Plenarprotokoll 13/186

Deutscher Bundestag

Stenographischer Bericht

186. Sitzung

Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Inhalt:

Zusatztagesordnungspunkt: Dr. CDU/CSU . . . 16845 B Erklärung durch die Bundesregierung: Hans-Peter Repnik CDU/CSU 16845 D Die Hochwasserkatastrophe an der Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE Oder und die Hilfsmaßnahmen der GRÜNEN 16848 C Bundesregierung 16823 B Carl-Ludwig Thiele F.D.P. 16852 A in Verbindung mit Joachim Poß SPD 16852 D Tagesordnungspunkt 1: Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16853 A a) Vereinbarte Debatte zur Hochwasser- katastrophe an der Oder 16823 B Peter Dreßen SPD 16855 D Dr. , Bundeskanzler . . . 16823 D Dr. Gregor Gysi PDS 16856 C Dr. Manfred Stolpe, Ministerpräsident Dr. Peter Struck SPD 16859 C (Brandenburg) 16826 C Joachim Hörster CDU/CSU 16859 D Ulrich Junghanns CDU/CSU 16827 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 3: DIE GRÜNEN 16829 D Jürgen Türk F.D.P 16831 A a) Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes Rolf Kutzmutz PDS 16832 C (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Dr. Mathias Schube rt SPD 16833 C Fortsetzung der Unternehmenssteuer- reform (Drucksachen 13/901, 13/7000, Tagesordnungspunkt 2: 13/7570, 13/7579, 13/8325) 16860 B a) Vereinbarte Debatte zu Steuern und b) Beschlußempfehlung des Ausschusses Arbeitsplätzen 16835 A nach Artikel 77 des Grundgesetzes b) Erste Beratung des von den Fraktionen (Vermittlungsausschuß) zum Steuerre- CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE formgesetz 1998 (Drucksachen 13/7242, GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten 13/7775, 13/8020, 13/8177, 13/8178, Entwurfs eines ... Gesetzes zur Ände- 13/8326) 16860 C rung des Grundgesetzes (Artikel 28 GG) (Drucksache 13/8340) 16835 A c) Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 16835 B (Vermittlungsausschuß) zum Steuerre- Dr. Henning Voscherau, Präsident des formgesetz 1999 (Drucksachen 13/7480, Senats () 16839 C 13/7917, 13/8022, 13/8023, 13/8177, Johannes Selle CDU/CSU 16841 A 13/8179, 13/8327) 16860 C Dr. Gerhard Stoltenberg CDU/CSU . 16841 D, 16842 A Nächste Sitzung 16861 C II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Anlage 1 Rübenkönig, Gerd Höfer, Berthold Wittich, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Dr. R. Wer- Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16863* A ner Schuster, Alfred Hartenbach, Joachim Tappe (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschus- 2 Anlage ses nach Artikel 77 des Grundgesetzes Erklärung nach §31 GO der Abgeordne (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur ten Bernd Reuter, Barbara Imhof, E rika Fortsetzung der Unternehmenssteuerre- Lotz, Erwin Horn, B rigitte Lange, Gerhard form 16864* A

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186. Sitzung

Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Beginn: 13.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Verehrte Kollegin- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für nen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet. die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklä- rung eine Stunde vorgesehen. Die heutige Sitzung habe ich gemäß A rt. 39 Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 21 Jetzt wird es einen Augenblick dauern. Der Bun- Abs. 2 der Geschäftsordnung auf Verlangen der deskanzler ist auf dem Weg. Sobald er hier ist, wird Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. einberufen. er die Regierungserklärung abgeben. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Ihnen (Unruhe bei der SPD und dem BÜND mitteilen, daß zu Beginn der heutigen Tagesordnung NIS 90/DIE GRÜNEN - Otto Schily [SPD]: der Bundeskanzler eine Erklärung zur Hochwasser- Das fängt ja gut an! - Joseph Fischer katastrophe an der Oder und Hilfsmaßnahmen der [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bundesregierung abgeben wird. Wir könnten in der Zwischenzeit etwas anderes machen!) Der auf der Tagesordnung unter 1 b aufgeführte Antrag auf Drucksache 13/8338 soll abgesetzt und Wir kommen jetzt zur Regierungserklärung. Der durch einen interfraktionellen Entschließungsantrag Bundeskanzler sagt mir gerade,- es sei noch etwas da- auf Drucksache 13/8341 ersetzt werden. zwischengekommen. Ich denke, so etwas gibt es bei Regierungsgeschäften. Interfraktionell ist vereinbart worden, bei der er- sten Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Ich erteile jetzt das Wo rt zur Regierungserklärung Grundgesetzes auf Drucksache 13/8340 von der F rist dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl. für den Beginn der Beratung abzuweichen. Bundeskanzler: Frau Präsidentin! Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Dr. Helmut Kohl, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. bitte ich um Entschuldigung dafür, daß es etwas spä- ter geworden ist. Aber das gibt es in der Tat, und Ich rufe den Zusatzpunkt sowie Tagesordnungs- man kann es nicht immer vermeiden. punkt 1 a auf: Meine Damen und Herren, auch in diesem Augen- ZP Abgabe einer Erklärung durch die Bundesre- blick kämpfen Tausende von Helfern darum, die Dei- gierung che an der Oder zu sichern. Die Lage in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten ist immer noch Die Hochwasserkatastrophe an der Oder und dramatisch. Zwar wächst nach den Nachrichten der die Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung letzten Stunden die Hoffnung, daß die größte Gefahr 1. a) Vereinbarte Debatte vorüber ist. Doch leider - Sie wissen das - gibt es noch keinen Anlaß zur Entwarnung. zur Hochwasserkatastrophe an der Oder Dies ist die größte Naturkatastrophe, die das wie- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ dervereinigte Deutschland getroffen hat, und es ist DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, halt! Wir zugleich eine der schlimmsten Katastrophen in haben doch noch Geburtstagskinder, oder Deutschland in diesem Jahrhundert. Seit über zwei nicht?) Wochen bedroht das Hochwasser die Bevölkerung in - Auch das hätten wir, Herr Fischer, wenn ich es der Oderregion und verursacht immer größere Schä- wollte. den. Die Ziltendorfer Niederung ist überflutet. Eine Fläche von 650 Quadratkilometern im Oderbruch ist Es liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag akut gefährdet. Rund 5 000 Menschen mußten im der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, Bündnis 90/ Verlauf der Hochwasserkatastrophe evakuie rt wer- Die Grünen und der F.D.P. vor. den. Weitere Tausende sitzen buchstäblich auf ge- 16824 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl packten Koffern. Ihnen allen gilt unsere Sorge. Wir noch weiter verhindern mögen. Er gilt den vielen hoffen und beten, daß die Deiche standhalten und freiwilligen Helfern, die nicht nur aus ganz Branden- das Schlimmste verhindert werden kann. burg, sondern aus vielen Teilen Deutschlands an die Oder gekommen sind, um einfach mit anzupacken. In dieser Situation brauchen die betroffenen Men- Er gilt den Beamten des Bundesgrenzschutzes und schen jede nur mögliche Unterstützung. Ihnen beizu- der Polizei, den Mitarbeitern des Technischen Hilfs- stehen ist ein dringendes Gebot der Solidarität, eine werkes, den Feuerwehren und vielen anderen Orga- nationale Aufgabe, der wir alle verpflichtet sind. nisationen, die unermüdlich am Werk sind. Vor einer Woche habe ich zum zweitenmal die so Er gilt ganz besonders den Soldaten unserer Bun- hart geprüfte Region besucht. Ich habe mit vielen Be- deswehr. troffenen gesprochen und habe, wie auch viele hier im Hause, erlebt, in welch verzweifelter Lage sie sich (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der befinden. Wir haben ihre Sorgen, ihre Ängste, aber SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch ihre Hoffnungen gespürt. Mich hat dies tief be- sowie bei Abgeordneten der PDS) rührt. Sie leisten im Kampf um die Deiche ganz Außerge- Meine Damen und Herren, es geht hier um Men- wöhnliches. Es sind großartige junge Männer, die al- schen, die nicht auf der Sonnenseite der deutschen les geben. Sie nehmen große Gefahren in Kauf, um Geschichte standen. In den Jahrzehnten der SED- anderen zu helfen. Auch in dieser Naturkatastrophe Diktatur hatten sie nicht die gleichen Chancen wie erweist sich erneut: Die Bundeswehr ist die Armee beispielsweise die Menschen an Rhein und Mosel. unseres Volkes. Wir sind stolz auf sie. Nach der Wende und der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes mußten sie sich auf eine völlige Verän- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und derung ihrer Lebensumstände einstellen. Und jetzt, der SPD) wo sich die ersten Früchte der Anstrengungen zei- Die anhaltend dramatische Situation an der Oder gen, bedroht die Flut des Hochwassers ihr Hab und macht den Einsatz von Kräften des Bundes weiter er- Gut. Manche haben alles verloren, was sie besaßen. forderlich. Bundeswehr, Bundesgrenzschutz und Diese Menschen haben allen Anspruch auf unse- Technisches Hilfswerk sind darauf eingestellt. Sie ren Beistand und auf unsere Unterstützung. Ich be- halten entsprechende Einheiten zur technischen Hil- kräftige hier erneut, was ich auch vor Ort gesagt feleistung und auch zur kurzfristigen Verstärkung habe: Wir lassen Sie nicht im Stich. bei eventuellen Deichdurchbrüchen bereit. Und sie werden auch zur Verfügung stehen, wenn die akute (Beifall im ganzen Hause) Gefahr gebannt und das Hochwasser - hoffentlich bald - abgelaufen ist. Dann, meine Damen und Her- Ich spreche für die Bundesregierung und - dessen ren, wird es darum gehen, die Betroffenen bei der bin ich sicher - auch für alle hier im Hause vertrete- Beseitigung der unmittelbaren Hochwasserfolgen nen Parteien, wenn ich sage: Wir werden weiterhin zu unterstützen und mit den Aufräumarbeiten, der alles tun, was in unserer Kraft steht, um Ihnen zu hel- Schlammbeseitigung sowie den Pump- und Abstüt- fen. zungsmaßnahmen zu beginnen. Dies alles wird in ei- Meine Damen und Herren, es zählt zu den Wider- ner engen Zusammenarbeit mit dem Land Branden- sprüchlichkeiten einer solchen Katastrophe, daß Not burg erfolgen. und Elend einhergehen mit der Erfahrung der besten Ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, Ihnen, menschlichen Eigenschaften. Überall an der Oder Herr Ministerpräsident Stolpe, und den Mitgliedern begegnen wir einer Einstellung, die gekennzeichnet Ihrer Regierung für Ihren Einsatz und auch für die ist von Mut und Entschlossenheit, von Hilfsbereit- gute Zusammenarbeit zu danken. schaft und von Gemeinschaftsgeist. Im Angesicht der Not stehen die Menschen in einer Weise zusammen, (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der die manch einer in unserem Land gar nicht mehr für SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möglich hielt. Das gilt zum Beispiel für die Einwoh- sowie bei Abgeordneten der PDS) ner der betroffenen Region, ihre besonnene Haltung und ihre Nachbarschaftshilfe. Dies a lles - so denke Meine Damen und Herren, unser besonderes Au- ich - verdient unsere Bewunderung. genmerk muß sich jetzt darauf richten, wie wir den von der Katastrophe schwer geprüften Menschen Es geht aber weit darüber hinaus. In ganz Deutsch- wirkungsvoll helfen können. Die Bundesregierung land haben die Fluten der Oder eine breite Welle von hat zur Milderung der akuten Notlage als allererste Mitgefühl und Solidarität erzeugt. Die Not der Be- Maßnahme einen Betrag von 20 Millionen DM für troffenen bewegt die Herzen überall in unserem Sofort- und Übergangshilfen zur Verfügung gestellt. Land. Ost oder West - das spielt angesichts dieser Eine entsprechende Verwaltungsvereinbarung mit Katastrophe keine Rolle mehr. Auf eine eindringliche dem Land Brandenburg wurde schon am 31. Juli un- Weise wird deutlich, wie sehr sich die Menschen in terschrieben. Deutschland als Gemeinschaft verstehen können, wenn es darauf ankommt. Dafür sollten wir dankbar Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hält zinsver- sein. billigte Kredite in einem Umfang von 200 Millionen DM für Hochwassergeschädigte bereit. Sie stehen Meine Damen und Herren, unser Dank gebührt al- vor allem kleinen und mittleren Unternehmungen, len, die mit aufopferungsvollem Einsatz bisher das Landwirten, aber auch Privatpersonen zur Verfü- Schlimmste verhindert haben und hoffentlich auch gung. Zusätzlich sind steuerliche Erleichterungen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16825

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl vorgesehen, wie zum Beispiel die Stundung von Uns kommt es sehr darauf an, daß all diese Hilfen Steuern oder der Abzug von Kosten für Wiederbe- rasch und möglichst unbürokratisch geleistet wer- schaffung von Hausrat und Kleidung als außerge- den; denn wir wissen aus der Erfahrung der Vergan- wöhnliche Belastung. genheit, daß schnelle Hilfe die beste Hilfe ist. Deswe- gen muß alles getan werden, um die Entscheidungen Gerade auch für die Landwirtschaft in der Oderre- möglichst unbürokratisch zu treffen. gion bedeutet das Hochwasser einen verheerenden Rückschlag. Wir müssen davon ausgehen, daß bis (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der zum heutigen Tage auf landwirtschaftlichen Nutzflä- SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen von rund 11000 Hektar die Ernte vernichtet ist, sowie bei Abgeordneten der PDS) und heute weiß noch niemand, ob es dabei bleiben wird. Die Finanzhilfen des Bundes, die auch land- Ich erwarte dies im übrigen auch von den Versi- wirtschaftlichen Bet rieben und Haushalten zugute cherungsunternehmen. kommen, werden dazu beitragen, den betroffenen (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Landwirten eine neue Perspektive zu geben. Zusätz- SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lich wird die Landwirtschaftliche Rentenbank Darle- sowie bei Abgeordneten der PDS) hen zu besonders günstigen Konditionen im Rahmen ihres Programmes für junge Landwirte anbieten. Ich gehe davon aus, daß die Abwicklung der Scha- densfälle nicht mit dem Finger auf dem Kleinge- Der Finanzierung von Hilfsmaßnahmen für die druckten, sondern mit der größtmöglichen Kulanz er- Hochwassergeschädigten dient nicht zuletzt die Her- folgt. ausgabe einer Sonderbriefmarke mit Zuschlag. Über eine Marke „Solidarität in der Not - Hochwasserhilfe Es ist den Menschen nicht zuzumuten, daß staatli- Oder 1997" hat das Bundespostministerium bereits che Hilfen, Kredite oder Versicherungsleistungen entschieden. nur schleppend oder nach komplizierten und unver- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich ständlichen Regelungen gewährt werden. Hier müs- beschreibe hier nur die Maßnahmen der Bundesre- sen wir, so denke ich, aus früheren Erfahrungen ler- gierung, die bereits beschlossen sind. Für mich steht nen. fest, daß die Bundesregierung zur Beseitigung der Bei all dem, was der Bund und das Land Branden- Hochwasserfolgen weitere finanzielle Unterstützung burg leisten, um die Notlage an der Oder zu lindern - leisten muß. In den Resso rts werden gegenwärtig sie allein werden die Last nicht tragen können. Wir alle entsprechenden Möglichkeiten geprüft. müssen weiterhin um jede Unterstützung werben, Ich denke, wir sollten jetzt nicht in einen öffentli- die wir zugunsten der Betroffenen erhalten können. chen Wettbewerb um Zahlen und Beträge eintreten Inzwischen hat auch die EU-Kommission über Hil- nach der Devise „Wer bietet mehr". Das würde der fen für die Hochwasserregion entschieden. Wir sind Ernsthaftigkeit unseres gemeinsamen Anliegens für dieses Zeichen der Solidarität sehr dankbar. nicht gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Wenn das Hochwasser abgelaufen ist, muß festge- SPD sowie bei Abgeordneten des stellt werden, wie groß der entstandene Schaden ist. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darüber läßt sich jetzt mit Sicherheit noch keine se- riöse Auskunft geben. Wir werden in Gesprächen mit Wir treten nachdrücklich dafür ein, daß darüber hin- dem Land Brandenburg feststellen, wie die Erfahrun- aus weitere Mittel der EU zugunsten der Oder-Re- gen mit dem Soforthilfeprogramm ausfallen. Vor die- gion eingesetzt werden. sem Hintergrund werden wir entscheiden, was wei- ter, auch finanziell, getan werden muß und getan Neben den öffentlichen Hilfeleistungen kommt der werden kann. privaten Hilfsbereitschaft eine große Bedeutung zu. Die privaten Hilfsorganisationen leisten in dieser Eine der wichtigsten Aufgaben wird die Instand- Notsituation eine wertvo lle und unverzichtbare Ar- setzung und der Wiederaufbau von Wohngebäuden beit. Wir wissen, daß die Betroffenen auf ihre Unter- sein. Die Bundesregierung klärt derzeit, welche zu- stützung weiterhin angewiesen sind. sätzlichen Bundesfinanzhilfen in Ergänzung des 200-Millionen-DM-Kreditprogramms für diesen Zugleich werbe ich dafür, die erfolgreich angelau- Zweck bereitgestellt werden können. Sie sollen dann fenen Spendenaktionen zu unterstützen. Jeder ein- urn entsprechende Landesmittel ergänzt werden und zelne ist aufgerufen, seinen ganz persönlichen Bei- vor allem Personen zugute kommen, die im Rahmen trag zu leisten und durch seine Hilfe die Botschaft zu des sozialen Wohnungsbaus förderberechtigt sind. verstärken, daß die Menschen in Deutschland fürein- Haushaltsmittel stehen schließlich auch für die Repa- ander da sind. ratur von Bundeswasserstraßen und Bundesstraßen bereit, die unter dem Hochwasser gelitten haben. Meine Damen und Herren, die schlimme Erfah- rung der Hochwasserkatastrophe an der Oder muß Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, ein Anlaß sein, die grenzüberschreitende Zusam- daß die von der Bundesregierung bereits ergriffenen menarbeit an diesem Fluß zu vertiefen. Einmal mehr und noch anstehenden Hilfsmaßnahmen ein Gesamt- hat sich jedem gezeigt, wie sehr wir in Europa auf- volumen von zunächst 500 Millionen DM umfassen einander angewiesen sind. Nationale Grenzen haben werden. „Zunächst" heißt, daß sich dieser Betrag keine Bedeutung mehr, wenn die Wasserfluten das noch erhöhen kann. Land diesseits wie jenseits des Flusses verwüsten. 16826 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Die Bundesregierung hat das ihr Mögliche getan, die Erfahrung einer solidarischen Gemeinschaft, die um nicht nur in unserem eigenen Land, sondern zu bewahren sich lohnt. auch bei unseren Nachbarn in Polen und Tschechien zu helfen. Insbesondere das Technische Hilfswerk (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Beifall bei der SPD, dem und das Deutsche Rote Kreuz leisten einen un- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS schätzbaren Beitrag, um zum Beispiel die Trink- sowie des Ministerpräsidenten Dr. Manfred wasserversorgung in und um Breslau zu gewähr- Stolpe [Brandenburg]) leisten. Alle großen deutschen Hilfsorganisatio- nen sind in Polen im Einsatz und liefern unter an- derem Pumpen, Medikamente, Nahrungsmittel, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich eröffne die Decken und Bekleidung. So werden über die Oder Aussprache. Das Wort hat jetzt der Ministerpräsident zugleich - das hoffen wir gemeinsam - weitere des Landes Brandenburg, Dr. Manfred Stolpe. Brücken der Verständigung und der Freundschaft gebaut. Ministerpräsident Dr. Manfred Stolpe (Branden- burg): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da- Meine Damen und Herren, für die Zukunft wird es men und Herren! Herr Bundeskanzler, ich danke Ih- darauf ankommen, daß wir gemeinsam - Deutsch- nen ausdrücklich für Ihre Ausführungen, für die kla- land, Polen und Tschechien - die Erfahrungen der ren Zusagen, die Sie namens der Bundesregierung Hochwasserkatastrophe auswerten und die nötigen dort gegeben haben, aber auch für Ihr persönliches Konsequenzen ziehen. In den dazu erforderlichen Engagement in dieser großen Belastung, die wir an Gesprächen wird es auch darum gehen, die Vorstel- der Oder erfahren. lungen über die weitere Gestaltung des Oder-Rau- mes zu bündeln und in sie neben dem Katastrophen- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der schutz auch die weitere wi rtschaftliche Entfaltung F.D.P.) der Region und nicht zuletzt den Schutz der Umwelt Wir kämpfen jetzt 19 Tage gegen das Hochwasser einzubeziehen. an der Oder. Jeder kennt nun die Bilder von der Flut- In allen Anrainerstaaten müssen wir dabei die katastrophe, die vielen ihr Hab und Gut nahm, bei Lehre beherzigen, die sich mit der Hochwasser- der Hunderte ihr Haus verloren. katastrophe verbindet: Wir müssen den Flüssen ih- Erinnern wir uns: Am 8. Juli gibt es Anzeichen für ren Raum lassen. Sie holen ihn sich sonst - mit eine Hochwasserkatastrophe. Am 9. Juli werden bei schlimmen Folgen für die betroffenen Menschen - uns in Brandenburg erste Maßnahmen eingeleitet. zurück. Am 17. Juli erreicht die Flutwelle Brandenburg, und zwar am Zusammenfluß von Neiße und Oder. Bei (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Ratzdorf liegt an diesem Tag der Pegel mit 6,20 Meter SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vier Meter über normal. Die Deiche werden mit sowie bei Abgeordneten der PDS) Sandsäcken verstärkt. Es bilden sich Sickerstellen, die sofort abgedichtet werden. Wenn wir und die Generationen, die nach uns kom- men, in Frieden mit der Natur leben wollen, dann Noch einmal gibt es dann starke Regenfälle. Eine müssen wir auch in diesem Punkt umdenken. zweite Flutwelle kündigt sich an. Am 23. Juli bricht der Deich bei Brieskow-Finkenheerd, am 24. Juli bei Meine Damen und Herren, für die Menschen an Aurith. Die Ziltendorfer Niederung ist auf eine Flä- der Oder sind diese Tage eine schwere Prüfung. che von rund 6 000 Hektar überflutet. Die Ortschaf- Es stand in niemandes Macht, daß sie von dieser ten Aurith, Kunitzer Loose und der Ziltendorfer Orts- Prüfung verschont blieben. Wir müssen einmal mehr teil Thälmann-Siedlung versinken im Wasser. Die Be- zur Kenntnis nehmen, daß es auch in unserem so drohung für das Siedlungsgebiet nördlich von Frank- überaus geregelten Leben in Mitteleuropa Natur- furt , das Oderbruch, wächst. Lebus, Reitwein, Zoll- gewalten gibt, die wir Menschen nicht beherr- brücke und vor allem Hohenwutzen heißen nun die schen. Aber soviel können wir sagen: Was immer in Orte, deren Bilder in aller Medien sind. unseren Kräften steht, wird getan und muß getan Noch werden die Deiche gehalten. Dahinter, 6 Me- werden. Wir lassen nichts unversucht, um an den ter unter dem Oderpegel, liegt der Lebensraum für Deichen das Schlimmste zu verhindern. Wir wer- mehr als 20 000 Menschen. Seit vorgestern, am den alles tun, was möglich ist, um den Notleiden- 17. Tag der Hochwasserkatastrophe, wird begrün- den zu hellen. Wir werden mit Nachdruck dar- dete Hoffnung stärker als Furcht. Die Pegelstände auf hinwirken, daß für die Zukunft grenzüber- sinken, allerdings sehr, sehr langsam. Für eine Ent- schreitende Vorkehrungen zu einem wirkungsvol- warnung ist es zu früh; denn noch drücken die Was- len Hochwasser- und Umweltschutz getroffen wer- sermassen mit enormer Kraft auf die durchweichten den. Deiche. Noch ist auch nicht abzusehen, wann das Wasser aus den Überflutungsgebieten wieder ab- Nicht zuletzt werden wir versuchen, jenen Geist fließen wird. wachzuhalten, der in der Stunde der Katastrophe die Deutschen solidarisch vereint. Dann, meine Damen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir und Herren, wird sich mit dem Hochwasser an der kämpfen gegen eine Hochwasserkatastrophe, wie sie Oder nicht nur die Erinnerung an Not verbinden, die in der über tausendjährigen Geschichte Branden- wir lindern wollen und lindern müssen, sondern auch burgs bisher nicht überliefert ist. Zum Glück kämp- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. 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Ministerpräsident Dr. Manfred Stolpe fen wir nicht allein. Überall gibt es ein vorbildliches Tilgungsraten für die meist ohnehin bereits kredit- Zusammenwirken vieler Freiwilliger aus der Region überbelasteten Bürgerinnen und Bürger. und zahlreicher Helfer aus Brandenburg, Berlin und Bundesanstalt für Arbeit haben wir bereits allen Teilen der Bundesrepublik. Mitglieder der Frei- Mit der die Eckpunkte eines Sonderprogramms verabredet, willigen und Berufsfeuerwehren, des Technischen das für etwa 3 000 Arbeitsplätze ausgelegt ist. Die Ar- Hilfswerkes, des Roten Kreuzes, des Bundesgrenz- beitsämter sind bereit, einen Lohnkostenzuschuß zu schutzes und vor allem der Bundeswehr arbeiten gewähren. Das Land wird den Zuschuß zu den Lohn- Hand in Hand. Ihnen allen gilt Dank und Bewunde- kosten aufstocken, so daß die Lohnkosten nahezu rung. schon finanziert sind. Offen ist dabei noch die Finan- (Beifall im ganzen Hause) zierung der Sachkosten. Ich denke, daß auch dafür ein Weg gefunden wird. Ich bitte, die Arbeitsämter Diese Menschen vereint jetzt der Wi lle, die ganz zu bestärken, schnell und flexibel zu handeln, um die große Katastrophe, nämlich den Untergang des notwendigen Projekte und Lösungswege zu finden. Oderbruchs, zu verhindern. Die Menschen rücken im Kampf gegen die Naturgewalten zusammen. Ossis (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der und Wessis erleben angesichts der existentiellen Her- F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND ausforderung, daß sie zusammengehören. An den NISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Deichen der Oder hat die deutsche Nation im Jahre Noch größere Not hat Polen und Tschechien ge- sieben der Einheit ihre Bewährungsprobe bestanden. troffen. Es ist für mich eine beglückende Erfahrung, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der wie bei uns trotz eigener Sorgen Hilfe für diese F.D.P.) Nachbarn geleistet wird. Es ist aber auch nötig, ge- meinsam aus der Katastrophe Schlußfolgerungen zu Wir haben erfahren, daß Frauen und Männer in ziehen. Deutschland, Polen und Tschechien sollten der größten Not ihren Nachbarn nicht vergessen. Wir gemeinsam mit der Europäischen Union ein Europa- haben erfahren, daß Solidarität ein warmes Wo rt voll projekt „Lebensraum Oder" starten, in dem es um lebendiger Hilfsbereitschaft ist. Wir erfahren diese den Schutz der Menschen, einen sinnvollen Umgang Solidarität auch durch die vielen Geld- und Sach- mit der Natur und wirtschaftliche Existenzgrundla- spenden. Wir sind für diese Hilfen sehr dankbar; gen gehen sollte. Ein solches Vorhaben könnte euro- denn Geld wird gebraucht, um die erste Not derjeni- päische Solidarität und Integration befördern. gen zu lindern, die in den überfluteten Häusern a lles zurücklassen mußten. Darunter sind viele, die bis zu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne letzt den Deich verteidigten und darüber das eigene ten der PDS und des Abg. Dr. Helmut Habe vernachlässigten. Das Geld wird zum Wieder- Haussmann [F.D.P.]) aufbau eines Landstriches gebraucht, der nach dem Ich weiß seit heute morgen,- daß die polnische Regie- Abzug des Wassers ohne Hilfe nicht mehr lebensfä- rung ausdrücklich ihre Bereitschaft dazu erklärt hat. hig wäre. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich Diese Bundestagssitzung setzt ein Zeichen der danke Ihnen allen. Durch Ihre Anteilnahme, Ihre Hoffnung. Bundestag und Bundesregierung bestäti- Hilfe und Ihre Besuche erfahren wir hautnah das ver- gen den Wiederaufbau der Oderregion als nationale einte Deutschland. Das sind gute Signale zur richti- Aufgabe; denn Brandenburg allein wäre hiermit völ- gen Zeit. Noch geht der Kampf gegen das Wasser lig überfordert. weiter. Aber gemeinsam können wir es schaffen. Das gesamte Ausmaß der Schäden kann heute nie- Ich danke Ihnen. mand genau beziffern. Die Schätzungen einiger Ver- sicherungen nennen Milliardenbeträge. Das ist wohl (Beifall im ganzen Hause) nicht übertrieben; denn 160 Kilometer Deiche müs- sen verläßlich gesichert werden, Unmassen Schlamm Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der sind zu beseitigen, der Boden muß entseucht werden Kollege Ulrich Junghanns. und Leitungen aller Art sind wiederherzustellen. Straßen und Brücken sind zu erneuern, Gebäude sind zu stabilisieren oder völlig neu zu bauen. Ent- Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau lang der Oder geht es darum, die Lebens- und Er- Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her- werbsmöglichkeiten der Menschen wiederherzustel- ren! Die Bilder, Filme, Berichte und Kommentare zur len und zu schützen und darüber hinaus der Natur Hochwasserkatastrophe an der Oder in Tschechien, ihr Recht zu lassen. in Polen und hierzulande in Brandenburg kann kei- ner mehr zählen. Eigentlich ist - so mutet es an - a lles Bei den Hilfen muß berücksichtigt werden, daß die jedem berichtet, gesagt und gezeigt. Aber we il es meisten Betroffenen, auch die rund 800 Unterneh- letztlich nicht darauf ankommt, nur tagaktuell infor- men, keine Sicherheiten für Kredite bieten können. miert zu sein, sondern darauf, die richtigen politi- So könnte es geschehen, daß die Mittel der Kreditan- schen, wirtschaftlichen und auch privaten Folgerun- stalt für Wiederaufbau gar nicht genügend in An- gen aus den Ereignissen zu ziehen, und weil es nicht spruch genommen werden können. Deshalb sollten geschehen darf, daß sich - wie so oft in unserer me- wir noch überprüfen, ob die Laufzeit verlängert wer- diengestützten und -geprägten Welt - mit dem Fo rt den kann. Wichtig wären auch eine Haftungsentla- -gang der Ereignisse die notwendige öffentliche De- stung der Kreditnehmer und eine Verringerung der batte von den örtlichen Tatsachen und Erfordernissen 16828 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Ulrich Junghanns abhebt und entfernt, möchte ich aus persönlichen Er- Tage leiten. Für diese Standhaftigkeit sind die Men- lebnissen der letzten 14 Tage - ich wohne in Frank- schen sehr dankbar. furt an der Oder und habe die Flutkatastrophe mit ih- ren verschiedenen Schicksalen erlebt - einige Erfah- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rungen, Gedanken und Hoffnungen einbringen. Das Ich will sie nennen: General von Kirchbach und Kor- kann nicht erschöpfend sein; denn wir stehen noch vettenkapitän Mauersberger von der Bundeswehr, mitten im Kampf gegen die Fluten, und die Oder läßt den Leitenden Polizeidirektor Hasslinger und Polizei- einem keine Zeit für umfassende Vorbereitungen. direktor Reimann vom BGS sowie vom THW die Ka- meraden Tiesler und Wieland, der als Deichläufer je- Die schwere Befindlichkeit der Betroffenen an den dem in Frankfurt/Oder bekannt ist. Genauso gehen Ufern der Oder in unserer Region ist nicht oder be- mein Dank und meine Anerkennung an die Feuer- stenfalls halbwegs in Zeitungsüberschriften zu fas- wehr und an die freiwilligen Helfer. Sie gehen an sen. Diese schwere Betroffenheit und schwere Be- alle Katastrophenstäbe und an die Deichgrafen mit findlichkeit der Mitbürger in unserer Region äußert an der Spitze. Sie haben Großes, sich vor allem in bangen Fragen, Fragen des alten Beispielgebendes geleistet und leisten es. Mannes, der am Rande der überfluteten Ziltendorfer Niederung steht, mir, ohne es zu sehen, die Richtung (Beifall im ganzen Hause) seines Hauses angibt und sagt: Es ist untergegangen. Ich habe wieder alles verloren. Wie soll es nur weiter- Es ist bei dieser Oderflut nicht schwer - lassen Sie gehen? Wo soll ich noch hin? - Dann sind da die Fra- es mich einmal mit ein bißchen Pathos sagen -, Hel- gen der Evakuierten aus den Oderbruch-Dörfern, die den zu finden. Den Helden ist aber allen eigen, daß hinter den Dämmen - der Ministerpräsident hat es sie keine Helden sein wollen. Sie wollen den Sieg gesagt - acht Meter unter der Wasserlinie hoffen und über diese Fluten erringen. Unseren Deich - so die bangen und fragen: Wird der Deich halten? Was soll Soldaten -, den müssen wir halten. geschehen, wenn er nicht hält? Wir fühlen und erleben, daß die Bundesregierung Keiner hätte geahnt oder geglaubt, daß die Deiche gemeinsam mit dem Land Brandenburg alles nur einmal so in Gefahr geraten - haben sie doch Mögliche für die Katastrophenbekämpfung tut. Wir 250 Jahre lang gehalten! Aber dieses Bangen - Tag spüren vor a llem, daß der Bundeskanzler mit den und Nacht - und diese unbeantwo rteten Fragen läh- fachlich befaßten Ministern vor Ort ist und damit ei- men nicht. Im Gegenteil: So wie es in Ratzdorf ange- nen wichtigen Antrieb, einen wichtigen Impuls für packt und mit großen Hilfen bewältigt wurde, neh- Mut und Zuversicht in die Zukunft verleiht. Herr men die Menschen in der Oderregion die Herausfor- Bundeskanzler, ich möchte Ihnen an dieser Stelle derung der Natur allerorts an. Sie kämpfen dafür, danke sagen. daß Gefahren abgewendet und Schäden verhindert (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) werden. Selbstlos wird bis zur Erschöpfung füreinan- der eingestanden und geholfen: Beim Dammbau in Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur ge- Ziltendorf, Wiesenau, Frankfurt/Oder, an der Ziegel- lernt, daß zweieinhalb Schaufeln Sand in einen straße und am Kuhweg, bei Reitwein und Hohenwut- Sandsack gehören und daß nicht klares, sondern trü- zen; Tag und Nacht werden Säcke gefüllt, zuletzt vor bes Wasser von den Gefahren für die Deiche zeugt, allen Dingen in Altreetz und Groß Neuendorf, um die sondern auch und vor allem, miteinander in der Lage Dörfer nur beispielhaft zu nennen. zu sein, das schier Unmögliche zu schaffen. Das gilt für das Miteinander auf den Deichen und auf dem Diejenigen, für die es letztlich um a lles geht, emp- Sandsackplatz; aber das gilt insbesondere für das finden doppelt und dreifach, was Hilfe in fast aus- Miteinander der Verantwortlichen in unserem Staat - wegloser Situation bedeutet. Der Bundeskanzler hat von der Kommune über die Landkreise und das Land sehr eindrucksvoll aufgezeigt, daß und wie das Men- bis zum Bund. Diese Erfahrung möchte ich von dieser schenmögliche getan wird, um Schaden abzuwen- Stelle aus ausdrücklich hervorheben und würdigen, den. Als aus dieser Region Kommender möchte ich Herr Ministerpräsident. Für unsere Region entlang Ihnen sagen, was die Menschen do rt empfinden. Sie der Oder und für die Menschen in diesem wunder- empfinden große Dankbarkeit für die großartigen schönen Landstrich wurde und wird von allen poli- Leistungen. Niemand bei uns vermag sich vorzustel- tisch Verantwortlichen nicht nur einem Strang, son- len, was geschehen wäre, wenn nicht die Bundes- dern auch am selben Ende des Stranges gezogen. wehr, der BGS, das THW und die anderen Hilfsorga- Das gibt uns die Zuversicht, daß wir erfolgreich sein nisationen gemeinsam mit den Feuerwehren und werden. Diese Kraft muß über den Tag hinausrei- den vielen Freiwilligen in einer beispiellosen „Mus- chen, und es muß eine gründliche Auswertung des kel-Kraftanstrengung'' an den Bollwerken - an den Katastrophenverlaufs vorgenommen werden. Wir Dämmen und Deichen - gearbeitet hätten. Allein konnten auf diese extreme Situation nicht vorbereitet hätten wir das nicht schaffen können! sein, und deshalb ist es so wichtig, nicht nur aus den Stärken, sondern auch aus den Schwächen und Män- Der Dank richtet sich natürlich zuallererst an die geln zu lernen. Helfer, an die Soldaten, die auf der Straße, auf dem Dorf oder an Hof und Haus mithelfen. Er richtet sich Wenn die Kameras abgeschaltet werden, gilt es, in aber genauso an die Kommandeure, die sich selbst der Hilfe nicht nachzulassen. Die betroffenen Bedürf- auferlegt haben, nicht ausgewechselt zu werden, tigen hoffen und bauen auf die zugesagte Hilfe. Das sondern die für sich gesagt haben: Diesen Katastro- Wort des Bundesministers Rühe „Wenn das Wasser pheneinsatz werden wir vom ersten bis zum letzten geht, die Soldaten bleiben" ist in aller Munde. Es ist Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16829

