Umschlagbild Vorderseite Kieler Bucht. Schlämmen der Sedimente an Bord der Bussard (Foto Archäologisches Landesmuseum [ALM] Schleswig).

Umschlagbilder Rückseite oben –Tollensetal, Fundstelle Weltzin 20, Mecklenburg-Vorpommern. Holzartefakt unbekannter Verwendung (Foto Harald Lübke). Mitte links – Kieler Bucht, submarines Fundgebiet vor Schönberg-Kalifornien. Kleines, allseitig geschliffenes Flintbeil vom dünnnackigen Typ (Foto Archäologisches Landesmuseum [ALM] Schleswig). Mitte rechts – Kieler Bucht, Strand bei Schönberg-Kalifornien. Abgerollte, bläulich-weiß patinierte Flintklingen (Foto Archäologisches Landesmuseum [ALM] Schleswig). unten – Tollensetal, Fundstelle Weltzin 32, Mecklenburg-Vorpommern. Profil der östlichen Uferkante im Bereich der Fundkonzentration zwischen WP 152 und WP 153 (Foto Harald Lübke).

© Gestaltung Janus-Verlag Freiburg i. Br. Nachrichtenblatt Arbeitskreis NAU Unterwasserarchäologie

Band 16 – 2010

Herausgeber

Kommission für Unterwasserarchäologie im Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

Band 16 – 2010 das vorliegende 16. Heft der Reihe NAU enthält wieder eine Vielzahl von Artikeln, die deutlich die Brandbreite der deutschsprachigen Unterwasserarchäologie belegen. Das geographische Spektrum reicht von Schleswig- bis zu den Gewässern am nördlichen Alpenrand in Süddeutschland und Österreich. Neben Berichten von unterwasserarchäologischen Untersuchungen, sind auch Zu- sammenfassungen von Examensarbeiten in diesem Heft abgedruckt. Damit schließt sich der Kreis, der mit der Feldarbeit begann und über die Konservierung bis hin zur wissenschaftlichen Auswer- tung reichte. Wichtig ist auch der Beitrag über fünfjährige Erfahrung mit dem Kurs „Denkmalge- rechtes Tauchen“, da durch diese Multiplikatorenausbildung die Sensibilität für das kulturelle Erbe unter Wasser bei Sporttauchern geweckt wird. Der Beitrag über ein Unterwassermuseum eröffnet ein neues Spektrum, da es bislang immer noch keinen „Königsweg“ gibt, wie die unter Wasser lie- genden Fundstellen für ein Publikum erlebbar gemacht werden können.

Welchen Stellenwert die Unterwasserarchäologie innerhalb der Bodendenkmalpflege inzwischen ge- wonnen hat, wird daraus ersichtlich, dass der Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland bei seiner Tagung 2010 in Schwerin dieses Thema für das wissenschaftliche Kolloqui- um gewählt hatte. Aus den Vorträgen, die im Archäologischen Nachrichtenblatt abgedruckt werden sollen, wurde ersichtlich, dass in Deutschland auf diesem Gebiet eigentlich ein relativer hoher Stan- dard erreicht worden ist, der, da feste Stellen die Ausnahme sind, hauptsächlich von Kollegen mit Zeitverträgen und ehrenamtlichen Mitarbeitern erreicht wurde. Dies zeigt aber auch die Bedeutung des Arbeitskreises Unterwasserarchäologie, da unter anderem durch den persönlichen Kontakt und dem damit verbundenen Informationsaustausch das bei Projekten gewonnene unterwasserarchäolo- gische Fachwissen vertieft werden kann und nicht verlorengeht.

Das vorliegende Heft spiegelt aber auch nicht alle Aktivitäten im Bereich der Unterwasserarchäolo- gie wider. So fehlen Berichte aus dem nordöstlichen Deutschland, sei es von der Ostsee, sei es aus Binnenseen und auch die Schweiz wird mit keinem Artikel behandelt. Es ist deshalb mein drin- gender Appell an alle, dass sie über ihre Forschungsvorhaben, Projekte usw. berichten, selbst wenn es sich nur um Kurzmitteilungen aus laufenden Maßnahmen handelt. Nur durch eine Vielzahl von Beiträgen ist es möglich, das Heft in seinem Charakter als Nachrichtenblatt und Erstinformations- Herausgeber quelle zu erhalten. Timm Weski Kommission für Unterwasserarchäologie im Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland Impressum

Herausgeber: Kommission für Unterwasserarchäologie c/o Dr. Timm Weski, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Hofgraben 4, 80539 München Redaktion: Dr. Ralf Bleile M.A., Dr. Anton Englert, Dr. Thomas Förster, Dr. Joachim Köninger, Dr. Tobias Pflederer, Wolfgang Schmid MA Lektorat: Dr. Joachim Köninger, Wolfgang Schmid MA Englischlektorat: Jamie McIntosh Vertrieb: Janus-Verlag Freiburg i. Br., Dr. Joachim Köninger, Astrid-Lindgren-Str. 4, D-79100 Freiburg i. Br. Druck: Janus-Verlag Freiburg i. Br.; Reprodienst GmbH, Gündlinger Str. 8, 79111 Freiburg i. Br. Satz, Litho, Layout und Organisation: Janus-Verlag Freiburg i. Br. http://www.jkoeninger.de http://www.unterwasserarchaeologie-arbeitskreis.de

© 2010 Kommission Unterwasserarchäologie Inhalt Internes Bericht zur 15. Jahrestagung des Arbeitskreises Unterwasserarchäologie vom 7.11.2009 in Regensburg...... 6

Denkmalpflege und Forschung Submarine archäologische Forschungen in der Kieler Bucht ...... 7 Sönke Hartz Timmendorf-Nordmole III und der Neolithisierungsprozess an der südwestlichen Ostseeküste...... 13 Harald Lübke und Ulrich Schmölcke Funktionen von Inseln in der limnischen Kulturlandschaft Norddeutschlands – Vorbericht zu einem interdisziplinären Forschungsprojekt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ...... 25 Functions of islands in the limnic cultural landscape of Northern – preliminary report on an interdisciplinary research project at the Christian-Albrechts-Universität Kiel Ralf Bleile, Ulrich Müller, Walter Dörfler, Florian Huber, Phillip Lüth, Ines Reese und Magdalena Wieckowska Taucharchäologische Untersuchungen zur Frage der Herkunft der bronzezeitlichen Menschenfunde im Tollensetal bei Weltzin, Mecklenburg-Vorpommern – ein Vorbericht...... 41 Ute Brinker, Joachim Krüger und Harald Lübke Tief im Morast. Ein Altfund aus dem verlandeten Alten See bei Ziesar...... 49 Rosemarie Leineweber Untersuchungen zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Einbaumfähren am Main...... 57 Lars Kröger Neues vom „Beluga-Schiff“. Ein Bremer Klinkerwrack aus dem 15. Jahrhundert...... 62 Daniel Zwick Neue Untersuchungen an den brandenburgischen Kaffenkähnen ...... 72 Michaela Reinfeld Ein Produktionsplatz der Steinbeilherstellung in Sipplingen-Osthafen, Schicht 11 (3316–3303 v. Chr.) Bodenseekreis...... 77 Irenäus Matuschik und Adalbert Müller

Medien Der „Mondsee-Tsunami“ – Fakt oder Mediengag?...... 85 Rupert Breitwieser

Museen „Unterwassermuseum – ein neuer Museumstyp?“ Zur Ausstellbarkeit archäologischer Bodendenkmäler unter Wasser...... 92 Knud Weber

Impressum Vereine / Ausbildung Unterwasserarchäologie in Österreich: Aktivitäten des Herausgeber: Kommission für Unterwasserarchäologie c/o Dr. Timm Weski, „Tauchvereins für Unterwasserarchäologie“ (TUWA)...... 100 Daniel Neubauer, Michael Konrad und Viktor Jansa Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Hofgraben 4, 80539 München Unterwasserarchäologische Ausbildung am Werbellinsee ...... 106 Redaktion: Dr. Ralf Bleile M.A., Dr. Anton Englert, Dr. Thomas Förster, Gerd Knepel Dr. Joachim Köninger, Dr. Tobias Pflederer, Wolfgang Schmid MA KUWA – DEGUWA – VDST. Fünf Jahre Denkmalgerechtes Tauchen (DT) – ein Rückblick Lektorat: Dr. Joachim Köninger, Wolfgang Schmid MA und wie es weiter geht! ...... 107 Englischlektorat: Jamie McIntosh Gerd Knepel Vertrieb: Janus-Verlag Freiburg i. Br., Dr. Joachim Köninger, Astrid-Lindgren-Str. 4, Tagungen D-79100 Freiburg i. Br. Archäologie der Brücken – Internationaler Kongress 5.–8. November 2009 Druck: Janus-Verlag Freiburg i. Br.; Reprodienst GmbH, Gündlinger Str. 8, 79111 Freiburg i. Br. im Runtingerhaus in Regensburg...... 109 Satz, Litho, Layout und Organisation: Janus-Verlag Freiburg i. Br. Stefanie Berg-Hobohm und Timm Weski Neuerscheinungen / Buchbesprechungen http://www.jkoeninger.de http://www.unterwasserarchaeologie-arbeitskreis.de Albert Hafner / Urs Niffeler / Ulrich Ruoff, Die neue Sicht. Unterwasserarchäologie und Geschichtsbild. Akten des 2. Internationalen Kongresses für Unterwasserarchäologie, Rüschlikon bei Zürich, 21.–24. Oktober 2004. Antiqua 40, Veröffentlichung der Schweizerischen Gesellschaft für © 2010 Kommission Unterwasserarchäologie Ur- und Frühgeschichte (jetzt: Archäologie Schweiz). Basel 2006 (Wolfgang Schmid)...... 110 Bericht zur 15. Jahrestagung des Arbeitskreises Unterwasserarchäologie vom 7.11.2009 in Regensburg

Im Rahmen des Brückenkongresses in Regensburg fand auch die jährliche AKUWA-Sitzung statt. Zentraler Diskussionspunkt waren die Schweriner Einbäume, da ein Artikel von Thomas Förster, den er für NAU eingereicht hatte, von der Redaktion und den Herausgebern mehrheitlich abge- lehnt worden war. Hierzu kamen Äußerungen aus der Zuhörerschaft, die die Objektivität dieser Entscheidung in Zweifel zogen und von Zensur sprachen. Der Sprecher versuchte zwar die Sache zu begründen, hatte jedoch den Eindruck, dass diese Erklärung nicht voll akzeptiert wurde. Die Diskussion zu diesem Thema wird durch unzureichendes Hintergrundwissen zur Gesamtprob- lematik erschwert, da oft Behauptungen in den Raum gestellt werden, die bei näherer Überprü- fung in einem anderen Licht erscheinen. Hinzukommt, dass neben der berechtigten Sorge über den Zustand der Einbäume, leider auch der Stadt-Land-Konflikt und persönliche Animositäten eine entscheiden Rolle spielen. Inzwischen ist der Bericht eines unabhängigen Autorenteams publiziert worden (R.W.Aniol/H.Jöns/J.Kunow, Die Stralsunder Einbäume – Hintergrund eines Skandals. Arch. Nachrbl. 15, 2010, 21–35), in dem Hintergründe und Ursachen ausführlich geschildert wer- den. Am 24. Juni 2010 fand in Schwerin ein „holzkonservatorisches Fachgespräch“ statt, bei dem die Ergebnisse einer gemeinsam mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW), Studiengang Restaurierung und Grabungstechnik und dem Institut für Holztechnologie Dresden, gemeinnützige GmbH, betreute Diplomarbeit diskutiert wurden und in der ein brauchbarer Kon- servierungsvorschlag für die ausgetrockneten Hölzer entwickelt und getestet worden war.

Eine erfreuliche Entwicklung war aus dem Mittelmeerraum zu berichten. Zwei Kollegen aus Kro- atien stellten das neue von der UNESCO mitbegründete International Centre for Underwater Ar- chaeology in Zagreb, Kroatien, vor, das von allen Anwesenden als positiv beurteilt wurde; besonders wurde die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen und Instituten begrüßt. Inzwischen werden be- reits gemeinsame Feldforschungen zusammen mit der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserar- chäologie (BGfU) durchgeführt.

Timm Weski Submarine archäologische Forschungen in der Kieler Bucht

Sönke Hartz

Zusammenfassung Von der Ostseeküste Schleswig- stammen zahlreiche Funde von Siedlungsplätzen aus dem Endmesolithikum (Ertebølle Kultur) und frühen Neolithikum (frühe Trichterbecher Kultur), die durch Wellenerosion und Strömung freigespült und ans Ufer transportiert wurden. Im Jahre 2006 entdeckte der Dipl. Biol. Christian Howe aus Kiel vor der Feriensiedlung Kalifornien beim Tauchen in 4–5 Meter Wassertiefe zahlreiche Flintartefakte und einige Tierknochen, die dort eine ehemalige Küstensiedlung vermuten ließen. Mit Hilfe von Forschungstauchern und freiwilligen Helfern wurde die Fundstelle in mehreren Tauchgängen sondiert (Bohrungen, Suchlöcher) und dabei auch größere Reste von Brackwassermudden angetroffen, die einen alten Strandsee markieren. An diesem Gewässer dürfte die Siedlung ehemals gelegen haben. Eine reguläre Kulturschicht mit in situ-Siedlungsresten wurde allerdings nicht gefunden, die Artefakte beschränken sich hauptsächlich auf Flintgeräte wie Kern- und Scheibenbeile sowie unmodifizierte Klingen. Dazu kommen einige Geweih- und Knochengeräte, die nach Ausweis eines 14C-Datums und eines kleinen Spitzbodens in die späte Ertebølle-Kultur um 4000 v. Chr. gehören dürften.

Abstract On the coast of Schleswig-Holstein many finds from settlements from the end of the Mesolithic (Ertebølle culture) and early Neolithic periods (Funnel Beaker culture) have been discovered which had been washed free by the erosion of waves or currents and transported to the shore. In 2006, Christian Howe a biologist from Kiel, discovered numerous flint artefacts and animal bones while diving in 4–5 meters of water off the shore of the “Kalifornien” holiday complex, allowing conjecture of an early coastal settlement. With the assistance of research divers and volunteers the site was probed in a number of dives (bores, test trenches) and in the process came across large deposits of brackwater organic silt marking an ancient coastal lagoon. An earlier settlement could have been located in these waters. A regular cultural layer with in situ settlement remains were, however, not found, and the artefacts are confined principally to flint objects like core axes and flake axes („Scheibenbeile“) as well as unmodified blades. Additionally, some antler and bone tools which after 14C dating and the bottom of a ceramic pot with a small pointed base belong to the late Ertebølle culture of 4000 BC. Translation Jamie McIntosh .

Einführung wig-holsteinischen Urgeschichtsforschung. Der Schwerpunkt der Untersuchungen liegt in Ost- Die Erforschung submariner endmesolithischer holstein, in der Niederung des Oldenburger Küstensiedlungsplätze der Ertebølle Kultur Grabens, einer heute vollständigen, verlandeten (EBK) in den Flachwasserzonen der schleswig- ehemaligen Ostseebucht. Aussagekräftige Re- holsteinischen Ostseeküste stellt die Steinzeit- archäologen vor große Probleme. Bereits zum Zeitpunkt der Besiedlung im 5. Jt. v. Chr. wur- Abb. 1: Fundplätze der den durch den Meeresspiegelanstieg die Wohn- Ertebølle-Kultur an der schleswig-holsteinischen bereiche überschwemmt und dabei obertägige Ostseeküste. grün: Strukturen weitgehend zerstört. Erhalten blieb Sammelfunde Flint; damals die zu den Siedlungen gehörige Abfall- gelb: Sammelfunde zone in den Weichsedimenten, also der Bereich, Flint und Organik; rot: in dem Nahrungsreste und andere unbrauch- ausgegrabene Fund- plätze (alle Fotos und bare Gegenstände ins Meer entsorgt wurden. Grafiken Archäologisches Bis heute sind auch diese überschwemmten Be- Landesmuseum [ALM] reiche einer fortschreitenden Zerstörung durch Schleswig). Wellenschlag, Sanddrift und küstenparallele Strömungen ausgesetzt, so dass Torf- oder Mud- deflächen nur partiell erhalten geblieben sind. Seit gut einem Jahrzehnt steht die submarine Steinzeitarchäologie im Blickpunkt der schles- 7 NAU 16 2010

