Münsterland zu Fuß

Hauptwanderweg X14

Von Münster zur Rauschenburg bei Datteln auf einer Länge von 76 Kilometern 14

Vom Kern zum Rand des Münsterlandes (Kleiweg) von Thomas Starkmann

76 Kilometer sind es vom Zentrum bis zum südlichen Rand des Münsterlandes – zumindest für Wanderer, die sich über den X14 auf den Weg von Münster bis zur Ruine Rauschenburg an der Lippe machen. Naturräumlich gesehen verlas- sen wir das Kernmünsterland allerdings nicht. Denn so bezeichnen Landeskund- ler den Teil des Münsterlandes, in dem lehmig-tonige Böden vorherrschen – ganz im Gegensatz zum West- und Ost- münsterland, wo der eiszeitlichen Grund- moräne vielerorts eine dicke Sandschicht aufliegt. Der „Klei“, eine im Münster- land gebräuchliche Bezeichnung für den schweren Lehmboden, ist zwar von Na- tur aus fruchtbar, war aber nicht immer leicht zu bearbeiten. Neben der Landwirtschaft prägen auch größere Waldgebiete wie die Davert oder der Cappenberger Wald den Charakter des Weges und bescheren dem Wan- derer an heißen Tagen kühlen Schat- ten. Bereits auf halber Strecke erlauben runde, ist der Startpunkt für den X14. Im der ehemaligen Befestigung zu einem ­einige Anhöhen weite Ausblicke, die in Schatten der Bäume lässt es sich auch an Grüngürtel umzugestalten. Die Bäume, Richtung Süden bis über die Grenzen warmen Sommertagen gut wandern. Am die er damals zur Anlage einer Doppel- des Münsterlandes hinaus reichen. Dort besten geht man auf den teilweise mit allee anpflanzen ließ, stehen natürlich kündigen Kühltürme und Schornsteine Rindenmulch ausgelegten Randwegen, nicht mehr. Viele Bäume halten dem tro- das nahe Ruhrgebiet an, das aber auch dort lassen sich Kollisionen mit den all- ckenen und durch Feinstäube und Ab- nördlich der Lippe schon seinen Einfluss gegenwärtigen Radfahrern am sichersten gase belasteten Stadtklima nicht stand geltend macht. vermeiden. Der Verlauf der Promenade, und müssen durch Neuanpflanzungen die den mittelalterlichen Stadtkern um- ersetzt werden – was nicht immer oh- Zuerst wird „promeniert“ schließt, folgt der ehemaligen Stadt- ne öffentliche Diskussionen vonstatten statt gewandert befestigung, die in der zweiten Hälfte geht. Wenn es, wie zuletzt Ende der des 18. Jahrhunderts geschleift wurde. 1980er Jahre, darum geht, auf größe- Passender kann ein Wanderweg kaum Kein geringerer als der berühmte Ba- ren Abschnitten alte und teilweise kran- beginnen: Die Promenade, Münsters rockbaumeister Johann Conrad Schlaun ke Bäume durch Neuanpflanzungen zu „Fahrradhighway“ und beliebte Jogging­ bekam den Auftrag, den äußeren Ring ersetzen, regt sich Protest bei vielen

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Wanderung von Münster zur Rauschenburg (bei Datteln)

1 X 14 ca. 76 km Münster, Promenade, Windthorststraße 0,0 Münster, Aasee, Abzweig x4/24 1,2 Münster, Aasee, Mühlenhof 3,0

B 219 Haus Kump 4,7 Münster Mecklenbeck, Bahnhof 7,3 Havixbeck Telgte Haus Loevelingloh 9,4 Amelsbüren, Kirche 14,1 Bahnübergang Inkmannsholz 18,1 x14 Davert, Treffen x3 21,6 43 Davert, Abzweig x3 24,2 B 54 Senden Davensberg, Bahnhof 26,6 Dülmen 1 Sendenhorst Davensberg, Abzweig x21 27,1 Haus Romberg 29,4 B 58 , Kirche 32,2 Lüdinghausen Ascheberg Arensbergischer Forst, Treffen x2 38,7 Haus Ichterloh, Abzweig x2 39,5 B 58 Capelle, Kirche 41,9 Forst Cappenberg, Treffen x1 54,3 x14 B 63 Rauschenburg Schloss Cappenberg, Abzweig x1 55,4 Werne Datteln Hamm Lünen, Jugendherberge 58,2 Haus Dahl 67,5 B 233 Vinnum 71,1 Lünen Wirtshaus zur Rauschenburg 75,6

Weiterführung als Hauptwanderweg des SGV – Hermann Kusch Weg – bis Bahnhof Dortmund Unna Voerde

Münsteranern, die den Bestand einzel- se junges Wahrzeichen der Stadt ist. Erst gebiet zum Abwasserkanal umfunktio- ner alter Bäume dem Alleecharakter mit 1934 wurde die Idee endgültig verwirk­ niert worden war – eine Aufgabe, mit einem gleichaltrigen Baumbestand vor- licht, die 50 Jahre zuvor ein Mann hatte, der das Flüsschen nicht zuletzt wegen ziehen. Mitte der 1920er Jahre allerdings der wie kaum ein anderer diesen Teil seiner unregelmäßigen Wasserführung ließ sich ein radikaler „Kahlschlag“ nicht Münsters geprägt hat. Hermann Landois eindeutig überfordert war. Die Zustän- vermeiden, denn die damals entlang der (1835-1905), der „unwiese Professor“, de entlang der Aa brachte Landois 1896 Promenade vorherrschenden Ulmen fie- hat sowohl als Naturwissenschaftler wie in einem Vortrag mit der ihm eigenen len einer Pilzinfektion zum Opfer, die auch als „Unikum“ in der zweiten Hälf- bildhaften und bisweilen wohl auch et- noch heute alle heimischen Ulmenarten te des 19. Jahrhunderts in Münster für was zu Übertreibungen neigenden Spra- befällt. Wichtigster „Promenadenbaum“ Furore gesorgt. Es war sein Vorschlag, che zum Ausdruck: „Im Sommer ist der ist seitdem die robuste Silberlinde. die Aa nach dem Vorbild der Hambur- Fluss dort ein brodelnder Topf giftiger ger Binnenalster anzustauen, um sowohl ­Miasmen, pechschwarz, dick, mit krus- Ein See soll viele Probleme lösen den Hochwasserschutz als auch die hy- tenartig aufschwimmenden Fäkalien, gienischen Zustände entlang des Flusses ohne jegliche Bewegung stagnierend, Der Aasee und Münster, das gehört für zu verbessern. Denn letztere waren im abscheuliche Gerüche ausdünstend, alles viele zusammen. Leicht wird dabei ver- ausgehenden 19. Jahrhundert alles an- Leben zu Grunde richtend (…)! Wie sich gessen, dass der Aasee ein vergleichswei- dere als appetitlich, weil die Aa im Stadt- die Menschen in der Stadt und weiter-

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Seit 1934 ein Wahrzeichen Münsters: der Aasee. hin die angrenzenden Gehöfte so etwas zurücklegen kann. Der X14 führt zu- sumpft, dass sie landwirtschaftlich kaum gefallen lassen können, ist mit schier nächst entlang des Modersohnweges am nutzbar waren und als Brutstätte für vie- unbegreiflich!“ östlichen Ufer des alten Aasees entlang, lerlei Ungeziefer galten. Doch nicht alle um dann über die 1989 neu erbaute hygienischen Probleme der Aa konnten Es sollte aber noch bis zum Jahr 1913 Torminbrücke die Seite zu wechseln. Der mit dem Bau des Aasees gelöst werden. dauern, bis der erste Spatenstich zum Name des Weges erinnert an den Maler Seit einigen Jahren sorgen immer wieder Bau des Aasees erfolgte. Und nur ein Otto Modersohn (1865-1943), der von Massenvermehrungen der auch als Blau- Jahr später sorgte der Ausbruch des 1. 1874 bis 1889 in Münster lebte und die algen bezeichneten Cyanobakterien für Weltkrieges dafür, dass die Bautätigkeit Landschaft an der Aa in vielen Bildern Schlagzeilen. Die giftigen Mikroorganis- ein rasches Ende fand und erst 12 Jah- festgehalten hat. Einige von ihnen sind men können sich vor allem im Sommer re später wieder aufgenommen werden auf Hinweistafeln entlang des Moder- bei hohen Temperaturen explosionsartig sollte. 1934 war es schließlich soweit. sohnweges zu sehen, die auf Initiative vermehren und konzentrieren sich bei Das Wasser der Aa überflutete erstmalig des Mecklenbecker Geschichts- und Hei- bestimmten Wetterlagen im Uferbereich, eine 20,7 Hektar große Fläche, die in matkreises aufgestellt wurden und dem wo sie beispielsweise eine Gefahr für trin- Münster heute noch als der „alte Aasee“ Wanderer eine Fülle weiterer Informa- kende Hunde darstellen können. Begüns- firmiert – was darauf hindeutet, dass die tionen zur Geschichte der Aa und ihres tigt wird die Vermehrung der Bakterien Geschichte des Aasees eine Fortsetzung Umfeldes geben, die hier aus Platzgrün- dadurch, dass das Einzugsgebiet der Aa bekam. In der Tat rückten 1972 südlich den nicht ausführlich dargelegt werden landwirtschaftlich intensiv genutzt wird der Torminbrücke die Bagger an, um können. So zeigt gleich zu Beginn des und der Fluss viele Nährstoffe in den See weitere 19,5 Hektar für den „neuen Aa- Weges eine Tafel die Landschaft ent- schwemmt. Im Jahr 2005 fanden erst- see“ auszuheben und zugleich das Um- lang der Aa aus der Sicht des Malers. malig Freilandversuche zur Phosphatfäl- feld des Sees zu einem Naherholungsge- Doch die Idylle, die das Bild vermittelt, lung statt, bei denen Eisen-III-Chlorid biet umzugestalten. war trügerisch. Immer wieder trat die in den See eingebracht wurde. Danach Aa nach stärkeren Niederschlägen über sank die Blaualgenkonzentration im See Davon profitiert heute der Wanderer, der die Ufer und setzte Teile der Altstadt deutlich. Um das Übel an der Wurzel die nächsten Kilometer ohne direkten unter Wasser. Die Wiesen in der Aaaue zu packen, ist es auf lange Sicht wün- Kontakt mit dem motorisierten Verkehr vor den Toren der Stadt waren so ver- schenswert, die Nährstofffracht der Aa

