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Deutschlandradio Kultur Nachspiel - 17.6.2007

„Frisches Blut“ Der deutsche Radsport nach den jüngsten Dopingbeichten -

Von Thomas Jaedicke

In gut zwei Wochen startet die Tour de France. Nach den massiven Dopingenthüllungen und –beichten der letzten Zeit stehen die seit Jahrzehnten schlecht beleumdeten Profis mit ihrer Sportart vor einer weiteren Nagelprobe. Bei den Fans aber ist das Interesse trotz aller Negativschlagzeilen und Betrügereien auch im zehnten Jahr nach Jan Ullrichs Triumph auf den Champs-Elysées weiter ungebrochen. Sie lassen nichts auf ihre scheinbar heile Bastion des Sports kommen. Inzwischen sind aber auch die bisher im sicheren Windschatten fahrenden Amateure ins Zwielicht geraten. Nachdem führende Sportmediziner und Jugendnationaltrainer Peter Weibel zugaben, Amateurfahrer gedopt zu haben, geraten auch der Bund Deutscher Radfahrer und seine Funktionäre in immer größere Erklärungsnöte. In einem kleinen Dorf bei Lübeck zeigt ein bisher unbeachteter Trainer mit seinem Team, dass es vielleicht doch einen Weg geben könnte, der zu einem sauberen Sport führt. Ein Nachspiel von Thomas Jaedicke.

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Tour de “Hier oben weht ein kalter Wind, eine France, wahre Erfrischung für die Spitzenleute. 1967, 13. Julio Jimenez war der erste oben auf dem Etappe, Mt. Berg. Und hier herrscht ein wahres Tohuwabohu.“ Ventoux . Udo Hartwig. Darauf Autor:

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Autor: Die Tour de France. Wir schreiben das Jahr 1967.

Tour, 1967, „Und nun geht es um alles oder nichts. 13. Etappe: Jan Janssen und Gimondi fighten um den zweiten Platz. Und nun legt Gi mondi alles in die Waagschale. Er geht als Erster die letzten Meter hinauf, jetzt verfolgt von Jan Janssen. Gimondi wird den zweiten Platz belegen. Und dritter wird Jan Janssen. Das ist der Einlauf der Bergwertung.“

Autor: Angetrieben von dem eigenen Hunger nach Erfolg und den Erwartungen der Massen gehen die Fahrer an ihre physischen und psychischen Grenzen – und oft auch darüber hinaus: Koste es, was es wolle. Gedopt wurde schon damals, doch das Publikum blendete das Problem auch vor 40 Jahren schon aus. Begeisterung pur. Doping im Radsport gibt es beinahe so lange wie die Tour de France – und die ist über 100 Jahre alt.

Atmo - Fahrer machen sich bereit zur Radsport- Trainingsrunde in Arfrade. Stimmen. Team Lachen. - Lübeck:

Autor auf die Arfrade, ein winziger Vorort von Lübeck. Eine Atmo: Gruppe von etwa 20 Radrennfahrern im Alter zwischen neun und 20 Jahren macht sich auf einer holprigen Zufahrt zu einem Gehöft fertig zum Training. Die Strecke führt auf einer kaum befahrenen Straße in einer Schleife über die umliegenden, idyllisch gelegenen Dörfer. Eine Runde dauert etwa 20 Minuten. Alle Fahrer tragen gelb-schwarze Trikots. Von weitem wirkt der Pulk wie ein Schwarm riesiger Wespen.

Roman „Oh, ich bin jetzt 20 Jahre alt. Das war

2 Lindenberg: vor zweieinhalb Jahren, hat das angefangen. Mein Vater, der hat sich seinen Wunsch erfüllt, hat sich ein Rennrad gekauft.“ Autor: Roman Lindenberg sieht aus wie die Profis bei der Tour. Vor dem Abitur hat er Basketball und Fußball gespielt. Jetzt trägt der schmale, junge Mann das gelb-schwarze, mit Sponsorennamen übersäte Lübecker Renntrikot; dazu eine Hose in denselben Farben und einen Sturzhelm. Lässig lehnt er auf dem leicht schräg gestellten Rad mit den schmalen Reifen.