sultate sind nur in konstruktiver Zusammen- Richtung Westen nimmt die Zahl an hochwer- arbeit mit anderen naturwissenschaftlichen tigen Fundstellen entlang der Ostseeküste ab, Disziplinen wie der Küstengeologie, der Paläo- es gibt sie vereinzelt in der Hohwachter Bucht botanik und der Archäozoologie zu gewinnen. (Wangels LA 519) und der Kieler Förde (Kiel- Diese und andere Nachbarwissenschaften, wie Ellerbek LA 4, Schönberg LA 7, Laboe LA 1), die Labore für Altersbestimmung, unterstützen in der Eckernförder Bucht (Eckernförde LA 29) die Archäologie beispielsweise bei der absoluten und der Flensburger Förde (Flensburg-Kielseng Datierung der Fundstellen, bei der Bestimmung LA 105). des Artenspektrums von Jagdwild und Pflanzen- nahrung oder bei der Erfassung und Deutung küstendynamischer Prozesse. Nur so lassen sich Der Fundplatz Schönberg LA 7 die fragmentarischen Siedlungsreste erforschen und Lebensverhältnisse der Menschen ganzheit- Eine altbekannte Fundstelle der EBK liegt an lich rekonstruieren. der Kieler Außenförde vor der Küste Schönberg- Kaliforniens. Bereits seit über 50 Jahren tauchen dort am Badestrand immer wieder abgerollte Ertebølle-Kultur in Schleswig-Holstein Flintartefakte wie Beile, Klingen und Abschläge auf (Abb. 2), gelegentlich auch Stücke aus orga- An der Ostseeküste Schleswig-Holsteins gibt es nischem Material. Größere Artefaktkonzentra- ca. 50 Fundstellen mit Überresten der EBK, da- tionen an Stränden sind ein typischer Hinweis von hat allerdings nur ein Bruchteil auch orga- auf (teil)erodierte submarine Siedlungsplätze in nisches Material geliefert (Abb. 1). Weitaus ty- der Flachwasserzone. In Kalifornien waren es vor pischer sind Kollektionen von stark abgerollten allem der Berliner Ostseeurlauber H.-C. Hähre Flintartefakten, die an Sandstränden aufgelesen und seine Familie, die am Strandabschnitt vor werden. Besonders reich an ertebøllezeitlichen dem Restaurant Seestern oder im Flachwasser Fundplätzen ist Ostholstein, wo allein im Ol- Flintartefakte aufgesammelt haben. denburger Graben gut ein Dutzend Lokalitäten Weitere wichtige Fundstücke sind im Besitz von entdeckt wurde. Drei davon konnten in jüngs- Friedrich Howe aus Kiel, der den vorgelagerten ter Zeit systematisch ausgegraben werden, dazu Unterwasserbereich viele Jahre lang betaucht kommt eine weitere Fundstelle ca. 25 km süd- hat. Er entdeckte bei seinen Tauchgängen ca. lich in der Neustädter Bucht gelegen (Neustadt 400 m vom Strand entfernt, auf einer Steinbank, LA 156, Hartz/Glykou 2008). Zusammen überwiegend stark abgerollte Klingen und Ab- haben sie die Kenntnisse der Lebensweise und schläge aus Flint. Ein Zufallsfund gelang seiner Fähigkeiten unserer steinzeitlichen Vorfahren Frau Maren Howe am sog. Hundestrand nahe sowie das Wissen um ihre Umweltverhältnisse der Schleuse. Dabei handelt es sich um ein Rot- Abb. 2: Abgerollte deutlich erweitert (Hartz 2005; Goldhammer hirschkronenstück, das charakteristische Spu- und bläulich- chmölcke ren der Zerlegungstechnik der EBK aufweist weiß patinierte 2008; S 2009). Flintklingen vom (Abb. 3). Seit dem Bau des neuen Deiches Mit- Strand bei Schön- te der 1980er Jahre sind die Strandfunde stark berg-Kalifornien. zurückgegangen, vermutlich aufgrund von Ver- änderungen der küstenparallelen Strömungsver- hältnisse, aber vielleicht ist die Fundstelle auch weitgehend erschöpft. In den Fokus der Archäologie gelangte das Ge- biet vor Kalifornien abermals im Jahre 2006, als der Biologe und Forschungstaucher Christian Howe etwa 300 m vor dem Strand in 4–5 m Wassertiefe auf Fundstücke aus der Ertebølle- Periode stieß. Neben den altbekannten, stark abgerollten Flintartefakten kamen nun auch frische Werkzeuge und vereinzelte Reste aus or- ganischem Material zum Vorschein. Zu den ein- drucksvollsten Funden gehören mehrere Schei- ben- und Kernbeile (Abb. 4 u. 5), eine frag- mentierte T-förmige Geweihaxt (Abb. 6), zwei Knochenspitzen (Abb. 7 u. 8) und ein großes,

8 Submarine archäologische Forschungen in der Kieler Bucht artifiziell abgetrenntes Geweihkronenstück (Abb. 9). Die meisten Flintartefakte zeigen eine bläulichweiße Salzwasserpatina und schwache Wasserabrollung, diese, wie auch die empfind- lichen organischen Funde, können also nicht sehr weit durch Strömung und Wellenschlag umgelagert worden sein. Die Funde lagen zwi- schen Geröllflächen, bei denen es sich um die gröbere Fraktion abradierten, eiszeitlichen Ge- schiebemergels handeln dürfte. In diesem fes- ten Untergrund konnten auch einzeln stehende Baumstubben sowie horizontal einsedimentierte Stämme mit starken Erosionserscheinungen be- obachtet werden. Um sicher zu stellen, dass das Fundensemble Abb. 3: Kleines Kronenstück tatsächlich zur EBK gehört, wurde von der T- eines Rothirschgeweihs. förmigen Geweihaxt eine kleine Probe im Leib- niz-Labor für Altersbestimmung an der CAU Kiel datiert. Das Ergebnis von 5342±34 BP Abb. 4: Scheibenbeile aus Flint. (KIA 34375; ca. 4100–3950 BCcal) bestätigte die bisherigen Vermutungen, dass es sich um Artefakte aus dem späten 5. Jt. v. Chr. handelt. Damit reiht sich die Fundstelle Schönberg-Kali- fornien (Schönberg LA 7) in die lange Reihe der ertebøllezeitlichen Ostseeküstenplätze ein. Im Juni 2007 fanden an mehreren Tagen tau- cherische Voruntersuchungen statt, um die räumliche Fundsituation zu überprüfen und mögliche Siedlungsreste exakt zu lokalisieren. Dabei wurden zunächst die geologischen und geomorphologischen Verhältnisse dokumen- tiert. Es stellte sich heraus, dass der Untergrund in 3 m Wassertiefe zunächst aus grobem Strand- sand mit Rippelmarken und einzelnen großen Findlingen besteht, teilweise waren kleinere Abb. 5: Kernbeile aus Flint. begrenzte Geröllflächen und Seegraswiesen zu erkennen. Darunter trat immer wieder grau- er, aufgearbeiteter Geschiebemergel zum Vor- schein, auf dem nur sehr vereinzelt stark abge- rollte und patinierte Flintabschläge lagen. Ab 4 m Wassertiefe im Bereich der größten Fundhäufigkeit von Flintartefakten verändern sich die Untergrundverhältnisse drastisch. Der Geschiebemergel taucht ab und darüber ist groß- Abb. 6: Fragment einer T-förmigen Axt aus Rothirschgeweih. flächig eine sehr feste marin-brackische Mud- de mit zahlreichen Mollusken verbreitet. Ihre Mächtigkeit beträgt nach Bohrungen zwischen 0,5 und 0,7 m. Diese Ablagerungen stammen fen, die z. T. Feuerspuren aufweisen. Ob es sich vermutlich von einem ehemaligen Strand- oder dabei um verschwemmte Reste von Feuerstellen Haffsee, der hier vor der Bildung der Ausgleich- oder um Stücke mit natürlichen Brandspuren küste bestand und dessen Ausläufer sich noch (Waldbrand) handelt, bleibt ungeklärt. An ei- heute südlich des Deiches in der Rögen-Niede- nigen Stellen mit sehr fester Konsistenz ist der rung zwischen Holm und Brasilien fortsetzen. Übergang von Mudde zum Geschiebemergel Bei den Tauchuntersuchungen wurden unter teilweise als eine bis zu 20 cm hohe „Kliffkante” geringmächtigen Decksanden in der Mudde ausgeprägt, die stellenweise stark unterspült ist zahlreiche horizontal liegende Hölzer angetrof- (Abb. 10). Mehrfach traten auch dort Hölzer zu 9 NAU 16 2010

Abb. 11: Einseitig zugespitzte Haselrute.

Abb. 7: Knochenna- del mit Resten des die Position einer bearbeiteten Geweihkrone ex- Gelenkendes. akt lokalisiert werden, sie steckte, laut Aussage seines Entdeckers C. Howe, mit den Sprossen senkrecht in der Mudde. Trotz intensiver Nach- suche fanden sich aber in unmittelbarer Umge- bung keine weiteren organischen Siedlungsreste oder Flintartefakte. Um eine abschließende Klärung der Fundver- hältnisse vorzunehmen wurde im Juni 2008 eine systematische Tauchsondage durchgeführt, bei der erstmals auch kleine Testschnitte und Suchlöcher mit Hilfe von Saugern angelegt wur- Abb. 9: Große Geweihkrone mit Abtrennspuren. den. Insgesamt konnten mehr als 20 Suchlöcher von einem Quadratmeter Größe auf einer Flä- che von knapp 100 m Länge und 10 m Breite ausgegraben werden. Die Sedimente wurden in Netze mit 4 mm Maschenweite gesaugt und an- schließend an Bord des Begleitschiffes Bussard ausgeschlämmt (Abb. 12). Die in einem lokalen Koordinatensystem eingemessenen Suchlöcher erfassten ausschließlich das Areal der flächigen Muddeablagerungen, in denen Reste der Abfall- Abb. 8: Knochen- zone oder Befundstrukturen (Pfostensetzungen, nadel mit einsei- Pfahlreihen, Fischzäune) vermutet wurden. Die tiger Spitze. Suchlöcher wurden jeweils bis auf den Geschie- bemergel bzw. Geschiebesand abgeteuft und anschließend die Sedimentabfolge in einem Profilabschnitt dokumentiert. Dabei bestätig- ten sich die bei den Bohrungen gewonnenen (Rest)-Schichtmächtigkeiten von maximal bis zu einem Meter. In keinem der Suchschnitte konnten eindeutige Konzentrationen von Arte- fakten oder abgrenzbare Kulturschichten festge- stellt werden, die wenigen Funde beschränken sich auf Säugetier- (Robben) und Fischknochen, Abb. 10: Bildmitte: „Kliffkante“ am Übergang vom Holzkohlestücke, Haselnussschalen und indif- Geschiebemergel (mit Algen bedeckt) zur marin-bra- ckischen Mudde. ferente botanische Reste. Für alle diese Stücke kann eine natürliche Herkunft und Einlagerung in das Sediment letztlich nicht ausgeschlossen Tage, die senkrecht oder leicht schräg im Sedi- werden. ment steckten und einseitig zugespitzt sind (Abb. 11). Vor der „Kliffkante“ wurden zwei erodierte Eichenstubben angetroffen, von einem dieser Funde aus jüngeren Zeitperioden Stubben konnte eine Scheibe zur Dendroanaly- se abgesägt werden. Die Messung am Deutschen Aus dem submarinen Fundgebiet vor Kalifornien Archäologischen Institut, Referat Naturwissen- stammen nicht nur Artefakte der EBK, sondern schaften/Dendrochronologie, in Berlin brachte es wurden dort auch interessante Einzelstücke jedoch aufgrund zu weniger Jahresringe kei- aus der Jungsteinzeit gefunden. Bereits im Som- ne absolute Datierung des Baumes und damit mer 1997 entdeckte abermals H.-C. Hähre beim keine Zeitangaben zum Überflutungsereignis. Schnorcheln eine Steinaxt, die er dem Archäo- Allerdings konnte während des Tauchganges logischen Landesmuseum Schleswig meldete.

10 Submarine archäologische Forschungen in der Kieler Bucht

Das Stück lag in einer Wassertiefe von ca. 3,5 m Keulentyps liegt in Nordjütland, für Schleswig- etwa 200 m vom Strand entfernt im Sand zwi- Holstein ist ein solcher Fund singulär, bislang schen größeren Steinen und Findlingen. In un- sind nur zwei vollständige Exemplare vom Typ mittelbarer Nähe beobachtete er eine ca. 10 cm mit abgesetztem Knopf bekannt. Zapfenkeulen mächtige Torf- oder Muddeschicht, die zweifel- wurden niemals auf Siedlungen, sondern immer los die Fortsetzung der oben angesprochenen in Feuchtgebieten, im Wasser oder in Gräbern marin-brackischen Mudde in nordwestliche gefunden, was die herausgehobene Stellung Richtung darstellt. Bei dem Fundstück handelt (Statussymbol) dieser Geräteform unterstreicht. es sich um eine Streitaxt aus Diabasgestein, in Eine absolute Datierung gibt es bislang nicht, Dänemark und Nordwestdeutschland ist dieser anhand von vergesellschafteten Flintbeilen und Typ unter der Bezeichnung Fredsgaards-Axt Keramikgefäßen gehören die Zapfenkeulen in bekannt (Brandt 1967; Ebbesen 1975). Diese die frühe Phase der Trichterbecherkultur (Früh- relativ kräftigen Äxte besitzen einen flachrecht- neolithikum II), was etwa dem Zeitabschnitt eckigen Querschnitt mit nur leicht abgesetzter um 3500–3400 BCcal entspricht. Nackenpartie und schwach konkaven Breitsei- ten. Das Stück von Kalifornien ist ca. 16 cm lang und am konvexen Nacken 5,5 cm breit, das Fazit Schaftloch besitzt einen Durchmesser von 1,8 cm (Abb. 13). Doppeläxte vom Typ Fredsgaard Die Fundstelle Schönberg-Kalifornien (LA 7) sind gleichmäßig über ganz Dänemark verbrei- gehörte bislang aufgrund ihres umfangreichen tet mit einem Schwerpunkt im inseldänischen Fundspektrums zu den erfolgversprechends- Raum, in Schleswig-Holstein sind vollständige ten Unterwasserfundstellen an der schleswig- Exemplare sehr selten (Hoika 1987). Sie stam- holsteinischen Ostseeküste. Die typologischen men aus der Zeit der Trichterbecher-Kultur (ca. Studien und das absolute Alter der T-förmigen 4100–2800 BCcal) und gehören dort in den Geweihaxt haben bestätigt, dass das Gros der mittleren Abschnitt um 3200 BCcal (Mittelne- Hinterlassenschaften zu einem Siedlungsplatz olithikum I und II). der späten EBK gehört, der in das Programm Abb. 12: Mitarbeiterin Etwa in den gleichen Zeitabschnitt gehört auch zur Erforschung des Neolithisierungsprozesses Karin Bendler beim ein kleines, vollständig erhaltenes Flintbeil, das Schlämmen der Sedimente von C. Howe bei seinen Tauchgängen im März an Bord der Bussard. 2007 gefunden wurde (Abb. 14). Es lag in 4 m Wassertiefe etwa 200 m vom Strand entfernt auf abradiertem Geschiebemergel zusammen mit deutlich älteren Klingen und Scheibenbei- len der EBK. Das Stück ist 10,7 cm lang, 4,5 cm breit und 2,2 cm dick, die Breitseiten sind sorgfältig, die Schmalseiten nur partiell flüchtig überschliffen. Die fein polierte Schneide zeigt Spuren der Nachschärfung, das Exemplar dürf- te also ehemals etwas länger gewesen sein. Ty- pologisch gehört das Beil zu den dünnnackigen Stücken mit rechteckiger Nackenform und wird dementsprechend in den späten Abschnitt der Trichterbecherkultur um 2800 BCcal zu datie- ren sein. Einen einzigartigen Fund machte C. Howe im gleichen Monat im unmittelbaren Umfeld des geschliffenen Flintbeiles. Es handelt sich um eine sog. Zapfenkeule mit Schäftungskerbe ohne abgesetzten Knopf. Sie wurde aus Fels- gestein, vermutlich aus Diabas oder einem ver- gleichbar zähen Gestein, hergestellt (Abb. 15). Das Stück ist 17,7 cm lang, 4,5 cm breit und Abb. 13: Jung- steinzeitliche 2,2 cm dick und fällt damit in die Variations- Streitaxt aus Fels- breite der dänischen Vergleichsfunde (Ebbesen gestein vom Typ 1987). Das Hauptverbreitungsgebiet dieses Fredsgaard. 11 NAU 16 2010

Anschrift des Verfassers

Sönke Hartz Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf - Archäologisches Landesmuseum - Schloß Gottorf 24837 Schleswig e-mail: [email protected]

Literatur Abb. 16: Boden eines spitzbodigen Tongefäßes. Brandt 1967: K. H. Brandt, Studien über stei-nerne Äxte und Beile der Jüngeren Steinzeit und der Stein- Kupferzeit Nordwestdeutschlands. Veröff. Seminar in Schleswig-Holstein passt. Allerdings erbrach- Vor- u. Frühgesch. Universität Münster (Hildesheim Abb. 14: Kleines, 1967). allseitig geschliffenes ten die mehrtägigen Tauchsondagen keine nen- Flintbeil vom dünn- nenswerten neuen archäologischen Funde in Ebbesen 1975: K. Ebbesen, Die jüngere Trichter- nackigen Typ. Originallage oder Befundstrukturen. Deshalb becherkultur auf den dänischen Inseln. Arkæologiske ist davon auszugehen, dass große Teile der ehe- Studier II (København 1975). maligen Siedlung bzw. der Abfallzone bereits Ebbesen 1987: K. Ebbesen, Tidligneolitiske tapkøller. der Erosion zum Opfer gefallen sind und nur Aarbøger for Nordisk Oldkyndighed og Historie aus dem uferferneren Restsediment gelegentlich 1987, 7–26. einzelne archäologisch relevante Stücke frei- Fischer 2004: A. Fischer, Submerged Stone Age erodieren. Dafür sprechen u. a. die senkrechten – Danish Examples and North Sea Potential. In: Hölzer, bei denen es sich um Reste von Fisch- N.C. Flemming, (ed.) Submarine Prehistory and Archaeology of the North Sea: Research Priorities zäunen handeln könnte, die in der flachen La- and Collaboration with Industry. CBA Research gune angelegt wurden. Auch die vereinzelten, Report 141, 2004, 23–36. schwach patinierten Flintartefakte, die wenigen Goldhammer 2008: J. Goldhammer, Untersuchun- Tierknochen sowie der Fund eines singulären gen zur Stratigraphie, Fundverteilung und zum Spitzbodens (Abb. 16) zwischen großen Find- Fundspektrum der mittleren Ertebøllekultur in lingen auf der abradierten Mergelfläche lassen Ostholstein. Universitätsforsch. Präh. Arch. 163 sich in dieser Weise interpretieren. (Bonn 2008). Bei den drei jungsteinzeitlichen Werkzeugen Hartz 2005: S. Hartz, Aktuelle Forschungen zur handelt es sich vermutlich um rituell niederge- Chronologie und Siedlungsweise der Ertebølle- und legte (geopferte) oder im Wasser verloren gegan- frühesten Trichterbecherkultur in Schleswig-Holstein. Beiträge 46. Jahrestagung der Hugo-Obermaier- gene Einzelstücke, da aus der entsprechenden Ge-sellschaft zur Erforschung des Eiszeitalters und Periode kein weiteres diagnostisches Siedlungs- der Steinzeit e.V. Jahrb. Bodendenkmalpfl. Meck- material entdeckt wurde. Vergleichbare Geräte lenburg-Vorpommern 52, 2004, 61–81. oder Waffen lassen sich von den Küsten See- Hartz/Glykou 2008: S. Hartz/A. Glykou, Neues lands (Ebbesen 1975; Fischer 2004), aber auch aus Neustadt. Ausgrabungen zur Ertebølle- und aus dem jütländischen Ostseeraum beibringen. frühen Trichterbecherkultur in Schleswig-Holstein. Abb. 15: Zapfenkeule Weitere taucharchäologische Untersuchungen Arch. Nachr. Schleswig-Holstein, Heft 13, 2008, 17–19. aus Felsgestein. vor Schönberg-Kalifornien sind bislang nicht vorgesehen. Sollten aber von Sporttauchern zu- Hoika 1987: J. Hoika, Das Mittelneolithikum zur fällig neue organische Artefakte, Fundstücke in Zeit der Trichterbecherkultur in Nordostholstein. Untersuchungen zur Archäologie und Landschafts- Originalpositionen oder Holzkonstruktionen geschichte. Offa-Bücher 61 (Neumünster 1987). angetroffen werden, wird die Fundstelle erneut Schmölcke 2009: U. Schmölcke, Die Entstehung in das Prospektionsprogramm zur Erforschung der Ostsee – eine kurze Natur- und Kulturgeschichte. der Küstenbesiedlung der letzten Jäger und Fi- Jahrb. Heimatgemeinschaft Eckernförde 67, 2009, scher der EBK aufgenommen. 295–205.