Ulrich Junghanns oft die einzige Antwort auf die unbeantwo rteten Fra- sem Gebiet sehr eng und schnell zusammenkommen gen. müssen. Streit um große Summen hilft nicht. Die Betroffe- Das, was mit dem Blick über die Oder hinweg ge- nen wenden sich davon eher ab. Sie haben keinen sagt worden ist, kann ich nur unterstreichen. Natür- Sinn dafür. Wichtig ist jetzt, das Notwendige zu lei- lich fragen mich die Bürger, warum es ein abge- sten und daß die Hilfe aus vielen Hilfsorganisationen stimmtes Katastrophen- und Frühwarnsystem nicht und Spendenveranstaltungen bei den Bedürftigen schon früher gegeben hat. Jetzt müssen wir nach auch ankommt. vorn schauen. Das, was gestern von den Ministern für Umwelt unter Federführung von Ministerin Mer- Hilfe materieller und finanzieller Art, die sich an kel in Frankfurt/Oder ausgehandelt wurde, ist ein so- den Problemfällen orientiert, die die soziale und wirt- lides und sicheres Fundament dafür, daß das Not- schaftliche Lage der betroffenen Bedürftigen berück- wendige schnell geschieht. sichtigt, ist vonnöten. Da gibt es den Rentner - ich will ihn beispielhaft nennen -, der sein Haus verloren Denn alle, die jetzt an der Oderregion kämpfen hat. Er ist 68 Jahre alt und weiß nicht, wohin. Da gibt und die Bilder aus unseren benachbarten Staaten se- es den Eigenheimbauer, der gerade mit seinem Bau hen, bekommen mit, wie wichtig und hilfreich es ist, fertig ist und nun mit der Tilgung beginnen wollte. daß in Deutschland so eng zueinander gestanden Jetzt fängt er mit seinem Fertigteilhaus praktisch wird. Das ist nicht überall der Fall, aber diesen Bei- wieder von vorn an. stand möchte ich von dieser Stelle über die Grenze hinweg nach Polen und Tschechien zusagen; denn Da gibt es die Handwerker, die Bäcker, die ihre Be- wir wollen gemeinsam unsere Zukunft an diesem triebe im evakuie rten Gebiet schließen mußten. Da Fluß gewinnen. gibt es die Bauernvereinigung in der Ziltendorfer Niederung. Die gesamte Ackerfläche -4000 Hektar - 250 Jahre Oderdeiche werden gefeiert. Daß diese steht unter Wasser, so daß die Ernte verloren ist. Feier in eine solche Kraftanstrengung münden muß, 80 Bauern sind betroffen, 18 Familien wurden evaku- gehört vielleicht zur Eigenart solcher Katastrophen. iert. Ich weiß nicht, ob es ein Jahrhundert- oder ein Jahr- tausendhochwasser ist, das wir gegenwärtig erleben Es geht aber auch um jene Bauern, die in den eva- und dessen Gefahren wir von uns abzuwenden ver- kuierten Gebieten mit hohen Vieh- und Futtertrans- suchen. Aber ich weiß eines, nämlich daß es zu der portkosten konfrontiert sind. Auch in den Aufnahme- Feier gehört, sich um diese Deiche zu sorgen, daß es betrieben kommt es zu Streßsituationen und damit zu das Anliegen unserer Generation sein muß, sie fit zu Leistungsabfällen bzw. zu zusätzlichen Kostenauf- machen, zu stabilisieren und zu vitalisieren für die wendungen. Wir müssen insbesondere bei der Land- Aufgabe, für die sie vor 250 Jahren errichtet worden wirtschaft unter den Bedingungen der Evakuierung sind. Ich glaube, auch auf diese Aufgabenstellung an die abgebenden und die aufnehmenden Betriebe kann man das Wort unseres Hauses, wonach die Ka- denken. Dafür ist ein finanzieller Rahmen abge- tastrophenbekämpfung an der Oder eine nationale steckt. Aufgabe ist, beziehen. Ich bin für die Betonung des Bundeskanzlers, daß Mit dem Blick nach vorn kann ich nur eines beto- wir uns an den Problemen orientieren, sehr dankbar. nen: Für Entwarnung ist noch keine Zeit. Aber die An den Problemen orientieren heißt - ich bin dem Tatsache, daß uns diese große Hilfe zuteil wird, und Bundesminister für Finanzen sehr dankbar, der das die Erfahrung der Menschen, bisher schier Unmögli- heute morgen in der Sondersitzung der befaßten ches geleistet zu haben, begründen unsere Zuver- Ausschüsse hervorgehoben hat -, daß wir die Haf- sicht, daß wir das jetzt noch auf uns Wartende mei- tungsfreistellung erhöhen werden. Das muß natürlich stern werden und letztlich als Sieger aus dem Kampf mit der Erhöhung der notwendigen Leistungen und gegen die Oderfluten hervorgehen werden. Beiträge der Landesregierung einhergehen. Danke schön. Ich möchte hervorheben, daß die Laufzeiten ver- längert werden und daß andere Programme wie das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sogenannte Modernisierungsprogramm der MW mit sowie bei Abgeordneten der SPD) 25jähriger Laufzeit und fünf tilgungsfreien Jahren vielleicht insbesondere für den Privatmann eine gün- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort erhält stigere Lösung darstellen. Ich möchte die Landesre- jetzt die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig. gierung animieren, vorhandene wirtschaftliche För- derprogramme auf die Oderregion zu konzentrieren. Ich glaube, zu einer solchen solidarischen Leistung Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE wären alle, die damit in Brandenburg befaßt sind, be- GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge- reit und fähig. ehrte Kolleginnen und Kollegen! Die aktuelle Not- lage an der Oder hat tatsächlich die Menschen in un- Ich bitte, nicht zu vergessen, daß sich die Gemein- serem Land enger zusammenrücken lassen, ist auf den selbst in einer großen finanziellen Notlage befin- viele zupackende Hände und auf viel Hilfsbereit- den und trotz dankenswerter Kostenentlastung durch schaft gestoßen. Alle Vorredner haben es schon ge- die Einsatzkräfte nicht wissen, wie Reparaturen an sagt - auch ich selbst habe mich vor Ort davon über- öffentlichen Einrichtungen, an Straßen und Betrie- zeugen können -: Die Organisation und die Zusam- ben außerhalb des Wohnungsbaus finanziert werden menarbeit bei der Deichsicherung sind wirklich groß- sollen. Ich bin der Auffassung, daß wir auch auf die- artig. Die Arbeit wird trotz vielfacher Erschöpfung 16830 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Franziska Eichstädt-Bohlig mit großem Engagement, hervorragender Umsicht Zuschüssen gewährt wird, damit alles wieder repa- und großem Durchhaltevermögen organisiert. Das riert werden kann. gilt auch für die Sicherungs- und Räumungsarbeiten im Hinterland. Ich möchte auch für unsere Fraktion Mir ist wichtig, daß wir die Menschen nicht nur allen Beteiligten von Bundeswehr, Grenzschutz, durch aktuelle Hilfe unterstützen, sondern daß wir Technischem Hilfswerk, Landes- und Gemeindever- eine bewußte und aktive Nachfrage nach Wirt- waltungen, Feuerwehr, Polizei und den vielen frei- schaftsgütern aus Brandenburg und aus der Oderre- willigen Helfern ganz herzlich für ihre großartige Lei- gion hervorrufen und bewußtere Konsumenten in stung, ihre Ausdauer und Entschlossenheit danken, diesem Bereich werden. Das gilt vor allen Dingen für mit der sie dem Wasser immer wieder Einhalt gebie- meine Heimatstadt Berlin. Ich hoffe, daß wir auch in ten. Wir hoffen alle, daß das zumindest am Oder- dieser Form wirtschaftliche Unterstützung leisten. bruch auch wirklich gelingt, wenn es schon in der Mir ist außerdem wichtig - ich bedauere, daß dar- Ziltendorfer Niederung nicht gelingen konnte. über bisher zu wenig gesprochen worden ist -, daß wir den Anlaß der Hochwasserkatastrophe sehr ernst Ich möchte mich ganz besonders bei den beiden nehmen. Natürlich sind die extrem starken, plötzli- brandenburgischen Ministern Matthias Platzeck und chen und anhaltenden Regenfälle der letzten Wo- Alwin Ziel bedanken; denn ich glaube wirklich - das chen das auslösende Moment, doch die Ursachen für war vor Ort zu spüren -, daß ihr fortdauernder per- die vielen Schäden haben wir Menschen selber mit sönlicher Einsatz ganz wesentlich dazu beiträgt, daß unseren vielfachen Eingriffen in den Naturhaushalt am Oderbruch die Dämme gehalten werden und alle zu verantworten. derartig engagiert zusammenarbeiten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SES 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der F.D.P. und der PDS) Insofern bitte ich darum, daß wir den Satz von Bun- deskanzler Kohl „Wir müssen den Flüssen ihren Gleichzeitig möchte ich gegenüber allen betroffe- Raum geben" sehr ernst nehmen. Ich hoffe, daß dem- nen Bewohnern, den Bet rieben, den Landwirten, den entsprechende Zeichen auch noch in dieser Legisla- Beschäftigten und allen Menschen vor Ort unser Mit- turperiode gesetzt werden. gefühl und unsere Hilfsbereitschaft zum Ausdruck bringen. Ich denke, wir werden noch intensiv daran (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) arbeiten, zu Spendensammlungen aufzurufen und Ich möchte es ganz konkret sagen: Andere Fluß- Unterstützung zu mobilisieren. ausbauprojekte und insbesondere das Projekt Nr. 17 Sehr nachdrücklich und engagiert möchte ich aber Deutsche Einheit sehen weitere Kanalisierungs- und auch für die in Tschechien und in Polen sehr viel stär- Flußregulierungsmaßnahmen- vor. Oder und Warthe ker betroffenen Menschen sprechen. Gerade die sollen im Rahmen der transeuropäischen Netze aus- gebaut werden, für Elbe, Havel, Saale, Donau, Weser Hochwasserkatastrophe lehrt uns, daß Oder und und weitere Flüsse gilt das gleiche. Unsere Forde- Neiße uns nicht trennen, sondern verbinden. Inso- fern ist diese Katastrophe auch ein Stück weit ein rung ist einfach - damit bekommen wir auch Mittel politisches Symbol. Das sollten wir ernst nehmen und frei -: Stoppen wir diese Projekte schnellstmöglich zum Positiven wenden. Wir sollten die Zusammenar- und beschränken die Flußregulierungsmaßnahmen beit weiter konstruktiv entwickeln und sollten ge- auf wenige unumgängliche Ausbaumaßnahmen! Statt dessen sollten wir die Frachtschiffe, ihre Tech- rade in diesem Bereich von Oder und Neiße die Re- naturierung - ich danke dem Bundeskanzler dafür, nik und Bauweise so fortentwickeln, daß sie sich den daß er dieses Wort so deutlich ausgesprochen hat - Flüssen anpassen, statt die Flüsse auf eine von der vor Ort aktiv unterstützen und betreiben. Darum soll- Rheinschiffahrt gesetzte Europanorm zu zwingen. ten wir neben der Hilfe und der Solidarität für die Damit schaffen wir nur mehr Schäden, ähnliche viel- Menschen in Brandenburg nicht die Hilfe und die So- leicht, wie sie jetzt bei der Oder aufgetreten sind, ob- lidarität für die Menschen in Slubice, in Breslau, in wohl dort bisher kaum neuere Ausbaumaßnahmen Ratibor, Olmütz und in den vielen kleinen Ortschaf- vorgenommen wurden. Wenn wir aber so wie bisher ten vergessen. an den Flüssen weiterbauen, werden wir uns dem- nächst nicht mehr streiten müssen, ob wir Jahrhun- Ich meine aber, daß wir die Hilfsinstrumente sehr dert- oder Jahrtausendkatastrophen haben, denn sol- genau prüfen müssen. Ich sehe die gleichen Pro- che Katastrophen werden regelmäßig auftreten. bleme, die eben auch Herr Ministerpräsident Stolpe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angesprochen hat: Das 200-Millionen-Kreditpro- und bei der PDS) gramm wird in der Form, wie es jetzt aufgelegt wird, nicht greifen. Denn zu viele Betriebe und zu viele Auf diese Art können wir Mittel sowohl für die an- Haushalte sind auf Grund der Investitionen der letz- stehenden Maßnahmen zur Soforthilfe im eigenen ten Jahre zur Zeit hoch verschuldet und können sich Land als auch für transnationale Hilfsmaßnahmen derzeit nicht weiter verschulden. Es müssen also Mo- und für Renaturierungsmaßnahmen freibekommen. difikationen vorgenommen und weitere Lösungen Allein das Projekt Nr. 17 bindet insgesamt 4 Milliar- entwickelt werden. Ich denke - auch da sind sich of- den DM. Die Beträge, über die wir hier heute reden, fenbar alle Fraktionen einig, und auch der Herr Bun- sind wesentlich bescheidener. Von daher fordere ich deskanzler hat es ausgesprochen -, daß wir weiterhin alle Beteiligten auf, hier schnell und richtig zu han- Geld brauchen, das in Form von direkten verlorenen deln. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16831