Lindenberg: „Und nach ´nem halben Jahr dachte ich, ey, das will ich auch, weil ich bin paar Mal mit ihm zusammen gefahren und so weiter. Und dann natürlich auch wieder im Zuge der Tour de France usw. Man sieht die Leute da hochkraxeln. Und dann denkste: Ey!“

Autor; Atmo Roman Lindenberg fährt Rennen für das weiter Radsport-Team Lübeck. Sein Ziel ist, im drunter: nächsten Jahr von der Amateur C-Klasse in die B-Klasse aufzusteigen. Außerdem interessiert ihn das Leben der Menschen in Neuseeland und Australien. Da möchte er hin. Radprofi wollte er nie werden. Für sein früheres Sport-Vorbild hat er wegen des Dopingskandals nicht mehr viel übrig. Roman Lindenberg, der im Rahmen seines Freiwilligen Sozialen Jahrs auch Jugendtrainer beim Lübecker Team ist, findet es schade, dass Ullrichs Erfolge jetzt eigentlich nichts mehr wert sind.

Lindenberg: „Das zeigt eben auch, wie kaputt der Sport ja gerade in diesem professionellen Bereich schon ist. Weil es da um sehr viel Geld geht und eben nicht nur um Ruhm.“

Gert „Wir sind in einer sehr kritischen Hillringhaus: Situation, dass wir nicht nur weniger

3 Mitgliederzuwachs haben, so wie in den Jahren zuvor, sondern, dass wir Einbußen bis zu 50 Prozent hinzunehmen haben, was natürlich auch finanzielle Auswirkungen hat hier für unsere Arbeit.“

Autor: Gert Hillringhaus hat ein rot-weißes Tuch unter dem Radhelm nach Piratenart gebunden. Über die Hälfte der Teamsponsoren sind schon abgesprungen. Der 46jährige Elektroingenieur ist Chef-Trainer des Radsport-Teams Lübeck. Vor neun Jahren landete er eher zufällig beim Radsport, weil er etwas für seine Fitness tun wollte. Er merkte schnell, dass er leicht Kontakt zu Jugendlichen bekam. Neben der reinen Trainingsarbeit entwickelte Hillringhaus zusammen mit dem Heidelberger Soziologen Gerhard Treutlein Konzepte zur Dopingprävention für Jugendliche im Radsport. Seine jungen Schützlinge will er zu selbstbewussten, gut aufgeklärten Fahrern ausbilden, die nicht „dumm in den Sattel steigen“.

Hillringhaus: „Es wird nicht erklärt, wenn du das nimmst, passiert das und das. Und das dauert dann solange, bis Du dann umfällst. Sondern wir erzählen, wo kommt Leistung her. Wie ist Leistung definiert. Was passiert, wenn ich mehr Ausdauer trainiere. Was passiert, wenn ich zuviel zu schnell trainiere. Also, es wird eine kleine Miniaturtrainingslehre für Jugendliche dargeboten, die die Leute halt eben kompetent macht.“

Autor: Beim Bund Deutscher Radfahrer, dem BDR, ist Gert Hillringhaus mit seinem Konzept bisher abgeblitzt. Seit Jahren habe er es immer wieder versucht, entwarf eine Broschüre, bot sich an. Keine Reaktion. Nicht mal geantwortet habe man ihm. Inzwischen ist Hillringhaus Jugendleiter im 2000 Mitglieder zählenden 4 Radsportverband Schleswig-Holstein. Wie die anderen Landesverbände ist dieser Teil des BDR, in dem bundesweit insgesamt rund 130.000 Radsportler organisiert sind.

Hillringhaus: „M an glaubt auch nicht an meine Kompetenz auf dem Gebiet. Ich bin weder Jurist noch Pädagoge noch Soziologe. Ich hab einfach die praktischen Erfahrungen mit den Jugendlichen gesammelt.“

Autor: Hillringhaus, der sich mit Kommunikationsnetzen und Mediendesign beschäftigt und einen Lehrauftrag für Mathematik an der Fachhochschule Lübeck hat, sieht für die Ignoranz des BDR aber noch andere Gründe: Seine Funktionäre würden beim Thema Doping nur zugeben, was sich wirklich nicht mehr leugnen lässt. Ansonsten gelte auch bei den Amateuren das Prinzip: Solange die Leistung stimmt und nichts auffällt, ist alles o.k. Für die Entscheidung des Profiteams von t-mobile weiter als Teammanager zu beschäftigen, hat Gert Hillringhaus kein Verständnis. Aldag hatte zugegeben, jahrelang gedopt und die Öffentlichkeit genauso lange darüber belogen zu haben. Auch beim Personal, das für die Amateure des BDR zuständig ist, fordert Hillringhaus einen harten Schnitt.