12 Timmendorf-Nordmole III und der Neolithisierungsprozess an der südwestlichen Ostseeküste

Harald Lübke und Ulrich Schmölcke

Zusammenfassung Der 2006 und 2007 untersuchte steinzeitliche Fundplatz Timmendorf-Nordmole III befindet unmittelbar nördlich der endmesolithischen Fundstelle Nordmole I an der Westküste der Insel Poel. Die Hauptfundschicht datiert in den Zeitraum zwischen 4000 und 3800 v. Chr. und gehört zur frühneolithischen Ältesten Trichterbecherkultur. Die Auswertung des archäozoologischen Fundmaterials ergab, mit Ausnahme des Hundes, keinen Nachweis von Haustieren. Darin unterscheidet sich die Fundstelle deutlich von den zeitgleichen, aus Ostholstein bekannten Siedlungen Wangels oder Siggeneben-Süd. Offenbar handelt es sich bei Nordmole III um eine der bisher nur aus Dänemark bekannten spezialisierten Küstenjagdstationen vom Typ Hesselø/Sølager, die in der Tradition der endmesolithischen Vorgängersiedlungen stehen. Ein ökonomischer Funktionswandel lässt sich erst für die etwas jüngere frühneolithische Siedlung Timmendorf-Tonnenhaken belegen, da von dieser bislang Haustierknochen vorliegen.

Abstract In 2006 and 2007 the Stone Age site Timmendorf-Nordmole III has been investigated at the west coast of Poel Island (Mecklenburg-Vorpommern, German Baltic Sea coast) directly north of the well-known endmesolithic site Timmendorf-Nordmole I. The main cultural layer is radiocarbon dated to the oldest stage of the Early Neolithic TBR- culture between 4000 and 3800 calBC, but except for some dog remains animal husbandry can not be recorded. So far Nordmole III is different to the contemporaneous sites Wangels and Siggeneben-Süd in eastern Holstein. Apparently Nordmole III was a coastal hunting station comparable to the Danish sites Hesselø and Sølager, being in the tradition of the older endmesolithic sites in the same microregion. The economical shift towards cattle and pig breeding is recordable for the adjacent subsequent site Timmendorf-Tonnenhaken.

Einleitung im Rahmen von DFG-finanzierten interdiszip- linären Forschungsprojekten (SINCOS) konn- Der wissenschaftliche Kenntnisstand zur Be- ten seit 2001 mehrere überwiegend spät- und siedlung der südwestlichen Küsten der jun- endmesolithische Küstensiedlungsplätze in der gen Ostsee durch endmesolithische und früh- Wismarbucht und in den Küstengewässern der neolithische Kulturen hat sich in den letzten 30 Insel Rügen untersucht werden (Harff u. a. Jahren erheblich verbessert. Sowohl in Schles- 2005a; dies. 2005b; 2007; Lübke 2002; ders. wig-Holstein als auch in Mecklenburg-Vorpom- 2005a: 2005b). mern und im polnischen Küstenraum erfolgten Als Ergebnis dieser Forschungen zeichnet sich seit den 1970er Jahren umfangreiche Ausgra- ähnlich wie in Dänemark (Madsen 1986; Niel- bungen auf Fundplätzen der endmesolithisch- sen 1986) ab, dass die Trichterbecherkultur im en Ertebølle- und der frühneolithischen Trich- südwestlichen Ostseegebiet nicht allochthonen terbecherkultur. In Mecklenburg-Vorpommern Ursprungs, sondern durch Akkulturations- führte die Entdeckung erster heute unter Was- prozesse aus der heimischen Ertebølle-Kultur ser gelegener Steinzeit-Siedlungen in der Meck- entstanden ist. Offensichtlich setzten sich neo- lenburger Bucht Ende der 1990er Jahre dazu, lithische Elemente im südwestlichen Ostseege- die unterwasserarchäologische Erforschung sub- biet zuerst an der Küste und erst nachfolgend mariner Steinzeitfundstellen als einen neuen im Binnenland durch (Kalis/Meurers-Balke Forschungsschwerpunkt des damaligen Archä- 1998). Ungeklärt ist derzeit noch, auf welchem ologischen Landesmuseums Mecklenburg-Vor- Weg die ersten Haustiere und Kulturpflanzen pommern (ALM MV) zu etablieren. Vor allem an die Küste gelangt sind. In Vorpommern soll 13 NAU 16 2010

lierte, das dann ab 4100 v. Chr. in einem ver- gleichsweise kurzen Zeitraum zugunsten einer produzierenden Wirtschaftsweise aufgegeben wurde. Neben soziokulturellen Faktoren wur- den in diesem Zusammenhang Veränderungen des Naturraums als mögliche Ursachen disku- tiert (vgl. Hartz 1999, 17 ff.). Gegenwärtig stehen zwei Modelle des Neoli- thisierungsprozesses zur Diskussion. L. Klassen (2004) führt aufgrund einer Analyse der Im- portfunde und der Gräber der Ertebølle-Kultur die Neolithisierung Norddeutschlands und Süd- skandinaviens in erster Linie auf Veränderungen der Sozialstrukturen der hier ansässigen Bevöl- kerungen zurück. Klassen geht bei seiner Analy- se davon aus, dass sich bereits seit dem Spätme- solithikum zunehmend stärker sozial gegliederte Gesellschaften im südwestlichen Ostseeraum herausbildeten. Diese Entwicklung sei vor allem Abb. 1: Wismarbucht, Mecklenburg-Vorpommern. Bathymetrische Karte mit den seit durch Akkulturationsprozesse ausgelöst worden, 1999 entdeckten submarinen urgeschichtlichen Siedlungsplätzen. Punkt 20 markiert die nicht nur durch die südlich angrenzenden die Fundstelle Timmendorf-Nordmole III. altneolithischen Bauernkulturen, sondern in er- 1 Rerik-Riff (Poel 53); 2 Rerik-West 43; 3 Großes Tief-Ostufer (Poel 52); 4 Großes Tief-Ost (Poel 58); 5 Jäckelgrund-Strand (Poel 5); 6 Jäckelgrund-Orth (Poel 42); heblichem Maße auch durch die westlich und 7 Jäckelgrund-Furt (Poel 40); 8 Jäckelberg-Nord (Poel 16); 9 Jäckelberg-Huk (Poel östlich benachbarten Jäger- und Sammlerkul- 45); 10 Jäckelberg-Nordkap (Poel 59); 11 Jäckelberg-NNW (Poel 49); 12 Jäckelberg turen verursacht wurden. Die importierten (Poel 60); 13 Jäckelberg (Poel 61); 14 Schwarzer Busch-West (Poel 18); 15 Flaggtief- Güter hätten dabei zunächst nur symbolischen Nord (Gägelow 10); 16 Timmendorf-Tonnenhaken Süd (Poel 15); 17 Timmendorf- Wert gehabt und vor allem als Statussymbole Tonnenhaken Nord (Poel 57); 18 Timmendorf-Strandwall (Poel 14); 19 Platte-Ost (Gägelow 3); 20 Timmendorf-Nordmole III (Poel 12b); 21 Timmendorf-Nordmole I der neu entstandenen Eliten gedient. Gleichzei- (Poel 12a); 22 Timmendorf-Nordmole II (Poel 47); 23 Tarnewitzer Huk (Boltenha- tig gelangten dadurch zunehmend Kenntnisse gen 5); 24 Hohen Wieschendorfer Huk-Nord (Gägelow 7); 25 Rustwerder-Hals (Poel über produzierende Landwirtschaftstechniken 46); 26 Walfisch-West (Wismarbucht 7); 27 Zierow MF (Wismarbucht 14); 28 Ho- in den Norden, was letztendlich zu einer re- bener Bucht (Wismarbucht 9); 29 Wendorf-Steinort (Wismarbucht 8); 30 Wendorf- lativ kurzfristigen Umstellung des gesamten Yachthafen (Wismarbucht 6). Graphik H. Lübke. Wirtschaftssystems einschließlich aller damit verbundenen Kulturelemente als geschlossenes Paket führte. Die möglichen Einflüsse der im gleichen Zeitraum durch den Meeresspiegelan- den Tierknochenuntersuchungen und Pollen- stieg verursachten erheblichen Umweltverän- analysen (Lange u. a. 1986; Teichert 1989; derungen und deren Folgen für die Ökonomie Lehmkuhl 1992) zufolge trotz der räumlichen werden hingegen nicht diskutiert. Die Analyse Nähe zu den im mittleren Odertal beheimate- folgt damit dem vor allem im angelsächsischen ten altneolithischen Kulturen und trotz nach- Raum derzeit vorherrschenden Forschungstrend weisbarer Kulturkontakte (Terberger 1999; der post-prozessualen Archäologie (vgl. Thomas Lübke u. a. 2000) im Endmesolithikum keine 1988; Hodder 1990; Tilley 1996). Übernahme agrarischer Elemente stattgefunden Im Gegensatz dazu vertreten A. Fischer (2002) haben. Auch in Schleswig-Holstein musste das ebenso wie S. Hartz u. a. (2002; 2007) die Vor- ursprünglich bereits für die ältere Ertebølle- stellung, dass die Neolithisierung nur allmählich Kultur postulierte Auftreten einzelner Hausrin- in mehreren Schritten erfolgte und verbunden der (Hartz u. a. 2000; dies. 2002) aufgrund mit einer längerfristigen sozio-ökonomischen von DNA-Analysen mittlerweile revidiert wer- Umstrukturierung der einheimischen Gesell- den (Scheu u. a. 2008). Es stellt sich somit die schaften erst am Ende des älteren Nordischen Frage, warum sich parallel zur Neolithisierung Frühneolithikums abgeschlossen war. Sie folgen des binnenländischen Mitteleuropa ab 5500 v. damit eher dem von M. Zvelebil und P. Row- Chr. im südwestlichen Ostseegebiet zunächst ley-Conwy (1984) bzw. M. Zvelebil (1998) vor- ein stark auf der Ausbeutung maritimer Res- gestellten Modell, das von einer ausgeprägten sourcen beruhendes spätmesolithisches Jäger, Adaptations- bzw. Substitutionsphase zu Beginn Sammler und Fischer-Wirtschaftssystem etab- des Nordischen Frühneolithikums ausgeht.

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Frühneolithikum in der Wismarbucht fundstreuung davon ausgegangen wurde, dass es sich um eine große Küstensiedlung gehandelt In den Küstengewässern der Mecklenburger haben muss (Lübke 2005a; Klooss u. a. 2009). Bucht sind in den vergangenen 10 Jahren an ver- Tatsächlich handelt es sich jedoch um mindes- schiedenen Lokalitäten unter Wasser gelegene tens zwei räumlich und zeitlich getrennte Stati- Siedlungsplätze des Mesolithikums und Neo- onen (Abb. 3). lithikums entdeckt worden, besonders in der Die Untersuchung von Nordmole III erfolgte Wismarbucht (Jöns u. a. 2007). Dabei konnten in den Jahren 2006 und 2007, als in der ehe- auch Siedlungen des älteren Nordischen Früh- maligen Uferzone ein bis zu 2 m breiter Schnitt Abb. 2: Timmendorf, neolithikums aus der Zeit zwischen 4000 und von 12 m² Fläche freigelegt und insgesamt 7 m Insel Poel. Die Lage der 3500 v. Chr. ausfindig gemacht und erste Un- Uferzonenprofil (Abb. 4) dokumentiert werden steinzeitlichen Sied- tersuchungen durchgeführt werden (Abb. 1). konnten, um primär naturwissenschaftliches lungsplätze Timmen- Von besonderem Interesse sind die Stationen Probenmaterial und exakte stratigraphische An- dorf-Nordmole I–III, Timmendorf-Nordmole III (Poel 12, Ostsee gaben zum damaligen Wasserstand des Meeres- Tonnenhaken-Süd und Tonnenhaken-Nord. Luft- II) und Timmendorf-Tonnenhaken-Süd (Poel spiegels zu erhalten. bild LaKD, Schwerin mit 15, Ostsee II) vor der Westküste der Insel Poel Eintragungen H. Lübke. in der äußeren Wismarbucht (Abb. 2). Der be- nachbarte, wahrscheinlich ebenfalls frühneo- lithische Fundplatz Timmendorf-Tonnenha- ken-Nord (Poel 57, Ostsee II) ist bislang nicht genauer untersucht und kann deshalb nicht be- rücksichtigt werden.

Timmendorf-Nordmole III

Der Siedlungsplatz Timmendorf-Nordmole III (Poel 12b, Ostsee II) befindet sich nördlich der bereits bekannten, von 2000 bis 2002 unter- suchten endmesolithischen Station Timmen- dorf-Nordmole I (Poel 12a, Ostsee II). In den Ortsakten sind beide Plätze noch einheitlich als Fundplatz Poel 12, Ostsee II registriert, da bei der Erstentdeckung aufgrund der Oberflächen-

Fundnummer Labornummer Alter BP Alter calBC ∆13C Herkunft Objekt 1999/661-2718 KIA 31540 5024±35 3834±78 -27,7 N301/E51/A1 Bearbeitetes Holz 1999/661-2846 KIA 31542 5130±34 3899±71 -28,6 N302/E49/A1 Holzstab m. Bindungsrest 1999/661-2883 KIA 31543 5200±33 4009±37 -26,7 N302/E49/A2 Aalstechersprosse 1999/661-2940 KIA 31546 5022±33 3832±78 -26,0 N302/E49/A3 Bearbeitetes Holz 1999/661-2466 KIA 31537 5142±35 3910±73 -28,6 N302/E52/A3 Aalstechersprosse 1999/661-2839 KIA 31541 5142±35 3910±73 -29,4 N301/E52/A3 Spatelförmiges Holzgerät 1999/661-2475 KIA 31538 5029±33 3841±74 -27,6 N302/E51/A3-8 Pfosten 1999/661-2930 KIA 31545 5136±33 3904±71 -24,5 N301/E51/A5 Aalstecher 1999/661-3110 KIA 31548 5243±30 4087±92 -22,5 N302/E48/A5 Aalstechersprosse 1999/661-3382 KIA 31553 5319±33 4132±67 -26,2 N301/E49/A6 Eschenspeer 1999/661-2915 KIA 31544 5182±39 3997±40 -30,4 N301/E51/A7 Angespitzter Holzstab 1999/661-2479 KIA 31539 5956±35 4831±55 -25,9 N302/E54/A7 Angekohltes Holz 1999/661-3313 KIA 31549 5681±45 4517±57 -26,6 N301/E51/A9 Angekohltes Holz 1999/661-3371 KIA 31552 5463±32 4298±41 -27,3 N302/E49/A10 Pfosten 1999/661-3366 KIA 31550 5765±38 4616±59 -30,9 N302/E49/A10 Aalstechersprosse Tab. 1: Timmendorf-Nordmole III (Poel 12b, Ostsee II). Radiokarbondatierungen. Alle in diesem Beitrag aufgeführten 14C- Daten wurden mit dem Programm Calpal von Jöries/Weninger (vgl. Manual Calpal oder www.calpal.de) mit der Kalibrati- onskurve Intcal98 nach Stuiver u.a. 1998 kalibriert. Kalibrierte Daten werden mit calBC angegeben, unkalibrierte 14C-Jahre mit BP. 15 NAU 16 2010

Ein wesentliches Ergebnis dieser Untersuchung Funden der endmesolithischen Ertebølle-Kul- ist, dass die in den oberen Schwemmsand- und tur. Diese datieren bereits zwischen 4600 und Schwemmtorfschichten abgelagerten Kulturres- 4500 calBC und sind damit älter als die auf te bereits in den Zeitraum 4000 bis 3800 calBC der ca. 100 m weiter südlich gelegenen Station datieren und damit zur bislang nur in Osthol- Nordmole I nachgewiesenen Fundschichten der stein nachgewiesenen Wangels-Rosenhof-Grup- jüngsten Ertebølle-Kultur, die ein Alter zwi- pe der frühneolithischen Trichterbecherkultur schen 4500 und 4100 calBC aufweisen (Tab. 1 gehören. Unter den frühneolithischen Kultur- u. Abb. 5). schichten folgte zunächst eine, nur wenige ar- Eine detaillierte Auswertung der wiederum chäologische Funde enthaltende marine Mudde zahlreichen Flintartefakte steht noch aus. und schließlich eine weitere Kulturschicht mit Grundsätzlich besteht aber der Eindruck, dass der Anteil regelmäßiger Klingen im Artefaktbe- stand geringer wird, auch wenn die Klingenge- räte (Kratzer, Endretuschen, Kantenretusche) selbst meist noch aus entsprechenden Grund- Abb. 3: Timmendorf, Insel formen hergestellt werden. Daneben sind aber Poel. Lage der Siedlungs- plätze Timmendorf-Nord- bereits Abschlagkratzer und -bohrer vertreten. mole I und III. Übersichts- Auffällig ist vor allem, dass sich das Zahlen- plan der Ausgrabungsflä- verhältnis von Scheibenbeilen zu querschnei- chen mit Bathymetrie des digen Pfeilspitzen im Vergleich zu Nordmole I Untersuchungsgebietes. ins Gegenteil verkehrt. Während Scheibenbeile Graphik J. Freigang / H. Lübke. nur noch in geringer Zahl auftreten, bilden die Pfeilschneiden die dominierende Geräteform im Bestand des Fundplatzes Nordmole III. Die wenigen, mehr oder weniger stark abgeroll- ten Keramikscherben unterschieden sich deut- lich von der dickwandigen, grob gemagerten Ertebølle-Keramik des Fundplatzes Nordmole I, einzelne charakteristische Randscherben sind der frühen Trichterbecherkultur zuzuweisen (Glykou in Vorber.). Hervorzuheben sind die ausgezeichnet erhal- tenen Holzgerätschaften, unter denen vor allem Reste von hölzernen Aalstechern dominieren Abb. 4: Timmendorf- (Klooss 2010). Sie sind als ein deutlicher Hin- Nordmole III (Poel 12b, Ostsee II). Fläche 3, weis auf die Bedeutung des Fischfangs an dieser Profil E 48–55 über N Fundstelle zu werten. 303. Graphik J. Frei- gang / H. Lübke.

