Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 17/179

Deutscher

Stenografischer Bericht

179. Sitzung

Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Inhalt:

Zusatztagesordnungspunkt 6: b) Antrag der Abgeordneten Michael Groß, Sören Bartol, , weiterer Abgabe einer Regierungserklärung durch den Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bundesminister des Auswärtigen: Europas Soziale Wohnraumförderung durch Weg aus der Krise: Wachstum durch Wett- Bund und Länder bis 2019 fortführen bewerbsfähigkeit ...... 21327 A (Drucksache 17/9425) ...... 21351 D Dr. , Bundesminister Ingo Egloff (SPD) ...... 21352 A AA ...... 21327 B Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) ...... 21353 D (Peine) (SPD) ...... 21331 B (DIE LINKE) ...... 21356 B (CDU/CSU) ...... 21333 C Sebastian Körber (FDP) ...... 21358 B (DIE LINKE) ...... 21335 B (BÜNDNIS 90/ Joachim Spatz (FDP) ...... 21336 D DIE GRÜNEN) ...... 21359 D Dr. Frithjof (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 21361 C DIE GRÜNEN) ...... 21337 D (SPD) ...... 21363 C (CDU/CSU) ...... 21339 A Heidrun Bluhm (DIE LINKE) ...... 21365 C Michael Roth (Heringen) (SPD) ...... 21341 A (FDP) ...... 21365 D (FDP) ...... 21342 C Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) ...... 21367 B (DIE LINKE) ...... 21344 A (DIE LINKE) ...... 21367 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 21344 D Florian Pronold (SPD) ...... 21368 A Joachim Spatz (FDP) ...... 21345 A Jan Mücke (FDP) ...... 21368 C Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 21346 B Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) ...... 21369 D (SPD) ...... 21347 C (CDU/CSU) ...... 21349 B Tagesordnungspunkt 31: Hubertus Heil (Peine) (SPD) ...... 21350 C Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Tagesordnungspunkt 32: – zu dem Antrag der Abgeordneten a) Antrag der Fraktion der SPD: Soziales Dorothee Bär, Markus Grübel, Erwin Mietrecht erhalten und klimagerecht Rüddel, weiterer Abgeordneter und der verbessern Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- (Drucksache 17/9559) ...... 21351 D ordneten Miriam Gruß, Nicole Bracht- II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Bendt, Florian Bernschneider, weiterer Fraktion DIE LINKE: Für eine moderne Abgeordneter und der Fraktion der FDP: und zukunftsweisende Familienpolitik Altersbilder positiv fortentwickeln – (Drucksachen 17/6915, 17/9551) ...... 21385 A Potenziale des Alters nutzen (CDU/CSU) ...... 21385 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Crone, Angelika Graf (Rosenheim), Petra Christel Humme (SPD) ...... 21387 B Ernstberger, weiterer Abgeordneter und Miriam Gruß (FDP) ...... 21389 A der Fraktion der SPD: Potenziale des Alters und des Alterns stärken – Die Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 21389 C Teilhabe der älteren Generation durch Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ bürgerschaftliches Engagement und DIE GRÜNEN) ...... 21390 C Bildung fördern – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Sechster Bericht zur Lage der Tagesordnungspunkt 35: älteren Generation in der Bundesrepu- a) Erste Beratung des von den Abgeordneten blik Deutschland – Altersbilder in der , Bärbel Höhn, Hans-Josef Gesellschaft Fell, weiteren Abgeordneten und der Frak- und tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- Stellungnahme der Bundesregierung brachten Entwurfs eines Gesetzes zur (Drucksachen 17/8345, 17/2145, 17/3815, Vereinheitlichung der bergrechtlichen 17/9504) ...... 21370 D Förderabgabe (Drucksache 17/9390) ...... 21391 D Markus Grübel (CDU/CSU) ...... 21371 A b) Antrag der Abgeordneten Rolf (SPD) ...... 21373 B Hempelmann, , Klaus Nicole Bracht-Bendt (FDP) ...... 21374 B Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Anpassung des deut- Heidrun Dittrich (DIE LINKE) ...... 21375 B schen Bergrechts (Drucksache 17/9560) ...... 21391 D Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 21376 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 21392 A Ingrid Fischbach (CDU/CSU) ...... 21378 A Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) ...... 21393 A Petra Crone (SPD) ...... 21379 C Rolf Hempelmann (SPD) ...... 21394 D (FDP) ...... 21380 D (FDP) ...... 21395 D Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ ...... 21381 C Sabine Stüber (DIE LINKE) ...... 21397 B Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) ...... 21382 C Nächste Sitzung ...... 21398 C (CDU/CSU) ...... 21383 C

Anlage 1 Tagesordnungspunkt 34: Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 21399 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Anlage 2 Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Amtliche Mitteilungen ...... 21400 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21327

(A) (C)

179. Sitzung

Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : enskrise geworden. Um Vertrauen zurückzugewinnen, Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. müssen wir überzeugend darlegen, dass der Euro-Raum künftig ein Ort dauerhafter finanzieller Stabilität sein Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wird. Dazu haben wir die richtigen Weichen gestellt. Der begrüße Sie alle herzlich. Stabilitäts- und Wachstumspakt bekommt neue Autori- Heute gibt es bedauerlicherweise keine Geburtstage tät. Verstöße gegen den Stabilitätspakt werden in Zu- zu erwähnen, sodass wir gleich in die Tagesordnung ein- kunft früh und wirkungsvoll sanktioniert. Die Bundesre- treten können und müssen. Das muss aber der guten gierung aus dem Jahre 2004 hat den Stabilitätspakt Laune nicht im Wege stehen. aufgeweicht. Diese Bundesregierung wird die Fehler von damals nicht wiederholen. Ich rufe unseren Zusatzpunkt 6 auf: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Abgabe einer Regierungserklärung durch den (B) Bundesminister des Auswärtigen Wir wollen raus aus der Schuldenpolitik hier bei uns (D) Europas Weg aus der Krise: Wachstum durch in Deutschland, auch in den Bundesländern, Wettbewerbsfähigkeit (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und dann Ich weise darauf hin, dass es hierzu einen Entschlie- macht ihr das Betreuungsgeld!) ßungsantrag der Fraktion Die Linke gibt. in Europa, weil wir der Überzeugung sind, dass das An- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für werfen von Notenpressen, das Drucken von Geld keine die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä- Antwort sein kann. Das führt zur Geldentwertung. Das rung 90 Minuten vorgesehen. – Auch das ist offensicht- führte zur Inflation. Die Stabilität unseres Geldes ist ein lich einvernehmlich und damit so beschlossen. Kernanliegen der Bundesregierung. Es ist auch eine so- Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat ziale Herausforderung. Denn unter Inflation leiden die der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Ärmsten am allermeisten. Westerwelle. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Mit dem Fiskalpakt verpflichten sich die Regierungen in ganz Europa, nationale Schuldenbremsen einzufüh- Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- ren. Der Fiskalpakt trägt die Unterschrift von 25 Staats- wärtigen: und Regierungschefs. Drei Mitgliedstaaten haben den Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Fiskalpakt bereits ratifiziert, nämlich Portugal, Slowe- ren! Kolleginnen und Kollegen! Europa ist in einer Prä- nien und auch Griechenland. Irland führt am 31. Mai ein gephase. Das Bild Europas in der Welt wird jetzt nach- Referendum zum Fiskalpakt durch. In anderen Mitglied- haltig geprägt. Das Bild Europas bei den Bürgerinnen staaten ist das parlamentarische Verfahren eingeleitet. und Bürgern in Europa wird jetzt nachhaltig geprägt, aber auch das Bild Deutschlands in Europa wird jetzt für Ich will es noch einmal mit großer Deutlichkeit sa- viele Jahre nachhaltig geprägt. gen: Der Fiskalpakt ist beschlossen, und er gilt. Wir haben es mit einer Staatsschuldenkrise zu tun. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Schuldenstände einzelner Euro-Staaten sind zu hoch. Die Finanzmärkte haben infrage gestellt, ob diese Das Ende der Schuldenpolitik in Europa ist vereinbart. Schuldenberge jemals wieder abgetragen werden kön- Dabei bleibt es. Vereinbarungen zwischen Staaten wer- nen. Aus der Staatsschuldenkrise ist somit eine Vertrau- den durch Wahlen nicht ungültig. 21328 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) Deutschland hat für diesen Kurs unermüdlich gewor- auch beim Europäischen Rat im Juni das Thema Wachs- (C) ben und hart verhandelt: der Finanzminister, ich selbst tum erneut auf der Tagesordnung. als Außenminister, aber vor allem an der Spitze die Bun- deskanzlerin. In Europa und international setzt sich Manche haben uns in den letzten Monaten und in den Deutschland für ein Ende der Politik des Schuldenma- letzten beiden Jahren empfohlen, wir hätten von Anfang chens ein. Es untergräbt die Glaubwürdigkeit unseres an einen anderen Weg einschlagen sollen, der im We- Landes, wenn einzelne Bundesländer in Deutschland sentlichen in folgender Weise zusammengefasst ist: Von ihre Schuldenpolitik trotzdem weiter fortsetzen wollen. Anfang an hätte Deutschland, hätte die Bundesregierung einen großen Batzen Geld ins Schaufenster legen sollen (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Jetzt ist er wie- zur Stabilisierung und zur Abschreckung der Spekula- der da!) tion der Finanzmärkte. – Hätten wir als Bundesregierung zu Beginn der Krise gleich den von der Opposition ge- Die Ursache der Krise waren zu hohe Staatsschulden. forderten Blankoscheck der Solidarität ausgestellt: Wir Die Folge waren verantwortungslose Spekulationen. Ge- hätten in den Verhandlungen keine einzige der Gegen- gen beides brauchen wir neue Regeln. leistungen für Stabilität durchsetzen können. Zu den richtigen Lehren aus der Krise gehört auch die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) bessere Regulierung der Finanzmärkte. Die Bundesre- gierung hat ungedeckte Leerverkäufe bereits im Mai Es war richtig, dass Leistung und Gegenleistung von uns 2010 dauerhaft verboten. Wir sorgen für einen stabileren stets zusammen gesehen wurden. Bankensektor. Wir haben strengere Eigenkapitalvor- Wachstum kann man nicht mit Schulden kaufen. schriften eingeführt. Mit der Bankenabgabe haben wir Wettbewerbsfähigkeit ist der Schlüssel für mehr Wachs- Risiko und Haftung wieder zusammengebracht. tum. Wettbewerbsfähigkeit erlangt man durch Struktur- Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her- reformen; darauf weist der Wirtschaftsminister zu Recht ren, die erste Säule unserer Politik ist der Fiskalpakt für hin. weniger Schulden; die zweite Säule unserer Politik ist ( [SPD]: Hotelsteuer und Wachstum durch mehr Wettbewerbsfähigkeit. Zu einer so, ja?) wachstumsorientierten Politik muss diese Bundesregie- rung niemand überreden. Wachstum ist ein Kernanliegen Gut zehn Jahre ist es her, da galt Deutschland als der der christlich-liberalen Koalition. kranke Mann Europas. Heute ist Deutschland wieder die Wachstumslokomotive in Europa. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (B) Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aha!) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Trotz Guido!) (D) Ohne Schuldenabbau kein Vertrauen. Ohne Vertrauen Heute ist Deutschland wieder global wettbewerbsfähig. keine Investitionen. Ohne Investitionen kein Wachstum. Die Arbeitslosigkeit sinkt; vor allem die Jugendarbeits- Ohne Wachstum keine Arbeitsplätze. Ohne Arbeits- losigkeit ist so niedrig wie nirgendwo sonst in Europa. plätze keine neuen Staatseinnahmen. Haushaltsdisziplin Das ist der Lohn der Mühe unserer Bürgerinnen und und Wachstum sind deshalb zwei Seiten derselben Me- Bürger. Das ist das Ergebnis von verantwortungsvollem daille. Handeln der Tarifparteien. Es ist auch das Ergebnis der neuen politischen Rahmenbedingungen durch die christ- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) lich-liberale Koalition. Die Bundesregierung hat sich seit Beginn der Staats- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Selbstbeweih- schuldenkrise neben der notwendigen Haushaltskonsoli- räucherung!) dierung konsequent für mehr Wachstum durch Wettbe- werbsfähigkeit in Europa eingesetzt. Bereits vor zwei Ich füge ausdrücklich hinzu: Auch die hat Jahren wurde die neue Strategie für Beschäftigung und die Grundlagen dafür gelegt, dass wir heute so gut daste- Wachstum „Europa 2020“ beschlossen. Seither haben hen. Deswegen ist es gänzlich unverständlich, dass Sie sich alle – alle! – Europäischen Räte wie auch zahlreiche sich davon wieder abseilen wollen. Allgemeine Räte und Fachräte mit den Themen Wachs- tum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung befasst, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) übrigens immer wieder auch auf deutsch-französische Wir wissen um den schweren Weg, den viele Men- Initiative. schen in Europa derzeit gehen müssen. Dafür empfinden (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und was sind wir großen Respekt und höchste Anerkennung. Die die Ergebnisse?) Menschen, die derzeit in vielen Ländern Europas in ei- ner sehr schwierigen Lage sind, können persönlich Auch der letzte Europäische Rat im März dieses Jah- nichts dafür, dass Reformen in ihren Ländern in den letz- res betonte die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidie- ten Jahren unterlassen worden sind. Deswegen rate ich rung wie auch die Notwendigkeit der Förderung von uns allen, nicht mit Hochnäsigkeit auf die Lage in diesen Wachstum, von Wettbewerbsfähigkeit und natürlich Ländern zu reagieren, sondern Verständnis dafür zu ha- auch von Beschäftigung. Wie schon beim informellen ben, was diese Menschen durchmachen. Diesen Rat Sonderrat am 23. Mai – die Bundeskanzlerin hat gestern richte ich nicht nur an eine Seite, sondern an alle, die da- in ihrer Regierungserklärung darauf hingewiesen – steht rüber diskutieren. Gerade weil wir derzeit wirtschaftlich Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21329

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) so stark sind, müssen wir in den europäischen Diskussio- darf nicht mehr darum gehen, einfach möglichst viel (C) nen eine besondere Sensibilität zeigen. Geld für die eigenen nationalen Steckenpferde zurückzu- holen. Das führt am Ende zu Fehlentwicklungen wie eu- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ropäisch geförderte Wellnessoasen in Romantikhotels. Angesichts einer zum Teil stark schrumpfenden Wirt- Wir alle kennen solche Beispiele, übrigens auch aus un- schaft, angesichts hoher Arbeitslosigkeit, angesichts ei- serem eigenen Land. ner vor allem erschreckend hohen Jugendarbeitslosigkeit Strukturmittel, die die Europäische Union ausgibt, sind die jetzt angepackten Reformen die einzige nach- müssen zu mehr Wachstum und zu mehr Wettbewerbsfä- haltige Chance. Nur so können wir die wirtschaftliche higkeit in Europa beitragen. Das sind wir nicht nur de- und soziale Lage in den jeweiligen Mitgliedstaaten und nen schuldig, die auf unsere Solidarität angewiesen sind, überall in Europa zum Guten wenden. sondern das schulden wir allen europäischen Steuerzah- Ein Wort zu Griechenland: Wir stehen zu unseren lern. Die Bundesregierung hat in die laufenden Haus- Hilfszusagen. Das bedeutet aber auch, dass die verein- haltsverhandlungen in Brüssel einen Aktionsplan zum barten Reformen in Griechenland umgesetzt werden. Better Spending eingebracht. Gleichzeitig wollen wir, Wir wollen die Euro-Zone zusammenhalten. Die Zu- dass die Ausgaben stärker überwacht und an messbare kunft Griechenlands in der Euro-Zone liegt nun in den Kriterien geknüpft werden. Mit dem Geld der europäi- Händen Griechenlands. Wir wollen und werden Grie- schen Steuerzahler wollen wir gute Ergebnisse befördern chenland helfen. Griechenland muss sich aber auch hel- statt Förderquoten zu erfüllen. fen lassen wollen. Wenn der verbindlich vereinbarte Re- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten formweg verlassen werden sollte, dann ist die der CDU/CSU) Auszahlung weiterer Hilfstranchen nicht mehr möglich. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Solidarität funktio- Zweitens. Aus den Struktur- und Kohäsionsfonds der niert nicht ohne Solidität. Was vereinbart ist, muss gel- laufenden Haushaltsperiode stehen noch knapp 80 Mil- ten. liarden Euro zur Verfügung, die bis heute noch keinen konkreten Projekten zugeordnet sind. Wir wollen, dass (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die Europäische Kommission diese Mittel nutzt und ge- Das ist die Haltung der Bundesregierung, meine Damen meinsam mit den Mitgliedstaaten jetzt schneller und wir- und Herren Abgeordnete. Das ist die Haltung unserer eu- kungsvoller in neues Wachstum durch bessere Wettbe- ropäischen Partner. Das ist übrigens auch die Haltung werbsfähigkeit investiert. des Präsidenten der Europäischen Kommission, und das Drittens. Weil der Bankensektor unter der Last fauler ist die Haltung des Präsidenten des Europäischen Parla- Kredite leidet, klagen viele Unternehmen in Europa über (B) ments. (D) eine Kreditklemme. Mit der Europäischen Investitions- Für neues Wachstum liegt die Verantwortung zuerst bank verfügen wir über ein Instrument, das wir stärker und vor allem bei den Mitgliedstaaten. Durch nationale und gezielter nutzen sollten. Wir wollen den Zugang ge- Strukturreformen müssen die Mitgliedstaaten die Wett- rade kleinerer und mittelständischer Unternehmen zu bewerbsfähigkeit wieder herstellen, die für neues Krediten verbessern und die Expertise der Europäischen Wachstum zwingend ist. Hierzu gehört es beispiels- Investitionsbank besser nutzen. weise, die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu (Beifall bei der FDP – Hubertus Heil [Peine] machen. Dazu zählt, die Arbeitsmärkte gerade für junge [SPD]: Und was ist mit dem Stammkapital?) Menschen stärker zu öffnen und Schwarzarbeit abzu- bauen. Viertens. Europas Straßen und Schienen, unsere Ener- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Irland!) gie- und Telekommunikationsnetze gehören zu den großen Trümpfen der europäischen Wirtschaft. Sie zu er- Dazu bedarf es eines klaren Bekenntnisses zur Förde- halten und zu verbessern, eröffnet neue Wachstumsper- rung von Bildung, Wissenschaft und Forschung. Auch spektiven. Für den grenzüberschreitenden Ausbau der auf europäischer Ebene wollen wir noch stärker auf europäischen Infrastruktur muss mehr privates Kapital Wachstum setzen. Ein europäischer Wachstumspakt mobilisiert werden. Wir müssen hier auch innovative muss folgende sechs Punkte beinhalten: Wege im Bereich Public-Private-Partnership ausloten. Erstens. Die Europäische Union darf nicht mehr aus- Fünftens. Schon einmal wurden in den 80er- und geben als bisher. Sie muss aber ihre Mittel besser einset- 90er-Jahren durch die Verwirklichung der sogenannten zen als bisher. vier Freiheiten im europäischen Binnenmarkt enorme Wachstumskräfte freigesetzt. Heute bietet die Ausdeh- (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nung des Binnenmarktes auf neue Felder erneut große NEN]: Sie fordern doch weniger!) Chancen. Das gilt für die digitalisierte Wirtschaft und Geld ist durchaus vorhanden. Der Zukunftshaushalt den Internethandel. Das betrifft den Energiesektor, wo der Europäischen Union für die Jahre 2014 bis 2020 mehr Wettbewerb zu niedrigeren Preisen und größerer sieht ein Volumen von über 1 Billion Euro vor. Aus die- Versorgungssicherheit für die Verbraucher führen wird, sem Haushaltsplan muss der politische Anspruch der Eu- und das zielt auf die Stärkung von kleinen und mittleren ropäischen Union ablesbar sein, Zukunft zu gestalten Unternehmen durch den Abbau von Bürokratie, durch und nicht nur Vergangenheit zu verwalten. Wir brauchen besseren Zugang zu Risikokapital und eine Modernisie- bei der Verwendung dieser Mittel ein neues Denken. Es rung des europäischen Vergaberechts. 21330 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) Sechstens. Wir wollen den Freihandel stärken. Drei rungstendenzen, die mich besorgen. Die Reisefreiheit (C) Viertel der Weltwirtschaft liegt außerhalb der Europäi- gehört für mich zu den kostbarsten europäischen Errun- schen Union. Mehr als 80 Prozent des weltweiten Wachs- genschaften. Sie zu bewahren und zu verteidigen ist ein tums werden mittlerweile außerhalb der Europäischen Kernanliegen der Bundesregierung. Wer anfängt, Europa Union erwirtschaftet, vor allem in Asien sowie in Nord- stückweise aufzugeben, der wird es am Ende ganz ver- und Südamerika. Solange ein Abschluss der Doha-Runde lieren. für ein weltweites Freihandelssystem nicht erreichbar ist, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie muss die Europäische Union daran arbeiten, weitere Frei- des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE handelsabkommen mit den alten und neuen Kraftzentren GRÜNEN]) der Welt abzuschließen. Die Welt verändert sich, und die Architektur der Welt Die Verhandlungen mit Kanada und Indien wollen verändert sich, weil die Gewichte sich verschieben. wir zügig zum Abschluss bringen. Mit Singapur und Deutschland ist in Europa relativ groß, in der Welt ist Malaysia sind die Verhandlungen auf gutem Wege. Auf Deutschland relativ klein. Wir brauchen unsere europäi- dem EU-Asien-Außenministertreffen vor wenigen Ta- schen Partner. Gefragt ist der ökonomische, politische gen hat sich gezeigt, dass in der gesamten Region großes und kulturelle Selbstbehauptungswille von uns Euro- Interesse an Abkommen mit der Europäischen Union be- päern. Europa ist eine Wertegemeinschaft. Deshalb steht. Die Vorgespräche für die Aufnahme von Verhand- schweigen wir nicht, wenn in unmittelbarer Nachbar- lungen zwischen der Europäischen Union und Japan ste- schaft auf unserem europäischen Kontinent gemeinsame hen kurz vor ihrem Abschluss. Werte verletzt werden. Wir stehen an der Seite der Un- Gegenüber Partnern wie den Golfstaaten und Brasi- terdrückten in Weißrussland, übrigens auch dann, wenn lien werben wir dafür, den Verhandlungen neue Impulse dies nicht jeden Tag Gegenstand medialer Betrachtung zu geben. Mit den USA gibt es Vorgespräche und bereits ist. Das ist Europa, und das, was in Weißrussland statt- erhebliche Vorarbeiten. Wir sind bereit zu einem umfas- findet, ist eine Schande für Europa. senden Abkommen mit unseren engsten Verbündeten, (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem den Vereinigten Staaten von Amerika. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Diese sechs Punkte für mehr Wachstum in Europa geordneten der SPD und der LINKEN) zeigen, dass man Wachstum schaffen kann, ohne neue Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind Grundpfeiler Schulden zu machen. unserer europäischen Werteordnung. Ohne sie, ohne De- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) mokratie und Rechtsstaatlichkeit, kann es keine weitere Annäherung an die Europäische Union geben. Das gilt (B) (D) Der Kurs der Bundesregierung bei der Bewältigung auch für die Ukraine. der Krise ist klar. Es gibt ein europäisches Lebensmodell, auf das wir (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ach ja? Eher stolz sein können. Dazu gehört, dass Freiheit und Sicher- Zickzack!) heit in Balance gehalten werden, dass der Einzelne etwas Wir sind der Überzeugung: Europa ist nicht das Pro- zählt und nicht nur das Kollektiv, dass wir nicht nur ma- blem, sondern es ist Teil der Lösung des Problems. Es terielle, sondern auch postmaterielle Werte schätzen, reicht nicht, aus der Krise nur finanz- und wirtschafts- nämlich individuelle Freiheit, soziale Sicherheit, politische Konsequenzen zu ziehen, so wichtig die natür- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Soziale Sicher- lich sind. Wir müssen strukturelle Antworten geben. Die heit ist aber materiell!) Europäische Union muss handlungsfähiger und effizien- ter werden. Auch das ist eine Lehre aus der Krise. Freiheit von Angst, kulturelle Vielfalt und eine lebens- werte Umwelt. In der Globalisierung müssen wir dieses Wir haben eine Zukunftsgruppe ins Leben gerufen, Lebensmodell gemeinsam verteidigen. Wir wollen, dass (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Eine Zukunfts- sich Europa als Kulturgemeinschaft behauptet. gruppe?) Die deutsch-französische Freundschaft ist für den Er- in der wir institutionelle Verbesserungen diskutieren, die folg Europas unverzichtbar. Wir gratulieren dem neu ge- auch unterhalb von Vertragsänderungen umgesetzt wer- wählten französischen Präsidenten François Hollande. den können. Wir werden alle europäischen Mitgliedslän- (Beifall im ganzen Hause) der und natürlich auch die europäischen Institutionen, insbesondere das Europäische Parlament und die Euro- Wir werden bewährt und eng mit der neuen französi- päische Kommission, in diese Diskussion einbeziehen. schen Regierung zusammenarbeiten und gemeinsam mit Mit dem Präsidenten des Europäischen Parlamentes unseren europäischen Partnern die Lösung der Probleme habe ich dazu in dieser Woche hier in Berlin Gespräche anpacken. Ich denke – das hat der Beifall gezeigt –, wir geführt. gratulieren alle gemeinsam dem neu gewählten, dem de- mokratisch gewählten französischen Präsidenten. (Zuruf von der SPD: Wir auch!) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die einen frü- Die große historische Frage ist, ob die Fliehkräfte, die her, die anderen später! – Dr. in der Krise auf Europa wirken, größer sind als die poli- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie tische Kraft des Zusammenhalts. Es gibt Renationalisie- sich dazu durchringen können! – Thomas Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21331

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) Oppermann [SPD]: Hinterher ist man immer Luft und Stanzen. Der Verdruss über Europa hat auch (C) klüger!) mit dieser Art von Reden zu tun, die Sie hier liefern. Ich bin gespannt auf das Folgende. Wir danken dem (Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: scheidenden Präsidenten Frankreichs, Nicolas Sarkozy, Sie haben nicht zugehört! Sie haben zu viel für die freundschaftliche Zusammenarbeit der letzten mit Herrn Steinmeier geredet!) Jahre. Erlauben Sie mir, dass ich in diesen Dank auch Außenminister Alain Juppé und die anderen Kabinetts- Es war kein einziger neuer Gedanke und kein konkreter kollegen einschließe. Vorschlag zu hören, sondern lediglich das Mantra von Guido Westerwelle zwei Tage vor der nordrhein-westfä- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie lischen Landtagswahl. Das ist der Grund für Ihre Regie- bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- rungserklärung. Das ist aber keine Regierungserklärung NISSES 90/DIE GRÜNEN) von Guido Westerwelle. Das hätte eine Regierungserklä- – An dieser Stelle, Genossen, fehlt der Beifall. rung der Bundesregierung sein sollen, die in diesem Punkt sträflich versagt. (Thomas Oppermann [SPD]: Aber Ihre Kanz- lerin ist doch froh, dass das vorbei ist!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will es Ihnen ganz offen sagen: Ich finde, dass die deutsch-französische Freundschaft von nationalen par- Lassen Sie uns einmal Klartext reden, Herr teipolitischen Präferenzen völlig unabhängig ist. Westerwelle, über das, was Sie in den letzten zwei, drei Jahren unterlassen haben: Ihr Zögern und Zaudern, auch (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie die Feigheit der Bundeskanzlerin, den Menschen die bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Wahrheit über das Ausmaß der Krise zu sagen, und die GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Unfähigkeit, Wachstumsinitiativen auf den Weg zu brin- Binsenweisheit! Wir haben das nie bezweifelt, gen, sowie der Glaube daran, dass man allein mit Hilfs- Herr Westerwelle!) krediten und kurzfristigen fiskalischen Auflagen Europa Wir kämpfen für Europa – mit Pragmatismus und aus der Krise führen kann – dieser Weg ist es, der Weitsicht, mit Verstand und Herz. Unser Auftrag ist das, Europa im Moment noch tiefer in die Krise führt, anstatt was bereits in der Präambel des Grundgesetzes festge- Europa herauszuführen. legt wurde. An diese Präambel des Grundgesetzes, die (Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: uns alle verpflichtet, möchte ich erinnern: „… in einem Sie haben nicht zugehört!) vereinten Europa“ – so heißt es dort – „dem Frieden der (B) Welt zu dienen“. Europa ist die Antwort auf das dun- Wenn Sie uns nicht glauben, Herr Westerwelle, dann (D) kelste Kapitel unserer Geschichte. Europa ist eine Ant- hören Sie wenigstens auf das, was Ihnen inzwischen die wort des Friedens auf Jahrhunderte der Kriege. Noch ganze Welt ins Stammbuch schreibt. Hören Sie auf mehr aber ist Europa unsere Zukunft. Europa ist unser Christine Lagarde, die Chefin des IWF. Hören Sie auf Schicksal, und Europa ist auch unsere Leidenschaft. Bill Clinton, der sich zu diesem Thema geäußert hat. Hö- Deshalb arbeiten wir alle gemeinsam dafür, dass Europa ren Sie auf den Nobelpreisträger für Ökonomie, Paul diese Bewährungsprobe besteht. Wir wissen, was wir an Krugman, der Ihnen das ins Stammbuch geschrieben hat. Europa haben. Deshalb wollen wir, dass Europa diese Ja, Strukturreformen sind notwendig. Das ist gar keine Lage meistert. Frage. Davon haben wir übrigens ein bisschen mehr Ah- nung als diese Regierung; das will ich klar sagen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – [FDP]: Aha!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol- Ich sage Ihnen einmal etwas, Herr Brüderle: Dampf- lege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion. plauderreden, wie Sie sie hier halten, kann jeder. Wir hingegen haben uns darangemacht, schwierige und mu- (Beifall bei der SPD) tige Entscheidungen zu treffen, und das hat Deutschland gedient. Das waren wir und nicht Sie. Hubertus Heil (Peine) (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – ren! Sehr geehrter Herr Westerwelle! Als Sie vor einigen Rainer Brüderle [FDP]: August Bebel war es, Tagen für heute eine Regierungserklärung zum Thema Herr Heil!) „Europas Weg aus der Krise: Wachstum durch Wettbe- werbsfähigkeit“ angemeldet haben, hatte ich gewisse Jetzt will ich Ihnen etwas zu dem Popanz sagen, den Hoffnungen. Ich wollte eigentlich sagen: Willkommen Sie hier aufbauen: Es ist doch überhaupt gar keine Frage, in einer Debatte über Europa, an der Sie zwei, drei Jahre dass Länder, die Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit nicht teilgenommen haben. Herzlich willkommen in ei- haben, auch langfristig wirkende Strukturreformen brau- ner Debatte über Wachstum, zu der Sie in den letzten chen. Das bezweifelt niemand. Es ist auch keine Frage, Wochen und Monaten nichts beigetragen haben. – Und dass Europa Haushaltsdisziplin braucht. Die Staaten jetzt höre ich 26 Minuten lang nichts anderes als heiße müssen unabhängiger werden von den Launen der 21332 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. 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Hubertus Heil (Peine) (A) Finanzmärkte und ihrer Finanzierung. Ganz klar ist aber europäischen Papieren ziehen kann, einen großartigen (C) auch: Ohne Wachstumsperspektiven und wirtschaftliche Redenschreiber haben. Dynamik gelingt es nicht, die Haushalte zu konsoli- dieren, und Wachstum braucht Investitionen, Herr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Westerwelle. Das ist in dieser Situation wichtig, aber das des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) haben Sie nicht begriffen. Lassen Sie uns jetzt über fünf konkrete Vorschläge re- den. Ich willen wissen, wie sich diese Bundesregierung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dazu verhält. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Private und nicht öf- Erstens. Um öffentliche und private Investitionen zu fentliche!) bündeln, um Investitionsimpulse für Wachstum in Europa zu generieren, schlagen wir Ihnen die Gründung – Private und öffentliche Investitionen; das sage ich Ih- eines Investitions- und Aufbaufonds vor, gespeist aus nen. – Das haben Sie nicht begriffen. Private Investitio- den Mitteln der europäischen Strukturhilfen – die da nen fallen nicht vom Himmel, zumal nicht in dieser Si- sind –, aus einer Umsteuerung bei der Strukturförderung tuation. Dafür braucht man mutige Politik und mutige im Agrarsektor, die in den Krisenländern zum Teil voll- Initiativen. Ich will Ihnen dazu gleich ein paar Vor- kommen falsch geleitet war – warum Sie dazu keinen schläge machen. Satz sagen, weiß ich nicht –, und dem Aufkommen einer (Beifall bei der SPD) Finanztransaktionsteuer; das Wort fehlt bei Ihnen. Niemand bezweifelt – das sage ich noch einmal –, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass wir von der Staatsverschuldung in Europa herunter- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – müssen. Aber schon die Krisenanalyse, die Sie hier zim- Patrick Döring [FDP]: Das hat er alles gesagt!) mern, stimmt so nicht. Wir wollen nicht neue Schulden machen. Wir brau- ( [CDU/CSU]: Das fängt bei chen die Besteuerung der Finanzmärkte, um Wachstums- den Ländern schon an!) impulse zu bekommen. Herr Westerwelle, da sind Sie der Bremser in Europa. Dass Frau Merkel hilflos in Ja, es gab Staaten, die fiskalisch weit über ihre Verhält- Europa herumstrauchelt und sagt: „Privat bin auch ich ir- nisse gelebt haben. Das ist Politikversagen. Aber es gab gendwie für eine Finanztransaktionsteuer, aber ich auch Staaten wie Irland und Spanien, wo es kein Politik- schaffe es nicht einmal, das in meiner eigenen Koalition versagen oder Haushaltsversagen gab, das zu einem De- durchzusetzen“, das zeigt, dass das Chaos von Schwarz- fizit führte. In Irland ist eine Finanzblase geplatzt, in Gelb zum Problem für Europa geworden ist. (B) Spanien eine Immobilienblase. Dann musste der Staat (D) ins Obligo gehen und Banken retten. Das ist der Grund, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten warum diese Länder im Defizit sind. Dort hat nicht Poli- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tik versagt, sondern die Finanzkrise hat diese Länder in Also: Sind Sie für einen solchen Investitions- und Auf- Schieflage gebracht. Das verschweigen Sie, weil es nicht baufonds, ja oder nein? in Ihr Weltbild passt. Zweitens. Sind Sie für die Beteiligung des Finanz- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. sektors? Sagen Sie doch einmal einen Satz dazu, was Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE diese Bundesregierung auf dem nächsten europäischen GRÜNEN]) Gipfel in Sachen Finanztransaktionsteuer auf den Weg bringen will. Die Chance ist jetzt nach der Wahl in Vor Jahren haben Sie uns Irland noch als leuchtendes Frankreich noch größer. Es gibt immer mehr Verbündete. Beispiel genannt. Der keltische Tiger, die Zukunft der Die Einzigen, die es nicht begriffen haben, sind die Men- tollen Finanzmarktdienstleistungen, der Abschied von schen, die der FDP angehören. der Industrie – das war jahrelang das Mantra von Guido Westerwelle in diesem Parlament. Wohin das führt, kön- Drittens. Sie haben erfreulicherweise – vielleicht hat nen wir gerade in Irland beobachten. Herr Hoyer, der neue Chef der Europäischen Investi- tionsbank, Ihrem Redenschreiber das zugearbeitet – die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Europäische Investitionsbank als ein wesentliches In- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – strument genannt, um private und öffentliche Investitio- Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wer hat denn die nen zu mobilisieren – vollkommen d'accord –, aber Sie Hedgefonds in Deutschland eingeführt? Wer haben keine Idee, wie Sie die Europäische Investitions- hat von der Deutschland AG gesprochen? Das bank als Instrument in dieser Situation stärken können, wart ihr!) um öffentliche und private Investitionen miteinander zu Darüber müssen wir einmal reden. Herr Westerwelle, verbinden. Herr Westerwelle, sind Sie bereit, den Men- wir haben Ihre fünf oder sechs Punkte mit großer Auf- schen in Deutschland offen zu sagen, dass das nicht geht, merksamkeit verfolgt, wenn man nicht die Möglichkeiten der Europäischen In- vestitionsbank, zum Beispiel durch die Erhöhung des (Patrick Döring [FDP]: Sehr aufmerksam!) Stammkapitals der Mitgliedstaaten, ausbaut? und wir haben festgestellt, dass Sie im Rahmen dessen, Viertens. Sie haben sehr nebelig davon gesprochen, was man sich mit Copy and Paste an Überschriften aus dass man auch innovative Möglichkeiten der Public-Pri- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21333

Hubertus Heil (Peine) (A) vate-Partnerships zur Finanzierung von Infrastruktur (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) nutzen soll. Was meinen Sie eigentlich damit? Meinen DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [FDP]: Ta- Sie das Instrument der Projektanleihen? Das ist ein gutes tütata! Heil bringt Unheil!) Instrument. Meinen Sie die Möglichkeit, dass wir öffent- liches und privates Kapital in die Netze investieren, in Präsident Dr. Norbert Lammert: die Telekommunikationsnetze, in Energienetze und in Verkehrswege? Dann sagen Sie das. Aber Sie haben Gunther Krichbaum erhält nun das Wort für die CDU/ doch Projektbonds schon fast wieder ausgeschlossen. CSU-Fraktion. Sie sagen den Menschen nicht, dass wir das brauchen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) um diese Investitionen in diesem Land tatsächlich zu he- beln. Gunther Krichbaum (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Sehr geehrter Herr Kollege Heil, ich habe Ihnen sehr der FDP: Lesen Sie doch unseren Beschluss!) aufmerksam zugehört. Nein, Sie sind jemand, der morgen schon wieder fressen (Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] – muss, was er gestern ausgeschlossen hat. Joachim Spatz [FDP]: Das war schon ein Feh- Ich sage ihnen – fünftens – auch: Mich hat richtig ent- ler!) täuscht, Eines ist sicher: Mit Ihnen hätten wir den Weg aus der (Zurufe von der FDP: Oh!) Krise nicht geschafft, und mit Ihnen würden wir den dass Sie neben den Weihrauchreden über Europa mit den Weg aus der Krise nicht schaffen. gestanzten Formeln, die in Europa keiner mehr hören (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und kann und die das Vertrauen untergraben, nicht einen Satz der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: zur Jugendarbeitslosigkeit in den Defizitländern gesagt Mensch, wir haben den Weg aus der Krise ge- haben. Sie sprechen von Herz und Leidenschaft. Ihnen schafft, Junge!) fehlt aber jegliche Empathie mit den jungen Menschen im Süden Europas, die keine Perspektive haben. Vor zwei Tagen jährte sich die Schuman-Erklärung. Robert Schuman, damaliger französischer Außenminis- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ter, unterbreitete Deutschland einen revolutionären Vor- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schlag: Nach einem entsetzlichen Krieg, von Deutsch- (B) Ihnen fehlt jede Idee für ein Sofortprogramm zur Be- land verursacht, sollten Kohle und Stahl für die Zukunft (D) kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, das wir fordern. unter eine gemeinsame Verantwortung gestellt werden, Wenn in Spanien jeder dritte junge Mensch arbeitslos ist, Rohstoffe, die leider auch für die Rüstungsindustrie wenn die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland bei fast maßgeblich waren und die deswegen auch mit die Ursa- 50 Prozent liegt, dann kann man nicht dabei zugucken, che für viele Kriege waren. Dies war die Geburtsstunde dass eine ganze verlorene Generation perspektivlos ist. der europäischen Integration. Sozusagen im Zeitraffer dargestellt: Es folgten 1957 mit den Römischen Verträ- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Dann muss gen die Gründung der Europäischen Gemeinschaft und man den Arbeitsmarkt deregulieren!) mit dem Vertrag von Maastricht 1992 die Gründung der Dann brauchen wir auch arbeitsmarktpolitische Maßnah- Europäischen Union. men und Qualifizierungsmaßnahmen. Dass Sie dazu Aus den Jahrzehnten der Zusammenarbeit erwuchsen konkrete Vorschläge machen, hätten wir erwartet. Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Wohlstand und auch sozialer Fortschritt, wie Sie, Herr Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Außenminister Westerwelle, es vorhin richtig benannt haben. Der Wechsel von EG zu EU bedeutete sicherlich Unter Strukturreformen, Herr Westerwelle, verstehen mehr als nur den Austausch eines Buchstabens. Mit der Sie höchstens die Deregulierung des Taxigewerbes in Verwirklichung einer Union war auch der Anspruch ver- Griechenland. Das hat mit wirtschaftspolitischem Sach- bunden, Probleme in Zukunft politisch lösen zu wollen. verstand nichts zu tun. Ich sage Ihnen: Der fehlende Mut Dies war ein politischer Anspruch. So ist es auch jetzt dieser Regierung, der fehlende Mut von ein politischer Anspruch, auf die aktuellen Herausforde- und Guido Westerwelle, rungen zu reagieren und diese Krise bewältigen zu wol- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und len. der FDP) Ich glaube, an dieser Stelle dürfen wir die Ursachen hat Europa schon Schaden zugefügt. dieser Krise nicht ausblenden. Die Ursachen lagen darin, dass viele Staaten auf der Welt über ihre Verhältnisse ge- (Joachim Spatz [FDP]: So ein Quatsch!) lebt haben Die Realität wird aber in diesem Sommer über Sie hin- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- weggehen. Dessen bin ich mir sicher. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das war nicht Herzlichen Dank. die Ursache der Krise! Falsch!) 21334 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Gunther Krichbaum (A) und dass die Ausgaben weit über den Einnahmen lagen. stellt haben. Deswegen möchte ich mir hier weitere Aus- (C) Die Pleite einer Bank namens Lehman Brothers verän- führungen dazu sparen. derte, ausgehend von den Vereinigten Staaten von Ame- rika, die Welt und auch Europa. Das, was lange Zeit als (Beifall des Abg. Manuel Sarrazin [BÜND- ein Axiom galt, dass nämlich europäische Staaten ihren NIS 90/DIE GRÜNEN]) Rückzahlungsverpflichtungen nachkommen können, ge- Eines ist aber sicher: Genau diese Dinge, die jetzt oft- riet plötzlich in Zweifel. Mit den Zweifeln schwand das mals lautstark gefordert werden – auch von einem Nach- Vertrauen. Mit dem schwindenden Vertrauen stiegen die barland –, gibt es längst, und sie werden jetzt mit Sicher- Zinsen. Wir müssen genau dort ansetzen, wo die Ursa- heit auch konkretisiert werden. chen dieser Krise liegen: bei einer überbordenden Ver- schuldungspolitik. Wenn wir über Europa, den politischen Anspruch und die Krise sprechen, dann dürfen wir auch nicht das ver- Der erste Schritt ist, dass die Haushalte innerhalb der gessen, was uns Europa in der Vergangenheit gebracht Europäischen Union konsolidiert werden und die Staaten hat, nämlich Errungenschaften, um die wir weltweit be- ihrerseits Strukturreformen durchführen müssen, weil neidet werden. Ich habe sie vorhin schon genannt: Frie- wir sonst gar keine Möglichkeit haben, mit Hilfe anzu- den, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. All das ist alles setzen. andere als selbstverständlich. Diese Werte und Errun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und genschaften zu bewahren, muss eine Vision sein, die wir der FDP) erfüllen müssen – erst recht vor dem Hintergrund, dass wir in Europa immer weniger werden. Sie haben es richtigerweise gesagt, Herr Außenminister: Erst einmal müssen sich die betreffenden Staaten selbst Heute repräsentieren wir Europäer nur noch einen helfen. Da wir oftmals allgemein von Strukturreformen Bruchteil der Weltbevölkerung. Am Ende dieses Jahr- sprechen, sei dies an nur zwei Beispielen etwas konkreti- hunderts werden wir nur noch 4 Prozent sein. Die deut- siert. sche Bevölkerung hat schon heute nur noch einen Anteil von 1 Prozent an der Weltbevölkerung. Das bedeutet im Beispiel Nummer eins: Spanien. Ja, es ist richtig: Die Zeitalter der Globalisierung, dass wir nüchtern auf die Jugendarbeitslosigkeit ist hier viel zu hoch. Ich muss Ih- Realitäten schauen müssen. nen aber sagen, dass gerade auf dem spanischen Arbeits- markt abstrus hohe Abfindungsregelungen existieren, Wir sind dazu verurteilt – in Anführungszeichen –, die mittelständische und kleine Betriebe davon abhalten zusammenzuarbeiten und zusammenzuwirken. Die He- – auch bei Auftragslagen, die das eigentlich rechtferti- rausforderungen durch die Finanz- und Wirtschaftskrise sind unglaublich hoch. Dazu kommen noch: der Klima- (B) gen würden –, Mitarbeiter einzustellen. Genau daran (D) liegt es, dass der Arbeitsmarkt mit der Auftragslage der wandel, die Gewährleistung von Sicherheit – allein mit Firmen nicht zusammengebracht werden kann. Blick auf den Iran wird hier manches deutlich –, aber auch eine Industriepolitik, die uns unabhängig macht, Beispiel Nummer zwei: Griechenland. Die Außen- auch von Märkten in der Welt. Hierzu kann ich Ihnen stände des griechischen Staates bei den Steuerforderun- auch zwei Beispiele nennen: Hätten wir Airbus nicht, gen liegen bei einer Größenordnung von 60 Milliarden dann gäbe es in der Welt nur Boeing; hätten wir Galileo Euro. Das ist deutlich mehr, als wir im ersten Griechen- nicht, gäbe es auf der Welt nur GPS. – Daneben geht es land-Paket allein an möglichen Privatisierungserlösen um die Sicherheit der Rohstoffversorgung, die Sicherheit angesetzt haben. Das heißt, es geht hier gar nicht darum, der Energieversorgung und auch um die Bewahrung un- nur entsprechende Gesetzeslagen zu schaffen – sie exis- serer sozialen Standards. Deswegen müssen wir alles da- tieren dort bereits –, sondern darum, Gesetze zu vollzie- rauf richten, auch diese Werte zu bewahren. hen. Eine Vision muss aber auch dem afrikanischen Konti- Allein an diesen Beispielen wird deutlich, wo wir an- nent gelten. Die Bekämpfung des Hungers und die setzen müssen. Schaffung von Lebensperspektiven verlangen geradezu nach einer europäischen Entwicklungspolitik. Der arabi- Ich möchte auch den Blick auf die bisherige Politik sche Frühling droht in einigen Ländern schon heute zu der Europäischen Kommission und der Europäische einem demokratischen Herbst zu werden. Union lenken: Es kann uns als Europäischer Union nicht egal sein, Gerade in diesen Tagen kann man schon etwas irri- was dort vor Europas Haustüre passiert. Wir müssen des- tiert sein, wenn versucht wird, den Eindruck zu erwe- wegen bereit sein, auch unsere Märkte zu öffnen, dort cken, als würden Wettbewerbspolitik und Wachstums- produzierte Ware nach Europa hereinzulassen, auch politik etwas ganz Neues für die Europäische Kommission wenn das mehr Wettbewerb und Konkurrenz für hiesige und die Europäische Union bedeuten. Seit wir ab 1957 Länder und hiesige Unternehmen bedeutet. Wenn wir die Strukturfonds und später auch die Kohäsionsfonds das nicht schaffen, wird der Migrationsdruck – das ist haben, ist es eine der Maximen der Europäischen Union, bisher nur die Spitze des Eisberges –, der gegenwärtig in Wachstum und Beschäftigung in der Europäischen Europa zu spüren ist, weiter zunehmen. Union zu fördern. Last, but not least dokumentiert sich das in der Agenda 2020, einer Wachstumsagenda, und Herr Außenminister, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie auch in den Beschlüssen des letzten Europäischen Rates, auch die Verhältnisse in Belarus und der Ukraine ange- die Sie, Herr Außenminister, vorhin noch einmal darge- sprochen haben. Gerade dort sind die Wahrung von Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21335

