08.07.2016

Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 08.07.2016

Geschäftszahl W234 2117341-1

Spruch W234 2117341-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX1999, StA. , vertreten durch die Caritas der Erzdiözese Wien, Blindengasse 44, 1080 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.07.2015, Zl. 1056259809- 150321225, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.06.2016, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 70/2015 (im Folgenden: AsylG 2005), der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer - ein am 18.05.1999 geborener somalischer Staatsangehöriger - reiste am 30.03.2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 30.03.2015 wurde der Beschwerdeführer - ohne Beisein eines gesetzlichen Vertreters, Rechtsberaters oder einer Vertrauensperson - durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Burgenland einer Erstbefragung unterzogen. Auf die Frage, warum er sein Land verlassen habe, antwortete er:

"Wegen der Bedrohung einer Verbrechergruppe die uns enteignet haben. Sie haben unsere Felder weggenommen, weil mein Großvater einen Gegner erschossen hatte, wurde auch er getötet. Mein Vater flüchtete. Als Angehörige davon erfuhren, dass ich der Sohn dieser Familie bin, wurde auch ich bedroht. Sonst habe ich keine weiteren Fluchtgründe."

Auf die Frage, was er bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte, antwortete der Beschwerdeführer:

"Ich habe Angst, getötet zu werden."

Da es sich beim Beschwerdeführer um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, bevollmächtigte die Bezirkshauptmannschaft Mattersburg als Kinder- und Jugendhilfeträgerin und Inhaberin der Obsorge des www.ris.bka.gv.at Seite 1 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016

Beschwerdeführers die Caritas der Erzdiözese Wien, Hauptstraße 154, 7201 Neudörfl mit Schreiben vom 17.04.2015 zur Vertretung im Asylverfahren; die Vollmachtnehmerin wurde ausdrücklich zur Substitution ermächtigt. Zudem wurde an Mag. XXXX und an Mag. XXXX, beide Asyl-Rechtsberatung der Caritas Wien, Blindengasse 44, 1080 Wien eine Zustellvollmacht erteilt.

Am 16.09.2015 wurde der Beschwerdeführer im Beisein von Mag. XXXX als Bevollmächtigter des gesetzlichen Vertreters des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt) einvernommen. Die für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblichen Passagen der Einvernahme wurde wie folgt protokolliert:

"F: Wie empfanden Sie die Erstbefragung? Gaben Sie damals die Wahrheit an?

A: Alles war in Ordnung. Ich gab die Wahrheit an.

[...]

F: Haben Sie sich jemals einen somalischen Reisepass ausstellen lassen?

A: Nein.

F: Hatten Sie in Somalia sonstige amtliche Dokumente?

A: Nein.

F: Welchem Clan gehören Sie an?

A: Ashraf.

F: In welcher Region Somalias haben Sie gewohnt?

A: Im Süden von Somalia, in Afgooye.

[...]

F: Haben Sie noch Angehörige und Bekannte in Somalia? Besteht Kontakt zu diesen?

A: Ich weiß nicht, wo meine Eltern und meine Geschwister sind. Was mit meinen Freunden passiert ist, weiß ich auch nicht. Ich habe mit niemand Kontakt.

[...]

F: Sind Sie in Somalia vorbestraft?

A: Nein.

F: Wie war Ihre wirtschaftliche Situation in Somalia? Wovon lebten Sie?

A: Meine Eltern sorgten für mich. Mein Vater war Schneider. Meine Mutter war Hausfrau.

[...]

F: Woher haben Sie etwa US-$ 8.000,-- für die Reise?

A: Unser Haus wurde verkauft.

F: Wo leben Ihre Verwandten jetzt?

www.ris.bka.gv.at Seite 2 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016

A: Ich weiß es nicht. Zuerst verschwand mein Vater. Das war schon vor meiner Ausreise. Wo meine Mutter jetzt schläft, weiß ich nicht.

Grund: Meine Eltern und ich lebten in Afgooye im Viertel ‚XXXX'. Mein Vater arbeitete als Schneider. Meine Mutter war Hausfrau. Mein Großvater hatte eine Landwirtschaft. Es gab Streit um ein Feld meines Großvaters. Ein Mann, der zum Clan Habar Gidir gehört, wollte das Feld meines Großvaters haben. Mein Großvater und mein Vater nahmen Waffen und verteidigten das Feld. Mein Großvater tötete zwei der Angreifer. Dann wurde mein Großvater selbst getötet. Mein Vater flüchtete. Die Leute nahmen uns das Feld weg. Als mein Vater flüchtete, kamen die Leute zu uns. Das war immer am Abend. Sie wollten meinen Vater finden. Wir mussten immer am Abend das Haus verlassen. Wir schliefen in Nachbarhäusern oder draußen unter den Bäumen. Normalerweise verließ ich das Elternhaus nicht. Eines Tages wurde ich aber von meiner Mutter zum Markt geschickt. Dort sahen mich die Männer, die meinen Vater suchen. Sie hielten mich an und schlugen mich zusammen. Ich fiel in Ohnmacht. Die Männer gingen von mir weg. Ich wachte unter einem Baum auf. Zu diesem Zeitpunkt war meine Mutter anwesend. Vermutlich brachten mich Passanten zu diesem Baum. Meine Mutter brachte mich nach Hause. Sie tat das heimlich. Ich bekam Angst, zumal jene Männer, die meinen Vater gesucht hatten, auch mich wollten. Meine Mutter entschied sich für den Verkauf unseres Hauses. Sie wollte nicht, dass ich von diesen Männern getötet werde. Gemeinsam mit der Mutter reiste ich nach Mogadischu. In Mogadischu brachte mich meine Mutter zu einem Mann, mit dem sie etwas vereinbart hat. Dieser Mann flog mit mir in den Iran.

F: Wann begann das Problem?

A: Einige Monate vor meiner Ausreise.

F: Können Sie angeben, wann Ihr Großvater ermordet wurde?

A: Am Beginn des Konflikts.

F: Wann flüchtete Ihr Vater?

A: Am Abend jenes Tages, als mein Großvater ermordet wurde. Mein Vater kam zu uns. Er teilte uns mit, dass er weggeht, weil er Angst hat.

F: Weshalb nahm der Vater nicht sofort die gesamte Familie mit?

A: Es war ihm nicht möglich.

F: Weshalb nicht?

A: Er selbst hatte Angst und wollte heimlich weggehen. Als nächster wäre ich getötet worden. Sie wollen nur Männer, keine Frauen.

F: Was können Sie über die Verfolger angeben?

A: Sie gehören zum Clan Habar Gidir. Es handelt sich nicht um einen Mann oder um zwei Männer. Es sind mehrere Männer. Ich sah diese Männer das erste Mal, als sich mich zusammengeschlagen haben. Ich erkannte diese Männer nicht. Ich sah sie nie zuvor.

F: Ist das Feld des Großvaters besonders wertvoll? Weshalb wollten die Männer das Feld unbedingt haben?

A: Nein. Es ist nicht besonders wertvoll. Wir gehören aber dem Stamm Ashraf an, weshalb diese Männer das Feld vom Großvater haben wollten.

F: Welchen Zeitraum vor der Ausreise spielten sich die Vorfälle ab: Tage, Wochen, Monate vorher?

A: Ich schätze etwa sechs Monate vor meiner Abreise.

F: Hielten Sie sich noch mehrere Monate nach der Ermordung des Großvaters in Afgooye auf? www.ris.bka.gv.at Seite 3 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016

A: Ja.

F: Wie lange hielten Sie sich in Mogadischu auf?

A: Meine Mutter suchte diesen Mann. Daher war mein Aufenthalt in Mogadischu etwa zehn Tage.

F: Wo verbrachten Ihre Mutter und Sie diese zehn Tage in Mogadischu?

A: Meine Mutter hat in Mogadischu Bekannte. Meine Mutter bat diese, dass wir dort übernachten dürfen.

F: Weshalb fassten Sie nicht den Entschluss, gemeinsam mit der Mutter in Mogadischu zu bleiben?