Hillringhaus: „Vor allen Dingen, dass keine alten Haudegen, keine alten Rennfahrer die Jugend anleiten und damit ihr Wertesystem, was sie früher in ihrer eigenen Jugend gelernt haben, auf die Jugend übertragen. Die Jugend muss selber in die Lage versetzt werden, Leistungen zu beurteilen und selber an sich arbeiten, ohne dass Druck von außen da ist.“

Atmo, „Vorsicht, Auto hinten!...Kriegen wir Radsport- jetzt einen Kamerawagen?....“ 5 Team- Lübeck: Autor: Wolfgang Büttner hat sich zeitlebens mit Strukturen und Hierarchien beschäftigt. Der ehemalige Banker trägt die grauen Haare kurz. Die Brille, an einem Halsband vor der Brust baumelnd, steht er da wie ein sehr strenger Oberschiedsrichter. Vor ein paar Jahren erst kam er zum Radsport, als sein Sohn anfing, sich dafür zu begeistern. Mittlerweile ist der baumlange Pensionär Rennsportfachwart im kleinen schleswig-holsteinischen Verband. Wolfgang Büttner beklagt vor allen die innovationsfeindliche, starre Haltung des BDR.

Büttner: „Sie sehen das ja, dass alle, die dort beruflich eingebunden sind, irgendwo von Geld abhängig sind. Und wenn der Olympische Bund sagt – DOSB ist das, mein ich -, wir geben kein Geld mehr für die nächsten Goldmedaillen, dann wird da bei dem ein oder anderen doch die Krise ausbrechen.“

Autor: Im vergangen Juli, als Jan Ullrich kurz vorm Start zur Tour de France wegen der Fuentes- Affäre vom t-mobile Team suspendiert wurde, setzten bei Wolfgang Büttner die ersten Denkprozesse ein. Er fing an, die Strukturen beim BDR zu analysieren, stellte fest, dass es keine „Denkstube“ für den Amateursport gibt und außer vernünftiger Sacharbeit vom Verband nichts zu erwarten ist. Um sich von den Profis, mit denen die Amateure laut Satzung zuvor bei Rennen immer gemeinsam starten mussten, abzugrenzen, entwickelte Wolfgang Büttner ein neues Modell:

Büttner: „Und die neue Rennklasse, ABC, ohne irgendwelche Profis, die ist durchgekommen. Am 20.5. haben wir das erste bundesweite Rennen gehabt. Es gibt

6 jetzt vier oder fünf, die dem folgen. Die müssen ja geistig auch erst mal so weit sein und sagen: Gut, wir wollen uns vom Profisport distanzieren.“

Autor: Juli 1967. Die 13. Etappe der Tour de France:

Tour de „Wir haben die Vegetationsgrenze France, verlassen. Totes Kalkgestein umgibt die 1967, 13. Fahrer und uns. Aber wir haben ja bereits Etappe, Mt. alles gesagt, was es über diesen Mt. Ventoux zu sagen gibt. Anderthalb Ventoux: Kilometer vor dem Gipfel sahen wir rechts an der Straße den ehemaligen Weltmeister Tom Simpson aus England völlig zusammengebrochen liegen. Er erhielt eine Sauerstoffdusche. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen.“

Autor: Der Brite Tom Simpson wird in der Statistik als erstes, offizielles Doping-Todesopfer der Tour de France geführt. Am 13. Juli 1967 starb er auf der Etappe zum Mont Ventoux. Auf dem schattenlosen, extrem steilen Anstieg in den französischen Alpen war der Körper des 29jährigen in der sengenden Hitze vor Anstrengung kollabiert. In seinen Trikottaschen wurde das Aufputschmittel Onidrin gefunden. Es vertreibt Hunger und Müdigkeit. Zusätzlich hatte Simpson Alkohol im Blut. Immer wieder hatte er den Betreuern signalisiert, dass er am Ende sei. Die Teamleitung stachelte ihn trotzdem an weiterzufahren.

