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Russlandbilder im Nationalsozialismus: Hitler, Goebbels, Rosenberg

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1 Einführung Das Verhältnis von nationalsozialistischem Deutschland und kommunistischem Russland stellt einen zentralen Bezugspunkt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte des „Dritten Reiches“ dar. An der Deutung der Beziehungen zwischen den beiden totalitären Diktaturen des 20. -HLQHGHU¸உHQWOLFKNHLWVZLUNVDPVWHQSXEOLڔLVWRULNHUVWUHLW+ږDKUKXQGHUWVHQW]¾QGHWHVLFKPLWGHP- zistischen Debatten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Kommunismus bzw. Bolschewismus war in der Herrschaftspraxis – neben dem Judentum – eines der Hauptfeindbilder der Nationalsozi- alisten. Auch in ideologischer Hinsicht kann er als einer der zentralen Gegner aufgefasst werden. 'LH(QWVFKHLGXQJ]XP$QJULஉDXIGLH6RZMHWXQLRQQDFK]HLWZHLOLJHU.RRSHUDWLRQHUVFKHLQWDOV primär ideologisch motiviert. Trotz dieser zentralen Bedeutung für Theorie und Praxis des Nationalsozialismus lässt sich in den Schriften der führenden Protagonisten und in der NS- kein einheitliches Bild von „Russ- land“ oder der Sowjetunion feststellen. Es handelt sich nach Manfred Weißbecker vielmehr um ein „Schüttelbild“1 bzw. „Schüttelbilder“ aus verschiedenen Vorstellungen und Traditionen, die einander teilweise widersprachen und den jeweiligen aktuellen Erfordernissen angepasst werden konnten. Dieser von der Forschung weitgehend akzeptierte Befund soll im Folgenden auf der Grundlage der ideologischen Äußerungen der drei entscheidenden Protagonisten auf diesem Feld – des „Führers und Reichskanzlers“ (1889-1945), des „Reichsministers für Volksaufklärung und Propa- ganda“ (1897-1945) und des „Reichsministers für die besetzten Ostgebiete“ und Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP (APA), (1893-1946) – dargestellt werden. Bei der Analyse seines Gegenstands geht der vorliegende Beitrag von einer zentralen Bedeutung der ideologischen Ideenwelt für die verbrecherische Praxis der nationalsozialistischen Herrschaft aus. Die verschiedenen nationalsozialistischen Russlandbilder erscheinen als Konzepte, deren Untersu- chung zum Verständnis der NS-Politik gegenüber der Sowjetunion unabdingbar ist. Die katastro- phalen Folgen jener Politik mit bis zu 50 Millionen Toten2 werfen die Frage nach ihrer ideologischen Begründung auf, sofern man nicht von einer „Eigendynamik der Gewalt“3 ausgehen möchte. Da die YRQ,GHHQJHSU¦JW>ZLUG@VSXNKDIWRIWGRFKPLWHQRUPHU@ڞ

sowohl deskriptiv nachgezeichnet als auch analytisch gebündelt und in ihrer propagandistischen Umsetzung betrachtet werden. Die auf diese Art entworfenen Gedankenwelten sind gleichwohl nicht zu trennen von den realpoliti- schen Strukturen. Die einander vielfach widersprechenden Russlandbilder im „Dritten Reich“ kön- nen teilweise auch auf die vielbeschriebene „Ämterrivalität“ der Nationalsozialisten zurückgeführt ZHUGHQHLQH%HU¾FNVLFKWLJXQJVROFKHU(LQ஋¾VVHXQGSDUDOOHOHUSROLWLVFKHU(QWZLFNOXQJHQZLUGHU- gänzend erfolgen.

2 Grundlinien nationalsozialistischer Russlandbilder Die Russlandbilder der Nationalsozialisten waren keine Neukreationen, sondern bestanden aus Ver- satzstücken traditioneller Vorstellungen. In ihnen verbanden sich antiasiatische und antislawisti- sche, antisemitische und antikommunistische Elemente zu einer Melange, die propagandistisch den jeweiligen politischen Bedürfnissen angepasst werden konnte. Trotz dieser Vielgestalt existierte eine Reihe von relativ stabilen Grundkonstanten im Bild von „Russland“ bzw. „Sowjetrussland“, die in ihrer radikalen Zuspitzung die NS-Außenpolitik prägten. Diese Konstanten und ihre Variationen sollen im Folgenden skizziert werden.

2.1 Ideologische Konstanten Zu den programmatischen „Säulen“ der NS-Weltanschauung gehörte die Forderung nach einer Erweiterung des „deutschen Lebensraums“. Die daraus resultierenden Gebietsansprüche sollten hauptsächlich im osteuropäischen Raum realisiert werden – ein Konzept, das bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwa durch Autoren wie den Schriftsteller Gustav Freytag (1816-1895) mit Bezug auf die mittelalterliche deutsche Ostsiedlung, den Zoologen und Geografen Friedrich Ratzel (1844-1904) und den Philologen und Archäologen Gustaf Kossinna (1858-1931) popularisiert ZRUGHQ ZDU,P QDWLRQDOVR]LDOLVWLVFKHQ .RQWH[W EHUXKWH HV EHJUL஍LFK DXI GHQ 6FKULIWHQ GHV *HR- grafen Karl Haushofer (1869-1946). Die vorurteilsbehafteten Fremdbilder von Russland wandelten sich in diesem Zusammenhang in von Hass geprägte, gewaltmobilisierende Feindbilder.6 Die ostpo- litischen Vorstellungen waren zunächst mit einer allgemeinen revisionistischen Politik in Bezug auf den Versailler Vertrag verbunden. Ab 1922/23 traten dann antikommunistische und antisowjetische (LQ஋¾VVHLPPHUPHKULQGHQ9RUGHUJUXQG'LH6RZMHWXQLRQHUVFKLHQLQHLQHU)RUWVHW]XQJXQG$XV- dehnung der von Friedrich Naumann (1860-1919) geprägten „Mitteleuropa“-Konzeption als eine reine „Verfügungsmasse“ deutscher Herrschafts- und Hegememonie-Ansprüche. Die demnach „un- terentwickelten“ Völker im „Osten“ wären nicht in der Lage, selbständig sinnvolle Organisationsfor- men zu entwickeln. Diese Unfähigkeit sei historisch erwiesen und ethnologisch prädisponiert.7 Po- pularisierungen erfuhren solche Positionen etwa durch die Publikationen des Schriftstellers Edwin (ULFK'ZLQJHU  GLHEHVRQGHUVQDFKLQKRKHQ$X஋DJHQHUVFKLHQHQXQGGLHEHUHLWV

7URW]GHUZDFKVHQGHQ:LUNVDPNHLWVROFKHU)HLQGELOGHUH[LVWLHUWHQLQGHU=ZLVFKHQNULHJV]HLWHEHQVRXPIDVVHQGHSRVLWLYHٺ 5XVVODQGNRQ]HSWLRQHQYJO.RHQHQ*HUG'HUGHXWVFKH5XVVODQG.RPSOH[=XU$PELYDOHQ]GHXWVFKHU2VWRULHQWLHUXQJHQLQGHU :HOWNULHJVSKDVHLQ7KXP*UHJRU +J 7UDXPODQG2VWHQ'HXWVFKH%LOGHUYRP¸VWOLFKHQ(XURSDLP-DKUKXQGHUW*¸WWLQJHQ  =ZLHVS¦OWLJH3URMHNWLRQHQ9DULDQXU(QWZLFNOXQJGHVGHXWVFKHQ%OLFNVDXI5XVVODQGLP-DKUKXQGHUWVLHKH+HFNHU+DQV=ٺ WHQLQGHUGHXWVFKHQ6LFKWDXI5XVVODQGLQ'HXWVFK5XVVLVFKHV0XVHXP%HUOLQ.DUOVKRUVWH9 +J 8QVHUH5XVVHQ XQVHUH'HXWVFKHQ%LOGHUYRP$QGHUHQELV%HUOLQbI=XP0LWWHOHXURSDJHGDQNHQYJODXVI¾KUOLFK(OYHUW -¾UJHQ0LWWHOHXURSD'HXWVFKH3O¦QH]XUHXURS¦LVFKHQ1HXRUGQXQJ  6WXWWJDUW +LVWRULVFKH0LWWHLOXQJHQ%HL KHIWH  45

existierenden Russlandstereotypen zu verstärken halfen.8 Eine zweite Konstante der NS-Ideologie bildete die Annahme des „jüdischen“ Charakters des Bol- schewismus. Als Grundlage dafür diente die Präsenz jüdischer Kommunisten in den Führungsschich- ten der Kommunistischen Partei Russlands (Bolschewiki) bzw. ab 1925 Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki). Entsprechende Hassbilder wurden in Russland selbst schon in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in Pamphleten wie den Protokollen der Weisen von Zion verbreitet. Über -XPJHNRPPHڔLWOHU/XGHQGRUஉ3XWVFKHV+ږ9HUPLWWOHUZLH$OIUHG5RVHQEHUJRGHUGHQZ¦KUHQGGHV nen Diplomaten Max Erwin von Scheubner-Richter (1884-1923) gelangten die Protokolle in den GHXWVFKHQ6SUDFKUDXPZRVLHHLQHQZLFKWLJHQ(LQ஋XVVEHVRQGHUVLQGHU)U¾KSKDVHGHU1DWLRQDOVR- zialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) ausübten. Autoren wie Dietrich Eckart (1868-1923)9 – Gründungsmitglied der NSDAP und ab August 1921 Chefredakteur des 9¸ONLVFKHQ%HREDFKWHUV – sahen in der Zuspitzung solcher Konzepte den Bolschewismus dann gar als „Werkzeug“ des „Weltju- dentums“ und stellten dem „falschen“ „jüdischen Bolschewismus“ sogar einen „echten“ „deutschen Bolschewismus“ gegenüber. Die Verachtung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Sowjetunion richtete sich damit in der ideologischen Betrachtung durch den Nationalsozia- OLVPXVK¦XஊJZHQLJHUJHJHQGHQUHDOHQ%ROVFKHZLVPXVDOVYLHOPHKUJHJHQHLQGLஉXVHV+DVVELOGLQ Bezug auf „die“ Juden. Die Forderung nach „ im Osten“ und der Judenhass verbanden sich weiterhin mit der rassisch gefärbten Verachtung gegenüber den russisch-slawischen „Untermenschen“.10 Auch hier konnte die NS-Ideologie zumindest in Teilen an überlieferte Muster anknüpfen. Bereits im und nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Auseinandersetzung zwischen Kaiser- und Zarenreich bisweilen zum schicksalhaften Kampf zwischen Germanen- und Slawentum stilisiert, etwa durch deutsche Freikorpskämpfer. „Russland“ erschien dabei als Verkörperung von Barbarei und Stagnation, seine Soldaten als „halbasiatische Horden“ von „asiatischer Rohheit“.11 Entsprechende Bezüge wurden YRQGHQGHXWVFKHQ0LOLW¦UVDXFKLQGHU3ODQXQJGHV$QJULஉVDXIGLH6RZMHWXQLRQKHUJHVWHOOW Die Vorstellungen von Russland als einer „asiatischen Macht“ reichen bis ins 16. Jahrhundert zu- rück.12 Englische und deutsche Autoren beurteilten das „Moskauer Reich“ jener Zeit als außereu- 'DV5XVVODQGELOG(GZLQ(ULFK'ZLQJHUVLQ(LPHUPDFKHU.DUO9ROSHUW$VWULG%RUGMXJRZ*HQD]XDXVI¾KUOLFK:XU]HU*HRUJ'ٺ QDGLM +JJ 6W¾UPLVFKH$XIEU¾FKHXQGHQWW¦XVFKWH+RIIQXQJHQ5XVVHQXQG'HXWVFKHLQGHU=ZLVFKHQNULHJV]HLW3DGHUERUQ :HVW¸VWOLFKH6SLHJHOXQJHQ1HXH)ROJH   ]X%H LFKWLJHUVFKHLQWLQ%H]XJDXI(FNDUWYRUDOOHPGLHžEHUQDKPHGHVDXFKYRQ$UWKXU0RHOOHUYDQGHQ%UXFN:ٺ 0RHOOHUX0RHOOHUYDQGHQ%UXFNYJOLQGLHVHP.RQWH[W6FKO¾WHU$QGU«[ڔULWWHV5HLFK'ږHUSRSXODULVLHUWHQ%HJULIIVJLQQGHU VFKHQ.RQ]HSWLRQHQEHLڑYDQGHQ%UXFN/HEHQXQG:HUN.¸OQ:HLPDU:LHQEHV$XIGHQ8UVSUXQJGHU0RHOOHU UXVVLVFKHQ$XWRUHQZLH'PLWUL6HUJHMHZLWVFK0HUHVFKNRZVNL  XQG)MRGRU0LFKDLORZLWVFK'RVWRMHZVNL  KDW 5XVVLږ'DV(FKRGHU$OOHQRY6HUJHM*XQO¦QJVWGHUUXVVLVFKH,GHHQKLVWRULNHU6HUJHM*$OOHQRYQHXXQGSRLQWLHUWKLQJHZLHVHQ .RQVHUYDWLV +JJ .Q\D]HYD,ULQD,0XQNH0DUWLQLQڔRQVHUYDWLYHQ5HYROXWLRQ.ږLQGHU,GHRORJLHGHUGHXWVFKHQڔVFKHQ,GHH PXVLQ5XVVODQGXQG'HXWVFKODQG,GHHQJHVFKLFKWOLFKH3HUVSHNWLYHQDXVGUHL-DKUKXQGHUWHQ%HUOLQ 6WXGLHQXQG7H[WH]XU (UIRUVFKXQJGHV.RQVHUYDWLVPXV  LP(UVFKHLQHQ  $QPHUNXQJHQ]XPQDWLRQDOVR]LDOLVWLVFKHQ5XVVODQGELOGDP9RUDEHQGXQG]XXUUDVVLVWLVFKHQ.RPSRQHQWHYJO/XNV/HRQLG=ٺ %HJLQQGHVGHXWVFKVRZMHWLVFKHQ.ULHJHVLQ)RUXPI¾URVWHXURS¦LVFKH,GHHQXQG=HLWJHVFKLFKWH  +bI LQGHUGHXWVFKHQ˜IIHQWLHUXVVLVFKH%HVHW]XQJ2VWSUHX¡HQV'ڔDUHQGUHFN%DUEDUHQGUHFN=ږLWQDFK-DKQ3HWHU=ٺ OLFKNHLWLQ(LPHUPDFKHU.DUO9ROSHUW$VWULG%RUGMXJRZ*HQQDGLM +JJ 9HUI¾KUXQJHQGHU*HZDOW5XVVHQXQG'HXWVFKH LP(UVWHQXQG=ZHLWHQ:HOWNULHJ3DGHUERUQ :HVW¸VWOLFKH6SLHJHOXQJHQ1HXH)ROJH YJODXFKGHUV (UREHUQ +J GHUV5¾UXS%HUQGXQG$QWLEROVFKHZLVPXV=XU(QWVWHKXQJXQG:LUNXQJYRQ)HLQGELOGHUQLQڔ5XVVHQIXUFKWږ XQG9HUQLFKWHQ'HU.ULHJJHJHQGLH6RZMHWXQLRQ(VVD\V%HUOLQ†KQOLFKHVWHUHRW\SH%HGURKXQJVV]HQDULHQ LP.DLVHUUHLFKZXUGHQDXFKLP8PIHOGGHU5HYROXWLRQYRQڔURWH)OXWږRGHUڔDVLDWLVFKH'XPSIKHLWږPLW=XVFKUHLEXQJHQZLH 5XVVODQGږLPGHXWVFKHQ8UWHLOžEHUOHJXQJHQ]XU†QGHUXQJGHV'LHUXVVLVFKH5HYROXWLRQYRQYJO0H\HU.ODXVYHUEUHLWHW .LHOHUKLVWRULVFKH6WXGLHQ 5XVVODQGXQG'HXWVFKODQG$XIV¦W]H6WXWWJDUW +J /LV]NRZVNL8ZHLQ'HXWVFKODQGLQڔELOGHV   -His5XVVODQGžEHUGLH(QWVWHKXQJHLQHVHXURS¦LVFKHQ9RUXUWHLOVLQڔDVLDWLVFKHږ'DV9JOGD]XLQVWUXNWLY.OXJ(NNHKDUGٺ torische Zeitschrift  =XGHQ(OHPHQWHQXQG.RQWH[WHQIU¾KHUHQJOLVFKHU5XVVODQGELOGHUMHW]WDXFK/HKPDQQ   DV5XVVODQGELOGGHVHQJOLVFKHQ*HVDQGWHQ*LOHV)OHWFKHU'ڔDWUXHDQGVWUDQJHIDFHRIDW\UDQQLFDOVWDWHږ6WHIDQ 46 Ostblicke — Zeitschrift der Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V.

ropäische Macht und besetzten es mit Negativklischees wie „fremdartig, barbarisch und unchrist- lich“,13 die eine erstaunliche Langlebigkeit aufweisen sollten. Die skizzierten Grundkonstanten – schlagwortartig kann man sie als Antibolschewismus, Antisemi- tismus und Antislawismus zusammenfassen14 – verbanden sich mit zahlreichen variablen Elemen- -ZDU]HQWUDOYRUJHJHEHQHQXQGJHOHQNWHQWDWV¦FKOLFKDEHUGRFKUHFKWGLஉXVHQ*H[ږWHQ]XHLQHP menge“,15 dessen Schwerpunktsetzungen gerade in den 1920er Jahren innerhalb der NSDAP noch höchst umstritten waren. So wurde die „bolschewistische Revolution“ bisweilen gar als Vorbild für die eigene Bewegung wahrgenommen, wie beispielsweise von der „linken“ Fraktion der „nationalen Sozialisten“ um die Brüder Gregor (1892-1934) und Otto Strasser (1897-1974), die von „nationalbol- schewistischen“ Konzeptionen wie etwa bei Ernst Niekisch (1889-1967)16EHHLQ஋XVVWZDU=XQ¦FKVW- ZXUGHGLHVH$XஉDVVXQJDXFKYRQ-RVHSK*RHEEHOVJHWHLOW'XUFKVHW]HQVROOWHQVLFKMHGRFKMHZHLOV die Positionen Adolf Hitlers, die freilich mehreren Neubewertungen und zahlreichen Schwankungen unterworfen waren.17 Ihre Entwicklungen sind nun darzustellen.

