- solchen Gegensatz dürfen wir hier nicht aufbauen. zen, ist in der abendländischen Geschichte fast ein Stück weit konstitutiv gewesen. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Herr Minister Schäuble, es ist doch völlig unstreitig: Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wofür haben Der Staat hat selbstverständlich eine Schutzpflicht ge- wir denn sonst den Staaat? – Wolfgang genüber den Bürgerinnen und Bürgern. Aber bei den Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Methoden, die er anwendet, ist er an die Grundrechte ge- Grundrecht auf Sicherheit ist eine Staatszielbe- bunden. stimmung! – Gegenruf des Abg. Dr. Carl- Christian Dressel [SPD]: Art. 1 ist keine (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Staatszielbestimmung! Sie reden irre!) GRÜNEN]: So ist es!) 7104 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Dr. Max Stadler (A) Deswegen ist sehr wohl über die Details zu diskutie- Sie regieren seit einem Jahr. Das Urteil des Bundesver- (C) ren. fassungsgerichts datiert vom März 2004 und gibt dem Gesetzgeber auf, dafür zu sorgen, dass der Bereich der (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ ganz privaten, intimen Lebensführung vom Staat nicht DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE beeinträchtigt wird. Und Sie fordern heute die Bundesre- LINKE]) gierung auf, dies künftig bei Gesetzen zu berücksichti- Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben gen. Wir sind doch die Volksvertreter. Wir sind der Ge- die Geheimdienste Befugnisse bekommen wie nie zuvor. setzgeber. Das war in gewissem Umfang sogar notwendig. Aber es (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ bleibt ein Grundproblem. Geheimdienste versuchen, DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE schon im Vorfeld Informationen zu gewinnen. Die Poli- LINKE] und des Abg. Gert Winkelmeier zeiarbeit setzt dagegen bei konkreten Gefahren bzw. [fraktionslos]) konkreten Verdachtsmomenten an. Geheimdienste erfas- sen notwendigerweise viele Unschuldige. Deswegen Sie hatten ein Jahr Zeit, dies in die heutigen Gesetze ein- muss ein Gegengewicht durch eine entsprechende Kon- zuarbeiten. Das haben Sie nicht gemacht. Ihr Entschlie- trolle der Geheimdienstarbeit gesetzt werden. Meine ßungsantrag zeigt, dass Ihnen diese Lücke bewusst ist. Damen und Herren von der Koalition, Sie wollen heute Sie machen folgende Politik: Heute beschließen Sie die Geltungsdauer der Schily-Gesetze, die 2002 sehr ei- ein Gesetz, das verfassungswidrig ist, weil es ein Urteil lig durch das Parlament gebracht wurden, verlängern. aus Karlsruhe nicht berücksichtigt; dann sagen Sie: Um (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: 2001, Herr den Grundrechtsschutz kümmern wir uns morgen oder Stadler!) übermorgen. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, endlich eine bessere Meine Damen und Herren, Sie können nicht erwarten, Kontrolle der Geheimdienste als Gegengewicht einzu- dass die Opposition bei einem solchen Verfahren mit- führen. macht. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Es ist mir völlig unbegreiflich, warum Sie die Gele- genheit der heutigen Gesetzgebung nicht nutzen, endlich Präsident Dr. Norbert Lammert: auf unsere Vorschläge einzugehen, aus denen hervor- Nun erhält auch offiziell der Kollege Dr. Dieter geht, wie die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgre- Wiefelspütz für die SPD-Fraktion das Wort. (B) (D) miums besser und effektiver gestaltet werden könnte. (Beifall bei der SPD – Silke Stokar von Noch einmal: Wir von der FDP könnten notwendigen Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ne- Maßnahmen, die durchzuführen Sie den Geheimdiensten belkerzen gibt es jetzt!) erlauben wollen, durchaus zustimmen, wenn Sie auf der anderen Seite bereit wären, die Kontrolle zu verbessern. Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Das sind Sie leider nicht. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Herren! Es ist heute ein guter Tag für unser Land, es ist DIE GRÜNEN) ein guter Tag für die innere Sicherheit. Es ist schon gesagt worden, dass die Evaluierung, auf (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Wi- die Sie sich bei der Verlängerung der Schily-Gesetze be- derspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – rufen, nicht zureichend war. Dem stimme ich völlig zu; Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE denn diese Evaluierung, die die Frage betrifft, wie sich GRÜNEN]: Wir haben ein Türchen aufge- die Gesetze in der Praxis ausgewirkt haben, ging einzig macht! Heute gab es einen Schokoladenen- und allein vom Blickwinkel der Anwender aus und hatte gel!) überhaupt nicht im Blick, wie sich die neuen Vorschrif- Wir haben heute zwei sehr wichtige Gesetze auf der Ta- ten auf die Betroffenen auswirken, zum Beispiel, ob gesordnung, die die innere Sicherheit unseres Landes Menschen in Dateien aufgenommen worden sind, ohne nachhaltig verbessern. Ich danke den Kolleginnen und etwas davon zu wissen, und dann berufliche Nachteile Kollegen von den Koalitionsfraktionen, dass es uns ge- davon hatten. Das hätte evaluiert werden müssen, wenn lungen ist, heute zeitnah eine Punktlandung vorzuneh- Sie dies zur Grundlage einer Gesetzgebung machen wol- men. Zwei wichtige Gesetze werden zum 1. Januar des len. Auch deswegen können wir nicht zustimmen. kommenden Jahres in Kraft treten können. Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Die Koalitions- (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE fraktionen bringen heute einen Entschließungsantrag GRÜNEN]: Das war eine Bruchlandung!) ein. Es lohnt sich, ihn wörtlich zu zitieren. Er hat folgen- den Text: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, zeit- Wir würden heute Morgen eine ganz andere Debatte nah einen Gesetzentwurf vorzulegen...“ – jetzt fasse ich führen, wenn die Bomben von Köln und anderswo ex- zusammen –, der das Urteil des Bundesverfassungsge- plodiert wären. Wir haben hier in Deutschland keine richts zum großen Lauschangriff berücksichtigt. Meine Hysterikerdebatte, was innere Sicherheit angeht, aber Damen und Herren, das kann doch nicht Ihr Ernst sein. wir sind auch nicht naiv. Terrorismus ist keine Sache, die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006 7105