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Abb. 5: Gruppierung aller Radiokarbondaten der mesolithischen und frühneolithischen Küstensiedlungsplätze vor Timmendorf- Strand, Insel Poel. Radiokarbondaten Tonnenhaken-Süd vgl. Tab. 4; Nordmole III Tab. 1; Nordmole I und Nordmole II vgl. Lübke 2005a; Hartz/Lübke 2005. Die Grafik wurde unter Verwendung des Programms Calpal von öriesJ /Weninger (vgl. Manual Calpal oder www.calpal.de) mit der Kalibrationskurve Intcal98 nach Stuiver u.a. 1998 erstellt. Graphik H. Lübke.

Das gut erhaltene, aber kleinteilige Tierkno- des Lebensraums der Fische sind jedenfalls nicht chenmaterial umfasst Funde von Fischen nachzuweisen: Die mit der FERI-Methode ermit- (n=2459), Amphibien (n=2), Reptilien (n=2), telten Salinitätsindizes liegen in den einzelnen Vögeln (n=326) und Säugetieren (n=228) und Fundhorizonten einheitlich um 0,70 und auch ermöglicht recht detaillierte Einblicke in die die den Gewässergrund charakterisierenden In- ökonomische und ökologische Situation der dizes weisen keine auswertbaren Abweichungen frühneolithischen Siedler (Tab. 2). vom Wert 0,69 auf (vgl. Schmölcke/Ritchie So sind deutliche Unterschiede im prozentualen 2010). Damit war das befischte Gewässer offen- Anteil der nachgewiesenen Fischarten zwischen bar durchgängig sandig und relativ marin, wenn den endmesolithischen und frühneolithischen auch der Salinitätswert im Vergleich zur Vor- Schichten zu verzeichnen (Abb. 6). Während gängersiedlung Nordmole I etwas abgesunken in den unteren Schichten von Nordmole III die ist (Abb. 7). Insgesamt ist jedoch festzuhalten, meisten Funde von Aalen (Anguilla anguilla) dass die neolithischen Bewohner von Nordmole stammen, dominieren in den oberen Schichten III wie ihre Vorfahren küstennahe Meeresbe- Dorsche (Gadus morhua). Die relativen Häu- reiche zum Fischfang nutzten. Auch die Inten- figkeiten der wichtigsten Fischarten in den un- sität des Fischfanges hat sich vermutlich nicht teren Schichten gleichen den Verhältnissen von geändert, jedenfalls gibt es – mit Ausnahme der der benachbarten mesolithischen Fundstelle fundarmen marinen Mudde zwischen der meso- Nordmole I (Schmölcke 2004; Schmölcke u. lithischen und der neolithischen Schicht – keine a. 2007). Die jüngeren Fundschichten schei- wesentlichen Veränderungen in der Quantität nen eine stetige Zunahme der Dorschfischerei der Fischknochen in den aufeinander folgenden anzuzeigen, einhergehend mit einer sich ver- Abträgen. Die Größe der Fischknochenfunde mindernden Bedeutung des Aalfanges (Abb. 7, kann als Hinweis auf mehrere, gleichzeitig ge- unten). Die Bedeutung der übrigen Arten, vor nutzte Fischfangtechniken interpretiert werden: allem die der Schollenfische (Pleuronectidae) Die angelandeten Dorsche maßen bei einer bleibt etwa konstant und nachrangig. Spanne von 25–65 cm im Durchschnitt etwa 40 Vermutlich sind die Differenzen zwischen den cm (Grundlage: n=232 Vertebrae), sie scheinen älteren und jüngeren Besiedlungsphasen auf also in Anbetracht der Vermutung, dass jünge- veränderte saisonale Schwerpunkte der Fischerei re, kleinere Dorsche in Küstennähe gelebt haben oder auf die Benutzung anderer Fischfangtech- dürften, selektiv ab einer gewissen Mindestgrö- nologien zurückzuführen, wie es die Abkehr von ße durch die Fischer ausgewählt worden zu sein. einer intensiven Nutzung von Aalstechern ge- Gleichzeitig finden sich in der neolithischen wesen sein könnte. Wesentliche Veränderungen Schicht Reste kleinwüchsiger Arten und Indivi- 17 NAU 16 2010

Fische NISP (n) NISP (%) Vögel NISP (n) NISP (%) Gadus morhua (M) 1150 46,8 Anatinae 314 95,4 Anguilla anguilla (F/M) 735 29,9 (Bucephala clangula 75) Pleuronectidae (M) 493 20,9 (Mergus albellus 38) (Platichthys flesus 19) (Aythya fuligula 28) (Pleuronectes platessa 2) (Mergus serrator 13) Salmo trutta (F/M) 16 0,7 (Clangula hyemalis 7) Perca fluviatilis(F) 10 0,4 (Mergus mergaster 7) Clupea harengus (M) 8 0,3 (Anas clypeata 5) Zoarces viviparus (M) 8 0,3 (Aythya farina 5) Gasterosteus aculeatus (F/M) 6 0,2 (Aythya marila 4) Sander lucioperca (F) 5 0,2 (Melanitta fusca 3) Conger conger (M) 3 0,1 (Anas acuta 1) Myoxocephalus scorpius (M) 3 0,1 (Somateria mollissima 1) Tinca tinca (F) 1 0,1 (Anas crecca 1) Summe 2459 100 (Tadorna tadorna 1) (Anas platyrhynchos 1) (Aythya sp. 1) Säugetiere NISP (n) NISP (%) (Anas querquedula 1) Phocidae 53 28,5 (Melanitta nigra 1) (Halichoerus grypus 6) Cygnus Cygnus 3 0,9 (Phoca groenlandica 6) Gavia arctica 2 0,6 Capreolus capreolus 43 18,9 Branta bernicla 1 0,3 Arvicola terrestris 40 17,5 Branta leucopsis 1 0,3 Sus scrofa 16 7,0 Podiceps cristatus 1 0,3 Canis lupus f. familiaris 11 4,8 Rallus aquaticus 1 0,3 Cervus elaphus 9 3,9 Grus grus 1 0,3 Sus scrofa (f. domestica?) 8 3,5 Laridae 1 0,3 Vulpes vulpes 7 3,1 Haliaeetus albicilla 1 0,3 Tab. 2: Wirbeltierartenliste Felis silvestris 6 2,7 Bubo bubo 1 0,3 vom Fundplatz Timmen- Martes martes 6 2,7 Ciconia sp.? 1 0,3 dorf-Nordmole III. Fundzahl Apodemus flavicollis 5 2,3 Alcidae? 1 0,3 (NISP) und Fundanteile. Bei Talpa europaea 2 0,9 Summe 326 100 den Fischarten ist ihr bevor- Canis/Vulpes 2 0,9 zugter Aufenthaltsraum ange- Lutra lutra 1 0,4 Amphibien NISP (n) geben: Meer (M), wandernd Sciurus vulgaris 1 0,4 Bufo calamita 1 (F/M), Süßwasser (F). Es ist Sorex araneus 1 0,4 Rana sp. 1 zu beachten, dass in dieser Myodes glareolus 1 0,4 Summe 2 Tabelle keine Differenzierung Micromys minutus 1 0,4 zwischen Funden aus meso- lithischen und neolithischen Bos primigenius f. taurus 1 0,4 Reptilien NISP (n) Horizonten vorgenommen Summe 228 100 Emys orbicularis 2 worden ist. Summe 2

duen wie Dreistacheliger Stichling (Gasterosteus lucioperca) nachweisen. Wirtschaftlich scheinen aculeatus) und Aalmutter (Zoarces viviparus), sie aber von untergeordneter Bedeutung gewe- was auf unselektive Methoden des Fischfangs sen zu sein. deuten könnte. In die gleiche Richtung weist Auch bei den Säugetieren fallen Differenzen auch das relativ breite Artenspektrum. Die ne- zwischen der Fundzusammensetzung der me- olithischen Fischer von Nordmole III nutzten solithischen und der neolithischen Schicht auf. außer Dorsch, Schollenfischen und Aalen auch Bezeichnend ist die abnehmende Bedeutung der die beiden erwähnten kleineren Arten. Wie Robben (Phocidae), von denen Kegelrobben auch im Material des Hauptfundplatzes der (Halichoerus grypus) und Sattelrobben (Phoca mesolithischen Vorgängersiedlung Nordmole I groenlandica) nachzuweisen sind. Wie auf dem lassen sich für die neolithischen Schichten von Hauptfundplatz Nordmole I sind auch hier in Nordmole III mit jeweils wenigen Stücken Fo- den entsprechenden Schichten Robben mit Fund- relle/Lachs (Salmo sp.), Hering (Clupea haren- anteilen zwischen 40% und 50 % prominent gus), Flussbarsch (Perca fluviatilis), Seeskorpion vertreten (Abb. 8). Dies steht nicht nur mit dem (Myoxocephalus scorpius) und Zander (Sander Hauptfundplatz in Übereinstimmung – dort be-

18 Timmendorf-Nordmole III und der Neolithisierungsprozess an der südwestlichen Ostseeküste trägt der Anteil der Robben am Jagdwild 34 % offenbar zur Zeit der Besiedlung ein Haffsee (n=702) –, sondern auch mit dem zeitgleichen erstreckt haben muss. Die Kulturschicht folgt Fundplatz Neustadt auf der gegenüberliegenden dem Verlauf des pleistozänen Untergrundes und Seite der Mecklenburger Bucht, auf dem etwa wird im Beckeninneren zunehmend von Torf- 38 % der Säugetierknochen von Robben stam- und Muddeschichten überlagert. men (Schmölcke u. a. 2007). Zu den 1999 und 2001 geborgenen Funden Hervorzuheben ist ein einzelner Rinderzahn, gehören neben verschiedenen Flintgeräten wie der aufgrund seiner relativ geringen Größe von Pfeilschneiden, Abschlagkratzern und kräfti- Abb. 6: Timmendorf- einem domestizierten Tier stammen könnte. gen Rückenmessern mehrere Keramikscherben. Nordmole III, Anteil Dies wäre – abgesehen von Hundeknochen – Darunter befinden sich auch Randscherben der drei häufigsten Arten(gruppen) in den der erste Nachweis eines Haustieres in Timmen- mit einer einfachen Reihe rechteckiger Einsti- einzelnen Abträgen vom dorf-Nordmole und damit der bislang älteste in che unter dem Rand, die auf eine späte Phase Liegenden (Abtrag 1) Mecklenburg. Allerdings legen genetische Un- des älteren Frühneolithikums (FN 1c) hin- zum Hangenden (Abtrag tersuchungen die Existenz ungewöhnlich klei- weisen (Lübke 2002, Abb. 7). Bei den ersten 6) in den beiden Plan- ner weiblicher Auerochsen im norddeutschen Tauchgängen konnten nur kleinräumige Ar- quadraten N302/E52 (oben) und N302/E53 Küstengebiet nahe (Scheu u.a. 2008). Auch tefaktkonzentrationen lokalisiert werden, eine (unten). Im Planquad- im vorliegenden Falle wird nur eine genetische deutlich veränderte Situation wurde jedoch im rat N302/E53 sind Untersuchung des Fundes endgültigen Auf- die Abträge 4 und 5 schluss darüber geben können, ob er von einem aufgrund der geringen Tier der wilden oder der domestizierten Form Fischknochenzahl nicht aussagekräftig. Graphik stammt. Gleiches gilt auch für einige Knochen, U. Schmölcke. die aufgrund ihrer Größe oder Morphologie nicht eindeutig der Haus- oder Wildtierform des Schweines zuzurechnen sind.

Timmendorf-Tonnenhaken-Süd

Der Fundplatz Timmendorf-Tonnenhaken-Süd (Poel 15, Ostsee II) wurde bereits 1999 ent- deckt und befindet in etwa 2 m Wassertiefe. Erste Sondagen erfolgten dort im Jahre 2001 (Lübke 2002). Die Artefakte lagen an der Ab- bruchkante einer ausstreichenden Torfschicht unmittelbar unter der Oberfläche in einer ca. 15 cm mächtigen Kulturschicht im oberen Bereich eines Seggen-Schilftorfes, der direkt über dem anstehenden mineralischen pleistozänen Unter- grund folgt. Bemerkenswert ist, dass der pleis- tozäne Untergrund nicht nach Westen in Rich- tung der heutigen Bucht, sondern nach Osten in Richtung des heutigen Ufers abfällt, wo sich

Abb. 7: Entwicklung der Salinität in der Wismarbucht vom 7.–4. Jahrtausend v. Chr. Dargestellt ist der FERI-Wert, ein Index, der auf den Salzge- haltsansprüchen der jeweils nachgewiesenen Fischartengemeinschaft beruht (Schmölcke/ Ritchie 2010). Gra- phik U. Schmölcke.

19 NAU 16 2010

Abb. 5). Die drei Proben, die von an der Ober- fläche der anstehenden Torfbank aufgelesenen Tierknochen stammen, ergaben jedoch keine einheitlichen Datierungsergebnisse. Wenn die Proben aufgrund der Lage nicht mit jüngerem Kohlenstoff kontaminiert waren, müsste der Fundplatz im Verlauf des Neolithikums mehr- fach aufgesucht worden sein. Dafür lassen sich aber im archäologischen Fundmaterial bislang keinerlei Hinweise finden, da es einen einheit- lichen frühneolithischen Charakter aufweist. Abb. 8: Timmendorf-Nordmole III, Anteil der Robben (Phocidae) an den Säugetier- Hier müssen weitere Untersuchungen zur Klä- knochen in den einzelnen Abträgen vom Liegenden (Abtrag 1) zum Hangenden (Ab- rung des Sachverhaltes beitragen. trag 9). Kleinsäuger und Hund sind nicht berücksichtigt. Graphik U. Schmölcke. Wahrscheinlich handelt es sich bei Timmen- dorf-Tonnenhaken-Süd nicht um einen großen Siedlungsplatz, sondern um eine kurzfristig ge- nutzte, kleinräumige Siedlungseinheit, die nicht Säugetiere MIZ (n) Alter zum Meer, sondern zu einem dahinter gelegenen Phocidae 5 3 adult, 2 juvenil Haffsee orientiert war. Die ausstreichende Torf- Capreolus capreolus 3 1 adult, 2 subadult bank markiert dessen westliches Ufer, während Sus scrofa (f. domestica?) 3 je 1 adult, subadult, juvenil sich der östliche Teil als Niederungsgebiet hinter Canis lupus f. familiaris 1 adult dem Strandwall und Dünenzug befindet, der die Cervus elaphus 2 je 1 adult, subadult heutige Küstenlinie bildet. Da sich im Westen Vulpes vulpes 1 adult vor der Torfbank heute großflächig abradierte Felis silvestris 1 adult Mergelbänke befinden, muss sich hier zur Zeit Martes martes 1 adult der neolithischen Besiedlung eine Halbinsel er- Lutra lutra 1 adult streckt haben, die im Norden wahrscheinlich Sciurus vulgaris 1 adult einen Anschluss an das frühere Festland besaß. Bos primigenius f. taurus 1 adult Im Süden lag eine geschützte Bucht, an deren Summe 20 Ufer die älteren, mesolithischen Fundplätze Nordmole I und Nordmole III gelegen hatten. Tab. 3: Timmendorf-Nordmole III, Mindestindividuenzahl (MIZ) der wirtschaftlich relevanten Säugetierarten im neolithi- Die Auswertung des archäozoologischen Fund- schen Schichtpakt und – darauf bezogen – deren Altersstruktur. materials zeigt, dass es sich bei den wenigen Säugetierknochen, anders als bei den älteren Nordmole-Plätzen, ausschließlich um Überreste von domestizierten Tieren wie Rind oder Haus- Jahr 2007 angetroffen, als aus nicht bekannten schwein handelt. Während Meeressäuger bislang Gründen der Seegrasbestand deutlich zurückge- nicht nachgewiesen sind, scheint der Fischfang gangen war. Damals und bei einer umfassenden weiterhin eine Rolle gespielt zu haben. Die 46 Prospektion im Sommer 2008 zeigte sich, dass geborgenen Fischknochen stammen von Schol- der Fundplatz Tonnenhaken-Süd eine größere lenfischen (Pleuronectidae, n=26; MIZ [Min- Ausdehnung hat als zuvor angenommen und destindividuenzahl] 2), Flussbarschen (Perca vor allem nördlich der 2001 eingebrachten fluviatilis, n=12; MIZ 4), Seeskorpion (Myoxo- Sondageschnitte weitere gut erhaltene Fund- cephalus scorpius, n=7; MIZ 1) und Aal (Anguil- schichten vorhanden sind. Zu den Neufunden la anguilla, n=1). Dabei handelt es sich, abgese- aus diesem Bereich zählt u. a. ein Felsgesteinbeil hen von 10 Kopfknochen von Schollenfischen, (Abb. 9), das in seiner Formgebung den klas- ausschließlich um Wirbel. Die Größe der vier sischen dickblattig-dünnnackigen Flintbeilen nachweisbaren Flussbarsche betrug nach Maß- der frühneolithischen Trichterbecherkultur ent- gabe ihrer Wirbellänge etwa 20 cm, 25 cm, 30 spricht. Ein entsprechendes Schneidenfragment cm und 35 cm, und in den Bereich 25–30 cm stammt im Übrigen als Oberflächenfund aus fallen auch die Schollenknochen. Drei Fisch- dem nördlichen Randbereich von Nordmole I knochen, zwei Schollenwirbel und ein Wirbel (Abb. 10). vom Seeskorpion weisen Spuren von Hitzeein- Zur Überprüfung des archäotypologischen wirkung auf. Alle vier Gruppen oder Fischarten Datierungsansatzes wurden insgesamt drei Ak- können sowohl im küstennahen Meer als auch zeleratordatierungen durchgeführt (Tab. 1 u. im Haffsee erbeutet worden sein.