Franziska Eichstädt-Bohlig Unsere wichtigsten Aufgaben heißen: Das Ausmaß der Katastrophe wäre aber sehr viel größer, wenn wir nicht diese großartigen Bundes- Erstens - da sind wir uns alle einig - müssen wir wehrsoldaten hätten. Man kann das wirklich nicht unbürokratisch und großzügig nicht nur in Branden- oft genug sagen. burg, sondern auch in Tschechien und Polen - auch zusammen mit der EU - schnell hellen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zweitens - auch darüber müssen wir demnächst diskutieren - dürfen wir den Hochwasserschutz nicht Als Bürger aus Brandenburg war ich nicht nur nur als Landesaufgabe betrachten, sondern müssen Sandsäcke füllen, sondern ich war auch an dem bis ihn zur Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Län- zur Krone abgerutschten Damm in Hohenwutzen. dem machen. Es geht nicht, daß jedes Land für sich Dort habe ich die Soldaten schuften gesehen, wie sie allein im Binnenverhältnis vor sich hin werkelt. zum Beispiel Stützpfeiler aus Sandsäcken bauten. Sie arbeiteten bis zur Erschöpfung und immer unter Drittens. Wir müssen aus der Katastrophe lernen Lebensgefahr; das muß man sich einmal deutlich ma- und endlich die weiteren Flußausbauprojekte stop- chen. Das ist echte Lebensgefahr; denn niemand pen oder modifizieren. konnte und kann garantieren, daß der Damm gerade Viertens. Die transnationale Zusammenarbeit zur in dieser Flußbiegung hält, weil das Wasser do rt stär- Renaturierung des Oder-Neiße-Flußsystems und ker als sonst üblich gegen den Damm und in die Bi- auch zur Wiederaufforstung und naturnahen Bewirt- samrattenlöcher drückt. schaftung des Riesengebirges muß als ernste Auf- Sie bauen im sumpfigen Hinterland Straßen, da die gabe begriffen und umgehend in Angriff genommen ausgezeichneten Hubschrauberpiloten nicht alle be- werden. nötigten Sandsäcke heranschaffen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Diese jungen Kerle wollen helfen, und sie kamen und bei der PDS sowie bei Abgeordneten aus allen Gegenden Deutschlands. Hier war kein der CDU/CSU und der SPD) Platz für Ossi-Wessi-Gerede, und das war gut so. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Türk. Ich möchte - das kann ich, glaube ich, im Namen des gesamten Hauses hier erklären - einfach danke sagen. Herr Rühe, Sie haben eine tolle Truppe. Jürgen Türk (F.D.P.): Sehr geehrte Frau Präsiden- tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An der Oder (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Ingrid sieht es wirklich schlimm aus. Deshalb brauchen - diese Region und ihre Menschen unsere Hilfe und Matthäus-Maier [SPD]: Das ist nicht nur Solidarität. Rühes Truppe, das ist unsere Truppe!) Da ist der Eigenheimbauer - Fami lie gegründet, Wenn man sich bedankt, dann dürfen auch die an- Haus gebaut, hohe Kredite aufgenommen -, den die deren nicht vergessen werden - ich will das wieder- Flut überraschte. Da sind die Existenzgründer im holen -: die Leute vom Bundesgrenzschutz, die vie- mittelständischen Bereich, im landwirtschaftlichen len Feuerwehrleute, das Technische Hilfswerk und Bereich in dieser vom Aufschwung nicht gerade be- die Taucher von der Deutschen Lebensrettungs-Ge- günstigten Region. Sie haben Risikobereitschaft ge- sellschaft, die unter Lebensgefahr Folienbahnen zur zeigt und die Ärmel hochgekrempelt. Gerade jetzt, besseren Wasserdruckverteilung unter Wasser an- wo sie anfangen, die Früchte ihrer harten Arbeit ein- bringen. zufahren und schwarze Zahlen zu schreiben, stehen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sie wieder vor dem Nichts. All diese Menschen brau- chen jetzt eine neue Chance und unsere Solidarität. Nicht vergessen darf man auch die vielen freiwilli- gen Helfer auf den Sandsackfüllplätzen. Sie kommen Und diese Solidarität gibt es noch. Sie war jetzt zu zum Beispiel aus Berlin. Sie haben auf diesen Plätzen entdecken, und darüber bin auch ich froh. Das hat sogar ihre Zelte aufgeschlagen. die Benefiz-Veranstaltung von ARD und „Bild" -Zei- tung am Sonntag in Berlin gezeigt. Aus der ganzen Damit die Hilfe anhält, müssen wir als Parlament Republik kommen Mitgefühl, Spenden und Anfra- jetzt aktiv werden, bevor die Katastrophe wieder aus gen, wie man helfen kann. Wenn man diese Unter- den Schlagzeilen gerät. Das Sofortprogramm der stützung spürt - so sagten mir Betroffene -, fällt der Bundesregierung und der Brandenburger Hilfsfonds Neuanfang leichter. waren lebenswichtig. Hinzufügen will ich auch das Drei-Länder-Hochwasseraktionsprogramm, das Da spendete zum Beispiel eine Stadtratsfraktion in Staatssekretär Walter Hirche vorgeschlagen hat. Bad Honnef - welche Partei, das ist jetzt nicht ent- Jetzt muß es darum gehen, die Menschen beim Wie- scheidend, denn dieses Thema ist tatsächlich nicht deraufbau zu unterstützen. für den Wahlkampf geeignet - spontan 500 DM, weil die Honnefer wissen, was eine Hochwasserkatastro- Die Schadensbeseitigung und die Beseitigung der phe bedeutet. Überschwemmungsursachen wird - das ist jetzt schon abzusehen - Milliarden kosten. Diese Gelder, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Herr Ministerpräsident, kann Brandenburg natürlich ten der CDU/CSU und der SPD) nicht selber aufbringen. Deshalb sollten wir ein Hilfs- 16832 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Jürgen Türk programm einrichten. Ich fordere die Länder und Rolf Kutzmutz (PDS): Verehrte Frau Präsidentin! Kommunen auf, sich an diesem Hilfsprogramm, an Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist keine dieser nationalen Aufgabe - wie das hier wiederholt leere Floskel, sondern eine durchaus nötige Wieder- gesagt wurde -, zu beteiligen; denn Solidarität be- holung, wenn ich hier sage, daß unsere uneinge- deutet, daß alle ihren Beitrag leisten. schränkte Solidarität all denen gilt, die vom Hoch- wasser betroffen sind, und wenn ich natürlich unsere (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Bereitschaft zur Hilfeleistung nach Notwendigkeit ten der CDU/CSU) und eigenen Möglichkeiten erkläre. Die Haushaltslage ist überall schlecht: im Bund, in Es ist auch keine leere Floskel, wenn ich hier den den Ländern und in den Kommunen. Aber wenn es Dank, den andere Kolleginnen und Kollegen schon jemandem schlechtgeht, muß zusammengelegt wer- ausgesprochen haben, an die Tausenden Helfer der den. Das heißt für mich Solidarität. Denn dieser Wie- Bundeswehr, des Bundesgrenzschutzes, des Techni- deraufbau und der verbesserte Hochwasserschutz - schen Hilfswerkes, des Deutschen Roten Kreuzes in dieser Auffassung kann ich den Bundeskanzler und an die vielen zivilen Heller bekräftige und sage: nur unterstützen - ist eben eine nationale Aufgabe. Danke schön für das bisher Geleistete und auch Mut Es wäre wünschenswert und ein Zeichen des Funk- für das noch zu Leistende. tionierens des Föderalismus, wenn wir uns über Par- teigrenzen hinweg darüber einigen könnten. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne ten der SPD und der F.D.P. sowie des Mini Das schließt nicht aus, daß wir uns mit wirksamer - sterpräsidenten Dr. Manfred Stolpe [Bran ich betone: mit wirksamer - Hilfe überbieten. Ich denburg]) kann mir gut vorstellen, daß die Wirtschaftsverbände Es zeigt sich im übrigen, wie sinnvoll eine Armee - das hat zum Beispiel die Handwerkskammer Cott- sein kann, wenn sie Landesverteidigung in diesem bus mit 250 000 DM getan -, die Landwirtschaftsver- geschilderten und erlebten Sinne praktiziert. bände und auch die Banken und Versicherungen in diesen Wiederaufbaufonds einzahlen. Der Deutsche (Beifall bei der PDS) Bundestag und die Bundesregierung setzen heute ein Zeichen und sagen der Hochwasserregion Hilfe Noch ist das Ausmaß des Schadens nicht festge- mit einem Gesamtvolumen von zunächst 500 Millio- stellt. Die ungefähren Zahlenangaben zeigen aber nen DM zu. Ich freue mich, daß wir wenigstens diese trotzdem das Ausmaß der Probleme, vor denen die Hilfe heute parteiübergreifend regeln konnten. Menschen stehen. Zehntausende leben praktisch seit Wochen im Ausnahmezustand. So wie mit dem Stei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gen des Pegels der Oder die Bereitschaft überall stieg - auch das ist hier schon gesagt- und anerkannt wor- Bei aller innerdeutschen Solidarität sollten wir den -, unmittelbar Hilfe zu leisten, so wird jetzt eines Tschechien und Polen in der Not nicht vergessen. deutlich: Jeder Zentimeter, den das Hochwasser Die Hochwasserkatastrophe zeigt, daß endlich mit nachgibt, weckt die Hoffnung, daß dies auch so grenzüberschreitender Zusammenarbeit begonnen bleibt, bei denen, die bisher verschont blieben, und werden muß. Das Hochwasseraktionsprogramm zeigt zugleich den unmittelbar Betroffenen, wie groß kann und muß der Anfang sein. Die wirtschaftliche das Ausmaß des persönlich erlittenen Schadens ist. Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Mode ll Bei vielen, mit denen wir und auch Sie aus den Frak- -regionen muß eingebettet in konkrete Projekte fol- tionen gesprochen haben, wächst die Verzweiflung, gen. So stelle ich mir das vor. Hier muß aus der Not ob das alles bewältigt werden kann. eine Tugend gemacht werden und schon jetzt von einer „als-ob"-EU-Mitgliedschaft von Polen und Die Frage wird in unterschiedlichster Form gestellt Tschechien ausgegangen werden. und immer wieder aufgeworfen: Was wird, wenn das Hochwasser abgezogen, das Medieninteresse zu- Wenn jetzt richtigerweise mit einem Hochwasser rückgegangen ist und sich das öffentliche Interesse aktionsplan begonnen wird, darf natürlich die Neiße auf andere Aufgaben konzentriert? Wird die Bereit- nicht fehlen. Wir hatten nur Glück, daß es in diesem schaft zur Hilfeleistung auch dann noch vorhanden Einflußgebiet nicht so stark geregnet hat. Darum sein, und werden die vielen Zusagen zur Hilfelei- möchte ich das Wiederaufbau- und Hochwasserakti- stung auch dann noch gültig sein? Es wird an uns ge- onsprogramm nicht nur als nationale Aufgabe ver- meinsam liegen, den Satz eines Betroffenen „Wenn standen wissen, sondern auch und gerade als Be- das Hochwasser nicht mehr auf Titelseiten schwappt, währungschance für Europa; denn in der Not er- dann vergessen die Politiker schnell" zu widerlegen. kennt man seine Freunde. Das sind Äußerungen und Fragen, die sich auch dar- aus ergeben, weil zu lesen und zu hören war, daß Vielen Dank. Hochwasseropfer aus dem Rhein-Main-Gebiet, die 1995 betroffen waren, zum Teil noch heute auf das (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU zugesagte Geld warten. sowie des Ministerpräsidenten Dr. Manfred Stolpe [Brandenburg]) Es geht mir nicht um eine Beteiligung an Spekula- tionen, wie hoch die nötige Summe sein wird, die er- bracht werden muß, um die Hochwasserfolgen zu Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort erhält überwinden, auch nicht um einen Wettbewerb, wie jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz. viele Millionen DM eingesetzt werden. Wichtig aber Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16833

Rolf Kutzmutz ist, daß die Mittel wirklich unbürokratisch und Antrag mit einzubringen. - Geschenkt; wir werden schnell zur Verfügung gestellt werden. trotzdem unseren Beitrag weiter leisten. Natürlich spielten in den vielen Gesprächen das Danke schön. 20-Millionen-DM-Sofortprogramm des Bundes und des Landes Brandenburg und auch das 200-Millio- (Beifall bei der PDS) nen-DM-Programm der KfW eine Rolle. Aber darin liegt ein entscheidendes Problem. Ein Landwirt aus dem Oderbruch hat gesagt: Zum Wieder-Wiederein- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Abschließend in richter fehlt mir die Kraft. Das heißt nichts anderes, dieser Aussprache spricht der Kollege Dr. Mathias als daß Kredite, seien sie noch so zinsgünstig, letzt- Schubert. lich doch wieder neue Schulden sind, daß solche Kredite wegen der generellen Einkommenssituation, Dr. Mathias Schube rt (SPD): Frau Präsidentin! der Eigenkapitallage von Unternehmen, des ein- Meine Damen und Herren! Die Lage an der Oder getretenen Verlusts banküblicher Sicherheiten von scheint sich langsam zu entspannen. Die Pegelstände Privatpersonen und Unternehmen nur einge- zwischen Ratzdorf und Bad Freienwalde sinken. Die schränkte Hilfe leisten können; das heißt auch, daß Deiche, die eigentlich längst weggeschwemmt sein die angekündigten steuerlichen Begünstigungen müßten, halten noch immer. In der vergangenen zwar Bestandteil eines Gesamtprogramms sein kön- Nacht war zum erstenmal seit Wochen ein Deich- nen, sie jedoch wegen der zeitlichen Verzögerung, bruch nicht unmittelbar zu befürchten. Gott sei Dank mit der sie wirksam werden, nur eine begrenzte Wir- ist bisher kein einziges Menschenleben zu beklagen. kung entfalten. Ich meine, bei der Hilfe für die Hoch- wasseropfer muß es um einen Ersatz des Verlorenen Dieses - wie es manche nennen - „Wunder von der gehen. Oder" hätte sich nicht ereignet, wenn nicht drei Wo- chen lang Tausende von Helfern jeden Tag bis zur (Beifall bei der PDS) Erschöpfung gearbeitet hätten. Wir sollten als Gesetzgeber auch über eine Verän- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der derung des Versicherungsrechts nachdenken; denn F.D.P. und der PDS sowie des Ministerpräsi Versicherungen lehnen es bisher ab, in hochwasser- denten Dr. Manfred Stolpe [Brandenburg] gefährdeten Gebieten - mit Ausnahme eines Bun- und des Ministerpräsidenten Oskar Lafon deslandes - entsprechende Zusatzpolicen zu unter- taine [Saarland]) zeichnen. Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanz- Dabei gab es Situationen, wo es gar nicht mehr uni ler hat in seiner Erklärung davon gesprochen, daß je- die Rettung der Deiche, sondern- nur noch um die der einzelne aufgerufen sei, das in seinen Möglich- Verzögerung der Überflutung ging. keiten Stehende zu tun, um Hilfe zu leisten. Das ist Die Überflutung der Ziltendorfer Senke konnte mir Veranlassung, Ihnen einen Vorschlag zu unter- nicht verhindert werden. Dagegen war der Kampf breiten. Die Gruppe der PDS hat beschlossen, daß je- um den Deich bei Hohenwutzen erfolgreich. Ein der Abgeordnete 1000 DM spendet, die für ein vom Deichbruch dort hätte leicht die Ursache für ein über- Land Brandenburg vorgeschlagenes Projekt zum flutetes Oderbruch sein können und kann dies immer Einsatz kommen sollen. Wir haben unsere Mitarbei- noch werden. Das wäre die Katastrophe. Dies würde ter gebeten, sich entsprechend ihren Möglichkeiten für die Bewohnerinnen und Bewohner der Oderre- zu beteiligen. Ich bitte Sie, zu prüfen, ob Sie sich ei- gion nicht nur den Verlust ihrer Häuser, ihrer Ernten, ner solchen Aktion auch in Ihrer Fraktion anschlie- ihrer Geschäfte und ihrer Firmen, sondern für viele ßen können. So könnten wir Mitglieder des Deut- nach der Vertreibung von 1945 einen neuerlichen schen Bundestages ein größeres Projekt gemeinsam Verlust von Heimat bedeuten. Das ist eine besondere direkt finanzieren. Situation, die ich zu verstehen bitte und die auch die (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Zähigkeit, jedenfalls zum Teil, erklärt, mit der von al- ten der SPD) len Beteiligten um die Oderdeiche gerungen wurde und noch wird. Zwei Anmerkungen zum Abschluß. Ich bin, da der Oderbruch zu meiner Heimat ge- Erstens. Bei den Gesprächen im Oderbruch spielte hört, in den letzten Wochen oft do rt gewesen. Viele eine Rolle, daß es gut sei, daß die Oder nicht beto- der Dörfer sind verlassen; aber sie sind nicht aufge- niert ist und eine halbwegs intakte Flußlandschaft geben. Bei vielen Menschen wandelte sich im Laufe vorhanden ist. Was für die Oder gilt, müßte auch für der Hochwassertage die Stimmung von Panik und andere Flüsse, so zum Beispiel für Elbe und Havel, Ohnmacht in vorsichtige Zuversicht, da sie und die gelten. Frau Eichstädt-Bohlig hat dazu gesprochen; vielen Helfer mehr getan haben, als eigentlich hätte ich kann mich dieser Meinung nur anschließen. getan werden können. Wenn die Flut dennoch ge- kommen wäre, hätten sie wohl noch einmal alles Zweitens. Es wurde betont, daß das Hochwasser oder wenigstens sehr vieles verloren. Aber sie hätten nicht parteipolitisch vereinnahmt werden solle. Es sich nicht noch einmal vertreiben lassen. liegt ein Entschließungsantrag aller Fraktionen vor. Für mich ist es schlicht nicht nachvollziehbar, daß die Deshalb ist es nötig, den vielen Helfern nicht nur Gruppe der PDS keine Gelegenheit erhält, diesen für. ihre Arbeit zu danken, sondern auch dafür, daß 16834 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Dr. Mathias Schubert sie mit ihrem Einsatz mehr getan haben, als nur die Da ist erstens der Wiederaufbau. Er wird lange Oderregion vor der Überflutung zu retten. Zeit in Anspruch nehmen und teuer werden. Wir müssen und werden unmittelbar, schnell und unbü- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten rokratisch helfen. Ich nehme dabei auf, was Minister- der CDU/CSU sowie des Ministerpräsiden präsident Stolpe gesagt hat. Wir brauchen günstige ten Dr. Manfred Stolpe [Brandenburg]) Kredite für die Landwirte und für die Gewerbetrei- Sie haben gemeinsam mit den Bewohnerinnen und benden. Aber wir brauchen natürlich auch Mittel Bewohnern mehreren zehntausend Menschen die und Wege, um es ihnen überhaupt zu ermöglichen, Heimat erhalten und gezeigt, daß dies eine' Aufgabe diese Kredite aufzunehmen. Also sollten wir über ist, die uns alle betrifft. Möglichkeiten wie Ausfallbürgschaften und ähnli- ches beim konkreten Vollzug unseres gemeinsamen Aus diesen Gründen sage ich aufrichtigen und Antrags ernsthaft nachdenken. herzlichen Dank allen, die mit ihren Kräften die Dei- che gehalten haben: den Freiwilligen, den Feuer- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wehren, dem Technischen Hilfswerk, den Rettungs- Zweitens ist es dringend notwendig, nicht nur an diensten, den Tauchern, der Bundeswehr, den Kri- der Oder, sondern in der gesamten Bundesrepublik senstäben in Bad Freienwalde, Eisenhüttenstadt und Hochwasser- und Katastrophenschutz auch als prä- Potsdam und meiner Landesregierung. ventive ökologische Aufgabe zu begreifen und in die Ich möchte dabei niemanden hervorheben; aber Tat umzusetzen. der Einsatz der Bundeswehr war und ist für uns von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne besonderer Bedeutung. ten der PDS) (Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist wahr!) Drittens. Das Oderhochwasser hat - viele haben es Auf der Tribüne haben einige Soldaten der Bundes- schon gesagt - die grenzüberschreitende Dimension wehr Platz genommen. Ich bitte Sie, verehrte Kolle- der Aufgabe gezeigt. Über 150000 Menschen in Po- ginnen und Kollegen, ihnen stellvertretend für ihre len sind evakuiert. 40 Prozent aller Tschechen sind Kameraden, die jetzt an der Oder sind, mit einem vom Hochwasser betroffen. Der frühere Raubbau an herzlichen Applaus zu danken. der Natur in diesen Gebieten ist einer der Gründe für diese Katastrophe. (Beifall im ganzen Hause) Wir müssen um unserer selbst wi llen mit beiden Ihnen, Herr Minister Rühe, einen besonderen Nachbarn schnell nach Wegen suchen, um solche Dank dafür, daß die Bundeswehr auch für den Wie- Flutrisiken in Zukunft möglichst zu minimieren. deraufbau an der Oder zur Verfügung stehen wird. Dazu gehört auch ein gemeinsames Hochwasser- - (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der schutzprogramm über die Europäische Union. Die F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND Europäische Union hat hier die Pflicht, koordinierend NISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) und auch mit finanziellen Hilfen das Ihre dazu beizu- tragen. Ich danke Ihnen ganz herzlich, daß - sollten Selbstverständlich danken wir genauso herzlich meine Informationen stimmen - es möglich ist, in un- der Europäischen Union, dem Bund und dem Land serem gemeinsamen Antragsentwurf noch eine ent- Brandenburg für die Bereitstellung finanzieller So- sprechende Passage aufzunehmen. forthilfen über das beim Kampf um die Deiche Gelei- stete hinaus. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wenn wir es in den kommenden Monaten schaffen, diese Gedankt werden muß aber auch den vielen Spen- Aspekte im Blick unseres politischen Handelns zu dern in der ganzen Bundesrepublik. Mit den Geld- behalten, mag der Kampf um die Deiche an der Oder und Sachspenden kann vor allem den Menschen ein Symbol wachsender innerer Einheit genannt wer- wirksam geholfen werden, deren Häuser und Grund- den. Dann hätten wir auch die Menschen im Oder- stücke in der Ziltendorfer Senke überschwemmt bruch, die Helfer und die Spender richtig verstan- sind, die damit zum Teil eben auch ihre Existenz- den. grundlagen verloren haben und die deshalb unsere besondere Soforthilfe benötigen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS und bei Abgeordne Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, es ten der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des geht die Rede durchs Land, die Rettung der Oderre- Ministerpräsidenten Dr. Manfred Stolpe gion vor der Flut sei zu einer nationalen Aufgabe ge- [Brandenburg] und des Ministerpräsidenten worden, um eine nationale Katastrophe zu verhin- [Saarland]) dern. Die Rettung vor der Flut als Symbol für die in- nere Einheit, ein Neubeginn nach einer verhinderten Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich schließe die Sintflut - vielleicht können die letzten drei Wochen Aussprache. an der Oder wirklich so etwas wie ein Symbol dafür werden. Aber ich warne davor, das zu überziehen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Denn um hier ein wirklich dauerhaftes Zeichen zu ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, setzen, bleibt noch vieles zu tun. Nur drei Aspekte Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. auf Drucksache dafür möchte ich kurz ansprechen. 13/8341 (neu). Wer stimmt für diesen Entschließungs- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16835