Dr. Dieter Wiefelspütz (A) nur jenseits unserer Grenzen stattfindet und bekämpft – Herr Ströbele, es ist sehr wichtig, dass wir den Terro- (C) werden muss. Terrorismus ist eine akute Gefahr in un- rismus strikt im Rahmen des Rechtsstaats bekämpfen. – serem Land, für Männer, Frauen und Kinder. Das ist kein Wir betreiben Terrorismusbekämpfung in der Kontinui- Irrsinnsszenario, sondern eine ganz konkrete Realität. tät der Sicherheitspolitik der vergangenen Jahre. Ich will niemandem Angst einjagen, aber wer kann in dieser Sekunde, in der wir zusammen beraten, eigentlich (Zuruf von der SPD: Sehr wahr! – Jan Korte ausschließen, dass in diesem Volk von 82 Millionen [DIE LINKE]: Das ist das Schlimme!) Menschen an der einen oder anderen Stelle Menschen Soeben ist ein früherer Innenminister erwähnt wor- beisammensitzen, die planen, Unschuldige in die Luft zu den. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, das segensrei- sprengen? che Wirken des Kollegen Ströbele in den vergangenen (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Legislaturperioden zu erwähnen. GRÜNEN]: Niemand!) (Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- – Niemand kann das ausschließen, das ist richtig. – Des- NIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Klaus wegen haben wir die verdammte Pflicht, das Menschen- Uwe Benneter [SPD]) mögliche zu tun, um die Sicherheit unseres Landes und Wir haben heute Gesetze zu verabschieden, die auf dem unserer Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Das ist aufbauen, was in früheren Jahren verabschiedet worden doch eine selbstverständliche Pflicht. ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Ich verstehe gar nicht, wieso man überhaupt ernsthaft GRÜNEN]: Alles, was wir verhindert haben, daran zweifeln kann. Wofür haben wir den Rechtsstaat, kommt jetzt hinein!) wenn es nicht seine vornehmste Pflicht wäre, das Men- schenmögliche zu tun, damit seine Bürgerinnen und Präsident Dr. Norbert Lammert: Bürger in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können? Herr Kollege Wiefelspütz, der Kollege Ströbele Das ist eine elementare staatliche Pflicht. möchte sich mit einer Zwischenfrage persönlich an der Würdigung seiner Arbeit beteiligen. (Jan Korte [DIE LINKE]: Bis wohin?) (Heiterkeit) Terrorismus wird in Deutschland im Rahmen des Rechtsstaates bekämpft. Ich kann mich nicht entsinnen, dass wir in den letzten Jahren im Bereich der Terroris- Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): (B) musbekämpfung auch nur ansatzweise an die rote Linie Diese Gelegenheit sollten wir ihm geben. (D) – sie existiert in einem qualifizierten Rechtsstaat in die- sem Bereich immer – herangekommen wären. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Jan Korte [DIE LINKE]: Luftsicherheitsge- Bitte schön, Herr Kollege Ströbele. setz! – Gisela Piltz [FDP]: Haben Sie die letz- ten Urteile des Bundesverfassungsgerichts ge- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE lesen?) GRÜNEN): Man kann die rote Linie plakativ mit folgende Maßnah- Herr Wiefelspütz, Sie reden die ganze Zeit über die men benennen: Angriffskrieg, Irakkrieg, Guantanamo, Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Sie sagen, Folter, Rendition, das Verschwindenlassen von Men- das sei der Grund für dieses Gesetzeswerk. Können Sie schen. Das ist die rote Linie, die der bundesdeutsche mir sagen, was die gesetzlichen Vorschriften, die Sie Rechtsstaat nie auch nur ansatzweise berührt hat. Das jetzt einführen möchten, mit Terrorismus und Terroris- wird auch in Zukunft so bleiben. musbekämpfung zu tun haben? Entgegen alldem, was unter Rot-Grün gemacht worden ist, findet hier ein Ge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –Jan setz, das angeblich im Zeichen des Kampfes gegen den Korte [DIE LINKE]: El-Masri!) Terrorismus geschaffen wurde, Anwendung bei rechts- und linksradikalen Bestrebungen. Geben Sie mir Recht, Es gibt niemanden, der bei uns in Deutschland ernsthaft wenn ich sage: Das ist ein Missbrauch der Bedrohungs- Mittel und Methoden wählt, durch die der Rechtsstaat im lage in der Welt für ganz andere Zwecke? Kampf gegen Terrorismus beschädigt und deformiert wird. Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): (Jan Korte [DIE LINKE]: Das wird gerade Herr Ströbele, wenn es so wäre, wäre ich auf Ihrer untersucht!) Seite. Wir haben in einem sehr frühen Stadium, schon Wenn wir das täten, würden wir unsere eigenen Grundla- bei Einbringung der Gesetze, in der Koalition sehr inten- gen deformieren. siv darüber gesprochen. Es gab eine ganz klare Maß- gabe: Wir machen Terrorismusbekämpfungsgesetze und (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE nichts anderes. Bei allen Abgrenzungsschwierigkeiten GRÜNEN]: In Deutschland gibt es das leider! gibt es einen großen Unterschied zwischen Extremismus US-Dienststellen in Deutschland!) und Terrorismus. 7106 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Dr. Dieter Wiefelspütz (A) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Sind Sie der Ansicht, dass die von Ihnen gewählte (C) GRÜNEN]: So ist es!) Formulierung eine Ausweitung aller bisherigen Defini- tionen ist und dass damit sogar ein vorübergehendes Un- Ich sage es mit meinen Worten: Das Spezifische für Ter- wohlsein gemeint sein kann? Das heißt, dass diese Datei rorismus ist die Bereitschaft, der konkrete Wille zur Ge- eben nicht nur zur Bekämpfung des allgemeinen Terro- waltanwendung. Diese Bereitschaft ist beim Extremis- rismus genutzt werden kann. mus nicht notwendigerweise vorhanden. Deswegen haben wir diesbezüglich eine klare Trennung vorgenom- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ men, mit einer einzigen Ausnahme – ich sage es summa- DIE GRÜNEN) risch –: Wir schaffen mit diesem Gesetz die Möglichkeit, mit nachrichtendienstlichen Mitteln gegen einen Hass- prediger vorzugehen, der in der Tat zur Gewaltanwen- Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): dung aufruft oder dessen Agitation dazu führen kann, Frau Piltz, schönen Dank für die Frage. Es ist völlig dass Menschen Gewalt anwenden. eindeutig. Ich will die Gelegenheit ergreifen, um auf et- was