20 Timmendorf-Nordmole III und der Neolithisierungsprozess an der südwestlichen Ostseeküste

Die Wirtschaftsweise der Älteren einen hohen Anteil von Wildtierknochen im ar- Trichterbecherkultur im chäozoologischen Fundmaterial kenntlich sind südwestlichen Ostseegebiet (Hoika 1993; Lübke 2000; Steffens 2005). Aus Dänemark sind zudem jägerisch geprägte Robbenjagd war offensichtlich während der aus- frühneolithische Küstenstationen vom Typ Hes- gehenden Ertebølle-Kultur von herausragender selø/Sølager bekannt (Skaarup 1973), die einen Bedeutung für die Bewohner der Küstensied- hohen Anteil von Meeressäugerknochen im lungen im südwestlichen Ostseegebiet, verlor Faunenmaterial aufweisen. Um eine solche Küs- mit dem Einsetzen der Neolithisierung jedoch tenjagdstation der ältesten Trichterbecherkultur rasch und wesentlich an Relevanz. In der älteren dürfte es sich den bisherigen archäologischen frühneolithischen Schicht von Nordmole III be- und archäozoologischen Analysen zufolge auch trägt der Robbenanteil noch 50 %, in den jün- bei Timmendorf-Nordmole III handeln. Auffäl- geren Schichten sinkt er auf nur noch 13 %, und lig sind jedenfalls die Ähnlichkeiten mit Hesselø auf den früh-trichterbecherzeitlichen Plätzen und Sølager, die vermutlich ebenso vor allem Siggeneben-Süd und Wangels in Ostholstein zur Jagd auf Robben aufgesucht wurden. Daher fällt er dann unter 5 % (Heinrich 1997/98). Im unterscheidet sich der Fundplatz Nordmole III weiteren Verlauf des Nordischen Frühneolithi- deutlich in seiner ökonomischen Struktur von kums sind Robben weiterhin stetig auf den küs- den bisher aus Norddeutschland bekannten tennahen Siedlungsplätzen nachzuweisen, doch Stationen aus dem Übergangsbereich zwischen ihre wirtschaftliche Bedeutung bleibt minimal Mesolithikum und Neolithikum. Diese Unter- (siehe bereits Møhl 1971). Offenbar lässt sich schiede sind ein Beleg dafür, dass im Bereich der dieser jagdkulturelle Wandel in Nordmole III Mecklenburger Bucht ähnlich wie bei der jünge- fassen, wenngleich die Gesamtzahl der auswert- ren Ertebølle-Kultur (Klooss u. a. 2009) auch baren Säugetierknochen in den einzelnen Fund- für die älteste Trichterbecherkultur ein differen- horizonten für sichere Rückschlüsse und Inter- ziertes Siedlungsmuster mit unterschiedlichen pretationen recht gering ist. Doch belegt auch Basis- und Funktionsplätzen vorauszusetzen ist. die im Vergleich zum übrigen Jagdwild hohe Auch wenn die wenigen bekannten Funde der Mindestindividuenzahl der für die Nutzung Fundstelle Tonnenhaken-Süd als Datengrund- durch den Menschen relevanten Säugetierarten, lage für weitere Aussagen aufgrund ihrer ge- dass Robbenjagd während des frühesten Neoli- ringen Anzahl kaum aussagekräftig sind, wäre thikums zunächst noch bedeutsam für die Sied- beim jetzigen Kenntnisstand anzunehmen, dass ler von Nordmole III war (Tab. 3). Die Tabelle die bisher vorhandenen Jagdstationen vor der zeigt außerdem, welch untergeordneten Rang die Jagd auf größere Landtiere wie Rothirsch, Wildschwein oder Auerochse hatte. Letztere Art fehlt im Fundmaterial gänzlich. Während die Hauptphase der Trichterbecher- kultur des Nordischen Jüngeren Früh- und Älteren Mittelneolithikums (ca. 3500–3000 v. Chr.) durch Monumentalität, differenzierte Siedlungsmuster und soziale Komplexität ge- kennzeichnet ist, wird ihre von 4100–3500 v. Chr. andauernde Frühphase noch durch eine Siedlungs- und Wirtschaftsweise charakteri- siert, die in starkem Maße an die Tradition der endmesolithischen Ertebølle-Kultur anknüpft. Erst um 3500/3400 v. Chr. lässt sich intensiver Pflanzenanbau mit einer Auflichtung der dama- ligen Waldlandschaften pollenanalytisch nach- weisen (Wiethold 1998; K alis u. a. 2003). Haustierhaltung andererseits ist bereits auf den ältesten aus Ostholstein bekannten Küsten- siedlungsplätzen der Wangels/Rosenhof-Grup- pe nachweisbar (Heinrich 1997/98). Daneben wurden allerdings insbesondere im Binnenland Abb. 9: Timmendorf-Tonnenhaken-Süd (Poel 15, Ostsee II). Fels- weiterhin Jagdstationen unterhalten, die durch gesteinbeil. Foto H. Lübke. 21 NAU 16 2010

Fundnummer Labornummer Alter BP Alter calBC δ13C Herkunft Objekt 1999/664-0004 KIA-16021 4544±29 3238±101 -22,8 Oberfläche Torf Tierknochen 2001/1302-0033 KIA-16022 5076±36 3873±59 -21,9 Oberfläche Torf Tierknochen 2001/1302-0034 KIA-16023 4111±26 2719±109 -23,3 Oberfläche Torf Tierzahn

Tab. 4: Timmendorf-Tonnenhaken-Süd (Poel 15, Ostsee II). Radiokarbondatierungen.

Westküste der Insel Poel erst im weiteren Ver- späten Ertebølle- und frühen Trichterbecher- lauf des Frühneolithikums zugunsten stärker kultur freigelegt werden konnte (Hirsch u. a. landwirtschaftlich ausgerichteter Siedlungen 2007; Klooss/Klooss 2009). Eine Analyse aufgegeben wurden. des archäozoologischen Materials ergab, dass auch hier mit Beginn der Trichterbecherkultur Inwieweit sich eine solche Entwicklung auch erste Haustiere nachweisbar sind (Hegge 2010). im östlichen Landesteil Vorpommern vollzieht, Allerdings fehlt es an weiteren Fundplätzen mit ist mangels Untersuchungen entsprechender geeignetem archäozoologischem Vergleichsma- Siedlungsplätze im Feuchtbodenmilieu nur be- terial, welches Aussagen zu einer differenzierten dingt nachvollziehbar. Bemerkenswert ist aber, Siedlungsweise ermöglichen würde. dass mehrere Robbenknochen der Fundstelle Prohn 15, Lkr. Nordvorpommern (Lehmkuhl Insgesamt gesehen deuten die bisher vorhan- 1992) aufgrund von Radiokarbonanalysen in denen Informationen darauf hin, dass im wirt- das Frühneolithikum zu datieren sind und eine schaftshistorischen Sinne in den älteren Phasen anhaltend jägerische Nutzung der marinen Ge- der Trichterbecherkultur noch nicht von voll- wässer auch in dieser Region belegen (Lübke/ neolithischen Gruppen ausgegangen werden Terberger 2005). Die 2002 untersuchte Fund- kann. Für wirklich belastbare Interpretatio- stelle Stralsund-Mischwasserspeicher lieferte nen ist das Fundmaterial allerdings zu wenig zwar einen frühneolithischen Einbaum von umfangreich. Vielleicht werden eines Tages etwa 11 m Länge, ansonsten aber nur in sehr weitere Prospektionen oder Ausgrabungen vor geringem Umfang weiteres Fundmaterial (Kau- Timmendorf zusätzliche Materialbergungen te u. a. 2005; Lübke 2005b; Klooss/Lübke ermöglichen. Dies wäre insbesondere am Platz 2009). Anders verhält es sich hingegen bei der Nordmole III wünschenswert, ist doch dort der im Sommer 2005 infolge eines Deichbaues Übergang zwischen Ertebølle- und Trichterbe- untersuchten Fundstelle Baabe 2, Lkr. Rügen, cherkultur relativ übersichtlich und bei guter bei der ein umfangreiches Schichtenpaket der Funderhaltung fassbar.

Anschrift der Verfasser

Dr. Harald Lübke Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf Schlossinsel 1 24837 Schleswig [email protected]

Dr. Ulrich Schmölcke Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf Abb. 10: Timmendorf-Nordmole I (Poel 12a, Ostsee II). Schneidenfragment eines Schlossinsel 1 dünnnackig-dickblattigen Flintbeils mit Vollschliff. Oberflächenfund aus dem Rand- 24837 Schleswig bereich des Siedlungsareals. Zeichnung J. Freigang. [email protected]

22 Timmendorf-Nordmole III und der Neolithisierungsprozess an der südwestlichen Ostseeküste

Fundnummer Labornummer Alter BP Alter calBC δ13C Herkunft Objekt Literatur spätmesolithischen und frühneolithischen Fund- plätze Baabe und Lietzow-Buddelin. Diplomarbeit, 1999/664-0004 KIA-16021 4544±29 3238±101 -22,8 Oberfläche Torf Tierknochen Fischer 2002: A. Fischer, Food for Feasting? An Universität Kiel. 2001/1302-0033 KIA-16022 5076±36 3873±59 -21,9 Oberfläche Torf Tierknochen Evaluation of Explanations of the Neolithisation of Heinrich 1997/98: D. Heinrich, Die Tierknochen Denmark and Southern Sweden. In: A. Fischer/K. 2001/1302-0034 KIA-16023 4111±26 2719±109 -23,3 Oberfläche Torf Tierzahn des frühneolithischen Wohnplatzes Wangels LA 505. Kristiansen (eds.), The Neolithisation of Denmark. Ein Vorbericht. Offa 54/55, 1997/98, 43–48. 150 Years of Debate (Sheffield 2002) 343–349. Hirsch u. a. 2007: K. Hirsch/S. Klooss/R. Klooss, Glykou in Vorb.: A. 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23 NAU 16 2010

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24 Funktionen von Inseln in der limnischen Kulturlandschaft Norddeutschlands – Vorbericht zu einem interdisziplinären Forschungsprojekt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Functions of islands in the limnic cultural landscape of Northern Germany – preliminary report on an interdisciplinary research project at the Christian-Albrechts-Universität Kiel

Ralf Bleile, Ulrich Müller, Walter Dörfler, Florian Huber, Phillip Lüth, Ines Reese und Magdalena Wieckowska

Zusammenfassung Begehungen, Tauchuntersuchungen, Bohrungen und Ausgrabungen auf und vor mehr als 30 Inseln in einem 20 x 30 km großen Seegebiet in Schleswig-Holstein lieferten Hinweise auf die Einbindung dieser abgelegenen Orte vor allem in die steinzeitliche und slawenzeitliche jedoch ebenso in die bronzezeitliche und eisenzeitliche Kulturlandschaft. Studien zur Siedlungsentwicklung im gesamten Untersuchungsgebiet und die im Rahmen dieses Projektes erstellten Wasserspiegelkurven sollen es in der Zukunft ermöglichen, naturräumliche und kulturelle Faktoren herauszuarbeiten, die sowohl die ermittelten kontinuierlichen als auch die diskontinuierlichen Inselnutzungen beeinflussten. Ziel des Projektes ist es schließlich, prägende Faktoren der Inselnutzungen zu erkennen und diese Orte als strukturelle Komponente der limnischen Kulturlandschaft herauszustellen.

Abstract Inspections, diving examinations, bores and excavations on land and off the shores of more than 30 islands in a 20 x 30 km sea area in Schleswig-Holstein, offered evidence of integration of these remote places in the cultural landscapes – in particular in the Stone Age and the Slavic period but also in the Bronze and Iron Ages. Studies on the development of settlements in the whole investigated area and the water level graphs compiled within the framework of this project, should in the future enable elaboration on the natural environmental and cultural factors, which influenced both, the ascertained continuous and discontinuous island utilisation. The aim of the project, in the long run, is to recognise distinctive factors of the island’s utilisation and to emphasise these places as structural components of the limnic cultural landscape. Translation Jamie Mcintosh

Einleitung Noch immer besteht allerdings gegenüber den traditionsreichen Forschungen zu neolithischen Seit jeher zieht es den Menschen an Seen und und bronzezeitlichen Seeufersiedlungen des Al- Flüsse: sie bieten Nahrungsressourcen, sind penraumes (Menotti 2004) oder den irischen Wege für Kommunikation und Gütertausch, und schottischen lake-settlements und Cran- heilige Orte, Siedlungs- und Rückzugsregionen. nogs (O´Sullivan 1998; H ale 2004) Nachhol- Durch ihre vielfältige Nutzung entstanden lim- bedarf. nische Kulturlandschaften. Im Gegensatz zur Das Forschungsprojekt „Funktionen von In- maritimen Kulturlandschaft des Nord- und seln in den Binnengewässern der holozänen Ostseeraumes, die spätestens seit den program- Siedlungslandschaft Schleswig-Holsteins“ am matischen Schriften Christer Westerdahls (zu- Lehrstuhl für frühgeschichtliche Archäologie sammenfassend: 1997) Gegenstand diachroner des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der und synchroner Studien ist, sind die Binnenge- Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), wässer Norddeutschlands erst in jüngerer Zeit das seit 2007 von der DFG gefördert wird, leis- mit Blick auf Inselnutzungen und die Entwick- tet sowohl einen Beitrag zur interdisziplinären lung von Flusslandschaften in den Fokus ge- Umweltforschung, als auch zur Kulturland- rückt (zusammenfassend: Gringmuth-Dall- schaftsforschung, indem es archäologische, mer 2007; Biermann 2007; Bleile 2008). historische, palynologische und pedologische 25 NAU 16 2010

Abb. 1: Ostholsteinische Seen- platte mit Darstellung der wichtigsten Seen im Arbeitsge- biet (Grafik Ph. Lüth, Kiel).

Methoden und Quellen bündelt und unter den zielten meist auf die Analyse spätglazial-holo- zentralen Fragestellungen nach den holozänen zäner Entwicklungen (z.B. Kaiser 2001; Lo- Wasserspiegelschwankungen und der Nutzung renz 2007). Sie sind häufig aus der Perspektive von Inseln auswertet1. Hauptziel der diachron der Inselnutzungen nur bedingt aussagekräftig, angelegten Untersuchung ist es, Ursachen für da die betreffenden Perioden selten hochauflö- die Nutzung von Inseln anhand exemplarischer send herausgearbeitet wurden. Gewässerregionen herauszuarbeiten und die- In diesem Forschungsprojekt geht es vorrang- jenigen Kriterien zu erfassen, die Aufschlüsse ig darum, Fundplätze auf Inseln in Binnen- über die Funktion der Inselnutzungen geben gewässern zu lokalisieren, zu datieren, zu cha- können. Die Konzeption des Projektes basiert rakterisieren und in die Siedlungslandschaft auf den vielfältigen Hinweisen zu Inselnut- einzuordnen. Palynologische, pedologische und zungen im Verlaufe des Holozäns, die durch archäologische Informationen flossen in die Er- die Feuchtboden- und Unterwasserarchäologie stellung von Wasserspiegelkurven ein. Durch in Europa zutage gefördert wurden. So spiegeln den Vergleich der gewonnenen Erkenntnisse mit beispielsweise die slawischen Inselburgen in ähnlichen Erscheinungen im zirkumbaltischen Norddeutschland, die Crannogs in Irland und Raum, im Alpenraum und in der irischen und Schottland oder die Inselsiedlungen des Alpen- schottischen Seenlandschaft werden prägende raumes kulturelle Reaktionen auf ökonomische, Faktoren einer Inselnutzung eingegrenzt und ökologische und soziologische Prozesse, die in diese Orte als strukturelle Komponente der lim- der Gewässerlandschaft einen Niederschlag ge- nischen Kulturlandschaft herausgestellt. funden haben. Sie sind signifikante Bestandteile einer limnisch geprägten Kulturlandschaft. Wie Mehr als 360 Seen prägen die Jungmoränen- bei der internationalen Tagung „Inseln in der landschaft Schleswig-Holsteins besonders in den Archäologie“ deutlich wurde, fehlt es allerdings Landkreisen Ostholstein, Plön und Segeberg nicht nur in Norddeutschland an einer diachro- (Stähr 1998). Sie sind zumeist im Spätglazial nen Zusammenführung solcher Befunde (Inseln entstanden, als die Gletscher der Weichselkalt- 2000). Paläohydrologische Studien fokussierten zeit abschmolzen. Gletscherzungenbecken, Tot- selten den Zeitraum einer Inselnutzung, sondern eislöcher und ausgekolkte Schmelzwasserrinnen füllten sich seit dem Präboreal mit Wasser. Mit dem Boreal beginnt ein bis heute anhal- 1 Antrag DFG Mu 1077/9-2 durch U. Müller (Kiel), R. tender Seespiegelanstieg, der im Atlantikum Bleile (Schleswig), W. Dörfler (Kiel). Siehe auch uberH / Lüth/Wieckowska 2009a; dies. 2009b; Wieckowska/ eine Geschwindigkeit von 1–2 m pro Jahrtau- Lüth/Huber 2009; www.inselnutzungen.uni-kiel.de. send erreichte. Waren bis zum Subatlantikum