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist nichtungssteuer abgeschafft. Dies ist ein erfreuliches der Entschließungsantrag einstimmig angenommen. Ergebnis des Vermittlungsausschusses der letzten Woche. Ich danke allen, die an diesen Verhandlun- Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag gen aktiv oder passiv beteiligt waren. der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 13/8345 zu überweisen, und zwar zur federfüh- Die Einigung kam buchstäblich in letzter Minute. renden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Na- Ein weiteres Verschieben hätte unweigerlich die Ein- turschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung führung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen an den Innenausschuß, den Ausschuß für Ernährung, Ländern nach sich gezogen. Vorauszahlungsbe- Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Ver- scheide lagen versandbereit in den Schubladen. Ich kehr und den Ausschuß für Raumordnung, Bau- möchte meinen Respekt insbesondere gegenüber wesen und Städtebau. Sind Sie damit einverstanden? Ministerpräsident Vogel aus Thüringen zum Aus- - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen. druck bringen, der wie ein Löwe dafür gekämpft hat, daß diese falsche Steuer in seinem Bundesland und Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b auf: auch in anderen neuen Bundesländern nicht erhoben werden muß. a) Vereinbarte Debatte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu Steuern und Arbeitsplätzen Ich möchte mich, Herr Voscherau, obwohl Sie b) Erste Beratung des von den Fraktionen nachher wahrscheinlich schlecht über mich reden, CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch für Ihren Anstoß bedanken. Dies wi ll ich nicht NEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei- verschweigen. nes ... Gesetzes zur Änderung des Grund- gesetzes (Artikel 28 GG) (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) - Drucksache 13/8340 - Überweisungsvorschlag: Gemeinsam mit dem Wegfall der Vermögensteuer Rechtsausschuß (federführend) ist die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ein Innenausschuß wichtiges Signal. Die Standortqualität Deutschlands Finanzausschuß hat sich dadurch wesentlich verbessert. Wir haben Es liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktio- unsere Position im internationalen Investitionswett- nen der CDU/CSU und F.D.P. sowie ein Entschlie- bewerb gestärkt. ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Aus Gesprächen mit Wirtschaftsführern wissen vor. wir: Die endgültige Abschaffung der Substanzsteu- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind ern wird viele Investitionsentscheidungen positiv be- für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Auch einflussen. Die Sicherung und Schaffung von Ar- dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren beitsplätzen wird gefördert. Diejenigen, die das im- entsprechend. mer als ganz wichtiges Signal für den Standort Deutschland angesehen und gefordert haben, sind Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bun- nun am Zug, entsprechend zu handeln, im Interesse desminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel, das der Arbeitslosen und im Interesse derer, die ihren Ar- Wort . beitsplatz gesichert sehen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Auch die Kommunen sind Gewinner der Reform. heutige Sondersitzung des Deutschen Bundestages Die Steuerbasis der Gemeinden wird durch die im befaßt sich auch mit den Ergebnissen des Vermitt- Grundgesetz verankerte Beteiligung an der Umsatz- lungsausschusses, der gestern seine Beratungen ab- steuer dauerhaft gesichert. Mit einem Anteil von geschlossen hat. Die Bürger unseres Landes haben 2,2 vom Hundert an der Umsatzsteuer wird der Ein- jetzt Anspruch, umfassend darüber informiert zu nahmeausfall durch den Wegfall der Gewerbekapi- werden, wie es weitergeht. talsteuer mehr als kompensiert. Mit dem heutigen Beschluß über die dritte Stufe Für das laufende Jahr erhalten die Gemeinden in der Unternehmensteuerreform schafft der Deutsche den neuen Ländern neben den bereits vorhandenen Bundestag Rechtssicherheit für die Unternehmen Möglichkeiten für zinsgünstige Kredite einen weite- und Gemeinden in den neuen Ländern. Die Gewer- ren Ausgleich für entgangene Einnahmen. Bund und bekapitalsteuer wird nicht eingeführt; die vorberei- Länder verzichten auf die Gewerbesteuerumlage in teten Vorauszahlungsbescheide werden nicht am entsprechender Höhe. 15. August an die Unternehmen in den neuen Län- Für durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer dern versandt. Schon deswegen, meine Damen und besonders betroffene Gemeinden gibt es einen spe- Herren, ist diese Sitzung notwendig und gerechtfer- tigt und dient dem Interesse der Menschen in den ziellen Ausgleichsmechanismus. Die Länder können bis zu 20 vom Hundert des gemeindlichen Umsatz- neuen Bundesländern. steueranteils für durch die Reform besonders betrof- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fene Gemeinden heranziehen. Mit dem Wegfallen der Gewerbekapitalsteuer wird Von den kommunalen Spitzenverbänden weiß ich: nach der Vermögensteuer die letzte Arbeitsplatzver- Die Gemeindefinanzreform und die Beteiligung an 16836 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Bundesminister Dr. Theodor Waigel der Umsatzsteuer wurden als eine historische Kompromißbereitschaft der Koalitionsseite stand Chance verstanden. Wir haben damit die Gemeinden schon vor Beginn der Verhandlungen - - in ganz Deutschland auf eine bessere qualitative und quantitative Basis gestellt. Ich bin überzeugt, daß wir (Lachen bei der SPD - Dr. Uwe Küster damit einen sehr kommunalfreundlichen Akt vollzo- [SPD]: Da biegen sich die Balken!) gen haben. - Sie können doch überhaupt nicht bestreiten, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wir jede Möglichkeit gesucht haben, zu einer ver- nünftigen Regelung zu kommen. Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer stand schon lange auf der politischen Tagesordnung. Mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dem Steueränderungsgesetz 1992 haben wir als er- Sie hatten keine sten Schritt Entlastungen bei den substanzbelasten- Abschlußvollmacht. Am Tisch sa- ßen zwar Mandatsträger; sie hatten aber nicht das den Steuern, insbesondere bei der bet rieblichen Ver- Mandat ihres Parteivorsitzenden. Es ist traurig, daß mögensteuer und bei der Gewerbeertragsteuer, frei gewählte Ministerpräsidenten, Finanzminister durchgesetzt. 1993 folgte mit dem Standortsiche- rungsgesetz der zweite Schritt zur Strukturverbesse- oder Bundestagsabgeordnete hier nicht das tun, was richtig ist und was sie als richtig ansehen, sondern rung der Unternehmensteuern. Im Mittelpunkt stand ihre Überzeugung und das Gemeinwohl auf dem Al- die Senkung der Körperschaftsteuersätze und des tar der Parteitaktik des SPD-Vorsitzenden opfern. Einkommensteuerhöchstsatzes für gewerbliche Ein- künfte. Die dritte Stufe der Unternehmensteuerre- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) form mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer kann jetzt endlich in Kraft treten. Wo waren in der letzten Woche die Matadore, die sich permanent öffentlich äußern? Es wäre eigentlich Nur, meine Damen und Herren, wir können uns Ihre Pflicht gewesen, Herr Ministerpräsident Lafon- bei der großen Steuerreform fünf Jahre Lern- und taine, auch im Vermittlungsausschuß persönlich zu- Überlegenszeit wie bei der Gewerbekapitalsteuer gegen zu sein. Der Ministerpräsident des Saarlandes nicht leisten. Es darf nicht noch einmal Jahre dauern. empfängt für sein Land viel Solidarität in der Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) republik Deutschland; ich denke hier etwa an den Fi- nanzausgleich. Sie schulden dem Bund und dem Ge- Wir beraten heute ein Vermittlungsergebnis über meinwohl auch Solidarität, die Sie ihnen gerade in den sogenannten Restanten des Jahressteuergeset- den letzten Wochen verweigert haben. Das mache zes 1996, ein Vorschlag, der bereits 1995 als Gesetz- ich Ihnen zum Vorwurf. entwurf vorlag. Zu einer Zustimmung zur Unterneh- mensteuerreform sahen sich die SPD-regierten Län- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der auch damals nicht in der Lage. Ein Jahr später, Wo war der Ministerpräsident Schröder, als es um im Herbst 1996, wurde die Zustimmung zur Abschaf- die Steuerreform ging? fung abermals verweigert, da wir sie mit dem Erhalt einer anderen substanzverzehrenden Steuer, nämlich (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist er denn der Vermögensteuer, hätten erkaufen müssen. Das jetzt?) haben wir nicht getan. In Interviews zur inneren Sicherheit gebärdet er sich Es ist bedauerlich, aber in der Steuerpolitik ist die wie August der Starke. Wenn es aber um die Steuer- SPD unkalkulierbar. reform, um Arbeitsplätze geht, dann verhält er sich wie eine Mickymaus. (Jörg Tauss [SPD]: Blödsinn! - Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Soli!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vermeintliche Argumente werden vorgeschoben; Auch Ministerpräsident Rau und das große Land Machtkalkül bestimmt die Verhandlungen. NRW waren bei den Diskussionen im Grunde nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU vertreten. Wo war Ministerpräsidentin Simonis, sonst und der F.D.P.) um starke Worte nie verlegen? Im Vermittlungsaus- schuß hätte sie Gelegenheit gehabt, das Steuerpro- Meine Damen und Herren, wir werden uns davon gramm der SPD Schleswig-Holstein zu vertreten, das nicht entmutigen lassen. Die Steuerpolitik gerade mit immerhin eine Absenkung des Körperschaftsteuer- Ihnen erinnert mich an Max Weber, der Politik als satzes für thesaurierte Gewinne vorsah. „ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich" definie rt In einem Interview mit der „Saarbrücker Zeitung" hat. Das haben wir Ende der 70er Jahre beim ideolo- am 1. August 1997 sagte der SPD-Vorsitzende Lafon- gischen Grabenkampf der SPD gegen die Abschaf- taine: fung der arbeitsplatzvernichtenden Lohnsummen- Daß wir die Steuerpläne der Koalition gestoppt steuer erlebt. Das gleiche Schauspiel vollzog sich in haben, entspricht dem Willen der großen Mehr- den vergangenen Jahren bei der Gewerbesteuerre- heit der Bevölkerung. form. (Beifall bei der SPD) Zur Steuerreform - das ist jetzt der bedauerliche Aspekt dieser Sondersitzung - ist es im Ausschuß zu - Ich wäre mit dem Beifall vorsichtig; denn ich werde keiner Einigung gekommen. Warum nicht? Bei aller Ihnen gleich noch ein Zitat vorhalten. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16837 Bundesminister Dr. Theodor Waigel Im Bundesrat sagte Ministerpräsident Oskar Lafon- entziehen und sich der Strategie Ihres Parteivorsit- taine am 12. September 1996: zenden unterwerfen? Wir brauchen eine grundlegende Reform der (Zurufe von der SPD) Lohn- und Einkommensteuer, und zwar nicht erst 1999, sondern zum 1. Januar 1998. Die Politikverdrossenheit nimmt weiter zu, die Schar der Nichtwähler wird größer, und extreme (Beifall bei der SPD) Strömungen könnten wieder Zulauf erhalten. Weder Sie noch wir, noch Demokraten und demokratische - Moment, Sie werden noch viel Freude an dem Zitat Parteien werden von dieser Strategie profitieren. haben. Er sagte des weiteren wörtlich: Darum fordere ich Sie auf, mit dieser Strategie Ich habe, wie auch der Kollege Voscherau in der Schluß zu machen und wieder zum gemeinsamen Ar- Nachfolge als Koordinator für die Mehrheit dieses beiten für das Gemeinwohl zurückzukehren. Hauses, mehrfach angeboten, über die Ergeb- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nisse der Bareis-Kommission zu verhandeln, die von der Bundesregierung eingesetzt worden ist. Der DGB-Vorsitzende Schulte bewe rtet ein Schei- Statt dessen schmeißt man deren Ergebnisse in tern der Steuerreform für die deutschen Arbeitneh- den Papierkorb und kündigt dann an, daß man ir- mer als fatal und kündigt höhere Lohnforderungen gendwann einen neuen Vorschlag machen an. Der Vorsitzende der IG Chemie, Schmoldt, ruft werde. Ich möchte nur einmal wissen, was dabei die Bevölkerung zu einer Protestwelle gegen die herauskommen soll. deutschen Politiker auf, „damit wir" - ich zitiere wörtlich - „im zweiten Vermittlungsverfahren end- Meine Damen und Herren, es ist im höchsten lich eine Steuerreform verabschieden". Ich glaube, Grade scheinheilig, Herr Hennemann in der „Süddeutschen Zeitung" trifft das Stimmungsbild in Deutschland, wenn er am (Widerspruch bei der SPD) 31. Juli die Verhandlungen im Vermittlungsausschuß am 12. September 1996 nach der Bareis-Kommission wie folgt kommentiert: Es ist „erschreckend ... , weil zu rufen und danach alles abzulehnen, was von der dieser Vorgang die Mehrheit der Bürger und Wähler Bareis-Kommission an Abbau von Steuervergünsti- in ihrem Eindruck bestätigen wird, daß sich das poli- gungen vorgeschlagen worden ist. tische System in Deutschland inzwischen selbst lahmlegt und es insofern als ziemlich sinnlos erschei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nen kann, überhaupt noch zu wählen". Im Gegensatz zu Ihrer Meinung, Herr Lafontaine, Wir sind wirklich uns, unserem Gewissen und un- daß die große Mehrheit der Bevölkerung die Steuer- serem Auftrag schuldig, daß wir Ende dieses Monats reform nicht wolle, wartet die große Mehrheit der Be- oder Anfang des nächsten Monats notwendige Ent- völkerung auf eine solche große Steuerreform. Die scheidungen treffen, um damit klarzumachen, daß Bürger haben längst verstanden, daß es einer grund- wir im Interesse der Menschen handeln und nicht ir- legenden Reform unseres Steuersystems bedarf, um gendeiner Parteistrategie verantwortlich sind. unser Land wettbewerbsfähiger zu machen und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die öffentliche Berichterstattung über die Ver- Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den handlungen im Vermittlungsausschuß - das ist ein grundlegenden Zielen einer Steuerreform besteht Menetekel für uns alle - ist verheerend. Ich zitiere durchaus parteiübergreifender Konsens. Eine Steuer- nur einige Überschriften: „Verplempert", „Theater reform, die den Namen verdient, muß mit einer deut- ohne Ende", „Gescheitert", „Politische Lähmung", lichen Senkung sowohl des Eingangs- als auch des „Gelähmte Republik", „Trauerspiel". Nur, in dem Spitzensteuersatzes verbunden sein. eben erwähnten Interview sagt Herr Lafontaine wei- Steuersätze von 20 und 40 Prozent sind dabei an- ter: strebenswert. - Von wem ist der Satz? Er könnte von Auch bei uns bleibt die Steuerreform auf der Ta- mir sein, aber er ist von Heinz Schleußer. Sie sollten gesordnung. Direkt nach der Bundestagswahl einmal darüber nachdenken, wie schnell Sie sich von werden wir eine Steuerreform machen. dem verabschiedet haben, was noch vor einem Jahr bei Ihnen fast steuerpolitischer Konsens war. Das nenne ich eine wirklich schlimme Strategie, be- wußt eine Reform jetzt nicht durchzuführen, obwohl Durch eine grundlegendere Reform der Einkom- sie jetzt für die Arbeitsplätze, für die Konjunktur und mensbesteuerung muß das Steuerrecht einfacher für die Investitionen notwendig wäre. und gerechter gestaltet werden. Dabei müssen die Steuersätze spürbar gesenkt werden. - Zu dieser Er- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - kenntnis kam dieselbe Person. Zurufe von der SPD) (Zuruf von der SPD: Für wen?) Die Folgen dieser Blockade tragen wir nämlich - Das ist erst der zweite Zuruf. Sie müssen wissen, alle: Sie und auch wir, die Ministerpräsidenten Rau, Herr Tauss, das hat das Präsidium der SPD bereits im Eichel, Beck, Schröder und Stolpe, die Ministerpräsi- September 1996 gesagt. Sie haben das offensichtlich dentin Simonis und der Erste Bürgermeister Scherf. damals nicht zur Kenntnis genommen. Ich frage mich und auch Sie: Wie lange wollen Sie sich Ihrer Mitwirkungspflicht für das Gemeinwohl (Jörg Tauss [SPD]: Eben doch!) 16838 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Zumindest der SPD-Managerkreis will dies nicht ak- Das Steuerreformkonzept der Koalition ist über- zeptieren. zeugend und wird von Wirtschaft und Wissenschaft unterstützt. In seinem jüngsten Thesenpapier zu Bedeutung und Umfang einer Steuerreform forde rt er einen Ein- (Widerspruch bei der SPD) gangssteuersatz von 15 Prozent und einen Spitzen- Auch kritische Beobachter der Gewerkschaften hal- steuersatz um 40 Prozent sowie niedrigere Körper- ten die generelle Ausrichtung der Steuerreform für schaftsteuersätze. Folgen Sie wenigstens den Mana- richtig. gern, die in Ihrer Nähe sind und Ihnen diesen Rat ge- geben haben! Die Finanzierung unserer geplanten Tarifsenkung besteht aus drei Elementen: einmal einer Verbreite- Der finanzpolitische Koordinator, Bürgermeister rung der Bemessungsgrundlage in einem Volumen Voscherau, meint nun, wir könnten uns eine Steuer- von rund 55 Milliarden DM, dann der Umschichtung reform nicht leisten, da die Einnahmeverluste zu von direkten zu indirekten Steuern in der Größenord- hoch seien. Nur, Herr Kollege Voscherau, das Gegen- nung eines Mehrwertsteuerpunktes und dann den teil ist der Fall. Wir müssen uns eine Steuerreform lei- Selbstfinanzierungseffekten durch reforminduzierte sten, um die Steuererosion nicht weiter fortschreiten Wachstums- und Beschäftigungswirkungen. Dazu- zu lassen und die Steuereinnahmen auf eine verläßli- kommen muß eine Nettosteuerentlastung in vertret- che Basis zu stellen. barer Größenordnung. Wer hier nur statisch denkt, wer glaubt, man könne Zahlenreihen einfach fo rt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) -schreiben, der wird sich wundern: Dann wird die Steuererosion noch weitergehen; sie wird nicht ge- Die unbefriedigende Entwicklung der Steuerein- stoppt, und es wird schon gar nicht Abhilfe geschaf- der letzten Jahre zeigt: Die Steuerreform ist nahmen fen werden können. notwendiger denn je. Nach jüngsten Schätzungen des Instituts der deutschen Wi rtschaft würden Bund, Über Nettoentlastung wird zu oft statisch disku- Länder und Gemeinden 135 Milliarden DM an Steu- tiert. Auch hier haben wir den Versuch gemacht - ereinnahmen allein in den nächsten vier Jahren ver- der Kollege Repnik hat das getan -, Ihnen entgegen- lieren, wenn die Steuerreform nicht kommt. Eine zukommen, und eine geringere Summe der Netto- grundlegende Strukturreform des deutschen Steuer- entlastung ins Gespräch gebracht. Aber auch darauf rechts ist überfällig. Unternehmer haben in den letz- kam von Ihnen keinerlei Reaktion. ten Jahren zunehmend Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der Gewinnsteuern genutzt. Die intensive Fast zeitgleich zu den Diskussionen, die wir hier Ausnutzung von Steuerersparnissen oder die legale führen, einigen sich ein republikanisch dominierter Steuervermeidung etwa in Form der Gewinnverlage- Kongreß und ein demokratischer Präsident in Ame- rung ins Ausland gehören zu den normalen Geschäf- rika auf ein gemeinsames Programm über Steuerer- ten. Wer wie Sie, Herr Voscherau, beklagt, daß die leichterungen und einen ausgeglichenen Haushalt. Millionäre in Hamburg keine oder fast keine Steuern (Jörg Tauss [SPD]: Kein guter Präsident!) zahlen, der darf nicht noch einmal ein oder zwei Jahre warten, bis die Steuerschlupflöcher endlich ge- Während die Skandinavier, die Niederländer und die schlossen werden. Das erfordert Ihre Mitwirkung. Briten ihre Hausaufgaben gemacht haben und die Beschäftigung wächst, sieht man die deutsche Re- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) formunfähigkeit im Ausland mit Spott und mit Scha- denfreude. Solange sich die Gewinnüberlegungen angesichts hoher Steuersätze stärker an Steuerersparnis und (Zuruf von der SPD: Wer regiert denn?) Steuervermeidung orientieren, werden arbeitsplatz- Bis zur nächsten Bundestagswahl ist es noch mehr schaffende Investitionen in Deutschland auf sich als ein Jahr. So lange darf es bei der Steuerreform warten lassen und auch die Gewinnsteuern auf dem keinen Stillstand geben. Wir sind unserer Verantwor- gegenwärtigen niedrigen Niveau verharren. Dieses tung gerecht geworden und werden das Notwendige Problem kann nur durch eine durchgreifende Tarifre- tun. Ursprünglich wollten wir eine solche große Steu- form, wie von der Steuerreformkommission vorge- erreform zum 1. Januar des Jahres 2000. Wir haben schlagen, gelöst werden. Wir brauchen einen niedri- sie um ein Jahr vorgezogen. Mitte des letzten Jahres geren Eingangssteuersatz, damit die Arbeitsauf- wurde die Steuerreformkommission eingesetzt. Am nahme attraktiver wird. Wir brauchen einen niedri- 23. Januar dieses Jahres hat die Kommission ihre Pe- geren Spitzensteuersatz, damit die Steuern in tersberger Steuervorschläge vorgestellt. Der Referen- Deutschland und nicht im Ausland gezahlt werden. tenentwurf wurde erarbeitet. Die Anhörungen haben Wir brauchen niedrigere Gewinnsteuersätze sowohl stattgefunden. Die Gesetzentwürfe wurden einge- beim thesaurierten wie auch beim ausgeschütteten bracht. Die Steuergesetze wurden im Finanzaus- Gewinn, damit Deutschland wieder als Investitions- schuß intensiv beraten. Hier im Deutschen Bundes- standort für ausländische Unternehmen an Attrakti- tag wurden die Steuergesetze diskutiert und noch vität gewinnt und das Kapital nicht einen Bogen um vor der Sommerpause verabschiedet. Deutschland macht. Wir brauchen das Stopfen der Schlupflöcher, damit mehr Geld zur Schaffung von Auch wenn im Vermittlungsausschuß keine Eini- arbeitsplatzschaffenden Investitionen eingesetzt gung gefunden werden konnte, werden wir nicht wird als zur Suche nach dem günstigsten Steuerspar- aufgeben. Unser Land braucht noch in dieser Legis- modell. laturperiode einen Beschluß über eine Steuerreform. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16839

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Wir sind zu einem Kompromiß bereit. Wir wollen desrates sei ein Vorbehalt in Länderinteressen, nicht aber keinen faulen Kompromiß. Der Lohn- und Ein- in den Bundesinteressen von Landesfürsten. Deshalb kommensteuertarif muß durchgängig gesenkt wer- appelliere ich noch einmal an die SPD-Ministerpräsi- den. denten. Denken Sie verantwortungsbewußt an die Arbeitsplätze von heute und morgen, für diese und (Beifall des Abg. Uwe Lühr [F.D.P.]) für die kommenden Generationen. Die Steuerreform Über die Eckpunkte läßt sich reden. muß kommen! Im Interesse unseres Landes appelliere ich an die Ich danke Ihnen. Vertreter der SPD: Überdenken Sie Ihre Strategie. (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ Die Arbeitnehmer und die Arbeitsuchenden - nicht CSU und der F.D.P.) nur im Saarland und in Niedersachsen, sondern in ganz Deutschland - werden es Ihnen danken. Es spricht jetzt der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Ham- Der Appell von Bundespräsident Professor Roman burg, Dr. Henning Voscherau. Herzog, den Reformstau zu überwinden, darf nicht verhallen. Er sagt allerdings auch, zu den Steuerge- Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau sprächen aber falle ihm nichts mehr ein. Mir fällt zu (Hamburg): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten den Steuergesprächen aber eine ganze Menge ein. Damen! Meine Herren! Der Bundesminister der Fi- Einen Teil dessen habe ich versucht zum Ausdruck nanzen hat seine Ausführungen mit der Erwartung zu bringen. Hält der Reformstau weiter an, darf sich eingeleitet, ich würde nach ihm schlecht über ihn re- niemand wundern, wenn der Ruf nach einer Verfas- den. Herr Bundesminister, da täuschen Sie sich. Ich sungskorrektur laut wird. So hat der Politologe F ritz denke gar nicht daran, Sie persönlich anzurempeln; Scherpf beklagt, es gebe - mit der möglichen Aus- denn erstens ist es besser, sich in der Sache ausein- nahme der Schweiz - kein anderes Land, in dem so anderzusetzen, viele Instanzen mit Verhinderungsmacht ausgestattet seien. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Unsere föderale Grundordnung hat sich bewäh rt . ten der PDS) Sie wurde von den Vätern des Grundgesetzes nicht und zweitens sind die Bürgerinnen und Bürger unse- dafür geschaffen, parteipolitische Blockade zu betrei- res Landes des ritualisierten Streits in den deutschen ben. Parlamenten müde. Sie wollen Taten in der Sache se- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hen. In den 50er und 60er Jahren, aber auch in den 70er (Beifall bei der SPD sowie- bei Abgeordne und 80er Jahren gab es bewegende Diskussionen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zwischen Bundestag und Bundesregierung auf der und der PDS) einen Seite und einer anderen Mehrheit im Bundes- In diesem Zusammenhang wird vielfach über Blok- rat auf der anderen Seite. Aber nie hat eine Bundes- kade gesprochen. Kein Geheimnis: Der Herr Bundes- ratsmehrheit in den 50er Jahren - zeitweilig eine kanzler, der Bundesminister der Finanzen und der Mehrheit der SPD - oder in den 70er oder 80er Jah- Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU sprechen land- ren - Anfang der 80er Jahre eine Mehrheit von uns - auf, landab von Blockade. Soeben haben wir gehört, etwas Großes, Wichtiges scheitern lassen. es sei einmalig, daß eine solche Strategie im Bundes- (Jörg Tauss [SPD]: Oh doch!) rat stattfinde. - Nein! - Der frühere Finanzminister Haben Sie denn alle vor wenigen Monaten die, wie ich finde, sehr erheiternde Ka rikatur nicht gesehen, (Dr. Peter Struck [SPD]: Welcher?) in der ein Detektiv mit der Lupe die Fingerabdrücke - der von 1974 bis 1978; Sie wissen es ganz genau, er des Bundeskanzlers Kohl als Ministerpräsident von kommt aus Hamburg wie Sie, Herr Kollege - hat neu- Rheinland-Pfalz auf der Notbremse im Bundesrat lich bei der Vorstellung eines Buches gesagt, auch er ausfindig macht? habe es als damaliger Finanzminister gegen eine (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Mehrheit von CDU/CSU im Bundesrat nicht einfach gehabt. Aber er hat hinzugefügt, in entscheidenden Ist es nicht so, Herr Bundeskanzler, daß Sie selbst Fragen sei es nie zu einer Blockade gekommen. 1976 in den Stoßseufzer ausgebrochen sind, damals Denn auf der anderen Seite habe es einen Minister- an Helmut Schmidt gerichtet: Herr Bundeskanzler, präsidenten namens Stoltenberg gegeben, der sich lassen Sie doch bitte die dauernde Schelte des Bun- letztlich nie dem Gemeinwohl versagt habe und da- desrates! Irgendwie muß das etwas mit dem Rollen- für gesorgt habe, daß es zu einvernehmlichen Lösun- verständnis zu tun haben. gen gekommen sei. Die gleiche Haltung erwarten wir jetzt auch von Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deshalb lassen Sie mich zu Beginn ganz deutlich feststellen: Es gibt keine Blockadestrategie, Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof hat recht, wenn er sagt, der Zustimmungsvorbehalt des Bun- (Zurufe von der CDU/CSU) 16840 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau (Hamburg) sondern es gibt unterschiedliche Auffassungen und packen, weil sie sich gegen die Maxime der Gerech- gegensätzliche Konzepte. tigkeit vergeht. Das ist der Punkt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Der Bundesminister der Finanzen hat soeben dem und der PDS) thüringischen Ministerpräsidenten seinen Dank ausgesprochen. Vielleicht, Herr Bun- Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das unser Land im desminister, gibt mir das in diesem Zusammenhang Interesse der Bürgerinnen und Bürger, die hier leben, Veranlassung, Bernhard Vogel aus der Zeitung „Die und im Interesse unserer Kinder und Enkel fit macht Welt" vom 28. Juli 1997 - kurz vor Abschluß der Mei- und auf die Auswirkungen des globalen Umbruchs nungsstreitigkeiten im Vermittlungsausschuß - zu zi- vorbereitet. tieren: (Zuruf von der CDU/CSU: Ammenmär- Es geschieht weniger Totalblockade, vielmehr chen!) konkurrieren zwei fundamental entgegenge- setzte Konzepte, wovon das eine natürlich das an- - Sie können mich von dieser Überzeugung nicht dere blockiert. Entscheidend aber ist, daß sie so durch Geschrei abbringen. Ich glaube, wir stehen vor völlig unterschiedliche Ansätze haben und da- einer ernsten Herausforderung, vor einer prinzipiel- durch so gut wie unvermittelbar sind. len Prüfung unserer Reformfähigkeit. Der globale Umbruch, die Globalisierungsfalle, wird die nächsten Das ist eine lautere, sachgerechte Beschreibung des beiden Generationen der Deutschen in ihrem Ar- Kerns: Wir sind verschiedener Meinung. beitsleben herausfordern und die Anspannung aller Kräfte erfordern. Denn ich möchte fragen: Wovon le- (Beifall bei der SPD) ben wir denn? - Wir leben vom Vorsprung; wir leben Was mich stört, ist, daß sich die Diskussion um davon, daß wir besser sind als die Konkurrenz; wir le- Steuerreform und um Entlastungsvolumina in diesen ben davon, daß wir schneller sind als die Konkur- Wochen und Monaten immer stärker eingeengt hat, renz. als handelte es sich bei beiden um eine A rt Selbst- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU zweck. Ist es denn nicht ursprünglich so gewesen - und der F.D.P.) übrigens, Herr Bundeskanzler, auch auf Ihrer Seite und bei Ihnen persönlich, das will ich nachdrücklich, Dies bezieht sich auf alle Deutschen. Das bezieht und zwar würdigend, unterstreichen -, daß diese sich nicht isoliert auf eine ganz kleine, sehr erfolgrei- Steuerreform als ein Teil der Notwendigkeit eines che, sehr vermögende Höchstverdienerschicht. Sie großen deutschen Aufbruchs, eines Fitneßpro- ist es - vielleicht 1 Prozent, vielleicht 5 Prozent der gramms für das neue Jahrhundert, einer Beendigung deutschen Steuerzahler -, -die durch Ihre Steuerre- des Reformstaus, einer Anpassung unserer Struktu- formvorschläge vor allen anderen massiv entlastet ren an den globalen Umbruch, einer Vorsorgestrate- wird. gie gegen die Schwächung des Wirtschafts- und Ar- beitsstandorts Deutschland, als ein integ rierter Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne standteil eines gerechten, tüchtigen und wirksamen ten der PDS) Gesamtkonzepts eingeleitet wurde? Im Mittelpunkt dieser Diskussion müssen doch die Was ist davon übriggeblieben? Jetzt reden wir 6 Millionen fehlenden Arbeitsplätze in Deutschland über die Senkung des Solidaritätszuschlages als stehen - vielleicht sind es gar mehr -; im Mittelpunkt Selbstzweck, und Sie haben offenbar in der Koalition der Diskussion müssen die 4,5 Millionen registrierten nicht die 7,5 Milliarden DM, um das ohne Gegenfi- Arbeitslosen stehen. nanzierung aus eigener Kraft zu machen, was Sie ja (Zuruf von der F.D.P.: Genau darum geht könnten. Jetzt reden wir von einer 30-Milliarden es!) Nettoentlastung als Selbstzweck, und kein Mensch bei Ihnen spricht mehr über diesen ehrgeizigen, Dieses Land steht mitten in der größten Verschul- wichtigen, zukunftsbezogenen Ansatz dungskrise der öffentlichen Finanzen - auch der Bundeshaushalt, Herr Bundesminister der Finanzen, (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Doch! Doch!) genauso wie die Haushalte von Ländern und Ge- einer Gesamtkonzeption, an die die Bürgerinnen und meinden - seit der Gründung der Bundesrepublik im Bürger in Deutschland Ost und West glauben kön- Jahre 1949. nen, weil sie gerecht ist und jeden dazu motiviert, mit anzufassen. Denn in Wahrheit liegt doch da der Hase Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Erster Bürger- im Pfeffer. meister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- (Beifall bei der SPD) ordneten Selle? Diese Bundesregierung bringt es nicht fertig - das Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau möge bitte nicht der Opposition in die Schuhe ge- (Hamburg): Ja, gerne. schoben werden; denn auf diesem Sektor können Sie allein handeln -, die 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes dazu zu motivieren, mit anzu- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Bitte. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16841

Johannes Selle (CDU/CSU): Herr Bürgermeister vierte Unternehmen baue ab, liest man in der Presse, Voscherau, Sie haben gesagt, daß es gegensätzliche, jedes dritte Unternehmen erwäge Abwanderung. miteinander konkurrierende Auffassungen in der Steuerpolitik gibt. Das bringt mich zu folgender (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ja, warum Frage, die ich Ihnen stellen möchte: Hat denn die wohl?) SPD förmlich einen eigenen Gesetzesvorschlag ein- Jetzt schmilzt Ihnen sogar der Außenwert der Deut gebracht oder nicht? schen Mark weg. Der Dollar steht heute bei 1,87 DM.

Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau (Ham- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Warum burg): Die SPD-Mitglieder des Vermittlungsaus- wohl? - Gegenruf des Abg. Dr. Peter Struck schusses haben - mir gegenüber saß der stellvertre- [SPD]: Herr Michelbach, hören Sie allmäh tende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, lich auf! Dämlicher Zwischenruf!) Herr Repnik, der hier anwesend ist - spät - das will Man stelle sich vor - ich sage das nicht allein an ich einräumen -, aber doch in knackiger und gerad- die Anwesenden, sondern an die Deutschen in Ost liniger Form und West -, dies wäre die Bilanz von eineinhalb Jahr- (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zehnten Regierung eines sozialdemokratischen Bun- deskanzlers. Herr Bundeskanzler, ein Sozialdemo- an Hand des Konzeptes der Koalition und des Kon- krat, der all diese Negativrekorde auf sich zöge, zeptes der Sozialdemokratie einen Schnelldurchgang müßte auswandern. durch den Abbau von Steuervergünstigungen, von Privilegien, von Subventionen und von Abschrei- (Beifall bei der SPD - Lachen des Bundes bungsmöglichkeiten gemacht. kanzlers Dr. Helmut Kohl)

(Zurufe von der CDU/CSU: Wo denn?) Aber für die regierende Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. ist völlig klar, wer die Schuld hat: natürlich - In einer Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschus- die Opposition. Die Opposition ist es gewesen, die ses. Da der Herr Abgeordnete Repnik in der Reihe seit 15 Jahren nicht mehr im Kanzleramt war. Die vor Ihnen sitzt, können Sie ihn auch ganz leise fra- Bürgerinnen und Bürger müssen sich überlegen, ob gen, statt bei mir dazwischenzubrüllen. sie das glauben wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben gemeinsam ein Volumen von Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Bürgermei- 33 Milliarden DM erreicht, das für eine Finanzierung ster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- neten Stoltenberg? der Steuerreform zur Verfügung stünde. Der stellver- - tretende Fraktionsvorsitzende Herr Repnik hat dieses Ergebnis mit einem gewissen Dank gewürdigt. Das Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau fand ich menschlich in Ordnung, lieber Herr Repnik. (Hamburg): Meinem früheren Nachbarn aus Schles- (Beifall bei Abgeordneten der SPD - wig-Holstein gerne. Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Alles Sprüche!) Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU/CSU): Herr Bürger- Stichwort „größte Verschuldungskrise": Die Staats- meister, halten Sie es für logisch und schlüssig, so- schulden in Deutschland belaufen sich in Bund, Län- eben klagend der Regierung vorzuwerfen, daß im- dern und Gemeinden inzwischen auf über 2 Billionen mer mehr Investitionskapital und immer mehr Unter- DM. Der Anstieg ist atemberaubend. Der Finanz- nehmen ins Ausland gehen, und gleichzeitig eine transfer in die östlichen Länder wird hauptsächlich Steuerreform, die genau die Investitionsbereitschaft von den Beitragszahlern finanziert. Die Rückflüsse in Deutschland wieder vergrößern sollte, mit dem aus den östlichen Ländern durch Steuereinnahmen wahrheitswidrigen Argument, daß hier 1 Prozent der des Bundes werden von der Bundesregierung meist Leute begünstigt werden sollten, abzulehnen? Be- tunlichst verschwiegen. Art. 115 des Grundgesetzes steht hier für Sie kein Zusammenhang? wird in Anspruch genommen, um laufende Ausga- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ben durch Kredite zu decken. Das allerdings, Herr Bundeskanzler, holt Ihre damalige Klage gegen Bun- deskanzler Schmidt in ähnlicher Angelegenheit jetzt Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau peinlich ein. (Hamburg): Lieber Herr Stoltenberg, wenn ich nach der Geschäftsordnung des Hauses vom Rednerpult So, meine Damen und Herren, stehen wir, das ist eine Gegenfrage stellen dürfte, würde ich Sie bitten, das traurige Fazit, gegenwärtig in der denkbar mir die Frage zu beantworten, ob Sie die Finanzpoli- schlechtesten Situation für eine sehr große unfinan- tik Ihres Nachfolgers für logisch und schlüssig hal- zierte Steuerreform, denn die öffentlichen Finanzen ten? von Bund, Ländern und Gemeinden in Deutschland sind zerrüttet. Gleichzeitig lesen wir in der Wirt- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaftspresse, daß der Welthandelsanteil der deut- DIE GRÜNEN) schen Volkswirtschaft rapide zurückgeht. Der frü- here Exportweltmeister hält nicht Schritt. Jedes Auf die Steuerreform komme ich später zurück. 16842 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Stoltenberg Meine Damen und Herren, mit dem Bundesmini- fragt, ob Sie eine Zusatzfrage gestatten. ster der Finanzen bekenne ich mich zu dieser Form altmodischen Denkens. (Beifall bei der SPD) Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau (Hamburg): Herrn Stoltenberg gestatte ich gerne Wir brauchen Arbeitsplatzpatriotismus, wir brauchen noch eine Zusatzfrage. Dann würde ich gerne im Zu- Steuerpatriotismus, wir brauchen Sozialstaatspatrio- sammenhang fortfahren. tismus für die Menschen in diesem Lande - nicht als Gegensatz zu den Interessen von Nachbarn und an- deren Ländern, aber doch selbstbewußt in der solida- Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU/CSU): Herr Regie- rischen Verteidigung unserer eigenen Interessen. render Bürgermeister, besteht eine Chance, nachdem es leider nicht möglich ist, Ihre Zusatzfrage zu beant- (Beifall bei der SPD) worten, auf meine Frage einzugehen? Das war ei- gentlich der Sinn meiner Anfrage. Eine Steuerreform muß also dem Erhalt bestehen- der und der Schaffung neuer Arbeitsplätze dienen. Eine Steuerreform darf die öffentlichen Finanzen nicht noch weiter ruinieren. Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau (Hamburg): Herr Stoltenberg, ich komme auf Ihre Der bayerische Finanzminister hat während der Frage und auf die Steuerreform im Rahmen meiner Beratungen des Vermittlungsausschusses deutlich Ausführungen zurück. Sie bekommen dann die Ant- gemacht, in der Brust eines jeden Finanzministers wort. wohnten zwei Seelen: die des Finanzpolitikers und die des Steuerpolitikers. Meine Damen und Herren, in unserem Land muß sich das Steuer- und Abgabensystem ändern, die Herr Bundesfinanzminister, Sie haben uns nun alle Staats- und Abgabenquote muß herunter, und zwar in einer Situation vorgefunden - eigentlich müßten vorrangig bei den Sozialabgaben; denn in Wahrheit Sie das einräumen -, in der diese beiden Seelen mit- ist die Steuerquote seit den 50er und 60er Jahren im einander im Konflikt stehen. Das liegt daran, daß die wesentlichen gleichgeblieben. öffentlichen Finanzen in diesem Ausmaß zerrüttet sind. Sie hingegen verbreiten mit Ihrer These von Darüber hinaus aber muß sich sehr viel mehr än- vorhin die Behauptung, man brauche nur auf die gro- dern, soll der Ansatz, Auslandsinvestitionen nach ßen ruinösen Steuerlücken jetzt noch anderthalbe zu Deutschland zu holen und die Abwanderung der setzen, gewissermaßen mit einer zusätzlichen Vor- deutschen Unternehmen zu begrenzen, Erfolg ha- wärtsverschuldung, dann werde- das andere sich im ben. nachhinein Jahre später schon gegenfinanzieren. Dazu wiederhole ich das Wo rt , daß in der amerikani- Wir brauchen das Bekenntnis aller zur Unauflös- schen politischen Auseinandersetzung dafür geprägt lichkeit von Leistung und Solidarität; beides gehört worden ist: „Voodoo economics". zusammen. Wir müssen zukunftsgerichtet die For- schung und die Anwendung stärken. Sie tun das Ge- (Beifall bei der SPD) genteil. Wir müssen uns auf die Grundlagen unserer Stärke besinnen: Das ist das Können und das Wollen Eine Steuerreform ist also kein Selbstzweck. Der der Menschen. Die Arbeit muß wieder bezahlbar Vermittlungsausschuß hatte es mit drei unterschiedli- werden, die Lohnnebenkosten müssen herunter. Die chen Paketen zu tun: Erstens mit der sogenannten Lasten müssen gerecht verteilt werden. Das Steuer- allgemeinen großen Steuerreform. system muß gerechter und transparenter werden. Wir sind für eine große Steuerreform, allerdings Weiterhin muß der Sozialstaat für diejenigen, die ihn nicht für Ihre, und zwar aus sachgerechten Erwägun- benötigen, berechenbar verläßlich bleiben. Auch das gen. unterminieren Sie unablässig. (Beifall bei der SPD - Ingrid Matthäus (Beifall bei der SPD) Maier [SPD]: Sehr gut!)

