72

Das Rheindelta und der „Rheinbrech“ im Bodensee Von M. RITZI, Karlsruhe (Aus der Anstalt für Bodenseeforschung der Stadt in Kon­ stanz-Staad und den Badischen Landessammlungen für Naturkunde in K arlsruhe i. B.) Mit 1 Kartenskizze und 1 Tafel

Im September 1938 gelang es uns anläßlich einer Unter­ suchungsfahrt an der Rheinmündung in der Hardt-Fussacher Bucht des Bodensees, die beiden hier veröffentlichten Aufnahmen zu machen, die ich mit einigen Erläuterungen einem größeren Kreis zugänglich machen will.

4 Pfänder

6e&/)aräsben)

Schweiz

5 Am Das Rheindelta und der „Rheinbrech'' im Rodensee 7ß

Wenn wir die Karte des Bodensees betrachten, so fallen uns an seinem Südostende die beiden weit in den See vorspringenden flachen Halbinseln Rohrspitz und Rheinspitz auf. (Vgl. Kartenskizze.) Sie verdanken beide ihre Existenz dem Rhein, der nicht nur Wasser in den See bringt, sondern auch eine nicht unbeträchtliche Menge von Schutt im Lauf der Jahre als Delta in den See schiebt. Der Schutt oder die Geschiebe werden an der Mündung in den See abgelagert und häufen sich schließlich derart an, daß der Fluß sich wieder durch seine eigenen Ablagerungen durchgraben oder sie umgehen muß. Am Verlauf des Gebirgsrandes erkennt man sehr gut die große Landfläche, die im Laufe der Jahrtausende aus den Anschwem­ mungen des Rheins und der beiden bedeutend kleineren, ebenfalls hier mündenden Gebirgsflüsse, der Bregenzer und , entstanden ist. Bis zum Jahre 1900 mündete der Rhein am Rhein­ spitz, und seine Ablagerungen bildeten diese Halbinsel. In wei- gezogenen Windungen durchzieht der Alte Rhein seinen eigenen Schuttkegel von Brugg in nordwestliche]- Richtung. Noch im 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung lag das Städtchen Rheineck am Ufer des Sees. Heute hegt es einige Kilometer landeinwärts. Der Rohrspitz ist Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende vorher auf die gleiche Weise entstanden. Wir können heute noch an seinem west­ lichen Rand ein in ähnlichen Windungen von Höchst nördlich ver­ laufendes altes Rheinbett erkennen. Etwa ein Kilometer südlich von Hardl und Fussach wurden die Reste einer alten römischen Heerstraße gefunden, die von „Brigantium () ad Rhenum“ zog. Das Land dort muß also weit über 2000 Jahre alt sein, denn die Römer waren zu Beginn unserer Zeitrechnung am Bodensee. Eine Heerstraße konnten sie nur auf festem Untergrund und nicht auf jungen Anschwemmungen bauen.

Um Hochwassermißstände zu beseitigen, wurde im Mai des Jahres 1900 der Rhein von Brugg ab in ein neues, künstlich ge­ schaffenes Bett abgeleitet. Der Neue Rhein fließt nun in genau nördlicher Richtung östlich an Fussach vorbei in die Hardter Buchl zwischen Rohrspitz und Kniehorn, dem Schuttkegel der . Dabei wurde auch die Dornbirner Ach begradigt. Sie mündet seither nach kurzem parallelem Lauf direkt neben dem Rhein. Der Rheinlauf wurde damit um rund 10 km verkürzt. Der Alte Rhein, der die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz bildet, führt nur noch das Wasser des Rheintal-Binnenkanals. 74 R1TZI