Gunther Krichbaum (A) Menschenrechten und die Schaffung von demokratischer Vorwand der Schuldenbremse brachiale Kürzungspro- (C) Teilhabe leider noch nicht verwirklicht. Bei dieser Gele- gramme diktiert. Gleichzeitig werden unverändert Mil- genheit möchte ich insbesondere den vielen NGOs und liarden Euro dafür verpulvert, um Banken, Hedgefonds auch unseren politischen Stiftungen danken, die gerade und Spekulanten von ihrer Verantwortung und von ihren hier eine hervorragende Arbeit leisten. Das ist eine In- Verlusten freizukaufen. Das läuft doch gerade. vestition in die Demokratie. Deswegen sollte gerade Der nächste große Bankenrettungsschirm ESM wird auch, lieber Norbert Barthle, was die Haushaltsverhand- in Kürze den Bundestag passieren. Wer tatsächlich diese lungen angeht, die Arbeit der Stiftungen eine ganz be- unglaubliche öffentliche Schuldenspirale stoppen möchte, sondere Berücksichtigung finden. der müsste etwas dafür tun, dass genau dieser Wahnsinn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie ein Ende hat. Aber das ist leider noch nicht einmal von der Abg. [Bremen] [BÜND- SPD und Grünen zu erwarten. NIS 90/DIE GRÜNEN] – Norbert Barthle (Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [CDU/CSU]: Da klatsche ich gern!) [SPD]: Aber von euch!) Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir werden Er müsste sich auch dafür einsetzen, beispielsweise den die Herausforderungen, von denen ich eben gesprochen Wettbewerb der Steuersysteme in Europa zu beenden. habe, nur gemeinsam bewältigen können. Eines fällt auf: Nichts davon ist mit dem Fiskalpakt vorgesehen. Wir werden von außen als wesentlich stärker wahrge- nommen als von uns selbst. Deswegen können wir es ru- Die Länder sollen die demokratische Souveränität hig einmal wagen, den Blick nach außen zu richten. Die verlieren, dass sie über ihre Ausgabenpolitik selbst de- USA sind ein Land, das mit einer Staatsverschuldung mokratisch entscheiden können. Aber es ist nicht ge- von 15 Billionen Dollar kämpft. Auf der anderen Seite plant, etwa in Europa höhere und vor allem einheitliche haben wir China, das freien Zugang zum Markt in den Konzernsteuern oder beispielsweise eine europaweite USA bekommt, aber im Gegenzug die amerikanischen Millionärssteuer für sehr Reiche einzuführen, die von Bonds kauft und damit den Markt finanziert. In China der Staatsverschuldung mit einem Zuwachs ihres Ver- mögens wesentlich profitiert haben. Nichts davon ist darf die Duldsamkeit der Menschen nicht mit Stabilität vorgesehen. verwechselt werden; die Ereignisse von 1989 haben da- rauf ein Schlaglicht geworfen. Deswegen: Auch diese Das zeigt sehr deutlich: Es geht hier überhaupt nicht Länder und Regionen haben ihre Probleme; mit ihnen ums Sparen. Es geht auch gar nicht um die Schulden, die möchte ich nicht unbedingt tauschen. übrigens munter weiter wachsen, allen Konsolidierungs- und Kürzungsorgien zum Trotz, (B) Präsident Dr. Norbert Lammert: (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Was denn nun?) (D) Herr Kollege. sondern es geht in Europa um die Zerschlagung des eu- ropäischen Sozialstaats und die Außerkraftsetzung der Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Demokratie. Die Ursache der Krise lag mit Sicherheit in einem Zu- wenig an Europa. Die Lösung kann also nur darin liegen, ( [CDU/CSU]: Jetzt ist es raus!) dass wir mehr Europa wagen. Wenn wir das beherzigen, Darauf läuft Ihre Politik hinaus, und damit fahren Sie ist mir persönlich um die Zukunft unseres Kontinents Europa im Eiltempo gegen die Wand. Das müssen wir nicht bange. ändern. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Welche Art Wachstum mit dieser Art von Politik er- reicht werden kann, kann man besonders krass in Grie- Präsident Dr. Norbert Lammert: chenland besichtigen: ein beispielloses Wachstum der Sahra Wagenknecht ist die nächste Rednerin für die Arbeitslosigkeit – die Jugendarbeitslosigkeit wurde schon erwähnt –, ein sagenhaftes Wachstum der Armut Fraktion Die Linke. und der Obdachlosigkeit und ein erschreckendes Wachs- (Beifall bei der LINKEN) tum der Selbstmordraten. Die griechische Wirtschafts- leistung dagegen ist allein in den letzten zwei Jahren um Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): 11 Prozent geschrumpft, und die privaten Investitionen sind sogar um 50 Prozent eingebrochen. Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon verblüffend, wie schnell sich die Rhetorik än- Ist das Ihr Modell für Europa, eine verzweifelte Be- dert: Gestern ging es immer nur ums Sparen, jetzt ist völkerung auf der einen Seite, der Löhne, Renten, Ge- plötzlich Wachstum das neue Zauberwort. Aber wenn sundheitsleistungen und Bildung gnadenlos weggekürzt man genauer hinhört, dann merkt man – das ist natürlich werden, und eine reiche Oberschicht auf der anderen das Problem –, dass diese ganze Wachstumsrhetorik ge- Seite, deren Vermögen allen Krisen zum Trotz nach wie nauso verlogen ist wie vorher die Sparrhetorik. Darauf vor kräftig weiterwächst? Ich finde, es ist gut, dass sich möchte ich jetzt näher eingehen. die Menschen in Europa gegen dieses Modell immer stärker zur Wehr setzen. Es wurde und wird in Europa überhaupt nicht gespart, sondern der Bevölkerung in Europa werden unter dem (Beifall bei der LINKEN) 21336 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Sahra Wagenknecht (A) Man muss es immer wieder deutlich sagen: Ein öf- ESM und auch den Fiskalpakt da hinwerfen, wo sie hin- (C) fentlicher Haushalt hat nicht nur eine Ausgaben-, son- gehören: in den Reißwolf. dern auch eine Einnahmeseite. Man muss nicht Renten (Beifall bei der LINKEN) kürzen und Schulen und Straßen verrotten lassen, damit die Schulden nicht aus dem Ruder laufen. Man könnte ja Wenn die SPD einen Rest von sozialem Verantwor- auch die Reichen mal wieder etwas heftiger besteuern, tungsgefühl hätte, dann würden Sie sich nicht immer nur nachdem sie jahrelang immer nur entlastet wurden. heldenhaft zur Grundsatzkritik aufplustern und am Ende doch immer wieder Merkels Katastrophenkurs brav die (Beifall bei der LINKEN) Stimme geben. Dann würden Sie diese Art von Politik Diese Entlastungen ziehen sich wie ein roter Faden nämlich stoppen müssen. Aber Sie haben eben diese so- durch die Steuerpolitik in Deutschland, von Rot-Grün ziale Verantwortung nicht. bis Schwarz-Gelb. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hätten wir in der Bundesrepublik heute noch die NEN]: Bedauerlicherweise!) Steuergesetze der Ära mit dem höheren Das ist bedauerlich. Spitzensteuersatz und einer deutlich höheren Unterneh- mensbesteuerung, dann hätten Bund, Länder und Ge- (Beifall bei der LINKEN) meinden immerhin 75 Milliarden Euro mehr Einnahmen Eine Politik, die wild entschlossen scheint, demokra- im Jahr. Allein ein Land wie Nordrhein-Westfalen hätte tische Rechte immer dann außer Kraft zu setzen, wenn 7,5 Milliarden Euro im Jahr mehr zur Verfügung. die Interessen der Finanzlobby und der Finanzbranche (Otto Fricke [FDP]: Nein! Die hätten das berührt sind, werden sich die Menschen in Europa auf längst ausgegeben!) Dauer nicht mehr gefallen lassen. Das ist das Ergebnis, und das zeigen die Wahlen in Griechenland und Frank- Das heißt, bei gleichen Ausgaben gäbe es heute gar kein reich schon deutlich. Es wird noch mehr geben. Defizit; man würde vielmehr einen Überschuss von 4,5 Milliarden Euro erzielen, die man für ein Sozial- Auch in Deutschland werden die Menschen beginnen, ticket und eine bessere Ausstattung der Kommunen ver- sich zu wehren, selbst wenn jetzt wie in Frankfurt ver- wenden könnte. Das wäre alles möglich gewesen. sucht wird, solche Proteste schlicht zu verbieten. Das wird nicht gelingen; das sage ich Ihnen. (Beifall bei der LINKEN – Michael Roth [He- ringen] [SPD]: Helmut Kohl!) Europa braucht Gegenwehr. Denn Europa braucht eine andere Wirtschafts- und Finanzordnung. Dafür Die tollen Strukturreformen, die Sie jetzt den anderen kämpft die Linke. (B) Euro-Ländern als Wachstumsbringer andienen, sind zum (D) Teil in Deutschland Realität – das ist wahr –: die Agenda (Beifall bei der LINKEN) 2010, die Deregulierung des Arbeitsmarktes, Hartz IV und die Zerschlagung der gesetzlichen Rente. Was ist da- Präsident Dr. Norbert Lammert: bei herausgekommen? Herausgekommen ist seit dem Ich erteile nun dem Kollegen Joachim Spatz für die Jahr 2000 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum FDP-Fraktion das Wort. von 1 Prozent. Das ist weniger als in Frankreich und viel weniger als in früheren Jahren der alten Bundesrepublik. (Beifall bei der FDP) Herausgekommen sind Wirtschaftsaufschwünge, die re- gelmäßig an der Mehrheit der Menschen vorbeigehen. Joachim Spatz (FDP): Herausgekommen sind Aufschwünge der Profite, der Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Leiharbeit und Werkverträge. Herausgekommen ist eine Herren! Frau Kollegin Wagenknecht, wir tagen zwar hier Situation, in der immer mehr Menschen nicht mehr von im Reichstag. Trotzdem finde ich es nicht angemessen, ihrer Arbeit leben können, geschweige denn, dass sie dass Sie hier Reden von 1902 halten und uns alte Re- noch irgendeine Aussicht auf eine auskömmliche Rente zepte vorstellen. Wir alle müssten aufgrund der Schul- haben. denkrise erkannt haben, dass Schulden unfrei machen. Sie vergessen immer, dass alles, was Sie einfordern, ir- Das ist die wahre Bilanz der Agenda 2010. Es ist gendjemand finanzieren muss. Wir haben doch bemerkt: peinlich, Herr Heil, dass die SPD noch heute darauf stolz Die Dritten, die das finanzieren, tun das zu immer ist, dass sie die Grundlage dafür gelegt hat. schlechteren Konditionen und engen die Spielräume der (Beifall bei der LINKEN) Zukunft immer weiter ein. Darum kommen Sie nicht he- rum. Deswegen gibt es zum Konsolidierungskurs über- Nun sollen dieser Generalangriff auf den Wohlstand haupt keine echte Alternative. der großen Mehrheit und die miserable Lohnentwick- lung, die wir infolgedessen in Deutschland seit Jahren (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) haben und die inzwischen auch Herrn Schäuble aufgefal- Wenn Sie einen Schritt von der Weltkarte zurücktre- len ist, offensichtlich als Erfolgsmodell auf ganz Europa ten, werden Sie sehen, dass Europa in eine viel dynami- übertragen werden. Dazu kann ich nur sagen: Gute scher gewordene Welt eingebettet ist. Das macht – das Nacht, Europa! ist unumgänglich – mehr Europa notwendig und nicht Wer tatsächlich aus dem entstandenen Desaster Kon- weniger Europa. Wir sind – Kollege Krichbaum hat das sequenzen ziehen möchte, der müsste als Allererstes den schon erwähnt – in vielen Politikbereichen, nicht nur im Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21337

Joachim Spatz (A) ökonomischen Bereich – denken Sie nur an das Thema die Finanzierungsinstrumente seien. Er ist nicht mehr (C) Sicherheit und die neue Schwerpunktsetzung der US- hier, aber bitte richten Sie ihm das aus. Amerikaner –, dazu verurteilt, mehr Europa zu wagen, um in dieser neuen Welt bestehen zu können. Natürlich (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Mache ich!) müssen wir uns im Ideenwettbewerb an den Besten Die Antwort darauf ist mit dem Beschluss des Deutschen orientieren. Cicero hat einmal gesagt, dass man auf Bundestages zu dem Antrag der Koalition im Dezember Dauer die Schwachen nicht stärken kann, indem man die zum mehrjährigen Finanzrahmen gegeben worden. Wir Starken schwächt. haben die Finanzierungsmittel ganz genau aufgezählt (Günter Gloser [SPD]: Welche Ausgabe?) und dargelegt, wie die Rolle der öffentlichen Finanzie- rung dabei zu bewerten ist. Wenn er sich mehr um In- Das bedeutet zweierlei: Erstens. Es gab schon damals halte kümmern würde, anstatt oberflächliche Wahl- Umverteilungspolitiker. Zweitens. Umverteilung war kampfreden zu halten, wäre ihm das vielleicht nicht schon damals falsch. Deshalb haben wir uns in Deutsch- entgangen. land – angefangenen mit der Agenda 2010 – dem neuen Denken und den Reformen gestellt. Das Traurige ist Wir alle wissen – das ist nicht die übliche Sonntags- – um noch ein historisches Beispiel zu nennen –, dass rhetorik –, dass Europa die Basis unseres Zusammenle- Sie die Namen derjenigen, die das damals gemacht ha- bens ist. Das gilt für viele Politikbereiche. Wir sind, im ben, aus den Geschichtsbüchern tilgen und von den Ste- besten Sinne des Wortes, dazu verurteilt, zusammenzu- len meißeln wollen, weil Sie nicht wahrhaben wollen, halten. dass dieser Politikansatz richtig ist. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Der ganze Kontinent übt sich im Paradigmenwechsel, der CDU/CSU) weg vom süßen Gift der Verschuldung, hin zu neuer So- lidität. Deshalb ist der Dreiklang, den wir anbieten, näm- Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger Europa. Wir lich für Solidarität in Form des ESM zu sorgen, Solidität brauchen es in der Form, in der wir es in 50 Jahren auf- in Form des Fiskalpaktes einzufordern und Wachstum gebaut haben. Dabei müssen alle mitwirken und ihre je- durch eine effizientere Ausgabenpolitik – auch aufseiten weilige Verantwortung wahrnehmen. Ich kann nur all der Europäischen Union – zu stimulieren, die richtige jene warnen, die mit dem Gedanken liebäugeln, bei der Antwort auf die Herausforderungen der Zeit. Europapolitik parteitaktische Erwägungen anzustellen, was gestern an der einen oder anderen Stelle zu befürch- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ten war. Am Ende wiegt das Gemeinwohl Europas und Selbstverständlich sind die Hilfen nur ein Angebot. Deutschlands mehr als parteitaktische Erwägungen. (B) Jede Nation muss sich entscheiden, ob sie den Weg mit- Danke schön. (D) geht, die Griechen genauso wie die Portugiesen und die Iren. Gerade die Iren und die Portugiesen sind mit die- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sem Kurs gut gefahren und auf einem richtigen Weg. In Portugal wurde sogar eine Regierung abgewählt, die die Präsident Dr. Norbert Lammert: entsprechenden Vereinbarungen unterzeichnet hat, und Nächster Redner ist der Kollege Frithjof Schmidt, durch eine Regierung ersetzt, die noch ehrgeizigere An- Bündnis 90/Die Grünen. sprüche hat. So reif kann ein Volk sein. Aber wir können von außen nur Angebote machen. Umgesetzt werden muss es durch die betreffenden Länder. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Was das Wachstum betrifft, stehen wir vor Herausfor- derungen in Europa. Hier können wir gemeinsam gestal- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ten. Modernisierungen und Investitionen sind dringend Herr Außenminister, lassen Sie mich mit einer Gemein- notwendig. Das hat auch die Europäische Kommission samkeit anfangen; viel mehr werden es leider nicht. Die schon festgestellt. Wir alle werden im Zuge der Beratun- europäische Einigung ist ein gemeinsames Projekt. Wir gen über den Finanzrahmen des EU-Haushalts für den verteidigen es gemeinsam, wir müssen gemeinsam daran Zeitraum von 2014 bis 2020 die Gelegenheit bekommen, weiterbauen, und ich glaube, dass wir da zentrale Ziele die neuen Schwerpunktsetzungen zu beachten. Ich bin teilen. Aber was Sie in den letzten zweieinhalb Jahren gespannt, wie mutig all jene, die das heute einfordern, praktisch gemacht haben, verdient wirklich Kritik. sein werden, wenn die Mitgliedstaaten, der Rat, das Eu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ropäische Parlament und die Kommission neue Schwer- und bei der SPD) punkte setzen, und das – so viel wollen wir zahlen – bei einem begrenzten Volumen von 1,0 Prozent des EU-BIP. Es gab ein Muster der Krisenreaktion der Bundesregie- Ich bin gespannt, ob wir den Mut aufbringen, auch nur rung: Ob Hilfe für Griechenland oder Aufbau des ESFS einen Bruchteil dessen zu leisten, was wir den Reform- und dann des ESM – Sie haben erst gezögert, dann Nein staaten, die unseren Schutzschirm genießen wollen, im gesagt. Dann haben Sie zwar gehandelt, aber immer zu Moment abverlangen. Ich bin gespannt, ob wir alle mit- spät und immer zu wenig. Das war schlecht für Europa einander das hinbekommen. und schlecht für Deutschlands Ansehen. Meine Worte richten sich an alle, auch an den Kolle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen Heil. Ich bin gespannt, ob er dazu steht. Er fragt, wo und bei der SPD) 21338 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Dr. Frithjof Schmidt (A) Zwei Schwächen Ihrer Politik sind zentral. Der erste Sie das machen wollen. Sie unterschlagen immer, dass (C) Fehler ist schon sprichwörtlich in Europa geworden. das verbindlich ist. Man nennt ihn die „Methode Merkel“. Das ist – oder besser: war – die Etablierung eines Direktoriums im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europäischen Rat gemeinsam mit Herrn Sarkozy. Ja, die sowie des Abg. [Heidelberg] deutsch-französische Kooperation ist zentral; aber sie [SPD]) darf eine Gründungsidee Europas nicht aushebeln, Außerdem muss der Fiskalpakt mit einem Investitions- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN programm verbunden werden, um dem Ungleichgewicht sowie bei Abgeordneten der SPD) in der Gemeinschaft zu entgegnen. Darüber will Frank- reich verhandeln, und dafür haben wir bis Ende des Jah- nämlich die eines zentralen Interessenausgleichs zwi- res Zeit. schen den kleinen und den großen Staaten, zwischen den nördlichen und den südlichen Staaten und zwischen Ost- (Joachim Spatz [FDP]: Das überlassen wir de- und Westeuropa. Hier haben Sie die Balance eindeutig nen, was sie wollen!) verloren. Das wird in weiten Teilen Europas als Anma- Es gibt kein objektives Junktim zwischen diesem Pakt ßung verstanden. und der Ratifizierung des ESM. Das ist eine innenpoli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tisch motivierte Konstruktion von Ihnen. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Kardinalfehler ist Ihr Konzept, nur zu spa- Den ESM können wir sofort ratifizieren; dafür hätten Sie ren, ohne auch zu investieren. Das ist Ihre einäugige Sta- unsere Stimmen. Warum tun wir es also nicht? Hören Sie bilitätspolitik. So verschärfen Sie die Krise, so fördern endlich mit der falschen Verknüpfung auf, dass beides Sie die Rezession in weiten Teilen Europas. Meine Frak- nur zusammen ginge. Das ist falsch. tion hat trotzdem den Rettungspaketen für Griechenland und den Planungen zum ESM aus europäischer Solidari- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tät zugestimmt, damit Geld an Krisenländer fließen und bei der SPD) kann, das sie dringend brauchen, weil sonst die Situation noch dramatischer geworden wäre. Wir brauchen vor allem ein europäisches Programm für die Entwicklung einer nachhaltigen Struktur mit ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nem Schwerpunkt auf erneuerbare Energien, wenn wir Das ist uns aber wegen der sozialen Schieflage dieser aus der Krise kommen wollen. Lassen Sie mich zur Be- gründung nur eine Zahl nennen: Für circa zwei Drittel (B) Rettungspakete ausdrücklich nicht leichtgefallen. Wir (D) haben in den Debatten hier immer deutlich vor den poli- der Leistungsbilanzdefizite in Spanien und Frankreich tischen Folgen gewarnt. Die Wahl in Griechenland zeigt, ist der Ölpreisanstieg verantwortlich. Das sind die Zah- wohin eine Politik führt, die rücksichtslos die sozialen len von Eurostat. Deshalb ist es gut, wenn François Belange ignoriert, Investitionen zur Stimulierung der Hollande Vorschläge zur Finanzierung solcher Investi- Konjunktur unmöglich macht und den Menschen so die tionen macht wie die Ausweitung der Programme der Hoffnung nimmt. Europäischen Investitionsbank und eine Erhöhung des Stammkapitals. Das brauchen wir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Scheitern von Präsident Sarkozy in Frankreich Es ist falsch, wenn Deutschland hier bremst; es ist hingegen gibt Hoffnung. Gegen jeden politischen Stil hat falsch, wenn die FDP da bremst. Sie sollten dabei helfen, die deutsche Kanzlerin für Sarkozy in Frankreich Wahl- die Banken und Märkte endlich zur Finanzierung der werbung betrieben. Damit ist seine Abwahl auch eine Kosten der Krise heranzuziehen, aber Sie weigern sich. Niederlage für Frau Merkel. Eine Finanztransaktionsteuer ist notwendig, damit Europa profitiert. Das haben Sie nicht verstanden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kauder [CDU/CSU]: So kann man sich doch Stattdessen macht der Bundesumweltminister im irren!) Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen polemische Stim- Das ist gut so. Das Direktorium Merkozy wurde halbiert, mung gegen den neuen französischen Präsidenten. Herr und das ist ein Anfang. Jetzt muss es mit Kurskorrektu- Röttgen schürt antieuropäische Affekte, um Stimmen ren an der einäugigen Stabilitätspolitik weitergehen. von rechts zu bekommen, und zündelt an der deutsch- französischen Freundschaft. Dass Sie das in Ihren Rei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hen dulden, ist ein völliges europapolitisches Versagen. sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] Da nützen auch alle schönen Worte des Außenministers [SPD]) gar nichts. Der Fiskalpakt ist ein Torso und eine befristete Hilfs- Danke für die Aufmerksamkeit. konstruktion. Er muss – so steht es darin – in maximal fünf Jahren in Europarecht überführt werden. Allerdings (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN habe ich hier von Ihnen keinerlei Vorschläge gehört, wie und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21339

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: rationenfest machen müssen; denn wir haben die Situa- (C) Der Kollege Thomas Silberhorn erhält nun das Wort tion, dass die Bevölkerungen in Europa kleiner werden. für die CDU/CSU-Fraktion. Ohne Sparen und ohne Reformen gibt es keinen stabilen Euro. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Nun sagt der Kollege Heil, Wachstum brauche Inves- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! titionen. Dem stimme ich durchaus zu. Aber wir brau- Wachstum ist kein Selbstzweck. Ziel der Krisenbewälti- chen private Investitionen. gung muss sein, dass die Staaten der Euro-Zone ihre Kreditwürdigkeit wiedergewinnen und damit auch ihre (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Auch! Und politische Handlungsfähigkeit wiederherstellen. Das ist öffentliche!) die Zielsetzung unserer Strategie zur Krisenbewältigung, Wir müssen privates Kapital akquirieren. Das Problem, und dazu kann man in der Tat Wachstum gebrauchen. das wir in Griechenland und in anderen verschuldeten Aber vor allem müssen diese Staaten wettbewerbsfähig Staaten der Euro-Zone sehen, ist doch, dass eine Kapital- werden. Um das zu erreichen, führt an einer Konsolidie- flucht aus diesen Ländern stattfindet. Das ist ein Beleg rung der öffentlichen Finanzen und auch an Struktur- dafür, dass ein Vertrauensverlust eingetreten ist. Die In- reformen in Wirtschaft und Verwaltung kein Weg vorbei. vestoren packen nicht an; sie warten ab. Deswegen müs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sen wir die Frage beantworten, was wir tun können, der FDP) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, und?) Mehr einnehmen als ausgeben wäre der richtige Weg; um dafür zu sorgen, dass privates Kapital wieder inves- aber mehr ausgeben als einnehmen, das funktioniert nir- tiert wird. Man muss die Rahmenbedingungen für die gendwo auf der Welt, auch nicht außerhalb der Euro- privaten Haushalte und für die Unternehmen stärken, Zone. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Deshalb müs- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist aber sen die Einnahmen erhöht werden! – Zuruf sehr allgemein!) von der FDP: Bei den Kommunisten! Bei um Konsum und Investitionen anzureizen. Aber dazu Erich!) bedarf es vor allem der Reformbereitschaft der Regie- Wir sehen in Griechenland, dass der Konsum der Ge- rungen. Sie müssen unter Beweis stellen, dass sie sich sellschaft größer ist als die Wirtschaftsleistung. Da ernsthaft und zielstrebig den Realitäten stellen. Sonst (B) (D) bliebe theoretisch nichts mehr übrig für Investitionen der brauchen wir über Wachstumsprogramme nicht zu re- öffentlichen Hand oder für Zins- und Tilgungsleistun- den. gen. Deswegen müssen wir in einem Land wie Grie- Wachstum braucht sicher Investitionen, aber Wachs- chenland darauf achten, dass wieder Spielraum entsteht. tum braucht keine neuen Schulden. Wer jetzt auf neue Die Griechen müssen nolens volens billiger werden; sie Ausgabenprogramme setzt, der nährt geradezu neue müssen abwerten. Sie können nicht mehr konsumieren, Zweifel am Reformwillen der Regierungen. Das wäre als sie überhaupt erwirtschaften. Wenn man die Abwer- ein fatales Signal im Sinne von Weiter-so. Ich kann ver- tung in der Euro-Zone vornimmt, dann führt natürlich stehen, dass in manchen verschuldeten Staaten die Be- auch kein Weg daran vorbei, dass Löhne und soziale völkerung durchaus erwartet, im Wesentlichen so weiter- Leistungen gekürzt werden. machen zu können wie bisher. Aber ich glaube, dass es Aber auch außerhalb der Euro-Zone ist es unabding- in der politischen Verantwortung liegt, den Menschen zu bar, dass die Staaten ausgeglichene Haushalte anstreben. sagen, dass das nicht gehen wird. Wir müssen uns verän- Wir brauchen nachhaltige Solidität im Interesse künfti- dern. Ein Weiter-so kann nicht zum Erfolg führen. Des- ger Generationen, und deswegen ist die Konsolidierung wegen darf man nicht mit neuen Schuldenprogrammen der öffentlichen Finanzen der erste und wichtigste falsche Anreize setzen. Das würde die Probleme nur ver- Schritt in der Krisenbewältigung. schärfen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nicht der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) erste und wichtigste!) Es gibt keine einfachen Lösungen. Ohne Sparen und Meine sehr verehrten Damen und Herren, die struktu- ohne Reformen geht es nicht. rellen Reformen, die wir in Wirtschaft und Verwaltung Wachstum ist dann vorhanden, wenn die Einnahmen brauchen, sind ein kostenloses Wachstumsprogramm. des Staates steigen, und nicht, wenn die Schulden stei- Das können alle tun, ohne neue Schulden zu machen. Es gen. Deswegen ist es so wichtig, dass der Fiskalvertrag gibt genügend Handlungsspielräume und Ansätze, um umgesetzt wird, dass wir uns selbst disziplinieren durch die Verwaltung in überschuldeten Staaten effizienter zu die Schuldenbremse, die wir im deutschen Grundgesetz gestalten, um die Arbeitsmärkte flexibler zu machen, um bereits haben und die wir in ganz Europa einführen wol- Anreize für Investitionen und für Innovationen zu set- len. zen, im Mittelstand wie in der Industrie. Wir brauchen natürlich europaweit auch ein gemeinsames Verständnis Ich darf aus bayerischer Sicht hinzufügen: Es kann dafür, dass wir unsere sozialen Sicherungssysteme gene- gelingen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. 21340 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Thomas Silberhorn (A) Wir haben in Bayern jetzt im siebten Jahr in Folge keine Was wir brauchen, ist nicht der eindimensionale Weg (C) neuen Schulden im Haushalt. „Mehr Europa“, sondern eine dreidimensionale Lösung. Diese Lösung beinhaltet erstens, dass wir die vorhande- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen Aufgaben erfolgreich bewältigen und unsere inter- Wir haben uns ganz konkret das Ziel gesetzt, auch die al- nen Mängel abstellen. Dazu gehört in der Tat ein biss- ten Schulden vollständig abzubauen. Das zeigt: Wir chen mehr Europa; denn die internen Mängel zeigen, müssen die richtigen politischen Ziele setzen und uns auf dass wir mit dem Rahmen der Währungsunion so nicht den Weg machen. Die politische Reformbereitschaft er- zurechtkommen und nachjustieren müssen. Diese Lö- fordert auch ein klares politisches Bekenntnis zum Spa- sung beinhaltet zweitens, dass wir die Frage stellen, wie ren und zu Reformen. wir Europa in der Welt starkmachen können. Europa stark nach außen zu präsentieren, das ist eine wichtige Meine sehr verehrten Damen und Herren, die aktuelle Aufgabe. Diese Lösung beinhaltet drittens, dass wir Krise ist sicherlich zum einen Anlass, eine Standortbe- schlanker nach innen werden. Europa muss stark nach stimmung vorzunehmen – wo stehen wir gerade? –, zum außen, aber schlank nach innen sein. Wir müssen inso- anderen, eine strategische Debatte darüber zu führen, fern die Europäische Union umbauen und sie nicht nach wohin uns das Ganze führt. Ich möchte an dieser Stelle innen weiter ausbauen. Wir müssen auch darüber nach- ein bisschen Wasser in den Wein gießen, der unter der denken, welche Kompetenzen man auf die nationale Chiffre „Mehr Europa“ ausgegossen wird. Ebene zurückverlagern kann. Das sollte aber nicht in der (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aha!) Form geschehen, in der es die Europäische Zentralbank tut, indem sie die Geldpolitik renationalisiert. „Mehr Europa“ ist offenkundig eine etwas elitäre Ant- wort einer Diskussion, die nur unter politischen Eliten (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die haben Sie und Akademikern geführt wird, bei der es darum geht, doch da reingetrieben durch Ihr Nichthandeln! die Integration zu beschleunigen. Ist es nicht so, dass die Sie haben die EZB in diese Politik getrieben! Bevölkerung eine ganz andere Debatte führt, dass wir ei- Sie sind schuld!) nen Vertrauensverlust zu beklagen haben, Ich rede nicht über Renationalisierung. Ich will nur (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Den schüren vermeiden, dass es eine einseitige Zentralisierung in Europa gibt. Was wir brauchen, ist eine ausgewogene Sie gerade! Den schüren Sie hier!) Balance zwischen der europäischen Ebene einerseits und dass die politische Akzeptanz der europäischen Integra- den Mitgliedstaaten und den Regionen andererseits. Das tion schwindet? Glauben Sie wirklich, dass man die ist kein nationales, das ist vielmehr ein gemeinsames eu- Kluft zwischen politischen Eliten und der Bevölkerung ropäisches Interesse; denn nur die Ausgewogenheit, die (B) dadurch überwinden kann, dass man eindimensional auf Balance, garantiert, dass wir den eingetretenen Vertrau- (D) „Mehr Europa“ setzt? ensverlust überwinden und neues Vertrauen in die euro- päische Integration begründen können. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist doch Quatsch!) Europas Reichtum besteht in dieser Vielfalt, die un- sere Mitgliedstaaten und Regionen zum Ausdruck brin- Müssten wir nicht die Frage „Wie kann man diese Kluft gen. Wir sind in Europa über die Jahrhunderte deswegen überwinden?“ beantworten. so erfolgreich gewesen, weil wir nicht in großen Reichen (Thomas Oppermann [SPD]: Sie sind ein organisiert waren, wo niemand der Knute der Lehnsher- Mini-Gauweiler! – Gegenruf von der FDP: ren entkommen konnte. Der Reichtum Europas ist viel- Dafür ist er zu groß!) mehr deshalb entstanden, weil wir so kleine Gebilde hat- ten, dass diejenigen, die mit ihren Lehnsherren nicht Ich glaube, dass viele in der Bevölkerung zumindest zurechtkamen, woandershin gehen konnten. den Eindruck gewinnen, dass Europa schon mit den vor- handenen Aufgaben nicht ganz zurechtkommt. ( [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt aber eine komische (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Mann zün- Geschichtsstunde!) delt an Europa!) Das war eine Ursache für Aufklärung, für freiheitliche Deswegen wird zu Recht die Frage gestellt: Kann man Gesellschaftsformen, die sich in Europa entwickelt ha- das bewältigen, indem man darüber diskutiert, neue Auf- ben. Freiheit und Vielfalt sind also der Reichtum Euro- gaben auf Europa zu übertragen? pas. Die europäische Integration wird dann erfolgreich (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Weiß die Kanz- voranschreiten, wenn wir weiter auf Freiheit und Wett- lerin, was Sie dazu sagen?) bewerbsfähigkeit setzen. Wir müssen zunächst einmal die vorhandenen Aufgaben Vielen Dank. erfolgreich bewältigen. Angesichts dessen sollte man (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) diese Debatte nicht paralysieren, indem man über neue Aufgaben für Europa nachdenkt. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Michael Roth ist der nächste Redner für die SPD- neten der FDP) Fraktion. Diese Eindimensionalität beklage ich. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21341

(A) Michael Roth (Heringen) (SPD): einem der zentralen Felder der Außen- und Sicherheits- (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! politik mit einer Stimme zu sprechen vermag. Welches Bild haben viele, leider zu viele Bürgerinnen (Joachim Spatz [FDP]: Da waren doch auch und Bürger derzeit von Europa? Dieses Bild ist ziemlich andere dagegen!) jämmerlich. Dieses Bild ist ziemlich deprimierend. Zu sehen sind demonstrierende Jugendliche auf den Plätzen Liebe Kolleginnen und Kollegen, welches Bild ver- der europäischen Hauptstädte, brennende Europaflag- mitteln wir als Europäer im Ausland? Da müssen wir gen, Nazisymbole, feilschende Staats- und Regierungs- einmal Amerikaner fragen. Da müssen wir einmal an- chefs, die in Nachtsitzungen zusammenkommen und dere fragen. Wir bekommen überall dieselbe Antwort: dann ihre mühselig erzielten Kompromisse schlecht- Ihr Europäer bekommt die Probleme nicht in den Griff. gelaunt und übernächtigt den Medienvertretern zu ver- Frau Merkel klopft bei Madame Lagarde an. Sie bittet kaufen versuchen. Ich frage Sie, Herr Außenminister, darum, dass der Internationale Währungsfonds die Mit- und ich frage die Bundesregierung: Was tun Sie konkret, tel aufstockt. Was ist eigentlich aus dem Vorschlag der um den Bürgerinnen und Bürgern ein anderes, ein hoff- Sozialdemokratie geworden, den Bundesfinanzminister nungsvolleres Bild von Europa entgegenzuhalten? Spä- Schäuble dankenswerterweise aufgegriffen hat, einen ei- testens nach dieser Rede von Ihnen, Herr Außenminister, genen europäischen Währungsfonds zu schaffen? So ist deutlich geworden: Sie tun nichts. Sie tun rein gar könnten wir selber einen Beitrag dazu leisten, aus der nichts. Krise zu kommen. So bräuchten wir nicht ständig immer (Beifall bei der SPD) nur die internationale Solidarität einzufordern, sondern könnten sagen: Wir haben ein europäisches Problem, Sie haben zwar vor wenigen Wochen eine Kommuni- und dieses europäische Problem wollen wir auch ge- kationsstrategie angekündigt, aber die ist nicht die Tinte meinsam lösen. – Da kommt von Ihnen gar nichts. wert, mit der sie geschrieben wurde. Das alles ist eine Ansammlung von Allgemeinplätzen und trifft auch nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das Problem in seinem Kern, nämlich: Wie können wir des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die Bürgerinnen und Bürger wieder davon überzeugen, Genauso desaströs sieht das Bild bei der Krisenbe- dass Europa eben nicht Teil des Problems, sondern Teil schreibung aus. Wir haben viel zu lange den Eindruck der Lösung ist? Dazu habe ich außer dem allgemeinen erweckt, wir hätten es in erster Linie mit einer Staats- plattitüdenhaften Vortragen von Dingen, die wir schon schuldenkrise zu tun. Das hat mich jetzt etwas optimis- längst irgendwo gelesen und gehört haben, nichts Neues tisch gestimmt, weil ich den Eindruck hatte, Sie hätten vermerken können. Da kann man nur sagen: Gut, dass verstanden, dass es nicht allein darum geht. Wir haben (B) Sie nicht mehr Europaminister der Bundesrepublik doch eine politische Krise. Wir haben eine institutionelle (D) Deutschland sind! Krise. Alle wissen doch: Der Geburtsfehler von Maas- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tricht wird durch all das, was Sie jetzt auf den Weg zu DIE GRÜNEN) bringen versuchen, nicht geheilt. Eine gemeinsame Währung funktioniert eben nicht ohne koordinierte Wirt- Das Auswärtige Amt hat als Europaministerium aus- schaftspolitik, ohne abgestimmte Sozial-, Steuer- und gedient. Wir erleben einen dramatischen Niedergang des Beschäftigungspolitik. Auswärtigen Amts als zentrales Steuerungsministerium, wenn es um Europaangelegenheiten geht. Dafür trägt (Beifall bei der SPD sowie des Abg. nicht allein der Lissabon-Vertrag Verantwortung – die Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE Position des Regierungschefs, der Kanzlerin, die Posi- GRÜNEN]) tion des Kanzleramts wurde gestärkt; Frau Merkel ist Sie aber reden ständig nur von Haushaltskonsolidierung seitens der Bundesregierung weitgehend die alleinige und Schuldenabbau. Diesen Weg sind wir bereit mitzu- Gipfelstürmerin –, sondern das liegt auch an Ihnen per- gehen, aber nur, wenn Sie Ihren wohlfeilen Worten zu sönlich. Sie haben viel zu lange geschwiegen, Sie waren mehr Wachstum und Beschäftigung dann auch Taten fol- viel zu lange der Herr Westerwelle und nicht der Bun- gen lassen. Wir sind ja dankbar, dass Sie langsam auf die desaußenminister. Sie laden jetzt einmal ein paar Außen- Linie der SPD einzuschwenken versuchen, minister ein – aber auch nur einige –, reflektieren, trin- ken zusammen eine Tasse Kaffee und meinen, damit (Lachen des Abg. Joachim Spatz [FDP]) würden wir Europa voranbringen. Das alles ist nur Sym- indem Sie sagen: Wir brauchen auch Wachstum und Be- bolpolitik, viel heiße Luft, wenig Substanz. Das ist auch schäftigung. – Das ist schon einmal anerkennenswert. heute in Ihrer Rede zum Ausdruck gekommen. Wir sind jetzt gespannt, was Sie gemeinsam mit François (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Hollande und den anderen Staats- und Regierungschefs DIE GRÜNEN) hinbekommen. Auch da, wo das Auswärtige Amt noch über europa- Wir fordern eine Wirtschaftskoordination, die demo- politische Kompetenzen verfügt, nämlich wenn es da- kratischen und sozialen Ansprüchen gerecht wird. Sie rum geht, konkret dazu beizutragen, dass Europa mit ei- haben ein Europa der Hinterzimmer und der Regierun- ner Stimme spricht, haben Sie versagt. Ich erinnere nur gen geschaffen. Wir wollen ein Europa der Parlamente, an das Libyen-Desaster, wo Sie sich mit Ihrer Enthaltung ein Europa der demokratischen Strukturen und ein dagegen gesperrt haben, dass die Europäische Union in Europa der Solidarität. An diesem Europa haben Sie sich 21342 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Michael Roth (Heringen) (A) versündigt, meine sehr verehrten Damen und Herren der (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Bleiben (C) Bundesregierung. Sie bescheiden, Herr Kollege!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich würde mich darüber freuen, wenn irgendwann des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einmal ein Bundesaußenminister wieder in diesen Rei- gen eintreten und positiv, hoffnungsvoll, konstruktiv, mit Es ist eben auch beim Kollegen Silberhorn deutlich Verve und Empathie über Europa sprechen würde. Sie geworden, dass bei vielen die Alarmglocken schrillen, gehören bislang dezidiert nicht dazu. wenn es um die vermeintliche Abgabe nationaler Souve- ränität geht. Ich lade uns alle dazu ein, etwas weniger Vielen Dank. ideologisch an diese Frage heranzugehen. Wir mögen zwar rechtlich Kompetenzen abgeben; aber politisch ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ winnen wir doch Handlungsspielräume zurück, die wir DIE GRÜNEN – Dr. Guido Westerwelle, Bun- als Nationalstaaten in einer globalisierten Welt schon desminister: Sprach Willy Brandt!) lange nicht mehr haben. Wir können den Bürgerinnen und Bürgern doch nicht vorgaukeln, dass es allein natio- Präsident Dr. Norbert Lammert: nalstaatlich geht. Es geht nur gemeinsam in Europa. Das Wort hat nun der Kollege Oliver Luksic für die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ FDP-Fraktion. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir sagen: Es geht nur gemeinsam, solidarisch und de- der CDU/CSU) mokratisch in Europa. Hier benötigen Sie noch Nach- hilfe, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Fraktio- Oliver Luksic (FDP): nen der Koalition. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Zuruf von der FDP: Aber nicht von Ihnen!) Lieber Kollege Roth, in Ihrer Rede haben wir außer alten Rezepten, die mit neuen Schulden finanziert werden, Wir müssen endlich die Wettbewerbslogik in Europa wenig gehört. Sie kritisieren immer, dass das Thema überwinden. Ihr neoliberaler Dreisatz, Herr Bundes- Europa auf unserer Seite einen so geringen Stellenwert außenminister, Steuersenkungen, Deregulierung, Sozial- habe. Von Ihren drei Kanzlerkandidaten ist bei dieser abbau würden automatisch zur Lösung führen, ist ein Irr- Debatte niemand anwesend. Ich wäre insofern also et- weg. Ich dachte eigentlich, dass wir da gemeinsam was zurückhaltend. weitergekommen sind. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern wieder Sicherheit vermitteln. Wir müssen deut- Vergangenen Sonntag wurde in zwei Ländern Euro- (B) (D) lich machen: Lohndumping muss verhindert werden. pas gewählt: in Frankreich und in Griechenland. Es Wir brauchen auch in Deutschland nicht nur höhere wurde auch bei uns in einem Bundesland gewählt. Die Löhne, worum die Gewerkschaften erfolgreich kämpfen, Berichterstattungen und die Diskussion in unserem Land sondern auch Mindestlöhne. zeigen: In einem zusammenwachsenden Europa haben Wahlen in Frankreich und Griechenland vielleicht mehr (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sabine Bedeutung für unser Land als die Wahl in einem unserer Zimmermann [DIE LINKE]) Bundesländer. Ich glaube, wir erleben gerade einen Para- Wir müssen das Steuerdumping verhindern. Wir müssen digmenwechsel in Europa. Die Stabilisierung des Euro Sozialdumping verhindern. Wie können wir Europa in wird eben nicht nur im Deutschen Bundestag oder in der Mitte der Gesellschaft verankern, wenn Arbeitneh- Brüssel entschieden, sondern vor allem in den einzelnen merinnen und Arbeitnehmer Angst und Sorgen haben? Mitgliedstaaten; denn dort ist der Kern der Staatsschul- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) denkrise. Es ist wichtig, dass wir auch diese Wahlergeb- nisse diskutieren; denn es ist in hohem Maße bedenklich, Insofern: Europa muss mit dem Herzen gestaltet werden. wenn in Frankreich und Griechenland mit antieuropäi- Es stimmt mich schon sehr nachdenklich, wenn dies schen Parolen Wahlkampf geführt wird und in beiden ausschließlich verdienstvolle alte Männer in diesen Ta- Ländern die extremen Parteien gewinnen. In Griechen- gen in Kommentaren eindrucksvoll zum Ausdruck brin- land ziehen sogar Faschisten ins Parlament ein. Das ist gen. Es werden eben Herr Genscher, Herr von nicht gut für die Demokratie, und das ist nicht gut für Weizsäcker, Helmut Schmidt oder Jürgen Habermas ge- Europa. fragt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Rainer Brüderle [FDP]: Was haben Sie gegen Andrej Hunko [DIE LINKE]: Hollande ist Helmut Schmidt?) auch Extremist, oder was?) – Zum Glück werden Sie nicht gefragt, Herr Genscher Im französischen Wahlkampf haben die Zentrumspar- – Entschuldigung! – Herr Westerwelle. tei von Bayrou und die Grünen für Europa geworben. Leider müssen wir feststellen, dass die Europakritiker (Heiterkeit und Beifall bei der FDP – von links und rechts im ersten Wahlgang mehr Stimmen Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Herr als Hollande und Sarkozy zusammen bekommen haben, Kollege, das ist zu viel der Ehre!) die übrigens beide auch nicht gerade mit proeuropäi- – Da haben Sie völlig recht. schen Ideen im Wahlkampf geworben haben. Hollande Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21343

Oliver Luksic (A) hat den Fiskalpakt infrage gestellt. Sarkozy hat viel vom werden. Auch in Griechenland wurde am Sonntag ge- (C) starken Frankreich und wenig vom starken Europa ge- wählt. Dort gestaltet sich die Regierungsbildung leider sprochen und das Schengen-Abkommen infrage gestellt, äußerst schwierig. Die einstigen Volksparteien wurden die Reisefreiheit. abgestraft; beide haben das Land an die Wand gefahren und damit die Krise der Währungsunion mit ausgelöst. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Zusammen mit Herrn Friedrich, wenn ich das richtig weiß! In Griechenland steht für Europa viel auf dem Spiel. Sagen Sie das mal dem Bundesinnenminister!) Wir müssen uns angesichts des instabilen politischen Aber klar ist: Der deutsch-französische Motor wird Systems Sorgen machen; denn dadurch wird das wacke- trotz einiger Misstöne im Wahlkampf weiterlaufen. Die lige Wirtschaftssystem nicht gerade stabilisiert. Das ei- Vergangenheit hat gezeigt, dass über Parteigrenzen gentliche Problem besteht darin, dass viele Griechen bei hinweg gut zusammengearbeitet wird, ob es Giscard der Stimmabgabe gedacht haben, die harten Sparaufla- d’Estaing und Schmidt waren, Kohl und Mitterrand oder gen könnten nachverhandelt werden. Das fordern jetzt Schröder und Chirac. Das ist im Interesse beider Länder auch alle Parteien. Dabei muss Griechenland in jedem dringend notwendig und unabdingbar für den Erfolg Eu- Fall sparen, weil das strukturelle Defizit schon ohne ropas. Die deutsch-französische Freundschaft ist Staats- Zinszahlungen riesengroß ist. räson in Deutschland und in Frankreich, und das ist auch Die Zeit drängt. Ich glaube, es ist gut und richtig, dass gut so. sowohl die Europäische Kommission als auch die deut- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sche Bundesregierung klar gesagt haben, dass Verträge eingehalten werden müssen. Solidarität ist keine Ein- Helmut Kohl sagte einmal: „Ich weiß nicht, was der bahnstraße. Vertragstreue ist ein zentraler europäischer französische Staatspräsident denkt, aber ich denke das- Wert; immerhin leben wir in Europa in einer Gemein- selbe.“ Dieser Satz ist heute vielleicht nicht mehr wahr. schaft des Rechts. Auch das müssen wir ansprechen und diskutieren. Ge- rade wenn es um den Euro geht, gibt es konzeptionell Das Kernproblem liegt darin, dass 80 Prozent der große Unterschiede. Wir stehen vor einer großen europa- griechischen Bevölkerung, also eine große Mehrheit, politischen Herausforderung. den Euro wollen, aber keine Parteien wählen, die diesen Kurs unterstützen. Wir haben großes Interesse daran, Wenn Herr Hollande – wie auch Herr Sarkozy – dass Griechenland auf europäischem Kurs bleibt. Es Wachstum auf Pump finanzieren will, eine andere EZB muss klarer gesagt werden, was die Konsequenzen einer als die Koalition und eine Aufweichung der Stabilitätsre- unkontrollierten Staatspleite in Griechenland wären. geln will, muss darüber nachgedacht werden. In der grie- (B) chischen Innenpolitik berufen sich die Parteien auf die Ich bin der festen Überzeugung, dass die neue grie- (D) Gedanken des neuen Präsidenten und wollen die Schul- chische Regierung sowie das griechische Volk eine denrückzahlungen kippen. Das hilft den Griechen nicht Grundsatzentscheidung treffen müssen, denn ein Ja zum weiter, und es ist nicht verhandelbar. Ich hoffe, dass der Euro, aber ein Nein zu den verabredeten Auflagen pas- neue französische Präsident diesen Fehler korrigiert. sen nicht zusammen. Diese Frage muss in Griechenland Sie haben eben gesagt, man dürfe die Politik kritisie- klar beantwortet werden. ren; das haben Sie bei Sarkozy gemacht. Der Wahlsieg Die Krise des Euro ist im Kern eine Staatsschulden- von François Hollande basiert auf Versprechungen, die krise. Da hilft die vulgäre Kapitalismuskritik nur wenig so nicht einzuhalten sind: Senkung der Mehrwertsteuer, weiter. Die Staaten müssen sich unabhängiger von den Renteneintrittsalter mit 60, Einfrieren der Benzinpreise. Finanzmärkten machen, indem sie weniger Schulden ha- Er lehnt die Schuldenbremse ab – ich hoffe, dass sich die ben. Neben dem Sparkurs brauchen wir eine nachhaltige SPD hierzu einmal positioniert – und will sie nicht in die Wachstumspolitik, das ist völlig klar. Das Ganze muss nationale Verfassung übernehmen. Ich halte das für ei- aber auf finanzpolitischer Solidität aufbauen, denn we- nen Fehler. der der Euro noch der Markt zerstören die Fundamente Ich hoffe, dass er nicht den gleichen Fehler macht wie in Europa. Vielmehr ist es das süße Gift der Schulden. Es François Mitterrand in den 80er-Jahren, der nach zwei muss uns gelingen, den Euro zu stabilisieren; denn sonst Jahren völlig verfehlter Schuldenpolitik erst im Jahr wird in allen Ländern Europas nicht nur der Euro, son- 1983 die Wende geschafft hat. Diese unbequeme Bot- dern auch das europäische Projekt infrage gestellt. schaft müssen wir mit unseren französischen Freunden diskutieren. Frankreich muss Partner bleiben, wenn es Präsident Dr. Norbert Lammert: darum geht, wieder eine Stabilitätskultur in Europa zu Herr Kollege. etablieren. Alleine schaffen wir das nicht. Dazu brau- chen wir unsere französischen Freunde. Wir stehen jetzt vor einer zentralen europapolitischen Herausforderung. Oliver Luksic (FDP): Ich komme zum Schluss. – Deswegen ist es wichtig, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, Nicht nur die Wahlen in Frankreich zeigen deutlich, dass Sie in Bezug auf den ESM und den Fiskalpakt nicht welchen Einfluss die Politik anderer Länder mittlerweile wieder den gleichen Fehler machen wie 2010, als Sie auf Europa, den Euro und damit auch auf uns hat, wenn sich wegen der NRW-Wahl beim ersten Griechenlandpa- mühsam ausgehandelte Verträge wieder aufgeschnürt ket aus der Verantwortung gestohlen haben. Machen Sie 21344 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Oliver Luksic (A) jetzt in Bezug auf den ESM und den Fiskalpakt nicht den im Durchschnitt tendenziell rückläufig gewesen, von (C) gleichen Fehler! etwa 72 Prozent auf etwa 67 Prozent. Herzlichen Dank. (Otto Fricke [FDP]: Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Spanien und Portugal!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das sind alles Zahlen, die man offiziell bei der EZB ein- sehen kann. Erst Mitte 2008 ist die Staatsverschuldung deutlich auf über 80 Prozent angestiegen. Was war die Präsident Dr. Norbert Lammert: Ursache? Unverantwortliche Haushaltsführung durch Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt der Kollege Sozialausgaben oder durch Leben über die Verhältnisse? Hunko das Wort. Nein, die Bankenrettungspakete sind für den Anstieg (Beifall bei der LINKEN) verantwortlich und nicht etwa unverantwortliche Sozial- ausgaben. Andrej Hunko (DIE LINKE): Die zentralen Projekte dieser Bundesregierung sind Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Titel der Fiskalpakt und der ESM, die jetzt ratifiziert werden dieser Debatte heute lautet: „Europas Weg aus der sollen. Damit wird eine falsche Grundannahme in einen Krise“. Nach der Regierungserklärung, Herr Westerwelle, Pakt gegossen, der Ewigkeitscharakter haben soll und die ich eben gehört habe, muss ich sagen, der Titel sollte die Krise unnötig verschärfen wird. Der Fiskalpakt be- heißen: „Europas Weg immer tiefer in die Krise“; denn deutet in der Konsequenz genau die gleiche Politik, die das ist die Konsequenz Ihres Programms, das Sie vorge- jetzt Griechenland und anderen südeuropäischen Län- stellt haben. dern auferlegt wird. Deswegen sagen wir Nein zum Fis- kalpakt, deswegen sagen wir Nein zum ESM. Herr Westerwelle, Sie sind in Ihrem Beitrag gar nicht auf die Signale eingegangen, die am Wochenende aus (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der Griechenland und aus Frankreich gekommen sind. Die FDP: Ihr sagt immer Nein!) Signale bedeuten, dass Ihre Politik gescheitert ist, dass Es stehen noch Kollegen von SPD und Grünen auf die Politik nicht nur sozial ungerecht ist, dass sie nicht der Rednerliste. Mich würde schon interessieren: Wer- nur ökonomisch irrsinnig ist, sondern dass sie in Europa den Sie dem Fiskalpakt am Ende zustimmen – dazu politisch nicht mehr durchsetzbar ist. Das ist die Bot- braucht man in Deutschland eine Zweidrittelmehrheit in schaft der Wahlen in Griechenland und in Frankreich. Bundestag und Bundesrat –, oder werden Sie ihn ableh- nen? Wir plädieren für die Ablehnung. (Beifall bei der LINKEN) (D) (B) (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil Nicht nur die Menschen in vielen europäischen Län- [Peine] [SPD]: Wir sind für Wachstum!) dern lehnen diese Art der Krisenbewältigung ab. Es gibt auch von Tag zu Tag mehr Ökonomen, die sich kritisch Ich beende meine Reden hier im Bundestag meistens zu der Krisenbewältigung äußern, die Sie auch heute mit dem Satz: Europa wird sozial sein, oder es wird vorgestellt haben. Ich könnte viele zitieren. Herr Heil hat nichts sein. Das ist natürlich weiterhin richtig. Ich will vorhin Paul Krugman erwähnt. Ihn will ich zitieren. Es aber heute angesichts der dramatischen Situation in lohnt sich wirklich, genau hinzuhören, was der Wirt- Griechenland folgendermaßen enden: schaftsnobelpreisträger von 2008 sagt: Ανατροπή στην Ελλάδα, μήνημα στην Ευρωπη, Europas große Täuschung besteht in dem Glauben, για μια Ευρωπη τον λαών και όχι των τραπεζιτών! dass die Krise durch unverantwortliche Haushalts- Die Veränderungen am Wochenende in Griechenland führung zustande kam. sind ein Signal für Europa, für ein Europa der Menschen, der Völker und nicht der Banken und Konzerne. Weiter heißt es: Vielen Dank. Doch viele europäische Verantwortliche, allen vo- ran deutsche Politiker, die Führung der Europäi- (Beifall bei der LINKEN – Michael Roth [He- schen Zentralbank und die Meinungsführer in der ringen] [SPD]: Wenn es immer so einfach Finanzwelt, wiederholen gebetsmühlenartig die wäre! Meine Güte!) große Täuschung und lassen sich auch von handfes- ten Gegenbeweisen nicht erschüttern. Sie kleiden Präsident Dr. Norbert Lammert: das Problem gern in ein moralisches Gewand: Die Der Kollege Sarrazin erhält nun das Wort für die betroffenen Länder haben gesündigt, und nun müss- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ten sie büßen – ein ganz schlechter Ansatz zur Lö- sung der eigentlichen Probleme des Kontinents. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte am An- Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) fang meiner Rede kurz auf die Einführungsvorlesung von Herrn Westerwelle eingehen. Herr Westerwelle – er Was meint er zum Beispiel mit handfesten Beweisen? sitzt gar nicht auf der Regierungsbank, sondern spricht Nehmen wir die Staatsverschuldung. Die Staatsverschul- mit Herrn Ramsauer –, Sie sind als einen der sechs dung in der Euro-Zone ist vom Jahr 2000 bis Mitte 2008 Punkte auf die Connecting Europe Facility eingegangen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21345