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durch eine Extensivierung der angren- zenden landwirtschaftlichen Flächen im Oberlauf zu verringern.

Auch wenn der Aasee ein künstliches Gewässer ist und vor allem im alten Teil kaum naturnahe Uferstrukturen besitzt, hat er durchaus Bedeutung für Wasser- vögel. Besonders im Winter tummeln sich hier verschiedene Enten- und Ral- lenarten. Überregionale Bedeutung hat der Aasee dann auch als Schlafplatz für Möwen. Tausende Lach-, Silber- und auch Sturmmöwen fliegen in den Abendstunden das Gewässer an, um hier sicher vor Feinden zu übernachten. Ein regelmäßiger Brutvogel ist der elegante Haubentaucher, der seine Jungen häufig im Rückengefieder trägt und sogar mit auf Tauchgänge nimmt.

Doch noch einmal zurück zu Landois. Seit Mitte der 1970er Jahre befinden sich nicht weit entfernt vom neuen Aasee zwei Einrichtungen, die ebenfalls Grün- dungen des rührigen Professors waren. Der Zoo, 1875 eröffnet, und das einige Jahre später erbaute Westfälische Mu- seum für Naturkunde zogen Mitte der 1970er von der Himmelreichallee in der Nähe des alten Aasees um zur Sentruper Höhe und sind viel besuchte Anziehungs- punkte. Auf dem Zoogelände befindet sich heute auch das Pferdemuseum. Und noch eine weitere Einrichtung auf der Sentruper Höhe lohnt einen Besuch: Das Mühlenhof-Freilichtmuseum mit seinen rund 30 historischen Gebäuden, allesamt Haus Kump. originalgetreu wiederaufgebaut oder re- konstruiert und liebevoll mit dem pas- senden Inventar ausgestattet, entführt den Besucher in die Vergangenheit des wahrscheinlich 1549 erbaute Speicher, – bei deren Entstehung der Mensch al- bäuerlichen Lebens. der nicht nur das älteste noch erhaltene lerdings kräftig nachgeholfen hat. Noch bäuerliche Gebäude der Stadt ist, son- bis 1995 floss die Aa hier schnurgerade Von Haus Kump bis Haus Loevelingloh dern auch durch eine außergewöhnliche durch intensiv genutzte Felder. Dann Architektur überrascht. Zwei deutlich profilierten im Auftrag der Stadt Müns- Zwar haben die ältesten Gebäude im vorkragende Geschosse verleihen dem ter Bagger eine Auenlandschaft aus Mühlenhof immerhin 400 Jahre „auf Gebäude eine Form, die an einen Pilz er- Flach- und Steilufern sowie tieferen und dem Buckel“, die Siedlungsgeschichte innert. Eine weitere Besonderheit ist die seichten Wasserzonen, durch die sich der im Aatal reicht aber viel weiter zurück. (rekonstruierte) Außentreppe aus Holz, Fluss mittlerweile seinen eigenen Weg Nach neuen Erkenntnissen haben hier die sich über drei Stockwerke erstreckt suchen darf. An solch einer Vielfalt fin- bereits vor rund 4000 Jahren Menschen und auf einer besonderen Hängestän- den auch zahlreiche Tiere und Pflanzen gelebt. Da wundert es nicht, dass sich derkonstruktion beruht. Gefallen. Röhrichte und Hochstauden- an diesem Ort mit Haus Kump eine fluren, quakende Frösche und über dem der ältesten Hofanlagen von Müns- Bevor der Wanderweg sich vorerst in Wasser jagende Libellen sorgen für eine ter befindet, deren Ursprünge sich bis dichter besiedelte Bereiche begibt, geht Artenvielfalt, die die Aa auf ihrem Lauf zum ausgehenden 9. Jahrhundert zu- es noch einmal über die Aa. Blickt der von der Quelle in den Baumbergen bis rückverfolgen lassen. Schmuckstück Wanderer von der Brücke aus in Rich- zur Mündung in die Ems bei Greven des einstigen Gräftenhofes (die Gräfte tung Aasee, bietet sich ihm das Bild einer kaum mehr zu bieten hat. Graureiher wurde um 1870 zugeschüttet) ist der abwechslungsreichen Flusslandschaft und Kormorane lassen sich hier ebenso

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versperrt im Sommer ein wenig den Blick auf das Gebäude. Die eigentliche Zuwe- gung zu dem Haus erfolgte aus südlicher Richtung vom Kappenberger Damm aus. Eine Allee aus stattlichen Eichen zeigt an, dass es sich um einen repräsenta- tiven Bau handelt.

Alte und neue Verkehrslinien

Für wenige Meter läuft der Wanderer über eine Straße, die eine der ältesten Fernverbindungen von Münster aus in Richtung Süden war. Über die alte Lü- dinghauser Straße zog vermutlich schon im Jahr 809 der Leichenzug des Heili- gen Liudger von Münster nach Werden. ­Sicher belegt als Fernstraße ist sie im 13. Jahrhundert als Teil eines Pilgerweges, der bis nach Rom führte. Sie wurde auf diesem Abschnitt erst 1696 als Weg be- festigt und erhielt im Volksmund die heutige Bezeichnung Kappenberger Die Bekassine, ein seltener Gast, im renaturierten Teil des Aasees. Damm, der sich allerdings nicht auf Schloss Cappenberg bezieht, sondern auf die damaligen Bauernhöfe Große und beobachten wie Bekassinen oder Wald- weitgehend erhaltenen, im Sommer aber Lütke Kappenberg in der Bauerschaft wasserläufer als seltene Durchzügler aus oft trocken fallenden Gräfte, an deren Loevelingloh. Bevor mit den Franzosen der Vogelwelt. Ufer sich stellenweise eine Pestwurzflur der moderne Chausseebau Westfalen er- entwickelt hat. Die im Sommer auffal- reichte, ließ allerdings selbst der Zustand Neubaugebiete in direkter Nachbar- lend großen Blätter der Pestwurz erin- der befestigten Wege arg zu wünschen schaft zu alten Bauernhöfen machen nern ein wenig an Rhabarber, mit dem übrig. Reisigbündel oder Holzbohlen deutlich, dass Münster nach wie vor die Pflanze aber nicht verwandt ist. Eine bildeten ein „Fundament“, auf das eine eine wachsende Stadt ist. Der Stadtteil mächtige Blutbuche, eine Varietät der Lehmschicht geworfen wurde, in der die Mecklenbeck geht zurück auf einige heimischen Buche mit rötlichen Blättern, Pferdekutschen bei nasser Witterung Höfe entlang des Meckelbaches. Hof Hesselmann als einer der ältesten Höfe der „Mecklenbecker Reihe“, die schon im Impressionen am Wegesrand. 13. Jahrhundert aus 13 Höfen bestand, dient heute als Bürgerzentrum für die Bewohner und ist sozialer Mittelpunkt des durch Verkehrswege und Gewerbe- gebiete stark zerschnittenen Stadtteils. Eine Schautafel erläutert die Geschichte des Hofes. Eine weitere Tafel befindet sich nur wenige Meter weiter an einem Graben, den der Wanderer sonst wohl achtlos überquert hätte, obwohl es sich um ein bedeutendes Bodendenkmal handelt. Schließlich trug der Graben sei- nen Teil dazu bei, dass Fürstbischof von Galen 1661 die Belagerung Münsters zu einem erfolgreichen Abschluss bringen konnte. Mehr dazu verrät der Erläute- rungstext der Tafel.