Gleichzeitig kritisiere ich mit Nachdruck den Erstens. Sie sprechen über ein großes Entlastungs- schleichenden Rückzug von Teilen der deutschen volumen von netto 30 Milliarden DM, völlig unfinan- Funktionseliten aus dem Gemeinwohl und aus der ziert, brutto ursprünglich 56 Milliarden DM, jetzt Verantwortung für das Gemeinwesen. noch 45 Milliarden DM, weil die Steuerschätzung vom Mai so verheerend ausgefallen ist. (Beifall bei der SPD) Ein Drittel dieses Entlastungsvolumens nach den An dieser Stelle, Herr Bundesminister der Finan- Vorstellungen der Koalition kommt dem obersten zen, haben Sie recht, wenn Sie sich in der „Welt am i Prozent der Steuerzahler zugute - ein D rittel dem Sonntag" vom vergangenen Sonntag altmodisch zur obersten 1 Prozent! „Pflicht unserem Vaterland gegenüber" bekennen; (Zuruf von der SPD: Das ist nicht zu fassen!) als diese Zeitung erklärte, Ihr Appell an die Arbeitge- ber, Sie hätten eine patriotische Pflicht, neue Stellen Die Hälfte des Entlastungsvolumens kommt den zu schaffen, wirke etwas altmodisch. obersten 10 Prozent zugute. Der unteren Hälfte unse- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16843

Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau (Hamburg) rer gesamten Bevölkerung, dem Millionenheer der Dann die Lohnnebenkosten. Schon seit Beginn fleißigen gering verdienenden Arbeitnehmerinnen dieses Jahres habe ich an Sie appelliert: Priorität in und Arbeitnehmer kommt nur ein Siebtel des Entla- diesem Land für die Senkung der Abgabenquote stungsvolumens zugute. Das ist die Verteilungswir- und die Entlastung der Arbeitsplatzkosten muß die kung Ihrer Steuerreform. Senkung der gesetzlichen Lohnzusatzkosten haben. Das IAB in Nürnberg hat, bezogen auf die ehrgeizige (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE und, wie ich finde, unterstützenswerte Zielsetzung GRÜNEN und der PDS) des Bundeskanzlers, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren, deutlich gemacht, ohne Sen- Das ist ein Grund, warum wir diese Verteilungs- wirkung aus Gerechtigkeitsgründen so strikt ableh- kung der gesetzlichen Lohnzusatzkosten um drei Prozentpunkte werde das nicht möglich sein. Nun nen. hat Herr Schäuble diese Zielsetzung schon kassiert. Ich sage das jetzt zum fünften Mal; der Bundesmi- Jedenfalls stand es so in der Zeitung. Wir halten nister der Finanzen kennt das. Ich fordere ihn noch- daran fest. Es wäre jetzt an der Zeit, die gesetzlichen mals auf: Wenn Sie diese Plausibilitätsrechnungen Lohnzusatzkosten um zwei Prozentpunkte zu sen- meiner Beamten für so falsch halten, dann bestreiten ken. Sie diese Verteilungswirkung nicht einfach abstrakt, sondern dann veröffentlichen Sie Ihre Berechnungen Der Vermittlungsausschuß hat - ich räume ein: zu und Ihre alternative Gegenrechnung, damit sich meinem Leidwesen - mit knapper Mehrheit dem diese auch alle Bürger von Stralsund bis Saarbrücken Bundestag ein Ergebnis vorgelegt, das heute zur An- und von Flensburg bis Reit im Winkl anschauen kön- nahme oder Ablehnung ansteht. nen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) reden gegen die Wirklichkeit! Das ist uner träglich!) Ihre Entlastungswirkung mit dieser ungewichtigen Verteilung berücksichtigt auch nicht, daß wir drin- Es sieht die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosen- gend die lahmende Binnennachfrage durch eine Ent- versicherung und zur Rentenversicherung um einen lastung der geringverdienenden Haushalte stärken Prozentpunkt vor. Wir haben auf uns genommen, müssen, die unpopuläre Gegenfinanzierung offenzulegen: 10 Pfennig plus bei der Mineralölsteuer, 2 1/2 Pfennig (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne plus beim Heizöl, 1 Punkt plus bei der Mehrwert- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN steuer. Das nennen Sie Populismus und Taktik? Wir und der PDS) haben das auf uns genommen.- die nämlich jede Mark, die sie monatlich mehr im Portemonnaie haben, wirklich in den Konsum umset- Ich bin in der Hoffnung hier hergekommen, es zen. Ihre Steuerreform mit diesen riesigen, ruinösen gäbe vielleicht doch noch eine Einsicht und Sie wür- Haushaltslücken verkennt, daß sich der Bund, der den Simsalabim wie Kai aus der Kiste heute diesen laufende Ausgaben durch Schulden finanzieren Vorschlag annehmen. muß, die Länder, die das teilweise tun müssen, und viele Gemeinden nicht leisten können, solche großen (Beifall bei der SPD) zusätzlichen Lücken zu machen. Im übrigen verweise ich noch einmal darauf, Herr Die Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder. Ich Repnik, daß wir uns auf ein für die Gegenfinanzie- appelliere an Sie, das zu tun. rung einer soliden Steuerreform zur Verfügung ste- hendes Volumenverbreiterungskonzept von über- Zum Schluß zur Gewerbesteuer. Der gegenwärtige schlägig 33 Milliarden DM geeinigt hatten. Abzüg- Vorsitzende des Vermittlungsausschusses, Herr Ab- lich der 4 Milliarden DM auf Grund der Abschaffung geordneter Blens, hat mehrfach im Rahmen des Ver- der Gewerbekapitalsteuer macht das 29 Milliarden mittlungsverfahrens mit liebevoller Ironie Scherz- DM. 29 Milliarden DM sind sehr viel Geld. Kommen worte aus der Geschichte bemüht, indem er darauf Sie auf uns zu! Legen Sie einen neuen, realistischen verwiesen hat, 1928 habe der Reichsverband der Tarifverlauf vor! Deutschen Industrie die Abschaffung der Gewerbe- steuer als unmittelbar bevorstehend bezeichnet. Das (Beifall bei der SPD) war 1928. Jetzt haben wir 1997. Geben Sie ihn nicht nur der „FAZ"! Do rt wurde er veröffentlicht; mir liegt er bis zur Stunde nicht vor. Sie werden mir nicht verargen, wenn ich sage: Ich Was ist das für ein Vermittlungsausschuß, der aus der empfinde es auch persönlich als ein sehr befriedigen- Wirtschaftspresse erfährt, die Koalition habe ihren ur- des Ergebnis, daß letztlich durch den Hamburger sprünglichen Tarifvorschlag zurückgezogen und Vorstoß eines Gesetzentwurfs zur Abschaffung je- habe einen neuen, aber man bekommt ihn nicht? Das denfalls, Herr Blens, der Gewerbekapitalsteuer, wie- ist nicht der Sinn eines Vermittlungsverfahrens. der so viel Bewegung in die Sache gekommen ist, daß wir heute, sofern der Bundestag die entspre- (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Schäuble chenden Mehrheiten dafür hat, diesen Durchbruch [CDU/CSU]: Ach Quatsch!) erzielen können, nämlich die Befreiung der Unter- 16844 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau (Hamburg) nehmen in Deutschland von einer ertragsunabhängi- gen könnte, deren Verteilungswirkungen gerecht gen Substanzbesteuerung. sind, halte ich als krönenden Abschluß des Tarifver- laufs auch eine Senkung des Spitzensteuersatzes für (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zurufe „unausweichlich". Die fachlichen Gründe für dieses von der CDU/CSU und der F.D.P.) Wort kennen Sie genau so gut wie ich.

- Gegenüber Ihrer Unruhe, meine Damen und Her- Warum ist das so notwendig? Nun, schlagen Sie ren von der CDU/CSU, möchte ich in Anspruch neh- bei den Ergebnissen des baden-württembergischen men, daß es im Vermittlungsausschuß über diese An- Rechnungshofs nach, über die man in diesen Tagen gelegenheit am Ende gemeinsam, parteiübergrei- in den Zeitungen lesen kann. fend Befriedigung und auch wechselseitig - das kam schon bei dem Bundesminister der Finanzen zum (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Ausdruck - Dankbarkeit und Anerkennung gab. DIE GRÜNEN]: Zwischen 25 und 41!) Nun haben wir das offenbar gemeinsam geschafft; reden Sie es doch nicht wieder klein! Dort ist die Rede davon, daß bei einem zu versteuern- den Jahreseinkommen von 250 000 DM nach den (Beifall bei der SPD) Feststellungen des baden-württembergischen Rech- nungshofs die durchschnittliche steuerliche Bela- Dieses Ergebnis ist gut für die Betriebe. Es ist gut stung bei 25 Prozent liegt. Sie steigt bei den Einkom- für die Arbeitsplätze. Meine vielen Kolleginnen und mensmillionären auf 42 - nicht 53 - Prozent. Bei den Kollegen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Einkommensmillionären, nicht den Vermögensmillio- den deutschen Städten und Gemeinden werden mir nären! hoffentlich nicht allzu sehr nachtragen, daß es nicht gelungen ist, 2,3 Prozent Beteiligung der Gemeinden (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Die zah- an der Umsatzsteuer zu erreichen. Immerhin sind es len doch keine Steuern, haben Sie gesagt!) 2,2 Prozent statt 1,9 oder statt 2,1 Prozent. So wurde am 31. Juli die jüngste Denkschrift des (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Landesrechnungshofs zitiert, die mich selber nicht erreicht hat. Da in den Gemeinden die alltäglichen Bürger- dienstleistungen erbracht werden, sind die Gemein- (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: In Ham definanzen und die Finanzkraft der Gemeinden das burg zahlen sie doch gar keine Steuern! - solide Fundament unseres dreistufigen demokrati- Gegenruf des Abg. Joseph Fischer [Frank schen Staatsaufbaus. furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt lenken Sie mal nicht ab!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) - - Da Sie mich auf Hamburg ansprechen, nenne ich Unglaublich viele Menschen aus allen Parteien, Zahlen. die in diesem Hause sind, engagieren sich ehrenamt- lich in der Kommunalpolitik. Was haben sie meistens (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Sie haben davon? Nichts als Nackenschläge ; das darf man den gesagt, die zahlen keine Steuern!) Bürgerinnen und Bürgern einmal sagen und sie auf- rufen: Macht doch selber in den Gemeinden mit und In Hamburgs ärmstem Stadtteil - Sie kennen ihn geht in die Kommunalpolitik! alle -, in Sankt Pauli, hatten die Steuerpflichtigen 1989 ein durchschnittliches Jahreseinkommen von Wir haben, glaube ich, insgesamt eine gute Lö- 31400 DM und 1992 - damals gab es die nächste sung. Steuerstatistik - eines von 39 753 DM. Das heißt, die Ärmsten hatten 1992 im Vergleich zu 1989 ein hö- Nun, lieber Herr Stoltenberg, zu Ihnen. Am 17. Fe- heres zu Steuerleistungen herangezogenes Einkom- bruar habe ich öffentlich geäußert - ich darf das ver- men. kürzt vorlesen -: Nun nehmen wir Hamburgs reichsten Stadtteil, Eine ... Entlastung von 44 Milliarden bei den Nienstedten an der Elbe. 1989 betrug das zu ver- Steuern ist nicht finanzierbar. Das dicke Ende steuernde Jahreseinkommen do rt durchschnittlich wird später als Erhöhung der Verbrauchsteuern 316250 DM und 1992 178511 DM. .präsentiert. Speziell für den Unternehmensbe- reich gilt: Auch hier muß es vorrangig um Auf- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die sind alle kommensneutralität gehen. Vor allem im Hin- verarmt!) blick auf die dringend notwendige Ansiedlung ausländischer Unternehmen wäre schon viel ge- Es ist die „Bild"-Zeitung, die schreibt: Es wurde nicht wonnen, wenn wir die psychologisch schädlichen weniger verdient, sondern es wurden nur weniger hohen nominellen Steuersätze durch Abbau der Steuern gezahlt. vielen Steuervergünstigungen senken könnten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Das ist unverändert meine Überzeugung. Deswegen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) habe ich immer wieder teilweise ganz persönlich, Meine Damen und Herren, ich unterstelle, das al- aber auch öffentlich deutlich gemacht: Für den Fall, les geschieht legal. daß man sich auf eine solide finanzierte, die Staatsfi- nanzen nicht weiter ruinierende Steuerreform eini (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16845

Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau (Hamburg) Ich habe deswegen, von seiten der CDU/CSU und Aber wichtig war ein anderer Teil - das spricht F.D.P. wochenlang öffentlich massiv kritisiert, vor dafür, daß ein zweites Vermittlungsverfahren und Jahren gesagt, nur noch etwa die Hälfte der Hambur- eine Verständigung doch ernsthaft versucht wer- ger Millionäre zahle Einkommensteuern. Dabei den -: wurde ich von Ihnen massiv kritisiert. (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Ja!) Nun hat der Bundesminister der Finanzen vor we- nigen Wochen vor dem Deutschen Städtetag in Ham- Sie haben sich noch einmal ausdrücklich zu dem be- burg vor 2000 Oberbürgermeistern gesagt, inzwi- kannt, was Sie vorher gesagt hatten, nämlich daß es schen, rückblickend, müsse man ja feststellen, an richtig und gerecht sei, hohe Steuersätze einschließ- dieser Bemerkung von mir damals sei mehr als nur lich des Spitzensteuersatzes durch den massiven Ab- ein Körnchen Wahrheit gewesen. bau von Steuervergünstigungen drastisch zu senken , Das ist ein Punkt - das gilt auch für den Spitzensteu (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Ja, ersatz -, bei dem Sie mit der Koalition Einvernehmen richtig! - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: haben. Dann muß man auch die richtigen Schlüsse daraus ziehen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Lieber Herr Stoltenberg, wegen der Auslandsinve- storen, die wir wieder stärker ins Land holen müssen, Wenn Sie dann exploratorisch zwischen den (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Brauchen Hauptakteuren im Vermittlungsausschuß gesagt ha- wir die Steuerreform!) ben, unter gewissen Bedingungen könnten wir über 30 Milliarden DM Steuersubventionen abbauen, und wegen der Gerechtigkeit bei der Heranziehung dann müßte es doch möglich sein, daß im zweiten zu Steuersätzen Vermittlungsverfahren das, was bisher bei Ihnen wohl noch nicht erkennbar war, nämlich ein mögli- (Dr. Hermann Otto Sohns [F.D.P.]: Brauchen cher Tarifverlauf mit einem Ablauf von Steuerver- wir die Steuerreform!) günstigungen in Höhe von 30 Milliarden DM und ei- ner zweistelligen Milliardenzahl, die ich einmal of- brauchen wir allerdings auch für die Zukunft dieses fenlasse, an echter Steuerentlastung, herauskommt. Landes eine Steuer- und Abgabenreform, aber Ihre Dann würde ich die Aussichten für ein ernsthaftes nicht. Bemühen etwas optimistischer beurteilen als vor Ih- (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall rer Rede. Ich stand immer noch unter dem Eindruck beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der der etwas anders klingenden öffentlichen Reden von PDS) Herrn Lafontaine. Ich lade- alle ein, diesen Versuch im Vermittlungsausschuß wirklich zu machen.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ner Kurzintervention hat der Kollege Dr. Stoltenberg.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Bürgermei- Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU/CSU): Herr Präsi- ster Voscherau, wollen Sie antworten? dent! Herr Bürgermeister Voscherau, es gibt einige Punkte, an denen man nach Ihren Ausführungen (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Er hat weiterdiskutieren sollte. Ich glaube, das, was Sie zum kein Mandat!) Schluß über Steuervermeidung gesagt haben - da stimme ich im Ansatz manchem zu, was Sie hier aus- - Dann hat jetzt der Kollege Hans-Peter Repnik, geführt haben -, steht in einem gewissen Wider- CDU/CSU, das Wort. spruch zu den von Ihnen beschriebenen angeblichen Verteilungswirkungen der Steuerreform. Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Herr Präsident! (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es, ja!) zu Beginn der heutigen Debatte eine beeindruk- kende Geschlossenheit des Hohen Hauses über die Wenn nach Ihrer Vermutung 50 Prozent der Hambur- Parteigrenzen hinweg erlebt, als es darum ging, an- ger Millionäre keine Steuern zahlen, dann können gesichts der Flutkatastrophe an der Oder eine große sie auch nicht zu denen gehören, die überdurch- Herausforderung zu bewältigen. Ich hätte mir ge- schnittlich entlastet werden. wünscht, daß wir angesichts von 4,3 Mil lionen Ar- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU beitslosen in der Bundesrepublik Deutschland eine und der F.D.P.) ähnliche gemeinsame Geschlossenheit gefunden hätten. Ich will diese Problematik hier nur einmal verdeutli- chen. In diesem Punkt sind sowohl Ihre Argumente Wenn im Vermittlungsausschuß die SPD und die als auch die Sachverhalte überprüfungswürdig. Grünen auch nur im Ansatz verhandlungsbereit ge- wesen wären, könnten wir heute neben der Botschaft (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der für die Menschen im Oderbruch auch den Menschen F.D.P.) in Deutschland die Botschaft vermitteln: Der Standort 16846 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Hans-Peter Repnik Deutschland ist gesichert. Es geht weiter. Wir sind außerordentlich schwierigen und langwierigen Ver- ein großes Stück vorangekommen. handlungen geschafft haben, die Gewerbekapital- steuer abzuschaffen. Daß Sie dazu einen Beitrag ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) leistet haben, wi ll ich wohl bekennen. Die Gewerbe- kapitalsteuer wurde nicht nur abgeschafft. Mit dem Verehrter Herr Kollege Voscherau, nachdem Sie Beschluß im Vermittlungsausschuß und mit dem Be- ein wenig aus dem Nähkästchen der Verhandlungen schluß heute sorgen wir dafür, daß in den neuen Län- der letzten paar Wochen geplaudert haben, sei es mir dern ab dem 15. August nicht die substanzverzeh- gestattet, auf das eine oder andere Argument einzu- gehen. Sie haben an diesem Pult vor wenigen Minu- rende Gewerbekapitalsteuer erhoben werden muß. Allein das ist die heutige Sitzung wert. ten den Eindruck erweckt, als habe es tatsächlich und ganz konkret die Chance gegeben, zum Beispiel (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge 'bei der großen Steuerreform in intensiven, zielfüh- ordneten der F.D.P.) renden, auf eine Einigung im Vermittlungsausschuß hinweisenden Gesprächen zu Lösungen zu kommen. Wir waren aber auch bei einem zweiten Thema re- Diesem Eindruck muß ich hier leider widerspre- lativ erfolgreich, nämlich bei der Senkung der Lohn- chen. Wir haben wiederholt ganz konkret den Ver- zusatzkosten. In den Verhandlungsdelegationen be- such gemacht, Sie und Ihre Delegation zu sachlichen stand der Konsens, daß wir die Lohnzusatzkosten zu- Gesprächen zu zwingen. rückführen wollen. Es gab nur eine andere Auffas- sung. (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Rich tig!) Wir von der Koalition haben immer gesagt: Ein sol- cher Konsens muß aus zwei Teilen bestehen. Der er- Bis auf einige wenige Ausnahmen, auf die ich gleich ste Teil umfaßt strukturverändernde Maßnahmen; al- zu sprechen komme, sind Sie dieser Diskussion aus- lein die Querfinanzierung von einer Kasse in die an- gewichen, und zwar aus einem einzigen Grund: Sie dere bringt nichts. Der zweite Teil ist ganz konkret und Ihre Truppe - Entschuldigung -, Sie und Ihre De- die Finanzierung durch Steuererhöhungen, um Bei- legation hatten zum Abschluß einer solchen großen tragssenkungen ermöglichen zu können. Auch das Lösung, die Deutschland weitergebracht hätte, die möchte ich bei dieser Gelegenheit sagen. uns Arbeitsplätze gebracht hätte, kein Mandat. Dies ist die Wahrheit und nichts anderes. Wir waren uns relativ schnell einig, daß wir, begin- nend bei der Rentenreform, den strukturverändern- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den Teil nicht in das Vermittlungsverfahren einbezie- hen, und zwar deshalb, weil Norbe rt Blüm bereits ei- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ging sogar nen Gesetzentwurf in erster Lesung in den Bundes- so weit, daß zu einem Zeitpunkt, als es so aussah, als tag eingebracht hat, der beide- Teile enthält: Struktur- könnten wir uns möglicherweise tatsächlich näher- veränderungen auf der einen Seite und Querfinan- kommen, der saarländische Ministerpräsident - im zierung auf der anderen Seite. Deshalb haben wir ge- übrigen ohne Absprache - seine Finanzministerin in sagt: Dieser Gesetzentwurf soll in seinem struktur- die SPD-Delegation delegiert hat, damit sie aufpaßt, verändernden Teil das normale parlamentarische daß um Gottes Willen die Einsichtigen in der SPD mit Verfahren durchlaufen: Ausschußberatung, darüber uns keinen Abschluß tätigen, der nicht im Interesse hinaus Anhörungen und dann die Beratung hier im des SPD-Bundesvorsitzenden ist. Deutschen Bundestag. (Peter Hintze [CDU/CSU]: Ungeheuerlich! - Wir haben uns darauf verständigt, nur über den Fi- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ nanzierungsteil zu verhandeln. Wir waren uns weit- DIE GRÜNEN]: So etwas hat Herr Hintze in gehend darin einig, die Mehrwertsteuer um einen seinem Leben noch nie gehört!) Punkt zu erhöhen, um die Beiträge um einen Punkt - Herr Fischer, statt sich hier mit Zwischenrufen ein- senken zu können. zubringen, würde ich Ihnen raten, daß sich Frau Mül- ler - oder wer auch immer von den Grünen ein Man- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Da waren dat hat - auch einmal konstruktiv beteiligt. Für mich wir uns nicht einig!) war es in all den Verhandlungen hoch spannend, zu - Verehrte Frau Matthäus-Maier, wenn der Herr Kol- erleben, daß sich Ihre Kollegin bei der Diskussion um lege Voscherau aus den Vorgesprächen, den kleine- die große Steuerreform nicht beteiligt hat. Das heißt, ren Gesprächsrunden, hier zitiert, dann erlaube ich die Grünen, die sich nach außen auch in diesem Be- mir, ebenfalls daraus zu zitieren. Sonst hätte ich es reich als Reformpartei geben, haben sich im Kern der nicht getan. Sache der Diskussion und der Lösungsfindung ver- weigert. Auch dies sollte bei dieser Gelegenheit ein- Wir waren uns einig, nur über den Finanzierungs- mal angesprochen werden. teil zu reden. Erst als die Botschaft von den Grünen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kam, sie seien nicht bereit, über eine Mehrwertsteu- ererhöhung zu diskutieren, sondern diese Maß- Ich komme nachher auf die große Steuerreform. nahme ausschließlich über eine Ökosteuer zu finan zieren, Herr Kollege Voscherau, ich möchte Ihnen nach- drücklich zustimmen. Ich freue mich, daß wir es nach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16847