Manuel Sarrazin (A) Ich glaube, dass man ein grundsätzliches Problem Ihrer Das nimmt Stärke. Ihnen fehlt Stärke, um in Europa vor- (C) Europapolitik benennen kann: Als die Kommission im anzugehen. letzten Herbst Vorschläge zu Projektbonds gemacht hat, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ist aus Ihren Reihen viel über Herrn Barroso geschimpft SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – worden, weil Sie das mit Euro-Bonds verwechselt ha- Hubertus Heil [Peine] [SPD]: James Bond! ben. Euro-Bonds! Projektbonds!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eines muss man sagen – die Schuman-Erklärung ist und bei der SPD) schon genannt worden –: Schuman hat damals geschrie- Und jetzt stellen Sie hier Ihr Aktionsprogramm vor. ben: – Mögen Sie mir noch zuhören? – Dieses Aktionspro- Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden gramm besteht – das ist auch bei anderen Dingen der ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe Fall – aus einem Vorschlag, den die Kommission schon der Bedrohung entsprechen. im März vorgelegt hat. Abschreiben und Abkupfern reicht nicht für die Europapolitik Deutschlands! Wenn wir diesen Satz als Blaupause nehmen und uns das, was Herr Westerwelle gerade gesagt hat, und Ihre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Beiträge in dieser Debatte vor Augen führen, dann ist, des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) glaube ich, die Analyse relativ klar. Das andere ist – das muss man in dieser Debatte und Die große Frage in dieser Krise ist doch, Herr Spatz nach dieser Vorlesung sagen – – und Herr Westerwelle, die integrationspolitische Demo- kratiefrage. Warum kommt von Herrn Westerwelle und Präsident Dr. Norbert Lammert: aus Ihren Reihe zu dieser großen Frage dieser Krise so Sie haben die Lage richtig wahrgenommen. Der Kol- wenig, um nicht zu sagen: gar nichts? lege Spatz möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stel- len. Darf er das? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist doch bezeichnend, dass bei diesem Kernpunkt der Klar. Europapolitik das Auswärtige Amt gar nicht präsent ist. Ich muss Ihnen noch eines sagen – der Schuman-Plan Joachim Spatz (FDP): ist schon genannt worden –: Was war die große Idee von Dem Kollegen Heil, der behauptet hat, wir hätten al- Schuman neben dem, was Herr Krichbaum gewürdigt (B) (D) ternativlos abgelehnt, habe ich das auch schon gesagt: hat? Es war die Hohe Behörde, die die gemeinsame Wenn Sie sich ein bisschen intensiver mit den Details Montanunion verwaltet. Die Europapolitik dieser Regie- befassen würden, zum Beispiel mit den Vorschlägen, die rung bricht mit dem Erbe von Schuman, weil Frau in unserer Stellungnahme zum MFR enthalten sind, die Merkel in Brügge mit der Unionsmethode zum Angriff der Bundestag auf Antrag der Koalition beschlossen hat! auf die Kommission und das Europäische Parlament ge- Darin steht, dass wir eine andere Form von Projektanlei- blasen hat. hen wollen. Wir wollen keine Projektanleihen, bei denen einfach nur öffentliches Geld ausgegeben wird, ohne (Joachim Spatz [FDP]: Quatsch!) dass zusätzliches privates Geld mobilisiert wird. Es mag Sie brechen mit einer großen Tradition, indem Sie reine ja sein, dass Sie das ablehnen. Aber die Behauptung, wir Regierungspolitik machen und die Gemeinschaftsinstitu- hätten alternativlos abgelehnt, ist schlicht falsch. tionen in dieser Krise schwächen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sowie bei Abgeordneten der SPD) Verehrter Herr Spatz, wenn Sie den Kommissionsent- wurf bezüglich Connecting Europe Facility vom März Sie wissen, dass ich über die Geringschätzung der lesen, dann wird Ihnen ganz klar, was die Kommission Parlamente im Rahmen dieser Unionsmethode viel zu vorschlägt. Das ist eine Fazilität, die dafür sorgen soll, sagen hätte. Deswegen haben wir in Karlsruhe geklagt. dass mithilfe öffentlicher Mittel, mit Mitteln aus Struk- Diesbezüglich haben wir in diesem Haus gemeinsame turfonds aus anderen Bereichen gehebelt und mehr pri- Anliegen gegenüber der Regierung. Darüber werden wir vates Kapital mobilisiert werden kann. Da hat nie je- sprechen. mand etwas anderes vorgeschlagen, auch Herr Barroso Ich möchte sagen, dass es aus meiner Sicht eine deut- damals nicht. sche Aufgabe ist, den Mut, die Verträge zu ändern, zu (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- adressieren. Wir können ganz klar sagen, dass die Ana- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) lyse in der Erklärung von Laeken, dass die Europäische Union für die Herausforderungen der Globalisierung Das Problem an Ihrer Europapolitik ist, dass Sie nicht in nicht ausreichend gewappnet ist und dass die nationalen der Lage sind, konstruktive, vorausdenkende Vorschläge Politiken besser koordiniert werden müssen, noch zu machen. Sie müssen sich immer hinter den fehlenden stimmt. In dem Aktionsprogramm, das Herr Westerwelle Mehrheiten in Ihren Reihen verstecken. hier gerade genannt und vorgestellt hat, fehlt dieser (Joachim Spatz [FDP]: Nein!) Punkt. Dort fehlt der deutsche Anspruch, dass wir die 21346 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Manuel Sarrazin (A) Vordenker- und Vorreiterrolle in Europa übernehmen möchte einen Beitrag dazu leisten, dass wir die Chancen (C) müssen, wenn es darum geht, das Mehr an Europa kon- sehen, die vor uns liegen. kret zu machen und über Vertragsänderungen zu reden, Wenn wir auf das zurückblicken, was wir in den letz- und zwar mit einer Methode, die demokratisch und ten zwei Jahren in der Europapolitik erlebt haben, sehen transparent ist, also im Rahmen eines europäischen Kon- wir, dass wir viele Erschütterungen erlebt haben. Wir ha- vents und nicht in den Hinterzimmern von Regierungs- ben viele Dinge erlebt, die wir uns so nicht vorstellen konferenzen. konnten, aber wir haben natürlich auch erlebt, dass wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in den letzten 24 Monaten ganz gut um die vielen Klip- sowie bei Abgeordneten der SPD) pen herumgeschifft sind, die uns im Weg standen. Ich möchte meine letzten Sekunden Redezeit nutzen, Wir hören immer wieder Ratschläge von außen. Wenn um etwas zu Griechenland zu sagen. Wenn ich mir die ich mir vorstelle, wir hätten vor 24 Monaten den Rat- Presselage ansehe – vieles von dem, was hier heute ge- schlag angenommen, die Griechenland-Illiquidität, die sagt wurde, hebt sich positiv davon ab –, habe ich das praktische Insolvenz dieses Staates, einfach hinzuneh- Gefühl, dass manche in Ihren Reihen noch nicht verstan- men und nicht zu helfen, weil man als guter Kaufmann den haben, für wen sie Stichwortgeber sein können, ob dem schlechten kein gutes Geld hinterherwirft – das war willentlich oder aus Versehen. Ich frage mich manchmal: nur einer der Sprüche, die uns gesagt wurden –, dann Für wen machen Sie eigentlich Wahlkampf? Sie erwe- hätten wir einen enormen Schaden für Europa produ- cken den Eindruck, es wäre möglich, Griechenland aus ziert, der weit über das hinausgeht, was man sich vorstel- der europäischen Schicksalsgemeinschaft auszuschlie- len kann. ßen, es wäre keine politische Wertentscheidung, die Wir hätten selbst im günstigsten Fall auf das Wirt- Euro-Zone mit 17 Staaten zusammenzuhalten. Alle acht schaftswachstum der letzten zwei Jahre verzichtet, das Wochen wird aus den Reihen der Koalition diese politi- 100 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen von sche Wertentscheidung infrage gestellt. Das ist ein Zei- Bund, Ländern und Gemeinden gespült hat. All denjeni- chen von politischer Schwäche. Diese politische Schwä- gen, die uns vorwerfen, dass wir die Rettung des Euro che Ihrer Koalition und Ihrer Regierung ist mit ein und die Rettung Griechenlands mit zu viel Geld, mit zu Grund für die Krise. viel gutem Willen und mit zu vielen Bürgschaften ange- Vielen Dank. hen, sei gesagt: Wenn wir diesen Vorschlag angenom- men hätten, wäre die Situation heute schlagartig schlech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ter, und es wäre für uns mit Sicherheit auch teurer. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (B) Präsident Dr. Norbert Lammert: (D) Jürgen Hardt ist der nächste Redner für die CDU/ Ein möglicher Weg wäre damals gewesen, den Din- CSU-Fraktion. gen einfach ihren Lauf zu lassen und das Auseinander- brechen der Euro-Zone hinzunehmen. Diesen haben wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zum Glück nicht eingeschlagen. Es gab einen anderen extremen Vorschlag, über den man auch nachdenken Jürgen Hardt (CDU/CSU): musste. Die Staats- und Regierungschefs hätten am Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Abend des Ausbruchs der Staatsschuldenkrise sagen Europapolitiker und Außenpolitiker sind hier jetzt, da können: Wir haften alle gemeinsam für alles. – Das hätte die Debatte schon etwas fortgeschritten ist, relativ unter die Märkte möglicherweise sogar beruhigt. Es hätte das uns. Ich freue mich trotzdem, dass der Präsident der Problem der übermäßigen Verschuldung aber nicht ge- Europäischen Investitionsbank auf der Besuchertribüne löst. Deswegen bin ich der Bundesregierung dankbar, Platz genommen hat. dass sie diesen Weg nicht eingeschlagen hat, sondern ge- sagt hat: Wir versuchen, einen mühsamen, einen schwie- (Beifall) rigen, aber gleichwohl erfolgversprechenden Weg zu ge- Ich glaube, wir alle setzen große Hoffnungen in die hen, der insgesamt vier Elemente beinhaltet: erstens Möglichkeiten und Perspektiven – diese gibt es zum Teil faire Chancen für die Staaten, die in Schwierigkeiten aufgrund der neuen Ausgestaltung des finanziellen Rah- sind, zweitens die Absicherung unserer Verflechtungen mens der Europäischen Union –, die Instrumente, die innerhalb der Europäischen Union, damit das Finanzsys- uns zur Verfügung stehen, zu schärfen und zu verbes- tem nicht zusammenbricht, drittens die Stärkung der sern. Denn offensichtlich haben die Methoden, mit rechtlichen Verbindlichkeit im Hinblick auf solide Haus- denen wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haltspolitik und viertens die Zähmung der ungehemmten versucht haben, Impulse für Wirtschaftswachstum zu Finanzmärkte. setzen, nicht ganz und nicht in allen Ländern den Erfolg gehabt, den wir uns gewünscht haben. Ich möchte auf den dritten Punkt, nämlich die Frage, wie wir Haushaltsdisziplin innerhalb der Europäischen Ich möchte in dieser Debatte ganz konkret auf die Union verwirklichen wollen, näher eingehen. Da finde Rede von Kollegen Roth eingehen – ich sehe ihn leider ich die Haltung der Opposition, offen gesagt, etwas am- gerade nicht –, der hier vorhin ein ziemlich düsteres Bild bivalent. Sie hat uns monatelang vorgehalten: Das, was Europas gemalt hat, um dann in den letzten zehn Sekun- die deutsche Regierung in Europa will, ist undurchsetz- den seiner Rede die Regierung zu mahnen, sie solle doch bar; das ist wieder das typisch deutsche „Wir wissen al- nicht alles so negativ malen und so schlecht sehen. Ich les besser, und wir machen alles besser“. – Dann ist es zu Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21347

Jürgen Hardt (A) einem Fiskalpakt gekommen, der in seinem Umfang, so- Die Europäische Union hat sich auf den letzten zwei (C) wohl was die Zahl der teilnehmenden Staaten als auch großen Gipfeln ganz zentral mit den Quellen des Wachs- seine Elemente angeht, beachtlich ist und deutlich weiter tums, der Stimulierung des Wachstums und der Schaf- geht als das, was viele erwartet haben. Jetzt heißt es fung eines sozialen Raums beschäftigt. Es gibt über- plötzlich: Das ist alles viel zu streng. Das ist alles viel zu haupt keinen Grund, dahinter zurückzubleiben. Ich sehe sehr auf Austerität ausgerichtet. – Also: Sie müssen sich Europa trotz allem auf einem guten Weg. Ich denke, dass schon entscheiden, ob Sie einen stabilen Euro mit soli- wir mit dem eingeschlagenen Kurs der kleinen Schritte den Staatsfinanzen wollen oder ob Sie weiterhin auf und der Konsolidierung der europäischen Finanzen den Pump scheinbaren Wohlstand finanzieren wollen. Ich richtigen Weg beschritten haben. Ich würde mir schon persönlich bin der Meinung, die Bundesregierung hat an wünschen, dass wir das aus der Alltagspolemik der Poli- diesem Punkt alles richtig gemacht, und sie verdient un- tik heraushalten, damit Europa in der Öffentlichkeit eben sere volle Unterstützung, wenn es in den nächsten Wo- nicht nur negativ wahrgenommen wird. chen und Monaten in diesem Hause darum geht, die ent- sprechenden Entscheidungen zu treffen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein Blick auf die Hilfen für Griechenland. Es ist nicht Präsident Dr. Norbert Lammert: an uns im Deutschen Bundestag, dem griechischen Volk Nun erhält die Kollegin Kerstin Griese für die SPD- Ratschläge zu geben, die Wahl zu kommentieren und zu Fraktion das Wort. analysieren und dabei Kritik am Wählervotum zu äu- ßern. (Beifall bei der SPD) (Beifall des Abg. Manuel Sarrazin [BÜND- Kerstin Griese (SPD): NIS 90/DIE GRÜNEN] – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Dann lassen Sie es doch!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir fehlt aufseiten der Regierungsfraktionen in dieser De- Ich finde, die Bürgerinnen und Bürger in Griechenland batte ein wenig die Begeisterung für die europäische und auch die verantwortlichen Politiker wissen sehr ge- Idee. nau, dass das, was die alte Regierung und das alte Parla- (Oliver Luksic [FDP]: Wo ist Steinmeier? – ment verabschiedet und vereinbart haben, natürlich über Joachim Spatz [FDP]: Wo sind die SPD-Kanz- den Wahltag hinaus Bestand haben muss, wenn man in lerkandidaten?) einem Staatenbund wie der Europäischen Union erfolg- (B) reich zusammenarbeiten will. Ich glaube, die Anzeichen, Ich glaube, wir werden die Zustimmung für Europa und (D) die gestern aus Griechenland zu vernehmen waren, dass auch für die schwierigen Schritte, die wir jetzt zu tun ha- es vielleicht doch die Perspektive für eine Parlaments- ben, nur dann wieder bekommen, wenn die Menschen mehrheit gibt, die möglicherweise eine Regierung trägt, auch davon überzeugt sind, dass wir die Krise meistern die den Kurs fortführt, ohne dass man den Weg über können. Diese Überzeugung fehlt bei Ihnen anschei- Neuwahlen gehen muss, sind ein gutes Signal. Ich würde nend. mir wünschen, dass wir schnell zu Ergebnissen kommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie DIE GRÜNEN – Joachim Spatz [FDP]: Wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE begeistert sind denn die Kanzlerkandidaten? GRÜNEN) Fehlanzeige!) Das – notwendige – Sparen ist so zu gestalten, dass Es ist ja auch interessant, dass Umweltminister die Menschen in den betroffenen Ländern dies akzeptie- Röttgen versucht hat, die NRW-Wahl am Sonntag zu ei- ren und mittragen können. Ich glaube, in einem Land ner Abstimmung über den Europakurs der Kanzlerin wie Griechenland sollte man damit anfangen, dass nicht Merkel zu machen. zuerst der kleine Mann auf der Straße, sondern vielleicht (Otto Fricke [FDP]: Quatsch! Was soll das zunächst einmal der höhere Beamte ein Opfer für die Sa- denn?) nierung des Haushaltes zu erbringen hat. Man sollte viel- leicht auch einmal darüber nachdenken, wie es gelingen Bevor er da deutlich zurückgepfiffen wurde, hat er tat- kann, den großen Anteil der Schattenwirtschaft in das re- sächlich gedacht, dass er damit seine bescheidenen Zu- guläre Bruttosozialprodukt zu überführen und damit ei- stimmungswerte steigern könnte. Welch ein Irrtum; denn ner Besteuerung zu unterziehen. So kann man sparen, die Menschen wissen, dass Sparen alleine kein zukunfts- ohne dass man irgendjemandem etwas wegnehmen fähiges Konzept ist, sondern dass Sparen und Wachstum muss, was er dringend braucht und was ihm zusteht. zusammengehören. Hannelore Kraft hat mit ihrer vor- beugenden Politik überzeugend gezeigt, dass Sparen und Ich glaube, dass Wachstumspolitik nicht im Wider- Investitionen in die Zukunft, in Bildung und in Kinder spruch zu einer erfolgreichen und nachhaltigen sozialen zusammengehören und zwei Seiten derselben Medaille Politik steht. Auf diesem Weg werden wir gut voran- sind. kommen. Ich glaube im Übrigen auch, dass wir im Rah- men der weiteren Strukturierung des Finanzrahmens der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Europäischen Union, den wir in den nächsten sieben DIE GRÜNEN – Joachim Spatz [FDP]: Wo Jahren vorsehen, genau diese Impulse setzen müssen. denn zum Beispiel? Wo spart sie denn?) 21348 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Kerstin Griese (A) Deshalb ist es uns Sozialdemokratinnen und Sozial- führen, statt in den Kitaausbau zu investieren. Ich könnte (C) demokraten so wichtig, dass beides zusammengehört: das ewig weiter fortsetzen. Sparen und die Entwicklung von Wachstum, ein gemein- (Joachim Spatz [FDP]: Nein!) samer Binnenmarkt und gemeinsame soziale Standards in Europa, soziale Gerechtigkeit und Innovation, die ge- Diese Bundesregierung zeigt leider auch kein En- meinsame Währung, der Euro, und offene Grenzen und gagement, soziale Verwerfungen in den Ländern Euro- Freizügigkeit. Europa ist nämlich mehr als die Krise, pas, die jetzt unsere Hilfe brauchen, zu verhindern. Man Europa bedeutet auch Jugendaustausch, Studentenaus- muss sich allein die Situationen in Spanien und Grie- tausch, kulturelle Vielfalt und eine starke Zivilgesell- chenland, wo die Hälfte der jungen Menschen arbeitslos schaft. ist, vorstellen, um zu wissen, was das mit den Menschen dort macht. Das ist ein dramatischer Zustand. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unser ehemaliger Bundespräsident Johannes Rau hat 2003, in einem Jahr, in dem es um die Erweiterung der Der Mindestlohn ist gesenkt worden, und es sind gerade Europäischen Union um zehn Staaten ging und in dem es auch die gut ausgebildeten Menschen, die dort arbeitslos deshalb durchaus heftige Debatten gab, einmal gesagt sind. – ich zitiere ihn –: Hier zeigt es sich, dass wir dringend mehr tun müs- Dauerhafte Fortschritte bei der Einigung unseres sen, um Hoffnung für diese junge Generation zu schaf- Kontinents können wir nur erreichen, wenn die fen. Deshalb brauchen wir mehr Wachstum, einen besse- europäische Idee in den Herzen und Köpfen der ren und zielgerichteteren Einsatz der europäischen Menschen verankert wird, wenn die Einigung von Mittel und ein konkretes Programm zur Bekämpfung der den Menschen bejaht und getragen wird. Diese Zu- Jugendarbeitslosigkeit. stimmung ist möglich, aber sie fällt nicht vom Him- Für mehr Wachstum und Zusammenhalt in Europa mel. Wer in Politik und Gesellschaft Verantwortung gibt es Beispiele. Wir brauchen Haushaltskonsolidie- trägt, muss dafür werben. rung, klare Sparziele und dazu ein Wachstumspaket. Wir Auch heute geht es darum, mit Herz und Verstand dafür haben das in Deutschland schon einmal gezeigt, als so- zu werben. Ich habe aber das Gefühl, dass wir heute von- zialdemokratische Minister mit den Konjunkturpaketen seiten der Regierung viele Abgesänge und Trauerreden dafür gesorgt haben, dass Kommunen gestärkt wurden, gehört haben. dass Arbeit geschaffen wurde und dass mit der Kurz- (B) arbeit Jobs erhalten wurden – gerade bei uns in Nord- (D) Es geht nicht, für Europa zu werben, wenn man im- rhein-Westfalen. mer nur zögert und zaudert, wenn man zuerst auf die (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Und „faulen Griechen“ schimpft und jegliche Hilfen aus- was ist dann passiert? – Oliver Luksic [FDP]: schließt, um sie später dann doch zu gewähren – übri- Verfassungswidriger Haushalt!) gens zu spät; dadurch wurde es noch teurer –, und wenn man zuerst nachhaltige Rettungsschirme ausschließt, sie Deshalb reicht es heute nicht, immer nur die guten später dann aber doch einführen will. Es geht jetzt da- Daten und Zahlen zu loben, sondern man darf auch noch rum, dass wir in dieser Krise entschlossen und zielge- einmal sagen, wer dafür gesorgt hat. Das waren nämlich richtet für Europa werben. Dazu gehört, dass wir neben sozialdemokratische Minister und ihre Konzepte. der Wirtschafts- und Währungsunion eben auch eine So- zialunion brauchen. (Oliver Luksic [FDP]: Was wurde denn zu dem Haushalt gesagt?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Um die Identifikation mit Europa zu erhalten, müssen wir dringend die Verursacher der Krise an den Kosten Unser Ziel ist das soziale Europa. Uns macht große beteiligen. Dazu gehört eine Steuer auf Finanzgeschäfte, Sorgen, dass sich eine soziale Schieflage entwickelt. Die dazu gehört eine effektivere Kontrolle der Banken, dazu wachsende soziale Ungleichheit in Europa gefährdet die gehört ein gesetzlicher Mindestlohn auch für Deutsch- europäische Einigung und die Identifikation der Men- land, damit nicht immer nur die kleinen Leute zur Kasse schen mit Europa. gebeten werden. Die deutsche Bundesregierung zeigt leider keinerlei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ehrgeiz, mehr Integration und Teilhabe für die Men- DIE GRÜNEN) schen im eigenen Land zu erreichen. Sie engagiert sich Europa ist ein Europa der offenen Grenzen. Für viele nicht bei der Bekämpfung von Armut, sie hat die Lang- Menschen sind die gemeinsame Währung und die Reise- zeitarbeitslosen aufgegeben, freiheit die beiden Dinge, durch die Europa ganz prak- (Joachim Spatz [FDP]: Es werden immer tisch erfahrbar ist. Deshalb sage ich ganz deutlich: Es weniger!) dient der europäischen Einigung nicht, wenn der Bun- desinnenminister zusammen mit seinem abgewählten sie weigert sich, einen gesetzlichen Mindestlohn einzu- französischen Kollegen über die Wiedereinführung von führen, und sie will ein unsinniges Betreuungsgeld ein- Kontrollen an den innereuropäischen Grenzen nach- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21349

Kerstin Griese (A) denkt. Wir wollen ein offenes Europa und keine neuen (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Schlagbäume. NEN]: Genau so ist es! Ein Torso ist das!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Juristen wissen: In diesen Fiskalpakt wird die verbindli- DIE GRÜNEN) che Verpflichtung aufgenommen, eine Schuldenbremse verfassungsrechtlich zu implementieren. Wir wollen eine andere Flüchtlingspolitik; denn auch die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass keine (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Menschen mehr im Mittelmeer ertrinken und dass sich GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) die Lage in den griechischen Flüchtlingslagern verbes- sert. Auch das gehört zu einem sozialen Europa. Der Fiskalpakt beinhaltet Kontrollmechanismen, die au- tomatisch dazu führen, dass eine Verletzung der Krite- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des rien des Maastrichter Vertrages durch die Mitgliedstaa- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ten Konsequenzen hat. Das ist ein Meilenstein, weil in den vergangenen Jahren Verletzungen nicht verfolgt Ein letzter Gedanke. Damit auch die arbeitslosen jun- wurden. gen Menschen in Griechenland, Spanien und Portugal eine Zukunftsperspektive erhalten, ist es sehr wichtig, et- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- was für sie zu tun; denn anderenfalls werden sie Europa neten der FDP) infrage stellen, was eine Gefahr für unsere Demokratie sein wird. Sie werden nämlich fragen, ob Demokratie Herr Dr. Schmidt, natürlich gehören ESM und Fiskal- und soziale Marktwirtschaft die richtigen Antworten pakt zusammen. Wer als Mitgliedstaat nicht bereit und in sind. Wir haben am vergangenen Sonntag gesehen, dass der Lage ist, haushaltspolitisch seinen Laden in Ordnung Rechtsextreme ins griechische Parlament eingezogen zu bringen, der kann nicht erwarten, im Falle einer wirt- sind. Das sollte uns zu denken geben. Deshalb ist unser schaftlichen Schieflage von der europäischen Solidarität Einsatz für ein soziales Europa ein Einsatz für ein demo- zu profitieren. Beides gehört zusammen. kratisches Europa der Zukunft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank. Die Erklärungen des neuen französischen Präsidenten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten François Hollande haben hier viele Gedanken beflügelt, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dass etwa über den Fiskalpakt neu verhandelt und ein Wachstums- und Beschäftigungspakt eingesetzt werden müsse. Der Kollege Jürgen Trittin sagt sogar: Wir müs- Vizepräsident Dr. h. c. : (B) sen die Idee eines Schuldentilgungspaktes, den der Sach- (D) Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt verständigenrat empfohlen hat, aufgreifen. erteile ich Detlef Seif für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Die Kanzlerin hat nachvollziehbar erklärt, dass ein Schuldentilgungspakt in der Praxis nicht umsetzbar ist. Detlef Seif (CDU/CSU): (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol- NEN]: Das muss man doch nicht glauben! Die legin Griese, wenn das keine Wahlkampfrede war! haben doch keine Ahnung!) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nur kein Neid!) – Die Mitglieder des Sachverständigenrates haben Ah- nung von Wirtschaft, aber ich bezweifle, dass Sie mehr Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Entwick- Kenntnisse über Probleme bei der Implementierung poli- lung in der Bundesrepublik Deutschland, angesichts der tischer Institutionen haben als wir, die wir in der Politik Beschäftigungszahlen und der Arbeitslosenquote sowie praktisch unterwegs sind. der Einnahmen des Staates halte ich es für ein bisschen anmaßend, wenn Sie dieser erfolgreichen Bundesregie- (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: rung vorwerfen, dass sie nichts täte. Wir sollten uns Das habe ich nicht verstanden! Können Sie das nicht gegenseitig vorwerfen, dass uns die Begeisterung noch einmal erklären, Herr Seif? – Hubertus für Europa fehlt. Wir alle sind begeistert. Wir haben nur Heil [Peine] [SPD]: Immer diese blöden Sach- andere Lösungsansätze und Konzepte. Das sollten wir verständigen!) respektieren. Einige haben in Anlehnung an Hollandes Äußerungen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Forderung erhoben, dass zunächst die Finanztransak- tionsteuer eingeführt werden soll. Ich persönlich bin Im März 2012 wurde der Fiskalpakt von den EU-Län- kein Freund dieser Steuer, aber meine Fraktion und auch dern bis auf Großbritannien und Tschechien angenom- die Kanzlerin setzen sich seit letztem Jahr mit Nach- men. Er muss jetzt noch umgesetzt werden. Ich wider- druck dafür ein. spreche ausdrücklich unserem Kollegen Jürgen Trittin, der erklärt hat, dass dieser Fiskalpakt kein Meilenstein (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist Ihr Pro- sei. blem!) 21350 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Detlef Seif (A) Wie Sie wissen, wurde der letzte Versuch, das EU- rerseits weitere Änderungen zu wünschen. Dann kom- (C) weit zu implementieren, von neun Ländern gestartet. men wir zu gar nichts mehr. Deshalb appelliere ich an Dieser Versuch ist am Widerstand von zwei Ländern ge- Sie, mit Nachdruck an der Sache zu arbeiten, aber den scheitert. Auch der Versuch, das in der Euro-Zone umzu- Fiskalpakt in der beschlossenen, das heißt in der vertrag- setzen, ist ebenfalls gescheitert. lich vereinbarten Form umzusetzen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn es in einem Kommentar der Welt heißt, dass die NEN]: Auch das stimmt nicht!) Sozialdemokraten Hochverrat begehen könnten, wenn sie den Fiskalpakt blockieren, Man kann über alles diskutieren, Herr Heil. Auch Ih- ren Ansatz eines Investitions- und Aufbaufonds halte ich (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE für diskussionswürdig. Aber wir sind nicht in einem GRÜNEN]: Jetzt aber Vorsicht!) Universitätsseminar, in dem wir viel Zeit haben, sondern wir sind in der europäischen Praxis, und die Zeit drängt. dann halte ich diese Formulierung für sehr überspitzt und auch nicht für angemessen. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ein großer deutscher Politiker und großer Europäer, Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Willy Brandt, hat gesagt: Kollegen Heil? Mit den Europaverhandlungen ist es wie mit dem Liebesspiel der Elefanten: Alles spielt sich auf ho- Detlef Seif (CDU/CSU): her Ebene ab, wirbelt viel Staub auf – und es dauert Ja. sehr lange, bis etwas dabei herauskommt. Meine Damen und Herren, die Europapolitik der letz- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ten zwei Jahre hat diesen Spruch widerlegt angesichts Bitte schön. der Geschwindigkeit von Entscheidungen und der Quali- tät in der Bearbeitung. Qualität erreicht man nicht, wenn Hubertus Heil (Peine) (SPD): man sozusagen aus der Hüfte schießt; man muss natür- Lieber Herr Kollege, für Ihren letzten Halbsatz lich den Sachverhalt prüfen. möchte ich Ihnen jetzt schon einmal danken, vorausge- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber auch nicht setzt, dass nicht noch ein Aber kommt. Schüsse ins Knie!) (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Zu früh ge- (B) (D) Wir stehen vor schwierigen Situationen und neuen meldet, Herr Kollege!) Herausforderungen. Auch Sie wussten vor einem Jahr Denn der Versuch auch von konservativen Journalisten, nicht, wie die weitere Entwicklung vonstattengeht. Es politische Wettbewerber im Deutschen Bundestag, hier wurde jeweils angemessen, flexibel und vernünftig re- die Sozialdemokraten, als vaterlandslose Gesellen oder agiert. Volksverräter zu bezeichnen, hat eine unselige Tradition (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) in Deutschland. Ich halte es geradezu für unerträglich, wenn Herr Ich will Ihnen für den weiteren Verlauf Ihrer Rede Steinmeier sagt, dass diese Regierung und die Kanzlerin mitgeben, dass ich mich gestern an den Herausgeber der einen Stillstand herbeigeführt haben. Welt, Herrn Schmid, gewendet habe, der sich für diesen Kommentar einer Mitarbeiterin dankenswerterweise ent- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das tut Ihnen schuldigt hat. weh! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das tut wirklich weh!) Meine Bitte ist, dass Sie mithelfen, dass dies auch in Ihrer Fraktion nicht weitergeht. Denn ein paar Kollegen Es ist ein Verdienst der Bundeskanzlerin und des Finanz- in Ihrer Fraktion haben gestern den gleichen Unsinn er- ministers, dass die Verhandlungen auf europäischer zählt. Ich könnte deren Namen nennen. Das vergiftet die Ebene in dieser Qualität und mit dieser Zügigkeit umge- politische Kultur. Bei allem legitimen Meinungsstreit setzt wurden. über die Zukunft Europas sollten wir so etwas nicht ma- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo sind denn chen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mithülfen, dass Ihre Wachstumsimpulse?) diese Vergiftung aufhört. Denn an der einen oder ande- ren Stelle brauchen wir auch Zusammenarbeit. Die Kanzlerin wird europaweit für ihre tolle Arbeit re- spektiert. Sie aber machen das Ganze mies. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das sagt der Richtige!) neten der FDP) Man darf den Bogen auch nicht überspannen, unab- Detlef Seif (CDU/CSU): hängig von den Signalen, die an die Märkte gesendet Herr Heil, ich verstehe das als ein Angebot von Ihrer werden. Wenn wir jetzt den Fiskalpakt noch einmal öff- Seite, zur Sacharbeit zurückzukehren. Wenn Sie mir ge- nen, dann werden alle Länder auf die Idee kommen, ih- nau zugehört hätten, wüssten Sie: Auch ich halte diese Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21351

Detlef Seif (A) Äußerung in der Welt für maßlos überzogen. Die Wahl kratiekrise. Europa ist zu wichtig, als dass wir eine (C) der Begrifflichkeit ist für mich nicht vertretbar. derartige Entwicklung tolerieren dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Trotz aller Unterschiede – Herr Heil, obwohl Sie auf SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- die gebotene Fairness in der Diskussion verwiesen ha- SES 90/DIE GRÜNEN) ben, reden Sie immer dazwischen und waren in Ihrem Redebeitrag nicht immer fair – sollten wir sehen: Im Er- Sie sind keine Hochverräter, und es ist auch kein Lan- gebnis arbeiten wir an der Erreichung desselben Ziels. desverrat. Europa ist für uns alle eine Herzensangelegenheit, um Aber man muss sich schon Gedanken machen: Han- die wir uns mit Begeisterung kümmern. Bleiben wir deln wir im Sinne von Europa und Deutschland, wenn dran! Fassen wir mutige Beschlüsse, und lassen wir uns wir jetzt diesen Fiskalpakt mit weiteren Voraussetzungen nicht von Wahlkämpfen in unseren Reden und in unse- belegen, das Verfahren verzögern, ohne zu wissen, wie rem Handeln beeinflussen! es endet? In diesem Sinne muss ich Ihnen sagen: Das ist Vielen Dank. kein Handeln für Europa, sondern gegen Europa. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Aber noch einmal zur Klarstellung: Die Formulierung, Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sich das als Vor- die gewählt wurde, ist eindeutig überspitzt. urteil so zäh hält, will ich darauf hinweisen, dass nach § 27 unserer Geschäftsordnung nicht nur Zwischenfra- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! Nicht überspitzt! Falsch!) gen, sondern auch Zwischenbemerkungen möglich sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Neben der Einhaltung der Haushaltsdisziplin sind na- LINKEN) türlich Wachstumsimpulse erforderlich. Aber hier unter- scheiden wir uns. Wir brauchen keine staatlichen Sub- Damit das endlich alle lernen: Beides ist erlaubt. ventionen und keine Förderprogramme. Vielmehr muss das Wachstum aus Angebot und Nachfrage entstehen. Es Ich schließe die Aussprache. muss ein unternehmensfreundliches Klima geschaffen Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- werden. ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache In Griechenland hat es nicht an billigem Geld geman- 17/9595. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der (B) gelt. Seit der Euro eingeführt wurde, waren die Zinsen (D) noch nie so niedrig. Aber es ist nicht genutzt worden, Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von vier weil die Strukturen für unternehmerische Entscheidun- Fraktionen gegen die Stimmen der Linken abgelehnt. gen und Investitionen nicht vorhanden waren. Tatsäch- Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 32 a und b auf: lich hat man das Geld in den Konsum gesteckt. Weitest- gehend unbeobachtet von der Öffentlichkeit, hat die vom a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Deutschen Horst Reichenbach geleitete Taskforce „Grie- Soziales Mietrecht erhalten und klimagerecht chenland“ vieles erreicht. Kohäsionsmittel sollen natür- verbessern lich zügig eingesetzt werden, um Wachstumsimpulse zu schaffen. 181 Großprojekte wurden in Angriff genom- – Drucksache 17/9559 – men. Finanzunterstützung für kleine und mittlere Unter- Überweisungsvorschlag: nehmen wurde bewilligt und technische Hilfestellung Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie geleistet. Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Aber gerade Griechenland ist ein Beispiel dafür, dass Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Strukturen in den vergangenen Jahren nicht stimm- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael ten. Die Bekämpfung der Bürokratie muss zu einer Ver- Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer waltungsvereinfachung führen. Wirtschafts- und Unter- Abgeordneter und der Fraktion der SPD nehmensförderung waren teilweise nur mit Bakschisch möglich. Die Korruption muss bekämpft werden. Eine Soziale Wohnraumförderung durch Bund und gleichmäßige Steuererhebung und ein gleichmäßiger Länder bis 2019 fortführen Steuereinzug waren nicht gegeben. Ich könnte in diesem – Drucksache 17/9425 – Zusammenhang noch ellenlange Ausführungen machen. Überweisungsvorschlag: Man ist dabei, die genannten Probleme zu lösen. Das ist Haushaltsausschuss (f) der richtige Ansatz. Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Wir müssen unsere griechischen Freunde und die an- Finanzausschuss deren betroffenen Partnerländer nachhaltig und spürbar Ausschuss für Wirtschaft und Technologie unterstützen. Wenn wir mittelfristig keine Änderungen Ausschuss für Arbeit und Soziales herbeiführen – ich nenne als Stichwort nur die fatale Ju- Federführung strittig gendarbeitslosigkeit –, dann droht nicht nur eine Staats- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für schuldenkrise, sondern auch eine Identitäts- und Demo- die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich 21352 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- der zu berücksichtigenden Mieten auf zehn Jahre erhöht (C) sen. werden und unter Einbeziehung der Bestandsmieten das Mietniveau ermittelt werden. Das führt dazu, dass Miet- Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Ingo erhöhungen, wie wir sie bisher feststellen können und Egloff für die SPD-Fraktion das Wort. die zu der sozialen Unverträglichkeit in den Stadtteilen (Beifall bei der SPD) geführt haben, nicht mehr in dem Maße stattfinden kön- nen. Ingo Egloff (SPD): (Beifall bei der SPD) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Debatte über die Frage des sozialen Miet- Davon lesen wir im Referentenentwurf der Bundes- rechts in diesem Hause zu führen, ist meines Erachtens regierung leider nichts. Unabhängig davon, dass wir im- überfällig. mer noch auf den für Mai versprochenen Gesetzentwurf warten, haben Sie, meine Damen und Herren von der (Beifall bei der SPD) Koalition, diese soziale Frage völlig ausgeblendet. Wer Untersuchungen des Pestel-Instituts im Auftrag der aber die Augen davor verschließt, dass wir hier ein so- Kampagne „Impulse für den Wohnungsbau“ haben erge- ziales Problem allererster Ordnung haben, das gewalti- ben, dass sich der Anteil der Haushalte mit einem Ein- gen Sprengstoff in den Städten birgt, der handelt fahrläs- kommen von weniger als 1 500 Euro im Monat von sig. knapp 39 Prozent im Jahr 2002 auf 44 Prozent im Jahr (Beifall bei der SPD) 2010 erhöht hat. Das heißt aber auch, dass in den unteren Einkommensschichten der Anteil am Haushaltseinkom- Ich jedenfalls möchte keine Entwicklung wie in Paris men, der für Miete und Nebenkosten ausgegeben wird, erleben. Dort wurden systematisch Arbeiter, Angestellte deutlich angestiegen ist, und das, obwohl die betreffen- und kleine Gewerbetreibende aus der Stadt gedrängt. den Bevölkerungsschichten auf Wohnraumgröße ver- Die sozialen Probleme kann man sich in der Banlieue zichtet und kleinere Wohnungen in Anspruch genommen anschauen. Das haben wir alles im Fernsehen gesehen. haben. So etwas darf es in Deutschland nicht geben. Deswegen müssen wir handeln. Wir haben insbesondere in den wachsenden Ballungs- zentren wie Hamburg, Berlin, Köln, München, Stuttgart (Beifall bei der SPD) und Frankfurt – um nur einige zu nennen – ein erhebli- Kommen wir nun zum Referentenentwurf, der überall ches Problem, auf das reagiert werden muss. Man muss herumgeistert, inzwischen vielfach kommentiert wurde auch deswegen reagieren, weil in diesen Städten gleich- (B) und hier im Plenum schon zu vier Debatten geführt hat, (D) zeitig ein Verdrängungswettbewerb im innerstädtischen der aber bisher nicht in einen Gesetzentwurf mündete. Raum festzustellen ist. Dieser, auch mit dem Begriff Niemand in diesem Hause bestreitet die Notwendigkeit Gentrifizierung bezeichnet, führt dazu, dass die ange- der energetischen Gebäudesanierung angesichts von stammte Bevölkerung aus ihrem Wohnviertel vertrieben 85 Prozent nicht saniertem Altbaubestand. Aber auch wird, weil die Mietkosten so stark explodieren. In der hier gilt: Wir dürfen die soziale Dimension nicht aus den Folge werden auch kleine Handwerksbetriebe und Ein- Augen verlieren. Es darf am Ende nicht sein, dass die am zelhändler verdrängt. schlechtesten Verdienenden in den am schlechtesten iso- Wenn in attraktiven Stadtteilen bei jeder Neuvermie- lierten Häusern mit den höchsten Energiekosten sitzen. tung ohne Rücksicht auf die soziale Situation unbe- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten grenzte Mieterhöhungen vorgenommen werden können, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) steigt natürlich auch die ortsübliche Vergleichsmiete. Es wird eine Spirale in Gang gesetzt, die das Mietniveau in Deshalb ist eine Reduzierung der bei der Modernisie- Höhen treibt, die wir nicht haben wollen, weil das ein- rung umzulegenden Beträge von 11 auf 9 Prozent mode- fach sozial unverträglich ist. rat, aber auch zielführend. Wer hier wie die Wohnungs- wirtschaft den Untergang des christlichen Abendlandes (Beifall bei der SPD) beschwört, den Teufel an die Wand malt und das Ende Diese Entwicklung in den Städten ist nicht gut, weil jeglicher energetischer Sanierung voraussagt, verursacht sie zur Spaltung der Städte und letztlich zur Spaltung der Panik, die mit der Realität nichts zu tun hat. Gesellschaft führt. Hier die guten, attraktiven Stadtteile, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – dort die unattraktiven, auf die in aller Regel dann auch Sebastian Körber [FDP]: Sie machen doch Pa- noch alle anderen Probleme der Städte abgeladen wer- nik!) den. Das verträgt eine Gesellschaft auf Dauer nicht. Schauen Sie sich doch die Realität an! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ( [SPD]: Das kann die Deshalb haben wir in unserem Antrag den Punkt der FDP nicht!) Begrenzung der Mieterhöhung aufgenommen: 15 Pro- zent in vier Jahren statt wie bisher 20 Prozent in drei Wenn der Gebäudeeigentümer eine Sanierung angeht, Jahren. Bei Wiedervermietung wird die Erhöhung auf dann macht er das einmal, und zwar richtig. Das wissen maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichs- wir aus den Gesprächen mit den Experten und den Woh- miete beschränkt. Gleichzeitig soll der Referenzzeitraum nungsunternehmen. Dann werden nicht nur die Fassade Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21353

Ingo Egloff (A) und die Fenster saniert, sondern dann werden in der Re- des § 543 Abs. 1 BGB gekündigt werden. Einer solchen (C) gel auch die Sanitäreinrichtungen saniert und Umbauten Regelung, wie sie hier vorgesehen ist, bedarf es nicht. zur Barrierefreiheit – Stichwort demografische Entwick- (Beifall bei der SPD) lung – durchgeführt. Deshalb ist es gerechtfertigt, die Umlage zu strecken; denn die Kosten werden durch die Ein Räumungstitel wegen Mietverzuges im Wege ei- energetische Gebäudesanierung noch mehr in die Höhe ner einstweiligen Verfügung, ohne dass im Hauptsache- getrieben als durch die bisher erforderliche Sanierung. verfahren geprüft wurde, ob eine etwaige Mietkürzung Deswegen müssen wir an dieser Stelle handeln. vertretbar ist, ist eine Einschränkung der Mieterrechte, die überhaupt nicht gerechtfertigt ist. Deshalb lehnen wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das auch ab. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Weil es so ist, dass energetische Gebäudesanierung, Modernisierung und Instandhaltung zusammenfallen, ist Hier wird versucht, über die Lösung eines Problems, das die Differenzierung bei der Mietminderung Unsinn. Das nicht besteht, Mieterrechte in einer Art und Weise einzu- eröffnet höchstens neue Spielwiesen für Rechtsanwälte schränken, die nicht gerechtfertigt und nicht zielgerich- und ist in der Praxis schwer handhabbar. Im Übrigen ist tet ist. Deshalb kann das im Gesetzentwurf unseres Er- das auch unserem auf Äquivalenz von Leistung und Ge- achtens so nicht stehen bleiben. genleistung beruhenden Vertragsrecht wesensfremd. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn die vertragsgemäße Leistung von einer Seite nicht erbracht wird, ist nicht einzusehen, dass die andere Seite Insgesamt ist festzustellen: Sie von der Koalition voll zahlen soll. springen mit Ihrem Entwurf zu kurz, Sie blenden die so- ziale Dimension aus. Sie haben keine Lösung für Fragen (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Lisa Paus der sozialen Verdrängungsmechanismen in den Bal- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) lungszentren. Sie übersehen die soziale Dimension der Dass nicht rückzahlbare Zuschüsse aus der Umlage he- Kostenbelastung bei der energetischen Gebäudesanie- rauszurechnen sind, versteht sich meines Erachtens von rung, und Sie regeln Probleme, die keine sind, und dann selbst; denn niemand soll doppelt kassieren. auch noch so, dass die Mieter benachteiligt werden. (Zuruf von der FDP) Wenn Sie wirklich bestehende Probleme nicht ange- hen wollen, dann lassen Sie den Referentenentwurf da, – Die Mietminderung hat doch nichts mit den geringeren wo er ist, im Ministerium. Da ist er ganz unten in einer Heizkosten zu tun, Herr Kollege. Über diese Frage soll- Schublade gut aufgehoben, und da sollte er dann auch (B) ten Sie noch einmal nachdenken. bleiben. (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vielen Dank. Zwar sieht der Regierungsentwurf richtigerweise (Beifall bei der SPD) beim Contracting Kostenneutralität für die Mieter auf- grund einer vergleichenden Betrachtung vor, da aber Contracting-Unternehmen mittelfristig Gewinn machen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: wollen, müssen Sicherungen für die Zukunft eingezogen Das Wort hat nun Herr Jan-Marco Luczak von der werden, zumal die vorgeschlagene Regelung nur für die CDU/CSU-Fraktion. Umstellung der Bestandsverträge und nicht für die Fol- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) geverträge gilt. Meine Damen und Herren, nun soll so nebenbei auch Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): das vermeintliche Problem der Mietnomaden gelöst wer- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und den. Festzustellen ist, dass es sich um eine verschwin- Kollegen! Lieber Kollege Egloff, Sie haben in Ihren Bei- dend geringe Zahl an Fällen handelt, obwohl die Boule- trag mit der Bemerkung eingeführt, die Debatte sei über- vardpresse immer wieder gern darüber berichtet – am fällig. liebsten die BILD-Zeitung, wenn wieder irgendwelche (Florian Pronold [SPD]: Ja!) adeligen Personen aufgefallen sind, wie wir das in Ham- burg öfter feststellen können. Es sind jedoch Einzelfälle, Ja, damit haben Sie ein Stück weit recht. Wenn man sich und es handelt sich nicht um ein Phänomen, das die einmal die zeitlichen Abläufe genau anschaut, stellt man Wohnungsbaugesellschaften groß beeinträchtigt. Wenn fest, dass genau vor einem Jahr, am 11. Mai 2011, das Sie mit den Wohnungsbaugesellschaften reden, werden Justizministerium den ersten Referentenentwurf für das Sie feststellen, dass diese sagen, sie zögen über ihre Mie- Mietrechtsänderungsgesetz vorgelegt hat. Seitdem ist ter Auskünfte ein, sie wüssten, an wen sie vermieten. dieser Entwurf bekannt, und seitdem wird er diskutiert. Hier wird versucht, mit dem vermeintlichen Problem des Auch wenn er noch einmal in Teilbereichen überarbeitet Mietnomadentums Dinge in das Mietrecht hineinzubrin- worden ist, ist er in seinem Kern und in seiner Ausrich- gen, die nicht gerechtfertigt sind. tung gleich geblieben. Die Kündigung wegen Nichtzahlung der Mietkaution Sie haben sage und schreibe ein ganzes Jahr ge- ohne vorherige Abmahnung ist meines Erachtens weder braucht, um sich hierüber Ihre Meinung zu bilden. Dann dogmatisch vertretbar noch geboten. Hier kann aufgrund musste es offensichtlich auch noch sehr schnell gehen; 21354 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Dr. Jan-Marco Luczak (A) denn bis gestern Mittag war Ihr Antrag nicht einmal on- mehrere Monate ohne Heizung sein könnten, ohne das (C) line verfügbar. Da fragt man sich schon: Wie kommt es Recht auf Minderung zu haben, oder dass mehrere Maß- eigentlich dazu? Die Antwort kann ich Ihnen geben, sie nahmen aufeinanderfolgen und sich der Minderungsaus- ist nämlich ganz einfach: Am Sonntag haben wir Wahlen schluss auf bis zu neun Monate verlängern könnte. Wenn in Nordrhein-Westfalen. dem so wäre, dann wäre das in der Tat problematisch. Nur, leider hat das mit unserem Gesetzentwurf und mit (Florian Pronold [SPD]: Sie dürfen nicht von der Realität überhaupt nichts zu tun. sich auf andere schließen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Würde es Ihnen tatsächlich um ein soziales und klima- schützendes Mietrecht gehen, wäre jeder andere Zeit- Denn wenn im Winter die Heizung ausfällt, dann geht es punkt glaubwürdiger gewesen. Aber heute, zwei Tage nicht mehr um die Minderung der Tauglichkeit einer vor der Wahl, kann ich nur sagen: Herzlich willkommen Wohnung, sondern dann ist die Gebrauchstauglichkeit im Wahlkampf! einer Wohnung komplett aufgehoben. Eine unbeheizte Wohnung ist im Winter schlechterdings nicht nutzbar, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- und dann muss der Mieter selbstverständlich auch keine rufe von der SPD) Miete zahlen. Deswegen geht Ihr Argument an dieser Natürlich werden Sie diesen Vorwurf ganz vehement Stelle von vornherein ins Leere. zurückweisen; das ist klar. Aber schauen Sie sich doch Was nun Ihre Befürchtung angeht, es könne hier zu nur einmal die Wortwahl an, die Sie in Ihrem Antrag Kettenminderungsausschlüssen kommen, wenn sozusa- verwenden. Da sprechen Sie von einer „Explosion der gen eine Modernisierungsmaßnahme auf die andere Mieten“ und davon, dass hier ein „Angriff“ der Bundes- folgt, muss ich mich schon ein bisschen wundern, Herr regierung auf das bestehende Mietrecht stattfinde. Egloff. Sie haben gerade gesagt: Wenn ein Vermieter so ( [SPD]: Genau so ist es ja! – etwas macht, dann macht er es richtig. – Ja, da haben Sie Weitere Zurufe von der SPD) recht. Wer solch eine Wortwahl in seinem Antrag wählt, der (Ingo Egloff [SPD]: Da können Sie nicht diffe- muss sich nicht wundern, wenn ihm vorgeworfen wird, renzieren! Da ist der Streit doch vorprogram- dass es ihm nicht um Sachpolitik geht, sondern einfach miert!) nur um Wahlkampfgetöse. Damit diskreditieren Sie sich Selbstverständlich wird er seine Modernisierungsmaß- selbst, meine Damen und Herren von der SPD. nahmen koordinieren. Es macht ja auch keinen Sinn, erst (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Fassade zu dämmen und später dann die Fenster zu (B) der FDP – Burkhard Lischka [SPD]: Fragen erneuern. Nein, er wird alles zusammen modernisieren; (D) Sie einmal die Betroffenen! Die werden es ge- daran hat er auch ein wirtschaftliches Eigeninteresse. nauso sehen!) Bevor Sie so etwas schreiben, sollten Sie vielleicht mit uns darüber diskutieren. Da sollte man sich doch ein Man kann es aber auch an anderer Stelle sehen, dass bisschen besser informieren. es Ihnen hier um Wahlkampf und nicht um die Sache selbst geht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) GRÜNEN]: Ja, genau, Herr Luczak! Machen Sie beschäftigen sich mit dem Referentenentwurf im De- Sie das mal!) tail überhaupt nicht. Zum Beispiel ist im Referentenent- Mit einem Wort: Ich finde, was Sie in Ihrem Antrag wurf vorgesehen, dass der Mieter bei einer energetischen schreiben, ist einfach falsch. Sie versuchen allein, den Sanierung in den ersten drei Monaten einer Maßnahme Mietern Angst zu machen, um sich daraus Vorteile für die Miete nicht mindern können soll. Einerseits wollen die Wahl am Sonntag zu verschaffen. wir so vermehrt Anreize für energetische Modernisie- rung schaffen. Diese brauchen wir bei einer Sanierungs- (Ingo Egloff [SPD]: Ich habe diese Position quote von 1 Prozent auch; sie muss steigen. Wir haben hier schon vor einem Jahr vertreten, falls Sie uns auf der anderen Seite ganz bewusst gegen übermä- sich noch erinnern! Da war von der Wahl in ßige Belastungen für die Mieter entschieden. Deswegen NRW noch gar nicht die Rede!) haben wir auch gesagt: Einen vollständigen und zeitlich Ich finde das unredlich, meine Damen und Herren von unbegrenzten Ausschluss des Minderungsrechts wird es der SPD. mit uns nicht geben; denn das ist für die Mieter nicht zu- mutbar, und das vertragliche Gleichgewicht – Sie haben Aber Sie schreiben nicht nur Falsches in Ihrem An- es angesprochen, Herr Kollege – wäre dann in der Tat trag, sondern Sie offenbaren auch – diesen Eindruck gestört. Deswegen haben wir eine insgesamt sehr ausge- habe ich –, dass der wirtschaftliche Sachverstand, den wogene Regelung beim Minderungsrecht geschaffen. man eigentlich erwarten sollte, an der einen oder ande- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ren Stelle fehlt. Sie wollen – Sie haben das ausgeführt – neten der FDP) die Umlagefähigkeit der Kosten einer energetischen Mo- dernisierung von derzeit 11 auf 9 Prozent reduzieren. Jetzt fragt sich nur: Was machen Sie daraus? Sie spre- Zur Wahrheit gehört aber, dass die 11 Prozent, die wir chen in Ihrem Antrag davon, dass Mieter im Winter derzeit haben, vielerorts am Markt überhaupt nicht reali- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21355