A: Mogadischu ist nicht so weit von Afgooye entfernt. Diese Männer könnten auch nach Mogadischu kommen.

F: Wie konnten Sie jedes Mal rechtzeitig vor dem Eintreffen der Verfolger das Elternhaus verlassen?

A: Immer, wenn es dunkel wurde, verließen wir das Haus. Wir wussten, dass diese Leute kommen werden. Meine Mutter und ich gingen weg. Meine Geschwister blieben im Haus. Diese Männer fragten die Geschwister, wo sich mein Vater und ich aufhalten. Meine Geschwister sagten, dass sie das nicht wissen. Dann gingen die Männer weg. Wir begaben uns wieder nach Hause.

F: Was können Sie über Ihren Clan (Ashraf) erzählen? Geben Sie Details an.

A: Meine Volksgruppe ist schwach und klein. Im Vergleich zu anderen Somalis sind wir nicht so stark. Wenn wir arbeiten wollen, bekommen wir keine Arbeit. Wir können nicht in die Schule gehen. Die anderen Somalis diskriminieren uns. Sie vermeinen, dass wir keine Somalis sind. Die Ashraf sind Kinder der Tochter des Propheten Mohammed. Wir sind sehr religiös. Nicht alle Somali sind so böse. Manche respektieren unsere Religion. Wir werden diskriminiert. Keiner sagt aber, dass wir sofort alle getötet werden müssen.

F: War das der Grund der Asylantragstellung?

A: Ja.

F: Wollen Sie Ihre Angaben näher ausführen?

A: Nein.

F: Konnten Sie den Dolmetscher bisher einwandfrei verstehen und haben Sie das Gefühl, dass dieser Ihre Angaben richtig und vollständig wiedergibt?

A: Ja.

F: Waren Sie in Somalia jemals in Haft oder wurden Sie jemals festgenommen?

A: Nein.

F: Hatten Sie in Somalia jemals Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

A: Nein.

F: Waren Sie in Somalia Mitglied einer politischen Partei?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Somalia jemals wegen Ihrer politischen Überzeugung verfolgt?

A: Nein. Wir sind eine kleine Volksgruppe. Es gibt keine Gerechtigkeit. www.ris.bka.gv.at Seite 4 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016

F: Was befürchten Sie, im Falle der Rückkehr in Somalia erleiden zu müssen?

A: Ich hatte bereits Probleme, obwohl meine Eltern noch dort waren. Jetzt sind meine Eltern weg. Kehre ich zurück, werden alle sagen, dass ich aus Europa komme. Sie werden sagen, dass ich eine andere Meinung habe.

[...]

Fragen von Frau Mag. XXXX:

F: Zu welchem größeren Clan zählen die Habar Gidir?

A: Zum Clan Hawiye.

F: Beschreiben Sie bitte die genaueren Umstände, als Sie zusammengeschlagen wurden?

A: Plötzlich kamen Männer auf mich zu und schlugen auf mich ein. Ich glaube, dass dies über zehn Personen waren. Sie waren mit Schlagstöcken bewaffnet.

F: Wo wurden Sie verletzt?

A: Hinter dem linken Ohr, unter den Haaren, wurde ich verletzt. Ich spüre auch heute noch Schmerzen, wenn ich schnelle Bewegungen mache und schwere Sachen aufhebe.

[...]

F: Nahmen die Angreifer, von denen Sie zusammengeschlagen wurden, Bezug auf den Vorfall mit dem Großvater?

A: Sie sagten, dass das der Enkel von Farah ist.

F: Wurden Sie auch tagsüber gesucht?

A: Meistens am Abend, aber auch am Tag.

F: Gibt es in Somalia Clans oder Gruppen, die ein besonderes Problem mit der religiösen Einstellung der Ashraf haben?

A: Die Hauptclans schon.

[...]

F: Die Niederschrift wurde rückübersetzt. Wollen Sie etwas berichtigen und/oder ergänzen?

A: Nein."

Am 30.09.2015 richtete Mag. XXXX für den Jugendwohlfahrtsträger im Namen des Beschwerdeführers eine Stellungnahme an das Bundesamt, in der sie insbesondere die für Minderjährige unangemessene Befragung des Beschwerdeführers in der Einvernahme vom 16.09.2015 rügte, die jedoch insoweit nicht protokolliert worden sei. Ferner unterstrich sie die Asylrelevanz des Vorbringens des Beschwerdeführers, der wegen seiner Zugehörigkeit zum Clan der Asharaf verfolgt werde. Zum Beleg der Verfolgung der Asharaf führte sie eine Reihe von internationalen Quellen ins Treffen. Ferner würde dem Beschwerdeführer als minderjährigem Mann die Zwangsrekrutierung oder Verfolgung durch Mitglieder der al Shabaab drohen. Auch zur Bekräftigung der Bedrohung durch al Shabaab wurden verschiedene Quellen angeführt.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 16.10.2015 wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.); ferner wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 www.ris.bka.gv.at Seite 5 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016

Abs. 1 AsylG2005 zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß Abs. 4 leg.cit. eine bis zum 16.10.2016 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid wurde der Vertreterin des Jugendwohlfahrtsträgers am 22.10.2015 zugestellt. Die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesamt im Wesentlichen damit, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft und teilweise nicht plausibel sei.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die Beschwerde, die am 13.11.2015 beim Bundesamt einlangte und dem Bundesverwaltungsgericht am 18.11.2015 vorgelegt wurde. Die Beschwerde wird im Wesentlichen damit begründet, im angefochtenen Bescheid sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer dem Clan der Asharaf angehöre. Dieser Clan würde asylrelevanter Verfolgung unterliegen, womit sich das Bundesamt nicht hinreichend auseinandergesetzt habe. Insbesondere würden Feststellungen zur Verfolgung durch Angehörige der Hawiye und der Al Shabaab fehlen. Zum Beleg verweist die Beschwerde auf eine Reihe einschlägiger internationaler Quellen, aus denen insbesondere hervorgeht, dass die Asharaf Ackerbau betreiben würden und nicht in der Lage seien, sich gegen Übergriffe anderer Clans - insbesondere der Darood, Hawiye und Isaaq - zu schützen. Zudem werde der Clan des Beschwerdeführers aus religiösen Gründen durch Al Shabaab verfolgt; die Beschwerde verweist darauf, dass gerade der Beschwerdeführer als junger Mann im wehrfähigen Alter mit der Zwangsrekrutierung und oder Verfolgung durch Mitglieder der Al Shabaab zu rechnen habe. Die somalische Polizei würde den angeführten Quellen zufolge den Asharaf keinen Schutz bieten, weil sie - wie die somalische Übergangsregierung - von Angehörigen der Hawiye dominiert werde; zudem würden Angehörige der Hawiye auch die Al Shabaab dominieren; für den Beschwerdeführer bedeute dies - wegen des Vorfalles mit Angehörigen der Habar Gidir, die zu den Hawiye zählen würden - eine besondere Gefahr der Verfolgung auch durch die Al Shabaab.

Am 08.06.2016 wurde - in Anwesenheit von Mag. XXXX als Bevollmächtigter des Jugendwohlfahrtsträgers (im Protokoll RV) und dem Vater jener Familie, bei welcher der Beschwerdeführer derzeit wohnhaft ist, als Vertrauensperson (im Protokoll VP) - eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführt. In der Befragung durch das Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer (im Protokoll BF) Folgendes an:

"Beginn der Befragung des BF:

R: Wie geht es Ihnen heute?

BF (Deutsch trotz Übersetzung): Alles gut.

R: Sie wurden bereits beim Bundesamt bzw. den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Möchten Sie ihre bereits getroffenen Angaben in irgendeiner Richtung richtig stellen?

BF: Nein.

R: Haben Sie die Dolmetscher in den Einvernahmen vor der Polizei im Rahmen der Erstbefragung und dem Bundesamt gut verstanden?

BF (Deutsch trotz Übersetzung): Ja.

R: Wurden Ihnen die Niederschriften der Einvernahmen rückübersetzt, welche die Polizei im Rahmen der Erstbefragung und das Bundesamt mit Ihnen abgehalten hat?