Sascha „Ich glaube aber auch, dass viele Severin: Zuschauer vielleicht durch die Vorkommnisse selber an eigene Vergehen erinnert werden. Dass man darüber reflektiert und feststellt: Moment mal: Also der dopt im Sport. Was mache ich eigentlich? Wie halte ich mich leistungsfähig? Was mache ich, um konzentrationsfähig zu bleiben?“

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Autor: Der Sportsoziologe Sascha Severin war BDR- Nationalfahrer auf der Bahn. Mit 19 Jahren stieg er Ende der 80er Jahre aus dem Leistungssportsystem aus. Der hohe Zeitaufwand für Training und Wettkämpfe hätte seine weitere akademische und berufliche Ausbildung unmöglich gemacht. Außerdem störte ihn, dass kritische Athleten im Verband unterdrückt wurden. Sascha Severin, der über das Thema Doping promovierte, vergleicht die Strukturen mit einem totalitären System. Jeder Versuch, sich gegen die Trainingsideologie zu wehren, sei im Keim erstickt worden. Mit dem, was man heute landläufig unter Doping versteht, kam er zwar nicht in Berührung. Aber vor den Rennen gaben die Betreuer den jungen Fahrern regelmäßig das Schmerzmittel Aspirin.

Severin: „Das, was man vielleicht ankreiden könnte, ist der Kontakt zu Präparaten, die den Weg in eine Dopingabhängigkeit vielleicht geebnet haben. Z.B. Nahrungsergänzungsmittel allgemein. Im Speziellen waren das physiologisch bedenkliche Mengen an Proteinpulver. Das wurde also zur damaligen Zeit häufig sehr kritisch thematisiert. Allerdings wollte man seitens der Verantwortlichen davon nicht allzu viel hören.“

Autor: Die Einnahme der Proteinpräparate sollte vor allem Regeneration und Muskelaufbau beschleunigen, sagt Sascha Severin. Die normale Menge von drei Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht sei in den Trainingsplänen des Nationalkaders teilweise verdoppelt worden. Wer nachfragte, wurde massiv unter Druck gesetzt.

Severin: „Das bedeutete eben also, dass man unter Umständen den Platz im Kader verlieren konnte und ganz aus dem System des 8 Nationalkaders ausgeschlossen wurde. Natürlich ein absoluter Supergau für jemand, der infolge dieser Aktivitäten im Kader seine schulische Ausbildung vernachlässigt hat.“

Autor: Genau das war bei Frank Nowak der Fall. Ähnlich wie Severin auf der Bahn, galt Nowak Ende der 80er Jahre als großes Talent auf der Straße. Nowak, der in Köln mit einem Trainer arbeitete, dessen Name immer wieder im Zusammenhang mit Doping fiel, verpasste es 1989, sich für die Weltmeisterschaft zu qualifizieren. Nowak, der keine Berufsausbildung hatte und alles auf die Karte Radsport setzte, rutschte in eine Drogenkarriere ab, wurde heroinabhängig, starb vor zwei Jahren im Alter von 34 Jahren in einem Pflegeheim. Einige Dopingpräparate enthalten Substanzen und Wirkstoffe aus dem Drogenmilieu, sagt Sascha Severin. Heroin ist beispielsweise ein Bestandteil des so genannten „Belgischen Potts“.

Severin: „Ich glaube, gerade das System Leistungssport ist im Grunde genommen ein Spiegel der Gesellschaft. Und Leistungssport, Radsport, auch viele andere Sportarten, ist nichts anderes als ein Mikrokosmos, in dem die gleichen Normen und Werte und auch Gesetzmäßigkeiten, wie sie gesamtgesellschaftlich vorkommen, eben auch passieren.“

Atmo - Rollende Räder auf Beton. Schneidige Radrennbahn Kommandos. Kinderstimmen. – Cottbus:

Autor: Der Olympiastützpunkt Cottbus, ganz im Südosten der Republik, war schon zu DDR- Zeiten eine Medaillenschmiede. Auf dem riesigen Areal wurden wie an den anderen Kinder- und Jugendsportschulen der DDR reihenweise

9 Spitzenathleten für die prestigeträchtigen, olympischen Kernsportarten geformt. In Form von angeblich harmlosen Vitamintabletten wurden dort den ahnungslosen Sportlern systematisch Dopingsubstanzen verabreicht. Das nach der Wiedervereinigung zunächst wegen des DDR-Staatsdopings in Verruf geratene Modell der Sportinternate genießt inzwischen bei den Verbands-Funktionären wegen der guten Erfolgsaussichten für Leistungssportler wieder neue Sympathien.