Nach der Überquerung der A1 kommen wir wieder in ruhigere Gefilde. Durch die ersten Ausläufer der Davert geht es nach Haus Loevelingloh mit einer noch zwar

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regelmäßig stecken blieben, was einen Zeitgenossen zu Beginn des 19. Jahr- hunderts zu der Bemerkung veranlasste: „Die Beschaffenheit der münsterschen Landstraßen war, wie mit Absicht, auf Tierquälerei berechnet.“

Einen typischen Ausschnitt der Parkland- schaft des Münsterlandes durchwandern wir auf dem folgenden Abschnitt. Die Landschaft ist durch Hecken, Ufergehölze und kleinere Waldstücke eng gekammert. Nach einem leicht zu übersehenden Ab- zweig führt der Weg durch eines jener kleinen Bauernwäldchen, die sich in Hof- nähe befinden und eine wichtige Funkti- on als Holzvorrat hatten. Meist wachsen dort Eichen als wertvolles Bauholz und Hainbuchen, deren Holz einen hohen Brennwert hat. Die Hainbuchen wurden niederwaldartig bewirtschaftet und alle 15-20 Jahre umgetrieben, was sich heute noch an den mehrstämmigen Stockaus- Detail am Wegesrand: Moos mit Sporenkapseln. schlägen erkennen lässt.

Bevor wir Amelsbüren erreichen, über- queren wir mit dem Dortmund-Ems- Kanal eine wichtige Verkehrsader und frei von Bahnübergängen ist, anderer- teleuropa haben und auch in der Da- zugleich eine der wohl größten und teu- seits den Nachteil, dass das Erdmaterial vert die vorherrschende Waldgesellschaft ersten Baustellen Westfalens. Der 226 ins Rutschen geraten kann und, wie zu- sind. Die typischen Elemente dieses Kilometer lange Kanal, 1899 nach nur letzt vor einigen Jahren geschehen, die Waldtyps lassen sich gleich zu Beginn siebenjähriger Bauzeit eröffnet, verbin- Strecke wegen Reparaturarbeiten nicht des Weges erkennen. Stieleichen, Hain- det das östliche Ruhrgebiet mit dem befahrbar ist. buchen und wenige Buchen bilden eine Seehafen Emden. Derzeit wird der Ka- dichte Baumschicht, die im Sommer nal von Datteln bis zum „Nassen Drei- Die Davert – ein Wald wenig Licht auf den Waldboden fallen eck“ bei Hörstel, der Verbindung zum mit Geschichte und Zukunft lässt. Dort wachsen nur relativ wenige Mittelland-Kanal, ausgebaut. Ziel ist es, Pflanzenarten wie Buschwindröschen, auf dem Kanal den Verkehr mit Groß- Amelsbüren ist auch das nördliche Tor Efeu, Sauerklee oder Salomonssiegel. motorgüterschiffen und Schubverbän- zur Davert. Dort, wo der Wanderer von Die Kreidemergelböden in der Davert den zu ermöglichen. Einige Abschnitte der Straße abzweigt und in den Schatten haben meist eine dünne Sandauflage sind bereits fertig gestellt, an anderen des Waldes eintritt, weist ihn ein Natur- und sind recht basenarm, so dass wir wird, wie wir später sehen werden, noch schutzgebiet-Schild auf die besondere eher eine artenarme Ausprägung dieses kräftig gebaut. Im Jahr 2010 soll der Bedeutung des Waldes hin, der allein Waldtyps vorfinden, in der sich auch die Kanal durchgängig ausgebaut sein. Die schon wegen seiner Größe von rund 2500 Große Sternmiere als Namen gebende Gesamtkosten werden auf 1,8 Milliarden Hektar aus dem Rahmen des im wald­ Art rar macht. Eine deutlich üppigere Euro veranschlagt. armen Münsterland üblichen fällt. Die Variante werden wir später noch im Ver- Ausweisung als Naturschutzgebiet liegt lauf des Wanderweges kennen lernen. Amelsbüren, seit 1975 ein Stadtteil Mün­ noch nicht lange zurück und erfolgte Längst nicht alle Bereiche in der Davert sters, wurde 1137 erstmals urkundlich im Zusammenhang mit der Meldung der sind mit naturnahen Wäldern bestockt. erwähnt. Noch um 1760 zählte der Ort Davert als FFH-Gebiet. Die Flora-Fauna- Ein monotoner Fichtenforst bildet kurze ­lediglich 22 Wohngebäude. Obwohl hier Habitat-Richtlinie verpflichtet die Mit- Zeit später einen auffallenden Kontrast mittlerweile rund 5000 Menschen woh- gliedsländer der EU, Lebensräume von zum reich strukturierten Laubwald. nen, hat sich Amelsbüren noch etwas „gemeinschaftlicher Bedeutung“ für das von seinem dörflichen Charakter be- europäische Schutzgebietsnetz NATU- Die Davert ist kein geschlossenes Wald- wahren können. Zum Aufschwung hat RA 2000 zu melden und entsprechende gebiet, sondern immer wieder mit der nicht zuletzt der Bau der Eisenbahnlinie Schutzgebietsverordnungen zu erlassen. münsterländischen Parklandschaft aus Münster-Lünen beigetragen, die 1928 Dazu gehören auch die Sternmieren- Hecken, Wiesen und Feldern verzahnt. eröffnet wurde und eingleisig auf einem ­Eichen-Hainbuchenwälder, die auf den Alte Karten zeigen sogar, dass noch vor erhöhten Damm geführt wird. Dies hat staunassen Böden des Kermünsterlandes 200 Jahren die Waldfläche deutlich klei- einerseits den Vorteil, dass die Strecke einen Verbreitungsschwerpunkt in Mit- ner war als heute und stattdessen Heide-

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und sogar Moorflächen verbreitet waren. Damals war es in der Davert wesentlich feuchter und unwirtlicher als heute. Der Geometer, der im 19. Jahrhundert die Aufteilung der Davert unter den Interes- senten vorbereitete, stellte fest, dass der größte Teil des Gebietes „größtenteils immer unter Wasser stünde“. Nachdem im Jahre 1841 die Teilung der Davert rechtskräftig geworden war, leitete die systematische Erschließung durch Wege und Entwässerungsgräben eine inten- sivere Nutzung ein, bei der es auch zu größeren Aufforstungen damaliger Hei- deflächen kam, die bis heute fast völlig verschwunden sind. Die Grundeigentü- mer hatten sich nach der Teilung zur Davert-Genossenschaft zusammenge- schlossen, die vor allem den Ausbau und die Pflege der Wege und Gräben regelte und sich erst 1969 auflöste.