Dr. Jan-Marco Luczak (A) sierbar sind. Das mag in Berlin, München oder anderen schreiben, dieses Phänomen spiele für die professionelle (C) begehrten Innenstadtlagen der Fall sein. In weiten Teilen Wohnungswirtschaft im Kern keine Rolle; die Vertrags- der neuen Bundesländer zum Beispiel sind Vermieter managementsysteme seien einfach zu gut. Ich weiß hingegen froh, wenn sie ihre Wohnungen überhaupt ver- nicht, ob es Ihnen entgangen ist: 60 Prozent der Miet- mieten können. Da ist an eine Erhöhung der Miete über- wohnungen, die in unserem Land angeboten werden, haupt nicht zu denken, auch nicht nach einer energeti- werden nicht etwa von professionellen Wohnungsver- schen Sanierung. mietern angeboten, sondern von privaten Kleinvermie- tern. Für diese spielt der Schutz vor Mietnomaden eine (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ erhebliche Rolle. Wenn man einen Mietnomaden näm- DIE GRÜNEN) lich einmal in seiner Wohnung hat, dann hat man ganz Insofern ist das falsch, was Sie schreiben. schnell Schäden von 20 000 Euro, und das ist für einen privaten Kleinvermieter existenzbedrohend. Aber was hätte es zur Folge, wenn man Ihrem Antrag folgen würde? Wirtschaftlich stehen hinter der Errich- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tung und der Bewirtschaftung von Mietwohnraum er- hebliche Investitionen und ein dauerhafter finanzieller Für uns war ganz klar: Wir wollen einen besseren und Aufwand. Wenn Sie nun die Anreize für Vermieter sen- wir wollen einen schnelleren Schutz gegen Mietnoma- ken, Modernisierungen vorzunehmen, weil sie die Kos- den. Schließlich kann es nicht sein, dass es einzelne kri- ten nur mehr eingeschränkt umlegen können, werden minelle Mieter in der Hand haben, ihren Rauswurf um diese nicht mehr oder jedenfalls weniger investieren. bis zu zwei Jahre zu verzögern. Das kommt mit uns nicht Das aber gefährdet das, was wir brauchen, nämlich den infrage; das machen wir nicht mit. Erhalt eines qualitativ hochwertigen Wohnungsbestan- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo des, der energetisch saniert ist. Deswegen ist das ein Egloff [SPD]: Die Instrumente sind doch völ- völlig falscher Ansatz. Wir brauchen mehr Anreize für lig untauglich!) energetische Modernisierungen und nicht zusätzliche Stolpersteine, die wir den Vermietern in den Weg legen. In diesem Zusammenhang spielt die Frage der Kau- tion eine wichtige Rolle. Wir wollen es dem Vermieter (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ermöglichen, schon relativ früh zu identifizieren, ob er Außerdem – auch das gehört zur Wahrheit – ist es in es möglicherweise mit einem Mietnomaden zu tun hat. der Regel so, dass ein Mieter unmittelbar davon profi- Es ist in der Tat so: Wenn man seine Kaution nicht recht- tiert, wenn eine energetische Modernisierungsmaß- zeitig zahlt, dann kann das ein Indiz dafür sein, dass man nahme vorgenommen wird, weil dadurch seine Betriebs- es mit einem kriminellen Mieter zu tun hat. Dem Ver- (B) kosten sinken. Er hat also auch etwas von dieser mieter soll die Möglichkeit gegeben sein, sich von einem (D) Modernisierung. solchen Mieter sehr schnell zu trennen. Meine Damen und Herren, noch ein Wort zum Klima- Da sagen Sie: Das braucht man alles nicht. – Wahr ist: schutz. Auch das Contracting – Sie haben es angespro- Das ist tatsächlich schon geltendes Recht. Man hat schon chen –, die gewerbliche Wärmelieferung, kann dazu in bisher die Möglichkeit, fristlos zu kündigen. Das ist in der Tat einen wichtigen Beitrag leisten. Wir haben in un- der Rechtsprechung ganz eindeutig. serem Referentenentwurf vorgesehen, einen einheitli- (Ingo Egloff [SPD]: Dann brauchen Sie auch chen Rahmen für die Umlagefähigkeit zu schaffen, der keine Gesetzesänderung!) auch auf die Bestandsverträge Anwendung finden kann. Dafür haben wir zwei wesentliche Voraussetzungen ge- Wir stellen das also nur klar. nannt: Auf der einen Seite muss eine Effizienzsteigerung Ich möchte noch etwas zur Hinterlegungsanordnung dabei herauskommen, und auf der anderen Seite muss sagen. Sie haben gesagt, man dürfe den Räumungsschutz die Contracting-Lösung für den Mieter kostenneutral für Mieter nicht über Gebühr verkürzen. Da haben Sie sein. Denn – das stand für uns von vornherein fest – Ge- völlig recht. Wir haben mit der Hinterlegungsanordnung winne der Wärmelieferanten auf Kosten der Mieter darf – sie wird vielleicht noch ein bisschen umgestaltet – ein es an dieser Stelle nicht geben. Das ist für uns ganz klar. kluges Instrument geschaffen. Nur wenn die Zahlungs- Sie fordern in Ihrem Antrag eine Steigerung der Ener- klage des Vermieters eine hohe Aussicht auf Erfolg hat gieeffizienz und Wärmemietenneutralität. Das ist in un- und eine umfassende Interessenabwägung ergeben hat, serem Gesetzentwurf schon längst enthalten. dass ein solches Vorgehen richtig ist, dann kann das Ge- richt eine Hinterlegungsanordnung erlassen. (Burkhard Lischka [SPD]: Was für Mechanis- men haben Sie denn da vorgesehen? Wie lange (Florian Pronold [SPD]: Aber der Kleinver- gelten die?) mieter, der von Nomaden betroffen ist, glau- ben Sie, dass der noch Geld übrig hat, um zu Da fragt man sich doch, ob Sie unseren Entwurf nicht hinterlegen?) gelesen haben oder ob es sich, wie schon erwähnt, nur um Wahlkampfgetöse handelt. Nur dann, wenn der Mieter dieser Hinterlegungsanord- nung nicht nachkommt, wenn er also dokumentiert, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) es ihm ganz offensichtlich darauf ankommt, die Miete Lassen Sie mich noch etwas zu den Mietnomaden nicht zu zahlen, ermöglichen wir einen schnellen sagen. Ich wundere mich, dass Sie in Ihrem Antrag Rechtsschutz im Wege einer einstweiligen Verfügung. 21356 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Dr. Jan-Marco Luczak (A) Ich glaube, das ist richtig. Wir dürfen die Vermieter hier Der SPD Wahlkampfgetöse vorzuwerfen, das kann (C) nicht alleinlassen, also nicht schutzlos lassen. man machen; gar keine Frage. Man steht vor einer ent- scheidenden Landtagswahl. Das gilt aber für alle. Inso- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) fern ist es legitim, endlich über das Thema Mieten und Letzter Punkt; meine Zeit ist abgelaufen. über das Thema Wohnen hier in diesem Hause zu reden. Auf der anderen Seite möchte ich darauf hinweisen, dass wir dieses Thema hier vor einigen Wochen behandelt ha- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ben. Eine kleine Kritik an die SPD: Wir sind im Bundes- Ja. rat initiativ geworden und haben dort einen Gesetzesan- trag eingebracht, dem auch Sie nicht abgeneigt sind. Es Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): hat also schon einmal die Chance bestanden. Die christlich-liberale Koalition hat anders als die (Ingo Egloff [SPD]: Frau Kollegin, dem Ge- SPD hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, der sehr ausge- setzentwurf haben wir im Ausschuss sogar zu- wogen ist. gestimmt!) (Zurufe von der SPD: Vorgelegt? – Wo – Ja, aber nur halbwegs, nicht wahr? denn? – Wo liegt der denn?) (Ingo Egloff [SPD]: Nein!) Wir befördern die energetische Modernisierung, um dem gesamtgesellschaftlichen Ziel des Klimaschutzes Rech- – Gut. nung zu tragen. Wir berücksichtigen dabei die Interessen Worum geht es eigentlich? Was sind die dringendsten der Mieter, aber auch die der Vermieter. Herausforderungen der Wohnungspolitik heute? Wir tra- gen gemeinsam Verantwortung dafür, dass ausreichend Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: energetisch modernisierter, altersgerechter und barriere- Herr Kollege. freier Wohnraum überall zur Verfügung steht. Die Bau- wirtschaft braucht auch eine gewisse Sicherheit, wenn Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): sie sich auf diese Herausforderung einstellen soll. Es ist also insgesamt ein ausgewogener Gesetzent- Wir sind gemeinsam für die Rahmenbedingungen wurf. Wir machen genau das Gegenteil von dem, was verantwortlich, insbesondere dafür, dass alle Vermieter Sie machen, nämlich einseitig die Vermieter benachteili- die Ziele auch erreichen können, die wir als Gesellschaft gen. Meine Damen und Herren, wir werden Ihrem An- ihnen mit dem Mietrecht aufgeben und die sich durch die (B) trag selbstverständlich nicht zustimmen können. Herausforderungen für die Wohnungswirtschaft stellen. (D) Sie brauchen also eine Verlässlichkeit, was Fördermittel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo betrifft. Egloff [SPD]: Das hätte uns auch überrascht!) Wir müssen gemeinsam erreichen, dass alle Bürger Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ihre Wohnkosten auch bezahlen können. Das ist die zu- tiefst sozialpolitische Verantwortung, die wir in diesem Das Wort hat nun Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Hause tragen. Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Wir müssen gemeinsam nach Lösungen suchen, dass Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die Nettokaltmiete durch die Modernisierungsumlage Herr Luczak, Sie haben hier eben sehr aufgeregt einen nicht stärker steigt, als bei den Nebenkosten eingespart Gesetzentwurf verteidigt, den es gar nicht gibt. wird. Das ist ebenfalls die Verantwortung, die wir den Mieterinnen und Mietern gegenüber haben, wenn wir (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und den vorgenannten Punkt ernst nehmen. der SPD – [Kleinsaara] [CDU/ CSU]: Engagiert verteidigt!) Wir müssen gemeinsam gewährleisten, dass Wohnen ein Grundrecht für alle Menschen wird. Ich sage mit Ab- Es ist in der Tat so, dass wir an dieser Stelle über ei- sicht nicht „bleibt“, sondern sage „wird“. Wenn wir uns nen Referentenentwurf diskutieren. Sie verteidigen et- ansehen, wie sich die Wohnungslosenzahl entwickelt was, was zunächst auf der Referentenebene zweimal – wir haben in der vergangenen Sitzungswoche ein Ex- verändert worden ist. Für Mai wurde die Vorlage dieses pertengespräch dazu gehabt –, müssen wir davon ausge- Gesetzentwurfs angekündigt. Jetzt ist Mitte Mai. Wir ha- hen, dass diese Zahl noch weiter steigen wird. Für uns ben nur noch eine Sitzungswoche im Mai. Noch liegt als Linke ist Wohnen ein Grundrecht, das wir für alle si- dieser Gesetzentwurf nicht vor. Ich frage mich also: chern müssen. Bleiben Sie worttreu? Werden Sie im Mai liefern? Kön- nen wir dann die Rede, die Sie eben hier sehr eindrucks- (Beifall bei der LINKEN) voll gehalten haben, als Statement für Ihren Gesetzent- wurf werten, oder können wir das nicht? Vor diesem Hintergrund, der sicher Konsens wenigs- tens der Oppositionsfraktionen in diesem Hause ist, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und werde ich den Antrag der SPD „Soziales Mietrecht er- der SPD) halten und klimagerecht verbessern“ bewerten. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21357

Heidrun Bluhm (A) Was Sie dort fordern, klingt beim ersten Hinhören steigenden Wohnkosten auch eine zutiefst soziale Frage. (C) nicht schlecht. Da schlagen Sie in Ihrem Antrag vor – ich zitiere –, (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Und … eine Regelung vorzulegen, durch die den Kom- beim zweiten?) munen in geeigneter Form ein Interventionsrecht gegen Maßnahmen zur Wohnwertsteigerung einge- Wir sind uns einig, dass wir ein soziales Mietrecht brau- räumt wird, um prekäre Mietsituationen in be- chen und dass die Klimaziele im Wohnbereich durchge- stimmten Wohnbereichen zu vermeiden. setzt werden müssen. Aber das, meine Damen und Her- ren von der SPD, werden Sie mit diesem Antrag nicht Wollen Sie Wohnsiedlungen schaffen, in denen das erreichen. Warum greifen Sie nicht einfach die Bundes- Prekariat in unsanierten, energiefressenden Wohnungen, ratsinitiative auf, die wir Ihnen vor Wochen hier vorge- dafür aber zu niedrigen Kaltmieten wohnen muss, weil legt haben? sich die Menschen nichts anderes leisten können oder die Arge nichts anderes finanziert? (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Die ist Das Problem ist also nicht in erster Linie die luxu- noch schlechter!) riöse Wohnwertsteigerung, sondern schlicht – jetzt zi- Den Entwurf hatte die SPD in Berlin gemeinsam mit der tiere ich einmal eine andere Stelle aus Ihrem Antrag –: Linken im Bundesrat auf den Weg gebracht. Diesen Ent- Die Verbesserung des Klimaschutzes als nationale wurf hat meine Fraktion vor Wochen hier vorgelegt; Sie Aufgabe darf nicht allein auf die betroffenen Mieter hätten nur mitstimmen müssen. Warum jetzt also dieser abgewälzt werden. Antrag, der in seinem politischen Anspruch und – das muss man leider sagen – in seiner handwerklichen Qua- Klar, da haben Sie recht. Leider sind Sie in Ihrem An- lität weit hinter dem zurückbleibt, was Ihre Berliner Ge- trag nicht konsequent und suchen nach scheinbaren nossen schon vor zwei Jahren aufgeschrieben haben? Kompromissen, um die Modernisierungskosten etwas gerechter zu verteilen. Ein erstes Beispiel: die Mietsteigerung. Egal ob 20 Prozent in drei Jahren oder, wie Sie vorschlagen, Dazu schlagen Sie zum Beispiel eine Reduzierung der 15 Prozent in vier Jahren – beides ist unsozial. Solche Umlage sämtlicher Kosten für Modernisierungsmaßnah- Preisexplosionen haben mit der realen wirtschaftlichen men von 11 auf 9 Prozent vor. Aber weder die 11 noch die Entwicklung auf dem Mietmarkt überhaupt nichts zu 9 Prozent sind wirtschaftlich irgendwie gerechtfertigt. tun. Sie sind auch von der tatsächlichen Einkommens- Wenn man die tatsächlichen Kosten der für die energeti- entwicklung bei den Mieterinnen und Mietern völlig ab- sche Modernisierung notwendigen Maßnahmen zugrunde legt und den Amortisationszeitraum der Investitionsmaß- (B) gekoppelt und sprengen daher die wirtschaftliche Leis- (D) tungsfähigkeit von immer mehr Mieterhaushalten; das nahme dagegenstellt, würde – das fordern wir – auch eine Realeinkommen ist in den vergangenen Jahren gesun- 5-prozentige Umlage ausreichen. ken, und die Mieten steigen. (Beifall bei der LINKEN) Das hat auch ursächlich nichts mit energetischen Sa- Der Mieterbund fordert sogar die Abschaffung dieser nierungsmaßnahmen zu tun; das ist ein reiner Marktme- Umlage, und das nicht zu Unrecht. Denn erstens bleibt chanismus. Solche Steigerungen lassen sich nur dort die höhere Miete auch nach Ablauf der Abschreibungs- durchsetzen, wo Wohnraum knapp ist – das ist hier frist erhalten, und zweitens wäre eine Rücknahme der schon gesagt worden; an anderer Stelle eben nicht –, und Mietsteigerung nach einem zwangsläufig sehr langen zwar unabhängig davon, ob eine Wohnung energetisch Zeitraum nicht kontrolliert durchsetzbar. Eine solche gebaut oder saniert ist. Forderung klingt nett, aber sie ist weltfremd. Eingeführt wurde die Regelung zu den Mietsteigerun- Was aber bleibt, ist die Wirkung auf den Mietspiegel, gen damals, um Miettreiberei zu verhindern. Heute wird weil von der Modernisierungsumlage die Nettokaltmie- sie zur Miettreiberei benutzt, ohne Gegenleistung durch ten betroffen sind und damit eine Mietsteigerung im den Vermieter, dort nämlich, wo der Markt es hergibt. Mietspiegel festgeschrieben wird. (Stephan Thomae [FDP]: Unterstellung!) Schließlich fordern Sie mit Ihrem Antrag, Ein zweites Beispiel: die Wohnkosten insgesamt. Sie nicht rückzahlbare Förderungen zur energetischen steigen auch dort rasant, wo die Kaltmieten aufgrund un- Modernisierung aus der Umlagefähigkeit herauszu- genügender Nachfrage stabil oder auch rückläufig sind, nehmen. und zwar durch explodierende Energie- und Wasser- Das unterstützen wir ausdrücklich, das ist selbstver- preise, durch steigende Gebühren und Abgaben, mit de- ständlich. Warum sollten Mieterinnen und Mieter noch nen Kommunen, die klamme Kassen haben, versuchen, einmal bezahlen, was sie zuvor als Steuerzahlerinnen ihre Haushalte zu stabilisieren. Ein Beispiel ist die und Steuerzahler an den Staat abgegeben haben? Denn Grundsteuererhöhung, die voll auf die Nebenkosten der der hätte sonst die Möglichkeit, Fördermittel zur Verfü- Mieterinnen und Mieter durchschlägt. gung zu stellen, nicht gehabt. Ein weiteres Beispiel: energetische Sanierung. Klar, Summa summarum: Dass die Politik angesichts stei- sie ist zwingend notwendig. Das ist nicht nur eine Frage gender Mieten und Wohnkosten drohenden schwerwie- des Klimaschutzes, sondern das ist angesichts der rasant genden sozialen Verwerfungen vorbeugen muss, steht 21358 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Heidrun Bluhm (A) für mich außer Zweifel. Ebenso unzweifelhaft ist, dass Wir sind hier auf einem sehr guten Weg. (C) der weltweite Klimawandel uns zwingt, die Energie- Wenn Sie von einem sozialen Mietrecht sprechen, so wende auch im Gebäudebereich voranzutreiben. Für bei- verschweigen Sie dezent, dass auch wir wollen, dass die des ist der Erhalt eines sozialen Mietrechts zwar nicht Menschen in vernünftigen Wohnungen möglichst ener- unbedingt der Schlüssel. Er ist aber notwendig, weil we- gieeffizient und barrierearm leben können. Wir zahlen in der die sozialen noch die klimatischen Probleme in der diesem Land Wohngeld. Das dürfen Sie nicht einfach Gesellschaft mit sozialem Unfrieden und der Vertiefung verschweigen. sozialer Gegensätze zu lösen sind. (Caren Marks [SPD]: Das haben Sie gekürzt!) Das aber – darin stimmt die Linke mit der Intention dieses Antrags überein – würde mit der Verabschiedung Als Sofortmaßnahme – damit wir bessere Gebäude in des Referentenentwurfs zum Mietrechtsänderungsge- Deutschland haben – wäre es gar nicht so schlecht, wenn setz passieren, der immer noch nicht das Licht der Welt in Nordrhein-Westfalen die Oberblockiererin Hannelore erblickt hat. Er ist nichts anderes als die Verschiebung Kraft abgewählt werden würde; denn sie verhindert die der Lasten allein auf die Schultern der Mieterinnen Zustimmung des Bundesrates. und Mieter. Er sollte – hier stimme ich Ihnen zu, Herr (Florian Pronold [SPD]: Wer macht Wahl- Egloff – tatsächlich dort bleiben, wo er ist: in den Schub- kampf?) laden der Referenten. Wir werden nicht müde, dies Ihnen immer wieder zu sa- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sonja gen. Steffen [SPD]) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Was den Erhalt des sozialen Mietrechts und seiner kli- magerechten Verbesserung angeht, unterbreite ich einen Sie verhindern doch auf diese Weise, dass in diesem Kompromissvorschlag: Lassen Sie uns doch zu dem Ent- Land endlich Steueranreize für energetische Gebäudesa- wurf des Gesetzes zur Sicherung bezahlbarer Mieten und nierungen möglich werden. zur Begrenzung von Energiekosten und Energiever- (Ingo Egloff [SPD]: Das Wahlkampfargument brauch zurückkommen, der immer noch im Bundesrat ist Ihnen gerade voll auf die eigenen Füße ge- schmort. Im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtent- fallen, Herr Kollege!) wicklung – Sie haben es gerade gesagt – ist er zumindest nicht abgelehnt worden, sondern es wurde sich der Ich kann Ihnen dazu noch etwas sagen: 75 Prozent der Stimme enthalten. Im Rechtsausschuss haben Sie ihm Wohnungen in Nordrhein-Westfalen gehören nicht den sogar zugestimmt. großen Wohnungsbaugesellschaften, sondern sind im (B) Besitz von kleinen, privaten Vermietern. Diese Gruppe (D) Wenn ich die Signale aus der Fraktion Bündnis 90/ lassen Sie vollkommen aus. Die Grünen richtig interpretiere, könnten sich auch diese Kolleginnen und Kollegen eher damit anfreunden. Das Voller Stolz erklären Sie, warum Sie den energeti- wäre doch einmal etwas. Das wäre ein Kompromiss. schen Abschreibungsmöglichkeiten im Bundesrat nicht zustimmen. Dabei gehen Sie in Nordrhein-Westfalen so- Jetzt noch ein letzter Satz zu dem zweiten von Ihnen gar noch weiter: Dort wurde ein eigenes Förderpro- eingebrachten Antrag „Soziale Wohnraumförderung gramm aufgelegt, für das 200 Millionen Euro zur Verfü- durch Bund und Länder bis 2019 fortführen“: Ja, das gung gestellt werden. Hierzu muss man feststellen: Die kann man machen. KfW Bank hat Anfang dieses Jahres das aus Eigenmit- Herzlichen Dank. teln betriebene Programm „Wohnraum Modernisieren“ eingestellt. Denn der Bund hat aufgrund seiner ambitio- (Beifall bei der LINKEN) nierten Klimaschutzziele höhere Förderstandards als die KfW Bank festgelegt. Was machen Sie von der SPD und Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: von den Grünen in Nordrhein-Westfalen? Sie führen ein Das Wort hat nun Sebastian Körber von der FDP- neues Programm ein, mit dem Sie nur Mitnahmeeffekte Fraktion. fördern; denn das Programm fördert nicht die hohen Energieeffizienzstandards. Es ist wirklich ein Skandal, Sebastian Körber (FDP): was Sie mit den Steuermitteln in Nordrhein-Westfalen anstellen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Die zwei Anträge, die wir vorliegen haben, sind mit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sehr heißer Nadel gestrickt. Es sollte in diesen Anträgen noch einmal mit den Ängsten der Mieterinnen und Mie- Ich möchte der Justizministerin und Herrn Staatsse- ter, vielleicht sogar in Nordrhein-Westfalen – ich will kretär Stadler ausdrücklich für das danken, was im Miet- hier nichts unterstellen –, gespielt werden und ein biss- recht auf den Weg gebracht werden soll; denn diese Pro- chen Wahlkampf gemacht werden. gramme enthalten unbestritten einen hinreichenden Mieterschutz Ihr Antrag lautet: „Soziales Mietrecht erhalten und (Lachen des Abg. Florian Pronold [SPD] – klimagerecht verbessern“. Das ist gut so. Die Koalition Ingo Egloff [SPD]: Der ist vorhanden, weil wir wird Ihnen dazu entsprechende Anträge vorlegen. mal anständige Gesetze gemacht haben, im (Ingo Egloff [SPD]: Darauf warten wir!) Gegensatz zu Ihnen!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21359

Sebastian Körber (A) Dies steht im Gegensatz zu Ihren Programmen von der (Iris Gleicke [SPD]: Dann handelt es sich nicht (C) SPD, Herr Pronold. Sie können gleich ausführen, wie um Modernisierung, sondern um Instandset- Sie sich dazu verhalten. zung! Sie haben keine Ahnung!) Sie produzieren ständig Zerrbilder in Bezug auf den Ist es der private Vermieter? Es sind die Mieter, die an sogenannten bösen Miethai. Wir hätten allerdings über- dieser Stelle profitieren; denn bei denen reduzieren sich haupt kein ausgeglichenes Wohnungsangebot in diesem die Nebenkosten. Unterhalten Sie sich doch einmal mit Land, wenn es nicht die vielen kleinen Vermieterinnen einem Mieter; ich glaube, Sie haben davon keine Ah- und Vermieter gäbe. Allein 61 Prozent der Wohnungen nung. – das sind fast 14,5 Millionen – werden von nichtprofes- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sionellen Vermietern gestellt. Ich finde es unsäglich, wenn Sie sagen, Mietnomaden seien gar kein Problem. Ich möchte Ihnen zu Ihrem anderen Antrag auch noch Ich hätte von jemandem, der einmal wirtschaftspoliti- etwas aufzeigen: Im Rahmen der Föderalismusreform scher Sprecher in Hamburg war, etwas mehr Sachver- haben wir eine neue Regelung getroffen; darüber ver- stand erwartet; das muss ich an dieser Stelle klar sagen. handeln derzeit der Bund und die Länder. Es wird ge- Mietnomadentum kann für einen Vermieter ein existen- prüft, wie man ein Gesamtpaket schnüren kann, um die zielles Problem bedeuten, wenn er beispielsweise ein Bindung hinsichtlich der Ausgleichszahlungen fortzu- Zweifamilienhaus besitzt und eine Wohnung vermietet. führen, die nur bis 2014 läuft. Insofern kann ich Ihnen an Solche Konstellationen sind für viele Menschen in die- dieser Stelle zustimmen. Es gilt, die Aufgabenerfüllung sem Lande ein Beitrag zur Altersvorsorge, auch in Nord- bis 2019 oder darüber hinaus sicherzustellen. Ich bin zu- rhein-Westfalen, nicht nur in Hamburg. versichtlich, dass das gelingen wird. Ansonsten finden sich in diesem Antrag lediglich (Beifall bei der FDP – Ingo Egloff [SPD]: Wie Lippenbekenntnisse, die zu nichts führen werden. Auch viele Fälle sind es denn, Herr Kollege? Sie bla- hier habe ich Ihnen eine Zahl aus dem größten deutschen sen einen Riesenballon auf, der überhaupt Bundesland herausgesucht: Ihr heutiger Antrag ist schon keine Grundlage hat!) deshalb bemerkenswert, weil die rot-grüne Landesregie- – Sie haben einen Ballon aufgeblasen. Ich kann es Ihnen rung 2011, gerade erst ins Amt gekommen, direkt die gerne an Fakten aufzeigen. Wohnraumförderung um 20 Prozent gekürzt hat, obwohl in Ihrem Wahlprogramm noch eine Festschreibung auf (Ingo Egloff [SPD]: Wie viele sind es denn?) 1 Milliarde Euro stand. Sie widersprechen sich sogar in Ihren Anträgen. Auf So viel zur Glaubwürdigkeit der Sozialdemokraten. (D) (B) der einen Seite wollen Sie die derzeitige Umlagefähig- (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Ach Quatsch!) keit bei den Sanierungskosten von 11 Prozent auf 9 Pro- zent absenken. Auf der anderen Seite fordern Sie in Ih- Deshalb werden wir die Anträge, die Sie vorgelegt ha- rem zweiten Antrag bezüglich der Wohnraumförderung ben, kraftvoll ablehnen. mehr barrierefreie und energieeffiziente Wohnungen. Danke schön. Dann können Sie doch nicht gleichzeitig die Anreize he- runterfahren. Das ist in Ihren Anträgen doch ein Wider- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Iris spruch in sich. Gleicke [SPD]: Oje!)

(Florian Pronold [SPD]: Dann haben Sie beide Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: nicht verstanden!) Das Wort hat nun Daniela Wagner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ihnen geht es nur darum, schnell etwas mit der heißen Nadel zu stricken und ein bisschen Wahlkampf zu betrei- ben. Dabei spielen Sie mit den Ängsten der Menschen. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (Florian Pronold [SPD]: Bei der Wohnraum- Die Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist förderung fördern wir ärmere Haushalte und schnell umrissen – in vielen Punkten sind wir uns relativ ärmere Vermieter!) einig –: Auf der einen Seite gibt es Probleme durch zu- nehmenden Leerstand, auf der anderen Seite gibt es ab- – Das können Sie gleich alles erzählen, Herr Pronold. surde Preisentwicklungen in bestimmten Ballungsräu- Hören Sie noch kurz zu; dann können Sie vielleicht noch men, zum Beispiel im Rhein-Main-Gebiet, im Großraum etwas lernen. München, im Großraum Stuttgart und in Teilen Berlins. Das sind die Probleme, auf die wir im Moment reagieren Zur Heizkostenersparnis. Es geht nicht um die Netto- müssen. Es gibt zudem eine Zunahme der Zahl von kaltmiete, sondern es geht darum, dass die Heizkosten Haushalten, die sich aufgrund ihrer Einkommensverhält- reduziert werden. Die energetische Sanierung eines Ge- nisse nicht mehr mit Wohnungen über den freien Woh- bäudes kann in einzelnen Schritten umgesetzt werden: nungsmarkt versorgen können. Da werden die Fenster oder die Heizungsanlage ausge- wechselt, eine Gebäudedämmung wird angebracht, das Die entscheidenden Herausforderungen bilden die Dach wird neu isoliert. Dann reduzieren sich die Heiz- Energiewende und der demografische Wandel. Grund- kosten. Wer profitiert davon? sätzlich ist festzuhalten: Die umfassende energetische 21360 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Daniela Wagner (A) Gebäudesanierung ist kein Selbstzweck, sondern sie ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) angesichts der stetig steigenden Energiekosten notwen- sowie bei Abgeordneten der SPD) dig, damit das Wohnen bezahlbar bleibt und der Klima- Sie wollen, dass den Kommunen ein Interventions- wandel aufgehalten werden kann. recht gegen Maßnahmen zur Wohnwertsteigerung einge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) räumt wird, um prekäre Mietsituationen zu vermeiden. Ich nehme stark an, Sie meinen in diesem Zusammen- Aber auch für die Eigentümerinnen und Eigentümer so- hang Luxussanierungen und Gentrifizierungsprozesse. wie Vermieterinnen und Vermieter muss die Bereitstel- Allerdings unterlassen Sie es, die Instrumentarien zu be- lung von Wohnraum finanzierbar bleiben. Deswegen nennen. Wir halten zwei Instrumente zur Begrenzung müssen die mietrechtlichen Schrauben so gestellt wer- von Wieder- und Neuvertragsmieten für notwendig. Wir den, dass die energetische Gebäudesanierung einerseits wollen im BauGB bei der Ausweisung von Sanierungs- befördert wird und auf der anderen Seite die Mieterinnen und Milieuschutzgebieten wieder Mietobergrenzen nach und Mieter vor Verdrängungseffekten geschützt werden. §§ 142 und 144 – Sanierungssatzung – und § 172 – Er- haltungssatzung – ermöglichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Iris Gleicke [SPD] und Außerdem wollen wir im BGB die Landesregierun- Johanna Voß [DIE LINKE]) gen ermächtigen, in Kommunen oder deren Teilgebieten Mietobergrenzen einzuführen, wenn in einem bestimm- Dabei darf das Mietrecht nicht isoliert betrachtet wer- ten Quartier ein Wohnraummangel vorherrschend ist. Ich den; denn es ist nicht seine primäre Aufgabe, die energe- denke, das sind geeignete Instrumente, um punktuell und tische Gebäudesanierung voranzutreiben, es darf ihr le- situationsgerecht Abhilfe zu schaffen. diglich nicht im Weg stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die energetische Gebäudesanierung muss in erster Li- Sie wollen ebenso wie wir die Modernisierungsum- nie durch entsprechende Förderprogramme und gegebe- lage nach § 559 BGB von 11 auf 9 Prozent absenken. Sie nenfalls durch das Ordnungsrecht sichergestellt werden. schlagen die Prüfung einer zeitlichen Begrenzung vor. Bei Förderprogrammen liegt die Betonung vor allen Wir haben uns lange mit der zeitlichen Begrenzung be- Dingen auf „verlässlich“. Es darf nicht sein, dass es je- fasst, sind aber zu dem Schluss gekommen, dass das in des Jahr neue Wasserstandsmeldungen gibt, dass das, der Praxis sehr schwierig zu realisieren ist; denn Sie was man im Januar geplant hat, schon im September müssten die Miete theoretisch irgendwann wieder infla- Makulatur sein kann, weil es keine Fördermittel mehr tionsbereinigt absenken. Das könnte unter Umständen (B) gibt. Verlässlichkeit heißt, dass der Bürger genau weiß, sehr kompliziert werden und an der Praxis scheitern. Der (D) dass er auch noch in einem Jahr damit rechnen kann, Gedanke ist natürlich nicht ganz von der Hand zu wei- dass die Zuschüsse zur energetischen Gebäudesanierung sen. fließen. Für uns ist entscheidend, dass die Mieterinnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mieter durch die Modernisierungsumlage eine Entlas- tung bzw. Wohnwertsteigerung erhalten und dass sie Das Mietrecht ist lediglich dazu da, die unterschiedli- nicht zu unnötigen Luxusmodernisierungen führt. Des- chen und auf Mieterseite auch berechtigten Interessen wegen wollen auch wir die Umlagemöglichkeit der auszugleichen. Der Antrag der SPD bezieht sich haupt- Höhe nach begrenzen. Wir wollen sie darüber hinaus sächlich auf den Referentenentwurf der Bundesregie- aber auch auf die energetische Sanierung und den alters- rung vom Oktober 2011, der wie in der Echternacher gerechten Umbau begrenzen. Das ist aus unserer Sicht Springprozession seltsam vor- und zurückrückt, aber nie vordringlich. Das muss finanziert werden. Alles andere so richtig den Sprung in den Plenarsaal schafft. Viel- kann unterbleiben, weil es sich dabei schlicht und ergrei- leicht schaffen Sie es ja noch vor der nächsten Bundes- fend um Luxusmodernisierungen handelt, die sich der tagswahl, wenn nicht, lassen Sie es einfach bleiben. Mieter leisten können muss. Solche Modernisierungen muss der Vermieter nicht vom Mieter erstattet bekom- (Beifall der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/ men. DIE GRÜNEN] – Florian Pronold [SPD]: Das wäre besser!) In Ihrem Antrag fehlt uns eine energiepolitische Wei- chenstellung. Sie haben zum Beispiel nicht gefordert, die Sie lehnen die Aufhebung des Mietminderungsrechts energetische Gebäudebeschaffenheit im Rahmen der für drei Monate bei energetischen Sanierungen ab. Das ortsüblichen Vergleichsmiete zu berücksichtigen, also so sehen wir ähnlich, insbesondere auch auf der Grundlage etwas wie einen ökologischen Mietspiegel. Das wäre der rechtspolitischen Unsicherheiten; denn das Recht auf aber richtig. Mietminderung stellt auf das Vorhandensein von be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – stimmten Eigenschaften des Wohnraums bei Vertragsab- Sebastian Körber [FDP]: Stimmt nicht!) schluss und auf seinen Nutzwert ab und weniger auf die gute Motivation des Vermieters. Wir meinen, wenn der Es ist richtig, Zuschläge für einen hervorragenden Ge- Nutzwert gemindert ist – aus welchen Gründen auch im- bäudezustand vorzusehen. Bei einer schlechten energeti- mer –, dann ist das Mietminderungsrecht das Instrument schen Gebäudebeschaffenheit müssen auch Abschläge der Wahl, natürlich auch in den ersten drei Monaten. möglich sein oder gegebenenfalls beides in Kombina- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21361

Daniela Wagner (A) tion. Das wäre im Rahmen von Mietspiegel und ortsübli- ist zu reich für den sozialen Wohnungsbau, aber auch (C) cher Vergleichsmiete ein richtiges Instrument, um dem viel zu arm für den freien Wohnungsmarkt. Es ist ganz Ziel näherzukommen. Es gibt inzwischen ein paar wichtig, dass eine soziale Mischung dadurch geschaffen Städte, die einen ökologischen Mietspiegel haben. Das wird, dass der Rückkauf von Belegungsbindungen at- funktioniert. traktiv wird. Dazu brauchen wir den Fortbestand der Entflechtungsmittel über das Jahr 2019 hinaus. Die Kappungsgrenze wollen Sie von 20 auf 15 Pro- zent absenken. Das sehen wir auch so. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Weiterhin wollen wir den Klimaschutz in die Interes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) senabwägung nach § 554 BGB aufnehmen. Zum Thema Contracting. Wenn es mehr als zwei Ver- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: tragspartner gibt, ist das nicht ganz unkompliziert. Des- Das Wort hat nun Gero Storjohann für die CDU/CSU- wegen sagen wir nur so viel: Die wirtschaftlichen Vor- Fraktion. teile, die der Vermieter aus einem Vertrag mit dem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Contractor zieht, sollten auch dem Mieter bzw. der Mie- terin zugutekommen. Gero Storjohann (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Soziales Zu Ihren Einlassungen zu Mietnormaden: Das sehen Mietrecht erhalten und klimagerecht verbessern“ – ja- wir ähnlich. Zu den Einlassungen der Bundesregierung: wohl. „Soziale Wohnraumförderung durch Bund und Das halten wir für falsch. Wir sind der Meinung, dass Länder bis 2019 fortführen“ – jawohl. Ich glaube, hier wir nicht den Rechtsschutz aller Mieterinnen und Mieter im Hause besteht eine große Einigkeit. wegen einer verschwindend geringen Anzahl von Fällen einschränken dürfen. Wir sind der Auffassung, dass das (Florian Pronold [SPD]: Das haben andere geltende Recht vollkommen ausreicht. Redner vorher nicht so gezeigt!) Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zur so- Hier wird der Eindruck vermittelt, dass etwas anderes zialen Wohnraumförderung, zu der Sie auch einen An- geplant ist. Mit Ihren Anträgen möchten Sie – vergeblich trag gestellt haben, sagen. Eingangs ist von anderen Red- – den Eindruck erwecken, dass kein Mietrechtsände- nern schon betont worden, dass der Anteil derjenigen, rungsgesetz auf dem Weg ist. Über dieses gute Miet- die sich auf dem freien Wohnungsmarkt aufgrund ihres rechtsänderungsgesetz wird hier sehr kurzfristig wieder (B) Einkommens nicht mehr mit Wohnraum versorgen kön- debattiert werden. (D) nen, ständig wächst. Wir sind der Auffassung, dass es (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ besorgniserregend wäre, wenn die Entflechtungsmittel DIE GRÜNEN: Wann denn?) ab 2013 auslaufen sollten und wir dann allein auf die Be- mühungen der Länder angewiesen wären. Bis jetzt gibt – Das wird der Präsident im Ältestenrat festlegen. es nur in sieben Bundesländern Wohnraumförderungsge- (Florian Pronold [SPD]: Dazu muss es einen setze. Wir wissen nicht, was aus der Wohnraumförde- Gesetzentwurf geben!) rung wird. Wir wissen aber, dass im Moment jährlich etwa 100 000 Wohnungen aus der Sozialbindung fallen. Unser gutes soziales Mietrecht werden wir als Koali- Deswegen muss dringend dafür Sorge getragen werden, tion weiter verbessern. dass die soziale Wohnraumförderung über 2013, am bes- (Florian Pronold [SPD]: Nee!) ten über 2019 hinaus verstetigt wird, damit nicht ein wachsender Anteil der Bevölkerung überhaupt keinen Nach unserer Auffassung bestehen Regelungslücken. Wohnraum mehr findet. Diese werden wir schließen. Wir halten es für ganz besonders wichtig, dass An- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und reize geschaffen werden, damit private Eigentümer in ih- der FDP) ren Quartieren oder, wie man in Berlin so schön sagt, in Der Wohnungs- und Immobilienmarkt in Deutschland ihren Kiezen sozialgebundenen Wohnraum durch Ver- ist stabil. Er war in den letzten Jahren ein stabilisierender kauf von Belegungsrechten an die Stadt oder an den Be- Faktor der deutschen Konjunktur, und das auch in Zeiten zirk zur Verfügung stellen. Es erscheint uns als ganz be- der internationalen Wirtschaftskrise. Mit ihrem Antrag sonders wichtig, dafür zu sorgen, dass in den schönen zur sozialen Wohnraumförderung schrammt die SPD- Kiezen nicht nur Oberstudienräte und Bundestagsabge- Fraktion an den Vorgaben des Grundgesetzes nicht nur ordnete wohnen und am Stadtrand in den Plattenbausied- zielgenau vorbei, sondern vermittelt auch noch einen fal- lungen – meist in schlecht isolierten Wohnungen – dieje- schen Eindruck. nigen, die auf dem Wohnungsmarkt kaum mehr reüssieren können, die sich sogar schon bei mittleren Die christlich-liberale Koalition Einkommen im Grunde genommen nicht mehr mit ad- äquatem Wohnraum versorgen können. (Caren Marks [SPD]: Oh! Schwarz-Gelb! – Florian Pronold [SPD]: Das müssen Sie jetzt Das war der Grund, warum einmal die vereinbarte vorlesen, damit Sie es fehlerfrei herausbekom- Förderung erfunden worden ist. Die Krankenschwester men!) 21362 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Gero Storjohann

(A) ist sich ihrer Verantwortung für die soziale Wohnraum- Euro für die CO2-Gebäudesanierung zur Verfügung ge- (C) förderung in Deutschland sehr wohl bewusst. Bekannt- stellt. Damit das Wohnen bezahlbar bleibt, sind auch lich ist die Kompetenz für die soziale Wohnraumförde- ausgewogene Änderungen des bestehenden Mietrechts rung durch die Föderalismusreform vom Bund auf die notwendig. In Kürze wird von uns ein Mietrechtsände- Länder übertragen worden. rungsantrag vorgelegt. Ich gehe fest davon aus, noch im Mai. (Zuruf des Abg. Florian Pronold [SPD]) Das, Herr Pronold, haben wir in der Großen Koalition (Florian Pronold [SPD]: In diesem Jahr oder sogar gemeinsam beschlossen. im nächsten? Welcher Mai?) (Lachen der Abg. Caren Marks [SPD]) – Der Mai ist ja immer der schönste Monat. Ich gehe da- von aus, in diesem Mai. Es wurde vereinbart, dass der Bund den Ländern hierfür jährlich bis 2013 über 500 Millionen Euro Kompensa- (Florian Pronold [SPD]: Der ist schon! – Ingo tionsleistungen zahlt. Egloff [SPD]: Wir haben doch schon Mai! – Caren Marks [SPD]: Selbst den Mai hat die (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Regierung verschlafen!) NEN]: Dagegen hat auch niemand etwas!) Derzeit verhandelt der Bund mit den Ländern über die – Sie haben ja sehr deutlich gemacht, Herr Egloff, dass Fortzahlung. Ab 2019 sollen die Zahlungen endgültig Sie alle notwendigen Änderungen im Mietrecht ableh- enden. Frau Wagner hat hier vorgeschlagen, diese Zah- nen; das entnehme ich Ihrem vorliegenden Antrag. lungen über 2019 hinaus fortzuführen. Ich glaube, wir Die Koalition verfolgt zwei Ziele. Wir wollen den sollten uns an das halten, was wir gemeinsam vereinbart Mietbestand sanieren, um unsere Klimaschutzziele zu haben. Die CDU/CSU steht zu den Ergebnissen der Fö- erreichen. Hierdurch gelingt es uns, die immer weiter deralismusreform steigenden Nebenkosten für die Energieversorgung für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Mieter zu begrenzen. Das ist unverzichtbar; denn Wohnraum muss bezahlbar bleiben. und den sie begleitenden Übergangsregelungen. Wir nehmen aber auch die Unterstützung sozial schwächerer (Caren Marks [SPD]: Na ja! Das hört sich ja Haushalte bei der Wohnraumversorgung sehr ernst. We- nicht gerade überzeugend an!) sentliche Maßnahmen sind hier das Wohngeld und die Darüber hinaus soll durch Änderungen im Mietrecht Wohnraumförderung; die Verantwortung hierfür liegt Mietbetrügern das Handwerk gelegt werden. Ich habe seit der Föderalismusreform allein bei den Ländern. (B) das hier schon einmal ausgeführt: Mein Vermieter ist (D) Es ist Ausdruck des Sozialstaatsprinzips, dass der von einem Mietnomaden massiv betroffen, und das, ob- Staat den Menschen Unterstützung gewährt, die sich wohl er sich verhältnismäßig professionell verhält. Das nicht aus eigener Kraft angemessen mit Wohnraum ver- heißt, er hat jedes Mal Titel für eine Räumung erwirkt, sorgen können. Wir wollen dafür sorgen, dass würdevol- wenn nicht gezahlt wurde. Jedes Mal gab es ein Unter- les Wohnen auch in Zukunft möglich ist. Die Gründe, mietverhältnis. Nachdem die Mehrfachuntervermietung aus denen Menschen soziale Wohnraumförderung in An- innerhalb der Familie oder innerhalb des Bekanntenkrei- spruch nehmen, sind vielfältig: Das Haushaltseinkom- ses nachgewiesen wurde, hat er versucht, den Porsche men ist zu niedrig. Kinderreiche Haushalte benötigen aus der Tiefgarage zu bekommen. Auch in der Tiefga- besonders große Wohnungen. Menschen mit Behinde- rage wurde ein Untervermietungsverhältnis nachgewie- rungen sind auf barrierefreie Wohnungen angewiesen. sen. Und das alles im schönen Hamburg, Herr Egloff! Diese besonderen Bedürfnisse werden durch den Markt Ich bin gerne bereit, mit Ihnen über diesen Fall zu spre- mitunter noch nicht ausreichend bzw. nicht zu vertretba- chen, damit Sie wenigstens einmal erkennen, dass es hier ren Preisen befriedigt. ein Problem gibt, das mit der jetzigen Rechtslage nicht zu lösen ist – oder es liegt an der Richterschaft; ich weiß Sozial benachteiligte Menschen profitieren beson- es nicht. ders von unseren Anstrengungen im Bereich der sozialen Wohnraumförderung. Ihnen werden auf diese Weise (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo preiswerte Wohnungen zur Verfügung gestellt. Traditio- Egloff [SPD]: Aber das ist doch kein Massen- nell hatte der soziale Wohnungsbau das Ziel, Wohnungs- phänomen, Herr Kollege! Und Sie treffen da- mangel zu beheben. Der Fokus hat sich jetzt verständli- mit alle Mieter!) cherweise verschoben. Die soziale Wohnraumförderung ist besonders geeignet, unsere Stadtentwicklung wesent- Die Frage ist doch: Will die SPD kriminelle Mieter lich mitzugestalten, vor allem in den benachteiligten zukünftig weiterhin schützen? Wir meinen, dies ist ein Stadtvierteln. Thema, das wir anpacken müssen. Die CDU/CSU-Fraktion setzt sich dafür ein, dass (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Wohnraum bezahlbar bleibt. Sie setzt sich dafür ein, dass der SPD – Burkhard Lischka [SPD]: Aber die- die energetische Sanierung des Wohnungsbestandes, ses Problem sollen bei Ihnen Millionen von auch des sozialen Wohnraumbestandes, erfolgen kann. Mietern ausbaden! Unglaublich! – Weiterer Die Bundesregierung hat dafür Planungssicherheit ge- Zuruf von der SPD: Das sind doch Einzel- schaffen. In den nächsten Jahren werden 1,5 Milliarden fälle!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21363