Robert „Na, eigentlich habe ich gedacht, dass Bolle/Autor: nicht dopt. Also, das hätte ich ihm nicht zugetraut.“

Und was bedeutet das jetzt? Was denkst Du jetzt über ihn?

„Na ja, als Vorbild würde ich ihn jetzt nicht mehr anerkennen, aber es ist mir relativ egal.“

Autor über Robert Bolle ist 15 Jahre alt. Vor drei Jahren fing Atmo: er mit dem Radsport an, wechselte aus der Nähe von Magdeburg in Sachsen-Anhalt an die Lausitzer Sportschule, weil es zuhause zu wenig Fahrer gab und die Trainingsbedingungen schlecht waren. Unter dem schwarzen Radhelm quellen dichte, dunkle Locken hervor. Schweiß steht auf seiner Stirn. Das schwarze Renntrikot ist mit den Schriftzügen und Logos von Sponsoren gepflastert. Robert Bolle will Profi werden. Doping findet er nicht gut.

Bolle: „Also ablehnen würde ich´s schon. Aber ich hoffe, dass man dann auch als Profi fahren kann. Ob man dann überhaupt im Team bleiben darf und so, ist ja alles ziemlich systematisch in so ´nem Team.“

10 Autor, Atmo Robert Bolle muss zurück auf die Bahn. Er wirkt drunter: angespannt. In sieben Minuten beginnt sein Rennen. Die Radrennschuhe klackern über den Beton. Der jeweils Letzte am Ende einer Runde muss ausscheiden. So sind die Regeln.

Jürgen „Dass der Bessere gewinnt, ist ne normale Kummer: Sache. Aber der Sportler hat sich unter- und einzuordnen, hat sich in ´ne Truppe mit einzufügen, um auch die Chance zu haben, bei ´nem Radrennen selber auch ´nen Wörtchen mitspielen zu können.“

Autor: Diplomsportlehrer Jürgen Kummer, ein Absolvent der Deutschen Hochschule für Körperkultur, DHFK, in Leipzig, führt als Leitender Trainer den Stützpunkt Cottbus. Gleichzeitung ist der bullige Mann im kurzen Karohemd für das Ausdauertraining der 14 bis 16jährigen Schüler zuständig. Über Doping werde mit ihnen schon mal in den Trainingsgruppen und in der Schule gesprochen. Auf dem Lehrplan steht es nicht. Nach dem Unterricht beginnt wochentags um viertel vor zwei das Training. Das geht bis 17 Uhr 30. Dann kommen die Hausaufgaben. Am Wochenende beginnt das Training um neun, anschließend stehen meist Wettkämpfe auf dem Programm.

Kummer: „Es ist auf Fälle so, dass sportliche Leistung sich in dieser Gesellschaft aus zahlt. Das zahlt sich in Fördergeldern aus. Das zahlt sich bei den Profis aus, dass ´se die Verträge ja verlängert haben wollen. Und wenn ich merke, ich komme nicht so vorwärts, bin ich natürlich auch eher bereit, zu unerlaubten Mitteln zu greifen.“

Autor: Die Cottbuser Sportschule kennt Jürgen Kummer aus dem Effeff. Er wuchs im nahen Lübben auf und wechselte mit 13 aufs Internat. 1977 wurde er für die DDR Juniorenweltmeister. Mit dem 11 Staatsdoping sei er nicht in Berührung gekommen, dazu hätten seine sportlichen Leistungen nicht ausgereicht, sagt Jürgen Kummer. Obwohl momentan immer noch zwei Bewerber auf einen Internatsplatz kämen, sei es schwieriger geworden, die besten jungen Talente nach Cottbus zu holen. Irgendwann könnte auch sein Arbeitsplatz in Gefahr geraten. Der Trainer ahnt, dass es durch die aktuelle Dopingdiskussion noch schwerer werden wird, skeptische Eltern zu überzeugen.

Kummer: „Bisher ist es noch nicht vorgekommen, dass Eltern wegen Doping jetzt im Profibereich diese Fragen gestellt h aben. Wenn, denn geht es bei uns eher darüber, dürfen die Kinder dieses Mittel nehmen, wenn ´se krank sind oder dürfen ´se es nicht nehmen. Aber das spielt ansonsten in der normalen Arbeit keine Rolle.“

Atmo, - Fahrgeräusche, Lautsprecherdurchsagen, Radrennbahn Kommandos, Kinderstimmen. –

Autor: Martin Müller, Heinrich Haussler und Olaf Pollack zählen zu den Cottbuser Absolventen, die eine Profikarriere begonnen haben. Bei , der 1987 eingeschult wurde, als Jürgen Kummer seine Trainertätigkeit am Stützpunkt begann, wurde im Frühjahr 2005 das verbotene Stimulanzmittel Carphedon nachgewiesen. Der Cottbuser Profi ist bis Ende Januar kommenden Jahres gesperrt.