26 Funktionen von Inseln in der limnischen Kulturlandschaft Norddeutschlands

Klimaschwankungen und geomorphologische Ermittlung wechselnder Wasserstände einflos- Veränderungen für sinkende oder steigende See- sen. Die Methodik der von November 2007 bis spiegel verantwortlich, so sind spätestens ab die- Oktober 2008 andauernden Geländearbeiten sem Abschnitt auch die Folgen anthropogener ist als amphibisch zu bezeichnen, denn es wa- Landnutzung daran beteiligt. Einen direkten ren sowohl die rezenten Geländeoberflächen der Eingriff in die Gewässerlandschaft durch den Inseln zu erfassen als auch die subaquatischen Menschen ist allerdings in Norddeutschland Areale davor. Bei den Geländearbeiten waren erst mit dem Bau von Wassermühlen seit dem zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen. Einige späten 12. Jahrhundert nachweisbar (Kaiser Inseln werden bewohnt oder durch Viehweide 2001; Lorenz 2007). genutzt. Die meisten Inseln im Arbeitsgebiet ge- Als Kernzone des Forschungsprojektes wurde ein etwa 20 x 30 km großes Gebiet mit dem Großen Plöner See im Zentrum ausgewählt. In 114,5m diesem Areal, das sowohl Teile der Ostholstei- 40 Sterndorfer See nischen als auch der Wankendorfer Seenplatte Sterndorfer See Gr. Eutiner See Eutiner Gr. Sibbersdorfer See Gr. Eutiner See Eutiner Gr. Sibbersdorfer See Kellersee Kellersee Behler See Dieksee Behler See Dieksee Gr. Plöner See Plöner Gr. erfasst, befinden sich mehr als 100 Seen und See Plöner Gr. Kronsee Kronsee Kl. Plöner SeeKl. Plöner Kl. Plöner SeeKl. Plöner Lanker See Lanker See Fulensee Fulensee Kirchsee Kirchsee Teiche (Abb. 1). In 16 Seen gibt es insgesamt 20 63 Inseln, allein 25 im Großen Plöner See. Alle

Ostsee Seen sind an das Gewässersystem der Schwen- 0 tine angeschlossen, die bei Kiel in die Ostsee Mühle Fissauer Malenter Mühle Malenter

einke üth Rastorfer Mühle mündet (R 1996; L 2010 i. Dr.). Das Mühle Wahlstorfer -20

Einzugsgebiet der besteht aus der Kiel–Neumühlen Oppendorfer Mühle

Alten Schwentine im Westen und der Bungs- Fegetasche Wassermühle Wassermühle, Lübecker Straße Lübecker Wassermühle, berg-Schwentine im Norden und Osten. Durch -40 zahlreiche Wehre und Mühlenstaus des Mittel- 60 50 40 30 20 10km mNN alters und der Neuzeit (Karstens 1990) ist die hydrologische Situation sowohl der Fließgewäs- ser als auch der Seen heute stark anthropogen überprägt (Abb. 2). Insgesamt entwässert das Abb. 2: Rezente Seespiegelhöhen und Quelle, Grimmelsberg Quelle, System eine Fläche von 72800 ha, davon 8000 Grimmelsberg Quelle, Bornhöveder See Bornhöveder Bornhöveder See Bornhöveder Belauer See Belauer See Staustufen im Ver- Schmalensee Stolper See Stolper ha Seefläche (Muuss/Petersen/König 1973). See Stolper 30 Mündung in die „Neue“ Schwentine lauf der - Mündung in die „Neue“ Schwentine Postsee Postsee Die Seenkette der Alten Schwentine ist darüber Schwentine und der 20

hinaus von Bedeutung, als sie Teil des früh- und Alten Schwentine Mühle 10

(Grafik H. Diete- Depenauer Kiel–Neumühlen Kiel–Neumühlen hochmittelalterlichen war und Mühle Perdöhler rich, Kiel). Klostermühle 0 somit die Grenze zwischen sächsischem und sla- 40 30 20 10km mNN wischem Siedlungsgebiet markiert. Im Zuge der hochmittelalterlichen Transformationsprozesse gehört dieses Gebiet zu denjenigen Regionen in Schleswig-Holstein, in denen der Landesausbau früh erfolgte.

Außer der flächendeckenden und alle holozä- nen Perioden erfassenden Fundplatzkartierung anhand der archäologischen Landesaufnahme sowie dem Sammeln aller bekannten Informa- tionen zur Gewässerentwicklung in diesem Ge- biet standen Feldforschungen auf den Inseln im Vordergrund (Abb. 3). Durch Begehung- en, Bohrungen und Sondagegrabungen waren Nutzungsphasen zu ermitteln und die Erhal- tung von Kulturschichten zu verifizieren. Die systematische Beprobung der Bohrungen und aufgeschlossener Stratigraphien war die Basis für palynologische Studien, die sowohl den Kennt- nisstand zu den Nutzungsphasen erweiterten als auch in vergleichende Untersuchungen zur Abb. 3: Fundstellen auf Inseln im Arbeitsgebiet (Grafik Ph. Lüth, Kiel). 27 NAU 16 2010

hören zu Natur- und Landschaftsschutzgebieten dienten der Klärung der Zusammensetzung des mit Betretungsverbot oder eingeschränktem Be- Inselkörpers und dem Auffinden von Torf- und tretungsrecht, das sich nicht nur auf den terres- Kulturschichten, die anhand des Bohrgutes ein- trischen Bereich, sondern auch auf das Gewässer gemessen und für Pollenanalysen und 14C-Da- ausdehnt. Insbesondere Teile des Großen Plöner tierungen beprobt wurden. Die Flachwasserge- Sees stehen unter sehr striktem Naturschutz, der biete sind bis etwa 0,5 m Tiefe mit Hilfe eines eine Begehung der Inseln nur etwa vier Wochen sogenannten Guckkastens (PVC-Kasten mit im Jahr ermöglicht. Die Sondierungen mussten Plexiglasboden) beobachtet worden. Bis etwa 2 aus diesem Grund überwiegend in den Herbst- m Wassertiefe kam lediglich ABC-Ausrüstung und Wintermonaten erfolgen. Trotzdem konn- zum Einsatz. Erst ab dieser Tiefe und bei der ten insgesamt 34 der 65 Inseln des Arbeitsge- Dokumentation lokalisierter Befunde erfolgte biets nach einem schematisierten Vorgehen der Taucheinsatz mit autonomem Leichttauch- prospektiert werden. Bei der Begehung wurden gerät durch Forschungstaucher der Arbeitsgrup- zunächst die Morphologie der Insel, die Vegeta- pe für maritime und limnische Archäologie tion und die Beschaffenheit des Ufers protokol- (AMLA). In über 200 Tauchgängen konnten 22 liert sowie Lesefunde erfasst. Aufgrund rezenter Inseln in acht Seen prospektiert und zum Teil metallischer Abfallhäufung war eine Begehung untersucht werden. Dazu wurden die Inseln in mit Metalldetektor oftmals nicht erfolgreich. Wassertiefen zwischen 2 und 8 m systematisch Die Anzahl der anschließenden Bohrungen mit umrundet, Funde und Befunde mittels Laserta- einem Pürckhauer-Bohrschwert richtete sich chymeter oder GPS eingemessen, foto- und vi- nach Größe und Morphologie der Insel. Sie deografiert sowie relevante Messdaten erhoben.

Abb. 4: Zeit-Tiefen-Diagramm mit dem rekonstruierten Seespiegel des Großen Plöner Sees, Schleswig-Holstein (Grafik H. Dieterich, Kiel).

28 Funktionen von Inseln in der limnischen Kulturlandschaft Norddeutschlands

Fallbeispiele

10

-10 0

Nachfolgend werden einige Resultate dieser -10

10 Feldarbeiten vorgestellt, wobei keine Vollstän- 0 digkeit in der Befund- und Fundbeschreibung -10 10

erzielt werden soll, sondern vielmehr die teilwei- 10 0 Olsborg

se überraschenden Ergebnisse im Vordergrund 20 20 -10

stehen. Es ist außerdem darauf hinzuweisen, 10 20 10 0

10 dass die Auswertung der Befunde und Funde 10 noch andauert. Auch die Einordnung und Be- 10

0

wertung der Resultate wird zu einem späteren 10

Zeitpunkt erfolgen (Lüth i. Vorb.; Wieckows- 0 ka i. Vorb.). 0

-10 10 10 r e rd a

W

20 r 10 e n e b le h 10 20 u Großer Plöner See R

0 Das Seensystem des Großen Plöner Sees umfasst 500 m neben dem namengebenden See den Bischofssee Abb. 5: Bathymetrie des nordöstlichen Großen Plöner Sees (Grafik I. Reese, Kiel). und den Stocksee; zum Seensystem des Klei- nen Plöner Sees gehört der Trammer See. Alle Seen sind Teil des Flusssystems der Bungsberg- All diese Quellen haben zur Aktualisierung der Schwentine. Der Große Plöner See bedeckt Wasserstandskurve für den Großen Plöner See eine Fläche von 28,4 qkm; seine maximale beigetragen (Abb. 4). Die Zusammenstellung Tiefe beträgt 58 m, wobei er mit einer durch- zeigt, dass neben Schwankungen im Neolithi- schnittlichen Tiefe von rund 13,5 m durchaus kum und der Römischen Kaiserzeit häufig auch tief ist. Mit einem Einzugsgebiet von etwa 382 Überflutungen aufgetreten sind, die als Einzeler- qkm (Teileinzugsgebiet: 196 qkm) hat der als eignisse Sandschichten abgelagert haben. kalkreicher, geschichteter Tieflandsee geltende Der Kleine Plöner See, dessen maximale Tiefe Große Plöner See ein relativ kleines Einzugsge- rund 31 m und dessen mittlere Tiefe rund 9 m biet. Die lang gezogene Prinzeninsel trennt den beträgt, weist mit 399 qkm ein im Vergleich zum See in einen Ost- und einen Westteil. Durch un- Großen Plöner See recht großes Einzugsgebiet terseeische Erhebungen stark gegliedert, besteht auf. Die Seen sind auch heute noch erheblichen er aus zwei Hauptbecken – dem Plöner und dem Wasserstandsschwankungen unterworfen. So la- Ascheberger Teil. Die Schwentine durchfließt gen die Höchstwasserstände im Zeitraum 1997/ den nördlichen Teil des Sees von Osten nach 2007 bei 21,39 m ü.NN (Großer Plöner See) Westen. Der Wasserspiegel hat in der Vergang- und 20,58 m ü.NN (Kleiner Plöner See). Die enheit mehrfach geschwankt beziehungsweise niedrigsten Wasserstände wurden bei 20,75 m ist verändert worden (Kiefmann 1978). Eine ü. NN (Großer Plöner See) und 19,19 m ü. NN Auswertung aller zur Verfügung stehenden (Kleiner Plöner See) gemessen. Quellen hat zu einer detaillierten Seespiegelkur- Die Bathymetrie des Großen Plöner Sees ist ve geführt. So sind einerseits die Höhenlagen recht kompliziert; auf der Basis von Tiefenlo- fossiler Kliffs und Uferterrassen berücksichtigt tungen aus dem Jahre 1973, Flachwassermes- worden, andererseits wurden unterseeische Tor- sungen der Universität Hamburg im Jahre 2007 fe und über dem heutigen Wasserstand erhaltene und eigenen Erhebungen konnte ein Tiefenmo- Seesedimente vermessen und datiert, um ehe- dell generiert werden, dass als Grundlage für die malige Wasserstände zu rekonstruieren. Durch Berechnungen der Seespiegelschwankungen des die Pollenanalyse konnte sowohl eine Ansprache Großen Plöner Sees dienen wird.2 Besonders die des Ablagerungsmilieus als auch eine grobe Da- tierung erzielt werden. Viele Torfe sind zudem 14C-datiert und einige Hölzer dendrochrono- 2 Für die Bereitstellung der Daten der Flachwassermes- logisch. Daneben gibt es archäologische Funde sungen danken wir Dipl.-Geogr. Wiebke Schönberg, Universität Hamburg, Department Biologie, Bio- und Befunde sowie historische Quellen über zentrum Klein Flottbek, Abt. Pflanzenökologie und Aufstauungen und Absenkungen, die als relativ Nutzpflanzenbiologie. Die Umrechnung der Daten der 1970er Jahre wurde von Sebastian Salz, Institut für Ur- gut datierte Marken in eine Wasserstandskurve und Frühgeschichte, CAU Kiel, vorgenommen, wofür eingetragen werden konnten (Dörfler 2009). wir ihm herzlich danken. 29 NAU 16 2010

2007 von der Universität Hamburg, Arbeits- dort passenden Tiefenlinien der digitalisierten gruppe Populationsökologie, Nutzpflanzenbio- Kiefmann-Isobathenkarte (Massenpunkte). logie und Ökologie aufgenommen Flachwasser- Die Abgrenzung der Inseln im See erfolgte über daten boten im Bereich von 0–6 m eine höhere Uferpunktshapes und Uferlinien. Zur Eingren- Auflösung. Sie bestehen aus 50 000 Messpunk- zung der Interpolation wurde ein auf 21 m ü. ten in den Bereichen um 0–6 m Tiefe und NN gesetztes Uferpolygon des Großen Plöner punktuellen Profilen in tieferen Seebereichen. Sees verwendet. Für die Karte in Abbildung Weitere Grundlagen für die Bearbeitung lagen 4 wurde aus Darstellungsgründen eine Äqui- in Form der Isobathen-Karte von Kiefmann distanz von 3 m für die Isolinien gewählt. Für (Kiefmann/Müller 1977) vor, und Krambeck die Flachwasserbereiche können weit höhere (1979) publizierte eine weitere Isolinien-Kartie- Auflösungen gewählt werden (bis 0,2 m), die in rung des Großen Plöner Sees. Beide wurden für kleineren Kartenausschnitten eine individuelle Ausgleich- und Analysezwecke herangezogen. Bearbeitung z. B. einzelner Inselkörper wie dem Die über 160 analog aufgezeichneten Scans und von Olsborg ermöglichten (Abb. 6). Dies ist vor Profile der Lotfahrten der 1970er Jahre wurden allen Dingen vor dem Hintergrund wichtig, digitalisiert und in UTM bzw. GK DHDN3 dass sich einige Beträge der Seespiegelschwan- ausgegeben, wobei für das aktuelle Modell ins- kungen nur um 20 cm unterscheiden und eine gesamt 117 Lotprofile benutzt werden konnten Visualisierung besonders in den flachen Uferbe- (Abb. 5). Nicht für jede Tiefenmessung lag der reichen des Großen Plöner Sees Auswirkungen Tagespegelstand vor, daher wurde dann von zeigen würde. einem mittleren Wasserstand von 21,01 m aus- gegangen. Da der bei den Messfahrten tiefste Im Rahmen des Projektes wurden von den 25 gemessene Pegel 20,78 m ü. NN betrug, liegt Inseln im Großen Plöner See 19 terrestrisch der maximale Höhenfehler für ein Profil bezo- und/oder limnisch prospektiert. Neben der mit- gen auf dieses Kriterium bei +23 cm. Für die Er- telslawischen Anlage von Scharstorf am Schar- stellung des Tiefenmodells in Form eines TIN see liegen mit den slawenzeitlichen Fundplätzen wurden sechs Shapes verwendet: von Bosau-Bischofswarder und der Olsborg im • ein Shape mit den Punkten der Flachwas- Großen Plöner See zwei wichtige Zentralplät- servermessung, ze des 8.–12. Jahrhunderts vor, die archäolo- • die verbliebenen 117 Lotfahrten (beides gisch als gut untersucht gelten können (zuletzt: Massenpunkte), Müller/Kleingärtner 2010). Der Burgwall • in den Bereichen ohne Beobachtung die und die beiden Flachsiedlungen von Bosau-Bi-

Abb. 6: Großer Plöner See, Kr. Plön. Berechnete Bathymetrie im Umfeld der Insel Olsborg (Grafik I. Reese, Kiel).

30 Funktionen von Inseln in der limnischen Kulturlandschaft Norddeutschlands schofswarder standen in den 1970er Jahren im Blickpunkt eines Teilprojektes des „Sonder- forschungsbereiches 17“, in dem diachron die frühgeschichtliche Siedlungsentwicklung im östlichen Schleswig-Holstein untersucht wurde. Während die Siedlung Bosau-Möhlenkamp fast vollständig ergraben wurde, ist von der suba- quatisch liegenden Siedlung Bischofswarder- „Slawendorf“, über einige Holzbefunde hinaus, kaum etwas bekannt. Mit Dendrodaten aus dem ersten Drittel des 8. Jahrhunderts ist Bosau-Bi- schofswarder für die frühslawische Siedlungsge- schichte jedoch von großer Bedeutung (zuletzt: Dulinicz 2006). In unmittelbarer Nähe zu dem frühslawischen Siedlungsplatz gelegen, konnten auf der Insel Olsborg südöstlich der heutigen Stadt Plön Reste einer slawischen und frühdeut- schen Siedlung aufgedeckt werden (Abb. 7.1). Der Platz ist sehr wahrscheinlich mit dem ins- besondere durch Helmold von Bosau erwähnten „Castrum Plunense“ identisch, auch wenn Hin- weise auf eine Burganlage bislang fehlen (Bleile u.a. 2009; Müller/Kleingärtner 2010). Die Abb. 7.1: Olsborg, Kr. Plön. Insel und Holzpfähle im Südwesten (Grafik P. Lüth, Kiel). Olsborg stand über kleinere Sondagen in den 1950er Jahren hinaus in den Jahren 2004–2009 im Mittelpunkt von Grabungen (Friedland 2009; Müller 2010 i. Dr.). Weiterhin fanden Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jah- re taucharchäologische Untersuchungen an einer spätslawenzeitlichen Brücke statt, die im Nordosten die Insel mit dem Festland verband (Wilke 2009). Die Inselsiedlung bestand vom frühen 10. Jahrhundert bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts und war zumindest in spätslawi- scher Zeit über eine Brücke mit dem Festland verbunden. Nach Ausweis der Befunde (Brücke; differenzierte Bebauung mit Pfostenbauten und thermischen Anlagen; möglicher Kultplatz) so- wie des hochwertigen Fundmaterials kann der Platz als spätslawische Zentralburg überregio- naler Bedeutung im Grenzbereich des Limes Saxoniae charakterisiert werden. Zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert hat er einen Struktur- wandel durchlaufen. Über die Befunde auf der Insel und der Brücke (Abb. 7.2) hinaus konnten durch taucharchäologische Untersuchungen an der Westseite der Insel 80 Holzpfähle entdeckt werden (Abb. 7.1), die in einer Reihe an der Ab- Abb. 7.2: Olsborg, Kr. Plön. Östlicher Bereich der Insel mit bruchkante der Insel in 1–4 m Wassertiefe verlie- dem Verlauf der Brücke (Grafik I. Reese, Kiel, nach ilkeW fen. Bei den Pfählen handelte es sich um Hölzer 2009, 132 Abb. 4). unterschiedlicher Durchmesser (4–21 cm). Ei- nige Pfähle ragten mehrere Dezimeter aus dem Grund, andere nur noch wenige Zentimeter. Im unmittelbaren Bereich des Pfahlverlaufs konn- Pfähle geborgen. Eine dendrochronologische ten diverse Knochen und Keramik geborgen Untersuchung in Hamburg erbrachte keine werden. Zu Datierungszwecken wurden zwei Ergebnisse, die 14C-Untersuchung am Leibniz- 31 NAU 16 2010

kannt, scheint der Schwerpunkt der Besiedlung im Bereich der Inselmitte sowie im Nordosten der Insel gelegen zu haben. Allerdings ist durch die mittelalterliche und neuzeitliche Überstau- ung in nicht unerheblichem Maße mit Erosion zu rechnen, die die Fundüberlieferung und das heutige Bild nachhaltig überformt hat.