Im Jahre 1885, also noch vor dem Rheindurchstich, wurde in Zusammenhang mit der Tiefenaufnahme des ganzen Bodensees die Hardt-Fussacher Bucht vom eidgenössischen topographischen Bureau vermessen. Verschiedene Neuaufnahmen des Seegebicts bei der neuen Rheinmündung, insbesondere die der Rheinbaulcitiing Bregenz (1908) und die des eidgenössischen Amtes für Wasserwirt­ schaft (1911 und 1921) ermöglichen mit großer Genauigkeit eine zuverlässige Bestimmung der Seeauffüllung und damit der Ge­ schiebemengen, die der Rhein und in geringerem Maße die Bregen­ zer und Dornbirner Ach alljährlich in den See bringen. Sämtliche Isohypsen der Tiefenkarte haben sich in der Hardter Bucht seewärts verschoben. Die Tiefenkarte aus dem Jahre 1893 kennt z. B. die beiden Kiesinseln (I. und II.) vor der neuen Rheinmündung noch nicht. Sie verzeichnet am Nordzipfel der größeren Insel (II.) noch riefen um 50 m. Abbildung 1 zeigt diese beiden Inseln, die allerdings bei dem am Tage der Aufnahm e (12. 9. 1938) herrschenden Pegelsland von 4,06 m zum größten Teil vom Wasser überspült sind. Wir nehmen den mittleren Seestand hei 3,54 m und Niederwassersland hei 2,50 m an. Im Zeitpunkt der Aufnahme haben wir also 52 ein über Mittel­ wasser und 156 cm über Niederwasser. Bei Mittelwasser liegen die beiden Inseln mit einer Fläche von über 300 000 nr trocken. Die Wasserzuflußmenge des Rheins in den Bodensee ist nicht gleichmäßig. Sie schwankt im Verlauf des Jahres zwischen 50 und 3000 m ! in der Sekunde, während die Abflußmcnge 90 bis 1000 nvVsec beträgt. Darin zeigt sich deutlich die ausgleichende Wirkung des Seebeckens. Wie die Wasserzuflußmenge ist natürlich auch die Geschiebezufuhr großen Schwankungen'unterworfen. Wenn man den vom Rhein und den beiden andern Zuflüssen zugeführten Schutt, der hauptsächlich aus Kies und Sand besieht, gleichmäßig auf die ganze Hardter Bucht bis zur Linie Rohrspilz- Kniehorn verteilen würde, so ergäbe sich dort eine durchschnittliche jährliche Erhöhung der Seesohle um über 30 cm. Das entspricht einer gesamten mittleren Jahreszuiuhi \on .1 200 000 m Da\on bringt der Rhein allein rund 2 800 000 nr Für das über 6000 km- große Einzugsgebiet des Rheins oberhalb des Bodensees bedeutet das eine jährliche Abtragung von 0,46 mm. In jeder Stunde bringt der Rhein durchschnittlich rund 320 m ! Kies und Sand in den See. Die Geschiebezufuhr der übrigen Zuflüsse um den ganzen See ist. Das Rlieindelta und der „Rheinbreclr im Rodensee. /•>

gemessen an diesen Zahlen, ziemlich gering. Insgesamt beträgt die jährliche Geschiebezufuhr in den Bodensee rund 4 Millionen m3. Der Obersee, dessen Rauminhalt von A. Penck mit 47 600 Millio­ nen m3 angegeben wird, würde demnach in 11 900 Jahren aufgefüllt sein. Abbildung 2 zeigt den sogenannten ,,Rheinbrech4' Das Bild wurde vor Hardt etwa 1500 m von der Rheinmündung entfernt auf- genommen mit dem Blick nach Nordwesten. Den Hintergrund bildet die große freie Fläche des Obersees. Von links kommt das Rhein­ wasser. Es ist stark milchig getrübt von den mitgeführten suspen­ dierten Sand- und Schlammassen und steht in krassem Gegensatz zu dem klaren dunkelgrünen Seewasser. Man müßte eigentlich an­ nehmen, daß sich das Rheinwasser mit dem Seewasser sofort mischt und sich in diesem gleichmäßig verteilt, so daß, je weiter wir uns von der Mündung entfernen, das Wasser klarer wird. Daß dies nicht der Fall ist, zeigt unsre Aufnahme. Von der Mündung her Hießt das trübe Rheinwasser in geschlossenem Strom direkt an der Oberfläche des Sees. Ganz plötzlich stürzt es in die Tiefe wie ein ,,unterseeischer Wasserfall“ und bildet dadurch die auf dein Bild sehr deutliche, scharfe Grenze zum Seewasser. Die Wasserbewegung am Absturz in die Tiefe ist derart stark, daß sich richtiggehende Brecher mit weißen Schaumkronen bilden, die auch im Bild sehr gut zu erkennen sind. Daher rührt auch der Name ,,Rheinbrech“ für diese interessante Erscheinung. Wie die Strömungsunter­ suchungen der Anstalt für Bodenseeforschung über den Verlauf des Rheinwassers im Bodensee gezeigt haben, fließt der Rhein dann in 5 bis 20 m Tiefe unter der Oberfläche weiter und ist als geschlos­ sener unterseeischer Strom bis zu seinem Ausfluß aus dem Obersee bei Konstanz und bis in den Überlingen- See festzustellen.

Literatur Kheindella im Rodensee. Aufnahme vom Frühjahr 1921, von W. STUMPF Mitteilungen des eidgenössischen Amtes für Wasserwirtschaft. Nr. lä. Bern 1923. Bodensee-Handbuch, hearb. von 0. MALLAUN, Bregenz 1934. I'iefenkarte des Bodensees. Bodenseeforschungen, Schriften d. Ver. I. Gesell, d. Bodensees u. s. Umgebung. 22. 1893. Übersichtskarte des Rheingebiets von der Frutz bis Rodensee. 1 50 000. Verlag H. Spies u. Co., Wien. RITZI — Das Rheindelta und der „Rheinbrech“ im Bodensee

Tafel IV Tai der Bregenzer Ach Hardt

Abb. 1. Das Rheindelta. Blick nach Ostsüdost Aufn. Dr. Meichle

Abb. 2. Der „Rheinbrech“ Aufn. Dr. Meichle