sehr Grundsätzliches einzugehen – Herr Benneter Wir legen großen Wert darauf, dass es sich bei unse- hat das schon einmal kurz angedeutet –: Was das Ge- ren Gesetzen nicht um Extremismusbekämpfung – den meinsame-Dateien-Gesetz angeht, war, ist und bleibt bekämpft man auf andere Weise – handelt, sondern um ganz wichtig, dass wir keine neuen Übermittlungsregeln Terrorismusbekämpfung. Schauen Sie sich die Gesetze schaffen. Diese Datei ist nur eine Datei; das ist nur eine bitte genau an! Wenn Sie Fragen haben, dann kommen „Computergeschichte“. Die materiellen Regelungen für Sie zu mir: Ich erläutere sie Ihnen. Polizei und Geheimdienste, wie sie Informationen zuläs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sigerweise übermitteln dürfen, werden durch das Ge- CDU/CSU) meinsame-Dateien-Gesetz um keinen Millimeter verän- dert. Schauen Sie sich dieses Gesetz und insbesondere Ich wiederhole: Es handelt sich ausschließlich um Ge- seine Begründung an! Das war uns ganz wichtig. setze zur Terrorismusbekämpfung und um nichts ande- res. Wenn man etwas hätte ändern wollen, beispielsweise in Bezug auf das Ausland, dann hätte man diese Rege- lungen ausdrücklich ändern müssen. Genau das haben Präsident Dr. Norbert Lammert: wir nicht getan. Folgendes ist ganz wichtig: Es dürfen Herr Kollege Wiefelspütz, Ihr Vorschlag, die Diskus- ausschließlich bei den Sicherheitsbehörden vorhandene, sion privat fortzusetzen, ist deswegen besonders liebens- legal gespeicherte Daten über die Antiterrordatei ver- (B) würdig, weil er uns hilft, die vereinbarten Redezeiten netzt weitergegeben werden. Das darf aber nur dann ge- (D) einzuhalten. Gleichwohl hat sich Frau Kollegin Piltz zu schehen, wenn das materielle Recht dies zulässt. Wir ha- einer Zwischenfrage gemeldet, die Sie vermutlich eben- ben daran nichts geändert. Haben Sie das verstanden, falls zulassen möchten. Herr Ströbele?

Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf Selbstverständlich, aus Respekt vor der Kollegin. des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] – Gisela Piltz [FDP]: Möchte noch jemand eine Zwischenfrage stellen? Das war meine Frage!) (Heiterkeit) – Herr Ströbele wackelte so mit dem Kopf, Frau Piltz; deswegen habe ich ihn direkt angesprochen. Gisela Piltz (FDP): Herr Wiefelspütz, ich glaube nicht, dass Sie die Rolle Präsident Dr. Norbert Lammert: des Präsidenten einnehmen sollten. Aber das wollen Sie doch in einem privaten Gespräch (Dr. Uwe Küster [SPD]: Die Rolle des Präsi- vertiefen. denten einnehmen? Sehr guter Vorschlag!) Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): – Wenn Sie das möchten, dann müssen Sie das in der SPD-Fraktion demnächst anders als bisher regeln. Schon zu Beginn der Beratungen war mir sehr wich- tig, dass das völlig klar gestellt wird: Wir schaffen keine Sie haben auf die Frage des Kollegen eben geantwor- neuen Übermittlungsvorschriften, die das materielle tet, dass das, was Sie hier vorlegen, einzig und allein der Recht an dieser Stelle verändern. Terrorismusbekämpfung dient. Wenn es so wäre, dann wäre es schön. Ich frage mich, wie Sie das mit § 6 Kurz und gut, die Gesetze, die wir heute verabschie- – „Weitere Verwendung der Daten“ – des Gemein- den, haben Maß und Mitte. Sie bauen auf früheren Ge- same-Dateien-Gesetzes vereinbaren. Dort steht, dass setzen auf. Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsge- diese Daten weitergegeben werden können, wenn „dies setz baut auf einem Gesetz auf, an dem im Jahre 2002 zur Verfolgung einer besonders schweren Straftat oder Kollegen wie Herr Ströbele mitgewirkt haben. Wir er- zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben, Gesundheit gänzen es, indem wir einige unwesentliche Lücken oder Freiheit einer Person geboten ist …“ schließen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006 7107

Dr. Dieter Wiefelspütz (A) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Gisela Piltz [FDP]: Das ist jetzt der typische (C) NEN]: Unwesentlich? Das ist doch lächer- Wiefelspütz!) lich!) Bei unseren Debatten hat dann die Wand gewackelt. Wir Dieses Gesetz wird für weitere fünf Jahre in Kraft ge- haben gesehen: Dieses Urteil ist nun schon gut zwei setzt. Jahre alt. Wir haben im Bereich der Strafprozessordnung Veränderungen vorgenommen, aber in anderen Berei- Ich möchte noch einige Worte zum Gemeinsame-Da- chen noch nicht. Dieses Parlament und diese Bundes- teien-Gesetz verlieren. Herr Minister, mich stört eher, regierung, Herr Schäuble, haben allen Grund, das sehr dass wir diese Datei nicht schon seit zwei oder drei Jah- bald nachzuholen. ren haben. Nun will ich das hier nicht besserwisserisch kommentieren oder kritisieren. Ich bin froh, dass wir Ich will Sie aber auf Folgendes hinweisen, Herr dieses Gesetz heute verabschieden können. Ich lege Wert Stadler: Die Entscheidung des Bundesverfassungsge- darauf, hier auf Folgendes hinzuweisen: Diese Anti- richts gilt natürlich. Unsere Verfassungsschutzbehörden terrordatei ist gelebter funktionierender Sicherheitsfö- halten sich selbstverständlich – das ist völlig klar und deralismus. Sie funktioniert nur in konkretem vertrau- unzweifelhaft – an diese Entscheidung. Wir werden sehr ensvollem Zusammenwirken aller Sicherheitsbehörden bald Gelegenheit haben, zu den spezifischen Fachberei- auf der Bundes- und der Länderebene. chen, auch zu denen, über die wir heute reden, entspre- chende Vorlagen zu erarbeiten. Das ist dringend nötig. (Gisela Piltz [FDP]: Die hatten Sie nicht!) Zweitens. Die Nachrichtendienste gehören nicht an Wir versprechen uns davon eine erhebliche Verbesse- den Rand unserer Debatte. Sie gehören in das Zentrum rung der informationellen Zusammenarbeit, aber nicht in des Rechtsstaats und sie sind Teil der wehrhaften Demo- dem Sinne, dass neues Recht geschaffen wird, sondern kratie. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir auch in dem Sinne, dass eine neue Praxis eingeführt wird, so- hier im Parlament eher zu wenig über Nachrichten- dass es keine Informationspannen gibt, dass man in Bay- dienste reden. Ich denke, dass wir aus Gründen der Ta- ern das weiß, was man auch in Schleswig-Holstein in gesaktualität und deshalb, weil wir mit Tagesarbeit zuge- den Akten hat, und man in Berlin die Informationen hat, schüttet sind, nicht immer über den Tellerrand die auch im Saarland verfügbar sind. Das ist in der Zu- hinausschauen. Wir sollten das nächste Jahr nutzen, um kunft eine große Hilfe. unabhängig von tagesaktuellen Gesetzesvorhaben zu de- battieren: über den Stellenwert von Geheimdiensten im Wir haben es mit zwei Gesetzen zu tun, die mit sehr deutschen Rechtsstaat, über die Frage der Notwendigkeit viel Augenmaß erarbeitet worden sind, wobei rechts- von Diensten, (B) staatliche Kriterien eine ganz große Rolle gespielt ha- (D) ben. Deswegen waren die Beratungen auch außerordent- (Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist eine gute lich intensiv. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Idee!) mit diesen Gesetzen keine verfassungsrechtlichen Pro- aber insbesondere auch über Fragen von Bürgerrechten, bleme haben werden; ganz im Gegenteil: Es sind eher Kontrollen und Kontrollmechanismen im Parlament. zusätzliche Sicherungen eingebaut worden, von denen ich hoffe, dass sie in Zukunft auch in anderen Gesetzen Die Gesetze in diesem Bereich haben sich in vielen Standard werden. Wir befristen und evaluieren die Ge- Schichten über Jahre entwickelt. Ich bin ganz sicher, setze. Wir sehen im Bereich von Bürgerrechten Doku- dass es mancherlei Widersprüchlichkeiten und vielleicht mentationspflichten vor. Ich will an dieser Stelle dem auch Systemwidrigkeiten gibt. Es lohnt sich, das einmal Bundesdatenschutzbeauftragten Schaar noch einmal aus- auf Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Das wollen wir vonsei- drücklich danken – wir haben ihn im Vorfeld der Bera- ten der SPD-Bundestagsfraktion uns vornehmen und tungen intensiv beteiligt –, auf dessen Anregung das eine hoffen auf gute Gespräche mit den Kollegen und Kolle- oder andere ins Gesetz aufgenommen worden ist. Kurz ginnen der Koalition, aber auch mit den anderen Fraktio- und gut: Die Sache ist, wie ich finde, rund und wichtig. nen im Parlament, denen das ein Anliegen ist. Ich denke, dass wir heute dem Deutschen Bundestag Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Gedanken gute, vernünftige Gesetze, die strikt rechtsstaatlich sind, ansprechen, die auch hier in der Debatte schon eine zur Beschlussfassung vorlegen. Das Grundgesetz wird Rolle gespielt haben. eingehalten, mehr als eingehalten. Die Gesetze tragen Erstens. Der Gesetzgeber hat bis heute eine außeror- dazu bei, dass es für unsere Bürger noch ein Stück weit dentlich wichtige Entscheidung des Bundesverfas- sicherer wird. Sie tragen auch dazu bei, dass die gute Si- sungsgerichts nicht berücksichtigt, Herr Dr. Stadler. cherheitsarbeit in Deutschland noch ein bisschen besser wird. (Dr. Max Stadler [FDP]: Warum?) Wir dürfen uns vor den Herausforderungen angesichts Sie haben die Lücke nicht selbst erkannt, sondern wir der Gefahren des internationalen Terrorismus nicht zu- sind – ich sage das durchaus selbstkritisch – in der An- rücklehnen. Diese Koalition nimmt ihre Verantwortung hörung von einigen Sachverständigen darauf aufmerk- im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger wahr. sam gemacht worden. Ich muss Ihnen sagen, dass ich Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. von mir selbst als Parlamentarier enttäuscht bin, dass uns das nicht schon früher aufgefallen ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 7108 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

(A) Vizepräsident Dr. : Die Regelung zu den Kontaktpersonen verstößt in er- (C) Das Wort hat nun der Abgeordnete Gert Winkelmeier. heblichem Maße gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft und sollte nicht leichtfertig aufs Gert Winkelmeier (fraktionslos): Spiel gesetzt werden. Die Angst vor möglichen terroris- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! tischen Anschlägen ist verständlich. Sie sollte uns aber Eine Auszeichnung haben die Innenminister des Bundes nicht blind machen für die Folgen, die ein solches Ge- und der Länder für den Gesetzentwurf zur zentralen setz für gemeinsame Dateien von Polizei und Geheim- Anti-Terror-Datei ja bereits erhalten, den „Big Brother diensten nach sich zöge. Award 2006“. Die beiden Hauptgründe für diese eher Die Innenministerkonferenz hat dieses Gesetz so ge- zweifelhafte Würdigung sind von Verfassungsrechtlern wollt. Die Bundesregierung hat sich dem angeschlossen. wie auch von Datenschützern immer wieder benannt Das heißt aber noch lange nicht, dass die Mitglieder des worden. Das ist zum einen das Trennungsgebot für Poli- Deutschen Bundestages dem folgen müssen. zei und Geheimdienste, das in den vergangenen Jahren bereits aufgeweicht worden ist. Dieses Trennungsgebot Meine Damen und Herren Abgeordneten, wenn schon hat historische Wurzeln. Eine unkontrollierte Machtkon- die Bundesregierung nicht auf ihre eigenen Fachleute zentration der Sicherheitsapparate und eine neue politi- hört, sollten zumindest wir sie ernst nehmen. Anlässlich sche Geheimpolizei sollten verhindert werden. der Anhörung im Innenausschuss am 6. November die- ses Jahres warnte der Bundesbeauftragte für Daten- Jetzt hat die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg schutz, Peter Schaar – Herr Wiefelspütz, Sie haben diese gebracht, mit dem im Eilfall sogar per Knopfdruck das Passage nicht zur Kenntnis genommen –: von Westalliierten aus gutem Grund festgeschriebene Trennungsgebot ausgehebelt werden kann. Ich sage Ih- Gegen diese Gesetzesvorhaben habe ich erhebliche nen schon heute voraus, dass dieses Gesetz, sollte sich verfassungs- und datenschutzrechtliche Bedenken. ein Kläger finden, vor dem Bundesverfassungsgericht Wenn die Entwürfe Gesetz würden, wäre dies ein keinen Bestand haben wird. Dem Gesetz zur zentralen weiterer Schritt auf dem Weg in eine Überwa- Anti-Terror-Datei wird es genauso ergehen wie dem Ge- chungsgesellschaft, in der auch solche Bürgerinnen setz zum großen Lauschangriff und dem Luftsicherheits- und Bürger als Risikofaktoren behandelt werden, gesetz. Es wird von den Bundesrichtern kassiert werden. die keinen Anlass dafür gegeben haben. Auch die kleinen vom Innenausschuss im Entwurf Der zweite schwerwiegende Grund, diesen Gesetzent- eingefügten Änderungen werden an diesen