Gero Storjohann (A) Die Fraktion der CDU/CSU wird das nicht tatenlos hin- Florian Pronold (SPD): (C) nehmen. Wir bleiben dabei, dass wir hier dringenden Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Handlungsbedarf sehen. Kollegen! Es ist ja gerade von Vorrednern mit den durchschnittlichen Mieterhöhungen in Deutschland ar- Die SPD-Fraktion schreibt sich auch den Umwelt- gumentiert worden. Franz Josef Strauß hat einmal ge- schutz auf die Fahnen. Aber wenn es beim Mietrecht sagt: Der Durchschnitt ist eine gefährliche Sache. Wer konkret wird, dann ducken Sie sich natürlich weg. Wir mit dem Hintern auf der heißen Herdplatte sitzt und mit verfolgen das Ziel, den Wärmebedarf im Gebäudebe- dem Kopf in der Gefriertruhe steckt, der hat im Durch- reich bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent zu senken. Dafür schnitt eine angenehme Körpertemperatur, aber beson- brauchen wir ein Anreizsystem; denn das passiert nicht ders wohl fühlt er sich nicht. von alleine. Investitionshemmende Regelungen im Miet- recht müssen entschärft werden, damit die Vermieter (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Sie sollten überhaupt eine energetische Sanierung vornehmen. Wir sich mehr von Strauß zu eigen machen!) streiten ja nur darüber, was letzten Endes hilft. Ich So ist es auch mit der durchschnittlichen Mieterhöhung, glaube, wir sollten generell dazu übergehen, solche die wir erleben. Hemmnisse abzubauen. Ich frage Sie, ob Sie mit Menschen in Berlin und (Ingo Egloff [SPD]: Aber es muss noch sozial München nicht reden und ob Sie die Zeitung nicht lesen. verträglich sein, Herr Kollege!) Die Abendzeitung in München titelte gestern zu dieser Problematik, weil das in München ein ganz existenziel- – Selbstverständlich. Es gehört ja zur Sozialverträglich- les Problem ist und weil wir in Metropolregionen eine keit, dafür zu sorgen, dass die Nebenkosten im Hinblick solche Verknappung von Wohnraum erleben, dass sich auf den Wärmebedarf geringer werden. Wir sind auf dort auch exorbitante Mietsteigerungen durchsetzen las- dem Weg, dies auszutarieren. Aber zu sagen, dass das sen, nicht passieren soll, ist, glaube ich, keine Lösung. Ich (Sebastian Körber [FDP]: Wer ist da Oberbür- denke, das wollen Sie im Ergebnis auch nicht. Also: Wir germeister?) laden Sie ein, hier auf uns zuzugehen. die tatsächlich dazu führen, dass Menschen mit gerin- (Lachen des Abg. Florian Pronold [SPD]) gem Einkommen ihre Heimat verlieren. Dagegen wollen wir uns wehren. Dazu, dass die Umlage künftig maximal 9 Prozent statt 11 Prozent betragen soll, ist von meinen Kollegen (Beifall bei der SPD) schon einiges gesagt worden; das brauche ich nicht zu (B) Herr Körber, reden wir doch einmal nicht abstrakt da- (D) wiederholen. rüber, was eine Modernisierungsumlage von 11 Prozent Wir als CDU/CSU möchten, dass das soziale Miet- oder auch 9 Prozent bedeutet, sondern schauen wir uns recht – das ist ein eindeutiges Bekenntnis – erhalten doch einmal ganz konkret an, was das in solchen Bal- bleibt. Die Inflationsrate lag in den Jahren 2007 bis 2010 lungsräumen für die Mieterinnen und Mieter heißt. Was bei 1,6 Prozent. Im gleichen Zeitraum stiegen die Mieten heißt das für die Krankenschwester, für den Polizeibe- im Durchschnitt um 1,2 Prozent. Wir wissen, dass die amten oder für die Verkäuferin, die wir doch nicht alle Situation in Ballungsräumen eine andere ist als im länd- 50 Kilometer außerhalb der Stadt wohnen haben wollen, lichen Bereich. Insofern, Frau Wagner, sind wir einer von wo aus sie zu ihrem Arbeitsplatz in der Stadt fahren Meinung, dass es einen unterschiedlichen Markt gibt, müssen, sondern die in der Lage sein sollen, in der Stadt mit dem wir unterschiedlich umgehen müssen. bleiben zu können? Nehmen wir einmal an, eine Wohnung wird für Die SPD-Anträge setzen nicht die richtigen Impulse, 50 000 Euro energetisch saniert. Nach der geltenden um das Mietrecht zu verbessern und ausgewogene Mo- Rechtslage bedeutet das, dass 5 500 Euro im Jahr auf dernisierungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Die den Mieter umgelegt werden können. Das wären gut CDU/CSU wird weiterhin dafür sorgen, dass eine Ba- 458 Euro im Monat. Wenn Sie jetzt sagen, dass lance zwischen Mieterinteressen und Vermieterinteres- 50 000 Euro ein bisschen viel sind, sen besteht und dass es in ganz Deutschland angemes- sene Wohnverhältnisse gibt. Ihre Anträge werden wir in (Sebastian Körber [FDP]: Ist es auch!) den anstehenden Ausschussberatungen wohlwollend dann nehmen wir 25 000 Euro pro Wohnung; das ist prüfen und dann wahrscheinlich verwerfen. auch in Ordnung. Dann sind wir bei 2 750 Euro im Jahr und immer noch bei fast 230 Euro im Monat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Ingo Egloff [SPD]: Das ist realistisch! – Ge- genruf des Abg. Sebastian Körber [FDP]: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Quatsch!) Das Wort hat nur Florian Pronold für die SPD-Frak- tion. Bei einer kleinen Maßnahme, die nur 12 500 Euro kos- tet, sind wir immer noch bei einem Nettomonatsgehalt, (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Willsch [CDU/ das ein Mieter im Jahr für diese energetische Sanierung CSU]: Da sind wir einmal gespannt!) aufbringen muss. 21364 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Florian Pronold (A) Ich finde, jetzt muss man gegenrechnen. Welche Ein- die Modernisierungsumlage. Das hat nichts mit einer ge- (C) sparung gibt es hier denn? Wir wehren uns doch nicht rechten Lastenverteilung zu tun. dagegen, dass energetisch saniert wird, aber wir wollen, dass Lasten und Nutzen gerecht verteilt werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Ich verstehe Folgendes nicht: Warum wehren Sie sich Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gegen eine gerechte Lastenverteilung? Sie schlagen aber keine gerechte Verteilung vor. (Sebastian Körber [FDP]: Der Mieter spart zum Beispiel Heizkosten!) Wir sind auch dafür, dass der Staat entsprechend för- dert, zum Beispiel über die KfW oder durch andere – Ja, ich habe kein Problem damit, dass wir ein Modell Maßnahmen. Wir wollen aber nicht, dass das, was schon entwickeln, mit dem man dafür sorgt, dass Kosten und aus Steuergeldern finanziert wird und dem Eigentümer Nutzen zwischen Vermieter, Mieter und öffentlicher zugutekommt, teilweise zusätzlich auf den Mieter umge- Hand aus dem gemeinsamen Interesse heraus, die Zahl legt werden kann. Das ist doch nicht gerecht. Davon der energetischen Sanierungen zu erhöhen, im Sinne ei- muss etwas abgezogen werden können. nes vernünftigen Mieterschutzes und der Bezahlbarkeit (Beifall bei der SPD) des Wohnens vernünftig untereinander aufgeteilt wer- den. Niemand hat etwas dagegen. Aber Sie verfolgen mit Die nächste Frage ist, in welchem Umfang man das Ihrem Referentenentwurf beim Mietrecht genau das ent- umlegen kann. Weil die Mieterinnen und Mieter auch gegengesetzte Ziel: Sie wollen die Rechtslage zulasten von der energetischen Sanierung profitieren, sind wir ja der Mieterinnen und Mieter verändern. dafür, dass hier etwas umgelegt werden kann; das ist doch überhaupt keine Frage. Es ist vorhin schon ausgeführt worden: Warum soll denn, wenn eine Gegenleistung nicht erbracht wird, kein (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Warum strei- Recht auf Mietminderung bestehen? Das hat sich in der chen Sie es nicht?) ganzen Geschichte des sozialen Mietrechts in Deutsch- Es muss aber vernünftig sein und den unterschiedlichen land bewährt. Wenn wir immer vom Idealfall ausgingen, Interessen sozial ausgewogen gerecht werden. Deswe- bräuchten wir keine Gesetze zu machen. Ich glaube, dass gen schlagen wir die Reduzierung der Umlage vor, weil in 90 Prozent der Fälle alles wunderbar funktioniert. Al- das ansonsten für einen normalen Menschen in der In- lerdings werden es beim Bau wohl doch nicht 90 Prozent nenstadt in einer Metropolregion nicht zu bezahlen ist. der Fälle sein. Sie sind Architekt und müssen das wis- Das ist doch der Grund! sen. (B) (D) (Beifall bei der SPD – Sebastian Körber Aber was ist denn, wenn Mieterinnen und Mieter [FDP]: Sie können doch nicht gleichzeitig die – das muss noch nicht einmal unmittelbar der Vermieter Anreize heruntersetzen, wenn Sie die energeti- verschulden – auf einmal tatsächlich in einer fast nicht schen Maßnahmen haben wollen!) mehr bewohnbaren Wohnung leben? Was ist, wenn zwei oder drei Sanierungsmaßnahmen in zeitlich geringem Sie spotten ja darüber, dass wir hier sagen: Sie schü- Abstand aufeinanderfolgen? Verdreifachen sich dann die ren die Ängste der Mieter. Wenn ich mir nur diese nack- Duldungspflichten? Auf diese spannenden Fragen müs- ten Zahlen hier anschaue – und das ist auf Vermieter- sen Sie eine Antwort geben. märkten kein unrealistisches Szenario –, dann stellt sich mir die Frage, ob dort überhaupt noch Menschen woh- Bisher haben Sie uns vorgeworfen, dass wir die An- nen können. träge so kurzfristig vorgelegt haben, aber selber haben Die Anzahl der Haushalte in Deutschland, die mehr Sie Ihre Rede damit eingeleitet, dass seit einem Jahr ein als 40 Prozent ihres Nettoeinkommens für das Wohnen Referentenentwurf vorliegt. Das ist schön. Also eine ausgeben, hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Dauer von einem Jahr ist schon sehr ambitioniert. Aber Das heißt, in Metropolregionen stellt sich eine neue so- gerade war es noch nicht sicher, ob der Gesetzentwurf in ziale Frage. Hierauf müssen wir eine Antwort geben. diesem Mai oder erst im nächsten Mai vorgelegt wird. Legen Sie einen Entwurf vor! Aber bei den darin enthal- (Sebastian Körber [FDP]: Ja, zum Beispiel tenen Ansätzen lassen Sie ihn lieber in der Schublade durch Wohngeld!) liegen! Zur Frage der gerechten Verteilung von Lasten und (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Willsch Nutzen gehört übrigens auch: Wie lange ist denn diese [CDU/CSU]: Was denn jetzt? – Sebastian Modernisierungsumlage zu zahlen? Das, was jetzt gel- Körber [FDP]: Soll er jetzt vorgelegt werden tende Rechtslage ist, heißt: Die Kosten können mit bis oder nicht?) zu 11 Prozent auf die Miete umgelegt werden. Das be- deutet, um in dem Beispiel von vorhin zu bleiben – wir In den Metropolregionen gibt es eine Zunahme der nehmen jetzt den geringsten Betrag –: Jeden Monat wer- sozialen Spaltung aufgrund der Bezahlbarkeit von Woh- den von dem Mieter 120 Euro an Modernisierungsum- nen. Deswegen ist auch kritisch auf den Prüfstand zu lage bezahlt. Nach neun Jahren ist damit die gesamte stellen, was in der Föderalismuskommission gemeinsam Maßnahme finanziert. Aber der Mieter zahlt auch im vereinbart worden ist. Wir reden jetzt darüber: Was pas- zehnten, im elften und zwölften Jahr jeden Monat weiter siert in dem Zeitraum 2013 bis 2019? Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21365

Florian Pronold (A) (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: 2014 bis Heidrun Bluhm (DIE LINKE): (C) 2019!) Herr Kollege Pronold, habe ich Sie richtig verstan- den, dass Sie eben eine Einladung an die Linke und die – 2013 muss es eine Entscheidung geben. In den Jahren Grünen ausgesprochen haben, gemeinsam an den vorlie- 2014 bis 2019 wird dann aller Wahrscheinlichkeit nach genden Anträgen zu arbeiten, um Mieterschutz und Kli- die Fördersumme immer weiter gekürzt. Wir stellen fest, maschutz hinzubekommen? Wenn das so wäre, dann dass es in den Metropolregionen zunehmend Probleme würden wir uns sehr darüber freuen und unsere Bereit- gibt, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Deswegen ist schaft dazu erklären. die Frage, wie Bund und Land gemeinsam auf diese Fra- gestellung reagieren. (Beifall bei der LINKEN) Was mich stört, ist, dass derjenige, der eigentlich da- für zuständig ist, ein bisschen Etikettenschwindel be- Florian Pronold (SPD): treibt, weil im Titel seines Ministeriums immer noch das Ich bin ein sehr netter, freundlicher und höflicher Wort „Bau“ enthalten ist. Ich meine den Verkehrs- und Mensch, und ich habe an das ganze Haus die Einladung Bauminister, , der bei dieser Debatte ausgesprochen, gemeinsam an diesem Problem zu arbei- wieder einmal nicht da ist. ten und die guten Ansätze, die bei Ihnen, den Grünen und uns vorhanden sind, die ich aber bei Schwarz-Gelb (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Er ist vorher vermisse, mit einer Mehrheit in diesem Hause zu verab- gegangen!) schieden. Immer, wenn es um Fragen des Bauens geht, ist der Herr (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ramsauer ein Totalausfall. Dafür interessiert er sich nicht. Er ist gegangen, bevor diese Debatte begonnen Ich werde aber insbesondere daran arbeiten, dass wir hat. bald wieder gestaltungsfähig sind und mit anderen Mehrheiten vernünftige Gesetze machen können. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Er baut auch gerade!) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) So war das. Ich finde, es ist ungehörig gegenüber diesem Sehr geehrte Damen und Herren, das Thema soziales Hause, dass der zuständige Minister dann, wenn wir über Mietrecht und bezahlbares Wohnen wird in den nächsten die Zukunft der sozialen Wohnraumförderung reden, Jahren in den Monopolregionen stark an Bedeutung ge- durch Abwesenheit glänzt. winnen. Ich glaube, wir sind gut beraten, uns dieses The- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mas anzunehmen, und zwar ohne ideologische Scheu- (B) (D) der LINKEN) klappen genau hinzuschauen und die verschiedenen Interessen vernünftig abzuwägen, aber auch dafür zu Das ist natürlich für die Debatte angesichts dessen, was sorgen, dass das, was in Ihrem Referentenentwurf ent- er bisher gesagt hat – das gebe ich zu –, nicht schädlich. halten ist, nicht zur Realität wird. Aber trotzdem wäre es nicht schlecht, wenn er da wäre. Ihr Referentenentwurf sieht vor, dass Mieter zu Melk- Ich finde, wir müssen uns im parlamentarischen Ver- kühen werden. Das wollen wir nicht. Wir wollen einen fahren bemühen, aus vielen guten Anträgen, die es auch gerechten und sozialen Ausgleich, und wir wollen für von der Linken und den Grünen gibt, die Ideen zusam- die, die zu einem geringen Einkommen arbeiten, bezahl- menzubringen, die darauf setzen, dass wir in der energe- bares Wohnen in den Metropolregionen sichern. tischen Sanierung einen ordentlichen Fortschritt ma- chen, die aber auch auf bezahlbares Wohnen setzen und Herzlichen Dank. die darauf setzen, dass das soziale Mietrecht erhalten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bleibt und dass wir nicht einseitig zulasten der Mieterin- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE nen und Mieter die Gesetzeslage verändern. GRÜNEN) Jeder von uns kann doch nachvollziehen, was es be- deutet, wenn ein Vermieter von Mietnomaden in eine Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: dramatische Situation gebracht worden ist. Es gibt doch Das Wort hat nun Stephan Thomae für die FDP-Frak- niemanden, der das nicht ernst nimmt. Aber Sie können tion. nicht, um so einen Einzelfall zu verhindern, alle Miete- rinnen und Mieter in Geiselhaft nehmen und Rechtsver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schlechterungen für sie hinnehmen. Das geht nicht. Da- gegen wehren wir uns. Stephan Thomae (FDP): Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Ver- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ehrte Kollegen! Herr Kollege Pronold, einmal wollen Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Sie, dass die Regierung den Referentenentwurf als Ge- Kollegin Bluhm? setzentwurf vorlegt; einmal wollen Sie, dass er in der Schublade verbleibt. Was denn nun? Florian Pronold (SPD): (Ingo Egloff [SPD]: Das kommt auf den Inhalt Gerne. an, Herr Kollege!) 21366 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Stephan Thomae (A) Aber wie auch immer: Es gibt einen Referentenent- Wert ebenfalls in die Miete einfließen lassen. Deswegen (C) wurf, wie Sie wissen. Der normale Gang der Dinge ist, ist es völlig logisch, dass dieser Wert erhalten bleibt. dass der Referentenentwurf jetzt an Länder und Ver- bände zur Stellungnahme verschickt wird, und dann Die Duldungspflichten des Mieters werden von Ihnen warten wir als Parlament das Verfahren ab. angegriffen. Das ist nun einmal ein Teil des Anreizpro- gramms. Wir wollen erreichen, dass der Mieter eine Am 23. Mai wird der Referentenentwurf im Kabinett energetische Sanierung nicht verhindern kann. Wir wol- beraten und beschlossen. Dann werden wir als Parlament len, dass die Baumaßnahmen zur energetischen Sanie- die Chance haben, den Gesetzentwurf der Regierung zu rung nicht als Belastungen empfunden werden. Der Ver- beraten, nachdem die Regierung die Stellungnahmen der mieter muss die Baumaßnahme als solche erklären und Verbände und Länder in den Referentenentwurf eingear- erklären, dass es sich dabei um eine energetische Sanie- beitet hat. rungsmaßnahme handelt. Der Mieter hat die Möglich- Das ist der normale Gang der Dinge. Was machen Sie keit, zu prüfen, ob die Modernisierung tatsächlich der nun daraus? Mitten in diesem Verfahren, in dem wir zu- energetischen Verbesserung des Gebäudes dient nächst abwarten sollten, was letzten Endes Beratungs- (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Wie denn?) grundlage des Parlaments sein wird, bringen Sie den vorliegenden Antrag ein, in dem Sie den Referentenent- oder ob es sich um Maßnahmen handelt, die mit einer wurf diskutieren. Damit machen Sie sozusagen den Zwi- energetischen Sanierung, zum Beispiel wenn es um Bar- schenstand zum Gegenstand der Beratungen, bevor wir rierefreiheit oder die Sanierung des Badezimmers geht, genau wissen, was in dem Gesetzentwurf enthalten sein nichts zu tun haben. Das ist für uns ein Element der so- wird. zialen Ausgewogenheit. Der Vermieter soll nicht mogeln Das wird der Wahl am Sonntag geschuldet sein. und muss darlegen, dass es sich um eine energetische Wahlkampfzeiten haben ihre eigene Logik und Gesetz- Sanierung des Objekts handelt. Daran führt kein Weg mäßigkeit. vorbei. (Ingo Egloff [SPD]: Das haben wir schon vier- (Ingo Egloff [SPD]: Was machen Sie denn, mal diskutiert! – Florian Pronold [SPD]: Von wenn beide Maßnahmen zusammenfallen? uns haben hier ein Hamburger und ein Bayer Das ist ein Beschäftigungsprogramm für An- gesprochen! Sie sollten nicht von sich auf an- wälte!) dere schließen!) Wir wollen, dass das Energiesparpotenzial nach ausge- Hier blitzt durch jedes Knopfloch durch, dass eigentlich wogenen Spielregeln ausgeschöpft wird, die beiden Sei- (B) Wahlkampf betrieben werden soll. ten zugutekommen. Auch der Mieter, der in einem ener- (D) getisch sanierten Objekt wohnt, hat etwas davon; denn er Richten wir aber den Blick auf Ihre Vorstellungen. spart Heizkosten. Das Erreichen dieses Ziels wollen wir Nach Vorstellung der SPD ist das Mietrecht offenbar ein nicht erschweren. Mieterrecht bzw. alleiniges Recht des Mieters. Mietrecht ist aber ein Recht der Vermieter und Mieter. Beide sind (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vertragsparteien, und beide müssen ein ausgewogenes Recht vorfinden, in dem sie sich wiederfinden können. Sie haben das Thema Mietminderung schon ange- sprochen. Wir wollen das Recht auf Mietminderung – (Florian Pronold [SPD]: Das gibt es doch! Wa- das könnte ein Verhinderungsgrund bzw. eine Anreiz- rum ändern Sie es jetzt so negativ?) hemmung bei der energetischen Sanierung sein – ab- Denn der Vermieter investiert in den Mietwohnraum. Er schwächen. Deswegen wollen wir bei energetischen Ge- finanziert sozusagen vor. bäudesanierungen die Möglichkeit, die Miete zu mindern, für drei Monate nicht zulassen. Aber auch hier Nun wollen wir erreichen, dass möglichst viele Ei- behalten wir die soziale Ausgewogenheit im Blick. gentümer bzw. Vermieter in Deutschland energetisch sa- Wenn eine energetische Sanierungsmaßnahme länger als nieren. In dieser Hinsicht sind die Vorschläge, die Sie, drei Monate andauert, dann hat der Mieter wieder die meine Damen und Herren von der SPD, unterbreiten, Möglichkeit zur Mietminderung. Wenn beispielsweise nichts anderes als Sanierungsverhinderungsprogramme. den ganzen Sommer über die Fenster verhängt sind, hat Genau das wollen wir nicht haben. der Mieter nach drei Monaten das Recht, die Miete zu (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) mindern. Daran können Sie erkennen, dass wir die Inte- ressen des Mieters sehr wohl im Blick haben. Sanierungskosten sind nachträgliche Anschaffungs- kosten und fließen in den Wert des Objekts ein. Sie be- Die rasant steigenden Mieten sind schon angespro- stimmen am Ende auch die Miethöhe. Deswegen ist es chen worden. Ich bin der Meinung, dass Sie hier ein vollkommen logisch, dass die Umlage der Modernisie- Zerrbild gemalt haben. Natürlich gibt es Innenstädte, in rungsinvestitionen, die der Vermieter tätigt, auch nach denen die Mieten steigen und sehr hoch sind. Aber nicht Ablauf des Umlagezeitraums den Wert des Objekts und alle Münchner können in Schwabing und nicht alle Ber- damit die endgültige Miethöhe mitbestimmt. Wenn der liner in Charlottenburg wohnen. Deswegen gibt es ein Eigentümer das Objekt verkaufen würde, hätte die Mo- ausgereiftes ÖPNV-System in Ballungsräumen und gro- dernisierung Einfluss auf den Wert und würde damit den ßen Städten. In meinen Augen spucken Sie nur Wahl- Verkaufspreis bestimmen. Der Käufer würde diesen kampftöne. Was Sie vorhaben, ist unausgewogen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21367

Stephan Thomae (A) (Ingo Egloff [SPD]: Kommen Sie mal nach Hedgefonds verkauft, der kann nicht zwei Jahre später (C) Hamburg! Dann zeige ich Ihnen, wie das fort- ernsthaft und glaubwürdig hier einen solchen Antrag vor- schreitet!) legen. – Das mag in Hamburg so sein. Das gibt es auch in Mün- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- chen und Berlin, wie gesagt. Es gibt aber Gegenbei- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) spiele, Gegenden, in denen die Vermieter mit Leerstand, Mietausfällen und Mietrückgängen zu rechnen haben. Zwischen Reden und Handeln besteht bei Ihnen einfach ein riesiger Widerspruch. Das Thema Einmietbetrug wurde ebenfalls bereits an- gesprochen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die SPD den Einmietbetrug – das ist der Rechtsbegriff für Miet- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: nomadentum – privilegieren will. Auch der Mieterbund Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des will das nicht wirklich und ist sich darüber im Klaren, Kollegen Liebich? dass Einmietbetrug nicht schützenswert ist. Es ist richtig, dass wir etwas gegen das Mietnomadentum unterneh- Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): men. Der Rechtsweg wird übrigens nicht beschnitten. Bitte schön, aber nicht wieder die alte Diskussion, Wir haben bei der Nachbesserung sehr genau auf die Herr Liebich. Ausgewogenheit geachtet. Es wird nicht nur eine Hinter- legungsanordnung, sondern eine Sicherungsanordnung (Dr. [DIE LINKE]: Sie führen getroffen, die vom Gericht bestätigt werden muss. Das doch die alte Diskussion! Alte Hüte!) Gericht muss die Erfolgsaussichten prüfen und die Inte- ressen von Mieter und Vermieter gegeneinander abwä- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gen. Es wird eine Beschwerdemöglichkeit geben. Wir Anschließend will auch Kollege Pronold eine Zwi- haben hier durchaus filigran gearbeitet und das Wohl der schenfrage stellen. Mieter im Blick gehabt. Fazit: Wir wollen ein sozial ausgewogenes Mietrecht (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Wollt ihr jetzt beibehalten, wir wollen aber auch die Anreize für ener- zusammen singen? Wird das ein Duo?) getische Sanierung erhöhen. Wir behalten also beide Sei- ten im Blick. Wir wollen keinen Wahlkampf betreiben, Stefan Liebich (DIE LINKE): sondern ein sozial ausgewogenes, aber energetisch ambi- Liebe Frau Kollegin Vogelsang, Sie haben es gesagt, tioniertes Mietrecht schaffen. Das ist unser Anliegen. wir haben uns darüber schon häufiger gestritten. Aber da (B) Dazu werden Sie noch in diesem Monat einen Gesetz- Sie immer wieder, ohne auf den Zusammenhang hinzu- (D) entwurf erhalten. weisen, dieselbe Behauptung erheben, möchte ich die Vielen Dank. Möglichkeit einer Zwischenbemerkung nutzen und noch einmal Folgendes klarstellen: Der Verkauf der Berliner (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wohnungsbaugesellschaft GSW ist vollkommen zu Recht als ein Fehler zu bezeichnen. Das stimmt. Ich Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: möchte aber zugleich daran erinnern, dass es eine Koali- Das Wort hat nun Stefanie Vogelsang für die CDU/ tion von CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen gewe- CSU-Fraktion. sen ist, die den damaligen Haushalt der rot-roten Koali- tion vor das Berliner Verfassungsgericht gezerrt hat, (Beifall bei der CDU/CSU) obwohl in diesem Haushalt bereits massive Einsparun- gen, die unter heftigen Auseinandersetzungen in der Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Stadt durchgesetzt wurden, vorgesehen waren. Sie haben Herr Präsident, herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen damals gesagt, dass dieser Senat zu wenig gespart habe. und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir de- Sie, die CDU, die FDP und Bündnis 90/Die Grünen, battieren heute über zwei Anträge, die von der SPD- haben die damalige rot-rote Koalition massiv unter Fraktion vorgelegt worden sind. Über den Antrag zum Druck gesetzt, endlich Privatisierungen vorzunehmen. Mietrecht haben wir jetzt sehr lange und ausführlich dis- Ich sage noch einmal: Die Entscheidung damals war ein kutiert. Deswegen möchte ich dazu nur noch zwei kurze Fehler, aber die CDU sollte nun wirklich nicht so tun, als Bemerkungen machen. wäre sie diejenige Partei, die damals für den staatlichen Herr Egloff, Frau Bluhm, Sie haben übereinstimmend Wohnungsbau gekämpft hätte. den Antrag des Berliner rot-roten Senats gelobt und ge- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der sagt, dass er richtig und wegweisend für den Schutz von FDP: Man sollte sich an die Verfassung halten! Mieterinnen und Mietern in den Bereichen von Ballungs- Das hilft!) räumen sei, in denen Gentrifizierung, also die Verdrän- gung von nicht ganz so reichen Mietern, stattfinde. Ich habe Ihre Berliner Politik in den letzten Jahren sehr in- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: tensiv verfolgt. Herr Kollege Liebich und ich, wir haben Kollege Pronold, wollen auch Sie Ihre Zwischenfrage uns schon oft darüber gestritten. Wer erst 5 000 Wohnun- stellen? Dann kann Frau Vogelsang zusammenhängend gen in einem sozialen Brennpunkt geschlossen an antworten. 21368 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

(A) Florian Pronold (SPD): Jan Mücke (FDP): (C) Ich habe mit großer Überraschung zur Kenntnis ge- Frau Kollegin, können Sie sich erklären, warum die nommen, dass Sie kritisieren, dass Wohnungsbaugesell- Fraktion der SPD so aufgeregt reagiert, wenn es um das schaften an Heuschrecken verkauft werden. Das ist Ihre Thema Wohnungsprivatisierung geht? Position. Sprechen Sie da aber auch für Ihre Fraktion? (Ingo Egloff [SPD]: Wo ist denn hier einer auf- Heißt das, dass nach Ihrer Ansicht die Position der CDU/ geregt?) CSU und der FDP, die immer noch für die steuerliche Förderung von Real Estate Investment Trusts sind und in Immerhin hat sie doch zu der Zeit, als die rot-grüne dieser Wahlperiode diese Förderung sogar verbessert ha- Regierung Verantwortung trug, den Verkauf der Eisen- ben, revidiert werden muss? bahnerwohnungen des Bundes mitgetragen, immerhin 120 000 Wohnungen in Ballungsgebieten. Könnte es sein, dass diese Fraktion deshalb aufgeregt reagiert? Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): (Sören Bartol [SPD]: Wir werden klüger! Ihr Ich möchte zunächst gerne auf die Frage von Herrn werdet nie klüger! Das ist der Unterschied!) Liebich antworten. Herr Kollege, ich habe nicht den Ver- kauf der GSW gemeint, sondern ich habe von dem Ver- Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): kauf von 5 000 Wohneinheiten der STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft gesprochen. Das wissen Sie Herr Kollege, ich nehme bei diversen Vorhaben ein- ganz genau. Diese sind im Norden von Neukölln gele- fach einen Unterschied zwischen Reden und Handeln wahr. Das nehme ich wahr bei den Linken, das nehme gen, in einem sehr schwierigen Bereich. Da verhält sich ich wahr bei der SPD. das eben völlig anders. Sie haben nicht ein einziges Mal die Position der CDU in dieser Frage zur Kenntnis ge- Schauen wir uns einmal den Antrag der SPD zur nommen. Diese hat sich nämlich immer dagegen ge- Wohnraumförderung an – damit möchte ich zum nächs- wehrt, in so großem Umfang städtischen Wohnungsbau- ten Thema in meinem Redebeitrag übergehen – bestand in sozialen Ballungsräumen zu veräußern. Es ist (Florian Pronold [SPD]: So eine schöne Steil- einfach nicht wahr, was Sie sagen. vorlage mit der Frage! Und Sie nehmen sie (Beifall bei der CDU/CSU) nicht an!) – Herr Kollege Pronold! – und hier insbesondere die Herr Pronold, wenn Sie ansprechen, dass ich hier eine achte Forderung – das ist übrigens ein Wunsch, den ich Position gegen den Verkauf von großen Wohnungsbau- für verfassungswidrig halte –, (B) beständen in sozialen Brennpunkten an sogenannte Heu- (D) schrecken eingenommen habe, an diejenige Immobilien- (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ein Wunsch wirtschaft, die nur herauszieht, anstatt den Mieter und ist niemals verfassungswidrig!) den Mieterschutz sowie die langfristige Perspektive im gemäß der die Zweckbindung der Kompensationsmittel Blick zu haben, dann haben Sie sicherlich recht. auch nach 2014 beibehalten werden soll. Dass Sie die (Abg. Florian Pronold [SPD]: Sprechen Sie für Möglichkeit des flexiblen Einsatzes der Gelder durch die Länder ab 2014, die damals unter Federführung eines Fi- Ihre Fraktion? Handeln Sie auch so?) nanzministers der SPD so verhandelt worden ist, nun – Ich bin mir ganz sicher, dass ich hundertprozentige Rü- verhindern und die Zweckbindung auch für die Zukunft ckendeckung meiner Fraktion habe, festschreiben wollen, erklärt sich, glaube ich, dadurch, dass Sie Angst davor haben, dass Sie dann in Nordrhein- (Florian Pronold [SPD]: Sie macht aber das Westfalen vielleicht nicht mehr an der Regierung sind. Gegenteil!) (Ingo Egloff [SPD]: Die Einzigen, die Angst wenn ich mich für vernünftige Belange und einen ver- haben müssen, sind Sie!) nünftigen Schutz von Mieterinnen und Mietern in diesen Deshalb müssen Sie jetzt vielleicht noch einmal Pflöcke Bereichen einsetze. einschlagen. Anders kann ich eine solche Formulierung in Ihrem Antrag nicht verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Was ist mit der steuer- (Florian Pronold [SPD]: Nehmen Sie zur lichen Förderung? Keine Antwort ist auch eine Kenntnis, dass sich die Verhältnisse in den Antwort!) Städten auch ändern und dass wir darauf eine Antwort geben müssen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich möchte zwischendurch noch einen Satz zum An- Frau Kollegin, es gibt noch den Wunsch nach einer trag zum Mietrecht sagen, den Sie gestellt haben. Ein Zwischenfrage des Kollegen Mücke. sehr netter Kollege hat mir gerade etwas in die Hand ge- geben, was ich sehr bedenkenswert finde. Die Bundes- (Florian Pronold [SPD]: Aus einer Mücke ei- vereinigung Spitzenverbände der Immobilienwirtschaft nen Elefanten machen!) – sämtliche Spitzenverbände! –, schreiben in einer Pres- seinformation vom Dienstag zu Ihrem Mietrechtsantrag, Bitte schön. also kurz nach dem Beschluss Ihrer Fraktion – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21369

Stefanie Vogelsang (A) (Sören Bartol [SPD]: Schlecht vorbereitete nun Verfassungsrang. Verfassungsrang hat auch, dass die (C) Rede, Frau Kollegin! Hausaufgaben!) Länder in den Jahren 2014 bis 2019 das Recht haben, im investiven Bereich frei zu entscheiden, wofür sie die ich zitiere einmal –: Mittel ausgeben, ob für Verkehrsprojekte, für sozialen Solche Regelungen würden das Engagement der Wohnraum oder für andere Projekte. Wohnungs- und Immobilienunternehmen, aber auch Laut Ihrem Antrag wollen Sie diese vernünftige Re- der privaten Vermieter, für die energetische Sanie- gelung, nach der man auf die speziellen Erfordernisse rung von Wohnungsbeständen rasch beenden. Diese kleinerer Einheiten, zum Beispiel von Regionen, einge- Pläne sind mehr als kontraproduktiv, wenn wir die hen kann, zurückdrehen. Sie wollen weiter eine breite Klimaschutzziele für den Wohnungsbereich errei- Finanzierung, und Sie wollen die Länder weiter an die chen wollen. Kandare nehmen. Sie deuten damit an, dass wir hier viel Das kommt nicht von Haus und Grund, sondern von al- schlauer seien als unsere Kolleginnen und Kollegen in len Spitzenverbänden der Immobilienwirtschaft. den Landesparlamenten und dass wir viel besser wüss- ten, in welchen Bereichen investive Mittel einzusetzen (Florian Pronold [SPD]: Wollen Sie die Stel- sind und in welchen nicht. lungnahme des Deutschen Mieterbundes nicht auch vorlesen? Für die Ausgewogenheit! Ich (Florian Pronold [SPD]: Nehmen Sie die Zah- hätte sie da! Ich bin auch ein netter Kollege, len aus der Bauwirtschaft, welcher Wohnungs- ich gebe Ihnen auch etwas zum Vorlesen!) bedarf besteht! Dann sagen Sie mir, wie wir das lösen!) – Das hätten Sie ja machen können. – Ich glaube, dass das eine richtige Position ist, und dass es auch richtig ist, Ich glaube, dass das, was wir 2007 gemeinsam be- sich darüber Gedanken zu machen. schlossen und mit Zweidrittelmehrheit in unsere Verfas- sung geschrieben haben, richtig war, nämlich dass in (Beifall bei der CDU/CSU – Florian Pronold Zukunft die Bundesländer für die soziale Wohnraumför- [SPD]: Ich rufe den Boten, dass er Ihnen das derung zuständig sind, dass sie eine Kompensation dafür bringt!) erhalten, dass diese Kompensation langsam ausläuft und – Ich bedaure richtig, dass ich nicht mit Ihnen zusammen dass die Länder in den Jahren vor Auslaufen der Kom- in einem Ausschuss bin, sonst könnten wir dort viel- pensationsmittel frei entscheiden können, wofür sie die leicht Ballspiele machen. Aber jetzt lassen Sie mich bitte Mittel ausgeben. meinen Gedanken in Ruhe zu Ende bringen. Das Bundesfinanzministerium verhandelt derzeit mit (B) Wieder zurück zu Ihrem Antrag zur Wohnraumförde- den Bundesländern ob der Ausgestaltung. Ab 2014 ha- (D) rung: Wir – Bund, Länder, Landesregierungen, Landes- ben die neuen Verträge und Vereinbarungen zu gelten. parlamente, Bundestag und Bundesregierung – haben Ich bin sicher, dass es unserem Finanzministerium gelin- uns in den Jahren 2006/07 gemeinsam intensiv darüber gen wird, mit den Ländern zu einer vernünftigen Eini- Gedanken gemacht, wie wir die unterschiedlichen Auf- gung zu kommen. Ich glaube, dass der Weg, den wir da- gabenstellungen mals eingeschlagen haben, der richtige ist. Lassen Sie uns dabei bleiben. (Unruhe bei der SPD) Danke schön. – es wäre nett, wenn Sie mir jetzt auch zuhören könn- ten! – in den Ländern und im Bund so regeln können, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dass sich die Aufgabenbereiche nicht überlappen und wir uns gegenseitig nicht beharken, wodurch sich Ver- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: fahrensabläufe ja verlängern. Deshalb haben wir klare Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt Zuständigkeiten festgelegt. Wir haben in der Großen Ko- erteile ich Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSU-Frak- alition mit breiter Unterstützung der Länder – das ist mit tion das Wort. einer Zweidrittelmehrheit hier in diesem Haus verab- schiedet worden – die soziale Wohnraumförderung, da (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – gerade in diesem Bereich die Situation in der großen Florian Pronold [SPD]: Für wen sprichst du Bundesrepublik so unterschiedlich ist – das heißt, es denn heute: für dich selber oder für andere? – macht einen großen Unterschied, ob Wohnungsbauför- Sören Bartol [SPD]: Hat er wieder eine abwei- derung in München, Berlin, Osnabrück, Vechta, Fulda chende Meinung?) oder Bad Oeynhausen betrieben wird –, ganz klar in die Verantwortung der Länder übertragen. Diese Übertra- Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): gung der Verantwortung sollte aber nicht sofort zu Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und 100 Prozent erfolgen, sondern wir haben beschlossen, Herren! Liebe Kollegen! Ich bin meiner Kollegin sie zu flankieren. Deswegen haben wir einen Zeitraum Stefanie Vogelsang dankbar, dass sie für die Zuschauer festgelegt, in dem der Bund die Wohnungsbauförderung und Zuhörer an den Fernsehbildschirmen und auf der weiterhin finanziert: Bis Ende 2013 investiert er knapp Tribüne schon deutlich gemacht hat, dass wir hier zwei 520 Millionen Euro in diesen Bereich. Außerdem haben Anträge von der SPD vorliegen haben und der Hauptan- wir beschlossen, die Mittel bis 2014 genau zu überprü- trag offenbar der ist, der sich mit den Themen Mietrecht fen und sie im Jahre 2019 auslaufen zu lassen. Das hat und Sanierung beschäftigt. Der zweite Antrag handelt 21370 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Klaus-Peter Willsch (A) bloß davon, woher das Geld kommt, mit dem sozialer dem eingesparten Geld hat es Kasse gemacht. Seine Ver- (C) Wohnungsbau gefördert werden soll. pflichtung, einen Kofinanzierungsanteil zu leisten, hat es dagegen stillschweigend einschlafen lassen. Nun ist hier, wie bei vielen anderen Punkten auch, zu beobachten, dass die SPD zwar im Rahmen der Födera- Das legt den Eindruck nahe, dass die Dringlichkeit, lismusreform mit uns gemeinsam das Ziel verfolgt hat, diesen Anteil zu erbringen, bei den Ländern – sie sind Mischfinanzierungen aufzulösen. Es gibt ja einen guten nach übereinstimmender Auffassung der Länder wie des Grund, so etwas abzuschaffen. Es kommt nämlich darauf Bundes besser geeignet, diese Verantwortung wahrzu- an, dass politische Ergebnisse auch politisch zuordenbar nehmen – nicht mehr gesehen wird; sonst würde man sind, dass der Bürger weiß, welche Ebene für was zu- nicht das Geld, das man früher klaglos als Kofinanzie- ständig ist, und dementsprechend seine Wahlentschei- rungsmittel eingesetzt hat, plötzlich nicht mehr einset- dung rational treffen kann. Deshalb wollten wir eine Re- zen. form des Grundgesetzes und haben im Zuge dessen Mischfinanzierungstatbestände abgeschafft. Legen Sie also den Antrag, den Sie hier gestellt ha- ben, am besten zur Seite oder ziehen Sie ihn zurück; Jetzt wird das Ganze ernst, auch wenn es eigentlich denn alles, was Sie begehren, ist auf dem Weg. noch nicht so furchtbar ernst ist. Es ist vereinbart, dass das seither gemeinsam Finanzierte zukünftig allein den (Florian Pronold [SPD]: Wenn das so ist, dass Ländern übertragen wird. Sie erhalten die Gesetzge- es auf dem Weg ist, dann beschließen wir es bungskompetenz, aber eben auch die Finanzierungskom- halt! Das ist die Logik hier!) petenz. Da man so etwas aber nicht über Nacht machen Die Bundesländer, die näher am Geschehen sind, be- kann, ist auch vereinbart worden, dass bis zum Jahre kommen nun eine Aufgabe übertragen, die früher in 2013 ein fester Betrag, spartengenau für Hochschulbau, einer undurchschaubaren Mischfinanzierung erledigt sozialen Wohnungsbau, ÖPNV usw., an die Länder wurde. Das hat etwas mit subsidiärem Staatsaufbau zu gegeben wird, dieser dann überprüft und, als Zwischen- tun. Mehrere Redner anderer Fraktionen haben schon stufe bis zur vollständigen Übertragung der Zuständig- angesprochen, dass es natürlich klug ist, eine Aufgabe keit an die Länder, durch einen Investitionspauschalbe- vor Ort zu lösen und ihre Lösung nicht der zentralen trag abgelöst wird, den die Länder einsetzen können, wie Ebene aufzuerlegen. sie wollen. Die Gespräche über Angemessenheit und einen Genau auf diesem Weg sind wir. Daher gibt es über- zweckgemäßen Einsatz der Mittel laufen gegenwärtig haupt keinen Grund, hektisch und aufgeregt Anträge zu beim BMF. Wir haben Zeit bis 2013, sie zu Ende zu brin- stellen. Es ist nämlich alles klar: Den Ländern wird Jahr gen. Es besteht also überhaupt kein Grund, hektisch zu für Jahr gut eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung ge- (B) werden und mit den Hufen zu scharren; vielmehr kann (D) stellt, um diese Aufgabe zu bewältigen, eine Aufgabe, die Sache in aller Ruhe im Miteinander zwischen der die sie einvernehmlich mit übernommen haben. Das Bundesebene und den Bundesländern abgearbeitet und Ganze ist ja kein einseitiger Prozess seitens des Bundes- erledigt werden. tages gewesen, sondern es gab ein Einvernehmen zwi- schen den Bundesländern und dem Zentralstaat Bundes- Es geht hier schlicht um Geld. Die, die die Zuständig- republik Deutschland. keit haben, wollen nicht für die Kosten geradestehen; da soll wieder einmal der Bund herhalten. Das ist in ande- Die Gespräche darüber, ob die Höhe des Betrags an- ren Fällen genauso. Unzuständigerweise haben wir, der gemessen ist, werden gegenwärtig geführt. Es spricht auf Bund, in den letzten Jahren für die Länder und die Kom- jeden Fall einiges dafür, den Umfang dieses Betrags ab- munen viel gegeben. Ich erinnere nur an die Betreuung zuschmelzen; das sage ich zumindest als Haushälter. Die von unter Dreijährigen. Wir, der Bund, haben hierfür un- Finanzierung durch Dritte ist ja oft ein süßes Gift. So gilt zuständigerweise 4 Milliarden Euro zur Verfügung ge- es, diese Finanzierung möglichst schonend abzuschmel- stellt, zen. Dergleichen war schon immer ein kluges Vorgehen und daran führt kein Weg vorbei; das haben Sie offenbar (Florian Pronold [SPD]: War das verkehrt?) erkannt. Die Länder haben in Zukunft die Verantwor- und dennoch hören wir ständig: Es müsste noch mehr tung; sie wollen sie aber nicht tragen. Anders kann ich geben; das ist zu wenig gewesen. Verantwortung vor Ort mir die Inhalte der Anträge, die Sie hier auf den Tisch le- wahrzunehmen, heißt, sich dieser Verantwortung ganz gen, nicht erklären. zu stellen. Wenn man schon Hilfe bekommt, dann muss Die Diskussion ist im Gange. Der Bundesfinanz- man sie auch sinnvoll und zweckmäßig einsetzen. minister spricht mit den Ländern darüber, wie das Geld (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – verwendet wird. Wenn man sich die Zahlen anschaut, Florian Pronold [SPD]: Wissen Sie, die Men- dann erkennt man, dass sehr viel dafürspricht, dass das, schen unterscheiden nicht zwischen den Ebe- was heute gewährt wird, vollkommen ausreichend ist. nen! Sie wollen die Probleme gelöst kriegen!) Wahrscheinlich ist es im Zweifelsfall sogar etwas zu hoch. Früher war es so, dass der Bund soziale Woh- – Herr Pronold, Sie haben gerade gesagt, die Menschen nungsprojekte gefördert hat und die Länder ihren Anteil unterschieden nicht zwischen den Ebenen. Wenn es so kofinanzieren mussten. Das heißt, sie mussten eine be- wäre, hätten wir uns Dinge wie die Föderalismusreform stimmte Quote erfüllen. Leider müssen wir beobachten, natürlich sparen können. Wenn Sie damit überfordert dass viele Länder das inzwischen nicht mehr tun. Berlin sind, den Menschen zu erklären, wer wofür zuständig ist, hat Wohnungsraumdarlehen und anderes abgelöst. Mit biete ich Ihnen gerne meine Hilfe an. Ich bringe es eini- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21371