2.2 Adolf Hitler und Russland Erste Äußerungen von Hitler zu Russland und dem Bolschewismus bewegten sich –entsprechend der Agitation zeitgenössischer völkischer Publizisten wie Ludwig Müller von Hausen (1851–1929), Gründer des 1919 im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund aufgegangenen antisemitischen Verbands gegen die Überhebung des Judentums – im Rahmen „traditioneller“ antisemitischer Mus- ter.18 Mit der Entfesselung des Ersten Weltkriegs zwischen den einander eigentlich nicht feindlich ULஉQDFK*ږVHLQHQڔLQWHUQDWLRQDOH-XGHQWXPږJHVLQQWHQ0¦FKWHQ.DLVHUXQG=DUHQUHLFKKDEHGDV der Weltherrschaft“ begonnen. Pläne einer eventuellen Kooperation mit dem „revolutionären Russ- land“ stießen aber bei Hitler – wie auch bei Alfred Rosenberg – von Beginn an auf Ablehnung: nur mit einem von der „jüdischen Herrschaft“ befreiten, „nationalem Russland“ sei eine Zusammenar- beit möglich. Etwaige Ansprüche auf „Lebensraum im Osten“ ließen sich gegenüber einem solchen potentiellen Partner natürlich nicht erheben, und so beschränkten sich entsprechende knappe Über- legungen zunächst auf tschechische und polnische Territorien. Eine Revision solcher Gedanken stellte Hitler in den Monaten nach dem gescheiterten Putschver- VXFKLP1RYHPEHUDQXQGYHU¸உHQWOLFKWHVLHHUVWPDOVSXEOL]LVWLVFKLQHLQHPZHQLJEHDFKWHWHQ Beitrag für die alldeutsche Zeitschrift 'HXWVFKODQGV(UQHXHUXQJ. Hatte er in außenpolitischer Hin- sicht zuvor das Zusammengehen mit Russland gegen die westliche Großmacht England favorisiert, NHKUWHHUQXQXQWHUGHP(LQ஋XVVGHUZHOWSROLWLVFKHQ(UHLJQLVVHGLH%¾QGQLVSDUWQHUXPPLW(QJ- LQ.UROO)UDQN/RWKDU0XQNH0DUWLQ +JJ 'LH5HLVHQDFK5XVVODQG:DKUQHKPXQJHQXQG(UIDKUXQJVEHULFKWHDXVI¾QI-DKU KXQGHUWHQ%HUOLQ &KHPQLW]HU(XURSDVWXGLHQ  LP(UVFKHLQHQ  *¸WWLQJHU%DXVWHLQH]XU*HVFKLFKWVZLV 'DV5XVVODQGELOGLP(QJODQG6KDNHVSHDUHV*¸WWLQJHQ5XIIPDQQ.DUO+HLQ]ٺ 5XVVODQGڔDVLDWLVFKHږ'DV]LWQDFK.OXJ VHQVFKDIW =DUHQUHLFKXQG6RZMHWVWDDWLP6SLHJHOGHUGHUV:DQGOXQJHQGHVGHXWVFKHQ5XVVODQGELOGHVLQ9JOHWZD5DXFK*HRUJYRQٺ *HVFKLFKWH$XIV¦W]HXQG9RUWU¦JH=XP*HEXUWVWDJKJY0LFKDHO*DUOHIIX8ZH/LV]NRZVNL*¸WWLQJHQ)UDQNIXUWDP0DLQ =¾ULFK:DVFKLN.ODXV0HWDPRUSKRVHQGHV%¸VHQ6HPLRWLVFKH*UXQGODJHQGHXWVFKUXVVLVFKHU)HLQGELOGHU LQGHU3ODNDWSURSDJDQGDGHUHUELVHU-DKUHLQ(LPHUPDFKHU9ROSHUW%RUGMXJRZ +JJ 9HUI¾KUXQJHQGHU*HZDOW  ڔڞHQQKLHU'HXWVFKHZRKQWHQ:ږHL¡EHFNHU:ٺ (UODQJHU 'DV5XVVODQGELOGYRQ(UQVW1LHNLVFK(UODQJHQ-HQD9JOLPYRUOLHJHQGHQ=XVDPPHQKDQJ7DVFKND6\OYLDٺ 6WXGLHQ]XU*HVFKLFKWH  ڔڞHQQKLHU'HXWVFKHZRKQWHQ:ږ6R:HL¡EHFNHUٺ 'HU:HJLQGHQ+RORFDXVW5DVVLVPXVXQG$QWLVHPLWLVPXVLQGHUQDWLRQDOVR]LDOLVWLVFKHQD]XMHW]W.UROO)UDQN/RWKDU'ٺ ,GHRORJLHLQGHUV=HKQSIHQQLJ%DUEDUD +JJ ,GHRORJLHXQG9HUEUHFKHQ1DWLRQDOVR]LDOLVPXVXQG.RPPXQLVPXVLP9HUJOHLFK 3DGHUERUQ LP(UVFKHLQHQ  47

land gegen Russland. Denn in der Sowjetunion zeichnete sich eine Stabilisierung der bolschewisti- schen Herrschaft ab, ein „nationales Russland“ schien kaum wiederherstellbar. In Italien erwuchs mit (1883-1945) ein neuer potentieller Alliierter, und Großbritannien hatte sich in der „Ruhrkrise“des Jahres 1923 vom deutschen „Erbfeind“ Frankreich distanziert. Die „Wendung nach Osten“ manifestierte sich programmatisch in jenem berühmt-berüchtigten Zitat aus dem 1925 verfassten zweiten Band von 0HLQ.DPSI: „Damit ziehen wir Nationalsozialisten be- wusst einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vorkriegszeit. Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Ko- lonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft.“19 Diese Gedanken stehen in einem engen Zusammenhang mit Hitlers rasseideologischen Äußerungen. Der GLHGLHVHYRUDOOHPLP.DPSIڔDULVFKHQ5DVVHږODXEHDQGLHžEHUOHJHQKHLWGHUNXOWXUVFKDஉHQGHQ* gegen die „jüdische Rasse“ behaupten müsse, bildete einen unumstößlichen Kern der Hitler‘schen Ideologie.20 Der Kampfesgedanke erscheint dabei auch im Geschichts- und Politikbild Hitlers als zen- tral. Politik bedeute demnach die Durchführung des „Lebenskampfes“ eines Volkes.21 Grundformeln wie das „Recht des Stärkeren“ und der „Untergang des Schwachen“ wurden in zahlreichen Reden und in 0HLQ.DPSI22 immer wieder betont. Hitler wandte sich hiermitauch gegen zeitgenössische Überlegungen wie diejenigen von (1880-1936). Dieser der rechtskonservativen Strömung der „Konservativen Revolution“23 zuzurechnende Geschichtsphilosoph und Publizist prophezeite einen „Untergang des Abendlandes“ und sah das russische Volk als aufstrebende, neue Macht im Gegensatz zum niedergehenden Europa an, wobei er sich gegen rassenideologisches Denken entschieden verwehrte.24 In seiner Rede am 1. Mai 1933 zum „Tag der nationalen Arbeit“ auf dem Flughafen Tempelhof bezog sich Hitler direkt auf Spengler, als er statt des „Untergangs“ eine „Wiederauferstehung“25 der abendländischen Völ- ker propagierte. Denn es sei gerade das rassische, „germanische Element“ der (Balten-)Deutschen @ڔGHU5XVVHږ LVW@HVZDVGHPUXVVLVFKHQ9RONH(UஊQGXQJHQXQG6WDDWVRUJDQLVDWLRQ

VLF0HLQ.DPSI=ZHL%¦QGHLQHLQHP%DQGXQJHN¾U]WH$XVJ$XIO0¾QFKHQLWOHU$GROI+ٺ +LWOHUV0HLQ.DPSI(LQH,QWHUSUHWDWLRQ$XIO0¾QFKHQ=XU$EJUHQ]XQJGLHVHU9JO=HKQSIHQQLJ%DUEDUDٺ žEHUOHJXQJHQYRQDQGHUHQ]HLWJHQ¸VVLVFKHQUDVVHLGHRORJLVFKHQ.RQ]HSWLRQHQYJO.UROO)UDQN/RWKDU1DWLRQDOVR]LDOLVWLVFKH 5DVVHXWRSLHQLQGHU'HXWXQJVNXOWXUGHU=ZLVFKHQNULHJV]HLWLQ+DUGWZLJ:ROIJDQJ&DVVLHU3KLOLS +JJ 8WRSLHXQGSROLWLVFKH +HUUVFKDIWLP(XURSDGHU=ZLVFKHQNULHJV]HLW0¾QFKHQ 6FKULIWHQGHV+LVWRULVFKHQ.ROOHJV.ROORTXLHQ EHV    9LHUWHOMDKUVKHIWHI¾U=HLWJHVFKLFKWH*HVFKLFKWHXQG3ROLWLNLP:HOWELOG+LWOHUVLQD]X.UROO)UDQN/RWKDU'ٺ EHV %GHKUVJYRP,QVWLWXWI¾U=HLWJHVFKLFKWHELV-DQXDU5HGHQ6FKULIWHQ$QRUGQXQJHQ)HEUXDU9JO+LWOHU$GROIٺ 0¾QFKHQKLHU%GXQGGHUV0HLQ.DPSI $QDWRPLHGHU.RQVHUYDWLYHQ5HYROXWLRQGXUFKJHVXQGNRUULJ$XIOXU6\VWHPDWLVLHUXQJXQG.ULWLNYJO%UHXHU6WHIDQ=ٺ 'DUPVWDGW KQOLFKZLH0RHOOHUYDQGHQ%UXFNEH]RJDXFK6SHQJOHUYLHOHVHLQHUSRVLWLYHQ5XVVODQGYRUVWHOOXQJHQDXVGHU/HNW¾UH†ٺ UXVVLVFKHU6FKULIWVWHOOHUGHV-DKUKXQGHUWVZLH'RVWRMHZVNL/HZ1LNRODMHZLWVFK7ROVWRL  RGHU,ZDQ6HUJHMHZLWVFK 5XVVODQGLP*HVFKLFKWVGHQNHQ2VZDOG6SHQJڔ8QWHUJDQJGHV$EHQGODQGHVږYJO.UDXV+DQV&KULVWRI  7XUJHQHZ OHUVLQ.RHQHQ*HUG.RSHOHZ/HZ +JJ 'HXWVFKODQGXQGGLHUXVVLVFKH5HYROXWLRQ0¾QFKHQ :HVW¸VWOLFKH 6SLHJHOXQJHQ5HLKH$%G KLHULP=XVDPPHQKDQJDXFK*URK'LHWHU5XVVODQGLP%OLFN(XURSDV -DKUHKLVWRULVFKH3HUVSHNWLYHQ>HUZ$XVJYRQ5XVVODQGXQGGDV6HOEVWYHUVW¦QGQLV(XURSDV(LQ%HLWUDJ]XUHXURS¦LVFKHQ *HLVWHVJHVFKLFKWH 1HXZLHG @)UDQNIXUWDP0DLQ 'LH$XI]HLFKQXQJHQ+HLQULFK+HLPVKJYRQ:HUQHU-RFK0RQRORJHLP)¾KUHUKDXSWTXDUWLHU9JO+LWOHU$GROIٺ PDQQJHQHKPLJWH6RQGHUDXVJ0¾QFKHQ 48 Ostblicke — Zeitschrift der Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V.

gegeben hat“,26 führte Hitler in diesem Sinne noch im Juli 1941 aus. Die neue Konzeption sollte fortan zu einem der wichtigsten Gedanken in der Politik Hitlers gehören. LQڔ6WUDVVHU)UDNWLRQږXQ¦FKVWMHGRFKNXOPLQLHUWHVLHLQHLQHPLQWHUQHQ.RQ஋LNWEHVRQGHUVPLWGHU= der NSDAP, der erst zu Beginn des Jahres 1926 im Sinne Hitlers gelöst wurde.Denn dieser betonte nun gerade die Gefahr eines möglichen deutsch-russischen Bündnisses, wie er es doch selber zuvor in Betracht gezogen hatte. Er befürchtete eine „Infektion“ Deutschlands mit dem „bolschewistischen Gift“, die zu einer jüdischen Herrschaft auch im Deutschen Reich führen würde. Selbst ein „natio- nal befreites“ Russland erschien nicht mehr als potentieller Alliierter: „Allein auch dann wäre ein Bündnis Deutschlands mit diesem Russland ein voller Wahnsinn“,27 da Hitler in diesem Fall eine Be- drohung durch das als imperiales Vorbild betrachtete England befürchtete und das Deutsche Reich zum Schlachtfeld werden würde. Diese abwehrende Haltung wird in 0HLQ.DPSI an den Bezeichnungen für die sowjetischen Füh- JUDXVDPVWHږ XQGڔEVFKDXP GHU(UGH$ږڔEOXWEH஋HFNWHJHPHLQH9HUEUHFKHUږUHUGHXWOLFKGLHDOV Tyrannen aller Zeiten“28 bezeichnet werden. Vereinzelte Versuche etwa Otto Strassers im Herbst 1927, Russland erneut als Bündnispartner ins Gespräch zu bringen, wehrte Hitler – bei vereinzelten anerkennenden Äußerungen zur Fähigkeit der sowjetischen Machthaber, große Menschenmassen zu kontrollieren – entschieden ab. Und er gab im Zweiten Bucherneut das Ziel der nationalsozia- listischen Außenpolitik vor: es sei „dort zu suchen, wo es einzig und allein liegen kann: Raum im Osten“.29 Hier lassen sich Verbindungen zu den Äußerungen hauptsächlich baltendeutscher Russlandgegner aus der Vorkriegszeitziehen, die an das Stereotyp eines „asiatischen Charakters“ des russischen Volkes anknüpften und in der Zerschlagung des Zarenreiches die Möglichkeit sahen, einen Raum für deutsche koloniale Aktivitäten zu erschließen. Paul Rohrbach (1869-1956) etwa, ein baltendeutscher Beamter und Schriftsteller, trat gemeinsam mit Theodor Schiemann (1847-1921) in der so genann- ten „Osteuropäischen Schule“ für eine staatliche Eigenständigkeit der mittel- und osteuropäischen „Randvölker“ ein.30 Ähnliche Überlegungen, die eine Autonomie dieser Völker entgegen der durch Schiemann popularisierten Konzeption aber ablehnten, stellte innerhalb der NSDAP vor allem Alfred Rosenberg an, wie später zu zeigen sein wird. ڔHEHQVUDXP.RQ]HSW/ږQGHU¸உHQWOLFKHQ6HOEVWGDUVWHOOXQJXQG3URSDJDQGDGHU3DUWHLVSLHOWHGDV, bisweilen kaum eine Rolle – war doch das Bild, dass man sich in der Weimarer Republik von der Sowjetunion machte, ähnlichen Schwankungen unterworfen wie die Vorstellungen Hitlers. Die Ver- folgung der Anhänger Leo Trotzkis (1879-1940) im Zuge der Herrschaftskonsolidierung Josef Stalins (1878-1953) galt gemeinhin als eine Beseitigung des „jüdischen Elements“ innerhalb des Bolsche- wismus, was natürlich in für Hitler wichtigen Wählerschichten wie den nationalistischen und völ- kischen Kreisen Anerkennung und Zustimmung, teilweise gar eine Art zwiespältige Bewunderung IDQG8QWHU%HU¾FNVLFKWLJXQJGLHVHU6WLPPXQJHQXQGGHU1RWZHQGLJNHLWஊQDQ]LHOOHU=XZHQGXQJHQ für die NSDAP gestaltete sich auch die Rede Hitlers im Januar 1932 vor dem Industrie-Club Düssel-