Großer Eutiner See

Der Große Eutiner See, in der Holsteinischen Schweiz nordöstlich der Stadt Eutin gelegen, ist 230 ha groß und bei einer durchschnittlichen Abb. 8: Bathymetrie des Eutiner Sees (Grafik P. Lüth, Kiel). Wassertiefe von rund 5 m bis zu 17 m tief (Abb. 8). Mit einer Uferlänge von 11,3 km und einem Einzugsgebiet von 56,2 qkm kann der See als kalkreicher, ungeschichteter Tieflandsee mit re- lativ großem Einzugsgebiet charakterisiert wer- den. In den durch die Bebensundbrücke abge- trennten Westteil des Sees, der Fissauer Bucht, fließt die Schwentine ein und nur wenig weiter westlich wieder aus. Unterhalb des Schwentine- ablaufs befindet sich der Standort einer Mühle. Das Staurecht wurde ursprünglich zum Betrei- ben der Kornwassermühle vergeben, die Besitzer lassen sich bis in das 16. Jahrhundert zurückver- folgen. Die heutigen Wasserstände (1997/2007) schwanken zwischen 27,03 m ü.NN (Maxi- mum) und 26,45 m ü.NN (Minimum). Der Abb. 9: Eutiner See, Kr. Ostholstein. Befunde zwischen Fasaneninsel und Festland Eutiner See besitzt mit der Fasaneninsel und (Grafik P. Lüth, Kiel). der Liebesinsel zwei Inseln. Untersuchungen auf der Fasaneninsel haben wichtige Ergebnisse zur spätslawischen Zeit erbracht. Bereits Hel- Labor für Altersbestimmung und Isotopenfor- mold von Bosau stellt die Bedeutung des Platzes schung der CAU Kiel datiert die Hölzer in den „Utin“ heraus (Müller/Kleingärtner 2010; Zeitraum 1063–1155 ADcal (KIA 37081). Im Lüth/Huber 2010 i. Dr.). Vergleich mit den, von Wilke vorgelegten, den- Taucher der DLRG Eutin führten 1976 zwischen drochronologischen Datierungen der Brücken, Schlosshalbinsel, dem sogenannten Wassertem- die vom späten 10. bis ins späte 11. Jahrhundert pel, und Fasaneninsel Tauchgänge durch, die reichen, bildet diese Datierung die späteste Pha- eine mögliche Verbindung zwischen dem Fest- se der Inselnutzung ab (vgl. Wilke 2009, 135 land und der Insel klären sollten. Im Bereich des Abb. 8). Nach derzeitiger Einschätzung dürfte Wassertempels konnte eine Aufschüttung aus fest es sich bei der Pfahlreihe um eine slawenzeitliche gelagertem Kies, einige wenige Holzpfähle, ein Uferbefestigung handeln. Die Lage parallel zur flach im Schlamm liegendes Holz sowie einige heutigen Ausdehnung des Flachwasserbereiches Fundstücke (Knochen und Keramik) beobach- lässt darauf schließen, dass die Insel in slawischer tet bzw. geborgen werden. Dies ließ den Schluss Zeit, also vor dem Aufstauen des Großen Plö- zu, dass eine Verbindung zwischen Festland und ner Sees, deutlich größer als heute gewesen ist. Fasaneninsel durch einen Damm oder eine Brü- Darauf weisen auch die Ergebnisse der Wasser- cke bestanden hat, die anhand einer slawischen standsrekonstruktionen (Dörfler 2009) sowie Scherbe in das 10. Jahrhundert datiert wurde. der Bohrungen auf der Olsborg (Müller 2010 i. Im Jahre 2008 wurde der Bereich der westlichen Dr.) hin. Das Ergebnis erstaunt in vielerlei Hin- Fasaneninsel sowie der Schlosshalbinsel unter- sicht, da die Strukturen vor einem Inselbereich wasserarchäologisch prospektiert. Der Befund liegen, der nach Ausweis der Bohrungen kaum in 3–4 m Wassertiefe bestand aus einer Vielzahl anthropogen überformt worden ist. Soweit be- waagerechter Hölzer unsystematischer Lage so-

32 Funktionen von Inseln in der limnischen Kulturlandschaft Norddeutschlands wie zwei Reihen senkrecht in den Seeboden ge- net sich zur gleichen Zeit auf der Fasaneninsel rammter Pfähle von etwa 20 cm Durchmesser die Verfügbarkeit von Wild durch hohe Mengen (Abb. 9). Der Abstand der beiden Pfostenreihen an koprophilen Pilzsporen aus. Im Verlauf des beträgt ca. 5,60 m. Dazwischen lagen verstreut Subboreals scheinen die Seespiegelstände auf große und kleine waagerechte Hölzer. Der Be- noch ein niedrigeres Niveau gefallen zu sein. Bei fund zog in direkter Linie von der Halbinsel den Untersuchungen der Torfprofile zeigte es des Eutiner Schlosses in Richtung Fasanenin- sich, dass ein Hiatus in der Torfakkumulation sel. Durch die starke Sedimentation konnte der auftritt. Da Torfe ausschließlich unter feuchten weitere Verlauf des Befundes nicht vermessen, Bedingungen gebildet werden und hier eine Lü- sondern lediglich in der weichen Mudde ertastet cke in der Torfbildung vorhanden war, weist das werden. War bereits in den 1970er Jahre ein aus auf eine besonders trockene Periode hin. Das der Konstruktion geborgenes Holz allgemein Fehlen von Archivmaterial aus dem Subboreal in die Slawenzeit datiert worden (780–1030 cal verhindert leider pollenanalytisch begründete AD), so konzentrieren sich die beiden durch das Aussagen zur Ausdehnung menschlichen Ein- Leibniz-Labor für Altersbestimmung und Isoto- flusses. penforschung der Universität Kiel angefertigten Angaben zum Ausmaß menschlicher Tätig- 14C-Daten auf die spätslawische Zeit. Die so- keiten können erst im mittleren Subatlantikum wohl bei den Begehungen als auch taucharchäo- gemacht werden als es wieder zur Torfakkumula- logischen Prospektionen geborgene Keramik ist tion kommt. Der anthropogene Einfluss ist von spätslawischen Typs, und die Brückenanlage so- diesem Zeitpunkt an sehr stark. Menschliche wie die Funde aus slawischer Zeit können in den Präsenz ist deutlich fassbar während der Slawen- weiträumigeren Horizont von Brückenbauten zeit. Zu dieser Zeit werden Teile der Insel unter im westslawischen Raum eingeordnet werden anderem als Weideland genutzt. Danach folgt (Wilke 2000). Ob Parallelen zur Insel Olsborg ein kurzer Abschnitt geringerer Siedlungsinten- im Großen Plöner See bestehen, muss im Wei- sität. Ein starker Anstieg von Siedlungszeigern teren untersucht werden. und Holzkohlepartikeln schließt sich diesem Neben den limnischen Arbeiten erfolgten auf an. Die hohen Holzkohle-Anteile sprechen für der Insel Begehungen, Bohrungen und eine geo- tiefgreifende menschliche Rodungstätigkeiten magnetische Prospektion. Während die Geo- bzw. Aktivitäten unter Einsatz von Feuer. Mög- magnetik insbesondere Befunde zur Neuzeit licherweise ist hier das Ende der slawischen Zeit erbracht hat, haben die Bohrungen über den und der darauf folgende, mit umfangreichen Inselaufbau hinaus wichtige Erkenntnisse zur Rodungen verbundene frühdeutsche Landes- Landschaftsstruktur und Paläoumwelt gelie- ausbau fassbar. Doch am stärksten wurde die fert. Die insgesamt neun Bohrungen wurden Insel insbesondere in den letzten Jahrhunderten entlang eines Transektes durchgeführt. Der genutzt, unter anderem für den Anbau von Transekt begann unmittelbar am Südwestufer, Buchweizen. Diese Zeit der intensiven Nutzung wo einst eine slawische Brücke die Insel mit ist durch einen höheren Wasserstand als heute dem Festland verband und setzte sich im ver- gekennzeichnet. moorten Nordosten der Insel fort. Bezüglich des Aufbaus der Insel ist zu erkennen, dass ihr südwestlicher Teil einen glazialen Kern besitzt, Stolper See während der nordöstliche Inselabschnitt aus ho- lozänen Ablagerungen aufgebaut ist, die unter Der Stolper See bildet zusammen mit Schie- Wasserbedeckung entstanden sein müssen. Die rensee, Belauer See, Schmalensee und Bornhö- gegenwärtigen palynologischen Ergebnisse wei- veder See die Wankendorfer Seenplatte (Abb. sen darauf hin, dass der Seespiegel des Großen 1). Die Alte Schwentine mündet im Südosten Eutiner Sees am Übergang vom Boreal zum At- in den Stolper See (Abb. 10) und verlässt ihn lantikum immer noch am fallen war. Während im Norden in der Nähe der Depenauer Mühle. des Atlantikums lag der Wasserstand etwa 1,5 Ein weiterer Zufluss ist die Schierenseer Au, die bis 2 m tiefer als heute. Zu dieser Zeit finden im Süden des extrem eutrophen Sees einmün- sich nur wenige Indizien für anthropogene Ak- det. Der Stolper See besitzt eine Fläche von 1,32 tivität auf der Fasaneninsel. Dennoch sprechen qkm bei einer durchschnittlichen Tiefe von 6,9 Nachweise von Holzkohlepartikeln für die An- m (Maximum 14,6 m). Das Gewässer kann wesenheit des Menschen. Sehr wahrscheinlich als kalkreicher, geschichteter Tieflandsee mit nutzten mesolithische Jäger und Fischer die In- relativ großem Einzugsgebiet (58,99 qkm) be- sel als Jagdgebiet oder zum Fischfang. So zeich- zeichnet werden. Mitte der 1970er Jahre wurde 33 NAU 16 2010

satztagen im Februar und März 2008 erneut betaucht. Die Sichttiefe betrug zum Zeitpunkt der Betauchung etwa 1–2 m. Insgesamt konnten 25 massive Pfahlstümpfe auf dem kaum Mud- deschichten aufweisenden Hügel lokalisiert und die noch erhaltene Höhe sowie der Durchmes- ser ermittelt werden. Dabei betrug die Höhe der Pfähle über dem Sediment zwischen 3 und 112 cm, der Durchmesser lag zwischen 11 und 20 cm. Vier geborgene Eichenhölzer ließen sich zeitlich in das späte 12. Jahrhundert einordnen, und durch eine Probe mit Waldkante ergibt sich das Winterhalbjahr 1180/81 als Fällungs- zeitpunkt. Einige der geborgenen Pfähle weisen Brandspuren auf, die an ein gewaltsames Ende der Anlage denken lassen. Neben dem Pfahlfeld wurden Steinkonzentrationen aufgefunden und zahlreiche Fundstücke insbesondere des hohen und späten Mittelalters geborgen. Man wird davon ausgehen können, dass es spätestens im Abb. 10: Bathymetrie des Stolper Sees (Grafik Ph. Lüth, Kiel). Zusammenhang mit dem Bau der Depenauer Mühle kurz nach 1551 (Karstens 1990) zu einem Seespiegelanstieg kam. Die heute unter Wasser liegende Oberfläche des Kame wird zur die Bodentopographie des Sees echographisch Zeit seiner Benutzung im ausgehenden 12. und aufgenommen (Müller 1985). Die Auswertung beginnenden 13. Jahrhundert etwas über dem der Tiefenprofile ergab, dass sich im südlichen damaligen Wasserspiegel gelegen haben. Seeteil (Barschberg) ein isolierter, bis 1,8 m un- Die im Pfostenfeld geborgene weiche und harte ter die Wasseroberfläche (Bezugswasserstand Grauware lässt sich in das ausgehende 12. und NN +27,5 m) reichender Hügel befindet. Die- beginnende 13. Jahrhundert datieren. Das chro- ser Hügel misst an seiner Basis ca. 110 x 75 m, nologisch homogene Fundgut und die zum Teil seine Längsachse erstreckt sich in west-östlicher verbrannten Eichenpfähle lassen darauf schlie- Richtung (Abb. 10). Seine Oberfläche ist une- ßen, dass die Anlage relativ kurz in Gebrauch ben und steigt von Ost nach West um ca. 1,5 m war und möglicherweise durch eine Kampf- an. Anhand der Vermessungs- und Bohrergeb- handlung zerstört wurde. Unter Berücksichti- nisse kann sicher ausgeschlossen werden, dass gung der Dendrodaten könnten die Befunde es sich bei der Erhöhung um eine anthropogene möglicherweise mit dem Konflikt zwischen Graf Aufschüttung handelt (Müller 1985, 449). Adolf III. und Heinrich dem Löwen in Zusam- Vielmehr muss die Entstehung des Hügels im menhang gebracht werden. Durch die für 1180 Zusammenhang mit glazifluvialen Prozessen überlieferten Auseinandersetzungen verlor Adolf gesehen und die Erhöhung als so genannte III. seine Besitzungen in Plön und Segeberg. Mit Kame angesprochen werden. Neben der Bathy- Hilfe des Kaisers Friedrich I., dem er sich ange- metrie wurde der Hügelbereich in den späten schlossen hatte, gelang es ihm aber diese schon 1970er Jahren taucharchäologisch untersucht, im folgenden Jahr 1181 wieder zurückzuero- wobei zahlreiche Pfosten angetroffen wurden. bern. Aufgrund der Datierung der hölzernen Aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse war Anlage in das späte 12. Jahrhundert ist die von eine Dokumentation des Pfostenfeldes nicht O. Harck (1985, 442) vorgeschlagene Funktion möglich. Die geborgene Keramik datiert in das als klassische Kemlade nicht haltbar. Aus histo- 13. Jahrhundert, und so deutet O. Harck (1985, rischen Quellen ist bekannt, dass der Bau dieser 442) den Befund aus dem Stolper See unter Vor- im Wasser stehenden Wohntürme auf die zweite behalt als Kemlade. Drei Flintbeile, deren Ge- Hälfte des 14. Jahrhunderts beschränkt blieb schlossenheit nicht gesichert ist, ordnet er einem (Mayr 1999, 30 ff.). Vielmehr muss in diesem neolithischen Depot zu (Harck 1985, 440). Zusammenhang an eine hölzerne Turmhügel- Wegen der dichten, jedoch unklaren Befund- burg, eine Motte (château à motte) oder aber an lage wurde das Pfahlfeld in einer Wassertiefe eine Übergangs- oder Mischform beider Bauar- von 2–4 m im Zuge des Projektes an fünf Ein- ten gedacht werden.

34 Funktionen von Inseln in der limnischen Kulturlandschaft Norddeutschlands

Lanker See 12.1) ist durch eine etwa 2–2,5 m hohe Erhe- bung geprägt. Diese erstreckt sich hufeneisen- Der Lanker See ist rund 3,7 qkm groß und bis förmig auf etwa 500 m Länge und 270 m Breite zu 21 m tief, wobei er mit einer mittleren Tie- in ost-westliche Richtung und weist in ihrem fe von rund 3,6 m recht flach ist (Abb. 11). Er Zentrum eine nach Osten geöffnete Senke auf, ist unterteilt in einen größeren Nord- und einen die aufgrund von Bohrungen als etwa 4,4 m kleineren Südteil, wobei eine wenig mehr als 1 tiefes Toteisloch identifiziert werden konnte. m tiefe Schwelle die beiden Seeteile voneinan- Die Insel geriet durch zahlreiche Funde spät- der trennt. Neben der Schwentine im Süden bei slawisch/frühdeutscher Scherben, die bei der Gut Wahlstorf erhält der See Wasser über Zu- Begehung der Oberfläche aufgesammelt wur- flüsse aus dem Kührener Teich, dem Kolksee, den, in den Fokus des Projektes. Eine auf einer dem Scharsee und dem Wielener See. Auch ein Fläche von 2400 qm durchgeführte geomagne- ca. 3 km langer Mühlengraben, der Wasser von tische Prospektion erbrachte allerdings, ebenso der Alten Schwentine abzweigt, mündet bei der wie eine anschließende Sondagegrabung, keine Kührener Mühle in den Lanker See. Der kalk- eindeutigen Ergebnisse über eine mögliche Be- reiche, ungeschichtete Tieflandsee mit großem bauung. Für zukünftige Untersuchungen von Einzugsgebiet von rund 445 qkm bildet durch Bedeutung sind dagegen die Daten der Prospek- mehrere Halbinseln und Buchten sowie sieben tion im Flachwasserbereich. Im Zuge der Unter- Inseln ein stark gegliedertes Gewässer mit einer suchungen stießen wir in den nördlichen Ufer- Uferlänge von rund 15 km. randbereichen der Insel als auch im gegenüber- Die Topografie der Insel Probstenwerder (Abb. liegenden Flachwasserbereich auf ein Pfahlfeld

Abb. 11: Bathymetrie des Lanker Sees (Grafik Ph. Lüth, Kiel).