Der Wanderer spürt die planmäßige An- lage der Wege deutlich. Meist sind sie In der Davert. relativ breit und haben einen geraden Verlauf. Schwere land- und forstwirt- schaftliche Nutzfahrzeuge haben an ei- nigen Stellen tiefe Spuren hinterlassen, zu einem verstärkten Eichensterben ge- onal anerkanntes Qualitätssiegel für eine die oft bis weit in den Sommer hinein mit kommen, für das neben Schädlingsbefall umweltverträgliche, sozial und ökono- Wasser gefüllt sind. Was für den Wan- auch klimatische und Umwelteinflüsse misch nachhaltige Forstwirtschaft. derer manchmal beschwerlich ist, freut eine Rolle spielen. Davon profitiert mit Beim Gasthaus „Wittlerbaum“ kreuzen Tierarten wie den Bergmolch, der sol- dem Mittelspecht ein Charaktervogel wir die Straße von Amelsbüren nach Da- che temporären Gewässer gelegentlich älterer Eichenwälder, der in der Da- vensberg, die älteste Verbindung durch zur Laichablage nutzt. Generell unter- vert eine der größten Populationen in die Davert, die aber auch erst in der Hälf- scheidet sich die Vegetation entlang der NRW hat. Andere Höhlenbrüter sind der te des 19. Jahrhunderts befestigt wurde. Waldwege deutlich von der im Inneren Trauerschnäpper und die Hohltaube. Die Eingänge zur Davert waren früher des Waldes. Bodenverdichtung und hö- Als Nachmieter nutzen Fledermäuse die mit Schlagbäumen versehen. Ein solcher herer Lichteinfall begünstigen zumeist Spechthöhlen. Acht Arten sind bislang in befand sich auch am „Wittlerbaum“. Hier nährstoffliebende Arten. Dazu gehö- der Davert nachgewiesen worden. Damit übernachtete am 19. März 1644 Fabio ren auch zwei Springkräuter mit unter- sind sie die zahlenmäßig am stärksten Chigi, der als päpstlicher Gesandter an schiedlicher Herkunft, die nicht selten in vertretene Säugetiergruppe. Wer genau den Verhandlungen zum Westfälischen direkter Nachbarschaft wachsen: das aus hinschaut, kann auch von anderen Säu- Frieden in Münster teilnahm und dessen Nordamerika stammende Kleinblütige gern Spuren entdecken, beispielsweise Bericht einen Einblick in die damalige Springkraut, ein „Nordamerikaner“, der die Baue von Fuchs und Dachs oder die westfälische Küche gab: „In einer rau- sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts in von Wildschweinen aufgewühlte Erde. chigen Hütte am Wege hielten wir Ein- unseren Wäldern stark ausgebreitet hat, Auch Wald bewohnende Tagfalter fin- kehr. Neben dem Ochsen saßen wir dort, und das einheimische Große Springkraut, den in der Davert gute Lebensbedin- und das Mahl war abscheulich: Denn es dessen deutlich größere gelbe Blüten mit gungen, da sie entlang der Waldwege gab nur schimmeliges Schwarzbrot, in dem langen Sporn und den zarten roten und –ränder sowie auf Lichtungen ein Scheiben geschnitten. Pompernikel heißt Punkten fast in der Luft zu schweben gutes Angebot an Nektarquellen fin- dieses Brot beim Volk in Westfalen. Eine scheinen. Besser bekannt als die Blü- den. Die zukünftige forstliche Nutzung fast menschenunwürdige Kost selbst für ten sind aber die reifen Früchte, die bei muss die Lebensraumansprüche der ver- Bauern und Bettler.“ Hungrige Wande- Berührung den Samen explosionsartig schiedenen Arten berücksichtigen, da rer sollten sich davon nicht abschrecken ausschleudern – daher der Name „Kräut- mit der Ausweisung als FFH-Gebiet ein lassen, die Speisen im Wittlerbaum sind chen-rühr-mich-nicht-an“. Verschlechterungsverbot für den ökolo- heute von besserer Qualität und müs- gischen Zustand der Davert verbunden sen auch nicht in direkter Nachbarschaft Von besonderer Bedeutung in der Da- ist. Die Teile des Waldes, die sich im eines Ochsen eingenommen werden… vert sind die alten Eichenbestände mit öffentlichen Besitz befinden, sind nach einem hohen Totholzanteil. In den letz- den Richtlinien des Forest Stewardship Die kleinräumig wechselnden Böden in ten Jahren ist es nicht nur in der Davert Council (FSC) zertifiziert, ein internati- der Davert äußern sich auch in der Be-

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Der Kaisermantel fliegt in der Davert an blütenreichen Wegsäumen. schaffenheit der Wege. Einen der mitt- eine wichtige Nahrungsquelle für Wald schied zu den meisten heimischen Farnen lerweile seltenen Sandwege hat der Wan- bewohnende Tagfalter sind. So lässt sich entwickeln sich die Sporen bei ihm nicht derer dort unter den Füßen. Leider ist hier der seltene Kaisermantel regelmäßig an den Unterseiten der Wedel, sondern der Weg an vielen Stellen mit Bauschutt beobachten. Wir verlassen den Weg nach in gesonderten bräunlichen Rispen. befestigt worden, was in einem Natur- einem Kilometer und schlagen uns ins schutzgebiet eigentlich nicht das Mittel „Unterholz“. Der schmale Trampelpfad Rittersitze und eine der Wahl sein sollte. Offene Sandböden führt vorbei an einem feuchten Bruch- wachsende Gemeinde sind für viele Wildbienen wichtig, die wald mit Moorbirke und Pfeifengras. hier ihre Bruthöhlen graben können. Hier wachsen sogar Sphagnen oder Torf- Davensberg trägt die Davert nicht nur im moose, von denen einige Arten für das Namen, es hat die Geschicke des Wald- Sandig ist es auch an dem letzten Heide­ Moorwachstum verantwortlich sind. gebietes immer entscheidend mitbe- rest in der Davert. Die kleine Fläche wird stimmt. Keimzelle des Dorfes war die im als Holzlagerplatz genutzt. Hier wach- Wichtigster Wasserlauf in der Davert 13. Jahrhundert durch den Ritter Her- sen Besenheide, Blutwurz und Tausend- ist der Emmerbach, den wir über ei- mann von Meinhövel gegründete Burg- güldenkraut. Waldeidechse und Blind- nen kurzen Abstecher erreichen. Er ist anlage, deren spätere Besitzer lange Zeit schleiche nutzen die Fläche gerne für zwar begradigt und entspricht mit sei- das Forst- und Jagdrecht in der Davert ein Sonnenbad. Kleine Birkenkeimlinge nen gehölzfreien Ufern und einem stark hielten. Sie betrieben in der Davert sogar leiten die Entwicklung zum Wald ein, verkrauteten Bett nicht unbedingt dem bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein die nur durch Pflegemaßnahmen unter- Ideal eines naturnahen Baches, beher- Gestüt mit wild lebenden Pferden, die im bunden werden kann, was bei der gerin- bergt aber dennoch eine Reihe interes- Volksmund den Namen „Davertnickels“ gen Flächengröße noch in Handarbeit santer Pflanzen- und Tierarten. Zu nen- hatten. möglich ist. nen ist hier besonders die Helm-Azur- Um die Burg herum entstand später eine jungfer, eine in ganz Europa seltene kleine Handwerkersiedlung. Heute ist nur Nur wenige Meter weiter biegen wir auf ­Libellenart, die am Emmerbach eines der noch der um 1530 erbaute Burgturm er- ­einen der typischen breiten Waldwege wenigen Vorkommen in Westfalen hat. halten, der eine wechselvolle Geschich- in der Davert. Er wird von einem breiten te aufzuweisen hat. Vor allem während Saum aus Wasserdost, Goldrute und an- Als auffallende Erscheinung direkt am der Zeit der Hexenverfolgungen diente deren Hochstauden begleitet, die als er- Wegesrand wächst ein Königsfarn, eine er als Gefängnis und Folterkammer. Mit giebige Nektarpflanzen im Hochsommer landesweit gefährdete Art. Im Unter- welchen Mitteln damals versucht wur-

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Das restaurierte Torhaus von Haus Romberg. de, den Delinquenten Geständnisse ab- Ascheberg ging aus einer Bauernsiedlung Daran schließen sich weitere jüngere zupressen, zeigt ein im Mittelalter weit sächsischen Ursprungs hervor, die Mitte Baugebiete an, die mittlerweile „Greives verbreitetes Folterwerkzeug, der so ge- des 9. Jahrhunderts im Umfeld einer Kapelle“ mit seinen drei mächtigen Stiel­ nannte „Stock“, eine Art Streckbett aus ludgerianischen Kirche entstand. Die eichen erreicht haben, die auf älteren schwerem Eichenholz. Heute geht es im erste urkundliche Erwähnung des Ortes Karten noch fernab der Bebauung lag. Burgturm friedlicher zu, der Heimatver- stammt aus dem Jahre 890. Mittelpunkt Der früher bei Dörfern typische „sanfte“ ein Davensberg hat hier ein Heimatmu- und weithin sichtbares Wahrzeichen ist Übergang in die Naturlandschaft mit seum eingerichtet. die St. Lambertus-Kirche mit ihrem 81 m hofnahen Weiden, Gärten und Obst- hohen neugotischen Turm. Es handelt wiesen ist heute meist nicht mehr ge- Etwa einen Kilometer südlich der Burg sich hierbei um eine gotische Hallenkir- geben. Eine neue Umfahrungsstraße Davensberg liegt Haus Byink. Als älteste che, deren Chorraum 1740 durch Johann bildet hier den vorläufigen Abschluss Besitzer sind die Herren von Ascheberg Conrad Schlaun gestaltet wurde. der Siedlungsausweitung und sorgt für im 15. Jahrhundert bekannt. Das ur- Wie alle Gemeinden im „Speckgürtel“ eine scharfe Grenze. Entgegen der allge- sprüngliche Herrenhaus ist zwar nicht von Münster hat Ascheberg einen deut- meinen demographischen Entwicklung mehr erhalten, aber das westfälische lichen Aufschwung erlebt, nicht zuletzt wird für Ascheberg bis zum Jahr 2020 Bauernhaus im Renaissance-Stil und vor auch wegen seiner guten Verkehrsan- ein weiteres Bevölkerungswachstum auf allem das massive, zweistöckige Torhaus bindung an das Oberzentrum. Innerhalb rund 16300 Einwohner prognostiziert, aus Ziegelsteinmosaik sind sehenswert. von 30 Jahren ist die Bevölkerung um das vor allem auf Zuwanderung beruht. Das Wappen über der Toreinfahrt trägt mehr als ein Drittel angewachsen. Heute die Erbauungsjahreszahl 1561. Allerdings leben in Ascheberg und den Ortsteilen Hinter Ascheberg geht es bergan. Der ist das Haus in Privatbesitz und kann nur Davensberg und Herbern über 15000 Entruper Berg ist mit 86 m die bislang von Ferne bewundert werden. Menschen. Wir verlassen den Ort in süd- höchste Erhebung. Die Ascheberger licher Richtung und können dabei gut Platte ist nicht ganz so eben, wie es der Die Reihe der Herrensitze in Davensberg die Siedlungsentwicklung verfolgen. Name verspricht, sondern durch in Ost- schließt Haus Romberg ab. Den wehr- Ausgehend vom Ortskern mit einigen West-Richtung verlaufende Bäche wie haften Charakter der ehemaligen Ritter- Ackerbürgerhäusern erreichen wir kurz Teufelsbach, Capeller Bach oder Gor- burg, die heute in Privatbesitz ist, unter- darauf die Siedlung „Pastoratsweide“, bach zertalt. Der Wirtschaftsweg hinter streichen die Schießscharten an dem im die, wie ein Schild verrät, 1955 in der da- der Bahnunterführung trägt den Namen Jahr 2004 renovierten Torhaus. mals üblichen Ziegelbauweise entstand. „Galghege“, was darauf hindeutet, dass