Klaus-Peter Willsch (A) germaßen flüssig fertig, die Zusammenhänge darzustel- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (C) len. Drucksache 17/9559 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Ich will aber keine billige Polemik produzieren, son- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung dern auf die Absicht, die uns bei der Föderalismusreform so beschlossen. gemeinsam geleitet hat, zu sprechen kommen. Gerade wegen der Mischtatbestände haben wir gesagt: Um Die Vorlage auf Drucksache 17/9425 soll ebenfalls an Wahlentscheidungen rational treffen zu können, müssen die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse über- die Menschen erkennen können, welche Politikebene für wiesen werden. Die Federführung ist jedoch strittig. Die welche Politik zuständig ist. Dieser Weg ist nach wie vor Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen Feder- richtig. Deshalb büxen Sie da bitte nicht aus, sondern ge- führung beim Haushaltsausschuss; die SPD-Fraktion hen Sie diesen Weg gemeinsam mit uns weiter, und zwar wünscht Federführung beim Ausschuss für Verkehr, Bau in dem Sinne, in dem wir gemeinsam das Grundgesetz und Stadtentwicklung. an diesem Punkt geändert haben. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und vorschlag der SPD, also Federführung beim Ausschuss der FDP) für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Wer stimmt für Ich bin ja durch die haushaltspolitische Zuständigkeit diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dage- zu dieser Debatte hier gekommen. Ich muss zugeben: gen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist Ich bin nicht häufig bei wohnungswirtschaftlichen oder mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen mietrechtlichen Debatten; die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen abgelehnt. (Caren Marks [SPD]: Das merkt man!) Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- schlag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP: Feder- ich bin ja Ökonom und kein Jurist. Ich will nur noch führung beim Haushaltsausschuss. Wer stimmt für die- zwei Appelle loswerden, und zwar an die gesamte Fach- sen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – politikerschaft; das hat auch etwas mit örtlicher Kenntnis Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit zu tun. dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenom- Erstens. Vergessen Sie bei allen mietrechtlichen Re- men. gelungen nicht, dass die 60 Prozent an Mietraum, die privat zur Verfügung gestellt werden, existenziell not- Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 31 auf: wendig sind für unser Land und dass wir einen ordentli- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- chen Ausgleich zwischen Mieter- und Vermieterrechten richts des Ausschusses für Familie, Senioren, (B) hinbekommen müssen, um die Investitionsbereitschaft Frauen und Jugend (13. Ausschuss) (D) nicht zu beeinträchtigen. – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee (Florian Pronold [SPD]: Da haben Sie recht!) Bär, Markus Grübel, Erwin Rüddel, weiterer Der zweite Appell betrifft die energetische Sanierung. Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Bei mir im Wahlkreis, im Rheingau-Taunus-Kreis, ist es sowie der Abgeordneten Miriam Gruß, Nicole anders als bei Ihnen in München. Wenn ich durch Ho- Bracht-Bendt, Florian Bernschneider, weiterer henstein oder die Dörfer meiner Heimat gehe, kann ich Abgeordneter und der Fraktion der FDP genau sagen, wie die Oma heißt, die dort in der großen Hofreite mit 1 000 Quadratmetern wohnt, wie alt sie ist Altersbilder positiv fortentwickeln – Poten- und wo die Kinder in neuen Wohnungen leben. An die ziale des Alters nutzen müssen wir auch denken, wenn wir energetische Sanie- – zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Crone, rungen verpflichtend machen wollen. Es darf nicht sein, Angelika Graf (Rosenheim), Petra Ernstberger, dass die Oma dann aus ihrem Häuschen vertrieben wird, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der weil sie sich das nicht mehr leisten kann. SPD (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Florian Pronold [SPD]) Potenziale des Alters und des Alterns stär- ken – Die Teilhabe der älteren Generation In dem Sinne ein Appell an die Fachpolitik! durch bürgerschaftliches Engagement und „Präsident“ blinkt mich hier freundlich an; die Zeit ist Bildung fördern auf null. – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- Zum Schluss also: Wir können für die Anträge nicht rung die Hand reichen. Das ist Unfug, wie ich deutlich ge- Sechster Bericht zur Lage der älteren Gene- macht habe. ration in der Bundesrepublik Deutschland – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Altersbilder in der Gesellschaft und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stellungnahme der Bundesregierung Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: – Drucksachen 17/8345, 17/2145, 17/3815, Ich schließe die Aussprache. 17/9504 – 21372 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Berichterstattung: Ziel, in der seniorenpolitischen Fachöffentlichkeit, aber (C) Abgeordnete Markus Grübel auch darüber hinaus, eine Diskussion und Reflexion Petra Crone über Altersbilder anzuregen. Nicole Bracht-Bendt Heidrun Dittrich Wir beantragen in unserem Koalitionsantrag, beste- Tabea Rößner hende Altersgrenzen in allen Lebensbereichen zu über- prüfen, insbesondere eine Flexibilisierung des Eintritts Zu dem Bericht zur Lage der älteren Generation liegt in den Ruhestand. Altersdiskriminierung ist zu vermei- ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. den. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die In unseren Gesetzen haben wir rund 400 Altersgren- Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei- zen. Sie sind häufig von einem besonderen Schutzgedan- nen Widerspruch. Dann haben wir das so beschlossen. ken und von der Annahme der eingeschränkten Leis- Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen tungsfähigkeit geprägt, und zwar häufig, ohne dass man Markus Grübel für die CDU/CSU das Wort. Bitte schön. es widerlegen kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Nach deutschem Recht kann man mit über 70 Jahren neten der FDP) kein Schöffe mehr sein. Bundespräsident kann man aber in diesem Alter werden. Joachim Gauck hat mit 72 Jah- ren noch einmal eine große Verantwortung übernom- Markus Grübel (CDU/CSU): men. Sie, Herr Franz Müntefering, könnten noch einmal Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! SPD-Vorsitzender werden; aber Schöffe dürften Sie Alt macht nicht das Grau der Haare, alt macht nicht nicht mehr werden. Konrad Adenauer, der uns allen be- die Zahl der Jahre, alt ist, wer den Humor verliert kannt ist, hat Deutschland Freiheit und Wohlstand ge- und sich für nichts mehr interessiert. bracht. Er hat geradezu visionär die Weichen für ein ge- eintes Europa gestellt und den Grundstein für die (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: deutsche Einheit gelegt; aber Schöffe hätte er nicht mehr Und wie alt sind Sie?) werden dürfen. Hier wollen wir etwas ändern. – Das können Sie nachlesen. – Gotthold Ephraim Bestimmte Versicherungen kann man in Deutschland Lessing zeichnet hier ein interessantes Bild vom Alter. ab dem 65. Lebensjahr gar nicht oder nur unter unattrak- Nicht die Äußerlichkeiten sind entscheidend, nicht das tiven Bedingungen abschließen. Datum in der Geburtsurkunde ist entscheidend, sondern die Einstellung, die jemand hat. (B) Die Altersgrenzen im Recht und in der Rechtspraxis (D) (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: bedürfen einer grundlegenden Revision. Das gilt auch Genau! Sage ich ja!) für die Sicht des Alters in der Arbeitswelt. „Ich wünsche mir, dass jene, die es wollen, länger im Beruf bleiben Jeder kennt mit Sicherheit einen 25-Jährigen, der ihm äl- können“, sagte Bundespräsident Gauck beim Deutschen ter vorkommt als ein 75-Jähriger, der vor Tatendrang nur Seniorentag. Ich kann dem nur zustimmen. Wer körper- so sprüht. lich oder geistig fit ist, soll länger arbeiten können, wenn er dies will. Der Staat und die Tarifpartner sollten dies Je nachdem, welches Altersbild wir im Kopf haben, nicht erschweren oder gar verhindern. Eine Umfrage von werden wir uns auch verhalten. Gerade für uns in der Generali zum Thema Lebensarbeitszeit hat ergeben: Politik, aber auch in der Wirtschaft, in den Medien, in 54 Prozent der 65- bis 75-Jährigen hätten ihren Beruf der Gesellschaft ist es wichtig, richtige Altersbilder zu gern länger ausgeübt. Das ist eine interessante Erkennt- haben, um dann richtig entscheiden zu können. nis, der wir uns nicht verschließen sollten. Darum war es gut und richtig, dass sich der Sechste Altenbericht mit den Altersbildern beschäftigt. Eine der Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben schon zentralen Botschaften des Berichts ist: Altersbilder nei- vielfältige Maßnahmen ergriffen. Ich nenne hier nur ei- gen zur Einseitigkeit und zur Vereinfachung und geben nige stichwortartig. deshalb die Vielfalt des Alters nicht angemessen wieder. Das Programm „Altersgerecht umbauen“: 62 000 Weder hat das Älterwerden nur allgemein positive Seiten Wohnungen wurden mit dem Konjunkturprogramm I al- noch nur negative Seiten. Der Sechste Altenbericht zeigt tersgerecht saniert. Dieses Programm wird als Eigenpro- ein differenziertes Bild vom Alter. Betont werden die gramm der KfW in Form eines Darlehens fortgesetzt. Gleichzeitigkeit von Potenzialen, die Verletzlichkeit von Entwicklung, die Endlichkeit von Aktivität und die Wir haben das Programm „Freiwilligendienste aller Grenzerfahrung. Wenn wir an die Älteren in unseren Fa- Generationen“. Wir werden uns in Kürze darüber unter- milien denken, dann haben wir mit Sicherheit auch diese halten, wie wir das Format dieses erfolgreichen Dienstes verschiedenen Bilder im Kopf. fortsetzen können. Der Sechste Altenbericht nimmt Themen des Vierten Wir haben das Aktionsprogramm „Mehrgeneratio- Altenberichts – Risiken der Hochaltrigkeit unter Berück- nenhäuser II“: Hier kommen die Generationen zusam- sichtigung demenzieller Erkrankungen – und des Fünf- men. Die Älteren können zum Beispiel jüngeren Fami- ten Altenberichts – Potenziale des Alters – auf und setzt lien helfen. Es gibt aber auch Angebote für demenziell sie zueinander in Bezug. Der Bericht hatte auch zum Erkrankte. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21373

Markus Grübel (A) Wir haben den Bundesfreiwilligendienst für alle Al- Deshalb wundere ich mich sehr, dass die schwarz- (C) tersstufen geöffnet und für die über 27-Jährigen ein gu- gelbe Bundesregierung in dem neu vorgelegten Demo- tes Format gefunden. grafiebericht nicht ein Wort zum Thema Altersdiskrimi- nierung verliert. Nicht eine Silbe! Das ist wirklich traurig, Viele dieser Punkt werden auch in der neuen Demo- aber auch ein Armutszeugnis für diese Bundesregierung. grafiestrategie der Bundesregierung aufgegriffen. Kapi- tel C trägt die Überschrift: „Selbstbestimmtes Leben im (Beifall bei der SPD) Alter“. Ziele sind: Selbstbestimmtes Leben, Aktivitäten Die Medien, aber auch manche Politikerinnen und im Alter fördern und das Leitbild der sorgenden Ge- Politiker – ich denke da zum Beispiel an Herrn meinschaft etablieren. Mißfelder – beschwören oft einen Generationenkonflikt, Das Thema sorgende Gemeinschaft oder Caring (Markus Grübel [CDU/CSU]: Im Gegenteil!) Community wurde auch in der Anhörung der Sachver- ständigen wiederholt genannt. Caring Community indem sie die zunehmende Zahl der älteren Menschen umfasst eine Reihe unterschiedlicher Felder wie die als demografisches Problem beschreiben. Die Alten ver- Stadtplanung, die kommunale Infrastruktur, den Einzel- sus die Jungen – dieses Bild entspricht aber nicht der handel, die medizinische Versorgung, die pflegerische Realität; denn der Zusammenhalt zwischen den Genera- Versorgung, bürgerschaftliches Engagement, Wohnfor- tionen in unserer Gesellschaft ist enorm groß. Jede und men, Nachbarschaftshilfe und vieles mehr. Es ist ein Zu- jeder von uns kennt sicherlich zahlreiche Beispiele dafür kunftsthema der Seniorenpolitik, das sowohl die Rolle im Familien- oder Freundeskreis. der Altersbilder als auch der Alterspotenziale themati- Auch das Bild von älteren Menschen in der Arbeits- siert. Wichtig ist mir, die Vielzahl dieser Themen aus ei- welt ist oft verzerrt. Es heißt: Ältere Menschen sind ner kommunalen Perspektive zu betrachten. Dort beste- nicht so stark belastbar. Oder: Jüngere sind leistungsfä- hen die Probleme, und dort müssen sie auch gelöst higer. Das hört man häufig hinter vorgehaltener Hand. In werden. Ich werbe dafür, dass das Thema der sorgenden manchen Branchen gelten Menschen jenseits der 40 so- Gemeinschaft, der Caring Community, Thema des Sieb- gar schon als nicht mehr vermittelbar. Das ist wirklich ten Altenberichts wird und so auf die politische Agenda ein Skandal und darf nicht hingenommen werden; ich kommt. denke, hierüber besteht Einigkeit im Parlament. Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin am Ende Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Diskriminie- meiner Redezeit, aber wir sind noch lange nicht am Ende rung darf nicht sein, erst recht nicht in Zeiten, in denen mit unserer Generationenpolitik. Dieser Herausforde- Unternehmen einen Fachkräftemangel beklagen. Hier rung stellen wir uns. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit muss sich ein realistisches, ein differenziertes Altersbild (B) (D) den Erkenntnissen des Sechsten Altenberichts, der De- durchsetzen, bei dem die Potenziale und die Erfahrungen mografiestrategie und der Engagementstrategie der Bun- älterer Menschen im Mittelpunkt stehen. Daher finde ich desregierung auch hier ein Stück weiterkommen. die Kampagne der Antidiskriminierungsstelle des Bun- Herzlichen Dank. des gegen Altersdiskriminierung enorm wichtig. Bei die- ser Kampagne steht das Allgemeine Gleichbehandlungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gesetz, für das die SPD damals erfolgreich gekämpft hat, im Vordergrund. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der SPD) Caren Marks hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. Allen Unkenrufen vor allem von Union und FDP zum (Beifall bei der SPD) Trotz: Unsere Gesellschaft braucht eine starke, eine selbstbewusste Antidiskriminierungspolitik. Caren Marks (SPD): (Beifall bei der SPD) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer Es ist eben nicht selbstverständlich, dass Arbeitgeber bei kennt sie nicht, die versteckten oder offenen Botschaften Bewerberinnen und Bewerbern vor allem auf die Quali- im Alltag, die sehr deutlich machen, dass ältere Men- fikation und nicht aufs Alter schauen. Es ist nicht selbst- schen angeblich zum alten Eisen gehören oder gar ein verständlich, dass Arbeitgeber gezielt Beschäftigte fort- Problem darstellen. In der Presse gibt es Überschriften und weiterbilden, dass sie Belastungen am Arbeitsplatz wie „Unsere Gesellschaft ist überaltert“, „Deutsche Be- frühzeitig erkennen und den Gesundheitsschutz stärken. völkerung schrumpft und altert dramatisch“ oder „Al- Es ist auch nicht selbstverständlich, dass Arbeitgeber terspyramide kippt – Viele Alte, wenig Steuern“. Zum den Erfolg von altersgemischten Teams sowie die Erfah- Glück liest man heutzutage kaum noch in Stellenanzei- rung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als gen: Suche Mitarbeiter zwischen 25 und 45 Jahren. unschätzbaren Wert anerkennen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat eine Der Sechste Altenbericht mahnt daher zu Recht eine Umfrage veröffentlicht, wonach 42 Prozent der Befrag- neue Kultur des Alters an. Dafür müssen wir alle ge- ten dem Satz zustimmten: Ab 45 bekommt man heutzu- meinsam eintreten. Auch hier sehe ich vor allem die tage praktisch keinen Job mehr. 42 Prozent – das ist fast Bundesregierung in der Verantwortung. Aber ich frage jeder bzw. jede Zweite. Hier wird deutlich: Ältere Men- mich: Wo bleibt das Engagement der schwarz-gelben schen erleben häufig Diskriminierungen. Koalition? Wie geht die zuständige Bundesseniorenmi- 21374 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Caren Marks (A) nisterin aktiv gegen Diskriminierung im Alter vor? Wo rerseits traut die Gesellschaft Älteren häufig gar nichts (C) kämpft sie Seite an Seite mit der Arbeitsministerin für mehr zu. eine altersgerechte und faire Arbeitswelt? Wo bleibt Frau Schröders Engagement für eine umfassende Prä- Beim Seniorentag letzte Woche in Hamburg wurde ventionsstrategie und ein Präventionsgesetz, das die Ge- deutlich, dass der Sechste Altenbericht der Bundesregie- sundheitsförderung im Alltag der Menschen stärkt? Weit rung die Gemüter bewegt. Die Thematik Altersbilder und breit nichts in Sicht. legt den Finger in eine klaffende Wunde der Gesell- schaft. „Ja zum Alter“ war der Titel des 10. Deutschen (Beifall bei der SPD) Seniorentags und der Hamburger Erklärung, die die Es ist sogar noch schlimmer. Als Frau von der Leyen Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, letztes Jahr im Zuge der Arbeitsmarktpolitik sinnvolle die BAGSO, und ihre 110 Mitgliedsorganisationen zum Maßnahmen für Ältere zusammengestrichen hat, schaute Abschluss verabschiedet haben. 20 000 engagierte Teil- die Seniorenministerin tatenlos und schweigend zu. nehmerinnen und Teilnehmer haben sich in Hamburg Auch als Kabinettskollege Ramsauer das Programm versammelt und deutlich gezeigt: Wir leben in einer star- „Altersgerecht Umbauen“ zusammenstrich, habe ich von ken Gesellschaft mit starken, engagierten Verbänden. – Ihnen, Frau Schröder, keinen Einspruch gehört. Die Se- Dafür möchte ich an dieser Stelle deutlich Danke sagen. niorenministerin hat sich wiederholt nicht für die Ziel- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gruppe, die sie eigentlich vertreten sollte, eingesetzt. „Nicht meine Ministerin“ – das Motto der empörten Politik lebt von diesem wichtigen Austausch mit den Frauen gegen die Gleichstellungspolitik von Frau Bürgern. Mich hat es persönlich gefreut, dass in vielen Schröder passt gut zu ihrer Seniorenpolitik. Vorträgen und Diskussionsforen Thesen vertreten wur- den, die die Koalition bereits im Antrag „Altersbilder (Beifall bei Abgeordneten der SPD) positiv fortentwickeln – Potenziale des Alters nutzen“ Wir brauchen eine umfassende Strategie, damit wir aufgegriffen hat. Das gewählte Motto „Ja zum Alter“ den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und die heißt Ja zu einem möglichst gesunden Älterwerden, es Wertschätzung älterer Menschen fördern können. Wir, ist aber auch ein entscheidendes Ja zur Akzeptanz des ei- die SPD-Bundestagsfraktion, haben dazu Vorschläge er- genen Alters, und vor allen Dingen ist es ein deutliches arbeitet, denen Sie sich gerne anschließen können. Nein zu allen Formen der Diskriminierung. Damit schließt sich der Kreis zum Sechsten Altenbericht; denn Herzlichen Dank. durch ihn wird deutlich, dass die dominierenden Alters- (Beifall bei der SPD) bilder in zentralen Bereichen der Gesellschaft, etwa in (B) der Arbeitswelt, in der Bildung, der Wirtschaft, der Poli- (D) tik, beim freiwilligen Engagement oder in der medizini- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schen und pflegerischen Versorgung, der Vielfalt des Al- Die Kollegin Nicole Bracht-Bendt hat jetzt das Wort tersbilds häufig nicht gerecht werden. Es gibt eben nicht für die FDP-Fraktion. die eine Altersform, sondern es gibt viele individuelle (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Formen des Alters. Die Diskussion über Altersbilder in Zeiten des demografischen Wandels muss in den Köpfen und Herzen der Menschen ankommen. Wir müssen uns Nicole Bracht-Bendt (FDP): auch selbst fragen: Wie wollen wir im Alter leben und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! behandelt werden? Seit im Jahr 1991 unter einer christlich-liberalen Bun- desregierung das erste Seniorenministerium in Europa Nun kann man positive Altersbilder nicht verordnen gegründet wurde, hat sich viel getan – positiv wie nega- oder verschreiben. Sie entwickeln sich in den Köpfen tiv. In Deutschland wurde sehr früh erkannt, welche ge- der Menschen, und zwar in einem weitgehend unbe- waltigen Umwälzungen uns durch den demografischen wussten Prozess. Je mehr positive Beispiele ich von älte- Wandel, aber auch durch eine Gesellschaft des längeren ren Menschen sehe, desto mehr ändert sich mein Bild Lebens bevorstehen. Frau Professor Lehr ist in diesem vom Alter. Es ist ein wichtiger Schritt, alle Altersgren- Zusammenhang viel zu verdanken; denn sie hat die Al- zen kritisch zu hinterfragen; denn sie prägen unser Al- tenberichte der Bundesregierung ins Leben gerufen und tersbild ganz besonders. Ich bin überzeugt: Fast alle kön- somit in Deutschland sehr früh eine wissenschaftliche, nen weg. aber auch eine gesellschaftliche Diskussion über das Al- ter und das Altern angestoßen. Wir haben einen Bundespräsidenten – das wurde schon angesprochen –, der 72 Jahre alt ist, was ich aus- Trotz dieser frühen Erkenntnis wurden teilweise ver- gesprochen positiv finde. Bundespräsident darf er wer- heerende Fehlentscheidungen getroffen. Für den Bereich den, nach vielen Gemeindeordnungen aber nicht Bürger- der Arbeitswelt möchte ich die Beispiele Frühverrentung meister – zu alt. Ich meine, das ist völlig absurd. und den falschen Hang zum Jugendzentrismus bei Neu- einstellungen hervorheben. Der so wichtige Punkt der Der Bundestag hat mit breiter Zustimmung beschlos- Erfahrung spielte häufig keine Rolle mehr. Das Bild, das sen – auch die SPD hat zugestimmt –, das Rentenein- die Gesellschaft vom Alter hat, war teilweise negativ. Ei- trittsalter bis zum Jahr 2030 schrittweise auf 67 Jahre zu nerseits waren Ältere in ihrem jeweiligen Lebensalter erhöhen, was auch für die Mitarbeiter der Berufsfeuer- noch nie so fit und leistungsfähig wie heutzutage, ande- wehren gilt. Als Angehöriger der Freiwilligen Feuer- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21375

Nicole Bracht-Bendt (A) wehr müssen Sie in einigen Bundesländern mit 65 Jah- Großbanken im Euro-Raum vorsieht, erzwingt einen (C) ren ausscheiden. Auch das ist völlig absurd. Abbau des Sozialstaats. Das lehnt die Linke ab. Vielleicht ist es ja bereits eine Folge des Altenberichts (Zuruf der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/ und unserer Diskussion darüber, dass ältere Menschen CSU]) nicht mehr ausschließlich in Werbespots für Haftpulver Im Sechsten Altenbericht der Bundesregierung geht für dritte Zähne zu sehen sind. es um Altersbilder. In Wirklichkeit sind diese Altersbil- Eine gewichtige Rolle für die Entwicklung positiver der umkämpft; denn es gibt verschiedene Ältere: arme und realistischer Altersbilder spielt das Ehrenamt. Der und reiche. Der Daimler-Chef Dieter Zetsche erhält neue Bundesfreiwilligendienst ist ein hervorragendes 29,6 Millionen Euro als Gesamtrente. Er hat einen Ver- Beispiel, wie bürgerschaftliches Engagement von älteren trag ausgehandelt, nachdem er bereits mit 60 Jahren in Generationen gelebt wird. Gerade die Nachfrage der Äl- Rente gehen kann. Ein anderer Topverdiener, der Deut- teren übertrifft alle Erwartungen. Bürgerschaftliches En- sche-Post-Chef Frank Appel, kann sogar mit 55 Jahren gagement mildert einerseits die Folgen des demografi- in Rente gehen. Seine Rentenzusage liegt bei insgesamt schen Wandels und bietet andererseits Raum für neue 7,2 Millionen Euro. Nachlesen können Sie das in einem Aktivitäten. Es gilt, älteren Menschen bezogen auf Artikel vom 22. April dieses Jahres auf Spiegel Online. Selbst- und Mitverantwortung in der Gesellschaft neue Warum können die Superreichen mit 55 Jahren in Rente Wege zu ebnen. gehen und die Beschäftigten nicht? Die Koalition will aber nicht nur für die Stärken und (Beifall bei der LINKEN) Potenziale des Alters sensibilisieren. Das Alter konfron- Dass ein früherer Renteneintritt möglich wäre, zeigt tiert uns auch mit Grenzen. Dem haben wir uns in der sich in Frankreich. Der neu gewählte Präsident Hollande Koalition angenommen, indem wir die Familienpflege- von der sozialistischen Partei erklärte, dass er das Ren- zeit auf den Weg gebracht haben. Auch unser Gesund- teneintrittsalter von 62 Jahren wieder auf 60 Jahre sen- heitsminister, , hat einen ersten großen ken werde. Schritt gewagt, indem er Leistungen der Pflegeversiche- rung endlich auch für Demenzerkrankte zugänglich ge- ( [CDU/CSU]: Noch ist es aber macht hat. Hierauf haben viele Menschen lange gewar- nicht so weit! – Markus Grübel [CDU/CSU]: tet. Darum sind die so erfolgreich bei der Arbeits- losigkeitsbekämpfung und bei der Haushalts- Eine alternde Gesellschaft muss sicherstellen, dass sanierung!) dem Einzelnen in jeder Phase des Lebens eine soziale (B) Teilhabe möglich ist. Ein selbstbestimmtes Leben muss Das fordert auch die Linke in ihrem Parteiprogramm. (D) auch im Alter oberstes Ziel sein. Das setzt Barrierefrei- Auf dem 10. Deutschen Seniorentag sagte die Senio- heit im privaten und öffentlichen Bereich und den ver- renministerin, Frau Schröder: Hurra, wir werden alt! stärkten Einsatz technischer Assistenzsysteme voraus. Der Ausbau seniorengerechten Wohnraums ist insofern (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Recht hat sie!) eine zentrale Zukunftsaufgabe. Aber Barrierefreiheit darf nicht an der Wohnungstür enden. Hier sind die Sie nennt als Beispiele für die Vielfalt im Alter den Kommunen besonders in der Pflicht. Großvater im Rollstuhl und die Großmutter auf Roll- schuhen. Das sagt leider nichts über die finanzielle Lage Das Europäische Jahr für aktives Altern und Solidari- dieser älteren Dame und des älteren Herrn aus. tät zwischen den Generationen wird die Koalition nut- zen, um die berechtigten Anliegen der älteren Genera- Der Bundespräsident verkündete am selben Tag am tion voranzubringen. In unserem Antrag skizzieren wir selben Ort, dass wir für die geschenkten Jahre, die wir hierzu einen Weg. länger leben, dankbar sein dürfen. Ich frage Sie: Wem gehört die freie Zeit, den Älteren oder der Wirtschaft? Ganz herzlichen Dank. Warum sollen die Beschäftigten dankbar sein? Sie haben diesen Staat schließlich aufgebaut. Die arbeitende Be- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) völkerung hat in die gesetzliche Krankenkasse und in die Rentenversicherung eingezahlt. Dadurch wurde eine Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Gesundheitsvorsorge möglich, durch die die Menschen Jetzt spricht Heidrun Dittrich für die Fraktion Die länger leben können. Leider wird sie seit Jahren ver- Linke. teuert. Ich erinnere an die unsägliche Praxisgebühr von 10 Euro, die gerade Geringverdiener von notwendigen (Beifall bei der LINKEN) Arztbesuchen abhält. Die Linke hat vor zwei Wochen im Bundestag beantragt, die Praxisgebühr abzuschaffen. Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Leider wurde das hier mit Mehrheit abgelehnt. Aber das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen interessiert Senioren wirklich. und Herren! Hören Sie auf, über Demografie zu reden. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: For- Das lenkt von den wirklichen Problemen ab. Die Tatsa- dern Sie Mindestlohn für Senioren?) che, dass es mehr ältere Menschen gibt, erzwingt keinen Sozialabbau, sondern Ihre Regierungspolitik, die Steuer- Der Sechste Altenbericht hat nicht den Auftrag, die senkungen für die Reichen und Geldgeschenke an die soziale Ungleichheit zwischen Arm und Reich, zwischen 21376 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Heidrun Dittrich (A) Männern und Frauen zu erforschen. Die Betonung der willigendienst und der Freiwilligendienst aller Genera- (C) Facetten und der Vielfalt verdeckt geradezu die gran- tionen – das unterstützen außer der Linken Sie alle hier diose Spaltung zwischen Arm und Reich. Aber gerade im Bundestag – überschreiten die Altersgrenze und öff- damit muss sich die Bundesregierung aus meiner Sicht nen die Schleusentore zum Arbeiten im Alter, um über- befassen. haupt noch Teilhabe erlangen zu können. Wir meinen: So geht das nicht. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder In Deutschland sind durch Ihre Politik 3,9 Millionen [CDU/CSU]: Eine schräge Vorstellung!) Frauen in Minijobs; sie können nur unzureichend Ren- tenanwartschaften erwerben. Sie sind besonders gefähr- Dabei geht es nicht um die Potenziale der Älteren, die det. Wer garantiert denn, dass sie einen Partner haben, man heben sollte. Dabei geht es nicht um die indivi- der sie mitversorgt? Frauen verdienen im Durchschnitt duelle Entwicklung der Menschen. Vielmehr geht es da- 23 Prozent weniger als Männer. Dieser Einkommensun- bei um Folgendes – so müssen wir hier jedenfalls be- terschied steigt in der Rente auf 60 Prozent an. fürchten –: Wer als Ehrenamtlicher länger arbeiten kann, der kann es auch als Arbeitnehmer. Das lehnt die Linke In einer Studie über die Lebens- und Erwerbsverläufe ab. Wir bestehen auf einem gesetzlichen Renteneintritts- von Frauen, geboren zwischen 1955 und 1964, steht, alter. dass die monatlichen Renten in dieser untersuchten Ba- byboomer-Generation im Westen bei im Durchschnitt Dass ältere Menschen, vor allem Frauen, schon jetzt 700 Euro und im Osten bei im Durchschnitt 680 Euro gezwungen sind, zu ihrer Rente dazuzuverdienen, macht liegen. Das ist Grundsicherungsniveau. Das ist Hartz IV die Sache doch nicht besser. Das ist ein Skandal. Sie im Alter. Die Hälfte der Frauen in Westdeutschland hat können das nicht schönreden, indem Sie sagen, dass die sogar eine gesetzliche Rente von unter 600 Euro. Sie Menschen länger arbeiten wollen. Sie müssen länger ar- sind auf jeden Fall auf Sozialleistungen angewiesen. beiten. Von einem neuen Altenbericht erwarte ich, dass Deswegen fordert die Linke, dass es Frauen ermöglicht man sich darin realistisch mit der Lage der Menschen wird, in tariflich gut bezahlten Berufen ausreichende ei- auseinandersetzt, dass darin Vorschläge gemacht wer- genständige Rentenanwartschaften zu erwerben. den, wie die Regierung die Lage der armen Frauen im Alter verbessert, und dass darin auch die Situation von (Beifall bei der LINKEN) Migrantinnen und Migranten und Menschen mit Behin- Dafür brauchen wir vor allem die Vereinbarkeit von derungen beachtet wird. Denn aus Sicht der Linken ha- Familie und Beruf. Wer keine Kindergärten finanziert, ben alle das Recht auf ein abgesichertes Alter in Würde. wer keine Erzieherinnen einstellt, der verweigert den (Beifall bei der LINKEN – Florian Frauen die Ernährerinnenrolle, er verweigert ihnen den (D) (B) Bernschneider [FDP]: Ganz schön peinlich Aufbau einer eigenen Rente. Wir brauchen Sozialversi- war das!) cherungspflicht ab dem ersten Euro. Weg mit den Mini- jobs! Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der LINKEN) Elisabeth Scharfenberg hat jetzt das Wort für die Wir brauchen die Wiederherstellung der Lebensstan- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. dardsicherung in der Rente und eine solidarische Min- destrente von mindestens 900 Euro. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall bei der LINKEN) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- Die soldarische Bürgerinnen- und Bürgerversiche- legen! Die Diskussion über den Altenbericht bietet uns rung wäre finanzierbar – Sie wissen es –, wenn die eine wunderbare Möglichkeit, um Zwischenbilanz zu Ackermänner der Welt, die Beamten und die Bundes- ziehen, Zwischenbilanz darüber, was Schwarz-Gelb seit tagsabgeordneten einzahlen würden. 2009 im Bereich der Altenpolitik erreicht hat. Diese Bilanz fällt nicht gerade glänzend aus. (Zuruf des Abg. [FDP]) (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Na ja! Das wäre Solidarität und nicht nur Solidarität der Be- So können Sie das aber auch nicht sagen!) schäftigten untereinander. Bei dieser Bilanz sehen wir, dass die zuständige Fami- Sie sagen: Die Menschen sollen für die geschenkten lienministerin, Sie, Frau Schröder, ihre Liste der politi- Jahre dankbar sein, sie sollen dankbar dafür sein, dass schen Irrungen und Wirrungen – ich sage nur: Frauen- sie einen Sozialstaat aufbauen konnten, an dem – ich quote, Betreuungsgeld, Familienpflegezeit – durch die erinnere daran – seit der Agenda 2010, seit Rot-Grün Altenpolitik erweitert. Das alles sind fehlgeschlagene – diese Regierung setzt das fort –, kräftig gesägt wird. Ir- Politikansätze, einer nach dem anderen. gendjemand muss den sozialen Zusammenhalt ja organi- sieren, aber es darf nichts mehr kosten. (Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Das Ehrenamt wird auf Verlängerung der Altersgren- zen untersucht. Es geht dabei nicht darum, das Leben im Auf dem Deutschen Seniorentag letzte Woche in Alter selbstbestimmt zu genießen, sondern darum, in der Hamburg – er wurde schon mehrmals erwähnt – wurde sozialen Arbeit eingesetzt zu werden. Der Bundesfrei- deutlich, dass diese Einschätzung von den Älteren in un- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21377

Elisabeth Scharfenberg (A) serem Land durchaus geteilt wird. Der Redebeitrag von Sehr geehrte Frau Ministerin, es gibt keinen Pflegefall. (C) Ihnen, Frau Schröder, wurde mit Buhrufen quittiert. Das Es gibt nur Menschen, die einen Pflegebedarf haben ist bitter. Ich frage mich: Wer fühlt sich in diesem Land oder Unterstützung benötigen. Einen Menschen kann eigentlich noch von Ihnen vertreten? Frauen, Kinder, Ju- und darf man nicht auf einen Fall reduzieren. Der Be- gendliche, Seniorinnen und Senioren, alte Menschen? griff „Pflegefall“ gehört in die Unwortkategorie, ge- Ich muss sagen: Da wird die Luft immer dünner. nauso wie die Wörter „Alterslast“, „Demografiefalle“ oder was es da sonst noch gibt. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Also, ich fühle mich von der Frau Ministerin schon (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vertreten!) und bei der SPD) Es braucht in meinen Augen Format, Ziele und eine Vi- Das alles zeigt uns aber, dass wir die Erkenntnisse der sion, um das Amt der Familienministerin auszufüllen. Altenberichte konsequenter sichern und umsetzen müs- Genau das vermisse ich an der Spitze des Familienminis- sen. Wir fordern, dass zukünftige Altenberichte detail- teriums. lierte Umsetzungsempfehlungen beinhalten. Es geht doch nicht, dass wir hochkarätige Expertinnen und Ex- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, perten zu der Ausarbeitung eines Altenberichtes einberu- bei der SPD und der LINKEN) fen. Dann versehen wir das Ergebnis mit einer Druck- Der Antrag „Altersbilder positiv fortentwickeln – sachennummer und organisieren vielleicht noch ein paar Potenziale des Alters nutzen“ von CDU/CSU und FDP flankierende Veranstaltungen. Und dann? Dann ver- spiegelt die altenpolitische Leere ganz klar wider. Der schwindet der Altenbericht in der Schublade. Antrag verliert sich in Appellen und der Vergabe von Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht die Prüfaufträgen. Das ist alles andere als zielführend. staubige Schublade, sondern ein Aktionsplan muss das Wozu, frage ich Sie, benötigen wir noch einen Altenbe- Ziel eines Altenberichtes sein. Eine Stellungnahme richt, der doch wirklich in guter Art und Weise die The- reicht nicht aus. Für die weitere Bearbeitung der Themen men benennt, wenn dann alles wieder und wieder einer ist es notwendig, eine Monitoringstelle zu schaffen, zum Prüfung unterzogen werden soll? Wir haben in einigen Beispiel im Familienministerium. Wir brauchen kon- Bereichen überhaupt kein Wissensdefizit mehr; dieses krete Maßnahmen zur Ergebnissicherung. Außerdem ist Stadium haben wir längst hinter uns gelassen. die Vernetzung mit den anderen beteiligten Ministerien (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- überaus wichtig. NEN]: Das stimmt!) Für uns Grüne ist eine Altenpolitik, die nicht in allen Bereichen verankert ist, wie ein umhertreibendes Schiff (B) Warum soll denn noch einmal geprüft werden, ob das (D) KfW-Programm zum altersgerechten Umbau fortgeführt ohne Hafen. Dieses Schiff braucht aber Ankerplätze in und weiter mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt ausge- allen wichtigen Politikgewässern: in der Bildungs-, in stattet werden soll? der Wirtschafts-, in der Gesundheits-, in der Arbeits- marktpolitik. Nur so werden wir den Belangen der Älte- (Markus Grübel [CDU/CSU]: Das wird ja ren wirklich gerecht. Ansonsten wird sich am Altersbild schon fortgeführt! Das ist mittlerweile erle- wirklich nicht viel ändern. digt! Seit dem 1. April wird es fortgeführt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es muss fortgeführt werden. Das ist eine Frage der poli- tischen Vernunft. Eine Altenpolitik, die Hand und Fuß hat, muss alle im Blick haben. Die fitte 87-jährige Dame, die noch die Ju- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gend im Turnverein trainiert, gehört genauso dazu wie und bei der SPD) der alleinlebende ältere Herr, der aufgrund seiner Pflege- bedürftigkeit seine Wohnung überhaupt nicht mehr ver- Das wird von allen Seiten befürwortet. lässt. Beide brauchen in ganz unterschiedlicher Art und Die Anhörung in dieser Woche im Verkehrsausschuss Weise unsere Unterstützung. zur barrierefreien Mobilität und zum barrierefreien Woh- Weder die Horrorszenarien der Überalterung noch die nen hat den enormen Handlungsbedarf ganz klar aufge- überbordende Betonung der Potenziale im Alter werden zeigt. Alle geladenen Expertinnen und Experten waren der Vielfalt des Alters gerecht. Nur eine aktive Genera- sich einig. Wir meinen, dass wir zudem eine Weiterent- tionenpolitik kann helfen, das Alter wirklich neu zu defi- wicklung der Fördermöglichkeiten brauchen. Insgesamt nieren. Diese Gesellschaft benötigt neue Ideen, Offen- frage ich mich aber ernsthaft, ob der Altenbericht und heit und eine ehrliche Diskussion über einen die Anhörung bei Ihnen überhaupt ein Umdenken be- Generationenvertrag. wirkt haben. Es wurde wiederholt betont, dass wir uns um die Neuorientierung der Altersbilder kümmern müs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sen. Aber was ist auf der Internetseite des Gesundheits- Frau Ministerin, ich bin auf Ihre Ausführungen gleich ministeriums zur Pflege immer noch zu lesen? Da wird gespannt. getitelt – ich zitiere –: „Pflegefall – was tun?“ Vielen Dank. (Sibylle Laurischk [FDP]: Was haben Sie denn dagegen? – Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Ja, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und?) sowie bei Abgeordneten der SPD) 21378 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Sibylle Laurischk [FDP]: Ganz zufällig!) (C) Das Wort hat Ingrid Fischbach für die CDU/CSU- Sie haben sich sicherlich gedacht, dass ich aus meinem Fraktion. Bundesland berichten kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie, Rot-Grün, sind für die Seniorenpolitik in Nord- rhein-Westfalen zuständig. Frau Scharfenberg, Sie haben Ingrid Fischbach (CDU/CSU): gesagt, man brauche Ziele und Visionen. Ich habe in den Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau letzten zwei Jahren vor Ort nachgefragt, welche Ziele Präsidentin! Frau Ministerin! Nach den Reden der Oppo- und Visionen die Ministerin hat, die für die Senioren zu- sition kann ich nur sagen: Oh Gott, oh Gott, es muss ei- ständig ist. Darauf wurde mir zuerst die Frage gestellt: nem ja grauen, wenn man alt wird. Wer ist denn für uns zuständig? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Caren (Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Hört! Hört!) Marks [SPD]: Ja, bei dieser Regierung!) Das Ministerium, das wir als Christlich-Liberale ge- Wenn ich jetzt auf die Tribünen schaue und mir die schaffen hatten, nämlich das Ministerium für Generatio- Gruppen ansehe, die dort oben sitzen, dann sehe ich nen, Familie, Frauen und Integration, haben Sie aufge- strahlende Gesichter. Ich sehe Menschen, die sich löst. Sie haben die Aufgaben auf drei Ministerien freuen, dass sie ihr Alter genießen können. verteilt, damit erst einmal niemand zuständig ist. Sie schicken die Menschen von rechts nach links, zum Bei- (Petra Crone [SPD]: Haben Sie nicht zuge- spiel ins Familienministerium. Schließlich taucht in ei- hört?) nem Ministerium das Wort „Alter“ auf. Wissen Sie, in – Sie haben den Altenbericht überhaupt nicht gelesen. welchem Zusammenhang? Alter und Pflege! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Caren Marks [SPD]: Sie haben jedenfalls Das ist genau das Altersbild, das Sie haben: Alter und nichts begriffen!) Pflege. Ein wichtiger Punkt – ich glaube, das unterscheidet (Sibylle Laurischk [FDP]: Ja!) uns ganz gehörig – ist ein neuer Blick auch auf die fitte ältere Generation. Jetzt kann man ja fair sein und sagen: Okay, so sind sie halt. Das wollen sie so sehen, dann sollen sie es auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und so tun. – Was tun Sie hier aber, obwohl Sie doch den der FDP) Schwerpunkt auf Alter und Pflege legen? Nichts! (B) (D) Es gibt nicht nur die Alten, die krank und pflegebedürf- Sie haben über Barrierefreiheit gesprochen. In Nord- tig sind und unsere Hilfe brauchen, sondern es gibt Gott rhein-Westfalen sind noch keine 3 Prozent der Wohnun- sei Dank auch die fitten älteren Menschen. Wir werden gen barrierefrei oder barrierearm. Nicht nur die Ver- älter, wir leben gesünder, wir können besser medizinisch bände, die der CDU nahestehen, reklamieren das, versorgt werden, wir können unser Leben, unser Alter sondern auch die Verbände, die Ihnen sehr nahestehen. genießen. Ich finde das total toll. Ich freue mich auf die- Der Sozialverband Deutschland kommt mittlerweile sen Lebensabschnitt, aber nicht aufgrund Ihrer Ausfüh- nicht mehr zu seinen Ministerien, sondern er sucht sich rungen. andere Minister, bei denen er sich einmal äußern und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) seine Sorgen deutlich machen kann. Ich glaube, deswegen ist es wichtig, dass wir an die- Genau das ist der Punkt. Wenn Sie sagen: „Pflege im ser Stelle deutlich machen, worin sich die Opposition Alter ist uns wichtig“, dann müssen Sie vorausschauen und die christlich-liberale Regierung unterscheiden. und Visionen haben. Sie müssen sagen: Nicht nur die Wohnungen, die bereits existieren, müssen umgebaut Wir wollen die Potenziale des Alters wirklich aus- werden, sondern auch bei den Neubauten muss angesetzt schöpfen und Nutzen stiften. Das heißt, ältere Men- werden. schen, die sich gut fühlen, die Kompetenz haben, die Wissen haben, die sich einbringen können, sollen die (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Chance haben, das zu tun. Darum müssen sie nicht bitten NEN]: Wer hat denn dort bis vor zwei Jahren und betteln, sondern das ist ihr gutes Recht. Wir können regiert in Nordrhein-Westfalen? Da wart ihr nur froh sind, auf diese Kompetenz und Erfahrung zu- bis vor zwei Jahren in der Verantwortung!) rückgreifen zu können. Auch dort müssen Sie für Barrierefreiheit sorgen. Aber (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) das kommt bei Ihnen nicht vor. Das, was inhaltlich gut gelaufen ist, haben Sie auf- Ich habe hier jetzt eine Kollegin der SPD und auch gegeben. Wir haben den Generationentag eingeführt, eine Kollegin der Grünen gehört. Man fragt sich natür- Potenziale des Alters; alles haben Sie abgeschafft. Alle lich, was hier geredet wird und was an den Stellen getan gut laufenden Projekte haben Sie einfach beendet. Sie wird, wo man etwas tun könnte. beschränken sich auf einen ganz kleinen Bereich, und Ich betrachte jetzt einmal ganz zufällig die Situation dann nach dem Motto „Sprich’ mich bloß nicht an!“ Nie- in Nordrhein-Westfalen. mand hat also die Verantwortung. So kann man keine Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21379

Ingrid Fischbach (A) Politik machen, hier nicht und auch nicht in Nordrhein- werden müssen. – Das werden wir anpacken. Ich würde (C) Westfalen. mich freuen, wenn wir mit Ihrer Unterstützung rechnen könnten; denn dann könnten wir zusammen für die Men- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schen etwas verändern. Seniorenpolitik – das ist aktive Wir haben Ziele. Wir haben Visionen. Wir sagen: Wir Zukunftsgestaltung für alle Generationen. brauchen für alle Gruppen im Alter Antworten. Für die Ich möchte mit einem Wort von Ursula Lehr enden. fitten älteren Menschen zum Beispiel brauchen wir An- Sie hat einmal gesagt: gebote, zum Beispiel – mein Kollege Grübel hat es ge- sagt – den Bundesfreiwilligendienst. Ich freue mich, Es kommt nicht darauf an, wie alt man wird, son- dass viele ältere Menschen dieses Angebot annehmen. dern wie man alt wird. Hier haben wir die Möglichkeit, für Alt und Jung gene- rationenübergreifend etwas zu tun. Die Älteren können In diesem Sinne wollen wir das Beste dafür auf den Weg Erfahrungen einbringen, von denen Jüngere profitieren. bringen. Das ist ein sehr gutes Projekt. Danke schön. Als wir die Mehrgenerationenhäuser eingeführt haben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – das ist das Gute, wenn man schon länger dabei ist –, ha- ben Sie lamentiert, Sie wollten in Nordrhein-Westfalen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: keine Mehrgenerationenhäuser, sondern lieber Familien- Petra Crone hat das Wort für die SPD-Fraktion. zentren haben. – Das haben wir in Nordrhein-Westfalen gemacht. Am Ende der christlich-liberalen Regierung (Beifall bei der SPD) gab es knapp 2 000 Familienzentren. Wissen Sie, wie viele unter Ihrer Regierung in Nordrhein-Westfalen hin- Petra Crone (SPD): zugekommen sind? Keine – in zwei Jahren! Das ist es Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolle- eben: Sie halten hier Schönwetterreden, aber da, wo Sie ginnen! Meine Damen und Herren! Etwa 20 000 ältere Verantwortung tragen, tun Sie genau das Gegenteil. Da Menschen, aktiv, wissbegierig, engagiert, sind in der bitte ich Sie einfach: Hören Sie damit auf! letzten Woche in Hamburg auf dem 10. Deutschen Se- (Zuruf der Abg. Christel Humme [SPD]) niorentag gewesen. Da konnte man ein ganz riesiges Potenzial des Alters erleben, ein äußerst positives Al- – Frau Humme, wir beide bereden das gleich bei einer tersbild. Tasse Kaffee. Ich weiß, was Sie sagen wollen. Sie sagen immer das Gleiche. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- (B) KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (D) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der NEN) CDU/CSU) Es sprühte nur so von Ideen und Tatkraft. Auch gab es Wir wollen etwas für ältere Menschen tun. Wir wol- wertvolle Impulse, zum Beispiel beim bürgerschaftli- len etwas für die ältere Generation verändern. Wir wol- chen Engagement. Doch was machen Sie daraus, Frau len das Potenzial des Alters nutzen. Wir wollen die Men- Ministerin? Auf jede Frage antworten Sie mit einem schen ernst nehmen. Wir wollen für sie Angebote Hinweis auf den Bundesfreiwilligendienst. In einigen schaffen. Ich glaube, das ist hier das Richtige. Die alten Fällen mag das hinkommen, aber das ist nicht passge- Menschen sind eben nicht nur krank oder pflegebedürf- nau. tig, sondern es gibt auch die, die sich einbringen können. Es geht darum, diese Potenziale zu schützen und zu stär- Ein richtiges Motto lautet: Einmal engagiert, immer ken. engagiert. Ich fordere Sie auf, Frau Schröder: Sorgen Sie dafür, dass auch Jugendliche neben der Schule Zeit fin- (Johanna Voß [DIE LINKE]: Dafür muss man den, sich zu engagieren – ohne Gegenleistung. Geben auch die Renten kürzen!) Sie ihnen eine Chance, sich im Ehrenamt zu üben. Zu der Rede von Frau Dittrich sage ich gar nichts. (Beifall bei der SPD) (Heidrun Dittrich [DIE LINKE]: Da fällt Ih- Der Bundesfreiwilligendienst, Ihr Liebling, ist ein nen nichts mehr ein!) Vollzeitdienst, den nicht jeder und jede leisten kann. Sie hat für sich gesprochen. Sie war wirklich unter aller Frau Ministerin, Sie wollen sich mit dem bürgerschaftli- Kritik. chen Engagement profilieren. Warum behandeln Sie aus- gerechnet die Freiwilligendienste aller Generationen so (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der stiefmütterlich? Warum verhindern Sie nicht, dass Ihre CDU/CSU und der FDP) Regierung die Kommunen immer weiter ausbluten lässt? Uns ist es in der christlich-liberalen Regierung wich- Denn sie sind es doch, die passgenaue Angebote fördern. tig, dass wir die Potenziale des Alters nutzen, dass wir (Beifall bei der SPD – Ewa Klamt [CDU/ den Menschen Perspektiven geben, dass wir deutlich CSU]: Man muss sich fragen, in welchem Film machen: Ihr werdet geschätzt. Wir brauchen euch. Wir man sich befindet!) zusammen werden all das, was euch im Alter belastet, angehen. – Der Kollege Grübel hat es sehr deutlich ge- Egal ob jung oder älter, ob Schüler, Arbeitnehmer macht: Vieles ist nicht hinnehmbar und wird geändert oder Rentner: Die Freiwilligkeit muss im Mittelpunkt 21380 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Petra Crone (A) stehen. Niemand soll das Gefühl haben, sich engagieren nioren und Seniorinnen kritisieren. Es ist natürlich schön (C) zu müssen. Unsere Aufgabe ist es, Lust darauf zu ma- und ein tolles Ergebnis, dass wir alle älter werden und chen. immer länger gesund bleiben. Die Altersbilder insge- samt sollen positiver werden. Aber Achtung: Wir dürfen Der Deutsche Seniorentag hat aber auch sehr deutlich sie auch nicht mit Kitsch überlagern. Damit werden nur gemacht, dass es Themen gibt, die im Sechsten Altenbe- Ängste vor Hilfs- und Pflegebedürftigkeit und auch vor richt der Bundesregierung unterrepräsentiert sind und dem Sterben geschürt. Das darf nicht sein. von Ihnen, Frau Ministerin, mehr oder weniger elegant umgangen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ( [SPD]: Weniger elegant! – Caren Marks [SPD]: Eher weniger!) Jeder und jede muss wissen, dass wir uns um eine würdevolle Betreuung, Pflege und auch um Sterbebe- Das Thema Altersarmut ist eines der dringendsten gleitung kümmern. Dafür hat die SPD-Bundestagsfrak- Generationenprobleme. Es betrifft nicht nur die Älteren, tion ein umfassendes Konzept erarbeitet. die schon im Ruhestand sind, sondern genauso auch un- sere Kinder und Enkel. Die brauchen gute Vorbilder und Das Thema Demenz hat in Zukunft eine sehr große das Gefühl, dass Arbeit sich lohnt und mit einer Vollzeit- Wichtigkeit. Wo bleiben da die Taten der schwarz-gel- stelle der Lebensunterhalt gedeckt werden kann. Es ist ben Regierung? Reförmchen des Ministers Bahr helfen doch beschämend für unser reiches Land, dass dies nicht nicht weiter. gewährleistet ist. (Jens Ackermann [FDP]: Das ist ja unerhört! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Was haben Sie denn da gemacht?) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei all dem ist das Miteinander der Generationen ent- Liebe Kollegen und Kolleginnen der Regierungsfrak- scheidend, in der Gesellschaft und in der Politik, solida- tion, von Ihnen wird dagegen nichts unternommen. risch und verantwortungsvoll. Für die SPD-Bundestags- fraktion ist „Teilhabe“ kein leeres Wort. Sie beinhaltet (Jens Ackermann [FDP]: Der Bundesrat kann zwei Forderungen: das Recht auf Bildung für jedes Alter doch zustimmen!) und die Förderung von Freiwilligenengagement von und Das Übel muss doch an der Wurzel gepackt werden. Ist für alle Generationen. Ihre Antwort darauf die Einführung des Betreuungsgel- Ich danke Ihnen. des? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) Was wir dringend brauchen, sind flächendeckende des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) Mindestlöhne, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der LINKEN) Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die eine höhere Beschäftigungsquote vor allen Dingen für FDP-Fraktion. Frauen, mehr Kinderbetreuung in den Regionen und vie- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten les mehr. der CDU/CSU) (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Dann können wir auch die Kitaplätze in NRW nehmen! Da- Sibylle Laurischk (FDP): rüber können wir auch sprechen! Wir haben Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute Zahlen auf Lager!) Morgen war ich kurz zu Gast bei einer Seniorenorgani- sation einer Gewerkschaft. Was ich dort mitgenommen Liebe Kollegen und Kolleginnen von der Linksfrak- habe, ist die Klage, dass die ältere Generation innerhalb tion, in Ihrem Antrag sind einige interessante Forderun- der Gewerkschaft nicht mehr voll mitwirkungsberechtigt gen enthalten, die wir zum Teil auch unterstützen kön- ist. Es gibt also durchaus Felder im traditionell eher lin- nen. Aber ich vermisse bei Ihnen den konkreten Bezug ken politischen Bereich, bei denen man sich überlegen zum Sechsten Altenbericht. Ihr Entschließungsantrag muss, ob man das richtige Augenmaß hat. – es ist immerhin ein Entschließungsantrag – ist viel- mehr eine Zusammenfassung von seniorenpolitischen (Beifall bei der FDP – Paul Lehrieder [CDU/ Zielen. CSU]: So ist es! In Schleswig-Holstein haben sie es schon gemerkt!) Die generelle Kritik am Altenbericht kann ich nicht nachvollziehen. Sie sprechen ihm gar die Substanz ab. In So viel als Randbemerkung zu dem, was ich an einem einem ähnlichen Maße, in dem Sie der Bundesregierung Tag in Berlin im Rahmen meiner Abgeordnetentätigkeit und den Sachverständigen die Ökonomisierung der Al- mitnehme. tersbilder vorwerfen, zeichnen Sie ein umfassendes ne- gatives Altersbild, geleitet vom sozialen Abstieg. Das ist Der Sechste Altenbericht ist ein Wegweiser für uns genauso falsch. alle; denn er zeigt auf, dass nicht mehr die Belastungen des Alters das ausschließliche Thema, das man mit dem Liebe Kollegen und Kolleginnen, zum Schluss Alter verbindet, sein sollen, sondern dass auch die Chan- möchte ich den regelrechten Hype um die stets fitten Se- cen einer alternden Gesellschaft begriffen und genutzt Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21381