Atmo - Fahrgeräusche, Lautsprecherdurchsagen, Radrennbahn Kommandos, Kinderstimmen. – : Bernd „Ich sage, Kinder, solange, wie ihr hier Drogan: bei uns seid, da sind wir absolut voll gegen Doping eingestellt. Ihr werdet das von uns auch nie irgendwo mal zu hören bekommen, dass man mit unerlaubten Mitteln arbeiten muss. Ihr kriegt von uns

12 eigentlich ´ne Grunderziehung, die ehrlich und positiv ist.“

Autor: Seit fünf Jahren ist der DHFK-Diplomsportlehrer Bernd Drogan als Landestrainer des Brandenburgischen Radsportverbands auch für den Nachwuchs zuständig. Der 52jährige war einer der erfolgreichsten Straßenfahrer der DDR. Drogan gewann serienweise Weltmeistertitel und olympische Medaillen, fuhr die Friedensfahrt. 1979 und 1982 wurde er in der DDR zum Sportler des Jahres gewählt.

Drogan: „Ich leg hier für meine U-23-Fahrer die Hand ins Feuer, so lange, wie ´se hier von uns betreut werden, wissen wir, dass die Jungs – sagen wir mal -, o.k. , sauber sind. Wenn sie dann in die Profiställe gehen, entzieht sich das uns ein bisschen.“

Autor: Barfuss in Sandalen, leicht gebräunt und in kurzen Hosen steht Drogan an der Bande der Cottbuser Bahn. Er freut sich wie ein Kind über den Feuereifer, mit dem die Mädchen und Jungen Runde um Runde auf der Bahn drehen.

Drogan: „Wir haben eigentlich doch alles hinterfragt, was uns da so angeboten wurde. Also wir haben auch Vitamintabletten hinterfragt, nicht. Also, die nu wirklich absolut nichts bedeuten, ne. So. Und ich meine, als wir dann in der Spitze waren, sind wir schon mit den Dingen konfrontiert worden.“

Autor: Als Kapitän des DDR-Straßenvierers kann Bernd Drogan 1981 bei der Weltmeisterschaft in Prag den Titel verteidigen, den er zwei Jahre zuvor in anderer Besetzung schon einmal gewonnen hatte. In der Tschechoslowakei führt er das Team mit Falk Boden, Olaf Ludwig und Mario Kummer nach 100 Kilometern zum Sieg. Obwohl

13 die Fahrer damals voll im DDR- Leistungssportsystem integriert gewesen seien, hätten sie für sich beschlossen, nicht zu dopen, sagt Bernd Drogan. Schwierigkeiten mit den Funktionären habe es nicht gegeben, da sie den Entschluss nicht öffentlich gemacht hätten. Die nötige Leistung habe man sich eben durch enormen Trainingsfleiß und perfekte Methodik erarbeitet.

Drogan: „Aber jetzt der Kreis, mit dem ich ganz eng zu tun hatte, das waren damals meine Nationalmannschaftskameraden und das waren auch die Leute z.B. im Vierer. Und da kann ich wirklich sagen, dass wir damals mit Tee, Äpfelstückchen und Bananen Weltmeister geworden sind.“ – lacht -

Autor: Nachdem der Westen die Olympischen Spiele 1980 in Moskau wegen der sowjetischen Invasion Afghanistans boykottiert hatte, revanchierte sich der Ostblock vier Jahre später und schickte – von Rumänien abgesehen -, keine Athleten zu den Spielen nach Los Angeles. Bernd Drogan fehlt nach 20 Jahren Leistungssport die Motivation weiterzumachen. Mit 29 Jahren beendet er noch im selben Jahr seine Karriere. Noch zehn Jahre lang habe ihn danach der Gedanke gequält, niemals die Tour de France gefahren zu sein.