0RQRORJHLP)¾KUHUKDXSWTXDUWLHULWOHU+ٺ PLWH*HOHLWZYRQ+DQV5RWKIHOV6WXWW+LWOHUV=ZHLWHV%XFK(LQ'RNXPHQWDXVGHP-DKU +J HLQEHUJ*HUKDUG/:ٺ JDUW 0HLQ.DPSILWOHU+ٺ +LWOHUV=ZHLWHV%XFKHLQEHUJ:ٺ 9HUWUDXWH)UHPGH1HXHVXQGڋ5XVVODQGGHUV LQ 5XVVODQG7KHRGRU6FKLHPDQQXQG9LFWRU+HKQD]X0H\HU.ODXV'ٺ %OHLEHQGHVLQKLVWRULVFKHU3HUVSHNWLYH$XVJHZ¦KOWH%HLWU¦JHKJYRQ'LWWPDU6FKRUNRZLW])UDQNIXUWDP0DLQXbD *HVHOO VFKDIWHQXQG6WDDWHQLP(SRFKHQZDQGHO DXVI¾KUOLFKGHUV7KHRGRU6FKLHPDQQDOVSROLWLVFKHU3XEOL]LVW)UDQNIXUW DP0DLQ+DPEXUJ 1RUGXQGRVWHXURS¦LVFKH*HVFKLFKWVVWXGLHQ &DPSKDXVHQ*DEULHOH'LHZLVVHQVFKDIWOLFKHKLVWRUL VFKH5XVVODQGIRUVFKXQJLQ'HXWVFKODQGLQ)RUVFKXQJHQ]XURVWHXURS¦LVFKHQ*HVFKLFKWH  EHV 49

dorf.31 Die Sowjetunion wurde hier nicht als ein vom Judentum „ausgehöhlter“ „Koloss auf tönernen Füßen“ dargestellt, sondern zu einer starken Bedrohung für das Deutsche Reich stilisiert, die „die ganze Welt langsam erschüttern und zum Einsturz bringen“32 könne – eine entscheidende Umwer- tung im Vergleich zu entsprechenden Passagen in 0HLQ.DPSI ,in denen Hitler den gegenwärtigen Zustand des Sowjetreiches noch als „Wink des Schicksals“ bezeichnet hatte.33 Nach der „Machtergreifung“ mussten sich die bis dahin hauptsächlich intern debattierten Russland- vorstellungen Hitlers und der Nationalsozialisten an der Herrschaftspraxis messen lassen. Diskre- panzen zwischen ideologischem Anspruch und realpolitischen Erfordernissen waren unvermeidbar, zumal das „Dritte Reich“ auch wirtschaftliche Interessen in Bezug auf die Sowjetunion verfolgte. (LQH JHZLVVH 3UDJPDWLN EHVWLPPWH QXQ +LWOHUV ¸உHQWOLFKH †X¡HUXQJHQ XQG VHLQ +DQGHOQ 6R UD- WLஊ]LHUWHHUEHLVSLHOVZHLVHLP0DLGLH9HUO¦QJHUXQJGHV%HUOLQHU9HUWUDJVYRQGHUDOV „Freundschaftsvertrag“ den Rapallo-Vertrag von 1922 abgelöst hatte – der Status quo sollte zunächst so lange nicht radikal verändert werden, bis sich Hitler machtpolitisch dazu in der Lage fühlte. Die Bevölkerung jedoch wurde weiterhin antisowjetisch indoktriniert, was zur allmählichen Ver- schlechterung der deutsch-sowjetischen Beziehungen beitrug. Die These des „jüdischen Bolschewis- mus“ feierte ihre „Auferstehung“ in der Phase der Antikomintern-Politik34 und wurde besonders auf den Reichsparteitagen der Jahre 1935 bis 1937 neu verbreitet. Hitler stilisierte das „Dritte Reich“ damit zu einem „Bollwerk“ gegen den Bolschewismus. Diese Haltung diente auch dazu, die eigent- lich antiwestliche Stoßrichtung des als Antikomintern-Pakt bezeichneten Bündnisses mit Japan und Italien zu verschleiern. Antijüdische Maßnahmen oder die Besetzung der entmilitarisierten Zone im Rheinland zur „Befreiung“ von den „Fesseln von Versailles“ konnten so ebenfalls legitimiert wer- den. Konkrete antisowjetische Aktionen blieben jedoch – abgesehen von der Intervention in den Spanischen Bürgerkrieg – weitgehend aus. Das Thema verschwand mit den Krisen des Jahres 1938 ZHLWJHKHQGDXVGHQ¸உHQWOLFKHQ9HUODXWEDUXQJHQDXFKGLHZLUWVFKDIWOLFKHQ%H]LHKXQJHQYHUORUHQ an Bedeutung. 8PVRJU¸¡HUZDUGDQQGLH:LUNXQJGHVDP$XJXVWDEJHVFKORVVHQHQ1LFKWDQJULஉVYHUWUDJV der als „Hitler-Stalin-Pakt“ bzw. aus sowjetischer Perspektive als „Molotow-Ribbentrop-Pakt“ be- kannt werden sollte, und der scheinbar den aktuellen ideologischen Konzepten widersprach. Der Großteil der im Rahmen der Antikomintern verwendeten Propagandaschriften durfte nun auch tat- sächlich nicht weiterverwendet werden.35 Und doch boten sich Anknüpfungspunkte zur bisherigen weltanschaulichen Linie, indem das Abkommen als Mittel zum Kampf gegen das „internationale Finanzkapital“ gepriesen wurde. Entsprechend hatte Hitler bereits im Vorfeld Anschuldigungen ge- gen die amerikanische Regierung erhoben, mit dem „internationalen Finanzjudentum“ zusammen- zuarbeiten. %HJ¾QVWLJW ZXUGH GDV I¾U GLH LQWHUQDWLRQDOH XQG KHLPLVFKH ˜உHQWOLFKNHLW JOHLFKHUPD¡HQ ¾EHUUD- /HJHQGHXQG:LUNOLFKNHLW+LWOHUV5HGH9JO]XULQGHU)RUVFKXQJXPVWULWWHQHQ%HGHXWXQJGLHVHU5HGH7XUQHU+HQU\$VKE\ٺ YRUGHP'¾VVHOGRUIHU,QGXVWULHFOXEDP-DQXDU6RQGHUGUXFN'¾VVHOGRUI ]'HU5XVVODQG.RPSOHLWQDFK.RHQHQ=ٺ QGHP>GDV6FKLFNVDO@5XVVODQGGHP%ROVFKHZLVPXV¾EHUDQWZRUWHWHUDXEWHHVGHPUXVVLVFKHQ9RON,ږQMein KampfKHL¡WHV,ٺ 6RXQP¸JOLFKHVGHP5XVVHQDQVLFKLVW@ڞ

schende, machtpolitische motivierte Zusammengehen36 durch Hitlers freimütig geäußerte,wenn- gleich zwiespältige Anerkennung für das Handeln Stalins. Deutlich wird diese später auch an den zahlreichen Bemerkungen im Rahmen der „Tischgespräche“ der Jahre 1941 bis 1944. Über den sow- jetischen Diktator heißt es hier Anfang August 1942 bewundernd: „Der Stalin ist auf der einen Seite eine Bestie, auf der anderen ein Gigant“,37 und gut zwei Wochen später: „Wenn Stalin noch zehn bis fünfzehn Jahre an der Arbeit geblieben wäre, wäre Sowjetrussland der gewaltigste Staat der Erde geworden, da können 150, 200, 300 Jahre vergehen; das ist eine so einmalige Erscheinung!“38 In der politischen Bündnispraxis jedoch ergaben sich alsbald Schwierigkeiten. Zwar verlief die kriegswirtschaftliche und militärische Kooperation39 vergleichsweise reibungslos. Doch die direkte territoriale Nachbarschaft nach der Zerschlagung Polens, die wachsende materielle Abhängigkeit aufgrund mangelnder anderer Bündnisperspektiven und die nach wie vor bestehende machtpoliti- sche Konkurrenzsituation – spürbar etwa an der sowjetischen Annexion der Balkanstaaten und dem I¾KUWHQ]XZDFKVHQGHQڋLGHUVWDQG6WDOLQVJHJHQGHXWVFKH(LQ஋XVVEHP¾KXQJHQDXIGHP%DONDQ: Problemen im gegenseitigen Verhältnis. An der grundsätzlichen antisowjetischen Stoßrichtung der nationalsozialistischen Außenpolitik sollte sich auch nichts ändern. Intern stand der rein taktische Charakter des Paktes fest. So betonte Hitler etwa gegenüber Außenminister Joachim von Ribbentrop (1883-1946) noch vor Vertragsabschluss seine Entschlossenheit, nach der Beendigung des zunächst zu führenden Kriegs im Westen „auf einen großen und entscheidenden Zusammenstoß mit der Sow- jetunion“ hinzuarbeiten, um schließlich „den Zusammenbruch der Sowjets“ zu erreichen.40 Der Überfall des „Dritten Reiches“ auf die Sowjetunionam 22. Juni 1941 wurde ideologisch von Hitler also zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. Der Glaube an die eigene Überlegenheit führte hier allerdings zu gewaltigen Fehleinschätzungen der militärischen Lage, was freilich auf Gegen- seitigkeit beruhte. So bemerkte Hitler Anfang Juli vor dem Wehrmachtführungsstab: „Praktisch hat er – der Russe – den Krieg schon verloren.“41 Und doch waren es nicht diese Fehlurteile, die die Ra- dikalität der Kriegführung begründeten. Die Auslöschung des „jüdischen Bolschewismus“ war von Beginn an einer der Kerninhalte des militärischen Feldzuges, wie an zahllosen Äußerungen Hitlers im Jahr 1941 deutlich wird. So heißt es im März in den Richtlinien für den geplanten Feldzug: „Die 8QGDXFKGLHLQGHU)U¾K]HLWGHUڔPXVVEHVHLWLJWZHUGHQ@ڞ<[M¾GLVFKEROVFKHZLVWLVFKH,QWHOOLJHQ Hitler’schen Russlandvorstellungen nicht ausgeschlossene Option eines „nationalen Russland“ wird nochmals eindeutig widerlegt: „Außerdem müssen wir unter allen Umständen vermeiden, an Stelle des bolschewistischen nunmehr ein nationales Russland treten zu lassen, das, wie die Geschichte beweist, letzten Endes wieder deutsch-feindlich sein wird.“42

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Die Anfangserfolge schienen Hitlers Russlandbilder vom „tönernen Koloss“ zu bestätigen. Die kon- NUHWHQ+HUUVFKDIWVLGHHQXQGSODQXQJHQZXUGHQYRUbDOOHPLQGHQ7LVFKJHVSU¦FKHQHUO¦XWHUWXQG fanden ihren Eingang in den „“, der in verschiedenen Varianten vom Planungsamt des Reichskommissariates für die Festigung deutschen Volkstums (RKF), von der Planungsgruppe Gr. III B beim Sicherheitsdienst des Reichssicherheitshauptamtes der SS (RSHA) und vom Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin erstellt wurde.43 Vor allem wirtschaftliche Aspekte wurden dabei betont: die Völker in den eroberten Gebieten hätten „in erster XQVZLUWVFKDIWOLFK]XGLHQHQ(VP¾VVHGDKHUXQVHU%HVWUHEHQVHLQPLWDOOHQ@ڞWږGLHYRPVRZMHWLVFKHQ'LNWDWRUDXVJHKHQZ¾UGHGHQQڔXQJHKHXUH*HIDKUږGLH der Jude“.46 Andererseits wird die Stalin-Bewunderung fortgeführt und hervorgehoben, dass jener „aus dieser slawischen Kaninchenfamilie einen Staat“ geschmiedet habe, auch wenn er sich dabei müssen. Diese Ambivalenz lässt sich bis in die letzten 47ڔZDQJVO¦XஊJGHU-XGHQ>KDEH@EHGLHQHQ[ږ Kriegsmonate fortführen, wenn intern Stalins Liquidierung der „jüdischen Intelligenz“ gelobt, nach außen weiter zur Vernichtung des „jüdisch-bolschewistischen Todfeindes“ aufgerufen wird.48 Die ideologischen Versatzstücke der Russlandvorstellungen blieben bei Hitler also seit Mitte der 1920er zwar konstant, wurden aber jeweils neu montiert und wiesen damit jeweils Bezüge zur kon- kreten politischen Situation auf. Ihnen kam als „Negativbild“ eine wichtige machtpolitische Funktion in der Herausstellung der eigenen Errungenschaften zu. Sie bildeten damit ein wirksames inneres Integrationsmittel. Verantwortlich für die Umsetzung dieser Funktion zeichnete Hitlers „Reichsmi- nister für Volksaufklärung und Propaganda“, Joseph Goebbels.

2.3 Joseph Goebbels und Russland Zuvor musste der „nationale Sozialist“49jedoch eigene Anpassungen und Überarbeitungen seiner Positionen vornehmen, hatte er doch ursprünglich ein Russlandbild vertreten, das dem des Diktators diametral entgegengesetzt schien. Es speiste sich aus Quellen wie marxistischem Klassendenken und der Revolutionstheorie nach Lenin, dem „preußischen Sozialismus“50 eines Oswald Spengler

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und der „Ostideologie“51 Arthur Moeller van den Brucks, der „antikapitalistischen Sehnsucht“52 Gregor Strassers und der Warnung des Wirtschaftstheoretikers Gottfried Feder (1883-1941) vor -YHUڔNROOHNWLYLVWLVFKHQ8WRSLHږden „jüdischen Finanzmächten“.53'LHVH(LQ஋¾VVHZXUGHQ]XHLQHU schmolzen und standen dem Rassengedanken als einer Hauptströmung der nationalsozialistischen Ideologie nicht selten entgegen.54 Die Goebbels’sche Faszination von Russland ist – wie so bei so vielen seiner Zeitgenossen55 – in ihren Anfängen auf eine intensive Beschäftigung mit dem Werk Dostojewskis zurückzuführen.56 Zwischen 1918 und 1924 erschienen vom bzw. über den russischen Schriftsteller auf dem deutschen Bücher- markt insgesamt vier Gesamtausgaben, 22 Sammelwerke, 120 Einzelausgaben sowie zahlreiche %LRJUDஊHQ$PEHGHXWHQGVWHQLVWGDEHLGLHYRQ0RHOOHUYDQGHQ%UXFNJHPHLQVDPPLW'PLWUL Mereschkowski begonnene Ausgabe der 6¦PWOLFKHQ:HUNHGLHHVELVDXIHLQH$X஋DJHYRQIDVW 180.000 Exemplaren brachte. Allein zwischen 1920 und 1922 wurden 400.00057 deutsche Dostojew- ski-Übersetzungen verkauft. $XVJHKHQG YRQ VHLQHU /HNW¾UH HQWZLFNHOWH *RHEEHOV GLH EHLQDKH UHOLJL¸V JHI¦UEWH +RஉQXQJ DOOH Probleme der Zeit, die er vor allem mit dem Kapitalismus verband, könnten durch und aus Russ- land heraus gelöst werden: „Ex oriente lux. Im Geiste, im Staate, im Geschäft und in der großen Diese vor allem auf das „alte 58ڔQ5XVVODQGOLHJWGHU6FKO¾VVHOGHUHXURS¦LVFKHQ)UDJH,@ڞ<3ROLWLN Russland“ projizierte Erwartung entsprach einer Messias-Erwartung, wie sie Goebbels auch Hitler innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung zuschrieb:59 „Russland, wann wirst Du erwachen? 'LHDOWH:HOWVHKQWVLFKQDFKGHLQHUHUO¸VHQGHQ7DW5XVVODQGGX+RஉQXQJHLQHUVWHUEHQGHQ:HOW HLJHQHOLWHUDULVFKH9HUVXFKHZLHGHUDXWRELRJUDஊVFKHQLFKWڐWann wird es Tag werden?“60*RHEEHOV YHU¸உHQWOLFKWH5RPDQ0LFKDHO9RRUPDQQ (1929) weisen ebenfalls entsprechende Vorstellungen auf, wenn der Protagonist meint: „In der russischen Erde brütet die Lösung des großen Rätsels Europa. VLHKH.RHڔHVWOHUWXP:ږXPYHUNRPPHQHQ[ڔHJHQJHZLFKW*ږXQGڔMXQJHP9RONږڋHEHQVRZLHGDVGHXWVFKHڋX5XVVODQGDOV=ٺ QHQ'HU5XVVODQG.RPSOH[6FKO¾WHU0RHOOHUYDQGHQ%UXFNbII ˜NRQRPLHGHU=HUVW¸UXQJYJOLP=XVDPPHQKDQJ7RR]H$GDP6R6WUDVVHULQHLQHU5HGHYRUGHP5HLFKVWDJLP0DLٺ 'LH*HVFKLFKWHGHU:LUWVFKDIWLP1DWLRQDOVR]LDOLVPXVDXVGHP(QJOY