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Frühjahrsaspekt mit Buschwindröschen im Eichen-Hainbuchenwald bei Ichterloh. sich in diesem Bereich der Galgen von Arenberg. Er erhielt 1803 für den Ver- Weg führt am Waldrand entlang, der Ascheberg befunden hat. Solche Hin- lust seines linksrheinischen Herzogtums mit einem üppigen Waldreben-Schleier richtungsstätten lagen immer außerhalb an Napoleon das vormals fürstbischöf- überwuchert ist. Hier fliegt im Sommer der Dörfer. Für Ascheberg ist der Galgen lich-münsterische Amt Meppen. Durch der Kleine Eisvogel, ein Tagfalter, der aber an anderer Stelle belegt, so dass Aufkauf und Aufforstung von Heideflä- ­seinem gefiederten Namensvetter an Far- der Name hier einen anderen Ursprung chen entwickelte er sich zum größten benpracht nur wenig nachsteht. Im Mai haben muss. Waldbesitzer im Emsland. Die Arenberg lässt sich auch der Gesang der Nachtigall Nordkirchen GmbH wurde 1932 gegrün- vernehmen – nicht nur nachts, sondern Knorrige Bäume und det und umfasst den seit 1903 erwor- durchaus auch am hellichten Tag. ein Wald voller Blüten benen Grundbesitz in Nordkirchen und den Nachbargemeinden, überwiegend Ein schöner Fernblick ergibt sich kurz Die relativ waldreiche Gegend um Nord- landwirtschaftliche Grundstücke in en- danach von einer Anhöhe. Direkt vor uns kirchen ist Teil der Waldlandschaft „Ih- ger Verzahnung mit Waldgebieten. Nach liegt Capelle, etwas weiter südwestlich tari“, die einst der hl. Liudger, der erste der Ausweisung als Naturschutzgebiet Südkirchen. Im Hintergrund ragen be- Bischof von Münster, von Karl dem Groß- veräußerte die Gesellschaft im Jahr 2004 reits Schornsteine und Kühltürme des en geschenkt bekam und seinem Kloster die ca. 1.000 ha Waldbesitz im Münster- nördlichen Ruhrgebiets auf. Capelle ist Werden an der Ruhr anvertraute. Einer land an das Land Nordrhein-Westfalen. zwar der kleinste der drei Nordkirchener der Haupthöfe in diesem Gebiet war Der Wald um Haus Ichterloh stockt auf Ortsteile, ihm „verdanken“ Nordkirchen der Hof Ichterloh, der den Herren von nährstoffreichem, teilweise kalkhaltigem und Südkirchen aber den ersten urkund- Ascheberg gehörte, die uns bereits als Boden. Artenreiche Waldmeister-Bu- lichen Beleg als selbständige Pfarreien. Besitzer von Haus Byink begegnet sind. chenwälder und Eichen-Hainbuchen- Als nämlich Bischof Siegfried, in der Zeit Das Haus Ichterloh (Loh = Wald) verfiel wälder dominieren, aber auch Auffors- von 1022 bis 1032 Bischof von Münster, im 19. Jahrhundert, wurde 1875 abge- tungen mit Hybrid-Pappeln oder Edel- in einer Urkunde die Neugründung der rissen und durch ein Forsthaus ersetzt. laubhölzern wie Esche und Bergahorn Pfarrei Capelle verfügte, sollten auch Der Wald ist es auch, der die Landschaft sind nicht selten. Im Gegensatz zur Da- Nordkirchen und Südkirchen einige um Haus Ichterloh sehr reizvoll macht. vert ist die Krautschicht meist sehr arten- Höfe an die neue Pfarrei abtreten. Aus Auch er ist Naturschutzgebiet und als reich. Geophyten wie Buschwindröschen, welchen Gründen auch immer, Capel- FFH-Gebiet gemeldet. In vielen Karten Sternmiere oder Scharbockskraut sorgen le schaffte es schließlich doch nicht bis sind die Wälder um Nordkirchen als für einen bunten Frühjahrsaspekt. Be- zur kirchlichen Selbstständigkeit, was „Arenbergischer Forst“ verzeichnet. Der kannt ist der Wald auch für seine Bär- die Einwohner des Dorfes bis heute ein Name geht zurück auf den Herzog von lauch- und Orchideenvorkommen. Der wenig wurmt… Eine Kirche gibt es aber

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dennoch in Capelle. St. Dionysos wurde Ende des 17. Jahrhunderts erbaut und bildet mit seinem alten Baumbestand den Mittelpunkt des kleinen Ortskerns.