grundsätzli- wurf abzulehnen, ist der, dass auch die persönlichen Da- (B) chen Bedenken nicht viel ändern. Hier wächst zusam- (D) ten von so genannten Kontaktpersonen erfasst werden. men, was zumindest so nicht zusammengehört. Es ist Es reicht nicht aus, ins Gesetz zu schreiben: „flüchtige vielmehr wichtig, weiterhin am Gebot der Trennung von und zufällige Kontakte werden nicht erfasst“, denn letzt- Polizeibehörden und Nachrichtendiensten festzuhalten. endlich ist die Definition, was flüchtig und zufällig ist, Ermessenssache der Behörden und ist im Gesetz nicht Ersparen wir dem Bundesverfassungsgericht unnötige klar geregelt. Da gerät zum Beispiel ein Kioskbesitzer Arbeit und den Innenministern weitere fragwürdige Eh- ins Visier der Terrorfahnder, nur weil sich ein Verdächti- rungen. Stimmen wir gegen dieses Gesetz! ger jeden Morgen die Zeitung bei ihm holt. Oder: Ein Vielen Dank. Vermieter wird in die Antiterrordatei eingespeist, weil ein mutmaßlicher Terrorist in einer seiner Wohnungen (Beifall bei der LINKEN) lebt. Hier wird eine Kontaktkriminalisierung aufgebaut, die keine Grenzen mehr kennt. Ein wirksamer gesetzli- Präsident Dr. Norbert Lammert: cher Datenschutz findet nicht statt. Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger das Wort. Die Sammelwut der Bundesregierung und der Nach- richtendienste kennt keine Grenzen. Es gibt schon jetzt 160 Dateien, die dem Kampf gegen den Terrorismus Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): bzw. der Kriminalität gewidmet sind. Dort sind Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr 60 Millionen Datensätze über Personen oder Personen- Wiefelspütz, ich möchte zu dem Geständnis, das Sie hier gruppen gespeichert: 60 Millionen Datensätze in einem gerade abgelegt haben, eine Bemerkung machen. Land, in dem 80 Millionen Menschen leben. Das zeigt (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) die Überwachungshysterie in unserem Lande, die unter dem Deckmäntelchen der Terrorismusbekämpfung be- Ich fand es nicht nur bemerkenswert, sondern geradezu gründet wird. erschütternd, dass Sie hier gesagt haben, in der Anhö- rung sei zum ersten Mal überhaupt bekannt geworden, Es ist sehr einfach, zufällig und unwissentlich in eine dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem solche Datei zu geraten. Umso schwieriger dürfte es je- Jahre 2004 nicht nur Auswirkungen auf die Strafprozess- doch sein, aus dieser sinnlos aufgeblähten Datei wieder ordnung hat, sondern auch auf alle anderen Gesetze, in gestrichen zu werden. Zwar ist das im Gesetz geregelt, denen es um Überwachungstechnologien geht. Dass es aber es ist auch vor allem eine Ermessenssache der agie- sich sogar auf den Bereich der Gefahrenabwehr er- renden Behörden. streckt, hat ja das Verfassungsgerichtsurteil zum nieder- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006 7109

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (A) sächsischen Polizeigesetz, das kurz danach verkündet Ihre Fraktion ist nicht auf diese Idee gekommen. Wir ha- (C) wurde, unmissverständlich deutlich gemacht. ben das, nachdem wir es erkannt hatten, aufgegriffen und gesagt, es muss so rasch wie möglich geändert wer- Ihren Ausführungen war weiterhin zu entnehmen, den. Ich bitte, wenigstens dieses bei dieser Angelegen- dass Sie die Anträge zur Umsetzung des Urteils, die vor heit zu würdigen. den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf und nach dem Urteil eingereicht wurden, nicht zur Kenntnis genom- Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Hinweis ge- men haben. In diesen Anträgen ging es nie um die Um- ben, auch wegen des Gebots der Ehrlichkeit und der setzung einer einzigen Regelung, sondern immer um Fairness. Deutsche Behörden dürfen nicht foltern. Es eine generelle Umsetzung dieses Urteils in allen Berei- darf auch kein augenzwinkerndes Einverständnis mit chen. Darüber wurde in den vergangenen zwei Jahren in Folterknechten im Ausland und kein Zusammenwirken allen Fachbereichen diskutiert. Hierzu gibt es eine Fülle geben. von Aufsätzen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Vor diesem Hintergrund denke ich, dass die einfachen Aussagen, dieses Gesetz bewege sich voll im Rahmen Das ist unstreitig; ich glaube, das ist auch hier im Hause des Grundgesetzes, es werde alles beachtet und man sei völlig klar. Aber es gibt an einem Punkt einen Dissens sicher, dass nichts passieren werde, nicht zutreffend – wenn ich das richtig sehe, ist das, was ich Ihnen jetzt sind. Während der ganzen Debatte haben Sie ja eine Er- hier vortrage, auch die Auffassung von Herrn Schäuble; wähnung des Luftsicherheitsgesetzes tunlichst vermie- aber er mag dazu selber Stellung nehmen –: Wenn deut- den. Mit diesem Gesetz haben Sie nämlich die rote Li- sche Behörden aus dubiosen nachrichtendienstlichen nie, die Sie heute aufgezeigt haben, ganz bewusst und Quellen Erkenntnisse haben, die für die Gefahrenab- zielgenau übersprungen. wehr in Deutschland von überragender Bedeutung sind, spielt es keine Rolle, wie diese Erkenntnisse entstanden (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jan Korte sind. Vielfach weiß man das auch nicht. Sie sind dann [DIE LINKE]) nicht gerichtsverwertbar, völlig klar. Kein deutsches Ge- Es ist umso unverständlicher, dass Sie nun, wo Sie richt würde solche Informationen verwerten. Aber wenn eine Bürgerrechtsdebatte führen wollen, den Antrag der es in Deutschland Informationen gibt – möglicherweise FDP, die Vorschrift aus Art. 4 Abs. 4 Europol-Gesetz zu auch, ohne deutsche Beteiligung, auf schändlichem übernehmen, nicht angenommen haben. In dieser Vor- Wege gewonnene –, dann muss man sie zur Kenntnis schrift wird doch die rote Linie markiert, die Sie richti- nehmen. gerweise hier auch erwähnt haben, nämlich dass Daten, ( [CDU/CSU]: Richtig!) die unter Folter gewonnen wurden, nicht verwendet wer- (B) (D) den dürfen. Alles andere wäre völlig unverantwortlich, Frau Leutheusser-Schnarrenberger. All das ist der Hintergrund dafür, dass mich Ihr Ge- ständnis etwas erschüttert hat, lieber Herr Wiefelspütz. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Ich will Ihnen deutlich sagen – möglicherweise ist das ein Dissens zwischen Ihnen und mir; ich habe über die- sen Punkt häufiger auch mit Kollegen debattiert –: Bei Präsident Dr. Norbert Lammert: der Gefahrenabwehr in Deutschland wird, wenn es um Zur Erwiderung, Herr Kollege Wiefelspütz. Leib und Leben geht, jede Information auf den Tischen der deutschen Sicherheitsbehörden, die plausibel ist, na- Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): türlich verwertet. Wir sollten ehrlicherweise zugeben, Erschütterung hin oder her, Frau Kollegin dass darunter auch die eine oder andere Information sein Leutheusser-Schnarrenberger, ich bin dafür, dass man kann, von der wir nicht wissen, wie sie entstanden ist. Dinge, die uns im Rahmen der Gesetzgebungsberatun- Das ist nun einmal so in dieser Welt. Die deutschen gen aufgefallen sind, ehrlich anspricht. Behörden haben die Pflicht, Informationen, die sie be- Wir diskutieren seit vielen Jahren im Innenausschuss kommen haben, aus welchen Quellen auch immer, zu über Terrorismusbekämpfung, wie Sie ja wahrschein- analysieren und im Interesse der Sicherheit unserer Bür- lich auch im Rechtsausschuss. Ich kenne – ich spreche gerinnen und Bürger zu verwerten. Anderes wäre unehr- jetzt nur von mir – keinen einzigen Beitrag, wo das von lich. Insoweit gibt es möglicherweise zwischen Ihnen mir eben Gesagte angesprochen worden wäre. Ich stelle und mir einen Dissens. einfach fest: Wir haben uns viel zu viel Zeit genommen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Während das besagte Urteil Eingang in die Strafprozess- Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie rechtferti- ordnung gefunden hat, haben wir es in unserem Bereich gen damit Folter!) noch nicht umgesetzt. Es gilt allerdings und – das ist völ- lig klar – die Behörden halten sich daran. Ich lege des- Präsident Dr. Norbert Lammert: halb großen Wert darauf, dass wir nun so rasch wie mög- Da gerade dieser Disput sicher nicht nur für die Kol- lich zur Tat schreiten. Darauf hinzuweisen, ist ein Gebot leginnen und Kollegen, sondern auch für die anwesen- der Ehrlichkeit. den Zuschauer sehr informativ war, habe ich das in ei- Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn wir das unter- nem Zeitrahmen zugelassen, der, woran ich erinnern schlagen hätten, Frau Leutheusser-Schnarrenberger? möchte, über die Regelungen hinausgeht, die wir in der 7110 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Geschäftsordnung für Kurzinterventionen und Erwide- In dem Luftsicherheitsgesetz gibt es einen Passus, in (C) rungen vorgesehen haben. dem beispielsweise die Überprüfung von Personen an Flughäfen geregelt wird. Eigentlich war eine Nachbe- Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt er- richtspflicht für alle Sicherheitsbehörden der Länder und hält der Kollege Clemens Binninger für die CDU/CSU- des Bundes vorgesehen. Sie haben nun Folgendes ge- Fraktion das Wort. macht: Sie haben die Nachberichtspflicht für die Länder gestrichen. Sie haben auch verhindert, dass die Landes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ämter für Verfassungsschutz die Erkenntnisse über über- neten der SPD) prüfte Personen in einer gemeinsamen Datei speichern dürfen. Damit haben Sie der Sicherheit an deutschen Clemens Binninger (CDU/CSU): Flughäfen einen Bärendienst erwiesen. Was Sie im Rah- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen men der rot-grünen Sicherheitspolitik gemacht haben, und Kollegen! Lange haben wir in Deutschland ge- war grüner Murks und unverantwortlich. glaubt, wir seien nur Rückzugs- oder Ruheraum für Ter- (Widerspruch der Abg. Silke Stokar von roristen. Seit den gescheiterten Kofferbombenanschlä- Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – gen und den entdeckten Planungen für den Anschlag auf Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das war Ihre dem Frankfurter Flughafen wissen wir, dass Deutschland Blokkadepolitik im Bundesrat!) auch Zielgebiet für den Terrorismus ist. Die Bedrohung ist unmittelbar und real. Wir müssen dagegen etwas un- Wir schließen diese Lücke und tragen damit wieder in einem sehr hohen Maß zur Sicherheit an deutschen Flug- ternehmen. Die große Koalition unternimmt mit dem häfen bei. Sicherheitspaket, das wir heute verabschieden, etwas und gibt die richtige Antwort. Deshalb ist das ein guter (Beifall bei der CDU/CSU – Silke Stokar von Tag für die Sicherheit in unserem Lande. Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sprengen ja alle Grenzen! Bei Ihnen geht es (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) um keine Lücken!) Wir sind der Bedrohung nicht hilflos ausgeliefert. – Sie haben diese Lücke ganz allein verursacht und müs- Terroristen und ihre Helfer müssen sich im öffentlichen sen aushalten, dass man Ihnen das heute vorhält. Sie ha- Raum bewegen, sie müssen telefonieren, sie kommuni- ben aus rein ideologischen Motiven gehandelt und haben zieren im Internet, sie tätigen finanzielle Transaktionen; die Sicherheit an deutschen Flughäfen diesen Motiven sie hinterlassen also Spuren. Deshalb ist es umso wichti- zum Teil geopfert. Es ist gut, dass wir diese Lücke heute ger, dass unsere Nachrichtendienste Instrumente und schließen. (B) Befugnisse – und zwar alle Nachrichtendienste die glei- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr gut!) (D) chen – erhalten, mit denen sie genau diese Spuren auf- spüren können. Wir geben unseren Nachrichtendiensten, aber auch der Polizei Instrumente an die Hand, um Informationen Deshalb werden wir heute im Terrorismusbekämp- zu gewinnen. Die Sicherheitsbehörden brauchen aber fungsergänzungsgesetz den Nachrichtendiensten Befug- auch ein Instrument, mit dem sie diese Informationen nisse geben, dass sie bei Post, Bank, Luftfahrtunternehmen zusammenführen können. Es gibt eine föderale Sicher- und Telekommunikationsunternehmen Auskunftsrechte heitsarchitektur: 38 Sicherheitsbehörden befassen sich bekommen. Sie können zukünftig online Halterfeststel- mit dem Terrorismus. Wir brauchen deshalb, wie gesagt, lungen vornehmen und der Zoll kann Geld nicht nur bei ein Instrument, mit dem die Informationen über den Ter- Geldwäscheverdacht, sondern auch bei Terrorismusver- rorismus zielgenau, sehr schnell und präzise zusammen- dacht sicherstellen. geführt werden können: die Antiterrordatei. Ich