Wenn Russland erwacht, dann wird die Welt ein nationales Wunder sehen.“61 Solche Bekenntnisse äußerte Goebbels nicht nur im privaten, sondern in fast wörtlicher Überein- VWLPPXQJDXFKLPRஉL]LHOOSXEOL]LVWLVFKHQ5DKPHQ,P6HSWHPEHUZXUGHHU6FKULIWOHLWHUGHU halbmonatlich erscheinenden, von Gregor Strasser herausgegebenen 1DWLRQDOVR]LDOLVWLVFKHQ%ULHIH. -QDWLږIn ihnen betonte er, etwa im Artikel 'DVUXVVLVFKH3UREOHPHLQHUVHLWVGLH+RஉQXQJDXIHLQH @ڞ<5XVVODQGLVW9HUJDQJHQKHLWXQG=XNXQIWQXUNHLQH*HJHQZDUWږ5XVVODQGVڔRQDOH%HIUHLXQJ In der braunen Schollenerde des Ostens ruht die gestaltende Zukunftskraft dieses Riesenreiches des roten Zaren. Wenn Russland endgültig erwacht, dann wird die Welt ein nationales Wunder er- leben.“62 Und anderseits stellte er beide Bewegungen, die eine ähnliche „völkische Reinigung“ voll- YRQ1DWXUJHJHEHQH%XQGHVJHQRVVH>Q@JHJHQGLHWHX஋LVFKH9HUVXFKXQJXQGږLHKHQZ¾UGHQXQG[ Korruption des Westens“63 seien, in eine Reihe. 6WU¸PXQJ LQQHUKDOE GHV UXVVLVFKHQ ڔQDWLRQDOHږ 6HLQH +RஉQXQJ ULFKWHWH *RHEEHOV DOVR DXI HLQH Bolschewismus, die sich zunächst gegen die „jüdisch-internationale“ Richtung, wie sie etwa durch Trotzki vertreten werde, durchsetzen müsse. Am radikalsten wurde eine solche „nationalrevoluti- XஉDVVXQJ YRQ GHXWVFKHU 6HLWH DXV ZRKO YRQ (UQVW 1LHNLVFK YHUWUHWHQ 6WDUN EHHLQ஋XVVW$ ڔRQ¦UH durch die Fronterlebnisse und den „Kriegssozialismus“64 des Ersten Weltkriegs sowie die Schriften -QDWLRQDOHQ9RONVJHPHLQږErnst Jüngers (1895-1998)65WU¦XPWH1LHNLVFKYRQGHU(UVFKDஉXQJHLQHU schaft“66. Diese sollte nach sowjetischem Vorbild gebildet, die deutsche Außenpolitik unter einer Rückbesinnung auf alte „preußische Werte“ entsprechend nach Osten ausgerichtet werden. Auf ڔVR]LDOLVWLVFKH>V@*HPHLQZHVHQږDOVڔJHUPDQLVFKVODZLVFKHV:HOWUHLFKږGLHVHU%DVLVN¸QQHGDQQHLQ entstehen. Die größte Herausforderung dabei sei es, das noch „halbasiatische“ Russland auf die eigene Seite zu ziehen. DXVGHPږKQOLFKH%¾QGQLVJHGDQNHQODVVHQVLFKDXFKEHL*RHEEHOVஊQGHQZHQQHUPHLQWHGDVV† GHUQHXH6WDDWVJHGDQNHGHULQGLYLGXHOOHQ*HEXQGHQKHLWXQGYHUDQWZRUWOLFKHQ=XFKWGHP@ڞ<2VWHQ Staat gegenüber“67 übernommen werden solle.68 Von einem baldigen „Zusammenbruch“ des „Rie- 9RP3RHWHQVFKULIWVWHOOHULVFKHU7¦WLJNHLWVLHKHDXVI¾KUOLFK0LFKHO.DLڐ-RVHSK*RHEEHOV=X*RHEEHOVLWQDFK+¸YHU=ٺ /LWHUDWXULQGHU*HVFKLFKWH*H OQ:HLPDU:LHQ¸.ڐXP'HPDJRJHQ'LHVFKULIWVWHOOHULVFKHQ9HUVXFKH-RVHSK*RHEEHOV[ VFKLFKWHLQGHU/LWHUDWXU  -RVHSK*RHEEHOV]LWQDFK+¸YHU1DWLRQDOVR]LDOLVWLVFKH%ULHIHYRP1RYHPEHUٺ ڔUDQJQDFK2VWHQ'ږ$PELYDOHQ]HQLPGHXWVFKHQ]LWQDFK.RHQHQ*HUG1DWLRQDOVR]LDOLVWLVFKH%ULHIHYRP2NWREHUٺ LQKommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur  +bI .ULHJVVR]LDOLVPXV'LH$XVHLQDQGHUVHW]XQJGHU1DWLRQDO¸NRQRPHQPLWGHU.ULHJVZLUWVFKDIW6LHKH.U¾JHU'LHWHUٺ LQ0LFKDOND:ROIJDQJ +J 'HU(UVWH:HOWNULHJ:LUNXQJ:DKUQHKPXQJ$QDO\VH0¾QFKHQ=¾ULFK (LPHUPDFKHU9ROSHUW%RUGMX)URQWJHQHUDWLRQXQG%ROVFKHZLVPXV(UQVW1LHNLVFKXQG(UQVW-¾QJHULQ9JOGD]X6XKU(ONHٺ JRZ +JJ 6W¾UPLVFKH$XIEU¾FKHXQGHQWW¦XVFKWH+RIIQXQJHQ -YHUERWHQHQ=HLWVFKULIWWiderLQHGHWDLOOLHUWH$QDO\VHGHUHQWVSUHFKHQGHQ6FKULIWHQYRQ1LHNLVFKZLHVLHHWZDLQGHU)ٺ standYHU¸IIHQWOLFKWZXUGHQILQGHWVLFK]XOHW]WEHL3LWWZDOG0LFKDHO(UQVW1LHNLVFK9¸ONLVFKHU6R]LDOLVPXVQDWLRQDOH5HYROXWLRQ GHXWVFKHV(QGLPSHULXP.¸OQ 3DS\5RVVD+RFKVFKXOVFKULIWHQ =XUM¾QJVWHQIDFKZLVVHQVFKDIWOLFKHQ'HEDWWHXPGHQ%H 9RONVJHPHLQVFKDIWDOV6HOEVWHUP¦FKWLJXQJ*HZDOWJHJHQ-XGHQLQDQJHVWR¡HQYRQ:LOGW0LFKDHOڋڔ9RONVJHPHLQVFKDIWږJULIIGHU YJODXVGHUUHLFKKDOWLJHQ/LWHUDWXU]XOHW]W6FKPLHFKHQ$FNHUPDQQ'HWOHIڋ+DPEXUJELVGHUGHXWVFKHQ3URYLQ] +J 9RONVJHPHLQVFKDIW0\WKRVZLUNXQJVP¦FKWLJHVR]LDOH9HUKHL¡XQJRGHUVR]LDOH5HDOLW¦WLP'ULWWHQ5HLFK"=ZLVFKHQELODQ] VRZLHGLUHNWDXIHLQDQGHUEH]R ڔ9RONVJHPHLQVFKDIWږ1DWLRQDOVR]LDOLVWLVFKH HLQHUNRQWURYHUVHQ'HEDWWH3DGHUERUQXbD -9LHUWHOMDKUVKHIWHI¾U=HLWJH3RWHQ]LDOXQG*UHQ]HQHLQHVQHXHQ)RUVFKXQJVNRQ]HSWVLQڔ9RONVJHPHLQVFKDIWږJHQ.HUVKDZ,DQ =HLWKLVWRULVFKH)RUVFKXQJHQLQH$QWZRUWDXI,DQ.HUVKDZLQ)ڔ9RONVJHPHLQVFKDIWږ XQG:LOGW0LFKDHO schichte Studies in Contemporary History 2QOLQH$XVJDEH   +XQWHU KWWSZZZ]HLWKLVWRULVFKHIRUVFKXQJHQGH :LOGW! 7DJHE¾FKHU%G*RHEEHOV7DJHEXFKHLQWUDJYRP-XOLٺ HLQHVHOLWHEH]RJHQHQGHP*UXQGVDW]GHU$XWRULW¦WڔSUHX¡LVFKHQ,GHHږ5HLQVHPDQWLVFKODVVHQVLFKKLHU†KQOLFKNHLWHQ]XUٺ YHUSIOLFKWHWHQ6WDDWVPRGHOOVILQGHQYJONQDSS.UROO)UDQN/RWKDU*HVFKLFKWVZLVVHQVFKDIWLQSROLWLVFKHU$EVLFKW+DQV-RDFKLP 6FKRHSVXQG3UHX¡HQ%HUOLQ :LVVHQVFKDIWOLFKH$EKDQGOXQJHQXQG5HGHQ]XU3KLORVRSKLH3ROLWLNXQG*HLVWHVJHVFKLFKWH 3UHX¡HQELOGXQG3UHX¡HQIRUYJOGHUVڔULWWHQ5HLFK'ږXUSURSDJDQGLVWLVFKYHU]HUUWHQ3UHX¡HQ:DKUQHKPXQJLP=  54 Ostblicke — Zeitschrift der Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V.

senreichs im Osten“, wie ihn Hitler nahezu zeitgleich in 0HLQ.DPSI prophezeite, kann bei Goebbels ZLHڔXGHQIUDJH-ږDOVRNHLQH5HGHVHLQ'LஉHUHQ]LHUWHUEHWUDFKWHWHHULQGLHVHU+LQVLFKWDXFKGLH bereits seine Unterscheidung zwischen „national-russischen“ und „international-jüdischen“ Elemen- ten innerhalb des Bolschewismus zeigt. Denn gerade der genuin „jüdische Charakter“ des Bolsche- wismus war ja zumindest ab Mitte der 1920er Jahre eine der Grundkonstanten des Hitler‘schen Denkens. Goebbels hingegen hatte seine Zweifel daran, ob denn „der kapitalistische oder der bol- VFKHZLVWLVFKH-XGHHLQXQGGDVVHOEH>VHLHQ@9LHOOHLFKWLP(QGHஉHNWQLHPDOVDEHULQGHUKHXWLJHQ Praxis“.69 Als Ausgangspunkt seiner bündnispolitischen Überlegungen diente Goebbels zudem die von Speng- ler und besonders Moeller van den Bruck geprägte Konzeption der „alten“ und der „jungen“ Völker. Die Entwicklung menschlicher Kulturen verlaufe demnach ähnlich zu biologischen Wachstumsvor- gängen. Es gäbe „alte“ Völker, deren Zeit abgelaufen sei, und „junge“, deren Aufstieg erst bevor- stünde. Als dem Untergang geweiht erschienen dabei besonders Großbritannien und Frankreich, als aufstrebende Mächte Deutschland, Italien, die Vereinigten Staaten und eben Russland. Goebbels verband diese Zuschreibung zusätzlich mit den Größen „arm / proletarisch“ und „reich / kapitalis- tisch“. Die Sowjetunion werde zwar durch die „jüdische Herrschaft“ noch an die westlichen Mächte gebunden – ein vom „jüdischen Bolschewismus“ befreites Russland jedoch könne den ihm zustehen- den Platz in der Reihe der „jungen“, aufsteigenden Staaten an der Seite Deutschlands einnehmen. Trotz der von ihm favorisierten „Bündnisoption“ war Goebbels nicht blind für die Tatsache, dass Russland gleichwohl eine Gefahr darstellen und es zum Krieg mit Deutschland kommen könne.Den Grund dafür sah er in der in der möglichen Verbindung des Bolschewismus mit panslawistischen Tendenzen.70 Aufgrund der Übernahme dieser Tendenzen aus der vorrevolutionären russischen Ge- -HLQ)HLQGRGHUHLQ%XQGHVJHڔQDWLRQDOHV5XVVODQGږVFKLFKWHHUVFKLHQHVLKPDOVRஉHQREHLQQHXHV -HLQQDWLRQDOVR]LDOLVWLږVFKHQ$XஉDVVXQJN¸QQHVLFK]ZDUڑQRVVHZHUGHQZ¾UGH(QWJHJHQGHU+LWOHU .71ڔVHOEVWPLWGHP7HXIHOYHUELQGHQRKQH6FKDGHQDQVHLQHU6HHOH]XQHKPHQ@ڞ

LQ:LVVHQVFKDIWXQG:LVVHQVFKDIWVSROLWLNGHVڔ3UHX¡HQږ'DV7KHPD +J 1HXJHEDXHU:ROIJDQJVFKXQJLP'ULWWHQ5HLFKLQ XQG-DKUKXQGHUWV%HUOLQ )RUVFKXQJHQ]XUEUDQGHQEXUJLVFKHQXQGSUHX¡LVFKHQ*HVFKLFKWH%HLKHIWH  YHU¸IIHQWOLFKWHQ6R*RHEEHOVLQHLQHP:LHGHUDEGUXFNHLQHV$XIVDW]HVDXVGHQ1DWLRQDOVR]LDOLVWLVFKHQ%ULHIHQLQVHLQHUٺ 6FKULIW'LH]ZHLWH5HYROXWLRQ%ULHIHDQ=HLWJHQRVVHQ]LWQDFK+¸YHU-RVHSK*RHEEHOV 'HU3UD +J YJO0RULWVFK$QGUHDVXP3DQVODZLVPXVDOVSROLWLVFKH%HZHJXQJEHVRQGHUVLQGHQ5HYROXWLRQHQYRQ=ٺ JHU6ODYHQNRQJUHVV:LHQ.¸OQ:HLPDU %XFKUHLKHGHV,QVWLWXWHVI¾UGHQ'RQDXUDXPXQG0LWWHOHXURSD =XP3DQV ODZLVPXVDOV+HJHPRQLHNRQ]HSWDXVUXVVLVFKHU3HUVSHNWLYHVLHKH*URK5XVVODQGLP%OLFN(XURSDV6FKHOWLQJ$OH[DQGHU YRQ5XVVODQGXQG(XURSDLPUXVVLVFKHQ*HVFKLFKWVGHQNHQ$XIGHU6XFKHQDFKGHUKLVWRULVFKHQ,GHQWLW¦WQHXKJXQGPLWHLQHP 1DFKZYRQ&KULVWLDQH8KOLJ2VWILOGHUQYRU6WXWWJDUW 5XVVODQG%LEOLRWKHN  HUVWPDOV  -RVHSK*RHEEHOV]LWQDFK+¸YHU1DWLRQDOVR]LDOLVWLVFKH%ULHIHYRP-DQXDUٺ 9JOHEGٺ 7DJHE¾FKHU%G*RHEEHOV7DJHEXFKHLQWUDJYRP2NWREHUٺ 55