Südlich von Capelle erwartet den Wan- derer ein typisches Beispiel für eine flur- bereinigte Landschaft. Von Mitte der 1970er Jahre an fanden auf über 4000 ha Fläche die Ausbaumaßnahmen für die Flurbereinigung Nordkirchen statt mit dem Ziel, den zersplitterten Grund- besitz neu zu ordnen und das Wege- und Gewässernetz auszubauen. Für die Landschaft bedeutete dies oft den im- mensen Verlust gewachsener Struktu- ren wie Hecken und Feldgehölze. Viele Gewässer wurden begradigt, um die im Münsterland oft feuchten Böden bes- ser zu entwässern und Wiesen in Äcker umzuwandeln. Auch der Gorbach ist so Hainbuche mit „Gebückstämmen“. ein begradigter Bach. Seine Ufer wurden nach dem Ausbau mit Erlen bepflanzt, die das Bachbett beschatten und so eine Verkrautung verhindern sollen. bei den Bauern nicht unbedingt beliebt genaue Beschreibung stammt aus dem machte. Wegen ihrer starken Verzwei- Jahr 1816. Damals dominierten Buchen Durch die Entwässerungsmaßnahmen gung und ihrer attraktiven Früchte sind und Hainbuchen, die im Niederwald- sind die im Münsterland früher ver- sie wichtige Nist- und Nährgehölze für betrieb mit 25- bis 30-jährigem Um- breiteten Feuchtwiesen stark dezimiert die Vogelwelt, auf die bei Anlage neuer trieb bewirtschaftet wurden. Buche und worden. Wiesenvögel wie Bekassine Hecken nicht verzichtet werden sollte. Hainbuche spielten bis zum Beginn der oder Großer Brachvogel verschwanden Industrialisierung eine wichtige Rolle aus vielen Teilen des Münsterlandes. Als Auf eine besondere Heckenform trifft für die Brennholzversorgung der Bevöl- letzte Art hat sich der Kiebitz noch lan- der Wanderer, wenn er den X14 verlässt kerung. Das änderte sich Mitte des 19. ge halten können. Seine auffallenden und einen kurzen Abstecher macht. Ent- Jahrhunderts. Die von 1850 bis 1911 „kiwitt“-Rufe und die rasanten Flugma- lang eines am Waldrand verlaufenden angelegten Bestände sind vorzugsweise növer können wir auch im Bereich des Weges bilden knorrige Hainbuchen die Eichenreinbestände oder Eichenbestän- Gorbachs im Frühjahr noch hören und Grenze zu dem angrenzenden Grünland de, die nur geringe Mischungsanteile beobachten. Obwohl die Art auch auf in der Funneaue. Bei einigen Bäumen ist anderer Baumarten aufweisen. Die Koh- Äckern brütet, sind ihre Bestände in den deutlich zu erkennen, dass die Stämme le verdrängte als fossiler Brennstoff das letzten Jahren fast überall deutlich zu- fast waagerecht wachsen. Solche „Ge- Brennholz, und die Buche war plötzlich rückgegangen. bückstämme“ entstanden dadurch, dass kaum noch gefragt. Zudem benötigte der die Bäume im jungen Zustand seitlich Bergbau die Eiche dringend als Gruben- Als Ersatz für gerodete Hecken wurden heruntergebogen und teilweise sogar holz. Doch auch diese Entwicklung war in den Flurbereinigungsgebieten um- verflochten wurden, um einen dichten nicht von Dauer. Ab dem Jahr 1911 mit fangreiche Neuanpflanzungen vorge- Zaun zu bilden, der dem in der Aue wei- einem extrem trockenen Sommer setzte nommen, die meist parallel zu den aus- denden Vieh den Zutritt zum Wald ver- ein durch unterschiedliche Faktoren be- gebauten Wirtschaftswegen verlaufen. wehren sollte. günstigtes Eichensterben ein, das zur Sie unterscheiden sich von alten Hecken Folge hatte, dass fast 70 Jahre lang meist durch ihre geringere Breite und Auch der Wald hat seine Moden – kaum noch Eichen angepflanzt wurden. die Artenzusammensetzung. Fast immer Forstwirtschaft im Cappenberger Wald Zwar ist die Eiche noch heute die Cha- fehlen die „Dörner“ wie Schlehe und rakterbaumart des Münsterlandes, wer Weißdorn. In den alten Hecken, die ja Der Cappenberger Wald ist das dritte aber aufmerksam durch den Wald geht, ursprünglich als Zaunersatz angepflanzt und letzte große Waldgebiet auf unserer dem fällt auf, dass mittelalte und ältere wurden, sorgten sie mit ihrem dichten Wanderung über den X14 und bietet Bestände vorherrschen, die vor Beginn Wuchs und den kräftigen Dornen da- ein ähnliches Bild wie die Wälder um des Eichensterbens begründet wurden. für, dass das Vieh kaum einen Durchlass Haus Ichterloh. Vorherrschend sind auch Anschließend klafft eine große Lücke, in fand. Allerdings waren sie bei der früher hier Eichen-Hainbuchen- und Buchen- der die Eiche fast vollständig fehlt. in mühevoller Handarbeit durchgeführ- waldbestände. Die forstwirtschaftliche ten Heckenpflege für manch schmerz- Nutzung des Cappenberger Waldes ist Mit Einsetzen des Eichensterbens erlebte haften Kratzer verantwortlich, was sie besonders gut dokumentiert. Die erste die Buche ihr Comeback. Anlässlich einer

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beim Gerlingbach. Eschen bilden einen schmalen Auenwald, in dem im Frühjahr das kleine Milzkraut wächst.

Jetzt ist es nicht mehr weit bis Schloss Cappenberg, dem wohl bedeutendsten Bauwerk auf unserer Wanderung. Vor- läufer der im 17. und 18. Jahrhundert erbauten barocken Klosteranlage war ­eine der ältesten Adelsburgen Westfa- lens, die vermutlich während des 30- jährigen Krieges zerstört wurde. 1122 gründete hier Gottfried III., der letzte Graf von Cappenberg, das erste Prä- monstratenserstift im deutschsprachigen Raum, indem er die Burg dem Ordens- gründer, Norbert von Xanten, schenkte. Die Stiftskirche von Schloss Cappenberg, Einzelstammnutzung bei der Buche. heute Austragungsort bedeutender Kon- zerte, gelbe Torhäuser, Scheune und Re- Bereisung des Cappenberger Waldes im nutzung vor. Hiebreife Bäume werden mise komplettieren die Schlossanlage, Jahr 1919 schreibt Oberforstmeister gefällt, und der frei werdende Platz zu der auch der 1922 erbaute, 31 Me- Kordvahr: „Die Buchenbestände sind wird durch Naturverjüngung wieder ter hohe Wasserturm aus Backstein ge- die vollkommensten des ganzen Waldes, eingenommen, die sich im Schutz der hört, der einen prächtigen Blick über die vorzüglich bestockt und in ausgezeich- benachbarten Bäume entwickeln kann. Lippeniederung ermöglicht. Nach der neter Verfassung, ihre Verjüngung ist Aufgrund seines hohen Alt- und Tot- Säkularisation erwarb 1816 der ehema- aber (...) ungenügend fortgeschritten holzanteils hat der Cappenberger Wald lige preußische Staatsminister Karl Frei- und muss (...) gefördert werden.“ Die große Bedeutung für Höhlenbrüter. herr vom und zum Stein (1757-1831) oft staufeuchten Böden im Kernmüns- ­Allein fünf Spechtarten leben hier, wobei das Schloss als Altersruhesitz. Heute terland sagen der Buche allerdings nicht das Vorkommen des Grauspechts beson- ist dem Sozialreformer und Begründer unbedingt zu. Nicht zu Unrecht heißt es: ders bemerkenswert ist. der kommunalen Selbstverwaltung dort „Buchen mögen einen nassen Kopf, aber eine Dauerausstellung gewidmet. Wei- keine nassen Füße.“ Ohne den Einfluss Bemerkenswert sind auch die Bachläufe, tere freie Räume in dem Schloss, das im des Menschen wäre die Buche in Mittel- die den Wald durchziehen und stellen- Privatbesitz des Grafen Kanitz ist, nutzt europa zwar die beherrschende Baumart, weise schöne Kerbtäler ausgebildet ha- der Landschaftsverband Westfalen-Lip- im Münsterland wäre sie aber vielerorts ben. Wir überqueren zum zweiten Mal pe gemeinsam mit dem Kreis Unna als der Stieleiche unterlegen. die hier noch junge Funne, in deren Ausstellungsstätte. Wasser sich die Larven des auffallend Heute herrscht im Cappenberger Wald, gefärbten Feuersalamanders entwickeln. Freiherr vom Stein hatte ein Faible für der in Privatbesitz ist, Einzelstamm- Etwas stärker angedeutet ist das Kerbtal exotische Baumarten, die er im Schloss- hof und auch im terrassenartig ange- legten Schlosspark anpflanzen ließ. Die Schloss Cappenberg. Umgestaltung der Gartenanlagen geht auf seine Pläne zurück. Der Tierpark am Fuß des Schlosshügels mit seinen weiträumigen Gehegen für Rot- und Damhirsche sowie Mufflons kann von April bis Oktober an Wochenenden und Feiertagen besichtigt werden. Hier be- finden sich auch die Teiche, aus denen sich die Mönche mit Fisch versorgten.

Cappenberg ist nicht nur ein Schloss, sondern auch ein Ortsteil von Selm. ­Allerdings erhielt die ursprüngliche Bau- erschaft Uebbenhagen erst 1952 ihren heutigen Namen. Im 19. Jhd. gab es im Ort eine Brauerei, wie auch der Stra- ßennamen „Am Brauereiknapp“ verdeut­ licht. Die Reifung des Bieres erfolgte im