35 NAU 16 2010

von mindestens 12 Spaltbohlen mit deutlichen Bearbeitungsspuren (Abb. 12.2). Das Pfahlfeld sonar erbringen, die im Oktober 2010 durchge- war auf einer Länge von vier Metern zweireihig führt werden, doch scheint der Befund auf ei- in südöstliche Richtung gesetzt. Die dendro- nen slawenzeitlichen Inselzugang zu deuten, wie chonologische Untersuchung von zehn Hölzern er auch von anderen Plätzen bekannt ist. Für die erbrachte Fälljahre zwischen 818 und 848. Für ostholsteinische Region ist die frühe Datierung eines der Hölzer kann das Fälljahr 700 angege- bedeutsam, denn unabhängig von der genauen ben werden. Fünf der Hölzer wiesen eine Wald- Interpretation zeigt sich, dass der Landesausbau kante auf, wodurch die Anfangs- und Enddaten des 8. Jahrhunderts weitaus differenzierter ab- gesichert sind. Die Bathymetrie zeigt in diesem gelaufen sein wird, und Plätzen wie Bosau-Bi- Bereich einen lang gezogenen Sporn, der insel- schofswarder weitere an die Seite gestellt werden seitig auf das Festland zuläuft. Genauere Daten müssen (Dulinicz 2006; Ruchhöft 2008). werden die Untersuchungen mit dem Sediment-

Palynologie

Die Aufgaben der naturwissenschaftlichen Un- tersuchungen in dem Forschungsprojekt fokus- sierten sich auf die Umweltrekonstruktion zur Zeit der Inselnutzung. Es galt den Umfang und den Charakter des menschlichen Einflusses auf den Inseln zu verzeichnen sowie Rückschlüs- se über frühere Seespiegelstände zu gewinnen. Die palynologischen Studien konzentrierten sich dabei auf die Analyse zahlreicher Torflagen aus Sondagebohrungen, zweier Torfprofile aus insularen Kesselmooren und eines limnischen Sedimentprofils. Torfe als Marker tiefer liegen- der Wasserstände traten kleinräumig auf Inseln in mehreren Seen auf. Darüber hinaus boten Torfe aus isolierten Toteislöchern auf den In- seln, z.B. auf dem Probstenwerder im Lanker See und dem Groten Warder im Trammer See, Abb. 12.1: Insel Probstenwerder, Lanker See, Kr. Plön. Geomagnetik, Bohrpunkte ein großes Potential, um detaillierte Aussagen sowie Lage des Pfahlfeldes (Grafik Ph. Lüth, Kiel). zu Art und Umfang anthropogener Nutzung der Inseln selbst sowie zur Paläohydrologie des Gewässers zu gewinnen. Die pollenanalytische Untersuchung eines etwa 24 m mächtigen See- sedimentprofils aus dem Großen Eutiner See lie- ferte zudem ein neues zeitlich hoch auflösendes sowie gut datiertes Standarddiagramm als Basis. Damit ist die regionale Siedlungsgeschichte für das Ostholsteinische Gebiet dokumentiert. Torflagen, die sich heutzutage unter Wasser be- finden bzw. auf einer Insel von anderen Sedi- menten überlagert sind, deuten einen geringeren Wasserstand in früheren Zeiten an, was für eine größere Ausdehnung einer Insel sprechen kann. Mit Hilfe von Bohrungen wurden deshalb Torf- schichten im Flachwasserbereich und/oder im Inselkörper lokalisiert. Mittels der Pollenstrati- graphie wurde dann der Zeitraum der Torfbil- dung ermittelt. Eine zusätzliche Analyse der mi- neralischen und aller sonstiger organischer Sedi- Abb. 12.2: Insel Probstenwerder, Lanker See, Kr. Plön. Detail- mentkomponenten aus den Bohrungen konnte karte des Pfahlfeldes (Grafik Ph. Lüth, Kiel). außerdem Aussagen über den Aufbau und zum Genesezeitpunkt einer Insel liefern. So konnte 36 Funktionen von Inseln in der limnischen Kulturlandschaft Norddeutschlands

Abb. 13: Slawische Fundstellen im Arbeitsgebiet. Quellen: Datenerhebung ALSH durch A. Klammt u. Ph. Lüth (Grafik I. Reese, Kiel). festgestellt werden, dass die Inseln eines Sees gelstände werden am Übergang Atlantikum/ eine ganz unterschiedliche Genese durchlaufen Subboreal und Subboreal/Subatlantikum sowie haben können. im Verlauf des Mittleren Subatlantikums (ent- Mit der vergleichbar großen Anzahl von Inseln spricht etwa der Völkerwanderungszeit) und im und damit einhergehend der höchsten Quellen- jüngeren Subatlantikum erfasst. Der mensch- grundlage, bot der Große Plöner See die beste liche Einfluss auf den Inseln wird dabei wäh- Basis für die Rekonstruktion der ehemaligen rend der Phasen der niedrigen Seespiegelstände Seespiegelstände. Die Ergebnisse aus den Pol- am deutlichsten fassbar. Die neu erarbeiteten lenprofilen der insularen Kesselmoore im Tram- Pollendiagramme der insularen Moore zeigen mer und Lanker See vervollständigten dabei das umfangreiche menschliche Aktivitäten in der Bild für das Untersuchungsgebiet. Diese neuen Älteren Bronzezeit, der Römischen Kaiserzeit Daten bestätigen das generelle Muster der bis- und der Slawenzeit. Aus diesen Abschnitten gibt lang bekannten Wasserstandsschwankungen es eindeutige Nachweise für die Nutzung der des Großen Plöner Sees (Dörfler 2009), zeigen Inseln als Viehweide sowie zu agrarischen Zwe- aber auch kurzfristige Schwankungen an, z.B. cken, z.B. für den Anbau von Getreide. Die Er- während der Vorrömischen Eisenzeit. Die Ergeb- gebnisse sprechen ebenfalls dafür, dass niedrige nisse der paläoökologischen Studien ermöglich- Seespiegelstände während der Vorrömischen ten die Identifizierung von mehreren markanten Eisenzeit vorherrschten. Es deutet jedoch auch Seespiegelschwankungen im Verlaufe des Holo- einiges darauf hin, dass zur gleichen Zeit See- zäns mit niedrigen Wasserständen während des spiegelschwankungen bzw. einzelne starke älteren Atlantikums, des mittleren Subboreals Hochwasserereignisse innerhalb einer kurzen sowie des älteren Subatlantikums. Von da an Zeitspanne tiefgreifende Erosion zur Folge hat- wird ein kontinuierlicher Seespiegelanstieg ver- ten. Ein hoher Anteil an mineralischer Substanz zeichnet, allerdings mit dazwischen liegenden in einigen Bohrprofilen aus dieser Zeitspanne Perioden mit stagnierendem Wasserstand (Rö- verweist darauf, dass Sand offensichtlich vom mische Kaiserzeit, Slawenzeit). Hohe Seespie- Inselkörper ausgewaschen und anschließend in 37 NAU 16 2010

der Uferzone abgelagert wurde. Bisher gibt es einzelne Perioden, wie die Slawenzeit, wichtige keine archäologischen Funde oder Befunde aus Indizien, die beispielsweise zur Neubewertung der Vorrömischen Eisenzeit von Inseln inner- der Siedlungsentwicklung in der Siedlungskam- halb des Untersuchungsgebietes. Pollenanaly- mer um Plön führen werden. Bis in jüngste Zeit tisch konnte jedoch die Anwesenheit des Men- hinein ist hier das Modell dreier Zentralplätze schen nachgewiesen werden. Dieses Phänomen favorisiert worden, die sich ausgehend von Bo- fehlender archäologischer Nachweise mensch- sau über Scharstorf bis zur Olsborg zeitlich und licher Präsenz kann vielleicht dadurch erklärt funktional ablösen (Müller/Kleingärtner werden, dass die entsprechenden Fundstellen 2010). Der Stellenwert dieser Plätze ist nicht tiefer liegen als die heutige Flachwasserzone. zu bezweifeln, jedoch wird man angesichts der Starke Sedimentüberdeckung in Folge des See- neuen Befunde und Daten von Plätzen wie spiegelanstiegs ist vielleicht der Grund für das Probstenwerder sowie einer detaillierten Ana- Nichtauffinden der potenzialen Spuren. Dazu lyse der LIDAR-Daten im Zusammenhang sollen die immer noch laufenden Untersuchung- mit der Landesaufnahme (Lüth i. Vorb.; Abb. en mehr Licht ins Dunkel bringen. 13) den Prozess vorsichtiger beurteilen müs- sen. Gut untersuchte Plätze wie Bosau, Schars- torf und Olsborg verstellen den Blick auf die Ausblick Vielschichtigkeit der slawischen Siedlungszu- sammenhänge. Der Flusslauf der Schwentine Die systematische Prospektion auf und im Um- scheint als verbindendes Element im Raum um feld von Inseln in den Binnengewässern des Un- den Großen Plöner See eine wichtige Rolle ge- tersuchungsgebietes hat in beeindruckender Wei- spielt zu haben. Vor allem die Siedlung Eutin- se die hohe Wahrscheinlichkeit archäologischer Fasaneninsel könnte dabei als wichtiger Kno- Relikte auf Plätzen vor Augen geführt, die als tenpunkt zwischen Schwentine und Schwartau peripher innerhalb ur- und frühgeschichtlicher gedient haben, über den eine Verbindung zum Kulturlandschaften gelten (Abb. 3). Die Inseln Zentralort Alt-Lübeck hergestellt werden konn- in den Binnenseen Norddeutschlands erweisen te (Lüth 2010 i. Dr.). Mit den Funden von der sich im Sinne eines „predictiv mapping“ als die- Insel Probstenwerder liegt ein Fundplatz vor, jenigen Orte, die mit größter Wahrscheinlichkeit dessen Besiedlung mit der frühesten Phase der archäologisch kontaminiert sind. Eine ähnlich Landnahme zusammenzufallen scheint. Wäh- hohe Trefferquote ist lediglich in den mittelal- rend die weitere Nutzung der Insel in der späten terlichen Stadtkernen zu erwarten, die im Ge- Slawenzeit gesichert ist, bleibt die Nutzung des gensatz zu den insularen Plätzen allerdings als Fundplatzes im dazwischen liegenden Zeitraum anthropogene Einflussgebiete leicht zu erkennen unklar. Neben die bekannten Fundplätze, deren sind. Von 31 der 34 untersuchten Inseln wurden herausragende Stellung in der Slawenzeit nicht Artefakte geborgen. Zehn Fundplätze datieren zu bezweifeln ist, treten weitere, vorher kaum in die Steinzeit, zehn in die Slawenzeit. Es gibt bekannte Fundstellen, deren Bedeutung inner- aber auch drei bronzezeitliche, drei eisenzeit- halb des slawischen Siedlungsgefüges nicht ge- liche und chronologisch unbestimmte Plätze. klärt ist. Die archäologischen Befunde scheinen Dabei sind chronologisch aufeinanderfolgende, diesen Fundstellen, insbesondere Probstenwer- aber auch diskontinuierlich genutzte Plätze fest- der und die Fasaneninsel, eine ähnliche Stel- zustellen. Nur in wenigen Fällen (8) liegt eine lung wie den ergrabenen Zentralplätzen ein- auf kurze Zeiträume beschränkte Nutzung vor. zuräumen. Dabei sei darauf hingewiesen, dass Diese wird aber eher vor dem Hintergrund des das Verhältnis von Burgen zu den Umlandsied- Forschungsstandes zu werten sein. lungen in Ostholstein bislang weitgehend un- Die chronologische Verteilung der entdeckten geklärt geblieben ist. Auch der oft konstatierte Fundplätze entspricht dem aus Mecklenburg- Siedlungswandel von der frühen in die späten Vorpommern bekannten Muster: es sind vor Abschnitte der Slawenzeit ist bisher weitgehend allem stein- und slawenzeitliche Funde und Be- unerforscht. Hier liegen noch große Potenziale funde, die sich heute auf Inseln befinden. Auch für die Slawenforschung in Ostholstein. Inseln die Art der Befunde überrascht zunächst nicht. scheinen aber im Verlauf dieser Prozesse zu allen Opferplätze oder Brückenreste haben zahlreiche Zeiten eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Parallelen in den Gewässern der norddeutschen Tiefebene und sind als weitere Belege überre- gionaler Phänomene zu bewerten. Allerdings 3 Wir danken Dr. Angelika Abegg-Wigg, Schleswig, für liefern die neuen subaquatischen Befunde für die redaktionelle Bearbeitung des Aufsatzes.

38 Funktionen von Inseln in der limnischen Kulturlandschaft Norddeutschlands

Ebenfalls von großer Bedeutung für die zukünf- wischen Raum. Beitr. Ur- u. Frühgesch. Mittel- tige Forschung ist die dendrochronologische Da- europa 46 (Langenweißbach 2007) 1–11. tierunge der Pfähle aus dem Stolper See. Da aus Bleile 2008: R. Bleile, Quetzin. Eine spätslawische Ostholstein zumindest eine vergleichbare Anla- Burg auf der Kohlinsel im Plauer See. Befunde und ge bekannt ist, deren Pfähle an eine Kemlade Funde zur Problematik slawischer Inselnutzungen in Mecklenburg-Vorpommern. Beitr. Ur- u. Frühgesch. erinnern, deren Funde aber spätslawenzeitlich Mecklenburg-Vorpommern 48 (Schwerin 2008). sind (Pönitzer See), kommt der Identifikation des Burgentyps und seiner Funktion durchaus Bleile u.a. 2009: R. Bleile/W. D örfler/S. Klein- gärtner/U. Müller/O. Nelle, Das Projekt Ols- überregionale Bedeutung zu. borg. Untersuchungen auf einer Insel im Großen Letztlich bestätigen die palynologischen Ergeb- Plöner See. In: U. Müller/S. Kleingärtner/F. Hu- nisse den interdisziplinären Ansatz des Projek- ber (Hrsg.), Zwischen Nord- und Ostsee. Zehn tes. Es zeigt sich, dass Wasserspiegeländerungen Jahre Arbeitsgruppe für maritime und liminische Siedlungsschichten zerstört haben können, wes- Archäologie (AMLA). Universitätsforsch. Prähist. Arch. 165 (Bonn 2009) 109–128. halb nach archäologischem Quellenstand insu- lare Fundplätze der Bronzezeit und der Eisen- Dörfler 2009: W. Dörfler, Seespiegelschwankung- en des Großen Plöner Sees im Licht alter und neuer zeit sehr selten sind. Palynologisch sind aber Daten. In: U. Müller/S. Kleingärtner/F. Hu- auch während der älteren Bronzezeit und der ber (Hrsg.), Zwischen Nord- und Ostsee. Zehn Römischen Kaiserzeit menschliche Aktivitäten Jahre Arbeitsgruppe für maritime und liminische auf den Inseln nachweisbar. Archäologie (AMLA). Universitätsforsch. Prähist. So unscheinbar die oftmals kleinen Inseln heute Arch. 165 (Bonn 2009) 143–156. auch sein mögen, sie bergen noch immer zahl- Dulinicz 2006: M. Dulinicz, Frühe Slawen im reiche unbekannte Hinweise auf die vor- und Gebiet zwischen unterer Weichsel und Elbe. Eine frühgeschichtliche Kulturlandschaftsentwick- archäologische Studie. Stud. Siedlungsgesch. u. Arch Ostseegebiete 7 (Neumünster 2006). lung. Die Seen selbst gelten als einzigartige Ar- chive der Klima- und Landschaftsentwicklung. Friedland 2009: N. Friedland, „In quo Plunie civitas sita est“: Die Insel Olsborg im Großen Plöner See zur Insel- und Seeentwicklung zusammenzuführen Zeit der slawischen Besiedlung. In: F. Biermann/ und in einem interdisziplinären Forschungspro- K. Kersting/A. Klammt (Hrsg.), Siedlungsstruktu- jekt zu untersuchen hat sich als sinnvoll und er- ren und Burgen im westslawischen Raum. Beitr. tragreich erwiesen. Es sind nicht nur die neuen Ur- u. Frühgesch. Mitteleuropa 52 (Langenweißbach Fundplätze und naturwissenschaftlichen Datie- 2009) 105–120. rungen, sondern auch modifizierte Fragen, die Gringmuth-Dallmer 2007: E. Gringmuth-Dall- wir diesem Projekt verdanken.3 mer, Das Odergebiet in ur- und frühgeschichtlicher Zeit – ein Wirtschafts- und Kommunikationsraum? Siedlungsforschung 25, 2007, 57–74.

Hale 2004: A. G. C. Hale, Scottish marine Cran- Anschriften der VerfasserInnen nogs. BAR 369 (Oxford 2004).

Dr. R alf Bleile Harck 1985: O. Harck, Submarine Archäologie in Archäologisches Landesmuseum Schleswig-Holstein. Offa 42, 1985, 431–446. in der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Huber/Lüth/Wieckowska 2009a: F. Huber/Ph. Schloss Gottorf Lüth/M. Wieckowska, Auf einer einsamen Insel… D 24837 Schleswig Arch. Nachr. Schleswig-Holstein 15, 2009, 34–37. Huber/Lüth/Wieckowska 2009b: F. Huber/Ph. Prof. Dr. Ulrich Müller Lüth/M. Wieckowska, Besiedlung und Nutzung von Dr. Walter Dörfler Inseln in den Seen der Ostholsteinischen Seenplatte Dipl. Prähist. Phillip Lüth – Ein Beitrag zur Gewässerforschung in Schleswig- Ines Reese M.A. Holstein. Starigard 9, 2008/09, 48–56. Dipl. Biol. Magdalena Wieckowska Institut für Ur- und Frühgeschichte Inseln 2000: Bayerische Gesellschaft für Unter- Christian-Albrechts-Universität zu Kiel wasserarchäologie e.V. in Zusammenarbeit mit D 24098 Kiel der Kommission für Unterwasserarchäologie im Verband der Landesarchäologen der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Inseln in der Archäologie: Vorgeschichte, klassische Antike, Mittelalter, Neu- Literatur zeit. Internationaler Kongreß 10.–12. Juli 1998, Starnberg. Arch. unter Wasser 3 (München 2000). Biermann 2007: F. Biermann, Flüsse und andere Binnengewässer als Grenzen, Besiedlungs- und Kaiser 2001: K. Kaiser, Die spätpleistozäne bis Kommunikationslinien im slawischen Siedlungs- frühholozäne Beckenentwicklung in Mecklenburg- gebiet. In: F. Biermann/Th. Kersting (Hrsg.), Sied- Vorpommern – Untersuchungen zur Stratigraphie, lung, Kommunikation und Wirtschaft im westsla- Geomorphologie und Geoarchäologie. Greifswalder

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