Hans-Peter Repnik und als sich der Kollege Dreßler eingeschaltet hat, Herr Kollege Voscherau, ich halte es angesichts der plötzlich die Gefahr heraufbeschwor, daß sich der Tatsache, daß diese Debatte öffentlich übertra- Norbert Blüm mit seiner zielführenden Rentenreform gen wird, schlichtweg für unanständig, daß Sie hier durchsetzen würde, haben Sie gemauert und blok- erneut eine Neidkampagne entfacht haben, indem kiert und haben bei den Lohnzusatzkosten exakt Sie sagen, die Großen würden entlastet, die Kleinen dasselbe gemacht wie bei der großen Steuerreform, nicht. zum Schaden und zum Nachteil des Standortes Deutschland. (Peter Dreßen [SPD]: Wahrheit ist Wahrheit und kein Neid!) Wir haben unser Angebot bis zum Schluß aufrecht- - Lassen Sie mich bitte ausreden! - Wir können doch erhalten, das da lautete: Senkung des Rentenversi- die große Steuerreform nicht losgelöst von den Jah- cherungsbeitrages um einen Punkt und Gegenfinan- ressteuergesetzen sehen, die wir bereits hinter uns zierung durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer haben, und Sie müssen bitte zur Kenntnis nehmen, um einen Punkt. Sie sind, weil Sie nicht durften, auf daß allein durch das Jahressteuergesetz 1996 von dieses Thema nicht mehr eingegangen. dem Entlastungsvolumen von rund 20 Milliarden DM null Prozent an die großen, 100 Prozent aber an die Jetzt noch einige wenige Anmerkungen zum mittleren und kleinen Einkommensbezieher in Thema „große Steuerreform". Verehrter Herr Kollege Deutschland gingen. Dies ist doch die Wahrheit. Voscherau, alle Beratungen der vergangenen Mo- nate, die Anhörungen im Finanzausschuß und alle (Zuruf des Ministerpräsidenten Oskar Experten, die sich mit diesem Thema befaßt haben, Lafontaine [Saarland]) haben deutlich gemacht, daß ausschließlich das Ge- setz, das die Koalition vorgelegt hat, im Sinne der - Herr Lafontaine, nehmen Sie doch bitte zur Kennt- Rückführung der Arbeitslosigkeit, dem Hereinholen nis, daß mit den Maßnahmen, die im Jahressteuerge- von neuen Investitionen und der Begründung neuer setz 1996 beschlossen wurden, im Ergebnis zum Bei- Arbeitsplätze zielführend ist. Ebenso hat die Anhö- spiel erreicht wurde, daß fast ein D rittel der Steuer- rung im Finanzausschuß deutlich gemacht, daß Ihr pflichtigen in der Bundesrepublik Deutschland über- Konzept, das nicht in einen Gesetzentwurf, sondern haupt keine Steuern mehr zahlt. Dies ist doch die in ein Eckwertepapier gegossen wurde, gerade vor Wahrheit. Wie will ich denn jemanden entlasten, der dem Hintergrund des Arbeitsmarktes, der Schaffung überhaupt keine Steuern mehr zahlt? Deshalb ist die- neuer Arbeitsplätze, kontraproduktiv ist, daß es nicht ser Vergleich, wie ich finde, nicht korrekt. arbeitsplatzfördernd, sondern arbeitsplatzvernich- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tend ist. Diesem Urteil widersp richt kein Experte. Herr Kollege Voscherau,- ich möchte auf ein Weite- (Joachim Poß [SPD]: Das ist doch glatt gelo res hinweisen. Sie haben davon gesprochen, daß gen! Was Sie da wiedergeben, ist doch wir uns bei der Verbreiterung der Bemessungs- nicht durch die Finanzausschußanhörung grundlage nähergekommen seien. Das ist wohl gedeckt!) wahr; das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber wahr ist natürlich auch folgendes: Wir haben hin- - Ach, ich bitte Sie, Sie haben doch selbst die Anhö- sichtlich der Verbreiterung der Bemessungsgrund- rung noch vor Augen. Nachher können Sie gerne lage eine Synopse aus dem gemacht, was in unse- darauf eingehen. rem Gesetz steht und was in Ihrem Eckwertepapier und in der sogenannten Schleußer-Liste steht bzw. Ich möchte auf folgendes hinweisen. Herr Kollege was Ihr Parteivorsitzender an Aussagen hier in die- Voscherau sprach von der Globalisierungsfalle. Wir sem Hohen Hause getroffen hat. Da haben wir uns haben die Schwächen des Standortes Deutschland in der Tat bis an 33 Milliarden DM heranbewegt. sorgfältig analysiert. Eine der größten Schwächen Das fand ich prima, weil es die erste Bewegung war, dieses Standortes sind die hohen Steuersätze. Wenn die es bei Ihnen gab, um mit uns über die Verbreite- wir also der Globalisierungsfalle entgehen wollen, rung der Bemessungsgrundlage zu sprechen, aller- von der Sie gesprochen haben, dann müssen wir her- dings auch die letzte Bewegung in diesem Zusam- unter mit den Steuersätzen und dürfen die Steuerre- menhang. form nicht blockieren. Dabei muß aber folgendes festgehalten werden - das wird in aller Regel verschwiegen -: Von diesen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 33 Milliarden DM sind ungefähr 14 Milliarden DM mit dem Kürzel „ÜT" versehen, was „Übereinstim- Herr Kollege Stoltenberg hat sehr anschaulich dar- mung unter der Voraussetzung, daß die Tarife nach- gestellt, wie es sich mit den Millionären in Hamburg haltig gesenkt werden" bedeutet. Wenn es also nicht verhält. Wenn es zutrifft, daß die Hälfte der Hambur- zu einer Tarifsenkung kommt, dann können Sie die ger Einkommensmillionäre keine Steuern zahlt, dann 14 Milliarden DM schon einmal herausrechnen. ist doch dies der beste Beweis dafür, daß wir die Steuerreform brauchen, weil wir Steuerschlupflö- Daraufhin haben wir uns Gedanken darüber ge- cher schließen müssen. Aber auch dem haben Sie macht, wie wir den Tarif senken könnten. Bei Ihnen sich verweigert. stand erstens die Anhebung des Grundfreibetrages auf 14 000 DM im Raum, was schon einmal 14 Milliar- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den DM ausmacht, die für 1998 wegfielen. Dann 16848 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Hans-Peter Repnik stand eine Senkung des Eingangssteuersatzes um tag, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß wenigstens 2 Prozentpunkte im Raum, was noch ein- nicht nachgekommen. mal rund 12 bis 13 Milliarden DM ausmacht. Dann waren von den verbleibenden 29 Mil liarden DM (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU schon 27 Milliarden DM weg. Dann wollten Sie das und der F.D.P.) Kindergeld erhöhen, und dann stand uns plötzlich Ich gehe davon aus, daß das Beispiel aus den Ver- schon nicht mehr genug Geld zur Verteilung zur Ver- einigten Staaten von Amerika in der vergangenen fügung. Woche, wo sich vernünftige Menschen aus beiden politischen Lagern zusammengesetzt haben, mit Si- Nachdem wir dann gesehen haben, daß rund cherheit ökonomische Auswirkungen haben und uns 70 Prozent der Einnahmen aus der Verbreiterung weiter im internationalen Konkurrenzkampf zu der Bemessungsgrundlage im Unternehmensbereich schaffen machen wird. Ich erwarte, daß sich dieses hätten erzielt werden sollen, für den Unterneh- Beispiel herumspricht und daß es Schule macht. Hof- mensbereich, die Körperschaftsteuer, aber keine fentlich machen Ihnen die Wirtschaftsverbände, die einzige Mark zur Verfügung gestanden hat, dann Gewerkschaften und die Arbeitslosen in Deutschland hätten wir, wenn wir diesem Vorschlag gefolgt wä- Druck, so daß Sie in einer zweiten Verhandlungs- ren, eine Steuerreform gehabt, bei der die Un- runde schlußendlich bereit sind, mit in das Boot zu ternehmen in Deutschland nachhaltig mehr Steuern steigen und eine Reform zustandezubringen, die bezahlt hätten. Da kann ich nur sagen: Walte Gott Deutschland für die Zukunft fit macht, die Arbeits- über die Investitionsfähigkeit des Standortes plätze schafft und Arbeitslosigkeit abbaut. Deutschland! Deshalb sind wir nicht in Ihre Falle ge- laufen. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir haben bis zum Schluß angeboten: Wir sind be- reit, über eine geringere Nettoentlastung zu verhan- Das Wort hat die deln, wobei wir wissen, daß wir die Nettoentlastung Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen. sowohl für die Investitionstätigkeit als auch für den Konsum des Arbeitnehmers brauchen. Wir waren be- reit, über den Tarif zu verhandeln, aber erst, wenn Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir die Finanzierung des Tarifs sichergestellt haben. NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was soll Ihre Forderung, permanent über einen Man mag es erfreulich finden, daß wir in diesem neuen Tarif mit Ihnen zu verhandeln, wenn Sie schönen Plenarsaal so nett zusammensitzen. Aber gleichzeitig nicht bereit sind, die Finanzierung eines wenn man dieser Debatte gefolgt ist, dann muß man solchen Tarifs gemeinsam mit uns sicherzustellen? feststellen: Das Vernünftigste am heutigen Tag war, Das macht doch keinen Sinn; denn sonst hätten Sie daß wir über die Lage an der Oder gesprochen ha- anschließend gesagt: Auch dieser Tarif ist nicht si- ben. Ich hoffe, daß das den Betroffenen auch nutzt. chergestellt. Ansonsten war diese Debatte bisher nicht mehr als eine einzige Wahlkampfshow. Das war auch zu er- Frau Matthäus-Maier hat deutlich gemacht, daß warten. für diese große Steuerreform und für die Nettoentla- stung keine einzige Mark zur Verfügung stünde. Diese ganze Sondersitzung war von vornherein Dies hat sie wiederholt erklärt. Eine Steuerreform ganz einfach überflüssig. Wir hätten nämlich alle Er- ohne Nettoentlastung führt aber nicht zum Ziel: mehr gebnisse aus dem Vermittlungsausschuß genauso Investitionen und damit mehr Arbeitsplätze in gut im September verhandeln können, Deutschland und Rückführung der Arbeitslosigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Soweit es sich um die große Steuerreform handelt, der PDS) aber auch zum Thema Senkung der Lohnzusatzko- sten gibt es für mich nach den intensiven langen Be- weil vor dem September sowieso nichts mehr pas- ratungen nur ein Fazit: Die SPD betreibt Blockade siert: Weder tagt der Bundesrat noch gibt es ein pur. neues Vermittlungsverfahren. Deshalb gibt es keinen sachlichen Grund für diese Sitzung. Sie, meine Da- (Widerspruch bei der SPD) men und Herren von der Koalition, hätten uns und den Steuerzahlern diese Sitzung besser erspart. Sie verwischt die Nähe ihrer eigenen Steuerreform- vorhaben zur großen Steuerreform der Regierungs- Die große Steuerreform ist mit dem Beschluß des koalition. Diese Nähe hat es nämlich streckenweise Vermittlungsausschusses gescheitert. Das ist in der gegeben. Die SPD hat alle Verhandlungsbemühun- Tat bedauerlich. Es ist bedauerlich, weil wir wirklich gen durch immer abstrusere Forderungen verzögert. eine große Steuerreform brauchen. Wir brauchen Sie hat, wenn wir uns ein Stückchen nähergekom- eine deutliche Vereinfachung des Steuerrechts. Wir men waren, sofort das Stöckchen höher gehängt, brauchen einen drastischen Abbau von Möglichkei- über das wir springen mußten. Schließlich hat sie sie ten, das Steuerzahlen zu vermeiden und zu umge- sogar mutwillig scheitern lassen. Mit einem Wo rt: Sie hen. Davon profitieren nämlich nur Leute mit großen ist ihrer staatspolitischen Verantwortung im Bundes- Einkommen. Wir brauchen eine deutliche Entlastung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16849

Kerstin Müller (Köln) für Menschen mit geringem Verdienst und vor allen sprechungen, für die man selbst keine müde Mark Dingen für Haushalte mit Kindern. zur Verfügung hat.

Sie vergießen hier jetzt Krokodilstränen über den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Standort Deutschland, der von der angeblichen Blok- und bei der SPD) kadepolitik der Opposition zugrunde gerichtet wird. Dann schauen wir uns doch einmal an, warum diese Ihre Taktik war auch ziemlich durchsichtig. Sie von Steuerreform gescheitert ist. Das Steuerreformkon- der Koalition versprechen erst einmal Steuersenkun- zept der Koalition konnte nicht Gesetz werden; es gen, Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger und durfte nicht Gesetz werden. Das hat mit Blockadepo- für die Industrie. Das klingt zunächst gut, und das ist litik gar nichts zu tun, sondern ganz einfach mit der auch wichtig, für die Steuersenkungsexperten von Qualität Ihrer Vorlage. der F.D.P. geradezu überlebenswichtig. Die Wahr- scheinlichkeit, daß der Bundesrat dem zustimmt, war gleich Null. Denn das wäre der Ruin nicht nur für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Bundeshaushalt, sondern auch für die Haushalte sowie bei Abgeordneten der SPD) der Bundesländer gewesen. Die Steuererhöhungen und Leistungskürzungen zur Finanzierung Ihrer Ihr Konzept war nicht seriös, und es war nicht solide Steuergeschenke sollte dann das Vermittlungsver- finanziert. Wir haben doch erst im Juni erlebt, wie fahren bringen. Wochenlang haben Sie zum Beispiel kritisch es um den Bundeshaushalt steht. Wie mühse- das Wort Mehrwertsteuererhöhung gemieden wie lig hat Herr Waigel die Millionen zusammengekratzt, der Teufel das Weihwasser. Erst im Vermittlungsaus- um Ihren Haushalt wenigstens auf dem Papier aus- schuß sind Sie damit herausgerückt. Steuerentlastun- zugleichen. Die Aktion Goldfinger wird niemand so gen mit der Klientelpartei F.D.P. und Steuererhöhun- schnell vergessen. gen mit der Opposition - diese Rechnung, Herr Rep- nik, konnte nicht aufgehen. Die letzte Steuerschätzung brachte Einnahmeaus- fälle von 18 Milliarden DM. Nach der aktuellen Ifo (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Studie werden die Ausfälle noch größer werden als sowie bei Abgeordneten der SPD) im Mai erwartet. Dann, meine Damen und Herren von der Koalition, legen Sie ein Steuerreformkonzept Ihr Konzept war auch extrem sozial ungerecht. vor, das neue, zusätzliche Löcher in Höhe von minde- Herr Voscherau hat zu Recht noch einmal auf die Er- stens 45 Milliarden DM in die öffentlichen Haushalte gebnisse des baden-württembergischen Rechnungs- reißen sollte. Das war von vornherein völlig abwegig. hofes hingewiesen. Menschen mit einem Jahresein- Herr Repnik, an diesem Punkt haben Sie uns in den kommen von stolzen 250 000 DM zahlen heute im Verhandlungen kein genaues und konkretes Ange- Durchschnitt real 25 Prozent- Steuern. Bei diesen Leu- bot gemacht. Sie sind bei Ihrem Riesenloch geblie- ten nun die große Entlastung anzusetzen, ist nicht so- ben. Das ist nicht zu verantworten, und deshalb sind zial gerecht. Genau das hatten Sie vor: enorme Entla- wir nicht weiter aufeinander zugegangen. stung für die Spitzenverdiener - ein D rittel der Entla- stung allein für die oberen zehn Prozent -, aber we- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nig oder nichts für die normalen Einkommen. Das sowie bei Abgeordneten der SPD) untere Fünftel der Haushalte sollte bei Ihrer Steuer- reform völlig leer ausgehen. Es sollte sogar durch Ein solches Konzept hätte vielleicht 1992 oder 1993 eine höhere Mehrwertsteuer die Entlastung der Rei- noch eine Chance gehabt. Damals waren die Spiel- chen und Superreichen mitfinanzieren. Das ist Um- verteilung zur Freude der F.D.P., aber keine Reform, räume größer. Aber damals wollten Sie keine Reform. Damals hat Herr Waigel das Bareis-Gutachten zu- auf die die Opposition sich einlassen kann. nächst einmal in den Papierkorb geworfen. Aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute: Die langsame Erholung der neuen Länder, sowie bei Abgeordneten der SPD) viel langsamer als erwartet; die Kosten der deutschen Einheit, deren Schulden wir noch viele Jahre abbe- Sie haben an diesem Steuerkonzept mit dem zahlen werden; die dramatisch hohe Arbeitslosigkeit; Charme und der Beweglichkeit eines stillgelegten der große, über Jahre aufgestaute Nachholbedarf in Güterbahnhofs festgehalten. Herr Gerhardt hat sogar Forschung und bei den Universitäten; wegbrechende ganz offen gesagt: Lieber scheitern lassen als ver- Haushalte in Bund, Ländern und Kommunen. In sol- wässern! Das heißt: Ihre Gesprächsbereitschaft war chen Zeiten ist für solche Manöver einfach kein gleich null. Wer, bitte schön, blockiert hier wen? Spielraum. Dann kam eine Sache, die ich wirklich empörend Deshalb haben selbst koalitionsregierte Länder im finde. Wir entnehmen der „FAZ" vom 29. Juli 1997, Bundesrat nicht etwa freudige Zustimmung zu Ihrer die Koalition bewege sich und wolle einen neuen Reform erklärt. Bayern, CSU-regiert, und Baden- Vorschlag machen, der nur 15 Milliarden DM koste. Württemberg, regiert von CDU und F.D.P., haben im Ich finde auch diesen Vorschlag absurd, denn auch Gegenteil mit eigenen Anträgen die Anrufung des die 15 Milliarden DM sind durch nichts gedeckt. Vermittlungsausschusses gefordert. Der Vorwurf der Aber immerhin ist das ein Zeichen von Bewegung. Wahltaktik fällt also auf Sie selbst zurück. Platter Herr Repnik erklärt und Herr Schäuble wiederholt, kann man Wahlkampf nicht betreiben als mit Ver- wie toll sich die Koalition bewegt habe. Manche 16850 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Kerstin Müller (Köln) Leute haben das sogar geglaubt. Nur: Sie haben Ich sage Ihnen: Solange Sie keine neuen und seriö- diese Vorschläge nie eingebracht. sen Angebote machen, muß auch dieses Verfahren scheitern. (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Natürlich! In der Arbeitsgruppe!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS SES 90/DIE GRÜNEN) - In keiner Arbeitsgruppe und auch nicht im Vermitt- lungsausschuß selbst haben Sie ein solches Angebot Jeder hier im Saal, der an den vergangenen Ver- auf den Tisch gelegt. handlungen teilgenommen hat, weiß das - auch Sie, meine Damen und Herren von der Koalition. Deshalb (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist dieses Verfahren überflüssig wie ein Kropf. Es hat sowie bei Abgeordneten der SPD - Hans nur einen einzigen Zweck. Es geht um den Solidari- Peter Repnik [CDU/CSU]: Sicher!) tätszuschlag. Sie wollen Zeit gewinnen, Zeit für den Sie haben der Öffentlichkeit erklärt, Sie seien kom- Streit mit der F.D.P., ob der Soli auch ohne Steuerre- promißbereit, aber davon war am Verhandlungstisch form gesenkt werden soll oder nicht. Herr Sohns er- nichts zu sehen. klärt zum Thema Soli, die Senkung komme auf jeden Fall, egal wie. Die CDU solle gefälligst ihre Minister- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN präsidenten im Osten zur Räson bringen. Das Wie sei sowie bei Abgeordneten der SPD - Hans ihr Problem. Übrigens ein interessantes Verständnis Peter Repnik [CDU/CSU]: Natürlich!) vom Bundesrat! Dagegen erklärt Herr Finanzminister Waigel zum Thema Soli: Wer das will, muß mir sagen, Zu Ihren Blockadelegenden möchte ich folgendes wie wir das gegenfinanzieren wollen. klarstellen, Herr Repnik. Wir haben in diesem Som- mer ungefähr 50 Stunden - ich glaube, es waren (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ mehr - verhandelt. Ich habe einmal nachgerechnet: DIE GRÜNEN]: Das wird Herr Thiele gleich Wir haben vielleicht fünf Stunden zur großen Steuer- machen! - Detlef von Larcher [SPD]: Da reform verhandelt. Das war gerade einmal ein Zehn- braucht er sie auf einmal, die Gegenfinan tel der Zeit. Der Rest das wissen Sie genau - war zierung!) ein einziges Tauziehen um vernünftige Regelungen bei der Gewerbekapitalsteuer. Das wurde dann noch Eigentlich sollte das selbstverständlich sein. Aber dadurch unterbrochen, daß Sie vor der Tür klären Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., haben mußten, was der F.D.P. noch zuzumuten wäre, zum dazu gleich ja noch Gelegenheit. Beispiel wenn es um die Grundgesetzänderung geht. Das hat uns so viel Zeit gekostet. Wenn Sie jetzt so Nun rückt also die Stunde der Wahrheit näher: tun, als hätten wir über die Zukunft des Standortes Umfallen oder raus aus der Regierung? Es geht doch Deutschland verhandelt und diese leichtfertig ver- längst nicht mehr um kompromißfähige- Lösungen; es spielt, dann ist das schlicht nicht wahr, dann waren geht längst nicht mehr um die Solidarität mit dem Sie in einer anderen Verhandlung als ich. Osten. Es geht nur noch um das Überleben der F.D.P. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie hatten die Steuerreform nach kürzester Zeit ab- geschrieben. Sie haben sich in den Verhandlungen Das ist Ihre aktuelle Misere. Diese Selbstblockade keinen Millimeter bewegt. Sie haben Ihr Steuerkon- der Koalition lähmt nicht nur die Verhandlungen im zept als Fertigmenü aufgetischt und sind jetzt em- Vermittlungsausschuß, sie lähmt die Stimmung im pört, daß wir als Opposition das nicht herunterge- ganzen Land. Der Porsche-Chef Wiedeking sagte so würgt haben. Das ist kein fairer Umgang zwischen treffend: Viele Leistungsträger halten sich zurück, Bund und Ländern. Fairer Umgang ist etwas anderes: weil sie nicht wissen, wohin der Zug fährt. Wie soll- Man muß dann schon bereit sein, das Menü gemein- ten sie auch, wenn im Stellwerk komplettes Chaos sam zu kochen. herrscht? Bei den vorliegenden Konzepten gibt es viele Die Selbstblockade der Koalition sieht man noch Überschneidungen. Natürlich wären Einigungen an einem anderen Punkt, nämlich bei der Senkung und Kompromisse möglich gewesen. Aber Sie sind in der Lohnnebenkosten. Der Vermittlungsausschuß der Koalition ja so blockiert, daß Sie sich selbst nicht hat dazu einen Vorschlag gemacht: Wenn Sie ernst- mehr rühren können. haft Arbeitsplätze schaffen wollen, müssen Sie hier Bewegung zeigen. Die Senkung der Lohnnebenko- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sten um zwei Punkte bringt etwa 200 000 neue Ar- sowie bei Abgeordneten der SPD) beitsplätze. Machen Sie neue, realistische Vorschläge! Kommen Wir Bündnisgrünen wollen die Sozialbeiträge Sie endlich auf den Teppich und lassen Sie uns nach durch die ökologische Steuerreform senken, wir Lösungen suchen! wollen die Steuern insbesondere auf den Energiever- Jetzt wollen Sie also ein weiteres Vermittlungsver- brauch erhöhen, um im Gegenzug die Lohnnebenko- fahren beantragen. sten senken zu können. Nur auf diese Weise erhält die Wirtschaft entscheidende Modernisierungsim- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ pulse, die auch zukunftssichere Arbeitsplätze schaf- DIE GRÜNEN]: Warum?) fen. Solange wir die ökologische Steuerreform nicht Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16851

Kerstin Müller (Köln) energisch angehen, werden wir die Strukturpro- weil er sich meilenweit von den Ängsten und Sorgen bleme nicht in den Griff bekommen. der Menschen im Lande entfernt hat und weil er nicht mehr in der Lage ist, die Zukunft des Landes zu Nun hat sich die SPD offenbar als Zeichen von gestalten. Kompromißbereitschaft bereit erklärt, die Senkung der Lohnnebenkosten teilweise durch eine Erhöhung Mich würde interessieren, ob er einen ganz kon- der Mehrwertsteuer zu finanzieren. Wir halten das kreten Vorschlag dazu hat, wie es mit der Steuerre- aus zwei Gründen für sehr problematisch: Erstens form weitergehen soll, wie neue Arbeitsplätze ge- hat die Mehrtwersteuer keine ökologische Len- schaffen werden sollen, wie auch in so schwierigen kungswirkung. Zweitens bedeutet die Erhöhung der Zeiten wie den jetzigen Solidarität mit den Schwäch- Mehrwertsteuer schlicht und einfach ein Stück Infla- sten erhalten werden kann. Ich fürchte, da wird nicht tion. Fast alle Preise werden steigen, und das ist na- viel kommen; denn er hatte ja Gelegenheit dazu vor türlich besonders für die Menschen bitter, die jetzt der Sommerpause. Da hat er uns 14 Monate Wahl- schon niedrige Einkommen beziehen oder arbeitslos kampf angekündigt und keine konkrete politische sind. Diese Menschen merken dann nur eines: Sie Initiative ergriffen. zahlen höhere Steuern. Deswegen halten wir nichts von einer Mehrwertsteuererhöhung und werden uns Ich fürchte, wir werden auf Hintze-Niveau 14 Mo- zu diesem Punkt des Vermittlungsergebnisses der nate lang immer dieselbe Debatte darüber erleben, Stimme enthalten. wer schuld daran ist, daß in der Bundesrepublik nichts vorangeht. Was für eine Zumutung für die (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS Bürgerinnen und Bürger: statt Problemlösung, statt SES 90/DIE GRÜNEN) politischer Gestaltung 14 Monate Wahlkampf auf Hintze-Niveau. Den heutigen Vorschlag der Koalition, die Lohnne- benkosten um einen Punkt zu senken und dafür die (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Mehrwertsteuer zu erhöhen, werden wir ablehnen. DIE GRÜNEN]: Wir wandern aus!) Er ist nämlich nicht nur unsozial, er ist auch halbher- zig. Von dem einen Prozentpunkt, um den Sie senken Einmal angenommen, alles das, was Sie in den wollen, werden bereits 0,3 Prozentpunkte zum 1. Ja- letzten Tagen öffentlich erklärt haben, wäre richtig, nuar 1998 allein durch die Erhöhung der Beiträge zur einmal angenommen, es wäre wirklich so, daß Herr Rentenversicherung aufgefressen. Das wird nicht rei- Lafontaine ein Schreckensregiment über die SPD- chen, um auf dem Arbeitsmarkt wirklich etwas zu be- Ministerpräsidenten errichtet hat, daß die SPD we- wegen. gen der bevorstehenden Bundestagswahl den Bun- desrat mißbraucht und blockiert, daß eine rot-grüne Es geht hier übrigens um Steuererhöhungen. Mich Wahlkampftaktik die Verhältnisse in Deutschland würde interessieren, was die Steuersenkungshelden lenkt, daß diese Regierung- nicht mehr regieren von der F.D.P. dazu sagen. Das ist hier leider noch kann, sondern nur noch machtlos ist, was müßte nicht angesprochen worden, aber die Erhöhung der dann die Konsequenz sein? Mehrwertsteuer hat ja nun nichts mit Steuersenkun- gen zu tun. Wenn das so wäre, dann gäbe es nur eine Alterna- tive: Dann müssen die Wählerinnen und Wähler ent- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ scheiden, dann müssen die Bürgerinnen und Bürger DIE GRÜNEN]: Ach, das macht doch nichts! an der Urne die politische Lähmung beenden, dann Hauptsache: überleben! - Dr. Guido Wester- muß es Neuwahlen geben, und zwar jetzt. Das ist die welle [F.D.P.]: Vielen Dank für den Helden!) einzige Konsequenz aus Ihrem Gejammere. Man muß den Eindruck gewinnen, daß sich die Ko- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN alition eigentlich schon selbst aufgegeben hat. Da sowie bei Abgeordneten der SPD und der sagt Herr Gerhardt: Wir sind an der Regierung, aber PDS) nicht an der Macht. Wenn Sie sich so blockiert sehen, dann verbinden (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Da hat er Sie doch einen neuen, seriösen Vorschlag zur Sen- recht!) kung der Lohnnebenkosten mit der Vertrauensfrage. Wenn die F.D.P. noch einen letzten Rest von Glaub- Das ist ein wirklich beispielloser Satz. Damit leisten würdigkeit hat, dann müßte sie sofort aussteigen, Sie, Herr Gerhardt, damit leistet diese Regierung im und der Weg für Neuwahlen wäre frei. Grunde, einen Offenbarungseid. Es gibt nur einen einzigen Grund, warum Sie die- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Oh nein!) sen Weg nicht gehen, weil Sie nämlich sofort an das Die Verantwortung für die verfahrene Situation Wahldebakel Ihres Freundes Jacques Chirac denken, trägt allein der Herr Bundeskanzler, der jetzt leider Herr Bundeskanzler, weil Sie Angst haben, bei Neu- nicht da ist. wahlen endlich die Quittung für Ihre verfehlte Politik zu bekommen. Die reine Angst vor dem Wähler treibt (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Sie dazu, weiterzuwursteln wie bisher - zum Scha- Doch!) den aller. Er hat sich völlig verkalkuliert, weil er an den Niede (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS rungen der Tagespolitik keinen Anteil mehr nimmt, SES 90/DIE GRÜNEN) ,16852 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Kerstin Müller (Köln) Herr Bundeskanzler, werden Sie Ihrer Richtlinien- Oder: kompetenz gerecht! Stellen Sie sich der Wählerent- scheidung! Machen Sie den Weg für Neuwahlen frei, Eine Senkung des heutigen Spitzensteuersatzes und zwar jetzt! halte ich schon für richtig, aber 39 Prozent sind nicht drin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Oder: PDS) Wir müssen auf jeden Fall dazu kommen, daß es eine Nettoentlastung gibt. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Und: Kollege Carl-Ludwig Thiele, F.D.P. Einen Blockadekurs kann sich die SPD nicht lei- sten. Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bürgermeister Vosche- Diese Zitate, Herr Bürgermeister Voscherau, zei- rau, Sie haben in Ihrer Rede behauptet, daß sich un- gen eines ganz klar: Die Einigkeit, von der Sie be- terschiedliche Konzepte der Koalition und der SPD haupten, sie wäre in der SPD in der Sache vorhan- gegenüberstünden und es deshalb keine Einigung den, ist nicht vorhanden, im Gegenteil. Es gibt unter- gebe. Das ist nicht richtig. In der SPD gibt es durch- schiedliche Auffassungen. Es gab ja auch von Ihnen aus unterschiedliche Auffassungen zur Steuerre- persönlich Beiträge, die dann mit zu diesen Steuerre- form. Ich darf Ihnen vielleicht ein paar Zitate vortra- formvorschlägen geführt haben. Das einzige, was die gen, in denen das zum Ausdruck kommt; Sie selbst SPD eint, ist der Wille, daß es zu einer Reform in kommen dabei auch vor. Deutschland nicht kommen darf. Zum einen die Finanzministerin Brandenburgs im (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Un Januar 1997: sinn! Auch Wiederholen macht es nicht wahrer!) Diese Mischung, die jetzt auf dem Tisch liegt, ist nicht in Bausch und Bogen abzulehnen. Das ist der Punkt, warum wir an dieser Stelle zu einer Einigung im Vermittlungsausschuß nicht gekommen Rudolf Scharping am 24. Januar - Zitat -: sind. Eine Festlegung des Spitzensteuersatzes scheint (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - mir in der gegenwärtigen Situation nicht nötig. Es Detlev von Larcher [SPD]: Verleumdung! ist mir übrigens auch gleichgültig, ob der bei 38 Unwahr!)- oder 40 Prozent liegt.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Hochinter Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege essant! - Zuruf von der CDU/CSU: Aber der Thiele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- hat nichts zu sagen!) gen Poß? SPD-Vorsitzender Oskar Lafontaine am 4. Februar 1997 - Zitat -: Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Gerne. Der Spitzensteuersatz von 53 Prozent muß in der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. jetzigen Höhe bleiben. Denn in der Verfassung steht, daß jeder nach Leistungsfähigkeit be- steuert wird. Joachim Poß (SPD): Herr Kollege Thiele, wollten Sie mit diesem letzten Satz Ihre Aussage, die ich in (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar der „Wirtschaftswoche" gelesen habe, revidieren? land]: Richtig!) Dort sprachen Sie davon, daß man nach Ihrer Ein- schätzung gar nicht so weit auseinander sei. Sie, Herr Bürgermeister Voscherau, am 4. Februar 1997 - Zitat -: Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Herr Kollege Poß, die- Die SPD hat sich darauf festgelegt, daß sie die ser Auffassung bin ich nach wie vor. Wir können uns Senkung des Spitzensteuersatzes von jetzt 53 Pro- bei der Nettoentlastung einigen; da können wir her- zent für möglich - ich füge für mich hinzu: für un- untergehen. Wir können uns beim Tarif einigen; wir ausweichlich - hält. können uns bei der Verbreiterung der Bemessungs- grundlage einigen. In diesem Zusammenhang ist für (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) mich nur erstaunlich, daß die Grünen ein interessan- Jetzt einige Zitate von Herrn Schröder, zum Bei- tes theoretisches Modell vorgelegt haben, aber im spiel: Vermittlungsausschuß davon überhaupt keine Rede mehr war. Es wäre durchaus möglich gewesen, und Wir werden sehr genau prüfen müssen, ob die es ist jetzt, im nächsten Vermittlungsverfahren, wie- Senkung des Eingangssteuersatzes auf 15 Prozent der möglich, eine Verbreiterung der Bemessungs- steuer- und finanzpolitisch möglich ist. grundlage über den kleinsten gemeinsamen Nenner Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16853 Carl-Ludwig Thiele von 33 Milliarden DM hinaus gemeinsam zu be- Wenn wir Ausnahmen steuerlicher A rt streichen, schließen, damit wir endlich zu der Reform kommen, wird das zu versteuernde Einkommen insgesamt er- die wir in Deutschland brauchen. höht. Wenn es insgesamt erhöht wird, dann können wir die Tarife senken, ohne daß wir dadurch weniger Das bedeutet natürlich auch, daß die Grünen in be- Steuereinnahmen hätten. Nur hat sich Ihre Kollegin zug auf den Tarif nichts gesagt haben. Die Grünen im Vermittlungsausschuß bei den Überlegungen zur haben sich dem Blockadekurs der SPD in diesem Verbreiterung der Bemessungsgrundlage überhaupt Punkt total angeschlossen. nicht beteiligt. Es ist seitens der Grünen kein Vor- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und schlag gekommen, hier doch über diese Schnitt- der CDU/CSU) menge hinaus weitere Ausnahmetatbestände zu streichen. Ich sage Ihnen hier: Wir sind in der Diskus- Wir können uns einigen. Die Unterschiede in den sion auch offen dafür, mehr Ausnahmen als bisher Auffassungen und den Konzepten sind viel geringer, vorgesehen zu streichen, wenn es zu einer Einigung als diese öffentliche Auseinandersetzung nach außen im Vermittlungsverfahren kommt. DA hoffe ich, daß vermuten läßt. sich auch Ihre Partei konstruktiver als im ersten Ver- mittlungsverfahren zeigt, da außer der hohen Ideolo- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und gie und dem schönen Entwurf, den Sie eingebracht der CDU/CSU) haben, seitens der Grünen in der Sache nichts Sub- stantielles geleistet wurde. Gestatten Sie Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Scheel? ten der CDU/CSU)

Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Ausgesprochen gerne. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, seit 1991 betreiben wir die Abschaffung der Gewerbekapital- steuer. Sie ist immer wieder insbesondere von der Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): SPD blockiert worden. Sie wollte nicht einmal diese Herr Thiele, können Sie mir einmal erklären, wo die Reform. Sie wurde förmlich zu ihr gedrängt. Es ist Schnittmenge Ihrer Auffassung mit unserer Konzep- gut, daß die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer tion sein soll, die einen Abbau von Steuervergünsti- heute vom Deutschen Bundestag beschlossen wird. gungen und von Subventionen in einem Umfang von Dadurch werden Betriebe und Arbeitsplätze in den etwa 100 Milliarden DM und einen Tarifvorschlag neuen Bundesländern von der Einführung einer zu- vorsieht? Gleichzeitig haben wir ja auch gesagt, daß sätzlichen Steuer freigestellt. In den alten Bundeslän- wir den Weg der Nettoentlastungslüge der Koalition dern wird endlich diese unsinnige Substanzsteuer und insbesondere der F.D.P. nicht mitgehen, sondern abgeschafft, die auch gezahlt- werden muß, wenn ein eine aufkommensneutrale Steuerreform fordern. Wo Betrieb Verluste macht. Die Kommunen erhalten liegt also die Schnittmenge? endlich einen Anteil an der Umsatzsteuer und damit eine verläßlichere finanzielle Basis als im Bereich der Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Zum ersten Punkt, Gewerbesteuer. Frau Kollegin Scheel, der Nettoentlastung: Wir sind Nicht glücklich sind wir über die Gegenfinanzie- hier unterschiedlicher Auffassung. Wir halten bei ei- rung. Die von uns vorgeschlagene Verschlechterung ner Steuerreform eine Nettoentlastung für zwingend der Abschreibungsbedingungen hätten wir für richti- erforderlich, weil Sie ohne Nettoentlastung nicht ger gehalten, aber wir tragen dieses Ergebnis mit, Ausnahmen streichen können, das führt zu einer er- weil die SPD an dieser Stelle über Abschreibungs- heblichen Problematik wegen der auftretenden verschlechterungen überhaupt nicht mit sich reden Schlechterstellung. ließ. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Reden Sie Mit dieser Abschaffung schaffen wir aber noch doch von Schuldenerhöhung!) keine grundlegende Neuordnung für das deutsche Sie würde dazu führen, daß die Akzeptanz für eine Steuerrecht. Denn der weitere Anlaß der heutigen Steuerreform in unserer Bevölkerung nicht gegeben Sondersitzung, die Zurückweisung des unechten wäre. Deshalb halten wir eine Nettoentlastung für Vennittlungsausschußergebnisses zur Steuer- und zwingend erforderlich; über die Höhe können wir Rentenreform, ist alles andere als erfreulich. Diese diskutieren. Sitzung wäre nicht nötig gewesen, hätte die SPD nicht wider besseren Wissens einer Einigung nicht Zu Ihrem zweiten Punkt - Sie hatten ja zwei Fra- zugestimmt und ein unechtes Vermittlungsausschuß- gen in Ihrer einen Frage gestellt -, Verbreiterung ergebnis herbeigeführt. Man kann es nicht häufig der Bemessungsgrundlage: Wenn Sie es auch in der genug wiederholen: Im Zeitalter der Globalisierung - sachlichen Arbeit mit der Verbreiterung der Bemes- Herr Bürgermeister Voscherau, Sie haben es auch sungsgrundlage tatsächlich ernst meinen, möchte ich angesprochen - und in Zeiten, in denen bei uns die Sie daran erinnern, daß wir uns in der Arbeitsgruppe Arbeitslosigkeit steigt und Nationen in der Welt des Vermittlungsausschusses zusammengesetzt ha- darum kämpfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit auch im ben und dort überprüfen und feststellen wollten, wo Bereich des Steuerrechtes zu verbessern, damit in ih- denn Gemeinsamkeiten bei einer Verbreiterung der ren Ländern Investitionen getätigt werden und Ar- Bemessungsgrundlage bestehen. Denn im Grundsatz beitsplätze entstehen, bedeutet Stillstand in der sind wir uns übrigens alle in diesem Hause einig. Steuerpolitik Rückschritt für unser Land. Einen 16854 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Carl-Ludwig Thiele Rückschritt in dieser zentralen Frage kann sich unser der SPD zur Steuerreform. Herr Voscherau selber hat Land überhaupt nicht leisten. Es ist staatspolitisch vor seinen SPD-Freunden in Bremen erklärt, daß er unverantwortlich, hier so zu agieren. gar nicht daran dächte, der Koalition bei dieser schwierigen Arbeit Hilfestellung dadurch zu geben, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) daß die SPD die Koalition bei dieser Steuerreform Hand in Hand begleiten würde. Wir müssen für die öffentlichen Körperschaften auch feststellen, daß mit unserem Steuersystem (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: etwas nicht stimmt, wenn die Steuerschätzungen re- Aber nein sagen ist auch eine Politik!) gelmäßig hinter den Erwartungen zurückbleiben. Auch dies spricht dafür, hier eine neue Basis zu fin- Es ist vollkommen klar: Wer darangeht, Ausnah- den. metatbestände zu streichen, der hat zwar grundsätz- lich ein gewisses Wohlwollen, aber im Einzelfall wird Wir haben es bei anderen Steuern schon erlebt: er von denen kritisiert, die Nutznießer dieser Aus- Wenn wir Ausnahmen streichen und Steuersätze nahmevorstellungen sind. senken, dann können durch Wachstumseffekte, durch Dynamik am Ende dieser Steuerreform durch- Bei diesen Überlegungen wollten Sie uns nicht hel- aus mehr Steuereinnahmen stehen als vorher. Vor al- fen. Sie haben gesagt: Das sind Probleme, die wir der lem haben wir ein gerechteres Steuersystem, weil die Koalition überlassen; wir machen das anders; mit die- Schlupflöcher geschlossen werden und jeder seinen sem Problem lassen wir die einmal alleine. Beitrag an dieser Stelle zahlen muß. Nur: So bekommen wir eine Steuerreform nicht Der dynamische Effekt wird gerade von der SPD hin. Wenn Sie dann sagen, der Zeitpunkt für diese bestritten. Alle anderen Länder, die eine Steuerre- Steuerreform sei falsch, kann ich Ihnen nur entgeg- form hatten, haben doch bessere wi rtschaftliche Ent- nen: Der Zeitpunkt für eine Reform ist richtig, wenn wicklung, mehr Arbeitsplätze und mehr Steuerein- die Reform richtig ist. Da diese Steuerreform richtig nahmen. Das, was in den anderen Ländern richtig ist, ist, gibt es auch keinen falschen Zeitpunkt für diese soll für uns nicht gelten? Steuerreform. Schlimmer noch: Wenn wir jetzt nicht zu einer (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Steuerreform kommen - Herr Bürgermeister Vosche- rau, das haben Sie selber im „Spiegel" erklärt -, Dieser Zeitpunkt ist der richtige; ein späterer Zeit- dann kommen wir erst im Jahr 2001 zu einer Steuer- punkt ist ein schlechter. Wir können auf einen späte- reform. Da sage ich Ihnen: Diese dreieinhalb Jahre ren Zeitpunkt überhaupt nicht warten. kann unser Land nicht warten. Soviel Zeit dürfen wir nicht verstreichen lassen. Wir sind den Bürgerinnen Im letzten Jahr gab es auch namhafte Stimmen in und Bürgern unseres Landes schuldig, diese Reform der SPD, die eine Steuerreform gefordert haben, voranzutreiben und die Gemeinsamkeit zu finden, etwa Herrn Schleußer. Herr Bürgermeister Voscherau damit wir endlich durch eine vernünftige Reform - Sie selbst haben einen Entwurf eines solchen Steu- mehr Wachstum und mehr wirtschaftliche Dynamik erreformpaketes für die SPD vorgelegt, in dem - man erreichen. höre und staune - die Besteuerung der Sonn-, Feier- tags- und Nachtzuschläge enthalten war. Das ist (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) doch Bestandteil Ihres Vorschlages gewesen. Wir haben im Jahressteuergesetz 1996 auch durch Wir haben dann versucht, auch bei diesem Punkt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedingt die auf die öffentliche Kritik einzugehen. Wir haben in Bürger im Existenzminimum freigestellt. Wir haben den Beratungen im Finanzausschuß diesen Teil ge- den Familienleistungsausgleich neu geordnet und er- ändert. Wir haben dies über mehrere Jahre gestreckt. hebliche zusätzliche Mittel für Familien mit Kindern zur Verfügung gestellt. Wir haben ferner den Kohle- Wir haben bei der Frage der Besteuerung der Le- pfennig auch in Form einer Ersatzsteuer nicht mehr bensversicherung ebenfalls eine Abänderung zu un- erhoben. Wir haben die Bürger um 30 Milliarden DM serem ursprünglichen Entwurf vorgenommen. Im Be- pro Jahr entlastet. Das war gut so, das war richtig so. reich der Rente haben wir allerdings gesagt: Wenn nach wie vor 80 oder 85 Prozent der Rentner nicht Aber diese Entlastung von 30 Milliarden DM hat schlechtergestellt sind als bisher, dann ist auch dieser nicht zu der Aufbruchstimmung, zu der Dynamik in Teil der Reform so weiter vertretbar. unserem Lande geführt, weil eben die Tarifreform noch nicht Bestandteil dieser Reform war. Deshalb Wir sind in vielen Einzelfragen auf Sie zugegan- brauchen wir unbedingt eine Tarifreform, damit die gen. Nur, nachdem diese Probleme gelöst waren, Dynamik hier endlich Platz greift. wurden sie überhaupt nicht mehr erwähnt. Es wur- den einfach neue Probleme in den Raum gestellt. Nettoentlastung und Strukturreform, das sind zwei Punkte einer Steuerreform. Hier müssen wir leider Es gibt zwei unterschiedliche Vorwürfe, die die feststellen: Der SPD fehlt der Wille zur Einigung. SPD jetzt als Kritik an dieser Steuerreform ins Feld Daran ist die Steuerreform im ersten Anlauf geschei- führt. tert. Erster Vorwurf: Eine Nettoentlastung der Bürger Die SPD hat auch keinen Sachverstand für kon- ruiniere die öffentlichen Haushalte. Dieser Vorwurf struktive Konzepte. Es gibt keinen Gesetzesentwurf der SPD ist falsch. Unsere Steuerreform setzt durch Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16855 Carl-Ludwig Thiele eine Nettoentlastung wirtschaftliche Dynamik frei. muß auch zu einer konstruktiven Mitarbeit bereit Die Reformen in anderen Ländern haben gezeigt, sein. daß Wachstumseffekte und Steuermehreinnahmen die Folge einer solchen Reform sind. Ist es nicht so, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne daß unser derzeitiges Steuersystem die öffentlichen ten der CDU/CSU) Haushalte schwächt? Wegen der hohen Steuerbela- Wer es nicht verändern wi stung werden Gewinne soweit wie möglich ins Aus- ll, wer die Zustände bei uns so lassen will, wie sie sind, der muß sich dieser land verlagert. Die Schwarzarbeit nimmt zu. Die Bür- Mitarbeit verweigern. An dieser Stelle kann von ei- ger versuchen, durch Ausnutzung aller legalen Son- ner Gerechtigkeitslücke überhaupt keine Rede sein. dertatbestände ihre Steuerlast zu minimieren. Auch dadurch brechen die Steuereinnahmen weg. Wir (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: brauchen ein tragfähigeres Steuerrecht, damit die Sehr sauber argumentiert!) Einnahmeseite für die öffentlichen Körperschaften weiter berechenbar ist. Wir waren bis zum Ende des Vermittlungsverfah- rens zu Kompromissen bereit, sei es beim Entla- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) stungsvolumen, sei es bei den Steuersätzen. Die SPD hat ihre staatspolitische Verantwortung im ersten Zweiter Vorwurf der SPD: Die Vorschläge der Ko- Vermittlungsausschußverfahren mit Füßen getreten. alition seien ungerecht. Millionäre würden auf Ko- Herr Voscherau, wenn Sie sagen: Steuerreform erst sten der kleinen Leute entlastet. Wie soll ich denn ge- 2001, dann kann ich nur sagen: Jetzt brauchen wir rade die von Ihnen, Herr Bürgermeister Voscherau, die Steuerreform. Jetzt müssen wir ein neues Ver- häufig gehörte Feststellung einordnen, daß Hambur- mittlungsverfahren beginnen. Jetzt müssen wir zu ger Millionäre überhaupt keine Steuern bezahlen? einer Einigung kommen. Die Lähmung der Politik Das widerspricht sich und zeigt, daß die SPD so argu- durch die SPD an dieser Stelle hilft keinem. mentiert, wie es ihr gerade zweckdienlich erscheint. (Joachim Poß [SPD]: Sie haben die Schüttel Tatsache ist - dieser Punkt sollte noch einmal in lähmung!) der Öffentlichkeit angesprochen werden -, daß Sie hilft keiner Partei. Sie schürt nur Politikverdros- 25 Prozent der Steuerpflichtigen im oberen Bereich senheit. Wir brauchen Ergebnisse. gut 70 Prozent des Steueraufkommens erbringen. 50 Prozent der Steuerpflichtigen im unteren Bereich Die SPD muß dem Bürger erklären, warum sie wei- tragen lediglich zu 10 Prozent des Steueraufkom- ter auf der hohen Steuerbelastung beharrt. Die SPD mens bei. Im Zuge einer Tarifreform muß ich auch muß den Arbeitslosen erklären, warum sie gegen den Bereich entlasten, der 70 Prozent des Steuerauf- eine Verbesserung der Rahmenbedingungen- für Ar- kommens in Deutschland trägt. Deshalb ist eine Ta- beitsplätze gestimmt hat. Die SPD muß den in- und rifentlastung auch im Bereich der höheren Steuer- ausländischen Investoren erklären, warum sie für die sätze notwendig, weil gerade der dadurch betroffene Beibehaltung der schlechten Investitionsbedingun- Bevölkerungskreis die Hauptlast der Einkommen- gen in Deutschland ist. steuer in unserem Lande trägt. Es ist auch nur lo- gisch, daß der, der relativ mehr bezahlt, unter Wah- Wir wollen die Reform; wir wollen zu Kompromis- rung der Leistungsfähigkeit auch relativ mehr ent- sen kommen. Ich appelliere an die Ministerpräsiden lastet wird. ten der Bundesländer, auch an Herrn Voscherau in Hamburg, konstruktiv mitzuarbeiten, um zu einem (Beifall bei der F.D.P.) Ergebnis zu kommen, und sich nicht parteipolitisch instrumentalisieren zu lassen. Die Steuerreformgesetze sehen aber auch vor, daß alle Leistungsfähigen künftig Steuern zahlen sollen, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege indem steuerliche Schlupflöcher abgeschafft wer- Thiele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- den. Die SPD versucht in der Öffentlichkeit Neid- ordneten Peter Dreßen? komplexe zu schüren, indem sie ständig auf die Ent- lastung der Millionäre hinweist, wobei Sie, Herr Vo- scherau, sagen, daß sie sowieso keine Steuern zah- Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Ja. len. Auch das kann nicht unwidersprochen bleiben. Wir wollen die Besteuerung nach der Leistungsfähig- keit. Wer mehr verdient, soll auch mehr bezahlen. Peter Dreßen (SPD): Herr Kollege Thiele, trifft es Mir ist es lieber, daß ein Einkommensmillionär zu zu, daß Sie in Ihrem Steuerkonzept Rentner zusätz- niedrigeren Steuersätzen und mit weniger Steuer- lich besteuern wollten? Trifft es zu, daß Sie durch die ausnahmen Steuern zahlt, als überhaupt keine Steu- Streichung bei den Schichtzulagen Arbeitnehmer- ern bei höheren Steuersätzen. haushalte getroffen haben? (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Siehe (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne SPD-Konzept!) ten der CDU/CSU) Trifft es zu, daß Sie durch die Verminderung der Kilo- Wenn wir hier nicht zu einer Änderung des Geset- meterpauschale wiederum ausschließlich Arbeitneh- zes kommen, Herr Poß, dann wird der Zustand so merhaushalte getroffen haben? Trifft es zu, daß Sie bleiben. Wer unser Steuerrecht verändern wi ll, der Ihr Loch zum Teil durch eine Erhöhung der Ver- 16856 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Peter Dreßen brauchsteuern schließen wollten? Können Sie nicht Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der verstehen, daß wir dann sagen, daß man so keine Kollege Dr. Gregor Gysi, PDS. Steuerreform machen kann, weil sie einseitig ein Kli- entel trifft? Können Sie dem nicht zustimmen? Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Als diese Sondersitzung von der Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Sehr geehrter Herr Regierungskoalition beantragt wurde, ging es noch Kollege, ich habe vorhin erklärt, in welchen Berei- nicht um den ersten Tagesordnungspunkt, sondern chen wir die Steuerreform im Finanzausschuß und nur um den zweiten, mit dem wir uns jetzt beschäfti- danach hier im Deutschen Bundestag verändert ha- gen. Der erste ist sozusagen auf Wunsch der SPD ben. Wir haben Kritik aufgenommen, allerdings un- hinzugekommen, nachdem schon feststand, daß ter Beibehaltung des Grundsatzes, daß Einkommen, diese Sondersitzung abgehalten wird. egal, wie es erzielt wird, Grundlage der Besteuerung in Deutschland sein soll. Deshalb müssen wir an das Deshalb stimme ich der Kollegin Müller völlig zu Streichen von Ausnahmetatbeständen herangehen. und sage: Diese Sondersitzung des Deutschen Bun- destages ist nichts anderes als die Wahlkampferöff- Wir haben allerdings gesagt: Sollte es zu einem zu von CDU/CSU und F.D.P. starken Bruch bei der Besteuerung der Sonn-, Feier- nungsveranstaltung tags- und Nachtzuschläge kommen, dann sind wir (Beifall bei der PDS) bereit, das über einen gewissen Zeitraum zu strek- ken, damit die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit Die Besonderheit besteht allerdings darin, daß ich zu haben, in Tarifverträgen entsprechende Anpassun- dieser Wahlkampferöffnungsveranstaltung eingela- gen vorzunehmen. den bin. Das war bisher nicht der Fall. Insofern Es ist vorhin auch von Herrn Bürgermeister Vo- nehme ich diese Einladung wahr. scherau angesprochen worden, daß wir eine Bareis (Heiterkeit bei der PDS) Kommission hatten. Die Bareis-Kommission hat all diese Punkte herausgearbeitet. Als 1995 die Bareis Ich füge allerdings hinzu, daß eigentlich Wahl- Kommission ihr Konzept vorstellte, sind Herr Poß und kampferöffnungsveranstaltungen von den Parteien andere Mitglieder Ihrer Fraktion zu Herrn Bareis ge- selbst zu finanzieren sind und nicht durch die Steuer- gangen, um sich das Konzept erklären zu lassen, da- zahlerinnen und Steuerzahler wie eine Sondersit- mit es endlich umgesetzt wird. zung des Deutschen Bundestages. Jetzt wollen wir es umsetzen, jetzt wollen wir steu- erliche Ausnahmetatbestände reduzieren, um die Be- (Beifall bei der PDS) messungsgrundlage, das heißt das steuerpflichtige - Einkommen, zu erhöhen und gleichzeitig die Tarife Denn es gibt ein logisches Argument, das Sie nicht zu senken. Das ist keine einfache Operation. Da hat aus der Welt bekommen. Daß so eine Sitzung teuer es sich die Regierung nicht einfach gemacht und mit ist, das wissen wir alle. ,Ein zweites Vermittlungsver- der Steuerreform ein ausgewogenes Ergebnis vorge- fahren, ob nun sinnvoll oder sinnlos, können Sie frü- legt. Wir haben im Deutschen Bundestag noch nach- hestens einleiten, nachdem wieder der Bundesrat ge- gearbeitet, so daß die Möglichkeit einer Einigung be- tagt hat und über das Ergebnis des Vermittlungsaus- steht. Ich sage es noch einmal: Wir sind dazu bereit. schusses beraten hat. Das tut er aber erst am 5. Sep- Es muß hier zu einer Einigung kommen. Die SPD tember. kann nicht immer wieder ein neues Stöckchen hin- Deshalb war die Sondersitzung am heutigen Tage halten, über welches die Koalition springen soll. Die völlig überflüssig. Sie beschleunigt gar nichts. Sie Kritikpunkte, die Sie ursprünglich vorgebracht ha- hat nur Geld gekostet, das angeblich so knapp ist. ben, sind von uns entkräftet worden. Wir alle - nicht nur der Bundestag, auch der Bun- (Beifall bei der PDS - Rudolf Dreßler [SPD]: desrat und die Abgeordneten in den. Ländern - ha- Genauso ist es!) ben die Verantwortung dafür, Zustände in unserem Land, die wir gemeinsam für reformbedürftig halten, Nun sind Sie ja mit der Tätigkeit des Vermittlungs- tatsächlich zu ändern. Lassen Sie uns das tun! ausschusses nicht zufrieden und kritisieren immer dessen Ergebnisse. Vielleicht - so behaupte ich - (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne liegt das ja daran, daß der PDS, wie ich meine, ten der CDU/CSU) grundgesetzwidrig der Platz im Vermittlungsaus- schuß vorenthalten wird. Wenn wir mitwirken könn- Denn die Bürger wollen nicht wissen, was nicht geht; ten, kämen vielleicht doch vernünftigere Ergebnisse die Bürger wollen wissen, was geht. zustande. Immerhin wäre es einen Versuch we rt.