bin überzeugt, dass diese Datei ein Quantensprung sein Wir werden den Personenkreis, auf den diese Instru- wird, was die Verbesserung der Zusammenarbeit zwi- mente angewandt werden können, auf eine Tätergruppe schen Polizei und Nachrichtendiensten angeht. erweitern, die man die dritte Generation nennt. Es sind Ich will das an einem konkreten Beispiel aus der Täter, wie wir sie in Madrid und London hatten, der so Sachverständigenanhörung deutlich machen. BKA-Prä- genannte Homegrown Terrorism. Das ist eine notwen- sident Ziercke hat auf meine Frage, wie lange eine Ant- dige Änderung, mit der wir der Bedrohungslage die rich- wort auf eine LKA-Anfrage dauert, ob irgendein Nach- tige Antwort entgegensetzen. Deshalb sind diese Ge- richtendienst in Deutschland irgendwelche Erkenntnisse setze so wichtig und notwendig und deshalb ist es gut, über eine terrorverdächtige Person hat, geantwortet: Das dass wir sie heute beschließen. kann schon einmal Tage, vielleicht sogar Wochen dau- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ern. – Tage oder Wochen! Wir reden hier aber über Ter- rorismusbekämpfung. Mit der Antiterrordatei wird es Wir schließen aber auch – daran will ich erinnern – keine Tage oder Wochen, sondern nur noch wenige Se- eine Sicherheitslücke, die uns die Grünen beim Luft- kunden dauern, bis ein LKA weiß, ob Erkenntnisse vor- sicherheitsgesetz eingebrockt haben. Sie haben damals liegen. Das ist nicht nur ein großer Gewinn für die Si- ihrem Koalitionspartner eine maßvolle Verfassungs- cherheit der Menschen in diesem Lande, sondern auch änderung verweigert und mussten dann aus dem Luft- ein großer Gewinn für die Zusammenarbeit der sicherheitsgesetz so viel streichen und es so zu- 38 Sicherheitsbehörden. Diese Zusammenarbeit ist un- rechtmurksen, muss man sagen, dass es nicht mehr verzichtbar. Deshalb ist es richtig, dass wir heute die An- zustimmungspflichtig war. titerrordatei beschließen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006 7111

Clemens Binninger (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Erstens. Die an dem zunächst vorgelegten Entwurf ei- (C) nes Luftsicherheitsgesetzes vorgenommenen Änderun- Die Antiterrordatei ist quasi das elektronisch gebün- gen sind seinerzeit nicht etwa von den Grünen gefordert delte Wissen von 38 – so könnte man sagen – Spe- worden. Das war kein Vorschlag der Grünen, keine Ge- zialeinheiten. Sie ist keine neue Datenerhebung, sondern die praxisgerechte Verwendung bereits erhobener Daten. setzesänderung der Grünen, sondern eine des damaligen Sie bedeutet keine Missachtung des Trennungsgebotes, Bundesinnenministeriums, sondern eine sinnvolle Zusammenführung von Wissen, (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE das bei den Nachrichtendiensten und bei der Polizei vor- GRÜNEN]: Genauso war es! – Clemens liegt. Die Antiterrordatei verhindert eine tagelange oder Binninger [CDU/CSU]: Wieder einmal der wochenlange Warteschleife. Sie gibt dringend benötigte Schily! Der war doch auch mal grün!) Antworten und wichtige Informationen in Sekunden- schnelle. dem die Grünen bekanntlich nicht vorstanden. Ich will auf einen Kritikpunkt, der vorhin genannt Zweitens. Der Grund für diese Änderungen war nicht, wurde, eingehen. Auf den Vorwurf der FDP, wir würden dass die Grünen oder die Koalition das so wollten; wir mit dieser Antiterrordatei die internationale Zusammen- hätten diese Änderungen gerne unterlassen. Der Grund arbeit zwischen Sicherheitsbehörden gefährden, muss war, dass die Länder, vor allem die von der Union domi- ich sagen: Ganz im Gegenteil! Wenn jemand in den letz- nierten Länderregierungen, klar erklärt haben, dass sie ten Wochen und Monaten die Arbeit unserer Sicherheits- die vorgesehene Evaluierung und Mitteilungspflicht behörden sehr gefährdet hat, indem er ihre Arbeit in der nicht unterstützen. Das heißt, wir haben, damit das Ge- Öffentlichkeit sezieren wollte, dann waren es Sie im setz nicht insgesamt infrage gestellt wurde, lediglich BND-Untersuchungsausschuss. Das müssen Sie sich darauf Rücksicht genommen, was die Länder damals ge- vorhalten lassen. fordert haben. Wenn irgendwo eine Schuld bestand, (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei dann lag diese bei den von der Union dominierten Län- der FDP) dern. Um die Empörung etwas abzukürzen, will ich sagen: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich bin sehr dafür, dass Missstände aufgeklärt werden sowie bei Abgeordneten der SPD – Wider- und dass man Fehlern nachgeht. Aber Sie müssen schon spruch bei der CDU/CSU) zugeben, dass nach der mehrmonatigen Arbeit des Aus- Drittens. Auch nach Wegfall der Bestimmungen, die schusses nichts Wesentliches herausgekommen ist. Sie ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehen waren, war stören sich auch an der Tatsache, dass der Ausschuss es keineswegs so, dass die Länderverfassungsschutz- (B) häufig geheim tagt. Er tut dies aus guten Gründen; denn (D) die Information über die Arbeit der Sicherheitsbehörden ämter oder andere Länderbehörden daran gehindert wur- und der Nachrichtendienste muss geheim sein, ansonsten den, den Bundesbehörden ihre Informationen über die wären es keine Nachrichtendienste mehr. Ihre Kritik, wir Sicherheit an Flughäfen mitzuteilen und sie zu evaluie- würden die internationale Zusammenarbeit gefährden, ren. Sie sind nach den Ländergesetzen auch ohne dieses ist daher fehl am Platze. Gesetz dazu verpflichtet, alle Informationen, die etwas über eine Gefährdung der Sicherheitslage bzw. eine Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) fahr für die Bevölkerung aussagen, weiterzugeben. Die große Koalition schafft etwas, an dem sich Rot- Viertens. Sie verschweigen, dass das Beispiel, das Sie Grün, aber auch andere Innenpolitiker in den letzten fünf immer wieder nennen, der Vorfall auf dem Frankfurter Jahren vergeblich versucht haben: Wir werden heute Flughafen, nicht realistisch ist. Denn es lag Gott sei eine Antiterrordatei beschließen. Deshalb ist der heutige Dank keine konkrete Gefährdung vor. Das ergibt sich Tag nicht nur ein guter Tag für die Sicherheit in unserem schon daraus, dass von den zunächst Festgenommenen Land; er ist auch ein besonderer Tag für die Innenpoliti- alle bis auf einen inzwischen aus der Haft entlassen wor- ker – für Bundesinnenminister Schäuble, für die Landes- den sind. Der eine ist nicht etwa wegen dieses Vorwurfs innenminister und vor allen Dingen für die Innenpoliti- in Haft geblieben, sondern deswegen, weil er eine alte ker der großen Koalition –, die dieses Gesetz erarbeitet Strafe wegen einer ganz anderen Angelegenheit zu ver- haben. büßen hat. Herzlichen Dank. Das heißt, aus vier Gründen ist das, was Sie gesagt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) haben, völlig daneben gewesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält für eine letzte Kurzintervention der Kol- lege Ströbele das Wort. Präsident Dr. Norbert Lammert: Möchten Sie noch erwidern? – Bitte schön, Herr Kol- lege Binninger. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, Sie haben versucht, den Grünen etwas Clemens Binninger (CDU/CSU): zuzuschieben, was den Grünen nicht zugeschoben wer- Herr Präsident, vielen Dank, dass Sie mir diese Gele- den darf. genheit geben. 7112 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006

Clemens Binninger (A) Herr Kollege Ströbele, ich will festhalten, dass Sie Dritte Beratung (C) mit an der Regierung waren. – Das ist Fakt eins. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Fakt zwei. Sie haben das Gesetz hier beschlossen und Auch dieser Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehr- tragen insofern auch die Verantwortung. Zwischen der heiten angenommen. ersten und der zweiten bzw. dritten Lesung wurden in dem Entwurf eines Luftsicherheitsgesetzes Streichungen Tagesordnungspunkt 26 b. Wir setzen die Abstim- vorgenommen, die hinterher zu einer Sicherheitslücke mung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschus- geführt haben. Sie haben mit zugestimmt. Sie haben die- ses auf Drucksache 16/3642 fort. ses Gesetz im Parlament verteidigt. Daher tragen Sie die Verantwortung. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss zweitens, eine Entschließung anzuneh- Fakt drei. Sie erzeugen immer den Eindruck, als ob men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer verhinderte Anschläge nur eine Lappalie seien; Sie ha- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch diese Be- ben das gerade wieder versucht. Dazu muss ich an die schlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen. Adresse der Grünen, falls Sie das immer noch nicht be- griffen haben, sagen: Die Menschen in diesem Land Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt haben keine Angst vor Datenbanken der Sicherheitsbe- der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion hörden; sie haben keine Angst vor Videokameras der Si- Die Linke auf Drucksache 16/2624 mit dem Titel „Er- cherheitsbehörden. Sie haben vielmehr Angst vor An- haltung des Trennungsgebots – keine Errichtung ge- schlägen. Wir tun etwas, um Anschläge zu verhindern, meinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrich- und Sie nicht. tendiensten des Bundes und der Länder“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung neten der SPD) mit breiter Mehrheit gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Ich schließe die Aussprache. Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der sache 16/2071 mit dem Titel „Schaffung einer gesetzli- (B) Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes chen Grundlage für die Anti-Terror-Dateien unter Beibe- (D) zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehör- haltung der Trennung von Polizei und Nachrichtendiens- den und Nachrichtendiensten des Bundes und der Län- ten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer der. Hierbei handelt es sich um die Drucksachen 16/2950 stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch diese Be- und 16/3292. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 schlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3642, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzuneh- Unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in die- Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der ser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – FDP auf Drucksache 16/2671 mit dem Titel „Evaluierung Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – des Terrorismusbekämpfungsgesetzes präziser gestalten“. Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koali- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer tion gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen in stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Die zweiter Beratung angenommen. Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Dritte Beratung Unter Nr. 6 seiner Beschlussempfehlung wird die Ab- lehnung des Antrages der Fraktion des Bündnisses 90/ und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Die Grünen auf Drucksache 16/2072 mit dem Titel Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen „Bessere Evaluierung der Anti-Terror-Gesetze“ empfoh- zu erheben. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist len. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer der Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheiten, mit den stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Die Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi- Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. tion, angenommen. Abschließend empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 7 Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antra- der Innenausschuss erstens, den Gesetzentwurf der Bun- ges der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf desregierung auf Drucksache 16/2921 zur Ergänzung Drucksache 16/2081 mit dem Titel „Anti-Terror-Gesetze – des Terrorismusbekämpfungsgesetzes in der Ausschuss- Zeitliche Befristung beibehalten und Rechtsschutz der fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Betroffenen verbessern“. Wer stimmt für diese Be- setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal- hält sich der Stimme? – Damit ist die Beschlussempfeh- tungen? – Dann ist auch dies mit gleichen Mehrheiten in lung mit breiter Mehrheit gegen die Fraktion des zweiter Beratung so beschlossen. Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.