blieb ihm ein „ewiges Rätsel“.74 Interessiert verfolgte er daher den Machtkampf zwischen Stalin und ZHUWHWH,QGHUڔM¾GLVFKH>P@%ROVFKHZLVPXVږXQGڔQDWLRQDOHPږ7URW]NLGHQHUDOV.RQ஋LNW]ZLVFKHQ 1927 als Gegengewicht zum Strasser-Blatt %HUOLQHU $UEHLWHU]HLWXQJ gegründeten Zeitschrift 'HU $QJUL୼ befasste er sich als Herausgeber wiederholt mit der russischen Bündnisoption. Zu Beginn der frühen 1930er Jahre erschienen darin mehrere Beiträge, die sich mit alternativen Lö- sungen der deutschen „Raumfrage“ befassten. Zwar betonte Goebbels, dass man heraus müsse „aus der Enge des Bodens“;75 in welche Richtung das deutsche Volk jedoch ziehen solle, wurde zunächst RஉHQJHODVVHQ'HULP)HEUXDULP$QJUL୼ erschienene, in späteren Aufsatzsammlungen nicht ZLHGHUYHU¸உHQWOLFKWH/HLWDUWLNHO'HU1HJHUDOV.ROOHJH gab eine Antwort: Frankreich sei nämlich – in Anklang an die Unterscheidung von „alten“ und „jungen“ Völkern – dem Niedergang geweiht. Hier böten sich Möglichkeiten für das aufstrebende „Dritte Reich“, das Raumproblem jenseits von Russland zu lösen. Für ihn untypisch verwendete Goebbels dabei das rassische Argument der angeb- lichen Vermischung des französischen Volkes mit „Negern und Mongolen“. Was bei Hitler nur Mittel gewesen war, um die Möglichkeit zum Eroberungsfeldzug im Osten zu erhalten – die Sicherung der westlichen Grenze durch die Vernichtung Frankreichs – wurde von Goebbels als eigenwertiges Ziel zumindest gedanklich ins Spiel gebracht, um die russische Bündnisoption zu erhalten. Von solchen Gedanken musste er nach der Machtübernahme der NSDAP und seiner Ernennung zum 5HLFKVPLQLVWHUI¾U9RONVDXINO¦UXQJXQG3URSDJDQGD]XPLQGHVWLQGHURஉL]LHOOHQ'LNWLRQ$EVFKLHG nehmen. Praktisch hatte ihn die Bewunderung für Russland schon vorher nicht davon abgehalten, die deutschen Kommunisten erbittert zu bekämpfen und gewaltsam gegen die Berliner Juden vor- zugehen. Und eben die antisemitischenTendenzen waren es, die die nationalsozialistische Propag- anda unter seiner Leitung jetzt herausstellte, besonders in den Jahren zwischen 1935 und 1938.76 PXVVWH*RHEEHOVQXQLQGHQڔQDWLRQDOEROVFKHZLVWLVFKHV5XVVODQGږ6HLQHIU¾KHUH+RஉQXQJDXIHLQ propagandistischen Anweisungen ad acta legen: Jeder Gegner des „Dritten Reiches“ sei ein „Bun- HUN XQG :DஉH:ږ XQG GHU %ROVFKHZLVPXV ZLHGHUXP P¾VVH DOV ڔGHVJHQRVVH GHV %ROVFKHZLVPXV ږ GDUJHVWHOOW ZHUGHQ )DOVFK VHLHQ GHPJHJHQ¾EHU GLH IROJHQGHQ $XஉDVVXQJHQ ڔGHV -XGHQWXPV Der Bolschewismus in der Sowjet-Union sei eine ,russische‘ Angelegenheit; er entwickele sich zu HU%ROVFKHZLVPXVKDEH'@ڞ<ڐ6WDOLQVHLGHU)¾KUHU5XVVODQGVڐHLQHU$UW1DWLRQDOVR]LDOLVPXV .77ڔHU%ROVFKHZLVPXVVHLDE]XOHKQHQZHLOHUDVLDWLVFKVHL'@ڞ<ڐGLH:HOWUHYROXWLRQDXIJHJHEHQ Den vom 9¸ONLVFKHQ %HREDFKWHU als „Wiederherstellung eines natürlichen Zustandes“ gefeierten XQGڔGHV7HXIHOV)OLHJHQږ0DQIUHVVHEVFKOXVVGHV1LFKWDQJULஉVSDNWVNRPPHQWLHUWHHUODSLGDU$ überhaupt sei die bolschewistische Frage „im Augenblick von untergeordneter Bedeutung“.78 Ent- sprechend verschwand diese Frage auch zunächst von der propagandistischen Agenda. Noch im un- PLWWHOEDUHQ9RUIHOGGHV$QJULஉVDXIGLH6RZMHWXQLRQZXUGHYRQ*RHEEHOVHLQ9HUERWKHUDXVJHJHEHQ das Russland-Thema überhaupt zu behandeln.79 Die propagandistischen Vorbereitungen für den Überfall liefen im Stillen jedoch bereits seit Früh- VP¾VVHQ]XHUVWPDO)OXJEO¦WWHUI¾U)ږELVLQGLHOHW]WHQ7DJHYRUGHP$QJULஉMDKU unsere Soldaten gedruckt werden. Ich lasse das unter allen Vorsichtsmaßnahmen bewerkstelligen. -DVJDQ]H9HUIDKUHQLVWVHKUXPVW¦QGOLFKDEHUVRDOOHLQLVWGLH*HZ¦KUJHJHEHQGDVVGLH*H'@ڞ< HEG7DJHEXFKHLQWUDJYRP-XQLٺ -RVHSK*RHEEHOVLWQDFK+¸YHU=ٺ ,GHRORJLHXQG3URSDJDQGD'LH5ROOHYRQ-RVHSK*RHEEHOVLQGHUQDWLRQDOVR]LDOLVWLVFKHQD]XDXVI¾KUOLFK0LFKHOV+HOPXW'ٺ $X¡HQSROLWLNELV)UDQNIXUWDP0DLQXbD (XURS¦LVFKH+RFKVFKXOVFKULIWHQ5HLKH*HVFKLFKWHXQGLKUH+LOIVZLVVHQ VFKDIWHQ EHV ڔڞHQQKLHU'HXWVFKHZRKQWHQ:ږLWQDFK:HL¡EHFNHU=ٺ LWQDFKHEG=ٺ ,GHRORJLHXQG3URSDJDQVFKHQ3URSDJDQGDW¦WLJNHLWLP9RUIHOGGHV=ZHLWHQ:HOWNULHJVYJODXVI¾KUOLFK0LFKHOVڐXU*RHEEHOV=ٺ GD 56 Ostblicke — Zeitschrift der Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V.

heimhaltung gesichert ist.“800LWGHU(U¸உQXQJGHV.ULHJHVJHJHQGLH6RZMHWXQLRQZXUGHGLH3URSD- aufgenommen, Goebbels legte 81ڔXQEHN¾PPHUWږXQGڔDDOJODWWږJDQGDDXFK¸உHQWOLFKVRIRUWZLHGHU die „antibolschewistische Walze“82 neu auf. Dazu schuf er in seinem Ministerium im Juli 1941 ein Generalreferat Ostraum unter Leitung von Eberhard Taubert (1907-1967) in bewusster Konkurrenz zu Rosenbergs Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, dem von Hitler eigentlich die alleini- gen Kompetenzen für entsprechende Aktivitäten zugesprochen worden waren.83 Die Verbindung von Bolschewismus und Judentum stand dabei wieder im Mittelpunkt. Besonders nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad wurde dieser Zusammenhang zentral herausgestellt, so etwa in Goebbels‘ Rede am 30. Januar 1943 im Berliner Sportpalast, in der er auf einer streng durchkalkulierten Veranstaltung zum „totalen Krieg“ aufrief: „In der Stunde der augenblicklichen @ڞZLUG nen in der nationalsozialistischen Presse zahllose Artikel, die das angeblich jüdische Streben nach der Weltherrschaft herausstellten und eine enge Zusammenarbeit zwischen den jüdischen Macht- habern der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, den „Kapitolsjuden“ und den „Kremljuden“86 behaupteten. Auch die sowjetische Propaganda erschien Goebbels als „wohl von Juden gemacht“87. Die privaten Äußerungen des Propagandaministers zeigen demgegenüber in Übereinstimmung mit der Hitler’schen Linie auch den wirtschaftlich begründeten Hintergrund der militärischen Auseinan- dersetzung. Der Krieg erscheint dabei als ein „Krieg für Getreide und Brot, für einen voll gedeckten Mit 88ڔXPGLH5RKVWRஉHXP*XPPLXP(LVHQXQG(U]H@ڞ

genen Gedanken vom „Reich“ als Bollwerk des bedrohten Abendlandes.91 Die so lange bevorzugte, weltanschaulich begründete „Bündnisoption“ war nicht durchsetzbar gewesen. Mit ihr hatte Goeb- bels in besonderem Gegensatz zu den Russland-bezogenen Gedanken des nationalsozialistischen .Alfred Rosenberg gestanden, wie nun zu zeigen sein wird 92ڔKHஊGHRORJHQ&ږ

2.4 Alfred Rosenberg und Russland ,93ڔڐHLQHP>GHU@ZHQQQLFKWGHP2VWH[SHUWHQGHU%HZHJXQJږLHHQWVSUHFKHQGHQ.RQ]HSWHYRQ' der mit seinem konsequenten Bemühen um eine umfassende Bündelung der NS-Weltanschauung eine „bemerkenswerte Sonderstellung“94 unter den Führungskräften der Diktatur einnahm,standen in einem engen Zusammenhang mit Rosenbergs baltisch-deutscher Herkunft.95 Die Russlandvor- stellungen der in den seit dem Nordischen Krieg 1710 bzw. der dritten Teilung Polens 1785 unter russischer Oberhoheit lebenden Deutschen im Baltikum96 schwankten – abhängig von den jeweili- gen politischen und gesellschaftlichen Strukturen – zwischen den beiden Polen „Russophobie“ und „Russophilie“. In der Zeit unter polnischer bzw. schwedischer Herrschaft ist „Russland“ negativ konnotiert gewesen, zwischen 1700 und 1850 positiv, anschließend entwickelte sich das Verhältnis eher ambivalent. Besonders die staatlichen und bürokratischen Herrschaftsmethoden wurden aber abgelehnt. Die subjektiven Ängste vor der russischen, auf dem panslawistischen Nationalismus be- UXKHQGHQ8QLஊ]LHUXQJVSROLWLNPLWVWUHQJHU3UHVVH]HQVXUXQGGHU9HUHLQKHLWOLFKXQJYRQ9HUZDOWXQJ und Bildungswesenführten besonders im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu einer immer negati- veren Einschätzung Russlands, von der auch Rosenberg geprägt wurde. Im Umfeld der russischen Revolutionen von 1917 – die Oktoberrevolution hatte er in Moskau miter- lebt – und der Gründung eines unabhängigen estnischen Staates verließ dieser im Dezember 1918 seine Heimatstadt Reval / Tallinn und siedelte sich nach einem kurzen Aufenthalt in der Reichshaupt- stadt Berlin in München, dem ersten Zentrum der nationalsozialistischen Bewegungan. Dort beweg- te er sich im Umfeld der Thule-Gesellschaft, begann eine redaktionelle Tätigkeit beim im August 1919 aus dem 0¾QFKHQHU%HREDFKWHU hervorgegangenen 9¸ONLVFKHQ%HREDFKWHU und trat im Herbst desselben Jahres – nachdem er Bekanntschaft mit Dietrich Eckart und Anton Drexler (1884-1942) geschlossen hatte – in die Deutsche Arbeiterpartei (DAP) als Vorgängerin der NSDAP ein. Bereits am Titel seines ersten Beitrags für die Eckart-Zeitschrift $XIJXW'HXWVFK – 'LHUXVVLVFKM¾GLVFKH ZLVFKHQ[ڔHEHQVNDPSI/ږRKQHMHJOLFKHHLJHQH]LYLOLVDWRULVFKH/HLVWXQJHQGLHLPڔ8QWHUPHQVFKHQږGRUWVLHGHOQGHQ6ODZHQVHLHQ YJODOOHQIDOOVDOV$UEHLWVNU¦IWHGLHQVWEDU]XPDFKHQDQVRQVWHQDEHU]XVWHULOLVLHUHQXQG]XYHUWUHLEHQVHLHQڔVLHQ$ږXQGڔXURSD)ږ .UROO8WRSLHDOV,GHRORJLH6FKDOOHU+HOPXW'HU1DWLRQDOVR]LDOLVPXVXQGGLHVODZLVFKH:HOW5HJHQVEXUJbII 'LH5HLFKVLGHHLP1DWLRQDOVR]LDXVI¾KUOLFKHUGHUV0\WKRVXQG8WRSLHLP1DWLRQDOVR]LDOLVPXVbIID]XNQDSS.UROO'ٺ 5HLFK(LQ.RQ]HSWSROLWLVFKHUڋPSLUH)ڋ,PSHULXP +JJ %RVEDFK)UDQ]+LHU\+HUPDQQ.DPSPDQQ&KULVWRSKDOLVPXVLQ +HUUVFKDIWLPGHXWVFKEULWLVFKHQ9HUJOHLFK0¾QFKHQ 3ULQ]$OEHUW6WXGLHQ  KHUDXVVWHOOHQGGHU7LWHOGHUELRJUDILVFKHQ6WXGLHYRQڔULWWHQ5HLFK'ږ6RGLHODQJHXPVWULWWHQH%HGHXWXQJYRQ5RVHQEHUJLPٺ 3LSHU(UQVW$OIUHG5RVHQEHUJ+LWOHUV&KHILGHRORJH0¾QFKHQLP*HJHQVDW]]XGHQGLHVH%HGHXWXQJDQ]ZHLIHOQGHQXQG UHODWLYLHUHQGHQ6NL]]HQYRQ)HVW-RDFKLP$OIUHG5RVHQEHUJ'HUYHUJHVVHQH*HIROJVPDQQLQGHUV'DV*HVLFKWGHV'ULWWHQ 5HLFKHV3URILOHHLQHUWRWDOLW¦UHQ+HUUVFKDIWLP7H[WXQYHU¦QG7DVFKHQEXFKDXVJ$XIO0¾QFKHQ=¾ULFKXQG 'LH +JJ 6PHOVHU5RQDOG=LWHOPDQQ5DLQHUGHV1DWLRQDOVR]LDOLVPXV"LQڔKHILGHRORJH&ږ$OIUHG5RVHQEHUJROOPXV5HLQKDUG% EUDXQH(OLWHELRJUDSKLVFKH6NL]]HQXQYHU¦QG$XIO'DUPVWDGW ڔ8QVHUH9HUZDOWXQJWUHLEWHLQHU.DWDVWURSKH]XږHOOKXEHU=ٺ 8WRSLHDOV,GHRORJLHUROO.ٺ 5XVVHQ +JJ .HOOHU.RUQ5XVVHQXQG5XVVODQGLQGHXWVFKEDOWLVFKHQ(ULQQHUXQJHQLQP=XVDPPHQKDQJ*DUOHII0LFKDHO,ٺ XQG5XVVODQGDXVGHXWVFKHU6LFKW-DKUKXQGHUWXQGGHUV'HXWVFKEDOWHQ]ZLVFKHQGHQ.XOWXUHQLQHEG  *HYJO7XFKWHQKDJHQ5DOSKHU%HJULIIEH]LHKWVLFKKLHUDXIGLHKLVWRULVFKHQ3URYLQ]HQ(VWODQG/LYODQGXQG.XUODQG'ٺ *DUOHII0LFKDHO VFKH5HLKH&+%HFN:LVVHQڐ%HFN VFKLFKWHGHUEDOWLVFKHQ/¦QGHUDNW$XIO0¾QFKHQ 'LHEDOWLVFKHQ/¦QGHU(VWODQG/HWWODQG/LWDXHQYRP0LWWHODOWHUELV]XU*HJHQZDUW5HJHQVEXUJ 2VWXQG6¾GRVWHXURSD *HVFKLFKWHGHU/¦QGHUXQG9¸ONHU  58 Ostblicke — Zeitschrift der Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V.