Tour de „Wenn der Begriff Tour de France, Tour France, der Leiden, irgendwo seine Gültigkeit 1967, 13. hat, dann hier im Fegefeuer des Mt. Etappe, Mt. Ventoux. Es ist unmenschlich, was hier von den Fahrern verlangt wird. Aber sie Ventoux, fahren, fahren, fahren. Sie kämpfen sich Meter Autor drauf um Meter dieses schmale, gewundene Asphaltband hoch. setzen: Serpentine um Serpentine mit verbissenen Gesichtern. Es ist wahrhaft eine Schinderei…..“

Autor: Jef d´Hont, ehemaliger Masseur der Telekom-

14 Radprofis, schreibt in seinem Enthüllungsbuch, dass Olaf Ludwig, Anfang der 90er Jahre bei Telekom unter Vertrag, für die Weltmeisterschaft 1993 in Oslo systematisch mit dem Ausdauer steigernden Hormon EPO gedopt worden sei. Der im vergangenen Jahr als t-mobile Teamchef entlassene Ludwig bestreitet dagegen, jemals EPO genommen zu haben. Der ehemalige Telekomprofi und jetzige Manager des umstrittenen Astana-Rennstalls, Mario Kummer, gesteht der „Neuen Zürcher Zeitung“ zunächst, als Rennfahrer Teil des Dopingsystems im Radsport gewesen zu sein. Später widerruft Kummer. Die Zeitung habe ihn falsch verstanden. 1991 wird das komplette niederländische PDM-Team mit den deutschen Falk Boden und Uwe Raab wegen einer Lebensmittelvergiftung von der Tour zurückgezogen. Später gibt Raab zu, dass ein unsachgemäß gelagertes Dopingpräparat der Auslöser war.

Sascha „Leute, die einmal in diesen Sog des Severin: Medikamentenmissbrauc hs geraten sind, die kriegen sie auch mit Sanktion oder mit anderen Maßnahmen nicht da raus. Die sind eben diesem System verfallen.“

Autor: Der Sportsoziologe und ehemalige deutsche Bahnradnationalfahrer Sascha Severin glaubt, mit Aufklärung und umfassender Bildung vorbeugen zu können. Jungen Athleten müsse eine Art ehrenhafte Selbstbeherrschung, ein gefestigter Charakter mit auf den Weg gegeben werden. Darin sieht Severin die einzige Chance im Kampf gegen das Doping in unserer Gesellschaft. Dabei spielen seiner Ansicht nach auch die Medien eine entscheidende Rolle. Dass insbesondere das Fernsehen die Zuschauer mit Livebildern von den schier unbezwingbaren Helden im Sattel süchtig macht, hält er für fatal. Allerdings wäre ein Rückzug der öffentlich-

15 rechtlichen Sender aus der Berichterstattung, der wahrscheinlich auch einen Verzicht auf weitere Aufklärung nach sich zöge, nur als Kurzintervention geeignet.

Severin: „Ich denke, der Sportzuschauer muss sich ja gewissermaßen auch mit den Leistungen der Athleten vergleichen können. Und, na ja, wenn er jetzt hört, dass exorbitante Leistungen eben unter Zuhilfenahme Leistung steigernder Präparate erbracht werden, ich glaube, dann bleibt diese Iden tifikation eben aus, respektive, dann relativiert sich die Leistung.“

Autor: Nach jüngsten Schätzungen sind in der Bundesrepublik bis zu 1,9 Millionen Menschen medikamentenabhängig. Rund eine Million ist süchtig nach Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Angesichts dieser Zahlen fordert Sascha Severin einen generell kritischeren Umgang mit Medikamenten. Das fange bereits bei der Werbung im Fernsehen an.

Severin: „Man wird ja regelrecht torpediert. Da haben Sie sehr viele Aussagen, die dahingehen, dass man versucht, den Leuten zu suggerieren: Also, Du brauchst eben Substanz ´XY´, um Topleistung zu bringen. Ich glaube, irgendwann wird das dermaßen verinnerlicht, dass die Leute gar nicht mehr anders können - dass sie sich Leistungen ohne künstliche Präparate überhaupt nicht mehr vorstellen können.“

Autor: Wenn es gelänge, jungen Menschen so viel Selbstbewusstsein beizubringen, dass sie nicht mehr jede Leistungsanforderung sofort auf sich bezögen, wäre schon viel gewonnen, glaubt der Soziologe. Jeder sollte selbst entscheiden, ob das, was ihm vorgespielt wird, wirklich zwingend ist. Jeder sollte selbst entscheiden, was er mit seinem Körper macht. Sascha Severin ist

16 überzeugt, durch Prävention in der gesamten Gesellschaft nachhaltige Verbesserungen zu erreichen. Was den Sport betreffe, müsse man jedoch realistisch bleiben und dürfe nicht zu viel erwarten.