BF: Ja.

R: Hat sich an den Gründen Ihrer Asylantragstellung seit Erhalt des angefochtenen Bescheids etwas geändert?

BF: Nein.

RV: Verwiesen wird auf das ausgehändigte Schreiben von Frau Mag. XXXX und Herrn XXXX (anwesende Vertrauensperson), aus dem hervorgeht, dass der mj. BF großes Interesse an der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Religionen, insbesondere am Christentum zeigt. Vor allem mit Fr. Mag. XXXX (Religionslehrerin) werden intensive Gespräche geführt und nimmt der mj. BF an Friedhofs- und Kirchenbesuchen teil.

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Der R nimmt das Schreiben zum Akt.

R: Sind Sie zum Christentum konvertiert?

BF: Ich bin nach wie vor Moslem.

R: Aber Sie interessieren sich dafür?

BF: Ich bin nach wie vor Moslem, aber die Familie, bei der ich wohne, ist katholisch. Ich begleite sie zum Friedhof und in die Kirche.

R: Falls Sie Ihren Glauben ändern, lassen Sie es mich bitte wissen.

BF: Okay.

R: Wann wurden Sie geboren?

BF: Am 18. Mai 1999.

R: Haben Sie noch Angehörige in Somalia?

BF: Meine Eltern und meine drei Geschwister.

R: Wo befinden sich diese jetzt?

BF: Der letzte Kontakt war im Jahr 2014, seitdem weiß ich nicht, wo sich meine Familie befindet.

R: Das heißt, der letzte Kontakt war bevor Sie aus Somalia ausgereist sind?

BF: Ja.

R: Seither hatten Sie gar keinen Kontakt mehr zu Ihrer Familie?

BF: Ich hatte keinen Kontakt.

RV: Beim Roten Kreuz wurde ein Suchantrag eingebracht, der bislang noch keine Ergebnisse gebracht hat.

R: Wo haben Sie in Somalia gelebt?

BF: In Afgooye, im Bezirk ‚XXXX'.

R: Haben Sie mit Ihrer Familie in einem gemeinsamen Haushalt gelebt?

BF: Ja.

R: Aus welchen Mitgliedern bestand Ihre Familie?

BF: Mein Vater, meine Mutter, ich und mein Bruder und zwei Schwestern.

R: Welchem Clan gehören Sie an?

BF (ohne zu zögern): Ashraf. Es gibt Sub-Clans. Ashraf ist der Hauptclan. Der Subclan ist Hassan, der Subsubclan ist Sarmaan.

R: Beschreiben Sie bitte die typischen Merkmale Ihres Clans. Wofür ist er denn bekannt?

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BF: Wir haben eine Tradition, dass wir einmal im Jahr das Sportereignis Istunka austragen. Die meisten Clanangehörige arbeiten als Schneider.

R: Ist "Istunka" immer am selben Ort oder wandert das?

BF: Es ist immer in Afgooye.

R: Was ist das für ein Sport?

BF: Es sind zwei Gruppen die gegeneinander kämpfen. Sie sind mit Hölzern ausgerüstet und müssen sich gegenseitig bezwingen.

R: Erzählen Sie mir in Ihren eigenen Worten, weshalb Sie aus Somalia geflohen sind.

BF: Ich bin in Afgooye geboren und aufgewachsen. Dort haben wir gelebt. Mein Großvater väterlicherseits hatte eine Landwirtschaft. Mein Vater hat als Schneider gearbeitet. Eines Tages sind Mitglieder des Stammes Habar Gidir zu uns gekommen und wollten die Landwirtschaft meinem Großvater wegnehmen. Jeder Somalier ist bewaffnet, mein Großvater war auch bewaffnet. Da er nicht weggehen wollte, hat er zwei der Räuber getötet. Die Angreifer haben meinen Großvater getötet. Mein Vater war zur Zeit des Angriffs auch auf der Landwirtschaft. Nachdem mein Vater gesehen hat, dass mein Großvater getötet wurde, ist er von dort weggelaufen. Er kam zu uns nach Hause und hat uns davon erzählt. Er sagte, er müsse weggehen. Ansonsten - so meinte er - würden sie ihn töten, falls sie ihn finden. Mein Vater ist weggegangen, weil er Angst vor ihnen hatte. Die Gruppe hat dann die Landwirtschaft übernommen. Am nächsten Tag kam die Gruppe zu uns nach Hause und sie fragten uns nach meinem Vater. Sie kamen mehrmals zu uns nach Hause. Meine Mutter sagte mir, ich solle mich verstecken, weil ich das älteste Kind der Familie war. Wie in Somalia üblich musste ich damit rechnen, Opfer von Blutrache zu werden. Mein Vater und mein Großvater haben die Familie versorgt. Nachdem die beiden gestorben sind, haben uns die Nachbarn geholfen. Sie haben immer wieder nachgefragt, ob es uns gut gehe. Meine Mutter hat mich eines Tages gebeten, auf den Markt zu gehen und etwas zu kaufen. Die Gruppe hat mich gesehen, sie waren nicht bewaffnet, aber sie hatten Holzstücke. Ich wollte weglaufen, aber sie haben mich angehalten und mich mit dem Holz geschlagen, bis ich bewusstlos war. Als ich wieder wach geworden bin, habe ich gesehen, dass meine Mutter neben mir gestanden ist. Meine Mutter sagte: ‚Wir können nicht so weiterleben, dass du dich versteckt hältst.' Sie hat überlegt, mich aus Somalia wegzuschicken. Wir hatten aber kein Geld. Sie hat sich dazu entschlossen, ihr Wohnhaus zu verkaufen, um die Ausreise zu finanzieren. Nachdem meine Mutter das Haus verkauft hat, fuhren wir gemeinsam nach Mogadischu. Dort hat meine Mutter einen Schlepper ausgesucht, der mich an einen Ort in Europa bringen kann, bevor ich getötet werde. Ich bin alleine mit einem Schlepper in den Iran geflohen. Der Schlepper, mit dem ich von Somalia in den Iran geflohen bin, hat die Weiterreise in die Türkei organisiert. Von der Türkei bin ich mit einem Schlauchboot auf die Insel Samos geflohen. Von Griechenland bin ich dann über die Balkanroute (Mazedonien; Serbien) nach Österreich geflohen. In Griechenland war ich drei Monate.

R: Wie lange war denn Ihr Vater noch bei der Familie, bis er geflohen ist?

BF: Er war nicht mal eine Stunde bei uns.

R: Wie lange waren Sie noch ungefähr in Afgooye, bevor Sie sich nach Mogadischu begeben haben?

BF: Ein wenig mehr als einen Monat, vom Angriff auf das Feld bis zur Weiterreise nach Mogadischu.

R: Weswegen forderten die Verfolger die Landwirtschaft Ihres Großvaters?

BF: Die Habar Gidir sind der größte Subclan der Hawiye. Unsere Landwirtschaft lag in der Nähe eines Flusses in Afgooye. Der Fluss hieß Shaweele. Das Land ist gut für die Landwirtschaft geeignet. Da wir Angehörige eines Minderheitenstamms waren, wurde unser Land gefordert.

R: Wie lange vor Ihrer Ausreise hat sich der Überfall wegen des Feldes zugetragen?

BF: Insgesamt zweieinhalb Monate. Ich war ca. einen Monat in Mogadischu.

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R: Sie sagten, die Angehörigen der Habar Gidir hätten Ihre Familie immer wieder aufgesucht, nachdem sie die Landwirtschaft überfallen haben.

BF: Ja.

R: Wie oft haben Sie die Familie ca. besucht?

BF: Sie waren fast jeden Abend bei uns zu Hause. Ich kann gar nicht zählen, wie oft sie bei uns waren, aber fast jeden Abend.

R: Wie hat die Familie auf die Besuche reagiert? Was hat sie gemacht?

BF: Meistens haben sie nur bei meiner Mutter nachgefragt, wo ihr Mann ist. Sie hat dann gesagt, sie wisse nicht, wo ihr Gatte sei.