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Sommer in Eiskellern, die in den Berg und hat Kohlevorräte von rund 100 Mio Übernutzung entwickelten sie sich oft getrieben wurden. Ein Teil der ehema- Tonnen. Bevor es tatsächlich zur Förde- zur Heide. Im 19. Jahrhundert wurden ligen Brauerei wird heute von der Wald- rung kommt, werden aber noch mehrere die Marken aufgeteilt und in Privatbesitz schule Cappenberg genutzt, die als eine Jahre vergehen, da die Auswirkungen überführt. der ersten Einrichtungen ihrer Art vor auf Menschen, Tiere und Pflanzen, Bo- allem Kinder und Jugendliche zu um- den, Wasser, Luft, Klima und Landschaft Die Geschichte des Lünener Bergbaus weltgerechtem Verhalten anleiten will. sowie auf Kultur- und Sachgüter im endete 1992 mit der Schließung der Rahmen einer Umweltverträglichkeits- Zeche Minister Achenbach, die im Jahr Ein schöner Blick auf die dreiflügelige studie geprüft werden müssen. 1897 Kohle erstmals gefördert hatte. Schlossanlage erschließt sich dem Wan- Schacht 5 nahm 1954 den Betrieb auf derer. Weniger auffällig ist der nur we- Der Cappenberger See ist allerdings nicht, und diente der Seilfahrt und dem Ma- nige hundert Meter entfernte Schacht 6 wie viele Gewässer in den Kohleabbau- terialtransport. Anfang der 1960er Jahre der Zeche Haus Aden. Zwischen Bergbau gebieten des Ruhrgebiets, durch Berg- hatte die Zeche über 6000 Mitarbeiter. und dem Schlossherrn hatte es Anfang senkungen entstanden. Vielmehr wurde Die höchste Fördermenge wurde 1982 der 1990er Jahre einen erbitterten Streit hier das Material ausgebaggert und zu mit über 2,7 Mio Tonnen erreicht. Fast um die Abbaugenehmigung unter dem dem Damm aufgeschüttet, auf dem die alle Schächte sind heute verfüllt. Auf Schloss gegeben, der bis vor das Bundes- 1928 eröffnete Eisenbahnlinie Lünen- dem Gelände von Schacht 5 entsteht verfassungsgericht ging. Man befürchte- Münster verläuft. Bereits 1930 entstand heute ein Baugebiet. te damals massive Schäden an Gebäuden am See ein erster privater Badebetrieb, und Park durch Bergsenkungen. Unter später dann ein Freibad und eine Sport- Der Boden wird jetzt deutlich sandiger. bestimmten Vorkehrungen wurde der und Freizeitanlage. Nicht weit vom Ufer Auch deshalb wird hier erstmals ein Ge- Abbau genehmigt. Die befürchteten entfernt befindet sich auch die Jugend- müse angebaut, das wir entlang des Schäden traten nicht ein. Mittlerweile herberge von Lünen, in der müde Wan- Weges bislang nicht entdecken konnten sind das Bergwerk Haus Aden als Förder- derer nächtigen können. – der Spargel. Er benötigt wasserdurch- standort und seine Schächte nicht mehr lässige, leicht erwärmbare Böden, wie in Betrieb. Haus Aden ging 1998 zu- Durch die Nordlüner Mark geht es wei- wir sie im Kernmünsterland nur selten sammen mit der Zeche Heinrich Robert ter in westlicher Richtung. Marken wa- finden. Die Anbaufläche ist in den letz- in Hamm in dem Verbund Bergwerk-Ost ren der ehemals genossenschaftliche ten Jahren stark ausgeweitet worden, so auf, das heute das einzige noch aktive Besitz der ansässigen Bauern. Marken, dass das edle Gemüse heute preiswerter Bergwerk im östlichen Ruhrgebiet ist. ursprünglich Waldland, entstanden dort, zu haben ist als in früheren Jahren. Den Förderstandort ist Hamm. Angesichts wo eine Landwirtschaft wegen der Bo- Sand hatte ausgangs der letzten Eiszeit steigender Energiepreise plant die Deut- denbeschaffenheit wenig lohnenswert die Lippe hierhin transportiert. Sie ent- sche Steinkohle AG mit dem Bergwerk erschien. Dennoch waren sie als Bau- springt bekanntlich in der Senne, der Donar derzeit die erste neue Zeche seit und Brennholzreservoir, zur Schweine- „Sendae Desertum“, („Sennewüste"), Jahrzehnten. Das Abbaugebiet wird sich mast und als Düngelieferant von existen- wo die Sandschichten eine Mächtigkeit bis in den Raum Ascheberg erstrecken tieller Bedeutung für die Bauern. Durch von bis zu 70 Meter erreichen. Beson-

Kühltürme und Schornsteine kündigen das nahe Ruhrgebiet an.

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ders spürbar ist der sandige Untergrund sandungen wurden bedeutende archä- sind der Lippe viele Aufgaben aufgebür- auf der Wegstrecke parallel zur Eisen- ologische Funde gemacht, die belegen, det worden. Sie trieb Mühlen an, trans- bahnlinie Dortmund-Enschede. Auch die dass im Raum Alstedde bereits in der portierte Waren, speist das westdeutsche Vegetation hat sich geändert. Typische Jungsteinzeit Menschen sesshaft wa- Kanalnetz mit Wasser, nimmt Gruben- Sandbewohner wie Straußgras, Ha- ren. Hier fanden sie günstige Voraus- und Abwasser auf, dient der Sand- und bichtskraut oder der Kleine Sauerampfer setzungen: das Wasser der nahen Lippe, Kiesgewinnung, leitet die Wärme aus wachsen am Wegesrand. Eine weitere Wälder und einen leichten Boden, den Kraftwerken ab und ist ein Eldorado typische Pflanze der Sandböden verhalf sie mit ihren primitiven Arbeitsgeräten für Hobbyangler und Freizeitsportler. einem Lünener Stadtteil sogar zu seinem bearbeiten konnten. Eine der archäolo- Bei soviel Ansprüchen hat es die Natur Namen. Brambauer, auf der von uns aus gischen Fundstellen befand sich in die- im und am Fluss oft schwer, zumal der gesehen gegenüberliegenden Seite der sem Raum, wo Arbeiter 1908 auf ein Mensch die Lippe begradigt und ihr ein Lippe gelegen, leitet sich ab von „bram“, Gräberfeld mit rund 500 Urnen stießen. Korsett aufgezwängt hat, dem sie sich der im niederdeutschen Sprachraum frü- Heute weist allerdings nichts mehr auf nur durch ein Ausweichen in die Tiefe her üblichen Bezeichnung für Ginster. die frühzeitliche Begräbnisstätte hin. zu entziehen versuchte. Bis zu drei Meter hat die Lippe ihr Bett vertieft und damit Auch hier, im Bereich der ehemaligen Die Lippe – Grenzfluss zwischen auch den Grundwasserspiegel in der Aue Bauerschaft Alstedde, hat es früher bis Münsterland und Ruhrgebiet deutlich gesenkt. Wo früher nur Grün- zu 4 Meter mächtige Sandschichten landnutzung möglich war, wird heute gegeben, die teilweise zu kleinen Dü- Sie ist 230 Kilometer lang, hat ein Ein- intensiver Ackerbau betrieben. Mit dem nen aufgeweht waren. Zu Beginn des zugsgebiet von rund 5000 qkm und ein 1990 initiierten Lippeauenprogramm soll 20. Jahrhunderts wurden in der da- durchschnittliches Gefälle von 0,5 %. die Lippe sich langfristig wieder freier maligen Heide- und Dünenlandschaft Die Lippe ist ein typischer Flachlandfluss entfalten können. Im Abschnitt, an dem großflächig Entsandungen und Eineb- und bildet die Grenze zwischen Müns- unser Weg entlang führt, ist geplant, die nungen vorgenommen, um die Flächen terland und Ruhrgebiet. Der X14 führt Steinschüttung im Uferbereich, die bei landwirtschaftlich nutzbar zu machen. auf einem schmalen Trampelpfad von niedrigem Wasserstand gut sichtbar ist, Der Sand wurde damals an Eisenwerke der Kläranlage Selm-Bork bis zum Haus zu entfernen und den Fluss zu „entfes- und Gießereien im Ruhrgebiet und im Dahl dicht am Flussufer entlang. Sowohl seln“, wie es an anderen Stellen bereits Siegerland verkauft. Im Zuge der Ent- in der Vergangenheit als auch aktuell geschehen ist. Schon nach kurzer Zeit

Eher träge fließt die Lippe bei Haus Dahl. Am Ufer lauern gelegentlich Graureiher auf Beute.

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ecke. Später wurden zahlreiche Erweite- rungen vorgenommen. Vom 17. bis ins 19. Jahrhundert betrieb Haus Dahl auch eine Kornwassermühle. An ihrer Stelle entstand später eine Papierfabrik, die nicht mehr Betrieb ist.

Zum Haus Dahl gehört mit dem Dah- ler Holz ein großer Waldbestand. Auf der Terrassenkante stockt ein Bestand mit alten Buchen. Später wechselt das Waldbild häufig. Mal sind es Eschen- Stangenhölzer, mal eine junge Fich- ten-Dickung, dann wieder Eichen- und Buchenbestände. Es dominiert der Al- tersklassenwald, bei dem die Bäume zu- meist aus einer flächigen Anpflanzung hervorgegangen sind.