Sibylle Laurischk (A) werden müssen. Frau Scharfenberg, ich habe Ihren Re- zu wenig Zeit, um das weiter auszuführen – zu gestalten (C) debeitrag sehr genau verfolgt und halte es für völlig ver- und das Lachen nicht zu verlernen. So bleiben wir jung. fehlt, nur darauf zu setzen, dass wir in Berlin es schon (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) regeln werden. Da sind wir in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt, in den verschiedenen Ländern und Kommunen, schon sehr viel weiter. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Bundesministerin Dr. Kristina Schröder hat jetzt (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten das Wort. der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich komme aus der Kommunalpolitik. Als ich vor 18 Jahren frischgebackene Stadträtin war, haben wir in Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami- Offenburg ein Seniorenbüro eingerichtet. Das war sozu- lie, Senioren, Frauen und Jugend: sagen eine Freiwilligenagentur. Damals nannte man das Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! noch nicht so, aber nichts anderes war es. Es war ein Ex- Das Alter ist vielfältiger und facettenreicher geworden. periment, damals auch vom Bund gefördert. Es ist ein Der Sechste Altenbericht, für den ich der Sachverständi- Knüller geworden. Mittlerweile gibt es dort eine Selbst- genkommission unter dem Vorsitz von Professor organisation von älteren Menschen, die das soziale Ge- Dr. Andreas Kruse ganz herzlich danke, fordert uns dazu füge, den Alltag und das Miteinander der Stadt auf eine auf, die Seniorenpolitik auf die Vielfalt des Alters auszu- ganz interessante Weise prägen. Auch wenn die Men- richten. Er stellt dabei die Chancen, die der demografi- schen nicht mehr im Berufsleben stehen, sagen sie ganz sche Wandel bietet, in den Mittelpunkt. klar: Wir spielen eine Rolle. Wir sind wichtig; wir sind dabei. Wir sind nicht ausgegrenzt. – Das ist für das Man muss sich bewusst machen: Wir haben es mit ei- Klima in einer Kommune ganz wichtig. ner historisch neuen Lebensphase zu tun. Jahrtausende- lang war das Leben des Menschen im Grunde durch drei (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Lebensphasen bestimmt: Da war die Kindheit und die Ein Beispiel für die konkreten Tätigkeiten der dort le- Jugend als erste Lebensphase, dann kam die Zeit der Be- benden Senioren: Sie arbeiten mit ausländischen Studen- rufstätigkeit und des Kümmerns um die Familie, und ten an der Fachhochschule zusammen und bieten ihnen dann kam das Alter; aber das war ganz schnell von an, als Wegweiser in der Stadt zu fungieren und Behör- Krankheit und Gebrechen geprägt. Als Bismarck die dengänge zu erledigen. Dadurch haben die Senioren Rentenversicherung eingeführt hat, lag die Lebens- Kontakt zu Menschen, die aus ganz anderen Lebensver- arbeitszeitgrenze bei 70 Jahren, die durchschnittliche Lebenserwartung lag bei unter 60 Jahren. Die Phase, die (B) hältnissen stammen. Das ist sehr belebend und hochinte- (D) ressant. wir das junge Alter nennen, also die Lebensphase zwi- schen 65 und 85 Jahren, ist etwas Neues, das es in der Eine ähnliche Entwicklung gibt es in der Gemeinde Geschichte der Menschheit so noch nicht gab. Die meis- Eichstetten am Kaiserstuhl. Die hier betriebene enga- ten Menschen erreichen glücklicherweise gesundheitlich gierte Kommunalpolitik trägt der Situation der Alten vor relativ fit ein hohes Alter und haben sich viel Erfahrung, Ort Rechnung und sorgt dafür, dass sie sich sowohl in Wissen und Gelassenheit angeeignet, die ein langes Le- der Pflege als auch im bürgerschaftlichen Engagement ben schenkt. Das ist ein riesiger Schatz für unsere Ge- wiederfinden, mitarbeiten und ein Austausch stattfindet. sellschaft. Wir stehen noch am Anfang bei dem Versuch, Niemand muss den Ort aus Altersgründen oder wegen diesen Schatz zu heben. Pflegebedürftigkeit verlassen. Jeder kann bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Damit sind wir bei einem ganz wesentlichen Thema, neten der FDP) das mir in dieser Debatte völlig fehlt. Viele Menschen Deshalb – das unterstreicht der Antrag der Koalitions- leben im Alter alleine. Die Familien ziehen weg. Die fraktionen –: Wir brauchen die Erfahrung und die Tat- Kinder sind berufsbedingt ganz woanders. Die Familien kraft älterer Menschen in der Familie, in der Arbeitswelt sind nicht mehr so eng beieinander. Unter Umständen und im Ehrenamt. Schauen wir einmal in die Familie. bleibt man im Alter allein. Die Angst vor dem Alleinsein Die meisten Menschen erleben doch, dass der Zusam- ist ein wichtiges Thema, dem wir uns widmen müssen. menhalt in den Familien, insbesondere der Zusammen- Mir persönlich ist wichtig, neue Wohnformen im Alter halt zwischen den Generationen, riesengroß ist, trotz zu entwickeln. Diesem Thema widmet man sich mittler- Scheidungen und trotz Mobilität. Letzteres gibt es, aber weile auch im Rahmen des bürgerschaftlichen Engage- dennoch: Wenn es darauf ankommt, dann halten in den ments. Ich kenne etliche Vereine, die dieses Thema in meisten Fällen die Generationen zusammen. den jeweiligen Kommunen vorantreiben wollen. Es geht nicht allein um Wohngemeinschaften, sondern auch um (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ein Miteinander, ein vernetztes Wohnen. Nicht alleine neten der FDP) und vereinzelt zu sein, das ist wichtig, damit wir auch im Zum Beispiel spielen die Großeltern eine riesige Rolle Alter den Austausch haben, um fit zu bleiben, uns ge- bei der Betreuung der Enkelkinder und damit auch bei genseitig zu unterstützen, eventuell einer Pflegebedürf- der Vereinbarkeit von Familie und Beruf der mittleren tigkeit vorzubeugen, gemeinsames Lernen zu organisie- Generation. ren – denn auch das hält jung – sowie letztendlich ein Miteinander in positiver Stimmung – ich habe leider viel (Zuruf von der SPD) 21382 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Bundesministerin Dr. Kristina Schröder (A) – Krippen können keine Großeltern ersetzen. Das ist nun Auch im Arbeitsrecht gibt es Regelungen, für die (C) einmal nicht so einfach. Frauen erst mit schlechteren beruflichen Chancen, dann mit schlechteren Einkommen und schließlich mit niedri- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und geren Renten bezahlen. Deshalb brauchen wir zum Bei- der FDP) spiel endlich mehr Möglichkeiten, flexibel zwischen Deshalb wollen wir den Zusammenhalt in den Familien Vollzeit und Teilzeit, insbesondere auch von Teilzeit durch die Einführung einer Großelternzeit stärken. Wir wieder in Vollzeit, zu wechseln. Das sind Beispiele für wollen auch berufstätigen Großeltern die Möglichkeit eine vorsorgende Politik für die Lebensphase Alter. geben, sich um die Betreuung der Enkel zu kümmern. Beides gehört in der Seniorenpolitik zusammen: eine Umgekehrt: Zwei Drittel der 2,3 Millionen pflegebe- Politik, die die Vielfalt des Alters berücksichtigt, und dürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause in eine Politik, die die Vielfalt des Älterwerdens berück- ihren Familien gepflegt. Sie werden vom Partner und sichtigt. Da ist es ein bisschen wie mit der gesundheits- den eigenen Kindern gepflegt. Deshalb haben wir mit bewussten Lebensweise: Man muss früh damit anfan- der Einführung der Familienpflegezeit zum 1. Januar gen. Auch daran sollten wir denken, wenn es um 2012 die Familie als Verantwortungsgemeinschaft ge- Teilhabechancen für ältere Menschen geht. stärkt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Sabine Bätzing-Lichtenthäler das Wort für Ein weiterer Punkt. Der Bundesfreiwilligendienst ist die SPD-Fraktion. ein riesiger Erfolg. Was gab es doch für Katastrophen- szenarien und Skepsis? Jetzt stellen wir fest: Fast (Beifall bei der SPD) 20 Prozent der Bufdis, die wir in Deutschland haben, sind über 50 Jahre alt. Der Schreinermeister im Ruhe- Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): stand geht in die Kitas und Kindergärten und baut mit Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe den Kindern Vogelhäuser, die pensionierte Grundschul- Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, vielleicht lehrerin kümmert sich um Kinder mit Migrationshinter- hätten Sie weniger Bücher und dafür mehr Gesetzent- grund und hilft ihnen bei den Hausaufgaben. Das ist ein würfe für eine bessere Politik für ältere Menschen Riesengewinn für unsere Gesellschaft. schreiben sollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP: (B) Oh!) (D) Wir sollten uns aber dessen bewusst sein – da bin ich bei Ihnen, Frau Crone –, dass es in der Seniorenpolitik Denn zu dem, was uns hier vorliegt, muss man wohl sa- nicht nur um die Generation 60 plus geht; denn die Alten gen: Fehlanzeige! Auch beim Thema Alter klaffen von morgen sind die Jungen von heute. Deshalb brau- Wunsch und Wirklichkeit in der Koalition wieder einmal chen wir eine vorsorgende Seniorenpolitik, zum Beispiel auseinander. auch, wenn es um die Folgen familienbedingter Auszei- So habe ich im schwarz-gelben Koalitionsvertrag zu ten und Teilzeitphasen im Beruf geht. Dafür zahlen im diesem Thema drei konkrete Vorhaben für diese Legisla- Rentenalter insbesondere die Frauen. Ihre Alterseinkom- turperiode gefunden, erstens eine breit angelegte Initia- men liegen im Moment rund 60 Prozent unter denen der tive zum Thema „Alter neu denken“. – Okay. Nur, was Männer. haben wir bekommen? Bekommen haben wir das Pro- Deswegen heißt vorsorgende Seniorenpolitik auch, gramm „Altersbilder“, mitnichten eine breite Initiative bei den Ursachen dafür anzusetzen, die früher im Leben und mitnichten neues Denken. Zweitens ist da die Inno- liegen. vationspartnerschaft „Gesundheit im Alter“. Was haben wir bekommen? Ein „Pflegereförmchen“. Drittens (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE wurde das Gesetz zur Förderung des bürgerschaftlichen GRÜNEN]: Da bin ich gespannt!) Engagements angekündigt. Davon ist weit und breit Ich mache mir zum Beispiel Sorgen über das Ausufern überhaupt nichts zu sehen. von Minijobs. Dieses Vorgehen erinnert mich an das Motto: Vor- (Beifall der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/ wärts, liebe Freunde, wir gehen zurück! – Damit ist CSU]) keine gute Politik für ältere Menschen zu schaffen. Für Studenten und Rentner haben Minijobs ihre Berech- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tigung, aber für Mütter entwickeln sie sich oft zu einer Das einzige, was man findet, sind Plagiate, wie etwa Ihr Sackgasse, die zu Altersarmut führt. Deshalb halte ich Antrag zu den Potenzialen des Alters. Es ist nicht das auch nichts davon, dem Drängen der Arbeitgeber nach- erste Mal, dass Sie damit auffallen. zugeben, die nach einer weiteren Flexibilisierung rufen. Wir müssen hier sehr genau gucken, welche Anreize wir Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns aber setzen. über die Potenziale des Alters und die neuen Altersbilder sprechen. Lebenserfahrung, Berufserfahrung und erwor- (Beifall bei der CDU/CSU) bene Kompetenzen, das sind die Potenziale älterer Men- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21383

Sabine Bätzing-Lichtenthäler (A) schen. Potenziale fallen aber niemandem in den Schoß, Deshalb lassen Sie uns die Potenziale des Alters er- (C) Potenziale sind erarbeitet, und man muss sie wecken, schließen. Ihre Vorhaben im Koalitionsvertrag ließen fördern, hegen und pflegen. Gleichzeitig darf man sie Hoffnung aufkeimen, in der Realpolitik wurde diese je- aber auch nicht überstrapazieren. Denn ältere Menschen doch jäh zerstört. wollen zwar weiterhin gebraucht, aber nicht missbraucht Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, liefern oder aufgebraucht werden. Sie endlich! (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Paul Danke schön. Lehrieder [CDU/CSU]: Das wissen wir!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Für uns bedeutet das erstens: Bürgerschaftliches En- DIE GRÜNEN – Ingrid Fischbach [CDU/ gagement ist und bleibt freiwillig und lässt Kreativitäts- CSU]: Das war ein Plagiat!) und Handlungsspielräume für die Helfer. Zweitens setzt bürgerschaftliches Engagement eine soziale Absiche- rung voraus, das heißt gute Renten basierend auf guten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Löhnen, abgesichert durch einen echten Mindestlohn. Paul Lehrieder hat jetzt das Wort für die CDU/CSU- Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Drittens setzt bürgerschaftliches Engagement Zeit vo- raus. Das heißt weniger Zeitdruck für Schülerinnen und Paul Lehrieder (CDU/CSU): Schüler, Berufsanfänger und Eltern sowie kreative Ideen für Zeitspenden von älteren Menschen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich darf zunächst meiner Freude da- Viertens hilft bürgerschaftliches Engagement gegen rüber Ausdruck verleihen, dass die Frauenquote im Prä- Einsamkeit. Das heißt, wir dürfen Kranke und ältere sidium des Bundestages heute in herausragender Weise Menschen mit ihren Sorgen und Hoffnungen nicht allein erfüllt ist. lassen. Das hilft Helfern und Geholfenen und ist Mar- kenzeichen für eine soziale Gesellschaft. Deswegen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie brauchen wir soziale Netzwerke und dürfen diese wie bei Abgeordneten der LINKEN) zum Beispiel das Programm „Soziale Stadt“ nicht ka- Die jungen Arbeitnehmer können vielleicht schneller puttsparen. Aber auch da haben wir keinen Widerspruch laufen, Frau Marks, aber die alten kennen die Abkür- von der zuständigen Ministerin gehört. zung. – Herr Müntefering, ich wollte Sie gerade loben, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ aber jetzt gehen Sie hinaus. – Ein Beispiel für diese (B) (D) DIE GRÜNEN – Caren Marks [SPD]: Das Weisheit haben wir in den Reihen der SPD mit unserem kennt sie wahrscheinlich gar nicht! Das ist das ehemaligen Arbeitsminister Franz Müntefering. Franz erste Mal, dass sie davon gehört hat!) Müntefering ist laut Kürschners Volkshandbuch zu Be- ginn dieses Jahres 72 Jahre alt geworden. Er war schon Schließlich fünftens. Bürgerschaftliches Engagement deutlich über 65 Jahre, als er in seiner Weisheit erkannt verdient Respekt und Anerkennung. Da sind wir uns, hat: Von den gewonnenen Lebensjahren müssen wir ei- glaube ich, hier im Haus alle einig. nen Teil im Arbeitsleben verbringen. – Dass er den Kon- flikt mit Teilen seiner Partei auf sich genommen hat und Die Organisation von freiwilligem Engagement vor das Arbeiten bis 67 auf den Weg gebracht hat, dafür Ort zur Erschließung der Potenziale ist aber alles andere wollte ich ihm an dieser Stelle, auch als damaliger Part- als ein Selbstläufer. Dafür müssen wir vor allem die Zu- ner in der Großen Koalition, ausdrücklich noch einmal gänge organisieren. Gebraucht werden Information, Be- danken. Es gerät doch schnell in Vergessenheit. ratung und Vernetzung. Dafür muss selbstverständlich auch Geld in die Hand genommen werden. Da es um ei- (Beifall bei der CDU/CSU) nen gesamtgesellschaftlichen Gewinn geht, muss auch Frau Kollegin Marks hat ausgeführt: Die Beschäfti- klar sein, dass Kommunen, Länder und Bund gemein- gungsquote bei den Älteren lässt noch zu wünschen üb- sam gefragt sind. rig. – Frau Kollegin Marks, Politik beginnt mit dem Be- So wie es ein Miteinander in der Politik geben muss, trachten der Realität. Im Jahr 2000 lag die um die Potenziale des Alters auszuschöpfen, so braucht Beschäftigungsquote bei den 60- bis 65-Jährigen bei es auch ein Miteinander der Generationen, damit sich 22,2 Prozent. Im Jahr 2010 lag sie bei 44,2 Prozent. Die diese Potenziale entfalten können. Beschäftigungsquote der 60- bis 65-Jährigen hat sich in diesen zehn Jahren also verdoppelt. Gerade älteren Menschen liegt das besonders am Her- zen. Ein besseres Miteinander der Generationen könnte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und dazu beitragen, Zeitdruck von jüngeren Menschen zu der FDP – Caren Marks [SPD]: Die ist immer nehmen und älteren Menschen neue Betätigungsfelder noch schlecht!) zu geben. Die Potenziale des Alters kämen hier wunder- Das liegt zum einen am Auslaufen der 58er-Rege- bar zum Tragen, etwa durch verschiedene Patenschaften lung; das ist richtig. Bis vor wenigen Jahren gab es diese in Schule, Familie oder Wohnumfeld. – damals sicherlich vernünftige – Regelung, mit der wir Meine Kolleginnen und Kollegen, es kommt nicht da- den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesagt ha- rauf an, wie alt wir werden, sondern wie wir alt werden. ben: Mit 58 Jahren brauchen wir dich nicht mehr so nö- 21384 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Paul Lehrieder (A) tig am Arbeitsmarkt. – Wir werden aber in Zukunft die „Hurra, wir werden älter“, so lautete die Überschrift (C) Potenziale älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch des Leitartikels des Hamburger Abendblatts vom 4. Mai, in den Unternehmen stärker benötigen. Es gibt Experti- also vor wenigen Tagen. Dass wir älter werden, ist – ich sen, die genau belegen, dass ein vernünftiger Mix von habe es bereits ausgeführt – tatsächlich ein Grund zur Jungen und Alten in einer Belegschaft das betriebswirt- Freude. Die gewonnenen Lebensjahre sind ein Geschenk schaftliche Ergebnis eines Unternehmens am besten stei- für die ganze Gesellschaft. Wenn heute, am 11. Mai gern kann, dass dieser Mix die höchste Effizienz bringt. 2012, ein Kind geboren wird, hat es eine 50-prozentige Darum werden wir in Zukunft unsere älteren Mitbürge- Chance, 100 Jahre alt zu werden. Derzeit leben in unse- rinnen und Mitbürger im Berufsleben, solange sie fit rem Land bereits 17 Millionen Menschen, die älter als sind, brauchen. Daran arbeiten wir, Frau Kollegin 65 Jahre sind. Diese Zahl dürfte in den kommenden Jah- Marks. Es wäre gut gewesen, Sie hätten einmal mit ihren ren steigen. Experten schätzen, dass im Jahr 2020 gut ein Arbeitsmarktpolitikern gesprochen. Wir diskutieren über Drittel der 80 Millionen Deutschen zur Generation Prävention. 65 plus gehören wird. Bis zum Jahr 2040 wird sich die Zahl der über 80-Jährigen auf mehr als 8 Millionen ver- (Caren Marks [SPD]: Sie diskutieren! Aber doppeln. Sie machen nichts!) Noch vor 50 Jahren sind viele Menschen bereits vor – Wir machen schon etwas, liebe Frau Kollegin. Fragen dem Eintritt in das Rentenalter gestorben – Frau Ministe- Sie doch einmal Frau Kramme. Wir haben das Pro- rin hat in ihrer Rede bereits darauf hingewiesen –; die gramm „INQA – Initiative Neue Qualität der Arbeit“. durchschnittliche fernere Lebenserwartung eines 65-Jäh- (Caren Marks [SPD]: Abgebaut haben Sie rigen betrug etwa zwei Jahre. Wer heute in Rente geht, das!) hat oft noch gut 20 Jahre vor sich. Statistisch gesehen ist die Lebenserwartung zuletzt Jahr für Jahr um drei Mo- Das heißt, wir machen uns sehr wohl Mühe, zu errei- nate gestiegen. chen, dass unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger bis zum Alter von 65 Jahren oder 67 Jahren – und natürlich Ich glaube, die Potenziale des Alters sollten wir ge- darüber hinaus – gesund im Berufsleben stehen. Diese meinsam, parteiübergreifend positiv bewerten. Im Übri- Aufgabe wird in Zukunft noch wichtiger werden. gen sollten Bufdis keine Zwangsarbeit für Ältere leisten. Es gibt sehr viele engagierte Senioren – ich kenne wel- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nennen Sie che aus meinem Wahlkreis –, die froh sind, wenn sie sich mal die Erwerbstätigenquote!) in der Gesellschaft einbringen können, die froh sind, ver- – Die habe ich doch gerade genannt, Herr Kollege mittelt zu bekommen: Ich werde noch gebraucht. – Sie (B) Wunderlich. Sie kommen hierher und fordern mich auf, arbeiten ehrenamtlich mit. (D) die Erwerbstätigenquote zu nennen. Wenn Sie mir zuge- Frau Ministerin Schröder hat sehr zutreffend darauf hört hätten, würden Sie sie kennen. hingewiesen: Viele Großeltern sind froh, dass sie mit Jetzt, im Jahr 2012, liegt die Beschäftigtenlücke be- den Enkeln die Zeit verbringen können, die sie, viel- reits bei über 1 Million. Das heißt, 1 Million zusätzliche leicht bedingt durch eine Berufstätigkeit, für die eigenen Arbeitsplätze kann in Deutschland geschaffen werden. Kinder nicht hatten. Das ist ein Ausdruck von Lebens- Wir werden in Zukunft auf vier Baustellen tätig sein qualität. Diesen positiven Ansatz fortzuentwickeln ist müssen: Wir werden die Beschäftigtenquote der Frauen des Schweißes aller Edlen und Gerechten wert. Lassen etwas erhöhen müssen; da stehen wir im internationalen Sie uns gemeinsam daran arbeiten! Vergleich noch nicht allzu gut da. Wir werden aber auch die Beschäftigtenquote der Älteren in den Unternehmen Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. erhöhen müssen, und zwar durch Vermittlung von Wert- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schätzung der Älteren. Wir werden die Beschäftigten- neten der FDP) quote der bei uns lebenden Migranten mit Deutschkennt- nissen verbessern müssen. Außerdem werden wir überlegen müssen, wie wir noch Beschäftigtenpotenziale Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: im Ausland für uns gewinnen können. – Eine dieser vier Ich schließe die Aussprache. Stellschrauben unserer zukünftigen Berufswelt wird aber die Beschäftigung unserer älteren Mitbürgerinnen und Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Mitbürger, sofern sie fit sind, sein. empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 17/9504. Der Aus- Noch etwas: Wir sind bei der Beschäftigtenquote der schuss empfiehlt in Kenntnis des Sechsten Berichts der 55- bis 65-Jährigen nicht so schlecht, wie Sie, Frau Bundesregierung zur Lage der älteren Generation auf Marks, ausgeführt haben. Die Schweden liegen in die- Drucksache 17/3815 unter Buchstabe a seiner Be- sem Bereich mit 70,5 Prozent an der Spitze. Die Be- schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak- schäftigungsquote in Deutschland liegt bei 57,7 Prozent. tionen CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/8345 mit Der EU-Durchschnitt liegt bei 46,3 Prozent. Frankreich dem Titel „Altersbilder positiv fortentwickeln – Poten- liegt bei 39,7 Prozent. Ich glaube, beschäftigungspoli- ziale des Alters nutzen“. Wer stimmt für diese Be- tisch werden wir von den Franzosen nicht viel lernen schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- können, auch wenn Sie, Frau Dittrich, Gegenteiliges ver- tungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung mitteln wollen. von CDU/CSU und FDP angenommen. Dagegen waren Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21385

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) SPD und Linke. Bündnis 90/Die Grünen haben sich ent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (C) halten. Miriam Gruß [FDP]) Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- So wirft die Linke der Bundesregierung vor, den Aus- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der bau der Kinderbetreuung nicht ernst zu nehmen. Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2145 mit dem Titel (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Zu Recht!) „Potenziale des Alters und des Alterns stärken – Die Teilhabe der älteren Generation durch bürgerschaftliches Wir haben bereits gestern in der Aktuellen Stunde da- Engagement und Bildung fördern“. Wer stimmt für diese rüber diskutiert. Auch durch Wiederholung wird Ihre Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent- Behauptung nicht wahrer. Der Bund ist seiner Verant- haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zustim- wortung beim Ausbau vollumfänglich gerecht gewor- mung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Da- den. gegen haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die Linke hat sich enthalten. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Obwohl er das gar nicht musste!) Abstimmung über den Entschließungsantrag der Beim Krippengipfel 2007 haben sich Bund, Länder Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9596. Wer und Kommunen an einen Tisch gesetzt und gemeinsam stimmt für den Entschließungsantrag? – Wer stimmt da- Ausbaukosten von 12 Milliarden Euro veranschlagt. gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist Jede Ebene hat dabei zugesagt, jeweils ein Drittel der bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion abge- Kosten zu übernehmen. lehnt; alle übrigen Fraktionen waren dagegen. (Caren Marks [SPD]: Das ist teurer Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 34 auf: geworden!) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Die zugesagten 4 Milliarden Euro hat der Bund ebenso richts des Ausschusses für Familie, Senioren, bereitgestellt, wie wir zu den Betriebskostenzuschüssen Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An- von 770 Millionen Euro jährlich ab 2014 stehen. Egal trag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana wie oft Sie die Forderung wiederholen, der Bund solle Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord- weitere Krippenplätze bauen: Zuständig sind hierfür die neter und der Fraktion DIE LINKE Länder und Kommunen. Für die Finanzausstattung der Kommunen sind wiederum die Länder zuständig. Für eine moderne und zukunftsweisende Fa- milienpolitik (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (B) Miriam Gruß [FDP] – Caren Marks [SPD]: (D) – Drucksachen 17/6915, 17/9551 – Und der Bund!) Berichterstattung: Ergänzt wird die Finanzierung des Ausbaus der Krip- Abgeordnete Nadine Schön (St. Wendel) penplätze durch das Aktionsprogramm Kindertages- Caren Marks pflege. Mit diesem werden der Platzausbau in der Kin- Nicole Bracht-Bendt dertagespflege und die Weiterbildung von Tageseltern Jörn Wunderlich mit 29 Millionen Euro unterstützt. Über das Programm Katja Dörner konnte beispielsweise der Anteil der Tagespflegeperso- Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debat- nen ohne Qualifikationskurs immerhin auf 14 Prozent tieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das gesenkt werden. Mit der Qualifizierungsinitiative für so beschlossen. Deutschland haben wir seit 2008 zusätzlich 80 000 Er- zieherinnen und Erzieher sowie Tagesmütter und Tages- Die Kollegin Ewa Klamt hat das Wort für die CDU/ väter weitergebildet. CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Die „Offensive Frühe Chancen“ ergänzt unsere Fami- Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]) lienpolitik im Bereich der Sprachförderung von Kindern. Hier werden bis 2014 rund 400 Millionen Euro zur Ver- Ewa Klamt (CDU/CSU): fügung gestellt, um in etwa 4 000 Kitas in Deutschland Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und auf Kinder mit besonderem Sprachförderbedarf ein- Herren! Wir diskutieren heute über den Antrag der Lin- zugehen. Das bedeutet für jede Kita vier Jahre lang ken mit dem Titel „Für eine moderne und zukunftswei- 25 000 Euro für eine Fachkraft. Ich selbst habe mehrere sende Familienpolitik“. Schwerpunktkitas in meinem Wahlkreis. Die Erzieherin- nen vor Ort sind voll des Lobes und der Anerkennung (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ein guter für diese Leistung des Bundes, die direkt den Kindern Titel!) zugutekommt, die sie brauchen. Ein schöner Titel, aber bei genauerem Hinschauen stellt Interessant ist auch der Vorwurf der Linken, dass die man fest, dass der Antrag im Wesentlichen eine bunte Bundesregierung an alten Rollenbildern festhalte. Da Vielfalt an „Wünsch dir was“-Punkten, schillernden kann ich nur sagen: Im Gegensatz zu Ihnen respektieren Ideen und abstrusen Vorwürfen ist. wir individuelle Lebensentwürfe und Wertevorstellun- 21386 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Ewa Klamt (A) gen von Familien und orientieren uns an den vielen spe- tiger. Familienfreundlichkeit ist ein entscheidender (C) zifischen Bedürfnissen. Standortfaktor. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ah ja!) Was sich Familien wünschen und wo große Schwie- rigkeiten auftreten, zeigt sich im Achten Familienbe- Dementsprechend verstehe ich unter einer modernen Fa- richt, den Ministerin Kristina Schröder diese Woche im milienpolitik, dass wir die vielfältigen und auch sehr un- Ausschuss vorgestellt hat. Zeit wird dabei als eine der terschiedlichen Bedürfnisse von Familien in Deutsch- wertvollsten Ressourcen von Familien anerkannt. Um land anerkennen und entsprechend praktikable Lösungen diese Zeitsouveränität für Familien zu schaffen, sollen für Familien umsetzen. Im Gegensatz zu Ihnen sprechen verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten geprüft wer- wir nicht nur für einen Teil der Familien; wir setzen uns den, zum Beispiel die Förderung haushaltsnaher Dienst- für alle ein. leistungen, die ausgeweitete Übertragbarkeit von Eltern- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn zeitansprüchen oder auch die Großelternzeit. Ebenso Wunderlich [DIE LINKE]: Für die Familien, wichtig war uns, dass Frauen nach einer Babypause in die wohlhabend sind! Das ist das Problem!) den Beruf zurückkehren können. Das vom Familienmi- nisterium entwickelte Programm „Perspektive Wieder- Herr Wunderlich, wenn Sie zugehört hätten, dann einstieg“ ist dabei so erfolgreich, dass es sogar in den In- wüssten Sie, dass wir uns entgegen Ihrem Zuruf, den die strumentenbaukasten der Bundesagentur für Arbeit Zuhörer wahrscheinlich nicht gehört haben, nicht nur für aufgenommen wurde. Vielen Dank, Frau Ministerin! die Wohlhabenden einsetzen. Es ist klar: Wenn wir ge- rade für Kinder mit Migrationshintergrund 400 Millio- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen Euro investieren, damit in Kitas entsprechende Ihr Vorschlag, sehr geehrte Kollegen der Linken, lau- Fachkräfte eingesetzt werden können, dann ist das eine tet hingegen, den Kündigungsschutz für Eltern bis zum ganz andere Gruppe als eine wohlhabende. Das wissen vollendeten sechsten Lebensjahr des Kindes auszuwei- Sie genau. ten. Das ist schlichtweg kontraproduktiv. Unstrittig ist, dass die Vereinbarkeit von Familie und Für uns ist entscheidend, junge Familien finanziell zu Beruf eine gesellschaftliche Herausforderung ist. Ursula unterstützen, und das haben wir entsprechend verstetigt von der Leyen und ausgeweitet. Das von uns eingeführte Elterngeld kann als voller Erfolg verbucht werden. 98 Prozent aller (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die wollen Eltern nehmen diese Unterstützung des Staates in An- wir wiederhaben!) spruch. Damit haben wir für Eltern nach der Geburt ei- hat 2005 diese vernachlässigte Aufgabe erstmalig zu ih- nes Kindes einen Schonraum geschaffen und konnten (B) (D) rem Schwerpunktthema gemacht. Dazu gehören der gleichzeitig – darüber freue ich mich ganz besonders – Ausbau der Kinderbetreuung und der Rechtsanspruch junge Väter motivieren, mehr Verantwortung bei der Er- auf einen Kitaplatz ab 2013 als wohl wichtigste Bestand- ziehung ihres Kindes zu übernehmen. teile der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) der FDP) Es ist interessant, dass bereits jeder vierte Vater seiner Partnerin bei der Betreuung des gemeinsamen Kindes Hier dürfte sogar die SPD klatschen; denn Sie haben es zur Seite steht. Gleichzeitig werden insbesondere Frauen in der Großen Koalition mit beschlossen. motiviert, nach einer intensiven Kinderzeit wieder An- (Christel Humme [SPD]: Aber seitdem ist ja schluss an das Berufsleben zu finden. nichts mehr passiert!) (Caren Marks [SPD]: Das Elterngeld haben – Es kann sein, dass in NRW nichts passiert ist. Auf wir übrigens in der Großen Koalition durchge- Bundesseite ist alles in die Wege geleitet worden. setzt!) (Christel Humme [SPD]: Herr Laschet war Auch Ihr Vorschlag zur Ausweitung des Elterngeldes auf das! Er hat das nicht umgesetzt!) 24 Monate für Alleinerziehende ist hier nicht zielfüh- rend, weil dadurch der Wiedereinstieg zusätzlich er- Familienfreundlichkeit von Unternehmen gehört schwert wird. ebenso dazu. Unsere Gespräche mit Arbeitgebern haben unter anderem zu der Initiative „Familienbewusste Ar- Zur finanziellen Unterstützung von Familien gehört beitszeiten“ geführt. Die Gewinner des Wettbewerbs neben dem Elterngeld in den ersten 12 bis 14 Monaten „Erfolgsfaktor Familie“ sind ein guter Beweis dafür, auch das Kindergeld. Bereits zu Beginn dieser Legisla- dass auch in der Wirtschaft das Bewusstsein für die turperiode hat diese Koalition daher die Kinderfreibe- nötige Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie träge auf 7 008 Euro erhöht und das Kindergeld um und Beruf wächst. Dahinter steht die Erkenntnis, dass 20 Euro angehoben. Allein dadurch hat eine vierköpfige Unternehmen nur gewinnen können, wenn sie die Be- Familie im Jahr 480 Euro mehr zum Leben. dürfnisse ihrer Mitarbeiter ernst nehmen und Familien- Da aus unserer Sicht zur Familienpolitik auch eine ei- verantwortung als wertvolle Bereicherung von Kom- genständige Jugendpolitik gehört, ist Familienministe- petenzen betrachten. Das wird gerade im Zuge des rin Kristina Schröder hier vorangegangen und hat das Fachkräftemangels in den nächsten Jahren immer wich- neue Politikfeld etabliert. Jugendliche in Deutschland Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21387

Ewa Klamt (A) sind in der großen Mehrheit engagierte und verantwor- Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten (C) tungsbewusste junge Menschen. Das kann man auch am ist der Ansatz immer klar gewesen: Moderne, nachhal- Erfolg des Bundesfreiwilligendienstes ablesen. tige Familienpolitik ist ohne moderne nachhaltige Gleichstellungspolitik nicht möglich. Das gilt natürlich (Beifall bei der CDU/CSU – Ingrid Fischbach auch umgekehrt: Eine moderne Gleichstellungspolitik ist [CDU/CSU]: Das haben die auch kaputtgere- ohne eine moderne Familienpolitik genauso wenig mög- det!) lich. – Erinnern wir uns an die gestrige Debatte zum Be- 10 Prozent aller Jugendlichen eines Jahrgangs beteiligen treuungsgeld. Es steht weder für eine moderne Familien- sich deutschlandweit an den Freiwilligendiensten. Nur politik noch für eine moderne Gleichstellungspolitik, zur Erinnerung: Von der Opposition wurde dieses Kon- zept noch im letzten Jahr als Rohrkrepierer bezeichnet. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie Ich kann also festhalten: Man kann alles schlechtreden; verstehen es halt nicht! Dann ist Ihnen auch wir machen es gut. nicht mehr zu helfen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wenn Sie das Betreuungsgeld einführen wollen. Ich neten der FDP) hoffe, das Betreuungsgeld kommt nicht, wie von Frau Haderthauer und der CSU angekündigt, vor der Som- Immerhin können wir einen Punkt Ihres Antrags voll merpause. und ganz unterschreiben: Familie ist dort, wo Verant- wortung füreinander übernommen wird. – Genau des- Die CSU-Sozialministerin Haderthauer beklagt, es halb haben wir neben all den anderen bereits genannten gebe in der CDU keine echten Familienpolitikerinnen Punkten mit der Familienpflegezeit erstmals die Mög- mehr. Recht hat sie. Recht hat sie jedoch nicht, wenn sie lichkeit geschaffen, Verantwortung in der Familie und mit dieser Aussage den verstaubten ideologischen Verantwortung im Beruf zu kombinieren. Kampf der 50er-Jahre wiederbeleben will. Das ist ein Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Antrag der ideologischer Kampf, den wir alle hier im Parlament Linken manch wünschenswerten Aspekt enthält; aber – davon bin ich überzeugt – schon längst überwunden – und dieses Aber ist entscheidend – es fehlt wie immer glaubten. Recht hat sie vor allen Dingen nicht, wenn sie eine Gegenfinanzierung Ihrer Vorschläge. Wir als christ- behauptet, das Betreuungsgeld fördere Wahlfreiheit. Das lich-liberale Koalition werden auch in Zukunft Politik ist ein Irrtum, dem offensichtlich viele von Ihnen unter- für Familie machen und die nötigen Maßnahmen ergrei- liegen, leider auch die Ministerin. fen, Maßnahmen, die die Familien im Zusammenleben Warum? Liebe Frau Klamt, Sie haben gerade gesagt, unterstützen, die den Familien bei der Bewältigung ihres dass Sie alle Familien gleichermaßen wertschätzen. (B) Alltags helfen und die die individuellen Lebensentwürfe Schauen wir uns doch einmal an, was der Bund tatsäch- (D) von Familien respektieren und anerkennen. lich für die Familien ausgibt. Er gibt jährlich mehr als Ich danke Ihnen. 130 Milliarden Euro aus, 72 Milliarden Euro davon ge- hen an Familien mit einem traditionellen Familienbild, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) in denen der Vater der Ernährer ist und die Frau in der Regel zu Hause bleibt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Christel Humme das Wort für die SPD-Frak- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So tion. definieren Sie es!) (Beifall bei der SPD) 25 Milliarden Euro geben Bund, Länder und Kommunen für die Betreuungsinfrastruktur aus. Ist das für Sie eine Christel Humme (SPD): gleichwertige Wertschätzung der beiden Lebensformen? Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin- Ist es für Sie Wahlfreiheit, wenn wir auf der einen Seite nen! Frau Klamt, man kann sich die Welt auch schönma- 72 Milliarden Euro und auf der anderen Seite nur len. Das haben Sie gerade getan. 25 Milliarden Euro ausgeben, obwohl wir alle wissen, dass Familien mit Kindern Schlange stehen, um einen (Ewa Klamt [CDU/CSU]: Nein, ich habe Ih- Betreuungsplatz zu bekommen? Wo ist da die Balance? nen nur die Realität geschildert!) Wo ist da die Wahlfreiheit? Ich glaube, noch nie gab es eine Regierung, die über Fa- Frau Ministerin Schröder, Sie haben uns gestern in milienpolitik so zerstritten war wie die jetzige Regie- der Debatte vorgeworfen, wir seien nicht sensibel für die rung. Noch nie hat es eine Regierung gegeben, Frau Bedürfnisse junger Familien, Schröder, die nach der Halbzeit in der Familienpolitik eine Minusbilanz aufzuweisen hatte. Sie haben wunder- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Da hat schöne Programme aufgelegt und Appelle formuliert, sie recht!) aber keine einzige Entscheidung getroffen, die für eine moderne, nachhaltige Familienpolitik gestanden hätte. schließlich wollten 50 Prozent der Eltern gar keinen Krippenplatz. Ich kann die Zahlen nicht nachprüfen; ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ weiß nicht, wo Sie die herhaben. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ewa Klamt [CDU/CSU]: Die sind (René Röspel [SPD]: Wie üblich: Quellenloses längst umgesetzt!) Zitieren!) 21388 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Christel Humme (A) Aber selbst wenn das stimmen sollte: Was machen Sie (Caren Marks [SPD]: Gegen große Wider- (C) denn mit den anderen 50 Prozent, die einen Krippenplatz stände aus der Union! – Gegenruf des Abg. haben wollen? In den westlichen Ländern haben wir eine Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ach, 20-prozentige Bedarfsdeckung. Es fehlen also immer Quatsch!) noch 30 Prozent, für die wir die 2 Milliarden Euro, die Sie für das Betreuungsgeld vorgesehen haben, unbedingt und darüber sind wir froh; denn mittlerweile beteiligen brauchen. sich 25 Prozent der Väter an der Familienarbeit, was aber auch heißt, dass sich 75 Prozent der Väter nicht be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten teiligen. Wir waren immer für mehr Partnerschaftlichkeit der LINKEN) in der Elternzeit. Frau Schröder, ich muss leider feststellen: Sie sind Frau Schröder, auch Sie wollten es anfangs ermögli- eine Familienministerin, die ein bisschen sehr weit von chen, die Elternzeit partnerschaftlich aufzuteilen, und der Lebenswirklichkeit und den Bedürfnissen junger zwar nicht für 7 Monate, wie es jetzt der Fall ist, sondern Menschen entfernt ist. für 14 Monate. Leider sind Sie vor dem Finanzminister (Zuruf von der FDP: Sie ist ganz nah dran! eingeknickt. Sie haben sich nicht durchsetzen können. Näher dran als Sie!) Es reicht auch nicht aus, zu appellieren, dass die Mög- lichkeit, von Teilzeit auf Vollzeit zu gehen, verbessert Hinzu kommt die Zerstrittenheit in Bezug auf das Be- werden sollte. Wir sind der Meinung, dass wir dafür eine treuungsgeld. Ich befürchte, dass dies eine vertane gesetzliche Lösung brauchen. Ich denke, Sie sollten sich Chance für die jungen Menschen ist. einmal mit der ehemaligen Familienministerin Frau von Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten der Leyen zusammensetzen. Sie sollten mit ihr sprechen sind drei Aspekte wichtig, wenn wir über unsere Ziele in und gemeinsam einen Entwurf eines neuen, besseren der Familienpolitik sprechen: Teilzeit- und Befristungsgesetzes auf den Tisch legen, das Familien hilft. Es muss möglich sein, befristet teil- (Zuruf von der FDP: Nicht sprechen, handeln!) zeitbeschäftigt zu sein mit dem Recht, später wieder Vollzeit zu arbeiten. Ich denke, das sind konkrete Lösun- Wir brauchen Geld, Infrastruktur und Zeit, um uns nah gen, und darum geht es doch eigentlich. an der Lebenswirklichkeit junger Familien zu orientie- ren. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich als Beispiel meine Familie anführen. Der Arbeitsmarkt tut natürlich sein Übriges. Ich Frau Schröder, ich habe Töchter in Ihrem Alter. Sie sind denke an meine Töchter. Sie haben einen Arbeitsmarkt (B) 27 und 30 Jahre alt. Sie sind also in einem Alter, in dem vor sich, auf dem es Teilzeitfallen, Praktika, befristete (D) die Entscheidung ansteht, ob man eine Familie gründen Arbeitsverträge und Minijobs gibt. Und wir wundern möchte. Meine Töchter gehören wie Sie zu der Genera- uns, dass die Familiengründung immer weiter hinausge- tion von Frauen, die eine Ausbildung bzw. ein Studium schoben wird? Ich denke, auch an dieser Stelle brauchen absolviert haben und den erlernten Beruf auch ausüben wir gesetzliche Regelungen, auch ein Entgeltgleichheits- wollen. Wer möchte ihnen das verwehren? Sie möchten gesetz, damit Männern und Frauen gleicher Lohn für natürlich ein existenzsicherndes Einkommen, weil sie gleiche Arbeit gezahlt wird. Die Rahmenbedingungen wissen, dass sonst unter Umständen Altersarmut droht. auf dem Arbeitsmarkt müssen für Familien stimmen. Meine Töchter gehören zu den 80 Prozent der jungen Frauen, über die Jutta Allmendinger im Zuge einer Stu- Die Linken haben einen Antrag vorgelegt, in dem vie- die aus dem Jahr 2008 einmal gesagt hat: Diese Frauen les von dem, was ich gerade genannt habe, aufgegriffen wollen Kinder, Karriere und einen Mann, aber keinen wird. Wir stimmen dem Antrag trotzdem nicht zu. Versorger. – Ich möchte hinzufügen: Sie haben ihr Buch Manchmal fordert man vielleicht zu viel des Guten. Ich nicht für Frauen wie meine Töchter geschrieben. Zumin- möchte nur zwei Beispiele nennen: Sie möchten den dest stelle ich fest, dass sich meine Töchter von Ihrem Kündigungsschutz bis zum sechsten Lebensjahr des Kin- Buch nicht angesprochen gefühlt haben. des ausweiten – das hört sich super an –, und Sie möch- ten, dass die Alleinerziehenden 24 Monate lang Eltern- Es liegt doch auf der Hand: Junge Frauen wie meine geld beziehen; auch das hört sich super an. Beides ist Töchter brauchen einen guten Betreuungsplatz für ihre aber eine Falle. Die eine Falle ist, dass Frauen aufgrund Kinder, um ihren Beruf weiter ausüben und so ihr Fami- des Kündigungsschutzes keine Anstellung finden. Die lieneinkommen sichern zu können. Was sollen die mit andere Falle ist: Wenn man zu lange aus dem Beruf he- dem Betreuungsgeld anfangen? Überhaupt nichts. Hier raus ist, findet man den Anschluss nicht mehr. wird deutlich, wie weit Sie sich mit Ihrer Politik von dem entfernt haben, was sich die jungen Menschen wün- Von daher sagen wir: Gute Bildung und Betreuung, schen. Im Moment bieten Sie auf Bundesebene keine gute Arbeit, Zeit für Familien, und zwar für Frauen und einzige Lösung an, wie den jungen Frauen in irgendeiner Männer – das ist die richtige Politik, das ist moderne Fa- Weise Unterstützung gewährt werden kann. milienpolitik und gleichzeitig moderne Gleichstellungs- Ein Wort zu Ihnen, Frau Klamt. Sie vertun sich: Wir politik. haben damals bei den Verhandlungen zum Koalitions- Danke schön. vertrag die Einführung des Elterngeldes und der Eltern- zeit durchgesetzt, (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21389

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tun dies alles mit Vernunft und Augenmaß, aber auch mit (C) Jetzt hat Miriam Gruß das Wort für die FDP-Fraktion. Blick auf den Haushalt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Bundesrepublik ist kein Li-La-Launeland und der der CDU/CSU) Haushalt kein „Wünsch dir was“-Fonds. Mit Realpolitik hat Ihr Antrag nichts zu tun. Deswegen wird er von uns klar abgelehnt. Miriam Gruß (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Herren! Herr Wunderlich, Sie haben im Familienaus- der CDU/CSU) schuss über den Antrag gesagt, das sei ein bunter Strauß an Forderungen der Familien-, Frauen-, Gesundheits- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: und Pflegepolitik. Ich muss Ihnen leider attestieren: Der Jörn Wunderlich hat das Wort für die Fraktion Die Strauß ist nicht bunt, sondern rot und vor allem teuer. Linke. (Beifall der Abg. Ewa Klamt [CDU/CSU]) (Beifall bei der LINKEN) Ich will nur einige Punkte aus diesem „Wünsch dir was“-Katalog nennen – sie sind schon angesprochen Jörn Wunderlich (DIE LINKE): worden –: gebührenfreie Ganztagsbetreuung, Elterngeld Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! für Alleinerziehende auf 24 Monate ausweiten, Kinder- Hier wurde herausgehoben, was diese Koalition gemacht geld auf 200 bis 300 Euro erhöhen und natürlich ein hat, zum Beispiel die Erhöhung des Kindergeldes. Das Mindestlohn in Höhe von mindestens 10 Euro pro ist ja schön. Aber was hat eine Familie im Hartz-IV-Be- Stunde. Ja, ich gebe zu, dass man in der Opposition den zug von der Erhöhung des Kindergeldes? Nichts, weil es Vorteil hat, dass man nicht alles mit spitzem Bleistift voll angerechnet wird. rechnen muss. Das, was Sie verlangen, geht aber in den (Ewa Klamt [CDU/CSU]: Nein! Die werden zweistelligen Milliardenbereich, und das hat nichts mit voll und ganz unterstützt!) seriöser Familienpolitik zu tun; Was hat eine Alleinerziehende, die Unterhaltsvorschuss (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten bezieht, von der Kindergelderhöhung? Nichts, weil der der CDU/CSU) Unterhalt voll gegengerechnet wird. – So viel zur Wert- denn seriöse Familienpolitik bedeutet auch, darauf zu schätzung aller Familien. achten, welche Schulden wir den nächsten Generationen Ich habe vier Minuten Redezeit. Wie soll man in vier (B) hinterlassen. Die Realisierung Ihrer Forderungen hätte Minuten eine Neuausrichtung der Familienpolitik dar- (D) einen Schuldenaufbau zur Folge. Ich glaube, dass Ihren stellen? Haushaltspolitikern die Schamesröte ins Gesicht gestie- gen ist, als sie diesen Antrag im Haushaltsausschuss ver- (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Du schaffst teidigen mussten. Sie haben damit jede Glaubwürdigkeit das!) verloren. Sie sollten kein einziges Mal mehr über den Ich will mich auf wenige Punkte beschränken. Ich wäre Abbau der Neuverschuldung sprechen. schon froh, wenn die Regierung nur einen – ich wieder- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) hole: nur einen – der von uns beantragten Punkte auf- greifen würde. Hauptsache, sie fängt überhaupt einmal Jetzt kommt mein Lieblingssatz: Auf Schuldenbergen an. können Kinder nicht spielen und erst recht nicht lernen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dagmar Ziegler [SPD] – Dagmar Ziegler der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Deshalb [SPD]: Keine Chance!) haben Sie die Hoteliers entlastet! Damit der Schuldenberg nicht wächst!) Zu Punkt 1 unserer Forderungen: einem gesetzlichen Mindestlohn und Arbeitsbedingungen, welche familien- Dieser Satz stimmt. Das, was Sie fordern, würde zu ei- freundlich gestaltet sind. Ich nenne ein Beispiel – es ist nem höheren Schuldenberg führen. Wir hingegen ma- hier angesprochen worden –: Man kann in einem Betrieb chen uns an den Abbau der Neuverschuldung. Wir inves- Pflegezeit beantragen, wenn zum Beispiel ein Elternteil tieren klug und gerecht. pflegebedürftig wird. Einen Rechtsanspruch auf diese Pflegezeit – vergleichbar mit der Elternzeit – gibt es aber Wir haben investiert. Wir haben das Kindergeld und nicht. Hier soll – so ist es am Mittwoch gesagt worden – die Kinderfreibeträge erhöht. Wir geben 4 Milliarden Euro abgewartet werden, wie sich die Inanspruchnahme von für den Ausbau der Betreuungsplätze aus. Wir haben ein Pflegezeit auf freiwilliger Basis entwickelt. Kinderschutzgesetz, Strukturen für Familienhebammen und das Netzwerk Frühe Hilfen geschaffen. Wir haben Wir brauchen ein individuelles Recht auf Teilzeitar- die Familienpflegezeit eingeführt. Wir schaffen mit dem beit mit Rückkehr in die Vollzeit. Frauenhilfetelefon eine Infrastruktur zum Schutz von (Beifall bei der LINKEN) Frauen. Wir haben in den Haushalt Mittel zur Verbesse- rung von Kinderwunschbehandlungen eingestellt. Wir Auch der besondere Kündigungsschutz bis zur Einschu- gestalten den Elterngeldvollzug unbürokratischer. Wir lung des Kindes oder bis zur Vollendung des sechsten 21390 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Jörn Wunderlich (A) Lebensjahres des Kindes – in diesem Alter werden die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (C) meisten Kinder eingeschult –, der hier kritisiert wird, ist neten der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/ erforderlich. Das heißt ja nicht, dass diesen Eltern nicht CSU]: Es besteht ein Unterschied zwischen gekündigt werden kann. Es wird übrigens immer nur von Millionen und Milliarden!) Müttern gesprochen; Väter sind auch Elternteile. Aber man muss es auch wollen. Die Linke will es, aber (Caren Marks [SPD]: Wohl wahr!) die Gelb-Schwarzen werden heute wieder unter Beweis stellen, dass sie es nicht wollen. Ihnen kann gekündigt werden, aber es müssen besondere Gründe vorliegen. Die Arbeitszeit ist insgesamt so zu Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit an diesem gestalten, dass Väter und Mütter die Möglichkeit haben, Freitagnachmittag. neben der Elternschaft auch einer Erwerbstätigkeit nach- (Beifall bei der LINKEN) zugehen. Darüber hinaus brauchen wir eine Infrastruktur für Familien, Kinder und Jugendliche. Wir brauchen zu- nächst eine bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige Kin- Vizepräsidentin : derganztagsbetreuung. Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der LINKEN)