R: Wo waren Sie während dieser Besuche?

BF: Wenn es abends war, hat sie mich zu den Nachbarn geschickt. Sie wusste schon, dass sie kommen würden.

R: Wo waren die übrigen Kinder bzw. Geschwister?

BF: Meine Geschwister waren zu Hause, sie waren noch klein. Ich war der Älteste. Deswegen sorgte sich meine Mutter um mich.

R: Die kleinen Kinder konnten also gefahrlos zu Hause bleiben?

BF: Ja.

R: Das heißt, die Gefahr der Blutrache setzt erst ab einem gewissen Alter ein?

BF: Ja.

R: Die Geschwister waren also noch zu jung.

BF: Ja.

R: Über welchen Zeitraum haben sich diese Besuche hingezogen?

BF: Ich weiß es nicht, weil ich ja nicht zu Hause war.

R: Ich meinte, wie lange der Zeitraum des Aufsuchens gedauert hat, insgesamt, ich meinte nicht den einzelnen Besuch.

BF: Bis ich Afgooye verlassen habe.

R: Handelte sich also um einen Zeitraum von etwa einem Monat?

BF: Ja, vielleicht etwas mehr.

R: Hat der andere Clan Ihre Familie immer nur am Abend aufgesucht?

BF: Ja, nur am Abend.

R: Weshalb konnten Ihre Verfolger Ihren Wohnsitz nur am Abend aufsuchen?

BF: Das weiß ich nicht. Aber sie waren nur am Abend bei uns.

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R: Zum Vorfall am Markt: Wie heißt dieser Markt, hat er einen Namen?

BF: Afgooye-Markt.

R: Wieviele Männer waren das ca., die Sie am Markt verfolgt haben?

BF: Wieviele es genau waren, weiß ich nicht. Es handelte sich aber um eine Gruppe von etwa 10 Männern.

[...]

RV: Der BF leidet nach wie vor an den Folgen dieses Übergriffes.

R an den BF: Wie äußern sich die Verletzungen, die Sie am Markt davongetragen haben? Welche Leiden haben Sie noch?

BF: Ich spiele meistens Basketball. Wenn ich versuche einen Korb zu schießen und mich strecken muss, tut mir der Nacken und Hinterkopf weh.

R: Das heißt, Sie wurden am Markt am Kopf und am Nacken verletzt?

BF: Ja.

R: Haben Sie noch weitere Verletzungen davongetragen?

BF: Damals war ich am ganzen Oberkörper verletzt. Geblieben sind nur die Schmerzen am Nacken- und Hinterkopfbereich.

R: Das heißt, das Nächste, woran Sie sich erinnern ist, dass Sie neben Ihrer Mutter aufgewacht sind.

BF: Ja.

R: Kannten Sie die Männer, die Sie am Markt angegriffen haben?

BF: Nein, ich habe sie nicht gekannt. Aber ich habe ihre Gesichter gesehen, bevor ich bewusstlos geworden bin.

R: Woran haben diese Männer Sie erkannt?

BF: Sie haben mich gekannt, Afgooye ist keine große Stadt. Daher haben sie mich zuordnen können.

R: Warum nehmen Sie an, dass ein Zusammenhang zwischen den Vorkommnissen am Markt und dem Streit um das Grundstück besteht?

BF: Wir hatten niemals Streit, außer mit dieser Gruppe.

R: Es hätte also niemand anderer ein Motiv gehabt, Sie zusammenzuschlagen?

BF: Ja.

R: Wo befand sich das Haus der Familie, das verkauft wurde?

BF: Das war in Afgooye, im Bezirk XXXX.

R: Wissen Sie, wieviel Geld die Mutter für das Haus bekommen hat?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Hat Ihre Mutter das Haus selber verkauft oder hat sie jemanden beauftragt? www.ris.bka.gv.at Seite 10 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016

BF: Es gibt Makler, die Häuser verkaufen. Sie hat einen solchen beauftragt.

R: Nach Ihrer Übersiedlung nach Mogadischu: Wo haben Sie in Mogadischu gewohnt?

BF: Bei einer Freundin meiner Mutter. Ich weiß aber nicht, in welchem Bezirk das Haus lag. Ich habe dieses Haus nie verlassen.

R: Waren Sie ca. einen Monat dort?

BF: Ja.

R: Danach erfolgte die Ausreise?

BF: Ja.

R: Die Ausreise erfolgte direkt von Mogadischu?

BF: Ja.

R: Weshalb sind Sie nicht in Mogadischu geblieben?

BF: Meine Mutter hat mir erzählt, die Gruppe, die mich verfolgte, ist aus Mogadischu gekommen. Ich kannte niemanden in Mogadischu und habe nie dort gelebt. Deswegen wollte mich meine Mutter dort nicht allein lassen.

R: Wo waren Ihre Geschwister, als Sie mit Ihrer Mutter in Mogadischu waren?

BF: Sie waren bei den Nachbarn.

R: Hatten Sie jemals persönlichen Kontakt zu al Shabaab?

BF: Nein.

R: Warum gehen Sie davon aus, al Shabaab könnte an Ihnen interessiert sein?

BF: Al Shabaab hat viele Jugendliche entführt. Deswegen habe ich mich gefürchtet, sie würden mich kontaktieren und entführen.

R: Hatten Sie in Somalia Probleme mit der Polizei?

BF: Nein.

R: Wird der Clan der Ashraf verfolgt?

BF: Ja, die Ashraf werden von größeren Stämmen verfolgt.

R: Aber Sie wurden verfolgt, weil Sie Mitglied der Ashraf sind, die in Afgooye eine Minderheit sind.

BF: Ja.

R: Angesichts Ihrer Aufenthaltsberechtigung, die Sie schon haben, hat die folgende Frage nur theoretische Bedeutung. Was würde Ihnen theoretisch passieren, wenn Sie nach Somalia zurückkehren?

BF: Wenn ich wieder nach Somalia gehen würde, würde mich die Gruppe sicher töten, weil sie noch in Somalia sind. Somalia ist nach wie vor unsicher. Der Clan Ashraf ist nicht bewaffnet und könnte mich nicht schützen. Ich hätte Angst um mein Leben. Wenn ich nach Somalia zurückkehren würde, würden die Leute glauben, ich wäre ungläubig geworden. In diesem Fall werden Personen, die ungläubig geworden sind, getötet. www.ris.bka.gv.at Seite 11 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016

R: Sie gehen also davon aus, dass Ihre Verfolgung aus dem Motiv der Blutrache fortdauert?

BF: Ja.

R: Ihnen wurden Länderberichte zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in ihrem Herkunftsstaat übermittelt. Bisher ging hierzu keine Stellungnahme ein. Wollen Sie sich nunmehr hierzu äußern?

RV: Verwiesen wird darauf, dass aus den aktuellen Länderberichten (Stand: April) hervorgeht, dass sich die Sicherheitslage insbesondere in Afgooye verschlechtert hat. Ausdrücklich hervorgehoben wurde auch, dass die Ashraf eine religiöse Sonderstellung einnehmen und als religiöse Lehrer gesehen werden. Denn sie nehmen für sich eine andere Abstammung aus der Familie Mohammeds an. Verwiesen wird auch auf den Umstand, dass bereits durch die erste Instanz festgestellt wurde, dass der BF den Ashraf angehört (Bescheid S. 8). Der BF hätte im hypothetischen Fall einer Rückkehr jedenfalls in religiöser Hinsicht eine exponierte Sonderstellung. Insbesondere für radikalislamische Gruppierungen wie die Al Shabaab stellte die religiöse Einstellung der Ashraf ein Verfolgungsmotiv dar.

R: Wann sind Sie aus Somalia ausgereist?

BF: Im November 2014.

R: Während der Vorkommnisse waren Sie also etwa 15 Jahre alt.

BF: Ja.

R: Ich habe zu ihrem Verfahren keine weiteren Fragen. Wollen Sie noch etwas angeben oder Anträge stellen?

BF: Nein.

RV: Nach der Flucht Ihres Vaters waren Sie nur ein einziges Mal am Markt oder öfters?