Wir haben eine Antwort vorgelegt. Von Ihnen gibt (Heiterkeit bei der PDS und der SPD - es nicht einmal einen Gesetzentwurf. Lassen Sie uns Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das war hier zu einer Einigung kommen! Das sind wir allen sehr stark!) schuldig. Herzlichen Dank. Ich will Ihnen folgendes sagen: Wenn die F.D.P. nicht dabei wäre, was glauben Sie, was für Ergeb- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nisse dann im Vermittlungsausschuß zustande kä- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16857

Dr. Gregor Gysi men? Darauf könnten wir uns vielleicht verständi- che, daß 45 Milliarden DM bisher nicht finanziert gen. sind. Das heißt, Sie machen den Staat arm. Aber ein armer Staat kann Armut nicht mehr bekämpfen. Des- (Heiterkeit und Beifall bei der PDS und der halb ist es nicht sinnvoll, diese A rt von Politik zu be- SPD - Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Ja, treiben, die Sie vorschlagen. Sie wollen die Spitzen- Steuererhöhungen!) steuersätze bei der Einkommensteuer senken; Sie haben schon die Vermögensteuer abgeschafft; Sie Jetzt sage ich Ihnen zum Ernst der Sache einmal besteuern immer weniger die Gewinne der Unter- folgendes: Herr Bundeskanzler, mich stört wirklich, nehmen und der Banken. daß Sie in den letzten Tagen mehrfach davon gespro- chen haben, der Bundesrat werde von der SPD zu Ich frage mich, ob Sie schon vergessen haben, daß parteipolitischen Zwecken mißbraucht. Worum geht zum Beispiel die Abschaffung der Vermögensteuer es eigentlich? Es kommt doch auch niemand auf die und die Einführung des ganzen Steuerpakets mit der Idee, der Mehrheit des Bundestages, wenn sie einen gleichen Argumentation hier beschlossen worden Antrag der Opposition ablehnt oder einen eigenen sind, die Sie, Herr Thiele, vorhin benutzt haben, um annimmt, vorzuwerfen, daß sie den Bundestag miß- uns das Steuerkonzept irgendwie schmackhaft zu brauche. Es ist doch ganz normal, daß in Gremien machen. Sie haben gesagt, die Wirtschaftstätigkeit Mehrheiten entscheiden; das ist ein demokratisches werde dadurch belebt; dadurch stiegen die Einnah- Prinzip. Wenn der Bundestag einen Gesetzentwurf men; Investitionen kämen zustande; dadurch ent- beim Bundesrat einbringt und dieser von seiner stünden mehr Arbeitsplätze. War das nicht auch Ihre durch die Verfassung gegebenen Möglichkeit Ge- Argumentation beim Sparpaket? War das nicht auch brauch macht, nein zu sagen, was ist denn daran Ihre Argumentation bei den verschiedenen Gesund- Mißbrauch? Wenn er zum Ja verpflichtet wäre, dann heitsreformen? War das nicht auch Ihre Argumenta- bräuchte man den Bundesrat nicht; denn dann hätte tion bei der Abschaffung der Vermögensteuer? Wo er gar keinen Entscheidungsspielraum. sind denn die Arbeitsplätze? Wo sind denn die Inve- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne stitionen? Dieses Konzept ist doch nun endgültig ge- ten der SPD) scheitert. Deshalb kann man nicht heute ja zu diesem Konzept sagen. Ich mache mir darüber sehr ernsthafte Gedanken. Nicht nur der Bundestag, sondern auch der Bundes- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne rat ist aus demokratischen Wahlen hervorgegangen. ten der SPD) Wenn Sie im Bundesrat die Mehrheit haben wollen, um über die Dinge so abstimmen zu können, wie Sie Die Gewinne der Banken sind allein im letzten es gerne hätten, dann hätten Sie bei den Landtags- Jahr um 20 Prozent gestiegen. Allein im Jahre 1997 wahlen eben erfolgreicher sein müssen. haben die Deutsche Bank- und die Dresdner Bank durch die gestiegenen Provisionen beim schwungvoll (Beifall bei Abgeordneten der PDS und der gewachsenen Aktienhandel zusätzliche Milliarden- SPD) gewinne gemacht. Eine Steuerreform, die an diese Gewinne nicht herangeht, ist doch einfach inakzep- Es kommt noch folgendes hinzu: Welche Vorstel- tabel. Das hat mit Leistung gar nichts zu tun. Sie par- lung steckt denn eigentlich hinter dem Mißbrauchs- tizipieren einfach daran, daß mehr Leute Aktien kau- gedanken? Daß die SPD im Bundesrat nur dann eine fen. Das ist alles. Dadurch werden sie immer reicher. richtige Politik machen würde, wenn sie Ihr Steuer- konzept gebilligt hätte. Nun, Herr Bundeskanzler, Sie können auch nicht leugnen, daß ein D rittel der werden Sie aber doch nicht bestreiten können, daß geplanten Entlastungen nur einem Prozent der Be- Ihr Steuerkonzept Ihren politischen Vorstellungen völkerung zugute kommen soll. Ich habe es Ihnen entspricht; es ist Ausdruck der neoliberalen Politik schon einmal ausgerechnet: Ein Einkommensmillio- dieser Bundesregierung und dieser Regierungskoali- när würde bei Ihrer Steuerreform im Jahr 127 000 tion. Wenn die SPD Ihrer Meinung nach moralisch DM Steuern sparen. Eine Bankkauffrau mit zwei Kin- verpflichtet wäre, dazu einfach ja zu sagen, frage ich dern würde im Jahr 74 DM Steuern sparen. Erklären Sie, wozu wir dann noch Wahlen bräuchten; denn Sie das einmal der Bankkauffrau. Wenn Sie noch die dann gäbe es ja gar nichts mehr auszuwählen, weil Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt erhöhen, gibt die die Steuerkonzepte immer völlig identisch wären, Bankkauffrau diese 74 DM schon im Januar aus und unabhängig davon, ob diese Koalition oder eine an- hat überhaupt nichts von Ihrer Steuerreform, außer dere regieren würde. Deshalb sind die Argumente, einer Mehrbelastung, damit der andere, der Einkom- die Sie da benutzen, demokratiegefährlich. Daher mensmillionär, 127 000 DM im Jahr sparen kann. Das wundert es mich nicht, daß Herr Henkel forde rt, den ist völlig inakzeptabel. Bundesrat am besten gleich ganz abzuschaffen. Wenn schon, dann sollte sich das Bundesamt für Ver- Ihr Steuerkonzept ist nicht solide finanziert, und es fassungsschutz weniger um mich und mehr um ist im höchsten Maße sozial ungerecht. Deshalb kann Herrn Henkel kümmern; das wäre für diese Gesell- ich nur hoffen, daß die SPD auch im zweiten Vermitt- schaft sehr viel sinnvoller. lungsverfahren nicht schwach wird, durchhält und (Beifall bei der PDS) bei ihrem Nein bleibt. Ich finde es ganz normal, daß man zu Ihrem Steuer- (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Hans konzept nein sagt. Zunächst einmal ist es eine Tatsa- Peter Kemper [SPD]) 16858 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Dr. Gregor Gysi Eine wirkliche Reform müßte ganz andere Ansätze Wir sind nicht gegen die Abschaffung der Gewer- haben. Deshalb auch meine Kritik an dem Mehr- bekapitalsteuer. Sie ist sinnvoll, weil es eine Sub- heitsvorschlag des Vermittlungsausschusses zu den stanzsteuer ist, die uns nichts bringt. Aber vergessen Lohnnebenkosten, Herr Ministerpräsident Lafon- wir eines nicht: Nur 16 Prozent der Unternehmen be- taine. Sie machen dabei im Grunde genommen das- zahlen nach Ihrem Kompromiß keine Gewerbekapi- selbe mit. Sie wollen die Lohnnebenkosten um einen talsteuer mehr. Die anderen bezahlen sie schon Prozentpunkt reduzieren und gleichen dies durch längst nicht mehr. Sie wird nur noch von 16 Prozent eine Erhöhung der Mineralölsteuer und der Mehr- der Unternehmen in den alten Bundesländern be- wertsteuer aus. Das heißt, die Arbeitslosen und die zahlt. Das sind die Großunternehmen. Aber für alle Lohnabhängigen bezahlen über die Mehrwertsteuer Unternehmen, auch für die im Osten, wird die Ge- und die Mineralölsteuer letztlich die geringeren werbeertragsteuer erhöht. Lohnnebenkosten der Unternehmen. Ist das wirk lich der Lösungsansatz? Das ist doch keine Reform. Sie Das heißt, alle Unternehmen, auch die kleinsten, fi- gehen hier ein paar Prozentpunkte hoch und do rt ein nanzieren den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer bei paar Prozentpunkte herunter. den großen Unternehmen. Das ist die Rea lität. Sie fördern nie die kleinen und mittelständischen Unter- nehmen, sondern immer die großen Konzerne, die Lassen Sie uns doch einmal ernsthaft über eine Re- Banken und die Versicherungen. Daran muß sich form nachdenken, zum Beispiel über eine andere Be- endlich etwas ändern. messungsgrundlage. Wir müssen uns mit der Tatsa- che auseinandersetzen, daß immer weniger Beschäf- (Beifall bei der PDS) tigte in immer kürzerer Zeit immer mehr produzie- ren. Wenn das so ist, kann die Bruttolohnsumme Es kann nicht dabei bleiben, daß nur die Arbeit- nicht länger die Bemessungsgrundlage für die Ein- nehmerinnen und Arbeitnehmer, die kleinen und zahlungen der Unternehmen in die Versicherungssy- mittelständischen Unternehmen die Bundesrepublik steme sein. Deutschland finanzieren, während sich die Kon- zerne, die Banken und die Versicherungen aus der Wir haben vorgeschlagen, die Wertschöpfung, also Finanzierung der Bundesrepublik Deutschl and ver- das Betriebsergebnis, zur eigentlichen Bemessungs- abschiedet haben. grundlage für die Sozialversicherungskosten der Un- (Beifall bei der PDS) ternehmen zu machen. Das wäre auch wesentlich fle- xibler: Gehen die Gewinne hoch, müssen die Be- Natürlich brauchen wir eine Förderung der Kauf- triebe mehr einzahlen. Gehen die Gewinne runter, kraft. müssen sie weniger einzahlen, und die Einzahlungen sind nicht mehr abhängig von der Zahl der Beschäf- (Zuruf des Bundeskanzlers Dr. Helmut tigten. Damit wird nicht länger Arbeit bestraft, wie Kohl) das heute immer noch der Fa ll ist. - Ich finde es ganz rührend, Herr Bundeskanzler, daß Sie sich um meine Redezeit Gedanken machen und Wenn ein solcher Gedanke umgesetzt würde, wäre darauf hinweisen, daß der Präsident schlafe. Aber das eine Reform, aber es ist keine Reform, wenn Sie der Präsident schläft nicht. Er weiß, wie lang meine ein paar Prozentpunkte hoch- oder ein paar Prozent- Redezeit ist. Darauf wird hier ganz korrekt geachtet. punkte heruntergehen. Sie machen einfach immer Damm, Herr Bundeskanzler, müssen Sie sich aus- eine neue Berechnung, je nach Situation. Das bedeu- nahmsweise nicht kümmern. tet Leben von der Hand in den Mund. Genau das ist das Konzept der Bundesregierung. Von diesem Kon- (Heiterkeit bei der PDS) zept müssen wir uns trennen. Lassen Sie mich etwas sagen: In Wirk lichkeit geht es nicht um eine Blockade des Bundesrates gegen- Zu einer wirklichen Reform würde eine gerechte über dem Bundestag. Es geht um eine gesellschaftli- Besteuerung gehören. Dazu müßten wir gerade auch che Blockade. Weder diskutieren wir über Probleme die hohen Gewinne der Banken und Versicherungen, richtig, noch analysieren wir sie, noch kommen wir die Spekulationsgewinne, große Vermögen und hohe zu wirklichen Lösungsansätzen. Wir verfallen über- Einkommen endlich gerecht besteuern. Dann hätten wiegend in Polemik. Der Bundeskanzler hat ange- wir auch die finanziellen Mittel, die wir für eine so- kündigt, uns in den nächsten 14 Monaten mit Pole- ziale Grundsicherung und einen öffentlich finanzier- mik zu beschäftigen. Deshalb sind auch wir für Neu- ten Beschäftigungssektor brauchen. Darüber würden wahlen eingetreten. auch wieder neue Steuereinnahmen für den Staat entstehen. Allerdings muß ich die Kollegin Müller etwas fra- gen. Sie, Frau Kerstin Müller, haben sich hier hinge- Wir brauchen eine Förderung der kleinen und mit- stellt und vehement Neuwahlen gefordert. Aber im telständischen Unternehmen. Gerade Sie von der Juni 1997 gab es hier einen Antrag zu entscheiden. F.D.P., aber auch Sie von der CDU/CSU erklären im- Dieser Antrag lautete: Der Bundeskanzler der Bun- mer, daß Ihnen die kleinen und mittelständischen desrepublik Deutschland wird aufgefordert, im Bun- Unternehmen so sehr am Herzen liegen. Aber in destag die Vertrauensfrage zu stellen, um den Weg Wirklichkeit machen Sie immer wieder Poli tik für für Neuwahlen freizumachen. Gegen diesen Antrag große Unternehmen. Ein Beispiel dafür ist Ihr Vorge- hat aber nicht nur die Koali tion gestimmt, sondern hen bei der Gewerbekapitalsteuer. auch SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Damit haben Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16859

Dr. Gregor Gysi Sie noch im Juni 1997 dem Bundeskanzler Ihr Ver- Deshalb: Geben Sie uns allen die Chance zu Neu- trauen ausgesprochen. wahlen in Ihrem und in unserem Interesse, damit es zu Veränderungen in dieser Gesellschaft kommt! (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN) Danke. - Na sicher, Sie haben den Antrag doch abgelehnt. (Beifall bei der PDS) Der Kanzler kann sich zu Recht freuen, daß Sie das getan haben. Dann aber ist es nicht besonders glaub- Ich habe in der würdig, einen Monat später Neuwahlen zu fordern. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: zu Ende gehenden Debatte nur noch eine Wortmel- Sie hätten damals unserem Antrag zustimmen müs- dung zu einer Kurzintervention. Das Wo rt hat der sen, sonst sind Sie als Opposition auch nicht glaub- Kollege Dr. Struck. würdig - wenn ich das hinzufügen darf.

(Beifall bei der PDS - Zuruf des Abg. Dr. Peter Struck (SPD): Herr Präsident! Meine Da- Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ men und Herren! Wir nehmen zur Kenntnis, daß die DIE GRÜNEN]) CDU/CSU-Fraktion diese Debatte nicht fortsetzen will. Das, Herr Präsident, beweist, übrigens auch die - Einschließlich der Grünen, Herr Fischer. Reden von Herrn Waigel, Herrn Repnik und Herrn Wenn wir uns inzwischen einig sind, daß Neuwah- Thiele, wie überflüssig diese Debatte und auch diese len erforderlich wären, dann frage ich mich allerdings, Sondersitzung des Deutschen Bundestages waren. warum sich die Koalition so dagegen sperrt. Der Frak- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE tionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Schäuble, hat GRÜNEN und der PDS - Abg. Joachim Hör jetzt in einem Interview gesagt, Neuwahlen würden ster [CDU/CSU] meldet sich zu Wort) an den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag nichts ändern. Das heißt: Er geht davon aus, die Regie- rungskoalition würde durch Neuwahlen bestätigt Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich handhabe werden. Wenn Sie davon wirklich überzeugt sind, das jetzt einmal locker, Herr Kollege Hörster, hoffe dann machen Sie es doch. Danach hätten Sie eine aber, daß ich im Ältestenrat dafür nicht gerügt werde. ganz andere moralische Rechtfertigung für Ihre poli- Eigentlich muß auf eine Kurzintervention derjenige tischen Forderungen. Im Augenblick glaubt Ihnen erwidern, der angesprochen worden ist. doch niemand mehr, daß Sie über eine Mehrheit in der Gesellschaft verfügen. Ich glaube, Sie glauben (Zurufe von der SPD: So ist das!) es auch nicht. Deshalb lehnen Sie Neuwahlen ab Wir nehmen das heute aber einmal nicht so genau. und gehen im Krebsgang bis zum 27. September - 1998. Das aber ist eine Zumutung für die Bevölke- Sie haben das Wort . rung.

Deshalb sage ich: Man muß wissen, wann Schluß Joachim Hörster (CDU/CSU): Herr Präsident, ist. Man muß wissen, wann eine Regierung ausge- wenn es das Hohe Haus nachsieht, dann subsumie- laugt ist. ren Sie mich doch bitte unter CDU/CSU-Fraktion; sie war angesprochen. (Beifall bei der PDS - Lachen und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich möchte zunächst einmal rein der Sachlichkeit halber darauf hinweisen, Herr Kollege Dr. Struck, - Ich finde es sehr gut, daß Sie mir dafür Beifall spen- daß die Sondersitzung des Deutschen Bundestages den. Wir fangen ja erst an, und zwar so richtig. allein wegen des echten Vermittlungsergebnisses zur Gewerbekapitalsteuer erforderlich war. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Ihre Regierung aber ist nun schon seit 15 Jahren Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist nicht dran, im nächsten Jahr seit 16 Jahren. Jeder sollte der Fall!) wissen, wann es vorbei ist, wann man in Rente gehen und wann man sich im Leben Gutes gönnen kann. Die Annahme dieses Vermittlungsergebnisses hat Das wünschen wir Ihnen allen. die Qualität einer dritten Lesung eines Bundesgeset- zes durch den Bundestag. Infolgedessen ist damit Wir brauchen Veränderungen, um den Problem- zum einen eine Rechtssituation geschaffen worden, stau aufzulösen. Ein Regierungswechsel ist nicht al- die es dem Bundesrat ermöglicht, bei seiner Sonder- les, aber er kann Signale für solche Veränderungen sitzung am 5. September ebenfalls diesem Vermitt- setzen. Deshalb brauchen wir ganz schnell Neuwah- lungsergebnis zuzustimmen. Zum anderen schafft es len. Wenn Sie so sicher sind, daß Sie sie gewinnen Rechtssicherheit für die Finanzbehörden in den fünf werden, dann machen Sie sie doch! Wenn Sie aber in neuen Bundesländern, die die Gewerbekapitalsteuer Wirklichkeit wissen, daß Sie sie verlieren werden, nicht zu erheben und nicht zu veranlagen brauchen. dann machen Sie sie auch. Schieben Sie die Nieder- lage nicht weiter hinaus! Es lebt sich leichter, wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) man dies schnell hinter sich hat. Außerdem haben wir verabredet, daß wir im Zu- (Beifall bei der PDS) sammenhang mit der Abschaffung der Gewerbeka- 16860 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Joachim Hörster pitalsteuer zügig eine Änderung des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Fort im Hinblick auf die Art. 28 und 106 vornehmen wol- setzung der Unternehmenssteuerreform len. Um den Gesetzentwurf einzubringen, war die - Drucksachen 13/901, 13/7000, 13/7570, 13/ Sitzung notwendig. 7579, 13/8325 - Schließlich haben wir heute eine wichtige Ent- Berichterstattung: scheidung getroffen, was die Opfer der von der Abgeordneter Dr. Heribert Blens Hochwasserkatastrophe an der Oder betroffenen Menschen anbetrifft. b) Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt mißbraucht (Vermittlungsausschuß) zum Steuerreformge- er auch noch das Hochwasser!) setz (StRG) 1998 Wir haben erstens der Regierung einvernehmlich die - Drucksachen 13/7242, 13/7775, 13/8020, 13/ Unterstützung des Hauses bei den Maßnahmen zur 8177, 13/8178, 13/8326 - Behebung von Schäden zugesichert und zweitens Berichterstattung: die Regierung aufgefordert, weitere Maßnahmen zu- Abgeordneter Dr. Peter Struck sammen mit dem Land Brandenburg zu prüfen. c) Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- Ein letztes - und das ist jetzt eine politische Berner- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes kung auf das, was Herr Kollege Struck gesagt hat -: (Vermittlungsausschuß) zum Steuerreformge- Die Debatte wird nicht dadurch beendet, daß wir es setz 1999 wollen, sondern die Debatte wird dadurch beendet, daß aus den Reihen der SPD-Fraktion bis zur jetzigen - Drucksachen 13/7480, 13/7917, 13/8022, 13/ Minute kein einziger Beitrag zur Steuerreform ge- 8023, 13/8177, 13/8179, 13/8327 - kommen ist. Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Lachen bei der SPD) Bevor wir zur Abstimmung kommen, teile ich dem Hause mit, daß es eine Protokollerklärung, ausgefer- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die tigt von Herrn Dr. Blens, zur Drucksache 13/8325 Aussprache. gibt, die ich vorlese, weil sie wichtig ist: Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- Der Vermittlungsausschuß geht davon aus, schließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und daß das Gesetz zur Fortsetzung der Unterneh- der F.D.P. auf Drucksache 13/8342. Wer stimmt für mensteuerreform erst- nach der Änderung der diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Art. 28 und 106 des Grundgesetzes in Kraft treten Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit kann. den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Bevor wir zur Abstimmung kommen, teile ich dem Hause außerdem mit, daß es eine Erklärung zur Ab- Nun die Abstimmung über den Entschließungsan- stimmung nach § 31 der Geschäftsordnung von meh- trag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf reren Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Frak- Drucksache 13/8343: Wer stimmt für diesen Ent- tion gibt, die schriftlich zu Protokoll gegeben wird.*) schließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einver- der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Op- standen ist. position angenommen. Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung. Der Abstimmung über den Entschließungsantrag der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deut- 8346: Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - schen Bundestag über die Änderungen gemeinsam Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschlie- abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußemp- ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- fehlung des Vermittlungsausschusses auf Druck- tionen, der SPD-Frak tion und der Gruppe der PDS sache 13/8325? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen ab- Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der gelehnt. Gruppe der PDS mit den Stimmen a ller Fraktionen des Hauses angenommen. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 13/8340 an die in der Tages- Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. zum Steuerreformgesetz 1998. Berichterstatter ist der Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Kollege Dr. Peter Struck. Der Vermittlungsausschuß Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen. empfiehlt, unter Aufhebung des Gesetzesbeschlus- ses vom 26. Juni 1997 den Gesetzentwurf der Frak- Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: tionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/7242 und den inhaltsgleichen Gesetzentwurf der a) Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes •) Anlage 2 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16861

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Bundesregierung auf Drucksache 13/7775 abzuleh- probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung nen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/8326? - Gruppe der PDS gegen die Stimmen von SPD und Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Wir sind damit, verehrte Kolleginnen und Kolle- gen, am Schluß unserer Tagesordnung. Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz 1999. Berichterstatter ist der Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Kollege Dr. Peter Struck. Der Vermittlungsausschuß destages auf Dienstag, den 9. September 1997, hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsord- 11 Uhr ein. nung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Die Sitzung ist geschlossen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermitt- lungsausschusses auf Drucksache 13/8327? - Gegen- (Schluß der Sitzung: 16.42 Uhr)

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997 16863 *

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bi! Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Kossendey, Thomas CDU/CSU 5. 8. 97 entschuldigt bis Abgeordnete(r) Dr. Graf Lambsdorff, O tto F.D.P. 5. 8. 97 einschließlich Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 5. 8.97 Andres, Gerd SPD 5. 8.97 Lemke, Steffi BÜNDNIS 5. 8.97 90/DIE Barnett, Doris SPD 5. 8. 97 GRÜNEN Beck (Bremen), BÜNDNIS 5. 8. 97 Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 5. 8. 97 Marieluise 90/DIE 90/DIE GRÜNEN GRÜNEN Bierstedt, Wolfgang PDS 5. 8. 97 Löwisch, Sigrun CDU/CSU 5. 8. 97 Börnsen (Ritterhude), SPD 5. 8. 97 Marschewski, Erwin CDU/CSU 5. 8. 97 Arne Dr. Meister, Michael CDU/CSU 5. 8. 97 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 5. 8. 97 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 5. 8. 97 Böttcher, Maritta PDS 5. 8. 97 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 5. 8. 97 Bredehorn, Günther F.D.P. 5. 8. 97 Mogg, Ursula SPD 5. 8. 97 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 5. 8. 97 Müller (Berlin), PDS 5. 8. 97 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 5. 8. 97 Manfred Buntenbach, Annelie BÜNDNIS 5. 8. 97 Neumann (Bramsche), SPD 5. 8. 97 90/DIE Volker GRÜNEN Onur, Leyla SPD 5. 8. 97 Caspers-Merk, Ma rion SPD 5. 8. 97 Dr. Penner, Willfried SPD 5. 8. 97 Conradi, Peter SPD 5. 8. 97 Dr. Pfaff, Martin SPD 5. 8. 97 Dr. Dregger, Alfred CDU/CSU 5. 8. 97 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 5. 8. 97 Graf von Einsiedel, PDS 5. 8. 97 Heinrich Richter, Roland CDU/CSU 5. 8. 97 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 5. 8. 97 Robbe, Reinhold SPD 5. 8. 97 Faße, Annette SPD 5. 8. 97 Dr. Rochlitz, Jürgen BÜNDNIS 5. 8. 97 90/DIE Fischer (Berlin), BÜNDNIS 5. 8. 97 GRÜNEN Andrea 90/DIE GRÜNEN Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 5. 8. 97 Friedrich, Horst F.D.P. 5. 8. 97 Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 5. 8. 97 Ganseforth, Monika SPD 5. 8. 97 Schaich-Walch, Gudrun SPD 5. 8. 97 Geiger, Michaela CDU/CSU 5. 8. 97 Dr. Scheer, Hermann SPD 5. 8. 97 Gilges, Konrad SPD 5. 8. 97 Schild, Horst SPD 5. 8. 97 Gloser, Günter SPD 5. 8. 97 Schmidt (Aachen), Ulla SPD 5. 8. 97 Großmann, Achim SPD 5. 8. 97 Schumann, Richard SPD 5. 8. 97 Günther (Plauen), F.D.P. 5. 8. 97 Dr. Schulte (Schwäbisch CDU/CSU 5. 8. 97 Joachim Gmünd), Dieter Gysi, Andrea PDS 5. 8. 97 Seidenthal, Bodo SPD 5. 8. 97 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 5. 8. 97 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 5. 8. 97 Hartmann, Hanns-Peter PDS 5. 8. 97 Dr. Stadler, Max F.D.P. 5. 8. 97 Hauser (Esslingen), Otto CDU/CSU 5. 8. 97 Steen, Antje-Marie SPD 5. 8. 97 Dr. Hellwig, Renate CDU/CSU 5. 8. 97 Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 5. 8. 97 Dr. Höll, Barbara PDS 5. 8. 97 Tippach, Steffen PDS 5. 8. 97 Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 5. 8. 97 Titze-Stecher, Uta SPD 5. 8. 97 Dr. Jens, Uwe SPD 5. 8. 97 Voigt (Frankfurt), SPD 5. 8. 97 Karsten D. Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 5. 8. 97 Wagner, Hans Georg SPD 5. 8. 97 Dr.-Ing. Kansy, Dietmar CDU/CSU 5. 8. 97 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 5. 8. 97 Kauder, Volker CDU/CSU 5. 8. 97 Welt, Jochen SPD 5. 8. 97 Dr. Kiper, Manuel BÜNDNIS 5. 8. 97 90/DIE Wester, Hildegard SPD 5. 8. 97 GRÜNEN Dr. Wieczorek, Norbe rt SPD 5. 8. 97 Dr. Knake-Werner, Heidi PDS 5. 8. 97 Wilz, Bernd CDU/CSU 5. 8. 97 Körper, Fritz Rudolf SPD 5. 8. 97 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 5. 8. 97 Kolbow, Walter SPD 5. 8. 97 Wolf (München), Hanna SPD 5. 8. 97 16864* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. August 1997

Anlage 2 Die Ursache liegt darin, daß CDU/CSU und F.D.P. verhindert haben, daß 2,3 % der Umsatzsteuer den Erklärung nach § 31 GO Gemeinden zur Kompensation zur Verfügung ge- stellt werden, wie es der SPD-Forderung entsprach. der Abgeordneten Bernd Reuter, Vielmehr wollten CDU/CSU und F.D.P. ursprünglich Barbara Imhof, Erika Lotz, Erwin Horn, nur 1,9 % zur Verfügung stellen. Angesichts des Ver- Brigitte Lange, Gerhard Rübenkönig, Gerd Höfer, haltens der Parteien der Bundesregierung mußte die Berthold Wittich, Heidemarie Wieczorek-Zeul, 2,2 %-Kompensation als Kompromiß erst durchge- Dr. R. Werner Schuster, Al fred Hartenbach, kämpft werden. Joachim Tappe (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung Es ist ein Erfolg der sozialdemokratischen Seite, des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes daß die Gewerbeertragsteuer - entgegen Forderun- (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz gen der F.D.P. - grundgesetzlich abgesichert wird und zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform entsprechend sichergestellt wird, daß zur kommuna- (Drucksache 13/8325) len Selbstverwaltung eine den Kommunen zuste- hende wirtschaftskraftbezogene und mit Hebesatz- Das Ergebnis des Vermittlungsausschusses bezüg- recht versehene Steuerquelle gehört. Wir stimmen lich der Kompensation für den Wegfall der Gewerbe- deshalb den Gesamtregelungen zu, auch weil die ost- kapitalsteuer ist aus unserer Sicht nicht ausreichend deutschen Länder ohne entsprechenden Beschluß die befriedigend für einen Teil hessischer Kommunen. Gewerbekapitalsteuer hätten einführen müssen.