5HYROXWLRQ – ließ sich die Verknüpfung von Antisemitismus und Antibolschewismus erkennen, die, verbunden mit einer zunehmend stärker werdenden Ablehnung des Christentums, zum Grundthema von Rosenbergs publizistischen und politischen Wirken werden sollte.97 Eine der schillerndsten Quellen zu Rosenbergs Russlandvorstellungen jener Jahre bildet seine Hetz- schrift Pest in Russland! Der Bolschewismus, seine Häupter, Handlanger und Opfer98, die 1922 mit umfangreichem Bildmaterial versehen im 'HXWVFKHQ9RONVYHUODJ erschien und 17 Jahre später in von Georg Leibbrandt (1899-1982) überarbeiteter Form den Auftakt zur Schriftenreihe %ROVFKHZLVPXV bildete, die den nationalsozialistischen Blick auf Russland aus der Sicht Rosenbergs systematisie- ren sollte.99 +LHULQ VWHOOWH HU HLQHUVHLWV GHQ DQJHEOLFKHQ M¾GLVFKHQ (LQ஋XVV DXI GDV UHYROXWLRQ¦UH Geschehen in Russland heraus, anderseits die Brutalität dieses Geschehens, wie anhand der beige- fügten Bilddokumente bewiesen werden sollte. Die Revolution als weder europäische noch russische ڔQJULஉHQ$ږHZHJXQJZXUGHYRQ5RVHQEHUJLQHLQH/LQLHJHVWHOOWPLWHLQHU5HLKHYRQKLVWRULVFKHQ% auf das „Abendland“ durch Mongolen, Araber oder Osmanen:100 „Schürfen wir nun etwas tiefer und vergegenwärtigen uns, was der heutige Kampf welthistorisch bedeutet, so werden wir ihn als einen -OVHLJHQWOLFKHU)¾K$@ڞ

1DWLRQDOVR]LDOLVWLVFKH3UHVVHXQG3URSDJDQGDLQXUSURSDJDQGLVWLVFKHQ$XVJHVWDOWXQJGHU16%O¦WWHUVLHKH)UHL1RUEHUW=ٺ %URV]DW0DUWLQ0¸OOHU+RUVW +J 'DV'ULWWH5HLFK+HUUVFKDIWVVWUXNWXUXQG*HVFKLFKWH9RUWU¦JHDXVGHP,QVWLWXWI¾U=HLW ULWWHQ'ږVFKH6FKZDU]H5HLKH =XU3UHVVHJHVFKLFKWHGHVڐ%HFN JHVFKLFKWHGXUFKJHV$XIO0¾QFKHQ VFKH5HLKHڐ%HFN -RXUQDOLVPXVLP'ULWWHQ5HLFK¾EHUDUE$XIO0¾QFKHQHLQI¾KUHQGGHUV6FKPLW]-RKDQQHVڔ5HLFKHV   3HVWLQ5XVVODQG'HU%ROVFKHZLVPXVVHLQH+¦XSWHU+DQGODQJHUXQG2SIHU0LW2ULJLQDOOLFKWELOGHUQ5RVHQEHUJ$OIUHGٺ DXV6RZMHWUXVVODQG0¾QFKHQ%LEOLRJUDILHQ]X5RVHQEHUJVXPIDQJUHLFKHUSXEOL]LVWLVFKHU7¦WLJNHLWOLHIHUQ3LSHU$OIUHG 5RVHQEHUJXQG%ROOPXV5HLQKDUG'DV$PW5RVHQEHUJXQGVHLQH*HJQHU6WXGLHQ]XP0DFKWNDPSILPQDWLRQDOVR]LDOLVWL VFKHQ+HUUVFKDIWVV\VWHPPLWHLQHPELEOLRJUDSKLVFKHQ(VVD\Y6WHSKDQ/HKQVWDHGW$XIO0¾QFKHQ 6WXGLHQ]XU=HLWJH VFKLFKWH  HUVWPDOV bII 0LW/HLEEUDQGWLP$OOJHPHLQHQXQGVHLQHQUXVVODQGSROLWLVFKHQ.RQ]HSWLRQHQLP%HVRQGHUHQEHIDVVWVLFKJHJHQZ¦UWLJGDVYRQٺ GHU+DQQV6HLGHO6WLIWXQJJHI¸UGHUWH3URPRWLRQVYRUKDEHQGHV9HUIDVVHUV $OIUHG5RVHQEHUJ,GHRORJLHGHV5DVVHQNULHJVJHJHQGLH6ODZHQ9RUWUDJLP5DKPHQD]XXQG]XP)ROJHQGHQ3LSHU(UQVW'ٺ GHU7DJXQJ0HQVFKHQ]ZLVFKHQGHQ9¸ONHUQ$NWHXUHGHU'HXWVFK5XVVLVFKHQ%H]LHKXQJHQGHV-DKUKXQGHUWV'HXWVFK5XVVL VFKH+LVWRULNHUNRQIHUHQ]$NDGHPLHI¾U3ROLWLVFKH%LOGXQJ7XW]LQJELV$SULO'HU9HUIDVVHUGDQNWGHP9RUWUDJHQGHQ I¾UGLH=XUYHUI¾JXQJVWHOOXQJGHVLQGHXWVFKHU6SUDFKHELVKHUXQJHGUXFNWHQ0DQXVNULSWV)¾UHLQHUXVVLVFKH)DVVXQJVLHKHGHUV /MXGLPHŀGXQDURGDPL +J 9DWOLQ$OHNVDQGU-XIUHG5R]HQEHUJ5DVRYDMDLGHRORJLMDYRMQ\SURWLYVODYMDQVNLFKQDURGRYLQڐO$ 'HMVWYXMXģÏLHOLFDURVVLMVNRJHUPDQVNRMLVWRULL;;Y0DWHULDO\NRQIHUHQFLLURVVLMVNLFKLQHPHFNLFKLVWRULNRYDSUHOMDJ 7XWFLQJ)5*0RVNYD bI3HVWLQ5XVVODQG5RVHQEHUJٺ GXUIWHHLQHQHUKHEOLFKHQ(LQIOXVVDXI+LWOHUDXVJH¾EWKDEHQGHUGLHڔM¾GLVFKHQ*HIDKUږGHUڔQWHUQDWLRQDOLVLHUXQJ,ږLHVH'ٺ $OIUHG5RVHQEHUJEHVYJO3LSHUXYRUHKHULPQDWLRQDOHQ5DKPHQEHKDQGHOWKDWWH[ڔXGHQIUDJH-ږ  HLQHVGHUZLFKWLJVWHQ6WDQ -DKUKXQGHUWVHUEULWLVFKH6FKULIWVWHOOHU&KDPEHUODLQVFKXIPLWGHQ*UXQGODJHQGHV'ٺ GDUGZHUNHI¾UGHQPRGHUQHQGHXWVFKHQ$QWLVHPLWLVPXV(UWUDILQGHU]ZHLWHQ+¦OIWHGHUHU-DKUHSHUV¸QOLFKPLW5RVHQEHUJ ]XVDPPHQGLH7LWHOZDKOYRQGHVVHQ+DXSWZHUNMythus des 20. Jahrhunderts  VFKHLQWHEHQIDOOVGXUFK&KDPEHUODLQPRWL YLHUWGD]X]XOHW]W/REHQVWHLQ5HLFKPDQQ$QMD+RXVWRQ6WHZDUW&KDPEHUODLQ=XUWH[WOLFKHQ.RQVWUXNWLRQHLQHU:HOWDQVFKDXXQJ (LQHVSUDFKGLVNXUVXQGLGHRORJLHJHVFKLFKWOLFKH$QDO\VH%HUOLQ1HZ

(1895-1953)104 – metaphysische Konzept von „Rasse“ die kulturbildenden und somit geschichtsbe- stimmenden Fähigkeiten eines Volkes. Damit einher ging eine Ranggliederung in der jeweils un- terschiedlichen Qualität der kulturschöpferischen Leistungen. Prinzipiell war diese Ideologie eine kulturpluralistische, die ein Nebeneinander verschiedener Kulturen erlaubte und es Rosenberg auch ermöglichte, in seinen ostpolitischen Konzeptionen eine Zusammenarbeit mit den nicht-russischen Nationalitäten in Erwägung zu ziehen. Die „jüdische Rasse“ jedoch wurde von solchen Überlegungendezidiert ausgenommen. Aufgrund ih- res Auserwähltheits- und Überlegenheitsanspruchs sowie der streng materialistischen Ausrichtung ihrer Ethik sprach Rosenberg „den Juden“ jegliches Existenzrecht ab, da diese systematisch andere Völker „zersetzen“ würden. Indem er ihre Theologie in den Mittelpunkt seiner antijüdischen Über- legungen stellte, und eben nicht ihre „rassischen Eigenschaften“, knüpfte Rosenberg an klassische „antijudaistische“ Interpretationsmuster an und nahm inmitten des sonst vorherrschenden „rassi- schen Antisemitismus“ innerhalb der NS-Bewegung eine Sonderstellung ein.105 In der Auseinandersetzung mit dem „Strasser-Flügel“ um das Verhältnis zu Russland stand Rosen- berg fest an der Seite Hitlers und gegen Goebbels. Seine weltanschaulichen Überlegungen wurden von ihm in der Folge auch in praktische außenpolitische Handlungsanweisungen übersetzt. In seiner 1927 erschienenen Schrift =XNXQIWVZHJHLQHUGHXWVFKHQ$X¡HQSROLWLN– der einzigen maßgeblichen, außenpolitisch orientierten Publikation eines führenden Nationalsozialisten zu jener Zeit – verknüpf- te er frühere antisemitisch-antibolschewistische Gedanken mit dem „Lebensraum“-Konzept.106 In Anlehnung an die expansionistischen Kolonisationsgedanken eines Paul de Lagarde (1827-1891)107 führte er aus: „Das deutsche Erwachen muss den völkischen Imperialismus für das deutsche Volk soweit bejahen, als Lebensraum notwendig ist, um dem deutschen Volk ein gesundes, ein starkes -0LWGLHVHU(UNHQQWQLVGDVVGDVGHXWVFKH9RONZLOOHVQLFKWLQGHV:RU@ڞ

DOV=HQWUDOEHJULIIGHU16,GHRORJLHYHUDQWڔOXWXQG%RGHQ%ږI¾UGDV%HJULIIVSDDUڔ5HLFKVEDXHUQI¾KUHUږDUU«]HLFKQHWHDOV'ٺ X)XQNWLRQXQG*HQHVHGHU0HWDSKHUQGHV$JUDULVPXVXQG=ڔOXWXQG%RGHQ%ږGD]XDXVI¾KUOLFK(LGHQEHQ]0DWKLDVZRUWOLFK %LRORJLVPXVLQGHUQDWLRQDOVR]LDOLVWLVFKHQ%DXHUQSURSDJDQGD5:'DUU«V%HUQXbD (XURS¦LVFKH+RFKVFKXOVFKULIWHQ 5HLKH*HVFKLFKWHXQGLKUH+LOIVZLVVHQVFKDIWHQ  'HXWVFKEDOWHQ:HLPDUHU +J *DUOHII0LFKDHO$OIUHG5RVHQEHUJ'HU,GHRORJHDOV3ROLWLNHULQ9JO.UROO)UDQN/RWKDUٺ 5HSXEOLNXQG'ULWWHV5HLFK%GGXUFKJHVXQGHUJ$XIO.¸OQ:HLPDU:LHQ 'DV%DOWLNXPLQ*HVFKLFKWHXQG*HJHQ ZDUW  OIUHG$ڔڞLHDQWLVHPLWLVFKH%HZHJXQJZDUQXUHLQH6FKXW]PD¡QDKPH'ږXGLHVHU9HUNQ¾SIXQJVLHKH:HL¡EHFNHU0DQIUHG=ٺ 5RVHQEHUJLQ3¦W]ROG.XUW:HL¡EHFNHU0DQIUHG +JJ 6WXIHQ]XP*DOJHQ/HEHQVZHJHYRUGHQ1¾UQEHUJHU8UWHLOHQ/HLS]LJ XbI ¦U¾QGHUY*ږHU2ULHQWZLVVHQVFKDIWOHUXQG.XOWXUSKLORVRSK/DJDUGHJHK¸UWHPLWVHLQHUUDGLNDOHQ=LYLOLVDWLRQVNULWLN]XGHQ'ٺ 3XVFKQHU8ZH6FKPLW]:DOWHU3DXO$QWRQGH/DJDUGHLQ¾EHUEOLFNVKDIW3DXO,QD8OULNHHLQHVY¸ONLVFKHQ$QWLVHPLWLVPXVڔWHUQ DXVI¾KUOLFK6LHJ8OULFKQFKHQ¾0ڔONLVFKHQ%HZHJXQJ¸9ږ+DQGEXFK]XU +JJ 8OEULFKW-XVWXV+ 'HXWVFKODQGV3URSKHW3DXOGH/DJDUGHXQGGLH8UVSU¾QJHGHVPRGHUQHQ$QWLVHPLWLVPXV0¾QFKHQ bII'HU=XNXQIWVZHJHLQHUGHXWVFKHQ$X¡HQSROLWLN0¾QFKHQ5RVHQEHUJ$OIUHGٺ EHVLHGHOWHP5DXPڔQRUGLVFKJHUPDQLVFKHQ:DU¦JHUQږ9JO]XGLHVHU.RQ]HSWLRQGLHDXFK5XVVODQGDOVXUVSU¾QJOLFKYRQGHQٺ 8WRSLHDOV,GHRORJLH4XDOLW¦W]XVSUDFK.UROOڔDULVFKHږHLQH ڔ8QVHUH9HUZDOWXQJWUHLEWHLQHU.DWDVWURSKH]XږHOOKXEHU=ٺ 60 Ostblicke — Zeitschrift der Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V.

Esten, die als „Ruthenier“ bezeichneten Weißrussen und besonders die Ukrainer konnten dabei zu wichtigen Bundesgenossen der Deutschen im Osten werden. Insgesamt solle eine Zusammenar- beit der „arischen“ Staaten Deutschland, Italien, England und eben der „zukünftigen“ den Schutz der „weißen“ Rasse garantieren. Eine Kooperation mit der Sowjetunion war jedoch in keinem HLQH6W¾W]XQJGHV@ڞ<LQ%¾QGQLVPLW6RZMHWUXVVODQGEHGHXWHWKHXWHZLH)ږDOODQ]XVWUHEHQ( alles vernichtenden Bolschewismus in Deutschland selbst. Die Aufmerksamkeit Deutschlands hat VLFKYLHOPHKUZDVGLH2VWIUDJHDQEHWULஉWQDKHLQHUDQGHUHQ5LFKWXQJKLQ]XZHQGHQGbKGLHVWDU- ken separatistischen Bewegungen in der Ukraine und im Kaukasus in Betracht zu ziehen.“111 Entsprechende Gedanken führte Rosenberg auch in seinem Hauptwerk aus: 'HU 0\WKXV GHV  -DKUKXQGHUWVLP+RKHQHLFKHQ9HUODJYHU¸உHQWOLFKWHUUHLFKWHHVELV.ULHJVHQGHHLQH$X஋DJH von über 1.000.000 Exemplaren. Von der Parteiführung um Hitler wurde es zwar nur zurückhaltend aufgenommen – gleichwohl wurde Rosenbergs Weltanschauung zeitgenössisch sehr stark rezipiert und ab 1933 durch Schulbücher, Unterrichtspläne, parteiinterne Leitbriefe und literarisch-popu- läre Geschichtswerke weit verbreitet. Die außenpolitisch relevanten Überlegungen hängen eng XVHLQDQGHUVHW]XQJ ]ZLVFKHQ %OXW XQG %OXW$ږ VFKHQ *HVFKLFKWVDXஉDVVXQJ DOVڐPLW GHU 5RVHQEHUJ -zusammen. Ge 112ڔ5LQJHQYRQ6HHOHQZHUWJHJHQ6HHOHQZHUW@ڞ<5DVVHXQG5DVVH9RONXQG9RON meinsam mit England und den skandinavischen Staaten müsse man den „nordischen Menschen“ vor der „jüdisch-bolschewistischen Zersetzung“ schützen. Und zu den „rassischen Bedingtheiten“ QWHUGHUJHVLWWXQJVWUDJHQGHQ2EHUVFKLFKWVFKOXPPHUWHLQ5XVVODQG@8<ږ5XVVODQGVI¾KUWHHUDXV HU%ROVFKHZLVPXVEHGHXWHWGLH(PS¸UXQJ'@ڞ