BF: Ein einziges Mal.

RV: Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie losgeschickt wurden auf den Markt?

BF: Meine Mutter war an diesem Tag krank. Sie hat mich gebeten Essen zu kaufen.

RV: Als die Verfolger Sie angegriffen hatten, kam es im Zuge dessen auch zu kurzen Wortmeldungen oder womöglich Drohungen?

BF: Sie haben meinen Namen genannt und "Stopp!" gerufen. Daraufhin bin ich aber nicht stehengeblieben, sondern habe versucht wegzulaufen.

RV: Waren sie aus der Gegend?

BF: Nein, sie waren aus einer anderen Region.

R: Woher wissen Sie das?

BF: Meine Eltern haben mir gesagt, jene Angreifer, die unsere Landwirtschaft weggenommen haben, seien aus Mogadischu gekommen.

RV: Als Ashraf wurden Sie immer überall gleich behandelt und hatten die gleichen Rechte und wenn nein, können Sie dies beschreiben?

BF: Die Ashraf haben nicht die gleichen Rechte wie die anderen in Somalia. Ich darf keine Schule besuchen, ich bin auch nicht in die Schule gegangen. Wir dürfen keine Wertsachen besitzen. Manchmal wird uns gesagt, wir seien keine echten Somalis, sondern aus dem Jemen eingewandert.

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RV: Als Sie sich nach der Flucht Ihres Vaters versteckt hielten, hielten Sie sich immer im gleichen Versteck auf oder in unterschiedlichen Verstecken?

BF: In verschiedenen Verstecken. Meistens war ich bei Nachbarn. Es kam aber auch vor, dass ich mich unter einem Baum versteckte.

RV: Haben Sie sich damals schon mit einer möglichen Flucht auseinandergesetzt?

BF: Nein.

RV: Können Sie beschreiben, welche Aktivitäten Sie in Österreich verfolgen, wie Sie Ihre Zeit auch mit Ihrer Patenfamilie verbringen?

BF (Deutsch trotz Übersetzung): In Somalia habe ich nicht die Schule besucht. Hier darf ich das. Hier werde ich nicht nach dem Clan gefragt, zu dem ich gehöre. In Somalia war mein Kontakt zu Gleichaltrigen stark eingeschränkt. Hier habe ich laufend Kontakt zu anderen Jugendlichen.

RV: Haben Sie spezielle Hobbies?

BF (Deutsch trotz Übersetzung): Ja, ich spiele Basketball. Ich spiele jedes Wochenende. Gemeinsam mit einem Freund aus Mannersdorf besuchen wir Spiele.

RV: Was würde hypothetisch passieren, wenn Sie nach Somalia zurückkehren müssten? Könnten Sie ein Leben in der Form, wie Sie es hier in Österreich leben (Basketball spielen, Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Religionen) in Somalia fortsetzen?

BF: Wenn ich zurückkehren würde, könnte ich nicht das Leben führen wie hier in Österreich.

RV: Welche Befürchtungen hätten Sie, wenn Sie versuchen würden, die soeben beschriebene Lebensform in Somalia fortzusetzen?

BF: Ich würde getötet werden, weil sie glauben würden, ich wäre ungläubig geworden. Es gibt immer Auseinandersetzungen in Somalia zwischen den Stämmen.

R: In Somalia haben Sie noch nicht Basketball gespielt und sich mit anderen Religionen auseinandergesetzt?

BF: Nein, ich habe nicht Basketball gespielt. Mit anderen Religionen habe ich mich in Somalia nicht beschäftigt, weil 98% der Bevölkerung Moslems sind.

VP: Bezüglich religiösem Interesse: Der BF ist neugierig und wissbegierig. In unserem Haushalt spielt Religion eine Rolle, sodass er Fragen stellt, wie religiöses Leben in einer katholischen Familie aussieht. Zum Beispiel fragt der BF nach der Bedeutung religiöser Feiertage.

Die VP verweist auf die besondere Lernwilligkeit und Integrationswilligkeit des BF, der am Leben seiner österreichischen Patenfamilie und in der Schule aktiv teilnimmt.

R fragt den BF, ob er noch etwas vorbringen oder in irgendeiner Weise Stellung nehmen will.

BF: Nein.

RV: Die heutige VH hat gezeigt, dass im hypothetischen Fall einer Rückkehr der BF - zusätzlich zu den bereits vorgebrachten Argumenten im Beschwerdeschriftsatz - begründete Furcht vor Verfolgung wegen unterstellter religiöser oder politischer Gesinnung fürchten muss. Es ist nicht auszuschließen, dass einserseits aufgrund der Flucht nach Europa, aber vor allem im konkreten Einzelfall aufgrund der intensiven Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und Lebensformen - insbesondere der westlich orientierten Lebensform begründete Verfolgungsgefahr - bestehen würde.

Der BF und die RV legen einen Bericht der Sozialpädagogin im Haus XXXX der Caritas, XXXX, vor, aus dem die guten Integrationsleistungen des BF und seine Lebensführung in Österreich hervorgehen. Der R nimmt das www.ris.bka.gv.at Seite 13 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016

Schreiben zu Akt. Zudem wird eine Bestätigung der Burgenländischen Volkshochschulen vom 02.06.2016 vorgelegt, wonach der BF den Lehrgang zum Abschluss der Pflichtschule besuche. Auch dort sei er positiv durch seine Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Höflichkeit und gute Integration in die Gruppe aufgefallen. Der R nimmt die Bestätigung zum Akt.

R fragt den BF und die RV sowie die VP, ob er noch etwas vorbringen oder in irgendeiner Weise Stellung nehmen will.

BF: Nein.

RV: Nein.

VP: Nein.

R fragt den BF, ob er den Dolmetscher gut verstanden hat.

BF: Ja.

R: Der Dolmetscher wird Ihnen jetzt die gesamte Verhandlungsschrift rückübersetzen. Bitte passen Sie gut auf, ob alle Ihre Angaben korrekt protokolliert wurden. Sollten Sie einen Fehler bemerken oder sonst einen Einwand haben, sagen Sie das bitte.

BF: Ja.

Ende der Befragung."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grund des Antrages auf internationalen Schutz vom 30.03.2015, der Erstbefragung des Beschwerdeführers am selben Tag, seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 16.09.2015, seiner schriftlichen Stellungnahme vom 30.09.2015, seiner Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes und der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 08.06.2016 und eines Auszuges aus dem Strafregister der Republik Österreich vom 05.07.2016 werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1 Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der minderjährige Beschwerdeführer ist somalischer Staatsangehöriger und gehört dem Clan der Ashraf, dem Sub-Clan Hassan und dem Subsub-Clan der Sarmaan an. Er bekennt sich zum muslimischen Glauben. In Somalia lebte der Beschwerdeführer mit seinen Eltern wie seinen drei jüngeren Geschwistern in Afgooye in einem Haushalt.

Der Beschwerdeführer flüchtete im November 2014 im Alter von 15 Jahren aus Somalia, weil Angehörige des Sub-Clans der Habar Gidir (Hauptclan: Hawiye) versuchten, sich ein landwirtschaftliches Grundstück seines Großvaters gewaltsam anzueignen. Der Übergriff war durch die Clan-Zugehörigkeit der Familie des Beschwerdeführers motiviert. Der Großvater wie der Vater des Beschwerdeführers verteidigten die landwirtschaftliche Besitzung. Im Zuge dieses Kampfes wurden zwei der Angreifer wie der Großvater des Beschwerdeführers getötet. Der Vater des Beschwerdeführers flüchtete vom Ort des Kampfes zum Wohnsitz der Familie; dort berichtete er der Familie, was geschehen war und flüchtete aus Angst vor Blutrache eine Stunde später; seine Familie ließ er zurück.