Severin: „Doping im Sport wird es immer geben. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Und ich glaube, das hängt eben auch mit einer wettbewerbsimmanenten Betrugsmentalität zusammen, die sich eigentlich aus einer ganz einfachen Pragmatik ergibt. Im Wettbewerb selber geht es primär darum, nicht zu messen, wer verhält sich moralisch am wertvollsten, sondern, wer ist explizit in einer Tätigkeit oder in einer Disziplin der Beste.“

Atmo, Rad- - Redende und scherzende Fahrer nach Team- Rückkehr von der Trainingsrunde - Lübeck:

Autor: Gert Hillringhaus und sein gelb-schwarzes Spaß- Peloton vom Radsportteam Lübeck sind zurück von der Trainingsrunde. Den meisten Fahrern im Team ist es egal, ob die Bundesregierung ein Anti-Doping-Gesetz beschließen wird oder nicht. Auch um schärfere Kontrollen machen sie sich keinen Kopf. Die Stimmung ist ausgesprochen locker. Es wird gescherzt. Gert Hillringhaus hat den Helm über den Lenker gehängt und das schweißnasse Piratentuch vom Kopf gezogen. Während er das Rad in den Wagen hievt, sagt er, dass er von Anfang an überzeugt von dem war, was er hier macht. Auch wenn ihn bisher kaum jemand ernst genommen hat.

Gert „Also ich will jetzt nicht die Hillringhaus: Gesellschaft ändern, weiß Gott nicht. Aber durch den Sport, durch eine funktionierende Jugendgruppe, so wie wir es sind, ist es möglich, die Jugendlichen einzeln mit genug Kompetenz und

17 Selbstsicherheit auszustatten.“

Autor: Vielleicht wird der 20jährige Roman Lindemann genug Rennen gewinnen und den Sprung in die Amateur-B-Klasse schaffen, vielleicht aber auch nicht. Könnte auch sein, dass er sich demnächst doch lieber in Neuseeland oder Australien umschaut, wenn sein Freiwilliges Soziales Jahr als Radsporttrainer beim Lübecker Team vorbei ist.

Lindemann: „Man muss natürlich sein und irgendwie sagen, dass es halt Spaß bringen soll. Dass das halt im Vordergrund steht und dass es nicht irgendwie um Ruhm geht oder was. Ist ja nicht so, dass wir irgendwelche Leute ausselektieren, weil die nicht schnell genug fahren oder so was. Also es ist wirklich Spaß und solange Spaß im Vordergrund ist, ist alles gut.“

Autor: Annette Heesch holt ihren neunjährigen Sohn vom Training ab. Vorher hat die 37jährige noch ihre Tochter zum Geigen gefahren. Von ihrem Zuhause in Lübeck-Schlutup, wo sie als selbstständige Unternehmerin einen Büroservice betreibt, bis nach Arfrade ist sie jedes Mal mindestens eine halbe Stunde mit dem Auto unterwegs. Sie nimmt die zusätzliche Belastung gern in Kauf, weil sie findet, dass die Atmosphäre in Gert Hillringhaus´ Radteam ihrem Sohn gut tut. Hier könne er ohne Leistungsdruck Sport machen, der Wettbewerb stehe nicht im Vordergrund. Annette Heesch fände es klasse, wenn sich diese Philosophie irgendwann nicht nur im Sport durchsetzen würde.

Heesch/Autor „Wir leben in einer Zeit, wo keiner mehr : Schwächen zugeben darf. Und jeder Mensch hat Schwächen. Und ich bin der Meinung, dass die Menschen die Schwächen auch

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Was haben Sie für eine Schwäche?

- Lacht – „Das ist ´ne gute Frage. Das kann ich jetzt so gar nicht beantworten. Ja, was habe ich für ´ne Schwäche? Ja, vielleicht fehlt mir manchmal so´n bisschen der Antrieb und der Ehrgeiz, um…. Ja, weil ich bin nicht so beruflich orientiert, dass ich nun unbedingt Karriere machen muss. Für mich sind andere Dinge wichtiger als meine eigene Karriere. Das kann man….Das wird einem heutzutage schon als Schwäche ausgelegt.“

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