'HU=XNXQIWVZHJHLQHUGHXWVFKHQ$X¡HQSROLWLN5RVHQEHUJٺ 'HU0\WKXVGHV-DKUKXQGHUWV(LQH:HUWXQJGHUVHHOLVFKJHLVWLJHQ*HVWDOWHQN¦PSIHXQVHUHU=HLW0¾QFKHQHUV'ٺ bI EGbI)ٺ XIGLH]DKOUHLFKHQ5LYDOLW¦WHQLQQHUKDOEGHVDXVXIHUQGHQQDWLRQDOVR]LDOLVWLVFKHQ3DUWHLXQG†PWHUDSSDUDWVVROOKLHUQLFKW$ٺ ZHLWHUHLQJHJDQJHQZHUGHQYJOLP=XVDPPHQKDQJDXVI¾KUOLFK3LSHU$OIUHG5RVHQEHUJVRZLH%ROOPXV'DV$PW5RVHQ EHUJXQGVHLQH*HJQHU JHJU¾QGHWXQGVROOWHGDVGHXWVFKH.XOWXUOHEHQLPY¸ONLVFKHQXQGDQWLVHPLWLVFKHQ6LQQHHU.IG.ZXUGHYRQ5RVHQEHUJ'ٺ SURSDJLHUWHEHVWDQGEHUHLWVVHLWڔQRUGLVFKHQ5DVVHږSU¦JHQ'LH1RUGLVFKH*HVHOOVFKDIWGLHGLHNXOWXUHOOHžEHUOHJHQKHLWGHUGHU XQGZXUGHGHP$3$XQWHUVWHOOWžEHUGLHVS¦WHUDOV1RUGLVFKHU5LQJILUPLHUHQGH*HVHOOVFKDIWKDWWH5RVHQEHUJDXFK GD]X$OPJUHQ%LUJLWWD+HFNHU6WDPSHKO-DQ3LSHU  DQV).*¾QWKHU+ڔ5DVVHIRUVFKHUږRQWDNW]XP(XJHQLNHUXQG. NORDEUROPAforumLQ7KHRULHXQG3UD[LVLQڔQRUGLVFKH*HGDQNHږ$OIUHG5RVHQEHUJXQGGLH1RUGLVFKH*HVHOOVFKDIW'HUUQVW)   + 61

0RQDWVKHIWH. Dabei kam es jedoch unweigerlich zu Widersprüchen, etwa wenn Goebbels‘ Propag- andaministerium einen vorgeblich „asiatischen Charakter“ des Bolschewismus nicht mehr heraus gestellt haben wollte, Leibbrandt aber in einem Leitartikel eben jene „rassisch-völkische Bedingt- heit“ betonte.116 Die nicht nur weltanschauliche Rivalität von Rosenberg und seinem „Intimfeind“ Goebbels wurde durch solche Divergenzen – wie sie in vielen Fragen auftauchte, für die sich beide zuständig fühlten – weiter verstärkt. Für die Rosenberg’schen Konzepte erwies sich in der Folge der „Hitler-Stalin-Pakt“, den er als tak- WLVFKH+DQGOXQJDXVHLQHU=ZDQJVODJHKHUDXVDXஉDVVWHDOVJUR¡HLGHRORJLVFKH+HUDXVIRUGHUXQJ Die scheinbar völlige Umkehrungseiner Überzeugungen konnte er, der von der Richtigkeit seiner Weltanschauung überzeugt war, nicht ohne weiteres teilen. Goebbels‘ entsprechende Propaganda, die „Umärmelung“ der Sowjetunion erschien ihm „mehr als peinlich“, der Vertragsschluss werde sich „irgendwann an uns rächen“117. Die Aktivitäten seiner Behörden ließ er daher zunächst un- YHUPLQGHUWIRUWVHW]HQ]XPDOGDVLGHRORJLVFKHEHJU¾QGHWH=LHOHLQHV$QJULஉVDXIGHQPRPHQWDQHQ Bundesgenossen – wie bereits geschildert – stets aufrechterhalten wurde. Weiterhin bot der Überfall auf Polen genügend Möglichkeiten für eine publizistische Tätigkeit zu -EHVRQGHUVLP5DKPHQGHV$PWV6FKULIWWXPVS஋HJH'LH%URVFK¾UH'HU.DPSILP2Vڔ2VWIUDJHQږ WHQELV]XU(UULFKWXQJGHVGHXWVFKHQ,QWHUHVVHQVJHELHWHV etwa versammelte Beiträge von Ostfor- schern wie Hermann Aubin (1885-1969) oder Theodor Oberländer (1905-1998). Die staatlich massiv unterstützten Forschungsaktivitäten, etwa im Rahmen der Nord- und Ostdeutschen Forschungsge- meinschaft (NODFG) unter Beteiligung von Wissenschaftlern wie Theodor Schieder (1908-1984) und Werner Conze (1910-1986), sollte die „Landnahme“ historisch legitimieren und die einsetzende „Volkstumspolitik“ grundieren. 118 6S¦WHVWHQVPLWGHP)U¾KMDKUZDU5RVHQEHUJ¾EHUGLH3O¦QHGHV$QJULஉVDXIGLH6RZMHWXQLRQ informiert und erhielt von Hitler die Mitteilung, er solle als „politischer Berater“ in die zukünftigen (QWZLFNOXQJHQPLWHLQJHEXQGHQZHUGHQ$QGHUPLOLW¦ULVFKHQ3ODQXQJI¾UGHQ$QJULஉZDUHU]ZDU nicht beteiligt, sollte aber bei den weitreichenden bevölkerungspolitischen Konzeptionen eine wich- tige Rolle spielen. Ausgangspunkt war die Vorstellung einer Denkschrift bei Hitler am 2. April 1941, in der Rosenberg vor allem die wirtschaftlichen Möglichkeiten der zu erobernden Gebiete heraus- strich,119 gleichzeitig aber auch seine politischen Neuordnungskonzepte – Zerschlagung („Dekom- GHU6RZMHWXQLRQGDPLW6FKDஉXQJHLQHV6LHGOXQJVUDXPVI¾UGLH'HXWVFKHQVRZLHHLQHV ڔSRVLWLRQ „Restrusslands“ als „Abschubraum“ für „unerwünschte Elemente“ – mit einband. Die darin zum Ausdruck kommende Übereinstimmung mit den Vorstellungen Hitlers ermöglichte die am 17. Juli folgende Ernennung Rosenbergs zum „Reichsminister für die besetzten Ostgebiete“. Seine Vorstellungen über die zukünftige Gestaltung des „Ostraums“ entwickelte er in zahlreichen Reden, etwa am 20. Juni vor Vertretern aus Wehrmacht und Partei oder auf einem Schulungslehr-

1DWLRQDOVR]LDOLVWLVFKH0RQDWVKHIWH5DVVLVFKY¸ONLVFKH%HGLQJWKHLWGHUEROVFKHZLVWLVFKHQ5HYROXWLRQLQHLEEUDQGW*HRUJ/ٺ  + 'DVSROLWLVFKH7DJHEXFK$OIUHG5RVHQEHUJVDXVGHQ-DKUHQ5RVHQEHUJ$OIUHG7DJHEXFKHLQWUDJYRP$XJXVWٺ XQGQDFKGHUSKRWRJUDSKLVFKHQ:LHGHUJDEHGHU+DQGVFKULIWDXVGHQ1¾UQEHUJHU$NWHQ+JXHUOYRQ +DQV*¾QWKHU6HUDSKLP*¸WWLQJHQ%HUOLQ)UDQNIXUWDP0DLQ /XQGJUHHQ2VWHXURSDIRUVFKXQJXQG/HEHQVUDXPSROLWLNLP'ULWWHQ5HLFKLQ6LHKHLP=XVDPPHQKDQJ.OH¡PDQQ&KULVWRSKٺ 3HWHU +JJ :LVVHQVFKDIWLP'ULWWHQ5HLFK)UDQNIXUWDP0DLQ (GLWLRQ6XKUNDPS1HXH)ROJH EHV ڔ9RONVWXPVNDPSIږ+LVWRULNHULP1DWLRQDOVR]LDOLVPXV'HXWVFKH*HVFKLFKWVZLVVHQVFKDIWXQGGHUVRZLHVHKUSRLQWLHUW+DDU,QJR LP2VWHQ$XIO*¸WWLQJHQ .ULWLVFKH6WXGLHQ]XU*HVFKLFKWVZLVVHQVFKDIW 'HU9HUVWULFNXQJYRQQDFKZHLWHU KDWLQGHQYHUJDQJHQHQ-DKUHQHLQHUHLFKH)RUVFKXQJVOLWHUDWXUKHUYRUJHEUDFKWڔ9RONVWXPVSROLWLNږDNWLYHQ:LVVHQVFKDIWOHUQLQGLH GHUVLFKKLHUQLFKWZHLWHUJHZLGPHWZHUGHQNDQQ ([SORLWDWLRQ5HVHWWOHPHQW0DVV0XUGHU3ROLWLFDODQG(FRQRPLF3ODQQLQJIRU*HUPDQ9JOLP=XVDPPHQKDQJ.D\$OH[-ٺ 2FFXSDWLRQ3ROLF\LQWKH6RYLHW8QLRQ1HZ

gang für Parteivertreter am 27. Oktober.120 Die Möglichkeit eines Bündnisses mit einem „National- russland“ wurde dabei erneut entschieden abgelehnt, die Bedeutung der zu erobernden Räume für -XQWHUEHLO¦XஊJHU(UZ¦KQXQJGHUGDUDXVUHVXOWLHڋEHWRQWڔ9RONVHUQ¦KUXQJږGLH]XN¾QIWLJHGHXWVFKH -würden. Zu 121ڔVLFKHUVHKUVFKZHUH-DKUHEHYRUVWHKHQ@ڞ

vom „Ostministerium“ geleiteten „Reichskommissariate“ wieder ins Gespräch zu bringen. Doch sei- ne entsprechenden Handlungen und Äußerungen blieben widersprüchlich. Einerseits kritisierte er allzu ausschweifende „Herrenmenschenallüren“, anderseits forderte er selber ein „selbstverständli- ches Herrentum in Haltung und Handlung“127. Und pragmatischere, den militärischen Zwangslagen geschuldete Vorhaben wie die Bildung der „Wlassow-Armee“ stießen dann auf den Widerstand des HEHQDXVLGHRORJLVFKHQ*U¾QGHQڋڔKHஊGHRORJHQ&ږ Sein Ministerium und die zugeordneten Stellen wie der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) sorgten auch in den Kriegsjahren für eine nahezu unüberschaubare Flut an Publikationen und Ma- terialsammlungenmit „wissenschaftlichem Anspruch“ zu Russland und dem „Ostraum“.128 Eines der umfangreichsten Projekte in diesem Zusammenhang war die von Georg Leibbrandt herausgegebene Reihe %¾FKHUHLGHV2VWUDXPHVDQGHUXQWHUbDQGHUHPDXFK2WWR%U¦XWLJDPDOV$XWRUEHWHLOLJWZDU In ihr wurden von 1941 bis 1943 zahlreiche Abhandlungen zu den Völkern der Besatzungsgebiete in der Sowjetunion in historischer und zeitgenössischer Perspektive sowie Kartenmaterial versam- VFKHQڐNODVVLஊ]LHUW'LH5RVHQEHUJڔ1XUI¾UGHQ'LHQVWJHEUDXFKږPHOW0HKUHUH%¦QGHZDUHQDOV bevölkerungspolitischen Überlegungen wurden hier einmal mehrin ihrer ganzen Breite entfaltet und begründet. Die Realität des Kriegsgeschehens allerdings widersprach den in solchen Vorhaben ausgebreiteten Vorstellungen immer mehr. Die Ambivalenzen, die die Russlandbilder und -konzepte Rosenbergs und der führenden NS-Protagonisten aufwiesen, sollten in der propagandistischen Umsetzung der ideologischen Vorgaben unter Beibehaltung der skizzierten Grundlinienebenfalls zu Tage treten, wie nun kurz zu zeigen ist.

2.5 Propagandistische Variationen Eines der wichtigsten Medien nationalsozialistischer Propaganda bildeten Zeitungen wie der 9¸O- -VDFKOLږP*HJHQVDW]]X,ڔULWWHQ5HLFK'ږNLVFKH%HREDFKWHUDOVDX஋DJHQVW¦UNVWH7DJHV]HLWXQJLP cher“ gestalteten Publikationen wie der seit Mai 1940 erscheinenden Wochenzeitung 'DV5HLFK als bald zweitgrößtem nationalsozialistischen Presseorgan blieb der %HREDFKWHU das, was er bereits zu Zeiten der Weimarer Republik gewesen war: ein Kampfblatt.129 Deutlich wird die Widersprüchlichkeit der propagandistischen Berichterstattung zur Sowjetunion im 9¸ONLVFKHQ%HREDFKWHU besonders in der Analyse der Beiträge im Umfeld des „Hitler-Stalin-Pakts“ 1939. Autoren, die sich vorher regelmäßig zu entsprechenden Themen geäußert hatten, lieferten nun kaum noch Beträge. Alfred Rosenberg etwa hatte bis einschließlich Mai 1939 – mit einem Höhe- VLHEHQ$UWLNHOYHU¸உHQWOLFKW9RQ-XQLELV6HSWHPEHUHUVFKHLQGDQQNHLQHLQ]LJHUDXVڋSXQNWLP$SULO seiner Feder, von Oktober bis Dezember lediglich drei, in denen nicht direkt auf die Sowjetunion ein- gegangen wurde.130 Andere Autoren wie Theodor Seibert (geb. 1896), Leiter des Auslandsressorts und zwischen 1926 und 1929 Moskau-Korrespondent für verschiedene deutsche Zeitungen, versuch- ten hingegen nahezu begeistert, die politische Entwicklung weltanschaulich zu begründen. Seibert hatte sich bereits zuvor mit antibolschewistischer Agitation eher zurückgehalten und trat nun mit insgesamt 82 (!) Aufsätzen hervor, davon allein 49 ab August 1939. In Anknüpfung an nationalbol- schewistische Positionen und im Sinne der alten Goebbels’schen Konzeption wurde die Sowjetunion als das „Jungrussland“ geschildert, mit dem ein nationalsozialistisches Deutschland bedenkenlos $OIUHG5RVHQEHUJLWQDFK:HL¡EHFNHU=ٺ \8QGHUWKH0DSRI*HUPDQKLQDXVVLHKH+HUE*XQWUDP+ڔ2VWPLQLVWHULXPږXGHQHQWVSUHFKHQGHQ$NWLYLW¦WHQ¾EHUGDV=ٺ 1DWLRQDOLVPDQG3URSDJDQGD/RQGRQ =XDas ReichVLHKHHEG6VRZLH]XOHW]W3ODQN-RXUQDOLVPXVLP'ULWWHQ5HLFK9JODOOJHPHLQ)UHL6FKPLW]ٺ 9LFWRULD'LH:RFKHQ]HLWXQJ'DV5HLFK2IIHQEDUXQJVHLGRGHU+HUUVFKDIWVLQVWUXPHQW"LQ+HLGHQUHLFK1HLW]HO0HGLHQLP1DWLR QDOVR]LDOLVPXV EHUGLH8G665¾ڔONLVFKH%HREDFKWHU¸9ږ'HU+LWOHU6WDOLQ3DNWLQGHU3URSDJDQGDGHV/HLWPHGLXPV'HU9JO)ORULQ0RULW]ٺ LP-DKUH%HUOLQ0¾QVWHU 2VWHXURSD*HVFKLFKWH:LUWVFKDIW3ROLWLN bIIX 64 Ostblicke — Zeitschrift der Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V.