Vom nächsten Tag an suchten die Angreifer die verbliebene Familie des Beschwerdeführers immer wieder auf, um den Vater oder statt diesem den Beschwerdeführer - als dessen ältestes Kind - aufzufinden. Der Beschwerdeführer entging dem dadurch, dass er sich auf Geheiß der Mutter abends bei den Nachbarn oder im Unterholz in der Umgebung versteckt hielt. Eines Tages besuchte der Beschwerdeführer auf Bitte seiner Mutter - sie war erkrankt - den Markt in Afgooye, um Lebensmittel einzukaufen. Dort wurde er von einer Gruppe von Angehörigen des Clans seiner Verfolger mit Holzstücken bewusstlos geschlagen. Als er wieder erwachte, war seine Mutter bei ihm. Da die Mutter davon ausging, dass er sich nicht werde dauerhaft verstecken können, www.ris.bka.gv.at Seite 14 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016 entschied sie das Wohnhaus der Familie zu verkaufen, um die Flucht des Beschwerdeführers zu finanzieren. Der Verkauf wurde von einem Makler abgewickelt. Danach begab sich die Mutter mit dem Beschwerdeführer nach Mogadischu, um die Flucht zu organisieren; von dort reiste er in den Iran aus.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer einer gezielten Verfolgung durch Al Shabaab unterliegt.

Der Beschwerdeführer hat seit seiner Ausreise keinen Kontakt zu seiner Familie in Somalia.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur Situation des Clans der Ashraf wird im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 25.04.2016 ausgeführt:

"17.1. Bevölkerungsstruktur und Clanschutz

[...]

Die Ashraf und die Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter des Propheten; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status (EASO 8.2014).

Die Ashraf und die Sheikhal werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye/Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil/Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014).

[...]

EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 14.4.2016

[...]"

1.3 Zur Situation in Afgooye wird im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 25.04.2016 ausgeführt:

"3. Sicherheitslage

[...]

Gemäß der auch von EASO zitierten Analyse der Staatendokumentation zur Sicherheitslage in Somalia hat sich die Situation im Zeitraum 7.2014-6.2015 in folgenden Bezirken verschlechtert: Dhusamareb und Ceel Buur (Galgaduud); Belet Weyne und Bulo Burte (Hiiraan); Wanla Weyne, Afgooye, Qoryooley, Merka und Baraawe (); Baidoa und Burhakaba (Bay); Xudur, Waajid und Rab Dhuure (Bakool); Bulo Xawo (Gedo); Kismayo (Lower Jubba). Die Situation in folgenden Bezirken hat sich im gleichen Zeitraum verbessert: Ceel Waaq und Luuq (Gedo). In den anderen Bezirken sind keine relevanten Änderungen eingetreten (BFA 10.2015; vgl. EASO 2.2016).

[...]

Quellen:

- BFA - BFA Staatendokumentation (10.2015): Analyse zu Somalia: Lagekarten zur Sicherheitslage, http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329638_soma-analyse- lagekarten-2015-10-12-endversion.pdf, Zugriff 23.3.2016

www.ris.bka.gv.at Seite 15 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016

- EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 22.3.2016

[...]

3.1.3. Lower und Middle Shabelle

Lower Shabelle ist von Aktivitäten der al Shabaab stark betroffen (EASO 2.2016; A 4.2016). Al Shabaab verfügt dort über ausreichende Kapazitäten, um Angriffe auf ihre Feinde zu verüben (A 4.2016). In zahlreichen Orten und Städten mit Garnisonen von AMISOM und/oder Armee kommt es zu Anschlägen, gezielten Attentaten, hit- and-run-Angriffen und auch zu größeren Operationen der al Shabaab. Al Shabaab konnte temporär die Kontrolle über Ortschaften wie Aw Dheegle, Mubarak, Janaale (EASO 2.2016) und Leego, aber auch über die Stadt Qoryooley erlangen. Qoryooley und Leego wurden nach kurzer Frist wieder von AMISOM besetzt (UNSC 11.9.2015). Nach einer Neuaufstellung der AMISOM im Bereich wurden die Orte Ceel Saliini, Cambarey, Golweyne und Busley sowie die Bezirkshauptstadt Kurtunwarey von AMISOM geräumt. Al Shabaab hat all diese Orte unmittelbar besetzt (UNSC 8.1.2016). Auch die Bezirkshauptstadt Wanla Weyn blieb über Tage ohne Besatzung der AMISOM (allerdings mit einer solchen der somalischen Armee) (BFA 10.2015).

Al Shabaab verfügt in der ganzen Region über eine verdeckte Präsenz (EASO 2.2016).

Zusätzlich kam es in Lower Shabelle zu Clan-Kämpfen um Land und Ressourcen (EASO 2.2016). Der Konflikt zwischen Biyomaal und Habr Gedir bleibt ungelöst, auch wenn die Zahl an Berichten hinsichtlich Entführungen und Tötungen abnehmen (USDOS 13.4.2016). Die Milizen der Biyomaal und der Tunni sind angeblich mit al Shabaab alliiert. Besonders von Clan-Konflikten betroffen sind die Städte Merka und Afgooye (EASO 2.2016).

In der bedeutenden Bezirkshauptstadt Afgooye bleibt die Zahl an Gewaltvorfällen konstant hoch. Dabei ist zwar die Zahl an Handgranatenanschlägen eingebrochen, jedoch bleibt die Zahl an Morden bzw. gezielten Attentaten und Sprengstoffanschlägen konstant bei rund 13 pro Quartal (Zeitraum Q2 2013 - Q2 2015). Damit ist Afgooye eine der am meisten von Gewaltvorfällen betroffenen Städte. Allerdings sind nicht alle Vorfälle terroristischer Natur, da das Gebiet auch von Clankonflikten betroffen ist (BFA 10.2015). Auch im März 2016 war Afgooye die am meisten vom bewaffneten Konflikt in Somalia betroffene Stadt (A 4.2016).

Auch Merka, Hauptstadt der Region Lower Shabelle, ist seit der Befreiung im Jahr 2012 massiv von Gewaltvorfällen betroffen. Zwar sind die Zahlen in den Quartalen Q4 2014 - Q2 2015 rückläufig, allerdings liegt der - relativ konstante - Durchschnitt der Quartale Q3 2012 - Q2 2015 bei 20 Vorfällen pro Quartal. Wie für Afgooye stellen auch für Merka neben terroristischer Gewalt Clankonflikte eine Quelle gewalttätiger Vorfälle dar (BFA 10.2015).

Größere Garnisonen der AMISOM befinden sich in Bali Doogle, Afgooye, Merka, Shalambood und Baraawe (Lower Shabelle); sowie in Balcad, Jowhar, Warsheikh und Cadale (Middle Shabelle). AMISOM verfügt auch über weitere Stellungen und Positionen entlang der Versorgungsrouten. Entlang der Routen gibt es auch zahlreiche Straßensperren, viele davon illegal. Die somalischen Sicherheitskräfte gehen gegen derartige Sperren vor (EASO 2.2016). Aufgrund einer Neuaufstellung hat AMISOM den Ort Fidow (Middle Shabelle) geräumt, al Shabaab hat den Ort unmittelbar besetzt (UNSC 8.1.2016).

In Middle Shabelle kam es wiederholt zu Clankämpfen, z.B. in Jowhar (8.2014), Rage Ceele (6.2015) und Warsheikh (6.2015 und 7.2015). Konflikte um Ressourcen beschäftigen Milizen der Abgal und der Shiidle; es kommt auch zu intra-Abgal-Kämpfen (EASO 2.2016).

Die Hauptstadt der Region Middle Shabelle, Jowhar, wurde Ende 2012 von Truppen der AMISOM und Somalias befreit. Die Zahl an Gewaltvorfällen wuchs stetig und hat in den Quartalen Q2 2013 - Q2 2014 (11 Vorfällen pro Quartal) vorläufig ihren Höhepunkt gefunden. Seither hat sich die Situation wesentlich gebessert, in den Quartalen Q3 2014 - Q2 2015 kam es durchschnittlich zu 3 Vorfällen pro Quartal (BFA 10.2015).