Das Elterngeld ist auszubauen, sowohl hinsichtlich Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Partnermonate als auch hinsichtlich der Teilzeit- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! arbeitsmöglichkeiten. Dazu wird sich in Kürze hier im Liebe Kollegen! Die Familienpolitik der schwarz-gelben Haus Gelegenheit ergeben. Mal sehen, ob die Koalition Bundesregierung ist leider völlig auf der falschen Spur. dann ihrem eigenen Koalitionsvertrag und dem einhelli- Wodurch zeichnet sich die Familienpolitik von Union gen Sachverstand aller Sachverständigen folgen wird. und FDP aus? Knatsch und Zank, etwas anderes be- Ganz wichtig: Der Unterhaltsvorschuss ist auszu- kommt man eigentlich gar nicht mit. Das Betreuungs- bauen. Ich habe es gerade schon gesagt. Die maximale geld ist nur ein Beispiel. Heute habe ich in der Zeitung Bezugsdauer von 6 Jahren ist mit nichts zu begründen, gelesen, dass die CSU Familienministerin Schröder ein und auch die Altersobergrenze von 12 Jahren nicht. Es Ultimatum stellt, um einen Gesetzentwurf vorzulegen. waren einmal 14 Jahre als Obergrenze geplant; dies ist (Caren Marks [SPD]: Da wird scharf geschos- von der Koalition wieder zurückgenommen worden. Er- sen! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Was klären Sie einmal einer alleinerziehenden Mutter oder ei- passiert, wenn sie es nicht macht?) (B) nem alleinerziehenden Vater, bei denen der Unterhalt (D) ausfällt, warum das Amt ab dem 13. Lebensjahr des Kin- Da muss ich doch sagen: Das ist wahre Liebe unter Ge- des keinen Unterhaltsvorschuss mehr zahlt. Braucht ein schwisterparteien. So stelle ich mir nun wirklich keine Kind ab 13 Jahren kein Essen, keine Schulbücher, keine harmonische Familienpolitik vor. Trotz dieser ganzen Kleidung und keine Teilhabe? Das erklären Sie einmal Streitereien sind in der Haushaltsplanung 1,2 Milliarden den Menschen, die täglich damit zu tun haben. Euro für das Betreuungsgeld vorgesehen. Diese 1,2 Mil- liarden Euro könnten wir in der Familienpolitik wirklich Das Totschlagargument der gelb-schwarzen Koali- sehr viel besser einsetzen. tion, das immer genannt wird, lautet: Wünsch dir was, wer soll das alles bezahlen? Ich werde es Ihnen sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bei Einführung eines Mindestlohns von 10 Euro pro sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Stunde – dies wird im Antrag erwähnt – würde sich nach KEN) Berechnungen des Prognos-Instituts durch höhere So- Wir hatten am Montag eine Anhörung im Familien- zialversicherungsbeiträge, höhere Steuereinnahmen und ausschuss. Diese Anhörung hat sich mit der Weiterent- geringere Sozialausgaben ein fiskalischer Gesamteffekt wicklung des Elterngelds befasst. Alle anwesenden Ex- von 12,7 Milliarden Euro ergeben. 12,7 Milliarden Euro pertinnen und Experten waren sich durch die Bank, egal plus! Dieses Geld verschleudert die Regierung allein wer sie eingeladen hatte, völlig einig, dass wir das durch ihr Nichtstun. Für den Kitaausbau sollte der Bund Teilelterngeld ausbauen sollten. nach unserer Überzeugung 4 Milliarden Euro zusätzlich in die Hand nehmen. Bleiben 8,7 Milliarden Euro übrig. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Rücknahme der Kürzung des Elterngelds würde 600 Millionen Euro kosten. Bleiben etwa 8,1 Milliarden Die jetzige Regelung hat nämlich den großen Nachteil, Euro übrig. Für den Kinderzuschlag sind 3,2 Milliarden dass die Eltern, die sich die Kindererziehung partner- und für die Aufstockung des Mindestelterngelds 2,3 Mil- schaftlich teilen, benachteiligt und diskriminiert werden. liarden Euro notwendig. Bleiben unter dem Strich rund Das können wir alle eigentlich nicht wollen. Alle Exper- 2,5 Milliarden Euro übrig. tinnen und Experten waren sich auch einig: Die Partner- monate beim Elterngeld müssen ausgebaut werden. Wenn die Regierung dann noch die geplanten 2 Mil- Auch das finden wir eigentlich alle richtig. Beide Vor- liarden Euro für dieses unsinnige Betreuungsgeld dazu- schläge sind auch im Koalitionsvertrag so vorgesehen. packt, sind die Forderungen in unserem Antrag, die als Für diese Vorschläge gab es sogar schon einen ausgear- nicht bezahlbar bezeichnet werden, allesamt problemlos beiteten Gesetzentwurf. Nur: Dieser Gesetzentwurf ist zu erfüllen. wieder eingesackt worden. Was war der Grund? Der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21391

Katja Dörner (A) Grund war: Es ist kein Geld für diese sinnvollen Maß- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, all das sind rheto- (C) nahmen da. rische Fragen. Die Antwort darauf lautet: Sie tut nichts. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Angeblich ist (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Richtig!) kein Geld da!) Die schwarz-gelbe Familienpolitik bleibt leider ein mut- Eine andere wichtige Maßnahme – sie ist hier schon loses Schmalspurprogramm. Soll denn von dieser Legis- genannt worden – ist der Unterhaltsvorschuss. Auch laturperiode nur das Betreuungsgeld übrig bleiben? Das zum Unterhaltsvorschuss finden wir im Koalitionsver- können wir alle nun wirklich nicht wollen. trag einen guten Vorschlag, nämlich den, die Alters- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und „keine grenze zu verschieben. Die Altersgrenze zu verschieben, Quote“ bleibt übrig!) wäre absolut sinnvoll und würde gerade Alleinerziehen- den und ihren Kindern in einer wirklich schwierigen Le- Daher auch von meiner Seite der dringende Appell an benssituation tatsächlich helfen. Auch dazu lag schon die Bundesregierung: Setzen Sie endlich die richtigen ein Gesetzentwurf vor. Auch dieser Gesetzentwurf Prioritäten, und wenden Sie sich den relevanten Fragen wurde einfach wieder einkassiert. Warum? Weil für zu! diese Maßnahme angeblich kein Geld da ist. Es ist abso- Vielen Dank. lut absurd, dass diese Regierung die wenigen sinnvollen Maßnahmen, die sie im Koalitionsvertrag vorgesehen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hat, mit der Begründung, es sei kein Geld dafür da, auf bei der SPD und der LINKEN) Eis gelegt hat, gleichzeitig aber für eine absurde Maß- nahme wie das Betreuungsgeld 1,2 Milliarden Euro aus- Vizepräsidentin Petra Pau: geben will. Ich schließe die Aussprache. (Caren Marks [SPD]: Jährlich!) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Ich finde, da kann man sich nur an den Kopf fassen. Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für eine moderne und zukunfts- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, weisende Familienpolitik“. Der Ausschuss empfiehlt in bei der SPD und der LINKEN) seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9551, Ich möchte einen Punkt aus dem Antrag der Linken den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- aufgreifen, und zwar die Orientierung an einem wirklich che 17/6915 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- modernen Familienbild. Familie ist nämlich längst nicht schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- (B) mehr da, wo es einen Trauschein gibt, sondern Familie hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den (D) ist da, wo Kinder sind und wo Menschen füreinander Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der Verantwortung übernehmen. SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- (Dr. Daniel Volk [FDP]: Sehr gut! FDP-Wahl- nen angenommen. programm!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 a und b auf: Leider ist dies in der deutschen Familienpolitik und ge- a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Oliver rade im Familienrecht überhaupt noch nicht umgesetzt. Krischer, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, weiteren Wann handelt die Bundesregierung beispielsweise beim Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche und eingetra- DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- gene Lebenspartnerschaften? setzes zur Vereinheitlichung der bergrechtli- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- chen Förderabgabe SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Jörn – Drucksache 17/9390 – Wunderlich [DIE LINKE]: Niemals! Hat sie Überweisungsvorschlag: nicht vor!) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Wann handelt sie endlich bei der steuerlichen Benachtei- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ligung von Alleinerziehenden, von nicht miteinander b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf verheirateten Eltern und von Patchworkfamilien? Hempelmann, Doris Barnett, , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Macht sie auch nicht!) Anpassung des deutschen Bergrechts Beim Sorgerecht für nicht miteinander verheiratete – Drucksache 17/9560 – Paare warten wir seit zwei Jahren auf einen Gesetzent- Überweisungsvorschlag: wurf. Es wurde aber immer noch nichts vorgelegt. Auch Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hier gibt es keinerlei Aktivitäten dieser Bundesregie- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit rung. Was tut die Bundesregierung beispielsweise zur Absicherung von Regenbogenfamilien? Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre (Beifall der Abg. Petra Merkel [Berlin] [SPD]) keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. 21392 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hier entstehen am Ende Folgekosten für die öffentli- (C) Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. che Hand, wenn die Unternehmen nicht mehr greifbar sind. Es ist auch bei Konzernen wie RWE und Vattenfall Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nicht auf Jahrzehnte hinaus sicher, dass sie zahlen kön- nen. Deshalb ist es völlig richtig, dass die Länder ent- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sprechende Einnahmen haben, um gerade auch diese Unser Gesetzentwurf, den wir hier heute einbringen, soll Folgekosten in Zukunft abdecken zu können. Deswegen einen Anachronismus im deutschen Bergrecht beseiti- ist die Förderabgabe richtig. gen. Im Bergrecht gibt es die Vorschrift, dass jemand, der einen Rohstoff fördert, eine Förderabgabe in Höhe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von 10 Prozent des Marktwertes an das jeweilige Bun- und bei der LINKEN) desland zahlen muss. Das ist auch völlig richtig so, weil hier jemand ein Allgemeingut, einen Bodenschatz, in Es wird immer gesagt – ich vermute, das wird gleich Anspruch nimmt, der der Gesellschaft gehört. Dafür soll in der Debatte auch noch kommen –, das sei verfas- dann auch gezahlt werden. Das Bergrecht sieht auch vor, sungsrechtlich gar nicht machbar. Wir haben das vom dass die Länder mehr als 10 Prozent erheben können. Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages prüfen las- sen. Er sagt klipp und klar: Selbstverständlich kann man Die Praxis sieht aber leider völlig anders aus. Wenn das Bundesberggesetz ändern, damit man trotz dieser al- man sich einmal anschaut, wo in Deutschland überhaupt ten Rechte eine Förderabgabe erheben kann; denn es eine Förderabgabe erhoben wird, dann ist das Ergebnis geht ja nicht um einen Entzug der Rechte, sondern nur ernüchternd. Außer bei der Erdgasförderung gibt es um eine Heranziehung zur Zahlung einer Abgabe. Das nämlich faktisch keine Erhebung einer Förderabgabe. Es kann nicht sein, dass wir von Ländern in Schwarzafrika, alles ist für die Unternehmen nach wie vor wirtschaftlich Südamerika oder sonst wo auf der Welt verlangen, dass machbar; denn sie machen mit diesen Rechten ja Milliar- die Staaten von der Rohstoffgewinnung profitieren, wäh- dengewinne. Deshalb ist das auch verfassungsrechtlich rend in Deutschland nicht einmal eine Förderabgabe ge- völlig problemlos möglich. Das sagt nicht nur der Wis- zahlt wird. senschaftliche Dienst, sondern das sagen auch viele an- erkannte Rechtsanwaltskanzleien und entsprechende Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ratungsbüros. und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Besonders frappierend ist das bei der Braunkohle. Die Braunkohle ist wertmäßig der wichtigste Rohstoff, der in Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Antrag (B) Deutschland gefördert wird. Es geht dort um große Men- zu, weil das den vom Bergbau betroffenen Ländern – in (D) gen, große Volumina in zwei großen Revieren, nämlich Ostdeutschland, Nordrhein-Westfalen, aber auch ande- im Rheinland und in Ostdeutschland. Auch hier wird ren – die Möglichkeit eröffnet, eine solche Förderabgabe keine Förderabgabe erhoben. Der Grund ist: Hier gibt es zu erheben. Es geht nämlich darum, dass die Länder sol- alte Rechte, die in Kaisers Zeiten oder irgendwann spä- che Einnahmen haben. Das wollen wir ermöglichen. Wir ter verliehen worden sind, und im Bundesberggesetz gibt wollen das nicht erzwingen, sondern wir wollen das den es einen Ausnahmeparagrafen, der die Erhebung der Ländern überlassen, damit dort die Einnahmen gewon- Förderabgabe bei solchen alten Rechten ausdrücklich nen werden, weil sie die Folgekosten am Ende bezahlen freistellt. Das gehört abgeschafft; müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der LINKEN) Zum Schluss noch ganz kurz zum SPD-Antrag. Sie denn man kann keinem Menschen erklären, dass ganze haben auch einen Antrag zum Bergrecht eingebracht. Es Landschaften devastiert werden und dass Unternehmen ist gut, dass sich die SPD mit diesem Thema auseinan- wie Vattenfall und RWE mit dem Braunkohlenbergbau dersetzt. Das war nicht immer so. Es finden sich dort und der Verstromung Milliardengewinne machen, wäh- durchaus auch kritische Bemerkungen zum Thema Berg- rend sie auf der anderen Seite keinen Euro und keinen bau. Wer die SPD gerade aus Nordrhein-Westfalen Cent Förderabgabe dafür zahlen. kennt, der weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es aber einmal ganz offen zu sagen: Lieber Rolf und bei der LINKEN) Hempelmann, das, was im Beschlussteil kommt, ist dünn wie Pergamentpapier. Das ist eine Ansammlung Es ist auch völlig richtig, dass die Länder in Zukunft von Prüfaufträgen. Hier müsst ihr noch weiterarbeiten. eine solche Einnahme haben müssen; denn durch den Bergbau entstehen Ewigkeitskosten und Folgekosten, Der Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen ist hier die teilweise immense Höhen erreichen. Wir kennen das schon weiter. Ich nenne zum Beispiel die Beweislastum- aus dem Steinkohlenbergbau: Das komplette Ruhrgebiet kehr bei Bergschäden durch den Abbau von Braunkohle muss auf ewig leergepumpt werden, weil das Ganze im Tagebau. Das haben wir schon gemeinsam in Nord- sonst durch die ganzen Bergsenkungen „absaufen“ rhein-Westfalen vereinbart. Aber ihr schreibt dazu einen würde. Ähnliches wird im Rheinland durch den Braun- windelweichen Prüfauftrag in euren Antrag. Das ist zu kohlenbergbau auf uns zukommen, und wir kennen sol- wenig, aber immerhin ist es besser als das, was die Ko- che Schäden bereits in Ostdeutschland. alition bei diesem Thema macht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21393

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: muss natürlich an die Rohstoffe herankommen. Genau (C) Kollege Krischer, Sie hatten einen Schlusssatz ange- darum geht es. kündigt. Wir wollen den Rohstoffimport weiter verringern. Rohstoffimporte bedeuten schließlich, dass Vermögens- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und Kapitalleistungen aus Deutschland ins Ausland ver- Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Ich beende schoben werden, was aus der jährlichen Öl- oder Gas- mich. rechnung Deutschlands klar hervorgeht. Laut Gesetzent- Danke. wurf der Grünen werden in Deutschland Rohstoffe im Wert von 17,7 Milliarden Euro produziert. Das wäre also (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Betrag, den man dann noch zusätzlich ins Ausland und bei der LINKEN) transferieren müsste, würde man den Bergbau in Deutschland einstellen. Vizepräsidentin Petra Pau: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege NEN]: Das will aber keiner! – Rolf Andreas Lämmel. Hempelmann [SPD]: Popanz!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Dazu komme ich noch. Bleiben Sie ganz ruhig. – Ne- ben den ökonomischen Aspekten spielen auch ökologi- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): sche und soziale Aspekte sowie der Arbeitsschutz eine Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Rolle. Gerade die Fraktion der Grünen, die zukünftig Herren! Zum Glück sind am Sonntag die Landtagswah- den Bergbau in Deutschland verhindern will, macht sich len in Nordrhein-Westfalen, dann wird auch hier wieder überhaupt keine Gedanken, wie der Bergbau in anderen die Bühne sein, um vernünftige Debatten führen zu kön- Ländern betrieben wird. Es kann nicht unser Anspruch nen. Wenn man die Plenarsitzungen von gestern und sein, das Problem des Bergbaus einfach in andere Län- heute verfolgt, stellt man fest, dass fast kein einziges der zu verschieben. Thema dabei gewesen ist, bei dem nicht der Wahlkampf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hervorlugte und Rot-Grün versuchte, Themen zu lancie- neten der FDP) ren. Zum Bergrecht sind in diesem Jahr schon mehrere Die zweite grundsätzliche Bemerkung betrifft die Anträge gestellt worden. Es gibt Anträge aus der Frak- Energiewende. Große Teile des Hauses haben im letzten Jahr diese Energiewende beschlossen. Es geht nun da- (B) tion der Grünen. Die SPD hat einen nachgereicht. Die (D) Linke hat ebenfalls einen Antrag eingereicht. Jetzt rum, acht grundlastfähige Kernkraftwerke vom Netz zu kommt der Gesetzentwurf der Grünen dazu. nehmen. Das heißt natürlich, dass bis 2022, bis zum vollständigen Umstieg auf die regenerativen Energien, (Jens Ackermann [FDP]: Der Berg ruft!) fossile Energieträger in Deutschland eine wesentlich größere Rolle spielen werden. Das bedeutet: Neben den Dazu muss man zwei kurze, grundsätzliche Anmer- Importen von Gas und Öl sind die heimischen Energie- kungen machen. In der ersten Anmerkung geht es um die träger Braunkohle und Steinkohle unverzichtbar. Frage der Rohstoffe. Deutschland ist sehr stark von Roh- stoffimporten abhängig. Das hat sich in den letzten Jah- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren – das wissen Sie alle – nicht wirklich verbessert. Im NEN]: Wir steigen doch aus der Steinkohle Gegenteil: Die Bedingungen auf den internationalen aus! Hallo!) Rohstoffmärkten zur Versorgung der deutschen Wirt- schaft sind eher schwieriger geworden. Daraus ist dann Schauen wir uns einmal den Gesetzentwurf der Grü- die umfassende Rohstoffstrategie der Bundesregierung nen an, der heute in erster Lesung beraten wird. Erst ein- entstanden. Die CDU/CSU-Fraktion hat nun schon ihren mal ein großes Kompliment an die Fraktion der Grünen: dritten Rohstoffkongress veranstaltet, und wir werden Ich glaube, das ist der kürzeste Gesetzentwurf, den ich auch einen vierten Kongress folgen lassen, um genau jemals in die Finger bekommen habe. diese Themen weiter zu diskutieren. (Rolf Hempelmann [SPD]: Bürokratieabbau!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Von daher ist er erst einmal sehr gut. Beim genaueren neten der FDP – Dorothea Steiner [BÜND- Hinschauen kann man aber sagen: Der Gesetzentwurf NIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht werden sie müsste eigentlich unter dem Titel „Bergbau in Deutsch- bei diesem erleuchtet!) land abschaffen“ stehen. Genau das wollen wir nicht. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Rohstoffstrategie (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ist die Diversifizierung von Rohstoffbezugsquellen; Jedes Bundesland kann entscheiden, was es denn wenn man mehrere Bezugsquellen hat, kann man will! Das ist doch eine Option!) die Abhängigkeiten reduzieren und damit die Versor- gungssicherheit erhöhen. Diversifizierung bedeutet na- Es geht um die Förderabgabe. Sie haben das kurz be- türlich auch die Nutzung einheimischer Rohstoffe. Ich schrieben. Nach dem Bundesberggesetz ist eine Förder- möchte es hier noch einmal ganz klar und laut sagen: abgabe von 10 Prozent des Marktwertes – also nicht auf Deutschland ist kein rohstoffarmes Land. Aber man den Gewinn, sondern auf den Umsatz – zu zahlen. Die 21394 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Andreas G. Lämmel (A) Regelung der Freistellung von der Förderabgabe wollen Meine Damen und Herren, wenn Sie einen solchen (C) Sie nun abschaffen. Gesetzentwurf auf den Weg bringen, dann müssen Sie zumindest die Realität ordentlich abbilden Nun könnte man vermuten, dass Sie sozusagen Chan- cengleichheit unter den Rohstoffförderunternehmen her- (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: stellen wollen, wie Sie es auch behaupten. Ein Blick in Das hat er doch gemacht! – Dorothea Steiner den Gesetzentwurf zeigt aber, dass es nur um eines geht, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie nämlich darum, die Kohleförderung in Deutschland völ- mal! Das fördert die Wahrheitsfindung!) lig unmöglich zu machen. Das ist die Zielrichtung Ihres und die Begründung so schreiben, dass nicht jeder Halb- Gesetzentwurfs. Das kann man auch in der Begründung blinde merkt, dass es nur darum geht, der Braunkohle genau nachlesen. endlich den Garaus zu machen, was Sie vorher in Ihrer Regierungszeit leider nicht geschafft haben. Sie können nicht erwarten, dass wir dem zustimmen werden. Denn die anderen Rohstoffe wie Kiese, Sande Die SPD hat schon einer einheitlichen Erhebung einer oder Salze, die in Deutschland weiterhin gefördert wer- Förderabgabe eine Abfuhr erteilt. Das können Sie in den den, werden nicht erwähnt. Es geht ausschließlich um Ressourceneffizienzprogrammen nachlesen, denen die das Thema Kohle. SPD auch zugestimmt hat. Dafür sind wir auch sehr dankbar. Insofern stehen Sie mit Ihrem Ansinnen jetzt Was die juristische Betrachtung angeht – ich bin kein ziemlich alleine da. Jurist, sondern Ingenieur; es gibt aber verschiedene wis- senschaftliche Dienste –, Zusammenfassend muss man beim Thema Bergbau auf zwei Punkte achten. Erstens müssen die Bergbau- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unternehmen bei allen neuen Vorhaben oder Erweiterun- NEN]: Herr Kollege, Sie haben nicht verstan- gen auf die Belange der Bevölkerung und der Gemein- den, worum es hier geht!) den vor Ort intensiver eingehen. Das ist sicherlich keine Frage. Man kann auch darüber nachdenken, wie man das lohnt sich ein Blick in die Gesetzesbegründung zum al- besser gestalten kann. ten Bergbaugesetz aus der achten Wahlperiode des Deut- schen Bundestages. Zur Begründung des § 151 heißt es Zweitens – das ist der wichtige Punkt – muss aber darin: Bergbau in Deutschland weiterhin möglich sein. Dafür stehen wir. Deswegen freue ich mich auf die Beratungen Das Bergwerkseigentum alten Rechts muß als un- Ihres Gesetzentwurfs im Ausschuss. befristetes Recht aufrechterhalten bleiben … Ent- (B) sprechendes gilt für § 30, da die Erhebung einer (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D) Förderabgabe nur für Bergwerkseigentum in Be- Unser Gesetzentwurf schließt das doch nicht tracht kommen kann, das erst aufgrund dieses Ge- aus!) setzes verliehen wird. Ganz ehrlich: Große Chancen räume ich dem Vorhaben nicht ein. Die Begründung des damaligen Gesetzes zielt genau in die Richtung, dass die alten Bergbaurechte erhalten blei- Vielen Dank. ben müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie gehen auch auf die Situation in den neuen Bun- desländern ein. Sie haben sie aber nur halb dargestellt. Vizepräsidentin Petra Pau: Das tut mir leid. Ich lade Sie gerne ein, dort hinzufahren. Das Wort hat der Kollege Rolf Hempelmann für die Wir können auch gerne die Bilder danebenlegen, die sich SPD-Fraktion. 1990 dem Betrachter darstellten und zeigen, wie in einer Gesellschaft Bergbau betrieben wurde, die nichts von (Beifall bei der SPD) dem ordentlichen Bergrecht hatte. Dort ging es nicht da- rum, dass ein Bergbaubetrieb auch dafür zuständig ist, Rolf Hempelmann (SPD): die Landschaft wiederherzustellen und einer neuen Nut- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- zung zu übergeben. gen! Herr Lämmel, man kann Eulen nach Athen oder Kohlen nach Newcastle tragen. Aber Sie sollten zur In den neuen Ländern ist die Rechtslage wiederum Kenntnis nehmen, dass niemand einen Antrag gestellt anders – auch das haben Sie nicht dargestellt –; denn in hat, den Bergbau in Deutschland abzuschaffen oder Rah- den neuen Ländern wurde mit der Privatisierung der menbedingungen zu schaffen, die dafür sorgen, dass es Bergbauunternehmen schon ein Bergbauzins eingeführt. keinen erfolgreichen Bergbau in Deutschland mehr ge- (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ben kann. Umso einfacher! Dann ist es gerechter!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Man hat sozusagen die Fördersummen berechnet, die in den Gruben zur Verfügung stehen. Die Unternehmen Es gibt einen Gesetzentwurf der Grünen, der sich mit der zahlen jetzt im Prinzip mit den Zinsen die Fördermenge Vereinheitlichung der bergrechtlichen Förderabgabe be- ab. fasst, unseren Antrag und einen Antrag der Linken. Nach Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21395

Rolf Hempelmann (A) meinem Dafürhalten wird nirgends die tiefere Absicht Es gibt viele Gründe – einige sind bei Ihnen, Herrn (C) verfolgt, den Bergbau in Deutschland abzuschaffen. Lämmel, gerade angeklungen –, warum das Bergrecht weiterentwickelt werden muss. Sie haben deutlich ge- Zur Förderabgabe vorweg: Am 23. Mai wird es eine macht, in welchem Umfang und in welchen Bereichen Anhörung geben. Es ist legitim, dieses Thema dann zur Bergbau in Deutschland stattfindet. Dabei geht es um Debatte zu stellen. Dann werden wir hinterher mit Si- Kiese, Sande und energetische Rohstoffe wie Braun- cherheit klüger sein als zuvor und uns dazu unsere Mei- kohle, Steinkohle und Erdgas, aber auch um viele andere nung bilden. Das Gleiche gilt, lieber Oliver Krischer, Rohstoffe. Natürlich wollen wir die Bergbauförderung auch für die Frage der Beweislastumkehr. Warum sollten aufrechterhalten. Das heißt, das Ganze muss bergrecht- wir uns schon heute festlegen, wenn wir wissen, dass wir lich flankiert sein. Aber das geltende Bergrecht ist in in einer Anhörung Experten dazu hören können? Deswe- Zeiten entstanden, in denen es in der Bevölkerung nicht gen gibt es einen Prüfauftrag. Die Prüfung beginnt mit ein solches Bewusstsein für Umweltschutz und insbe- der Anhörung. sondere für Trinkwasserschutz gab, wie das heute der Fall ist. Die Gesellschaft hat sich einfach weiter verän- Der Auslöser dieser Debatte über das Bergrecht und dert. Schon aus diesem Grunde muss das Bergrecht deut- die entsprechenden Vorschläge der Opposition ist das lich angepasst werden. Thema unkonventionelles Erdgas. Wir befassen uns seit längerem intensiv mit dieser Thematik. Wer sich an die (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem gestrige Debatte über das unkonventionelle Erdgas, das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fracking, erinnert, kann nur staunen. Ganz offensichtlich Wir stellen das gerade – ich habe das Beispiel am An- gibt es auch in der Bundesregierung und in den sie tra- fang genannt – im Zusammenhang mit dem unkonven- genden Fraktionen Überlegungen, das Bergrecht zu tionellen Erdgasfracking fest. Man sollte nicht populis- ändern; denn nichts anderes bedeutet es, wenn der Um- tisch versuchen, dieses Thema kurz vor einem weltminister gestern im Plenum und der Wirtschafts- Wahltermin zu behandeln. Wir haben das Problem seit minister über die Medien uns mitteilen, dass man jeden- mehr als einem Jahr in Anträgen hier im Deutschen Bun- falls auf der Basis der geltenden bergrechtlichen destag thematisiert. Beim Erdgasfracking sind sehr sen- Bestimmungen nicht in der Lage sei, dem Fracking sible umwelt- und wasserrechtliche Belange betroffen. grünes Licht zu erteilen, sondern dass man dazu neue Er- Deshalb organisiert sich die Bevölkerung vor Ort und kenntnisse, Umweltverträglichkeitsprüfungen – dieses leistet Widerstand schon gegen Probebohrungen. Das Wort ist gestern gefallen – und vieles andere mehr brau- muss man zur Kenntnis nehmen. Das ist nicht in jedem che. Fall Alarmismus. Man kann möglicherweise Befürch- tungen entkräften, aber klar ist, dass es die berechtigte (B) Mit anderen Worten: Schon in der gestrigen Debatte (D) ist also deutlich geworden – wenn wir den Minister ein- Erwartung gibt, dass im Bergrecht Vorkehrungen getrof- mal ernst nehmen –, dass wir eine Novelle zum Berg- fen werden, um drängende Fragen der Bevölkerung be- recht unbedingt brauchen. Die entscheidende Frage lau- antworten zu können: Was passiert mit unserer unmittel- tet, wie ernst wir ihn nehmen können. Er hat sich gestern baren Umwelt? Was passiert mit unserem Trinkwasser? zum Retter der Enterbten gemacht und verdeutlicht, wie Welche Vorkehrungen werden getroffen, damit wir nicht sehr es ihm ein Anliegen ist, die Ängste der Bevölkerung unnötig belastet werden? aufzunehmen. Vor zwei Jahren haben wir davon nichts Das ist der Kern unseres Antrags. Wir wollen eine bemerkt, als es um die Zukunft der Kernenergie in Modernisierung und eine Anpassung des Bergrechts. Ich Deutschland ging. Aber es ist schön, dass Lernprozesse denke, dass wir im Zusammenhang mit der Anhörung auch in der Bundesregierung stattfinden. Hoffen wir nur, Gelegenheit haben, das Thema zu vertiefen. Ich hoffe, dass sie den nächsten Sonntag, den 13. Mai, überleben; dass es dann eine konstruktive Beteiligung auch der Ko- denn wie wir wissen, war das Umdenken bei der Kern- alitionsfraktionen gibt. Gerade wenn Ihnen der Bergbau energie genauso einem Wahltermin geschuldet wie nun in Deutschland wichtig ist, sollten Sie mitarbeiten und das Umdenken beim Fracking. dafür sorgen, dass wir ein Bergrecht bekommen, das in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ unsere Zeit passt. DIE GRÜNEN) Vielen Dank. Warum ist eine Novelle zum Bergrecht notwendig? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wenn man sich anschaut, wann das Bergrecht entstanden DIE GRÜNEN) ist und zuletzt novelliert wurde, wird klar, dass die Not- wendigkeit besteht, dieses Recht weiterzuentwickeln. Es Vizepräsidentin Petra Pau: geht übrigens nicht darum, dieses Recht abzuschaffen. In Das Wort hat der Kollege Manfred Todtenhausen für den letzten Tagen habe ich eine entsprechende Forde- die FDP-Fraktion. rung vernommen, mit der Begründung des Auslaufens des Steinkohlenbergbaus. Das kann keine Lösung sein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Selbst wenn das Bergrecht nur für den Steinkohlenbe- der CDU/CSU) reich gelten würde, wären mit der letzten Förderung die bergrechtlichen Zuständigkeiten noch nicht erloschen; Manfred Todtenhausen (FDP): denn dann geht es um die sogenannten Ewigkeitslasten. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Auch das muss bergrechtlich sauber organisiert sein. Herren! Der sichere Zugang zu Rohstoffen ist für die 21396 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Manfred Todtenhausen (A) deutsche Wirtschaft die Voraussetzung für industrielle wurf der Grünen, wird schnell klar, worum es eigentlich (C) Wertschöpfung und damit für Beschäftigung, Wachstum geht. Der anhaltende Mangel an Wettbewerbsfähigkeit und Innovationen. grüner Energiespielwiesen soll nun künstlich behoben werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den zurückliegenden Jahren hat sich für die deut- Vorsichtig! Das ist hier der Bundestag, Herr schen Unternehmen die Sicherung der Rohstoffversor- Kollege!) gung zu einer Herausforderung entwickelt. Maßgebli- chen Anteil daran hat der weltweit stark gestiegene Durch eine erzwungene Verteuerung konkurrierender Bedarf an Rohstoffen, der zu teilweise drastischen Preis- Formen der Stromerzeugung hofft man, dem ungebrems- anstiegen und bedrohlichen Verknappungen geführt hat. ten Anstieg der EEG-Umlage begegnen zu können. Zudem ist gerade in Deutschland zunehmend eine künst- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) liche Verknappung und dauerhafte Entziehung von Roh- stofflagerstätten durch konkurrierende Nutzung und Diese Zielsetzung ist nicht neu und war daher vonseiten Überplanung zu verzeichnen. der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auch nicht anders zu erwarten. In der Konsequenz nimmt die Importabhängigkeit weiter zu. Bereits heute sind wir in vielen Bereichen auf (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die Einfuhr von Rohstoffen angewiesen, sei es bei der Die Lasten hieraus müssten wiederum die Stromkunden Versorgung der Metall- und Elektroindustrie, bei der De- in unserem Land tragen. Die Strompreise würden stei- ckung des Bedarfs an fossilen Energieträgern oder bei gen. So folgt nach der Insolvenz von Aluminiumhütten der Entwicklung von neuen Technologien. wohl bald der Ruin der Baustoffindustrie. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Damit sind erhebliche Teile der deutschen Wirtschaft der NEN) Ergiebigkeit globaler Lagerstätten sowie der gesell- Dass die Grünen marktwirtschaftlichen Prozessen schaftlichen und politischen Stabilität in den jeweiligen eher wenig abgewinnen können, konnten wir in der Ver- Förderregionen ausgesetzt. gangenheit bereits häufiger vernehmen. Mit dem einge- Parallel dazu haben sich die Bedingungen an den brachten Gesetzentwurf wird jetzt aber sogar das Grund- Weltmärkten für Rohstoffe spürbar verschlechtert. Folg- gesetz infrage gestellt. Eine nachträgliche Änderung lich hat die Nutzung heimischer Ressourcen auch eine vertraglich gesicherten Bergwerkeigentums wäre ein (B) Ausgleichsfunktion gegenüber globalen Entwicklungen. Verstoß gegen das Eigentumsrecht gemäß Art. 14 GG. (D) Die Aufgabe der Politik ist es, durch zweckmäßige Rah- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) menbedingungen den Zugang zu Rohstoffen zu gewähr- leisten und stetig zu verbessern. Dies müssen wir an die- ser Stelle nochmals deutlich betonen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Todtenhausen, entschuldigen Sie bitte, dass (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ich Sie unterbreche. Gestatten Sie eine Frage oder Be- Den ordnungspolitischen Rahmen für die Rohstoffge- merkung der Kollegin Höhn? winnung in Deutschland setzt seit mehr als 30 Jahren das Bundesberggesetz. Teile des Bergrechts gehen gar auf Manfred Todtenhausen (FDP): das 12. Jahrhundert zurück. Hätte es damals schon die Nein. Verzeihen Sie mir. Grünen gegeben, dann wären wir wahrscheinlich gesell- schaftlich nicht ganz so weit wie heute. Wir wären viel- (Beifall bei der FDP) leicht noch im Mittelalter. Selbst wenn man eine Enteignung – was im konkreten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Fall abwegig ist – in Betracht ziehen würde, dann wäre der CDU/CSU) diese mit entsprechenden Entschädigungszahlungen ver- bunden. Das Bundesberggesetz schafft Planungs- und Rechts- Zur Verdeutlichung: Nach dem Willen der Grünen sicherheit. Es ermöglicht so hohe Investitionen zur Ver- soll dem Eigentümer eines Bergwerks durch die Förder- besserung der Versorgungssicherheit und trägt maßgeb- abgabe Kapital entzogen werden, um es ihm hinterher lich zum Erhalt der Wertschöpfungskette im Inland bei. als Entschädigung zurückzugeben. Das wäre dann das Gleichzeitig bildet es aber auch die Grundlage zur Vor- ungeheuer erfolgreiche Prinzip: linke Tasche, rechte Ta- sorge im Hinblick auf Gefahren und zur Wahrung der sche. Rechte Dritter. Vor diesem Hintergrund erfolgten in der Vergangenheit Anpassungen des Bundesberggesetzes (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nur mit Augenmaß und unter Einbeziehung hoher fachli- der CDU/CSU) cher Kompetenz. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Aber auch dieses Politikverständnis kennt man von der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Opposition. Was aber will die Opposition mit den uns vorliegen- Im Vergleich dazu muss man dem Antrag der SPD zu- den Initiativen erreichen? Schaut man in den Gesetzent- mindest mehr Sachlichkeit zubilligen. In ihm sind ver- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21397

Manfred Todtenhausen (A) nünftige Punkte enthalten, über die wir sicher noch dis- und in den Forderungen sehr allgemein gehalten. Dass es (C) kutieren werden. Dennoch geht der Antrag in konkreter geht, zeigen entsprechende Anträge der Grü- zahlreichen Punkten über eventuelle Erfordernisse weit nen und der Linken. Der SPD-Antrag geht zwar in die hinaus. Vor möglichen Änderungen gesetzlicher Bestim- richtige Richtung, aber unverständlich bleibt, warum die mungen sollte immer der Grundsatz stehen, Auslegungs- Sozialdemokraten vor „weiteren Investitionshindernis- spielräume bestehender Vorschriften zu nutzen. Die sen“ warnen. Das heißt im Klartext: vor verbesserten aufgezeigten Konfliktfelder könnten durch eine konst- Beteiligungs- und Klagerechten für die Umweltver- ruktive Regionalplanung gelöst werden, beispielsweise bände. Zu diesen Hemmnissen sagen wir Nein. im Zuge eines Planfeststellungsverfahrens oder einer vorgeschalteten Raumordnungsplanung. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte noch einmal klarstellen: Bei bergbauli- Entweder ein Bergbauvorhaben erfüllt die gesetzlichen chen Planungen und Entscheidungen sind sowieso über- Anforderungen, oder es erfüllt sie eben nicht. Dann muss wiegend Landesbehörden gefordert. Selbstverständlich es im Zweifelsfall gestoppt oder verbessert werden. werden auch in Zukunft veränderte Bedingungen zu An- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier passungen am deutschen Bergrecht führen, aber selbst- schon zweimal die Bergrechtsnovelle debattiert. Deshalb verständlich sachdienlich und besonnen. Forderungen, möchte ich jetzt nur noch auf die Förderabgabe einge- die darauf abzielen, Bergbauaktivitäten zu unterbinden hen. oder zumindest stark zu verzögern, lehnen wir entschie- den ab. Es ist ein Unding, dass Energiekonzerne mit der Braunkohle seit Jahren enorme Profite einfahren, aber Herzlichen Dank. keinen Cent Förderabgabe an den Staat zahlen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Kurth [Kyff- Vizepräsidentin Petra Pau: häuser] [FDP]: Subventionsfrei! Ist doch gut!) Kollege Todtenhausen, das war Ihre erste Rede im Beim Abbau werden ganze Dörfer umgesiedelt, zum Hohen Haus. Zur Erklärung für die Zuhörerinnen und Beispiel bei mir in Brandenburg, wo Tausende Men- Zuhörer: Das heißt nicht, dass der Kollege Todtenhausen schen ihre Heimat verloren haben. Und RWE oder Vat- seit 2009 schweigend hier im Plenum gesessen hat, son- tenfall machen fette Gewinne, ohne mit nur einem Cent dern er ist erst am 2. Mai dieses Jahres in den Deutschen für die Verwüstung von Natur und Landschaft aufzu- Bundestag nachgerückt. kommen. (B) Wir gratulieren Ihnen recht herzlich zu dieser ersten (Jens Ackermann [FDP]: Das stimmt doch (D) Rede und wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere nicht! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Tätigkeit! Was soll denn das? Also bitte!) (Beifall) – Bitte hören Sie mir zu. – Kommunale Stromversorger Das Wort hat die Kollegin Sabine Stüber für die Frak- oder Wasserwerke hingegen müssen schon für die Nut- tion Die Linke. zung öffentlicher Wege Konzessionsabgaben an die Ge- meinden zahlen. Deshalb muss eine Förderabgabe für (Beifall bei der LINKEN) die Konzerne auch für die alten Bergrechte gelten, über die unmittelbaren Pflichten zur Entschädigung und Wie- Sabine Stüber (DIE LINKE): derherstellung hinaus. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Die Grünen wollen in ihrem Antrag Ausnahmerege- Kollegen! Wir brauchen ein modernes Bergrecht, das lungen streichen. Das unterstützen wir. zwei Funktionen erfüllen muss: Zum einen muss es der notwendigen Rohstoffgewinnung Rechnung tragen und (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- dabei die Besonderheiten des Bergbaus berücksichtigen. NIS 90/DIE GRÜNEN) Zum anderen muss es, und das viel stärker als bisher, den Interessen von Betroffenen und der Umwelt gerecht In unserem Antrag fordern wir eine vergleichbare Rege- werden. lung. Wir meinen darüber hinaus, dass die Länder keine Möglichkeit mehr haben sollten, selbstständig den bun- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- deseinheitlichen Satz abzusenken. Herr Krischer hat es NIS 90/DIE GRÜNEN) schon gesagt: Er beträgt gegenwärtig 10 Prozent des Marktwertes der Rohstoffe. Im Übrigen wären – ange- Zurzeit räumt das Bergrecht dem Abbau von Boden- sichts der Gewinne – auch 15 Prozent vertretbar. schätzen einen besonderen Vorrang vor allen anderen In- teressen ein. Das ist bei dem heutigen Wissen um die Es wird oft behauptet, dass laut Einigungsvertrag in Endlichkeit der fossilen Ressourcen nicht mehr zeitge- Ostdeutschland keine Förderabgaben erhoben werden mäß. dürfen. Das gehört allerdings in das Reich der Legenden. Die rot-grüne Bundesregierung hatte vielmehr darauf (Beifall bei der LINKEN) verzichtet, und zwar im Zusammenhang mit der Über- Nun hat auch die SPD einen Antrag zur Novelle des nahme der Braunkohlenunternehmen VEAG und Laubag Bergrechts vorgelegt. Er ist allerdings in der Analyse durch Vattenfall in Brandenburg. Im Handelsblatt war 21398 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

Sabine Stüber (A) jedenfalls im März 2001 zu lesen, dass der damalige Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Bundeswirtschaftsminister Müller Vattenfall den Ver- Ich schließe die Aussprache. zicht auf den Förderzins in jährlich zweistelliger Millio- nenhöhe angeboten habe. Bis dato musste die Laubag für Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen den Braunkohleabbau zahlen. Es gab also schon einmal auf den Drucksachen 17/9390 und 17/9560 an die in der eine Förderabgabe, zumindest in der Lausitz. Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Stüber, ich bin ein geduldiger Mensch. Aber Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- achten Sie jetzt bitte auf mein Signal. ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Sabine Stüber (DIE LINKE): destages auf Mittwoch, den 23. Mai 2012, 13 Uhr, ein. Diese sollten wir schleunigst wieder einführen, und Die Sitzung ist geschlossen. das nicht nur im Osten. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, soweit Danke. das möglich ist. (Beifall bei der LINKEN) (Schluss: 15.16 Uhr)

(B) (D) Anlagen

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(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Alpers, Agnes DIE LINKE 11.05.2012 Kekeritz, Uwe BÜNDNIS 90/ 11.05.2012 DIE GRÜNEN Bär, Dorothee CDU/CSU 11.05.2012 Koczy, Ute BÜNDNIS 90/ 11.05.2012 Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ 11.05.2012 DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN Dr. h.c. Koppelin, Jürgen FDP 11.05.2012 Birkwald, Matthias W. DIE LINKE. 11.05.2012 Kramme, Anette SPD 11.05.2012 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 11.05.2012 Krellmann, Jutta DIE LINKE 11.05.2012 Brinkmann SPD 11.05.2012 (Hildesheim), Kressl, Nicolette SPD 11.05.2012 Bernhard Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ 11.05.2012 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 11.05.2012 DIE GRÜNEN

Burchardt, Ulla SPD 11.05.2012 Lay, Caren DIE LINKE 11.05.2012

Buschmann, Marco FDP 11.05.2012 Leutert, Michael DIE LINKE 11.05.2012

Dr. Danckert, Peter SPD 11.05.2012 Lindemann, Lars FDP 11.05.2012 (B) (D) Dyckmans, Mechthild FDP 11.05.2012 Lindner, Christian FDP 11.05.2012

Ehrmann, Siegmund SPD 11.05.2012 Lötzer, Ulla DIE LINKE 11.05.2012

Ernst, Klaus DIE LINKE 11.05.2012 Lutze, Thomas DIE LINKE 11.05.2012

Freitag, Dagmar SPD 11.05.2012 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ 11.05.2012 DIE GRÜNEN Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 11.05.2012 Müller-Sönksen, FDP 11.05.2012 Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 11.05.2012 Burkhardt

Grütters, Monika CDU/CSU 11.05.2012 Nink, Manfred SPD 11.05.2012

Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 11.05.2012 Remmers, Ingrid DIE LINKE 11.05.2012

Dr. Happach-Kasan, FDP 11.05.2012 Rix, Sönke SPD 11.05.2012 Christel Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 11.05.2012 Herlitzius, Bettina BÜNDNIS 90/ 11.05.2012 Claudia DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 11.05.2012 Höger, Inge DIE LINKE 11.05.2012 Dr. Ruppert, Stefan FDP 11.05.2012 Jung (Konstanz), CDU/CSU 11.05.2012 Andreas Schäfer (Köln), DIE LINKE 11.05.2012 Paul Dr. Jüttner, Egon CDU/CSU 11.05.2012 Dr. Schavan, CDU/CSU 11.05.2012 Kamp, Heiner FDP 11.05.2012 Annette 21400 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012

(A) – Unterrichtung durch die Bundesregierung (C) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarates im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2010 Schlecht, Michael DIE LINKE 11.05.2012 – Drucksachen 17/ 5987, 17/6392 Nr. 1.3 –

Schneider, Ulrich BÜNDNIS 90/ 11.05.2012 Ausschuss für Bildung, Forschung und DIE GRÜNEN Technikfolgenabschätzung

Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 11.05.2012 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Andreas Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie 2030 – Drucksachen 17/3787, 17/4292 Nr. 1.2 – Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 11.05.2012 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Stauche, Carola CDU/CSU 11.05.2012 Rahmenprogramm der Bundesregierung „Forschung für die zivile Sicherheit (2012 bis 2017)“ Strothmann, Lena CDU/CSU 11.05.2012 – Drucksache 17/8500 –

Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ 11.05.2012 DIE GRÜNEN Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 11.05.2012 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden DIE GRÜNEN Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Ulrich, Alexander DIE LINKE 11.05.2012

Weinberg, Harald DIE LINKE 11.05.2012 Rechtsausschuss Drucksache 17/8515 Nr. A.20 Wichtel, Peter CDU/CSU 11.05.2012 Ratsdokument 18516/11 Drucksache 17/8967 Nr. A.4 EP P7_TA-PROV(2012)0019 Drucksache 17/8967 Nr. A.5 Anlage 2 EP P7_TA-PROV(2012)0021 Amtliche Mitteilungen (B) (D) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Finanzausschuss mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 Drucksache 17/9130 Nr. A.4 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den Ratsdokument 6784/12 nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/8426 Nr. A.28 Ratsdokument 17754/11 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 17/8426 Nr. A.29 Jahresgutachten 2011/12 des Sachverständigenrates zur Ratsdokument 17818/11 Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Drucksache 17/8515 Nr. A.31 – Drucksache 17/7710 – Ratsdokument 18554/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.33 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 18619/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.34 Nationales Reformprogramm 2012 Ratsdokument 18853/11 – Drucksachen 17/9127, 17/9226 Nr. 1.4 – Drucksache 17/8856 Nr. A.10 Ratsdokument 6104/12 Drucksache 17/8856 Nr. A.11 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ratsdokument 6360/12 Drucksache 17/8967 Nr. A.7 – Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Ratsdokument 6425/12 Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung über Drucksache 17/9130 Nr. A.5 die Auswirkungen der Vergabeerleichterungen des Ratsdokument 5494/12 Konjunkturpakets II auf die Beschaffung von Bauleis- Drucksache 17/9130 Nr. A.6 tungen und freiberuflichen Leistungen bei den Bauvor- Ratsdokument 6802/12 haben des Bundes Drucksache 17/9252 Nr. A.5 – Drucksachen 17/8671, 17/9226 Nr. 1 – Ratsdokument 6305/12 Drucksache 17/9252 Nr. A.6 Ratsdokument 7247/12 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- Verbraucherschutz roparates im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2010 Drucksache 17/9252 Nr. A.7 – Drucksachen 17/5987, 17/6392 Nr. 1.2 – Ratsdokument 7278/12 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21401

(A) Ausschuss für Gesundheit Drucksache 17/8426 Nr. A.53 (C) Ratsdokument 17936/11 Drucksache 17/7918 Nr. A.17 Drucksache 17/8426 Nr. A.54 Ratsdokument 15983/11 Ratsdokument 18090/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.55 Ratsdokument 18091/11 Ausschuss für Bildung, Forschung und Drucksache 17/8426 Nr. A.56 Technikfolgenabschätzung Ratsdokument 18245/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.49 Ratsdokument 17932/11 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Drucksache 17/8426 Nr. A.50 Entwicklung Ratsdokument 17933/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.51 Drucksache 17/7713 Nr. A.23 Ratsdokument 17934/11 Ratsdokument 15560/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.52 Drucksache 17/7713 Nr. A.24 Ratsdokument 17935/11 Ratsdokument 15561/11

(B) (D)

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