zusammenarbeiten könne.131 Die sprunghaft betriebene Pressepolitik verdeutlicht die eigentlichen Unvereinbarkeiten der ein- ander widersprechenden weltanschaulichen Elemente. Mit den Novemberprogromen des Jahres 1938hatte im 9¸ONLVFKHQ%HREDFKWHU eine scharfe antisemitische Kampagne begonnen, die mit anti- bolschewistischen Tendenzen verknüpft und bis Februar des folgenden Jahres betrieben wurde. An- schließend wurde gegen angebliche „Einkreisungsversuche“ Großbritanniens und der Sowjetunion polemisiert. Mit der Entlassung des sowjetischen Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten, Maxim Maximowitsch Litwinow (1876-1951)132, sollten dann zwar antisowjetische Ausfälle einge- stellt werden. Der Bolschewismus allgemein aber blieb weiterhin Ziel der Propaganda.133 An eine begrenztere Zielgruppe richtete sich dabei die von Reichswehr bzw. später Wehrmacht her- ausgegebene Schulungsliteratur.134 Auch hier lassen sich vielfach Veränderungen und Widersprüche LQGHULQKDOWOLFKHQ$XVULFKWXQJIHVWVWHOOHQ,QVEHVRQGHUH]ZLVFKHQXQGNDPHVLQGHURஉL- ziellen Schulungsliteratur für die Soldaten zu unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Beschränk- te man sich zunächst auf innenpolitische Aspekte der „bolschewistischen Gefahr“, wurde später der internationale Charakter der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ stärker hervorgeho- ben. In den Militärzeitschriften wie dem 0LOLW¦UZRFKHQEODWW und der 'HXWVFKHQ:HKU bemühte man sich demgegenüber um eine pragmatischere, auf militärwissenschaftliche Aspekte konzentrierte, von einer ideologisch begründeten Gegnerschaft unabhängige Einschätzung der Sowjetunion. Auch wurde die Möglichkeit einer Kooperation, anknüpfend an die militärische Zusammenarbeit in den 1930er Jahren, nicht ausgeschlossen.135 Zu zahlreichen Umschwüngen in der Darstellung der Sowjetunion kam es auch während des Krieges ab Juni 1941. In den Mitteilungen für die Truppe wurde der militärische Gegner zunächst als ein „Reich des Satans“ dargestellt und die Auseinandersetzung als „apokalyptischer Endkampf“ geschil- dert.136(LQZHLWHUHVSURSDJDQGLVWLVFKHV0XVWHUELOGHWHGLH'LஉDPLHUXQJGHUVRZMHWLVFKHQ6ROGDWHQ und Bevölkerung als „Untermenschen“, die es durch das „edle Blut“ der deutschen Truppen zu besiegen gelte. Der Gegner wurde dabei gleichsam „entmenschlicht“ und als „Mörder ohne Seele“ GDUJHVWHOOW,P=XJHGHUHUVWHQPLOLW¦ULVFKHQ5¾FNVFKO¦JHZXUGHQGLHVHSDXVFKDOHQ'LஉDPLHUXQ- JHQDOOP¦KOLFKGLஉHUHQ]LHUWYRUHLQHUDOO]XJUR¡HQHLJHQHQžEHUKHEOLFKNHLWJHZDUQWXQG]ZLVFKHQ „einfachen Russen“ und wirklichen „Bolschewiken“ unterschieden. Ab Anfang 1943 zersplitterte das geschilderte Bild von der Sowjetunion immer mehr. Einerseits wurde vermehrt für eine Zusam- menarbeit mit der lokalen Bevölkerung geworben. Anderseits ist ein Wiederaufgreifen von antibol- schewistischen Motiven aus dem ersten Kriegsjahr zu verzeichnen, ebenso wie die Schilderung der

9JOHEGٺ LWZLQRZWUDWI¾UHLQH=XVDPPHQDUEHLWPLWGHQ:HVWP¦FKWHQHLQXQWHUVHLQHP1DFKIROJHU:MDWVFKHVODZ0LFKDLORZLWVFK/ٺ 0RORWRZ  ZXUGHQLQ]HLWZHLOLJHU8PNHKUXQJGLHVHU=LHOVHW]XQJGLH9HUKDQGOXQJHQI¾UGHQGHXWVFKVRZMHWLVFKHQ 1LFKWDQJULIIVSDNWYRUDQJHWULHEHQ 'LH/HLWDUWLNHOGHV9¸ONLVFKHQ%HREDFKWHUVDQGHQ:HQGHSXQNWHQGHV=ZHLWHQ6LHKHLP=XVDPPHQKDQJDXFK3DSSHUW/DUVٺ 9LVLRQڋ1DWLRQڋ5HJLRQ +J %OHVVLQJ:HUQHU.HOWNULHJHV(LQ%HLWUDJ¾EHUGLH3UHVVH3URSDJDQGDGHV'ULWWHQ5HLFKHVLQ: )HVWVFKULIWI¾U.DUO0¸FNO]XP*HEXUWVWDJ%DPEHUJ LQGHU6FKXOXQJVOLWHUDWXUYRQ5HLFKVZHKUXQG:HKUPDFKW]ZLVFKHQڔROVFKHZLVPXV%ږ'DV)HLQGELOG9JO-DQVVHQ-RFKHQٺ 9HUI¾KUXQJHQGHU*HZDOW +JJ (LPHUPDFKHU9ROSHUW%RUGMXJRZQWZLFNOXQJHQXQG:LGHUVSU¾FKHLQ)ڋXQG 163URSDJDQGDLQQHUKDOEGHU:HKUPDFKWXQGڔ8QWHUPHQVFKږ)HLQGELOG6LHKHLP=XVDPPHQKDQJDXFK=HLGOHU0DQIUHG 9RHQQRSOHQQ\Hڋ.ULHJVJHIDQJHQH +J +DXVGHU*HVFKLFKWHGHU%XQGHVUHSXEOLN'HXWVFKODQGJHJHQ¾EHUGHU5RWHQ$UPHHLQ 6RZMHWLVFKH.ULHJVJHIDQJHQHLQ'HXWVFKODQGGHXWVFKH.ULHJVJHIDQJHQHLQGHU6RZMHWXQLRQ'¾VVHOGRUI 5HLFKVLQGHQ:HLPDUHU-DKUHQVLHKHXPIDVVHQG=HLGOHU0DQIUHGڔ5RWHU$UPHHږXU.RRSHUDWLRQ]ZLVFKHQ5HLFKVZHKUXQG=ٺ ZHKUXQG5RWH$UPHH:HJHXQG6WDWLRQHQHLQHUXQJHZ¸KQOLFKHQ=XVDPPHQDUEHLW$XIO0¾QFKHQ HVHOOVFKDIWOLFKH3U¦JXQJXQG)UHPGZDKUQHKPXQJLQ)HOGSRVW*ڔNOHLQHQ0DQQHVږ'DV5XVVODQGELOGGHVD]X6WHQ]HO7KLOR'ٺ EULHIHQDXVGHP2VWIHOG]XJ  0¾QFKHQ 0LWWHLOXQJHQGHV2VWHXURSD,QVWLWXWV0¾QFKHQ  65

„Roten Armee“ als „asiatische Flut“ aus „roten Bestien“.137 Neben der textlichen Komponente kam in der Propaganda auch visuellen Darstellungen, wie sie etwa in den Wochenschauen verbreitet wurden, eine wichtige Rolle zu.138 Ausgehend von einem ers- ten, auf die Sowjetunion bezogenen Bericht am 7. August 1935 wurde hierbei das Bild einer „roten Gefahr“ gezeichnet, die aufgrund der angeblichen „rassischen Minderwertigkeit“ des russischen Volkes durch eine „jüdische Intrige“ heraufbeschworen wurde. Dazu wurden Filmszenen aus unter- schiedlichen historischen Zusammenhängen zu einer scheinbaren Einheit verbunden und die angeb- liche „Zivilisationsfeindlichkeit“ und chaotische Bedrohung durch die Sowjetunion herausgestellt. Zwischen 1939 und 1941 wurde demgegenüber das Bild zweier befreundeter Staaten gezeichnet, GLHJHUDGHLQZLUWVFKDIWOLFKHU+LQVLFKWHQJ]XVDPPHQDUEHLWHWHQ0LWஊOPLVFKHQ0LWWHOQJHODQJHV jedoch, den östlichen Partner dabei als unterlegen darzustellen. Ab Juli 1941 standen dann wieder der „jüdische Bolschewismus“ sowie die vorgebliche, „asiatische“ Bestialität und Wildheit der so- ZMHWLVFKHQ 6ROGDWHQ LP =HQWUXP GHU ஊOPLVFKHQ %HLWU¦JH .ULHJVJHIDQJHQH ZXUGH DOV HUVFK¸SIWH abgerissene Verbrecher dargestellt.139 Die „Existenzbedrohung“ durch die „östlichen Untermenschen“ erschien also mit einer Ausnahme zwischen 1939 und 1941 als konstantes Element der visuellen Propaganda. Dies wird auch an der Darstellung des sowjetischen Kriegsgegners auf Propagandaplakaten deutlich, wobei drei Muster -VODZLVFKUDVVLVWLVFKH0HUNڔDVLDWLVFKHږEHVRQGHUVK¦XஊJHUVFKLHQHQ(UVWHQVZHUGHQWUDGLWLRQHOOH -JUDXVDPHEOXWU¾QVWLJHXQGڔXQWHUPHQVFKOLFKHږPDOHDXIJHJULஉHQXQGGHU*HJQHUDOVQLFKWE]Z dämonische Figur zur existentiellen Bedrohung stilisiert. Ein zweites Muster übernimmt starke anti- XJHVFKULHEHQ6WHUHRW\SHQXbDLQGHU)RUPGHV[ڔGHQ-XGHQږVHPLWLVFKH(OHPHQWHXQGZHQGHWGLH Kopfes und der Nase, beispielsweise auf Stalin an. In Verbindung damit erscheint als dritte wichtige Variante ein antibolschewistischer und antisowjetischer Typ, der auf die Umwälzungen und negati- ven Veränderungen durch Industrialisierung und Kollektivierung abzielte.140

3 Zusammenfassung Die ideologischen Grundmuster Antislawismus, Antisemitismus und Antibolschewismus in Bezug auf die nationalsozialistischen Vorstellungen von „Russland“ und der Sowjetunion erschienen in un- terschiedlichen Ausprägungen und Gewichtungen also sowohl in den ideologischen Äußerungenals auch in deren propagandistischer Umsetzung, in textlicherwiein visueller Hinsicht. Bei aller Wider- sprüchlichkeit und Gegensätzlichkeit vom Beginn der 1920 Jahre bis zum Ende des Zweiten Welt- NULHJHVHUVFKHLQWDXஉ¦OOLJGDVV]XPLQGHVWGLHDQWLVHPLWLVFKH$XVULFKWXQJVWHWVEHLEHKDOWHQZHQQ auch gelegentlich zurückgefahren wurde. Der Antisemitismus bildet mithin das Verbindungsele- ment, der bei allen ideologischen Unterschieden zwischen Adolf Hitler und den anderen führenden XU:LUNVDPNHLWXQG$XIQDKPHGHUSURSDJDQGLVWLVFKHQ=ڔROVFKHZLVPXV%ږ'DV)HLQGELOGHJULIIHEHL-DQVVHQ%ٺ ڔNOHLQHQ0DQQHVږ'DV5XVVODQGELOGGHVWLJNHLWEHLGHQ6ROGDWHQVLHKHDP%HLVSLHOGHU$XVZHUWXQJYRQ)HOGSRVWEULHIHQ6WHQ]HO¦7 ZHL)HLQGELO=ڋ5XVVHQXQG'HXWVFKHDP%HLVSLHOGHU$XVZHUWXQJOLWHUDULVFKHU9HUDUEHLWXQJHQ.RUWVFKDJLQD0DULDQQD GHULQ'UDENLQ-DNRZ +J $QQ¦KHUXQJHQDQGLHUXVVLVFKHXQGGLHGHXWVFKH*HVFKLFKWH%HULFKWHGHV)RUVFKXQJV]HQWUXPVI¾U GHXWVFKH*HVFKLFKWHLQ0RVNDX.¸OQ =ZLVFKHQ$QVSUXFKXQG:LUNOLFKNHLW'LH:RFKHQVFKDXDOV3URSDJDQGDLQVWUXPHQW9JOGD]XMHW]WHLQI¾KUHQG%DUWHOV8OULNHٺ LP'ULWWHQ5HLFKLQ+HLGHQUHLFK1HLW]HO +JJ 0HGLHQLP1DWLRQDOVR]LDOLVPXVDXVI¾KUOLFKGLHV'LH:RFKHQVFKDXLP 'ULWWHQ5HLFK(QWZLFNOXQJXQG)XQNWLRQHLQHV0DVVHQPHGLXPVXQWHUEHVRQGHUHU%HU¾FNVLFKWLJXQJY¸ONLVFKQDWLRQDOHU,QKDOWH )UDQNIXUWDP0DLQXbD (XURS¦LVFKH+RFKVFKXOVFKULIWHQ5HLKH*HVFKLFKWHXQGLKUH+LOIVZLVVHQVFKDIWHQ  'DV)HLQGELOGLP:DQGHO'LH6RZMHWXQLRQLQGHQQDWLRQDOVR]LDOLVWLVFKHQ:RFKHQVFKDXHQ9JO3LHWURZ(QQNHU%LDQNDٺ LQ*HVFKLFKWHLQ:LVVHQVFKDIWXQG8QWHUULFKW  EHVVRZLHDOV0DWHULDOVDPPOXQJGLHV'LH6RZMH WXQLRQLQGHU3URSDJDQGDGHV'ULWWHQ5HLFKHV'DV%HLVSLHOGHU:RFKHQVFKDXLQ0LOLW¦UJHVFKLFKWOLFKH0LWWHLOXQJHQ  +  ڔ5DVVHQIHLQGږ0HWDPRUSKRVHQGHV%¸VHQ6LHKH]XIDVVHQGDXFK:HWWH9JO:DVFKLNٺ 66 Ostblicke — Zeitschrift der Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V.

Nationalsozialisten stets ein einigendes Zentrum der Weltanschauung und bereits seit den frühesten Tagen der „Bewegung“ den Kern ihrer Propaganda darstellte.141 Insofern erscheinen die verschiedenen nationalsozialistischen Russlandvorstellungen vielleicht oft -in allen ihren unterschiedlichen, ideologischen wie propagandisti – 142ڔYDULDEHOږ XQG ڔGLஉXVږ DOV schen Ausprägungsformen lassen sie sich jedoch stets auf die drei Grundmuster zurückführen. Zwar werden dabei jeweils unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, bestimmte Elemente ausgespart, neu kombiniert und wieder eingefügt. Man kann also durchaus von einem „Schüttelbild“ sprechen, das je nach Bedarf nach außen vertreten wurde. Nach innen jedoch schien zumindest ab 1923 bzw. 1926 und spätestens ab 1933 ein solches „Schütteln“ nicht mehr nötig: der allumfassende Vernichtungs- und Endkampf gegen das Judentum war auch in Bezug auf Russland das entscheidende weltanschau- liche Zentrum des Nationalsozialismus.

'HU5XVVODQG.RPSOH[IRHQHQ.ٺ ڔڞHQQKLHU'HXWVFKHZRKQWHQ:ږ6R:HL¡EHFNHUٺ Ostblicke 2013 | Jahrgang 4

Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V. 2 Ostblicke — Zeitschrift der Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V.

Impressum

Herausgeber Ostblick – Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V. www.ostblick-deutschland.de

Redaktion David Leuenberger, Sven Mörsdorf, Robin Roth Mail: [email protected]

Satz & Layout Michaela Meißner, David Leuenberger

© Ostblick - Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V. 2013

ISSN 2190-5134 (Ostblicke 2013 | Jahrgang 4) 3

Inhaltsverzeichnis

6 Editorial

8 Vorwort der Altkirchenväter zum Jubiläumskongressband

0LWWHOHXURS¦LVFKH9HU୾HFKWXQJHQLP0LWWHODOWHU

13 $QGUHD+DXஉ Weibliche Heilige in Ostmitteleuropa im 13. Jahrhundert

21 0DUWLQD-DPERURY£.DWHěLQD9ROHNRY£ Zur Rezeption der lateinischen und deutschen Lexikographie im mittelalterlichen Böhmen

Russisch-deutsch-europäische Bilder

31 Philipp Brugner Die russischen Slawophilen. Ein Versuch, die ideologische Eigenständigkeit der Bewe- gung kritisch zu hinterfragen

43 Martin Munke Russlandbilder im Nationalsozialismus: Hitler, Goebbels, Rosenberg

67 Urszula Lang Zur Kriminalisierung und Verfolgung der Kontakte zwischen Polen, Ostarbeitern und Deutschen während des II. Weltkrieges

*HVHOOVFKDIWLP8PEUXFKXQGVR]LDOLVWLVFKHU6WDDWLQ3ROHQ

77 Jonas Grygier Verwaltete Staatlichkeit als soziale Praxis – Überlegungen zum Zusammenhang von Verwaltung und sozialistischer Staatlichkeit im Spannungsfeld von Herrschaft und Lebenswelten 4 Ostblicke — Zeitschrift der Initiative OsteuropaStudierender Deutschland e.V.

91 Joanna Wiesler 'LH*HVHOOVFKDIWGHU.LQGHUIUHXQGH 7RZDU]\VWZR3U]\MDFLµĄ']LHFL DOV2UJDQLVDWRU der Laienschule 1945-1956

.¾QVWOHULVFKH,GHQWLW¦WHQLP-DKUKXQGHUW

99 Ingeborg Jandl Zur Verbindung zwischen Name und Wesen. Integration und Funktion von Eigenna- men in Marina Cvetaevas Lyrik

115 Valeri Lalov Kiril Conevs Methoden der Kunstvermittlung

Aspekte der Transformation im postsowjetischen Russland

137 Marina Egorova Gläserne Schokoladenfabrik, Besucherbergwerk und Autofabrik? Die Entwicklung des Werks- und Fabriktourismus in Russland

141 Saskia Göldner Zwischen Markt und Protest. Aktionskunst im heutigen Russland

152 AutorInnen-Verzeichnis

156 Abstracts