Durch einen Hohlweg, der sich im Laufe Am Lippeufer. der Jahrhunderte durch Erosion immer tiefer in die Terrassenkante eingegraben bilden sich dann Uferabbrüche, in denen rück. Dort hat er neue Töne gelernt, die hat, geht es aus der Aue hinauf nach Eisvögel oder Uferschwalben ihre Brut- er virtuos in seinen arteigenen Gesang Vinnum. Der alte Gehölzbestand an den höhlen anlegen können. Andere, teilwei- einbaut. Böschungen zeugt davon, dass hier ver- se bereits realisierte Maßnahmen, sind mutlich schon vor langer Zeit das Vieh die punktuelle Verbreiterung des Fluss- Am Dahler Wehr, das bislang noch keine zum Weiden in die Aue getrieben wurde. bettes und die Anlage von Fischtreppen, „Umfahrung“ hat, verlassen wir die Lip- Leider ist der Weg heute asphaltiert und mit dem Querbauwerke im Fluss für Fi- pe. Haus Dahl stammt ursprünglich aus hat etwas von seinem ursprünglichen sche und andere Organismen passierbar dem 14./15. Jahrhundert und war früher Charakter verloren. Eine Reihe älterer werden. Der Bedeutung der Lippe für vollständig von einer großen Gräfte um- Bauernhöfe weist die typische „Auen­ Tiere und Pflanzen ist auch dadurch geben. Da die Anlage etwa 10 Meter über orientierung“ auf, die früher bei der Rechnung getragen worden, dass der dem Niveau der Lippe liegt, muss der die Wahl der Siedlungsstellen von entschei- Fluss und seine Aue mittlerweile als Na- Hofgebäude umgebende Wassergraben dender Bedeutung war. Die Höfe be- turschutzgebiet ausgewiesen sind. Die zur Lippe hin geschlossen gewesen sein. finden sich in hochwassersicherer Lage, Umsetzung der geplanten Renaturie- Gespeist wurde die Gräfte, von der nur hatten aber direkten Zugang zur Aue, rung, die vor allem von den Staatlichen noch kleine Reste erhalten sind, durch die durch Überflutungswasser natürlich Umweltämtern und dem Lippeverband Quellen aus dem nach Norden hin an- gedüngt und als Grünland genutzt wur- betrieben wird, soll auf freiwilliger Basis steigenden Gelände. Kern von Haus Dahl de, während die höher gelegenen Be- erfolgen und verlangt viel Fingerspitzen- ist der rechteckige Turm an der Südost­ reiche als Acker dienten. Die Höfe sind gefühl. Viele Maßnahmen sind nur reali- sierbar, wenn die Flächen im öffentlichen Besitz sind. Dazu müssen die Landwirte Das X weist den Weg. entsprechenden Ersatz erhalten, der oft nur schwierig zu beschaffen ist.

Im Sommer bei sonnigem Wetter scheucht der Wanderer immer wieder Prachtlibellen auf, die sich auf den Ufer- pflanzen ein Sonnenbad gönnen. Es sind typische Bewohner von Fließgewässern, die von der verbesserten Wasserquali- tät profitiert haben und heute wieder recht häufig sind. Aus den Hochstauden im Uferbereich ertönt im Frühsommer der Gesang des Sumpfrohrsängers. Der unscheinbare Vogel ist der vielleicht beste Stimmenimitator der heimischen Vogelwelt. Erst im Mai kommt er aus seinem afrikanischen Winterquartier zu-

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die Alte Fahrt die Lippe überquert. Das bedeutende technische Bauwerk wurde 1895 fertig gestellt. In drei mächtigen Bögen aus Ruhrsandstein mit einer Spannweite von je 21 Metern wölbt sich die Brücke 18 Meter über dem Wasser- spiegel der Lippe. Der Brückentrog ist 15 Meter breit und 70 Meter lang. Am Fuße der Kanalüberführung liegt das ehemalige Pumpwerk von 1897 zur Speisung des Dortmund-Ems-Kanals mit Lippewasser. Ein Bassin neben dem Fluss nahm das aus der Lippe fließende Wasser auf, das anschließend mit Hilfe von Dampfkraft in den Kanal gehoben wurde. Dazu wurden fünf Röhrendampf- kessel von 200 Metern Heizfläche nebst Wasserreinigungsapparat sowie drei Die historische Kanalbrücke über der Lippe. Dampfpumpen installiert. Mit Eröffnung des Datteln-Hamm-Kanals wurde 1914 zumeist aus Ziegel gebaut. Wegen der wurde das Kanalbett an den Stellen, an das Pumpwerk außer Betrieb gesetzt eiszeitlichen Ablagerungen steht im denen es tiefer als das Erdniveau lag, und durch die Wasserübergabe in Hamm Münsterland fast nirgendwo Naturstein ausgebaggert. Schwieriger war es zwi- ersetzt. Das ehemalige Maschinenhaus an. Die alten Gebäude wurden daher in schen Datteln und Lüdinghausen, wo ist in Privatbesitz und nicht zugänglich. Fachwerkbauweise errichtet, wobei die das Kanalbett über Geländeniveau lag. Ein Teil der Förderanlagen ist neben der Gefache zunächst mit Lehm verstrichen Um den Kanal nicht über Jahre schlie- Brücke noch erhalten. und später mit Ziegel verfüllt wurden. ßen zu müssen, wurde hier von 1929 bis Später entstanden reine Ziegelbauten 1937 die Neue Fahrt mit größerem Quer- Jetzt ist es nicht mehr weit bis zur Rau- ohne Fachwerk. Sind die Ziegelsteine schnitt gebaut. Die Alte Fahrt spielte da- schenburg, dem Endpunkt des X14. Die etwas unregelmäßig, deutet dies darauf nach in der Berufsschifffahrt kaum noch heutige Ruine wird erstmals 1317 er- hin, dass sie noch per Hand geformt und eine Rolle. Sie diente lediglich kleineren wähnt. An dieser Stelle befand sich einer im Feldbrand getrocknet wurden. Später Kiesschiffen als Wasserstraße, die auf der wenigen Übergänge über die Lippe. ersetzten industrielle Fertigweisen diese dem Weg zum alten Hafen nach Da der Fluss damals bis hier schiffbar Methode. Auch im Raum Vinnum gibt es waren. Stattdessen wurde sie beliebtes war, entstand im 14. Jhd. sogar ein klei- größere Lehmvorkommen, wie wir etwas Revier für Wassersportler und Angler. ner Hafen, von dem aus Waren aus dem später in der Bauerschaft Sülsen auch an Vor einigen Jahren wurde die Alte Fahrt Münsterland weiter transportiert wur- dem Flurnamen „Lehmhegge“ erkennen bei Datteln ganz vom neuen Lauf des den. Ungefähr zu dieser Zeit wurde die können. Dortmund-Ems-Kanals abgetrennt. Der Fähre durch eine feste Brücke ersetzt. Olfener Hafen wurde verfüllt und nörd- Als Zollstelle und wichtiger strategischer Zuvor muss der Wanderer aber noch lich von Olfen ist die Alte Fahrt heute Übergang stand die Burg häufig im Mit- ­einen kleinen Umweg in Kauf nehmen. ganz abgebrochen. telpunkt kriegerischer Auseinanderset- Der eigentliche Weg führt zur Kanal- zung. Heute überquert hier mit der Bun- überführung, an der Lippe und Dort- Die Alte Fahrt hat heute auch eine wich- desstraße 235 eine wichtige Verbindung mund-Ems-Kanal sich kreuzen. Die tige ökologische Funktion. Wegen des zwischen Ruhrgebiet und Münsterland wegen der Kanalverbreiterung notwen- geringen Wellenschlags hat sich an den die Lippe. digen Brückenbauarbeiten ziehen sich Ufern stellenweise ein Schilfröhricht noch bis 2009 hin, so dass der Bereich entwickelt, in dem Bläss- und Teichral- Der X14 endet hier. Wer jetzt immer bis dahin nicht passierbar ist. Eine aus- len, Zwerg- und Haubentaucher brüten. noch gut zu Fuß ist, kann aber weiter geschilderte Aussichtsplattform ermög- Angrenzende Gehölzbestände vermit- wandern – auf dem Hermann-Kusch- licht einen Blick auf die Großbaustelle. teln ein wenig Auwaldcharakter. Eine Weg des Sauerländischen Gebirgsvereins Von der geplanten Doppelbrücke ist der Schwimmblattvegetation mit Teichrose bis zum Bahnhof Voerde. erste Teil fertig und im Sommer 2006 ist ausgebildet. Vor allem für Libellen ist erstmals geflutet worden. die Alte Fahrt von großer Bedeutung. Kurz danach geht es auf einer alten „Münsterland zu Fuß“ erscheint als Beilage in Stahlbrücke erneut über einen Kanal. Der Weg verläuft ein Stück parallel zum der Zeitschrift „Heimatpflege in Westfalen“, Diesmal ist es die „Alte Fahrt“, die wir alten Kanal und biegt dann nach Westen herausgegeben vom Westfälischen Heimat- überqueren. Sie entstand bei der ersten ab. Es empfiehlt sich aber unbedingt, bund, Münster. Weitere Informationen dort: Verbreiterung des Kanals, die wegen über den alten Betriebsweg nach Süden Fachbereich Wandern, Stefan Herringslack, des ständig wachsenden Schiffsver- einen kurzen Abstecher zur historischen Tel.: 0251/203810-15, E-Mail: stefan.her- kehrs notwendig geworden war. Dazu Kanalbrücke zu machen, mit deren Hilfe [email protected]

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