Quellen:

- A - Sicherheitsanalyseabteilung (4.2016): Sicherheitsbericht für März 2016

- BFA - BFA Staatendokumentation (10.2015): Analyse zu Somalia: Lagekarten zur Sicherheitslage, http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329638_soma-analyse- lagekarten-2015-10-12-endversion.pdf, Zugriff 23.3.2016 www.ris.bka.gv.at Seite 16 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016

- EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 22.3.2016

- UNSC - UN Security Council (8.1.2016): Report of the Secretary-General on Somalia, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1453284910_n1600065.pdf, Zugriff 1.4.2016

- UNSC - UN Security Council (11.9.2015): Report of the Secretary - General on Somalia, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1443010894_n1527126.pdf, Zugriff 23.3.2016

- USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016

[...]

1.4. Zur al Shabaab wird im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 25.04.2016 ausgeführt:

"3.1.6. Al Shabaab (AS)

Ziel der al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß- Somalia ein islamisches Regime zu installieren. Außerdem verfolgt al Shabaab auch eine Agenda des globalen Dschihads und griff im Ausland Ziele an (EASO 2.2016).

Völkerrechtlich kommen der al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 1.12.2015). Staatlicher Schutz ist in der Gebieten der al Shabaab nicht verfügbar (UKHO 15.3.2016).

Seit 2011 wurden die militärischen Kapazitäten der al Shabaab durch AMISOM und somalische Kräfte sowie durch innere Streitigkeiten beachtlich dezimiert (UKHO 15.3.2016). In der jüngeren Vergangenheit hat al Shabaab schwere Niederlagen erlitten. Einerseits wurde der Anführer, Ahmed Godane, im September 2014 von einer US-Drohne eliminiert. Andererseits hat al Shabaab nach dem Verlust der wichtigen Hafenstadt Baraawe im Oktober 2014 noch weitere, strategisch wichtige Städte verloren (EASO 2.2016). Zuletzt wurden al Shabaab auch herbe Verluste zugefügt. Alleine bei einem Luftschlag gegen ein Lager der Terroristen in Raso (Hiiraan) wurden mehr als 150 frisch ausgebildete Kämpfer getötet und zahlreiche weitere verletzt. Bei einem Vorstoß der al Shabaab entlang der Küste in Nugaal wurden weitere 115 Kämpfer der al Shabaab getötet und 110 gefangen gesetzt. Bei einem ähnlichen Vorstoß im Hinterland fügten Kräfte der GIA der al Shabaab ebensolche Verluste zu. Allein im März 2016 betrugen die Verluste für al Shabaab mindestens 500 Mann, weitere 210 wurden gefangen gesetzt (A 4.2016). Trotz der Verluste ist al Shabaab immer noch in der Lage, große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia zu halten (EASO 2.2016; vgl. AI 24.2.2016). Die Gruppe kontrolliert auch Versorgungsrouten (UKHO 15.3.2016). Über wie viele Kämpfer die al Shabaab verfügt, ist nicht exakt bekannt. Es ist unwahrscheinlich, dass die Miliz über mehr als 6.000 Mann verfügt (EASO 2.2016). Al Shabaab ist jedenfalls noch weit davon entfernt, besiegt zu sein (BS 2016).

Allerdings entwickelten sich Mitte 2015 innerhalb der al Shabaab die ersten Risse hinsichtlich einer Neuorientierung zum Islamischen Staat (IS). Mehrere IS-Sympathisanten wurden verhaftet; es kam auch zu bewaffneten Auseinandersetzungen (EASO 2.2016; vgl. AI 24.2.2016, UNSC 8.1.2016).

Die Menschen auf dem Gebiet der al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Während dies zwar einerseits zur Stärkung der Sicherheit beiträgt (weniger Kriminalität und Gewalt durch Clan-Milizen) (BS 2016), versucht al Shabaab alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren (BS 2016; vgl. DIS 9.2015). Alle Bewohner der Gebiete von al Shabaab müssen strenge Vorschriften befolgen, z. B. Kleidung, Eheschließung, Steuerzahlung, Teilnahme an militärischen Operationen, Rasieren, Spionieren, Bildung etc. (DIS 9.2015). Mit den damit verbundenen harten Bestrafungen wurde ein generelles Klima der Angst geschaffen (BS 2016). Das Brechen von Vorschriften kann zu schweren Strafen bis hin zum Tod führen (DIS 9.2015).

Quellen:

- A - Sicherheitsanalyseabteilung (4.2016): Sicherheitsbericht für März 2016

www.ris.bka.gv.at Seite 17 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016

- AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/319738/445108_en.html, Zugriff 22.3.2016

- BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 24.3.2016

- DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and , Somalia; 2-12 May 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443181235_somalia-ffm-report-2015.pdf, Zugriff 4.4.2016

- EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 22.3.2016

- UKHO - UK Home Office (15.3.2016): Country Information and Guidance South and Central Somalia - Fear of Al-Shabaab, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458121464_som-cig-fear-of-al- shabaab.pdf, Zugriff 22.3.2016

- UNSC - UN Security Council (8.1.2016): Report of the Secretary-General on Somalia, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1453284910_n1600065.pdf, Zugriff 1.4.2016"

1.5. Zur Strukturierung der Ashraf wird auf Seite 69 des Berichts "Somalia; Security, Minorities & Migration" von September 2013 (BMI - Bundesministerium für Inneres [Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter {eds.}]: Somalia; Security, Minorities & Migration, September 2013 (veröffentlicht von BFA Staatendokumentation, verfügbar auf ecoi.net http://www.ecoi.net/file_upload/90_1413287177_soma-monographie-2013-09.pdf [Zugriff am 21. Juni 2016]) ausgeführt:

"The Asharaf were already mentioned above as religious specialists. In an unpublished note on this group Luling provided the following information: The Asharaf were held to be descended from the Prophet Maxamed's daughter Fatima and her husband Cali (the nephew of the Prophet). Fatima's and Cali's sons, Xasan and Xuseyn, constituted the two main branches of the group. The branch of Xuseyn was subdivided in Reer Sharif Maqbuul, Sharif Axmed and Sharif Ba'alawi. The subgroups of Xasan were Maxamed Sharif, Sharif Cali, Sharif Axmed and Ashraf Sarmaan. Besides these main groups, several smaller Asharaf lineages existed in places like Merka. Most of the members of the Xuseyn branch lived in the coastal towns such as Mogadishu. A few moved to other places in order to trade or because they bought land. The members of the Xasan branch resided mainly in the interior of the country and mostly were not considered Benaadiri. Some, like Asharaf Sarmaan, counted even as Gibil Madow ('black skinned').34 Those groups were mostly endogamous but not (yet) of inferior status. This changed with the outbreak of the civil war (see below)."

Auf den Seiten 34 ff der Monographie "The Bantu - Jareer Somalis: Unearthing Apartheid in the Horn of Africa" von Mohamed A. Eno (Adonis & Abbey Publishers Ltd, 2008, London; ISBN: 9781905068944) wird zu "Istunka" in Afgooye ausgeführt:

"[...] Other equally enduring traditional activities like 'Istunka' stickfighting are held in some parts of the country, Afgoie being the most famous town for the stick-fighting.

[...]

In Afgoie, the elders are great repository of the history and traditions as these are passed from one generation to the other. As far as 'Istunka' is concerned, most of them have been participating (in the words of one of my interviewees) - "...ever since we opened our eyes."69

Although Afgoie and other areas in Somalia may undertake the New Year festivals of Istunka and Dabshidka as their neighboring Oromo and other peoples elsewhere, it carries much more cultural significance for the Afgoians. The occasion avails every able 'laashin' bard with an opportunity to produce his poetic talent in the www.ris.bka.gv.at Seite 18 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016 creation of spontaneous 'mar'70 verse, to which the background chorus group can dance and chant. The 'Shirib' or 'Shurub'71 as it is called, a chanting procession, is an opportunity for the rival groups on either bank of the river to visit their counterparts, to criticize and taunt their rivals poetically of the lewd or indecent acts committed by any of their kin over the years and particularly since the last 'Istunka'. As such, it is a very significant celebration embedded with socio-cultural values. It marks an unadulterated connection between the society and their culture, an aspect which gives considerable importance to the reason why the 'Shurub', 'Dab- shidka', 'Istunka' and other related celebrations are culturally interwoven values of the social identity.

[...]"

Zur Situation in Afgooye wird Folgendes festgestellt:

In Afgooye führen Clankonflikte nach wie vor zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Der somalische Staat ist in Afgooye nicht in der Lage, Gewalthandlungen zwischen Angehörigen verschiedener Clans mit hinreichender Zuverlässigkeit zu unterbinden und wirksam vor solchen zu schützen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu seinem Fluchtvorbringen:

Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Alter des Beschwerdeführers sowie seiner Staats-, Religions- und Clanangehörigkeit gründen sich auf seine glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln. Dies gilt ebenso für die Angaben zum Fluchtweg aus Somalia nach Österreich.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem familiären Hintergrund sowie seinem bisherigen Lebenslauf in Somalia waren chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden Clanstrukturen in Somalia plausibel. Was die konkreten fluchtauslösenden Umstände anbelangt, erstattete der Beschwerdeführer im Zuge des gesamten Verfahrens - insbesondere in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem Bundesamt wie im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht - im Wesentlichen widerspruchsfreie Angaben; soweit er lediglich grobe Ausführungen tätigte bzw. seine Schilderungen eine gewisse Detailfülle vermissen lassen, sind im vorliegenden Fall die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers sowohl beim Erleben - er war erst 15 Jahre alt als er Somalia verließ - als auch beim Erzählen des Vorbringens sowie der verstrichene Zeitraum seit den fluchtauslösenden Ereignissen zugunsten des Beschwerdeführers zu würdigen. Ferner wurden von der belangten Behörde aufgezeigte Schwächen im Vorbringen des Beschwerdeführers durch dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht relativiert. Die belangte Behörde führte etwa aus, es sei unwahrscheinlich, dass die Flucht des Beschwerdeführers durch den Verkauf des Hauses seiner Mutter finanziert worden sei, weil seine Mutter wie der Beschwerdeführer Afgooye rasch hätten verlassen müssen. In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, die Abwicklung des Verkaufes sei einem Makler überlassen worden; dies relativiert die vom Bundesamt aufgezeigte Schwäche der Plausibilität des Vorbringens. Ferner hielt sich der Beschwerdeführer seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge nur mehr für etwa einen Monat in Afgooye auf, bevor er sich nach Mogadischu begab und bediente sich während dieser Zeit verschiedener Verstecke, um seinen Verfolgern zu entgehen. Dieser Ablauf erscheint nicht unwahrscheinlich; anders als die belangte Behörde geht das Bundesverwaltungsgericht nicht davon aus, dass der Beschwerdeführer noch mehrere Monate nach dem Überfall auf die Landwirtschaft in Afgooye zubrachte. Dass er in der Einvernahme vor dem Bundesamt noch von mehreren weiteren Monaten in Afgooye sprach und in jener vor dem Bundesverwaltungsgericht von etwas mehr als einem Monat, kann mit Blick auf das jugendliche Alter des Beschwerdeführers und die verstrichene Zeit seither nicht als erheblicher Widerspruch gewertet werden.

Nicht zuletzt erweckte Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung beim erkennenden Richter den Eindruck, das geschilderte Vorbringen tatsächlich erlebt zu haben. Bei dieser Beurteilung ist insbesondere sein Aussageverhalten bei der Beantwortung der einzelnen Fragen berücksichtigt.

Die Angaben des Beschwerdeführers konnten daher vollinhaltlich der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt werden.

2.2. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

www.ris.bka.gv.at Seite 19 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der Berichte zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015 (im Folgenden: BFA-VG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013 (im Folgenden: VwGVG), geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles (sowie auf hier nicht maßgebliche Verfahren die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984) und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den hier anzuwendenden Gesetzen (BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Dieser Bescheid wurde der Vertreterin des Jugendwohlfahrtsträgers zugestellt. Die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesamt im Wesentlichen damit, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft und teilweise nicht plausibel sei.

Der angefochtene Bescheid wurde der Vertreterin des unbegleiteten minderjährigen Beschwerdeführers am am 22.10.2015 zugestellt. Die Beschwerde ging am 13.11.2015 bei der belangten Behörde ein und ist somit gemäß § 16 Abs. 1 BFA-VG, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 17/2016, rechtzeitig.

Zu A)

Die Beschwerde ist auch begründet:

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht www.ris.bka.gv.at Seite 20 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016 nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn ein/e Beschwerdeführer/in die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diese/n trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er/sie hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine/ihre Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.2. Auf Grund der oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellten Erwägungen ist es dem Beschwerdeführer gelungen, glaubhaft zu machen, dass der behauptete Sachverhalt verwirklicht worden ist. Ein Beweis desselben ist dagegen nicht erforderlich. Diesem herabgesetzten Maßstab ist der Beschwerdeführer mit seinen Ausführungen bei Abwägung der Gesamtumstände gerecht geworden (vgl. Pkt. II.2.1.).

3.3. Der festgestellte Sachverhalt weist auch Asylrelevanz auf. Denn die Verfolgung des Beschwerdeführers ist hauptsächlich durch dessen Zugehörigkeit zum Clan der Ashraf motiviert. Ob die Asharaf in Somalia eine eigene Volksgruppe bilden - und den Beschwerdeführer demgemäß bereits eine Verfolgung aus Gründen seiner Ethnie trifft - oder sie bloß als Clanverband zu werten sind, ist für die rechtliche Beurteilung hier von untergeordneter Bedeutung: Denn jedenfalls handelt es sich bei Asharaf um eine von der übrigen somalischen Gesellschaft klar unterscheidbare soziale Gruppe. Damit wird der Beschwerdeführer jedenfalls aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK g genannten Gründe verfolgt. Die zu erwartenden Verfolgungshandlungen weisen auch eine die Gewährung des Status des Asylberechtigten erfordernde Intensität auf. Dies zeigt zunächst der Mord am Großvater des Beschwerdeführers, die Bereitschaft seines Vaters, aus Angst vor denselben Verfolgern unverzüglich zu fliehen, wie die Verletzungen, die der Beschwerdeführer bei seinem Zusammentreffen mit den Verfolgern am Markt davongetragen hat. Im Übrigen zielt das Anliegen seiner Verfolger, Blutrache zu üben, geradezu auf eine Ermordung des Beschwerdeführers ab.

3.4. Dass der somalische Staat in Afgooye nach wie vor nicht in der Lage ist, hinreichenden Schutz vor gewaltsamen Übergriffen anderer Clans zu bieten, geht aus den wiedergegeben Länderberichten mehrfach www.ris.bka.gv.at Seite 21 von 22 Bundesverwaltungsgericht 08.07.2016 hervor. So heißt es darin insbesondere: "Besonders von Clan-Konflikten betroffen sind die Städte Merka und Afgooye (EASO 2.2016)" sowie "Damit ist Afgooye eine der am meisten von Gewaltvorfällen betroffenen Städte. Allerdings sind nicht alle Vorfälle terroristischer Natur, da das Gebiet auch von Clankonflikten betroffen ist (BFA 10.2015)." und schließlich "Zusätzlich kam es in Lower Shabelle zu Clan-Kämpfen um Land und Ressourcen (EASO 2.2016)."

3.5. Im vorliegenden Fall ist auch nicht mit der erforderlichen maßgeblichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Beschwerdeführer über die zumutbare Möglichkeit verfügen würde, sich in Somalia in einer anderen Region niederzulassen. Insbesondere verfügt er in Mogadischu lediglich über eine Bekannte seiner Mutter. Eine abschließende Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann jedoch insbesondere vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016). Auf Grund des dem Beschwerdeführer zukommenden Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia kommt die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative sohin nicht in Betracht.

Es sind auch im Zuge des Verfahrens keine Hinweise hervorgekommen, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlusstatbestände eingetreten sein könnte.

3.4. Der Beschwerdeführer konnte somit glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat insbesondere auf Grund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Beschwerde ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattzugeben und festzustellen, dass dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

European Case Law Identifier ECLI:AT:BVWG:2016:W234.2117341.1.00

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